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Deva Moon

Sphärenklang





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

SPHÄRENKLANG

von

 

Deva Moon

 

 

 

 

 

Copyright © 2016 Deva Moon

Herausgeber: Oliver Rapouch, Wien/Österreich

devamoon.sphaerenklang@gmail.com

Cover-Motiv: Oliver Rapouch

Cover-Schriftarten: Endor, Aquiline Two

Erstveröffentlichung April 2016

Alle Rechte vorbehalten.

 

www.devamoon.com

 

Aus Aislinns Tagebuch ...

 

Heiligenwald, 8. Dezember 2012

 

In meiner Kindheit hat mir meine Mum vor dem Einschlafen immer eine Geschichte vorgelesen. Manchmal hat sie mir auch eine Geschichte nacherzählt, die sie selbst als Kind von ihrer Mutter gehört hatte.

Irland, das Land ihrer Geburt – ein Land voller Mythen und Fabeln, Märchen und fantastischer Erzählungen. Tief in meine Bettdecke verkrochen, lauschte ich gebannt den Geschichten über Feen und Gnome, über Naturgeister, Helden und schöne Jungfrauen, Untote und Wechselbalge ... und über furchteinflößende Ungeheuer. Da gab es Dämonen, böse Geister, Ghouls und Hexen. Und es gab auch die Drachen. Mum erzählte mir damals, dass sie riesige Ungeheuer wären, die wie beschuppte Echsen aussahen. Sie erzählte mir, dass sie Feuer speien konnten und dass sie oft über einen sagenumwobenen Schatz wachten. In einigen Geschichten waren sie grausame Untiere, die dem Helden aus der Legende beinahe den Tod brachten. In anderen wiederum, waren sie magische Geschöpfe, rätselhaft und belesen, aber stets auch wild und unberechenbar ...

Einiges davon kann ich bestätigen – dass sie Feuer speien können, zum Beispiel. Auch was sie mir über ihre Gestalt erzählte, war nicht ganz unwahr. Sie wachen über unermessliche, menschliche Schätze – auch das kann man so sehen. Bei den vielen Bezwingern jedoch, die sich damit rühmten, einen Drachen getötet zu haben, bin ich im argen Zweifel. Auch, dass sie als schreckliche Untiere Vieh vernichtet und Land verbrannt hätten, kann ich nicht ganz glauben.

Aber um welche Geschichte auch immer es sich handelte, meistens war der Drache darin der Feind, der Widersacher, das Monster, die Trophäe des Helden.

In Wirklichkeit sind Drachen jedoch etwas ganz anderes. Ich weiß es, denn ich habe es erlebt ...

Prolog

2.000 Watt Scheinwerferlicht ergossen sich über die unüberschaubar große, lodernde Masse von Menschen, die sich wie ein lebendig gewordener Teppich im Rhythmus der schweren Bässe auf und ab bewegten.

Die Luft, die sie in ihre Lungen sogen, war ein Gemisch aus Rauch, Alkohol und menschlichen Ausdünstungen.

Obwohl das Konzert unter freiem Himmel stattfand, hatten hunderte tanzende Körper die Temperatur vor der Bühne derart aufgeheizt, dass man das Gefühl hatte, mitten in einer Sauna zu stehen.

Der Sänger schien Energie in rauen Mengen absorbiert zu haben und wurde nicht müde, auf der Bühne auf und ab zu laufen. Schließlich riss er sich die kurze, schwarz-weiße Felljacke vom gestählten Körper und schleuderte sie mit einer kräftigen Bewegung ins Publikum, während er die letzte Wiederholung des Refrains in sein Mikrofon brüllte. Ein hysterisches Jubeln ging durch die Menge, eine Welle der Ekstase erfasste die verschwitzten Leiber und fegte auch über das Mädchen hinweg, das mit seiner besten Freundin hier war, beide aus voller Kehle schreiend und in blindem Rausch tanzend.

