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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 1975

 

Sonnenecho

 

Auf Gaintanus Spuren – sie suchen den Gott der Unsterblichkeit

 

von Ernst Vlcek

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Eigentlich ist die Galaxis Chearth eine sehr friedliche Sterneninsel, in der größere Konflikte seit Jahrtausenden der Vergangenheit angehören. Mit den wasserstoffatmenden Gharrern besitzt die Galaxis zudem ein Volk, das zur Koalition Thoregon gehört.

Doch diese Koalition, die sich für den Frieden im Kosmos einsetzt, wird von gewaltigen Gefahren bedroht – und auch Chearth wird angegriffen. Die Algiotischen Wanderer erobern mit 200.000 Raumschiffen große Teile der Sterneninsel. Ihr Ziel: Sie wollen den sogenannten Sonnentresor öffnen, ein gigantisches kosmisches Gebilde in Chearth, weil sie glauben, einer ihrer Götter werde darin gefangen gehalten.

Was die Algiotischen Wanderer nicht wissen können: Im Sonnentresor leben die Guan a Var, die Sonnenwürmer. Wenn sie ausbrechen, droht das Ende aller intelligenten Wesen der Galaxis.

Weil die Gharrer allein mit der Bedrohung nicht fertig werden, betritt Mhogena, der Fünfte Bote von Thoregon, die Brücke in die Unendlichkeit und reist in die Milchstraße. Auf der Erde und auf Arkon sucht er Hilfe für sein Volk.

Er bekommt sie, doch die Hilfe ist schwach: Gerade mal elf Raumschiffe brechen von der Milchstraße aus nach Chearth auf. Doch die kleine Truppe unter Atlans Führung nimmt den Kampf auf. Einen neuerlichen Höhepunkt erreicht er im Frühjahr 1291 Neuer Galaktischer Zeitrechnung im SONNENECHO ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Ronald Tekener – Der Smiler hat das Kommando bei der Operation Sonnentresor.

Myles Kantor – Der Hyperphysiker begibt sich auf die Suche nach einem Mutanten.

Tuyula Azyk – Das Bluesmädchen wirkt als Mittlerin zu Vincent Garron.

Arnulf Rohmer – Der Biomechaniker betreut die Avatara-Androiden.

Vincent Garron – Der Mutant soll einen neuen Körper bekommen.

Norgo ro Yong – Der Scoctore sucht die Unsterblichkeit.

Prolog

 

Widerlich! Etwas anderes konnte Dro ga Dremm nicht denken.

Wenn jemand einen so abstoßenden Anblick bot, sollte er wenigstens den Anstand besitzen, sein Antlitz zu verhüllen. Oder so viel Schamgefühl, sich erst gar nicht in die Öffentlichkeit zu wagen.

Norgo ro Yong besaß nichts von alldem, weder Takt noch Würde. Er trug sein Leiden zur Schau, als handele es sich um ein heiliges Stigma. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie sehr er mit seinem Anblick das Empfinden anderer verletzen konnte.

Er verstieg sich gar zu der Aufforderung: »Sieh mich an, Dro ga Dremm! Sieh, was aus mir geworden ist! Warum nur strafen mich die Götter mit solchem Aussatz? Warum tut Fidus mir, der ich seine Inkarnation bin, das an?«

Dro ga Dremm konnte nicht anders, als der Aufforderung gleich Folge zu leisten.

Er sah zu seinen Füßen einen ummantelten Fleischberg kauern, in dessen feistem Gesicht keine Knochen zu erkennen waren, die nässenden Äuglein in Fettpolster gepackt. Der ausladende Hinterkopf war ein Fettklumpen. Dicke, fleischige Hände wurden ihm entgegengereckt, mit Fingern wie speckige Würmer, von denen er nur nicht berührt werden wollte. Die Haut glänzte wie geölt, aber es war kein gesunder Glanz, sondern er entsprang dem Ejakulat irgendeiner krankhaften Drüsenfunktion, die nach Tod und Verwesung stank. Norgo ro Yongs Körper produzierte dieses widerwärtige Sekret pausenlos, und er kam nicht nach, es sich von den sichtbaren Körperstellen zu tupfen.

Man sagte über Norgo ro Yong, dass Myrden abstarben, wenn er sie an seinem Körper ansetzte. Sein Schweiß musste das reinste Gift sein.

Was für ein abstoßender Anblick. Ekelhaft!

Dro ga Dremm versteifte sich in seinem Sitz und reckte den Oberkörper so weit wie möglich zurück, ohne dass sein Abscheu zu deutlich wurde. Es kostete ihn erhebliche Verrenkungen, dem Gestank des kleinen, fetten Scoctoren einigermaßen zu entgehen.