Die Jacke war irgendwo in den ersten Reihen verschluckt worden, einzig eine dichte Traube aus rangelnden Menschen ließ erahnen, wo das begehrte Kleidungsstück gelandet sein musste.

„Brrrooom – brrrooom!!!“ Das ohrenbetäubende Vibrieren der Bässe leitete einen neuen Song ein.

„Raven’s Cry!“

„Yeeaaahh!“, schrie das Mädchen mit maßloser Begeisterung in Richtung seiner Freundin, während es seine Bierflasche in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand schwenkte.

„Der Gig ist einfach Wahnsinn, Liza!“

„Ja, endlos geil!“, schrie Liza zurück und kreiste lasziv mit ihrem Körper zur Musik.

Der Sänger stand nun mit nacktem Oberkörper auf der Bühne, über seine Oberarme schlängelten sich mächtige Tribal-Tattoos und auf der Brust prangte ein grimmiger Wolf mit gefletschten Zähnen.

Seine tiefe, raue Stimme erweckte den Anschein, als hätte er sich schon durch so einige Fässer an Hochprozentigem durchgekostet – „Raven’s cry, through the darkest night!“

Die Menge tobte und jeder Einzelne stimmte in den Gesang mit ein. Das Mädchen spürte, wie sich sein Körper vom Tanzen und vom Alkohol aufgeheizt hatte, es spürte, wie das berauschende Hochgefühl in ihm emporschoss. Seine Sinne waren völlig überwältigt von diesem schweißtreibenden Auftritt.

Und plötzlich, inmitten dieses endlos scheinenden Rausches, dieses abgefahrenen Deliriums, übermannte es ganz ohne Vorwarnung ein Gefühl, das so heftig war, dass es selbst die elektrisierende Stimmung des Konzerts zerschmetterte und es zu Boden riss.

Eine glühende Klinge bohrte sich durch seine Brust und hinterließ ein Gefühl vergifteter Lähmung. Das Tosen der Musik war verschwunden, vor seinen Augen wallte Dunkelheit und dann spürte es mit einem Mal was es war – eine einzige schreckliche Gewissheit ...

„Aislinn! Hey, was ist mit dir? Geht es dir nicht gut? Ist dir schlecht? Verdammt, sag doch was!“

Liza beugte sich zu ihr hinunter. Die Menschen um sie herum waren ein kleines Stückchen zurückgewichen, nahmen aber ansonsten nicht weiter Notiz. Aislinn blickte zu ihrer Freundin auf.

„Liza! Mum und Dad ... sie sind tot!“

 

Eine mächtige Wolke aus aufgewirbeltem Staub und Erde zog sich über das dunkelgraue Wrack – ein trauriger Haufen aus zersprungenem Glas, zur Unkenntlichkeit zerfetzten Kunststoffteilen und bizarr verformtem Blech.

In der Luft lag der Geruch von Benzin, erhitzten Bremsbelägen, radiertem Gummi und frisch geschliffenem Metall. Eine Spur niedergemähter kleiner Bäume und entwurzelter Sträucher zeugte vom Todeszug des Wagens, der kopfüber in der tiefen Schlucht lag. Kein einziger Karosserieteil, keine Scheibe war unversehrt geblieben, nachdem sich das Ding mehrmals überschlagen hatte.

Nun war es gespenstisch still und auch die Insassen machten keine Anstalten mehr, aus dem völlig zerstörten Wagen zu kriechen, denn beide waren bereits tot.

 

Kurz zuvor hatte sich der dunkelgraue Rover noch die kurvige Straße des engen Gebirgspasses entlang geschlichen. Die Wolken hingen schwer am Himmel. Beinahe machte es den Eindruck, man müsse seinen Kopf einziehen, um sich nicht in der undurchdringlichen Wolkenmasse zu verlieren. Obwohl sie den Anschein erweckten, als wären sie durch und durch mit Wasser getränkt, gaben sie nur ein leichtes Nieseln frei, das die Landschaft in einen verschwommenen Schleier hüllte. Kein zweites Fahrzeug leuchtete an jenem Abend die verlassene Straße aus. Die Scheinwerfer durchdrangen die diesige Umgebung, während der Wagen über die regennasse Fahrbahn glitt.