»Manch einen Gläubigen prüfen die Götter mehr als andere«, sagte der oberste Scoctore, was wie ein Trostspruch für Norgo ro Yong klang, doch dachte Dro ga Dremm in diesem Augenblick mehr an sich selbst. Er seufzte: »Aber wir wissen, dass die Götter keine Zeichen setzen, hinter denen nicht ein tieferer Sinn steckt.«

»Wie wahr, wie wahr«, bestätigte Norgo ro Yong zerknirscht. »Ich bin natürlich in mich gegangen und habe nachgeforscht, welcher Art die Prüfung sein könnte, die Fidus mir auferlegt hat. Was mag er damit bezwecken, wenn er einem tiefgläubigen Tazolen alles nimmt, was das Leben lebenswert macht? Wenn dieser Mann zwar weiterhin gezwungen ist, Elcoxol zu nehmen, dieses Lebenselixier auf ihn aber nicht mehr die gewünschte Wirkung hat. Ja, wenn es statt dessen seinen Leib weit über jedes erträgliche Maß aufquellen lässt und ihm Krämpfe und Leibschmerzen beschert. Was für ein Sinn soll darin liegen?«

Norgo ro Yong machte eine Pause und krümmte wie zur Bestätigung seiner Worte seinen Körper zusammen. Nachdem er sich wieder etwas entspannt hatte, fuhr er fort:

»Ich habe lange nachdenken müssen, bis mir die Eingebung eine mögliche Antwort beschert hat. Ich musste erst deutlich erkennen, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen, weswegen mich die Götter bestrafen könnten. Wenn das aber keine Strafe ist, so kann es dennoch schwerlich eine Gunst sein. Siechtum ist keine Belohnung, aber es kann sehr wohl der Läuterung und der Erlangung höherer Erkenntnisse dienen. Ich habe die einzige mögliche Erkenntnis gewonnen, dass die Götter mich für eine ungewöhnliche Aufgabe auserwählt haben. Sie wollen nichts anderes, als dass ich persönlich in den Sonnentresor einfliege und Gaintanu aus seinem Kerker befreie.«

Norgo ro Yong hatte sich während des Sprechens so sehr in blinden Eifer gesteigert, dass er jegliches Distanzgefühl vergaß und Dro ga Dremm immer näher rückte. Dem obersten Scoctoren wurde fast übel, als ihn der Atem ins Gesicht traf und der Gestank ihm die Atemwege blockierte. Erst als Dro ga Dremm sich angewidert abwandte und ihm mit einer Abwehrbewegung ins Gesicht schlug, zog sich Norgo ro Yong erschrocken zurück.

Norgo ro Yong sabberte irgend etwas zur Entschuldigung und wischte sich Schleim von den aufgedunsenen Lippen.

Widerwärtig! Dro ga Dremm wollte rasch zu einem Ende kommen. Was immer dieser Todgeweihte von ihm forderte, er wollte es ihm geben, um ihn loszuwerden.

»Wieso glaubst du, Norgo ro Yong, dass die Götter ausgerechnet dir persönlich den Auftrag gegeben haben, Gaintanu zu befreien?«, fragte Dro ga Dremm mit leichtem Unmut. »Sind wir nicht alle, Millionen und Abermillionen Gläubige, in dieser Mission nach Chearth gekommen?«

»Wir wissen, dass es durch die Einmischung der Ungläubigen ein schwerer und langwieriger Prozess sein wird, bis wir auf herkömmliche Weise ans Ziel gelangen können«, antwortete Norgo ro Yong. »Das sehen wohl auch die Götter so, doch ist es ihr Wille, Gaintanu rasch zu sich holen zu lassen, damit er ihre Riege vervollständigt. Sie haben mir die Aussicht auf ein langes Leben genommen und mir nur eine einzige Chance zum Überleben gelassen: Ich muss Gaintanu befreien, um zum Dank von ihm Unsterblichkeit zu erhalten. Du siehst, mir bleibt keine andere Wahl, Dro ga Dremm. Um zu überleben, muss ich Gaintanu aus seinem Kerker holen.«

»So habe ich deine Situation noch gar nicht betrachtet«, sagte Dro ga Dremm überlegend.

Norgo ro Yong hatte wahrhaftig ein starkes Motiv, sich Gaintanus Freiheit zu wünschen. In seiner Verzweiflung redete er sich sogar ein, dass die Götter ihn als ihr Instrument auserwählt hatten. Wie auch immer: Selbst wenn purer Egoismus Norgo ro Yongs Antrieb war, sein Vorhaben hatte etwas für sich.