Und der kleine Maulwurfshügel vor eurem Küchenfenster ist ein Feenhügel, ja, ich weiß, Honey. Deine Mutter hat mir das schon mehrmals erzählt – mit verschwörerischem Blick und ehrfürchtiger Stimme. Allerdings war das meistens zu ziemlich fortgeschrittener Stunde und nach einigen kräftigen Irish Stouts“, meinte Johannes, während er seine rechte Hand an den Mund führte, als hielte er darin ein Pint-Glas, und lachte.

Nein, Joe, ich meine es ernst! Sie hat am Telefon so besorgt geklungen, völlig aufgelöst, panisch. Mir kam es vor, als hätte sie wirklich riesige Angst!“

Shannon seufzte gequält.

Johannes blickte seine Frau aus den Augenwinkeln an. Sie wirkte ernsthaft beunruhigt. Er gab nicht viel auf mythologische Erzählungen und Märchen – schon gar nicht, wenn dieser Aberglaube grundlos Angst bereitete.

Okay Shan, also deine Mum hat sich eingebildet, eine alte irische Todesbotin gehört zu haben. Könnte es nicht sein, dass es vielleicht doch irgendein anderes Geräusch war? Vielleicht ein wildes Tier oder ein Schaf, das sich verlaufen hatte?“

Shannon schüttelte den Kopf.

Sie wurde in der Nacht von einem Heulen geweckt, das wie das Geschrei eines Säuglings klang. Als sie dann hinunter in die Küche ging, um zu sehen was da war, stand es direkt vor dem Küchenfenster und hatte sie angesehen. Weißes langes Haar, rot glühende Augen und nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet.“

Ach, das war doch sicher die alte Henriette von nebenan!“

Johannes ...“, sagte Shannon abmahnend.

Johannes seufzte laut auf. Irgendwie nervte ihn dieses Gespräch unglaublich.

Okay und die Legenden besagen, dass es ein schlechtes Omen ist, wenn man eine Banshee sieht oder hört? Oder mehr noch, dass dieses Wesen den baldigen Tod eines Familienmitglieds ankündigt? Shan, es tut mir leid – aber ich kann das einfach nicht glauben.“

Dazu äußerte sich Shannon nicht mehr und blickte beleidigt aus dem Seitenfenster.

Hör mal“, lenkte Johannes ein, „selbst wenn es so wäre, was sollte das denn bringen? Gehen wir mal davon aus, dass es stimmt – was dann? Damit macht man sich nur selbst verrückt und genau das ist der Grund, weshalb ich mit alldem nichts anfangen kann. Ich finde es ja okay, wenn deine Mutter ein Töpfchen Milch für das kleine Feenvolk vor die Tür stellt oder den Maulwurfshügel im Garten nicht abtragen möchte. Aber Todesprophezeiungen? Das geht einfach zu weit, sorry!“

Ach ich weiß doch auch nicht, Joe. Ich hab sie einfach noch niemals zuvor so hysterisch erlebt. Ich weiß selbst nicht genau, was das alles zu bedeuten hat“, erwiderte Shannon mit Unbehagen in ihrer Stimme.

Nichts! Rein gar nichts! Wir sollten das alles einfach vergessen. In einigen Tagen hat sich das wieder gelegt und alles ist wieder in Ordnung.“

Sie legte geistesabwesend ihre Hand auf die seine, die auf dem Schalthebel ruhte. Ihre Hand war eiskalt.

Vielleicht hast du ja recht. Lassen wir das.“

Dann sagte für längere Zeit keiner von beiden ein Wort, bis Shannon schließlich ihren Mann fragte: „Denkst du, unsere Tochter hat in unserer Abwesenheit eine wilde Party gefeiert und die Wohnung zerlegt?“

Sie bemühte sich, ein neues Thema aufzugreifen, um etwas gegen die drückende Stimmung zu tun, die sich im Wagen breit gemacht hatte.

Sie hat auf jeden Fall eine Party gemacht! Was glaubst denn du? Hättest du das etwa nicht in ihrem Alter? Hättest du die Gelegenheit eines sturmfreien Wochenendes nicht ergriffen?“, erwiderte Johannes und wirkte spürbar erleichtert über den Themenwechsel.

Hmm ... ich denke, ich hätte Gwen und Phoebe angerufen und wir wären schnurstracks ins Kilkenny Pub gegangen, wo ich eine Runde Bier ausgegeben hätte … oder vielleicht zwei, zur Einstimmung. Und dann ... naja, du weißt schon ...“, schmunzelte Shannon.

Wunderbar!“, rief Johannes. „Das bedeutet, unser Heim sieht nun aus wie ein überquellender Flaschencontainer, in den Teppich sind unzählige Zigarettenlöcher eingebrannt und das Bad ist kaum mehr zu unterscheiden von einer Gefängnistoilette! Jetzt ist mir gleich viel wohler, Honey! Warum konnte sie nicht so lieb und klein bleiben? Erinnerst du dich noch, als sie ihr erstes Dreirad bekommen hatte? Oder an Miss Clover, die kleine, schneeweiße Katze? Sie hatte sie damals in der Tierhandlung gesehen und es war Liebe auf den ersten Blick. Geschlagene zwei Wochen hatte sie gebettelt, bis wir sie schließlich doch genommen haben.“

Ja, und sie hat immer ihr Spielzeug auf das Dreirad gebunden, damit Miss Clover ihr folgt“, warf Shannon schmunzelnd ein. „Sie ist wirklich verdammt schnell groß geworden. Nächstes Jahr ist bereits ihr 18. Geburtstag!“

Stimmt. Wahnsinn! Oder wir sind verdammt schnell ge...“ Johannes konnte seinen Satz nicht mehr beenden. Als er den Wagen um eine scharfe Kurve lenkte, fand die heitere Stimmung abrupt ein Ende. Ein eiskalter Schock fuhr ihm durch die Knochen. Sein Herz machte einen sprunghaften Satz, ehe es wie wild zu rasen begann. Er trat mit aller Kraft in die Bremse. Dann verriss er das Steuer.

Ein Felsrutsch hatte Tonnen von massivem Gestein auf die Straße hernieder donnern lassen und begrub beide Fahrspuren zur Gänze unter sich.

Ein gellender Schrei drang durch Shannons Kehle.

Der Rover kam ins Schleudern und Johannes verlor nun auch die letzte Kontrolle. Der Wagen brach seitlich aus und schlitterte mit hohem Tempo über das unbefestigte Bankett in die tiefe Schlucht ...

 

Der massige Geröllhaufen, der die Straße versperrt hatte, stand allerdings noch nicht still. Nach und nach konnte man erkennen, dass sich am Rande einer der kleineren Steine zu bewegen begann. Dann folgte ein zweiter und noch einer und noch ein paar weitere. Plötzlich schien der ganze schwere Haufen zu Leben zu erwachen. Die Felslawine ächzte und polterte und bewegte sich dabei langsam Richtung Abgrund. Doch nur auf den ersten Blick erschien sie wie eine Ansammlung zersplitterter Gesteinsbrocken. Bei näherer Betrachtung hingegen konnte man zwischen den Spalten kleine Gesichter erkennen. Und mehr noch – Füße und Bäuche. Es waren kleine, kugelige Gestalten, die sich zwischen dem Geröll bewegten. Immer mehr dieser winzigen, bizarren Wesen kämpften sich nach und nach an die Oberfläche. Sie begannen in der Steinlawine zu schaufeln und zu graben, bis diese gefährlich wankte und man aus ihrem Inneren ein bedrohliches Brodeln vernehmen konnte.

Irgendetwas stimmte nicht mit diesen Wesen. Ihre kleinen Gesichter waren hassverzerrt und in ihren winzigen Äugelein loderte eine unbeschreibliche Bosheit ...