»Hast du dir einen Plan zurechtgelegt, wie du das Unmögliche vollbringen könntest, Norgo ro Yong?«, fragte Dro ga Dremm.

»Gib mir eine kleine Flotte, nicht mehr als fünfzig Schiffen!«, bat Norgo ro Yong. »Diese genügen mir, um die schwersten Hürden zu nehmen. Ich werde die Siegel der Sonne Skoghal brechen und Gaintanu aus seinem Kerker holen.«

»Bist du dir im Klaren, dass du und deine Leute auf euch selbst gestellt sein werdet?«, sagte Dro ga Dremm eindringlich.

Er wies jedoch nicht auf die zu erwartenden Widernisse hin, um Norgo ro Yong von seinem Vorhaben abzuhalten, sondern mehr um seinen Eifer zu schüren.

»Von außen könnt ihr keine Hilfe erwarten, denn ihr werdet für lange Zeit im Sonnentresor völlig isoliert sein«, erinnerte er den Fleischberg. »Hyperfunk ist in keine Richtung möglich. Auch werdet ihr den Viereinhalbraum nicht zur Überwindung der Distanzen nützen können. Der Flug durch die elementaren Gewalten, die im Sonnentresor herrschen, kann lange dauern. Ihr werdet große Entbehrungen auf euch nehmen müssen. Für viele wird es ein Flug ohne Wiederkehr werden. Und wer weiß, ob ich dich jemals wiedersehen werde ...«

»Das alles ist mir vollauf bewusst«, beteuerte Norgo ro Yong. »Aber habe ich denn eine Wahl? Entweder ich werde zum Befreier Gaintanus, oder ... Gib mir bitte deinen Segen für dieses Unternehmen, Dro ga Dremm!«

Dro ga Dremm hätte Norgo ro Yong beinahe die Hand aufs fette, schwammige Haupt gelegt, doch zuckte er im letzten Moment angeekelt zurück; er würde nach dieser Begegnung ohnehin ein ausgiebiges Bad nehmen müssen. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass aus einem Tazolen ein solch abstoßendes, unappetitliches Monster werden könnte. Besser, Norgo ro Yong verschwand weit, weit weg von hier, egal, was aus ihm wurde.

»Eigentlich beneide ich dich um diese Mission, Norgo ro Yong«, log Dro ga Dremm. »Wie gerne würde ich an deiner Stelle zu diesem heiligen Abenteuer aufbrechen. Aber leider haben mich die Götter dazu bestimmt, Vil an Deschs Verantwortung zu übernehmen, so dass ich unabkömmlich bin.«

Dro ga Dremm seufzte. Vil an Desch war erst vor wenigen Tagen in Gefangenschaft der Ungläubigen geraten, und nach Dro ga Dremms Willen konnte er dort bis ans Ende aller Tage schmoren. Dro ga Dremm hatte schon immer den Oberbefehl über die heilige Befreiungsflotte gewollt. Er besaß einen unbändigen Willen zum Siegen und war fest entschlossen, seine Algioten zum Triumph über die Chearther und deren Verbündete zu führen.

Dro ga Dremm seufzte wieder und verabschiedete Norgo ro Yong mit den salbungsvollen Worten: »Ziehe hin und befolge den Willen der Götter! Sie mögen mit dir sein.«

1.

 

Drei besaß einen schlanken Körper mit schmalen Schultern und einem länglichen Kopf. Das blonde Haar trug er schulterlang; es war zu einer Pagenfrisur geschnitten, mit Stirnfransen, die fast bis zu den schmalen, hellen Augenbrauen reichten.

Die äußere Erscheinung von Drei war von einem Zufallsgenerator entworfen worden. Das bezeugten die graublauen Augen und die etwas vorspringenden Oberzähne, die nicht so recht zum Gesamtbild passen wollten.

»Hallo, Drei«, begrüßte ihn der Biomechaniker Arnulf Rohmer, als der Avatara den Checkpoint betrat. »Du hast eine längere Ruhepause gehabt, als ein Murmeltier Winterschlaf hält.«

»Aber ich habe nicht von positronischen Schafen geträumt«, antwortete Drei mit einem Grinsen, das seine Vorderzähne aufblitzen ließ. Er war der humorvollere der beiden männlichen Avataras. Er stülpte die Oberlippe über die Zähne und meinte ernsthafter: »Warum so förmlich, Nuffy? Mir hat es besser gefallen, als du mich Bernie nanntest.«

»Es könnte für dich einen Einsatz geben, Drei«, sagte Arnulf distanziert. »Da ist es besser, wenn wir die alte Ordnung wiederherstellen. Ich soll dich darauf vorbereiten.«

»Einsatz ist gut. Ich bin schon wie eingerostet. Worum geht es?«

»Das weiß ich selbst nicht«, log Arnulf. »Man hat mir nur gesagt, was ich mit dir anzustellen habe.«

Drei ließ seinen Blick durch den Raum wandern, seine Mundwinkel verzogen sich missbilligend.

»Was ist mit den Siganesen?«, fragte er dann. »Warum sind sie bei so einer heiklen Angelegenheit nicht anwesend?«

Arnulf Rohmer hob die Schultern und schnitt eine Grimasse; irgendwie war Dreis Mienenspiel ansteckend.

»Keine Ahnung, aber ich vermute, Domino Ross und die anderen sind anderweitig beschäftigt. Ihre Anwesenheit ist auch gar nicht nötig, alles nur Routine.« Er deutete auf die junge, dunkelhaarige Frau an seiner Seite. »Ach ja, das ist Dr. Sam, Samantha Ogris, eine ausgezeichnete Biokybernetikerin. Bei uns bist du in den besten Händen, Drei.«

»Guten Tag, Drei«, sagte Samantha Ogris mit freundlichem Lächeln. »Wir werden uns bemühen, dir die rechte Behandlung zu geben.«

»Hallo, Doc Sam«, sagte Drei ohne Begeisterung. Er wandte sich wieder Arnulf zu: »Verrätst du mir wenigstens, was für Zusatzausrüstung ich bekomme, Nuffy?«

»Äh ... nun, ja ...«, stotterte Arnulf Rohmer unbehaglich und blickte hilfesuchend zu der jungen Frau. Er war einem Androiden keine Rechenschaft schuldig. Obwohl Drei so etwas wie ein Neutrum war – auf sein Ich bezogen –, hatte sich zwischen ihnen dennoch ein gewisses Vertrauensverhältnis gebildet. »Die Sache ist die ...«

»Machen wir doch erst mal den technischen und den medizinischen Check!«, fiel ihm Samantha Ogris ins Wort. »Dann sehen wir weiter. Okay?«

»Meinetwegen. Aber den Check könntet ihr euch sparen. Ich kenne meinen Körper. Mit mir steht alles zum besten.«

»Was sollte mit dir auch nicht stimmen?«, meinte Arnulf. »Aber Ordnung muss sein. Ist ja bloß Routine. Ich brauche das für meinen Bericht.«

Drei legte sich kommentarlos auf die gepolsterte Liege, die sich seiner Körperform anpasste. Die Liege glitt daraufhin in das dicke Rohr des Scanners. Arnulf und Samantha zogen sich zur Schaltwand zurück. Zwischen ihnen und dem Scanner errichtete sich ein energetischer Schutzschild, der alle störenden Einflüsse von außen abschirmen sollte.

Arnulf schaltete den Scanner ein. Die Durchleuchtung des Androiden begann. Zuerst lief eine Ganzkörperaufnahme im Infrarotbereich ab. Die verschiedenen Organe, das Gehirn und der Blutkreislauf waren als Wärmequellen zu sehen, die in verschiedenen Rotabstufungen leuchteten. Danach wurden die verschiedenen Organe gezoomt und in Großaufnahme gezeigt: Herz, Lunge, Leber. Es handelte sich ausschließlich um künstliche Organe auf biologischer Basis, die aus den Labors von Camelot stammten. Sie waren von menschlichen nicht zu unterscheiden, nur eben dadurch, dass sie völlig makellos und absolut funktionsfähig waren.

Arnulf hätte das von den seinen nicht behaupten können. Er war Raucher, er hing am guten alten, dem »echten« und nikotinhaltigen, dem dadurch zugleich köstlichen und zerstörerischen Tabak.

Auch das Skelett von Drei wirkte selbst in der Durchleuchtung absolut menschlich, doch bestand es überhaupt nicht aus Knochen- oder Mark- und anderen Zellen, sondern aus einem besonders elastischen, leichten und widerstandsfähigen Kunststoff.

»Erster Durchlauf abgeschlossen«, meldete Arnulf. »Alles okay.«

»Sagte ich's doch«, maulte Drei. »Das dauert aber ... Kannst du nicht schneller machen?«

»Es geht schon weiter«, sagte Arnulf über die Kommunikationsverbindung und schaltete diese gleich wieder ab, um nicht von Drei in ein Gespräch verwickelt werden zu können.

Auch wenn ihm bewusst war, dass der Androide nicht wirklich und selbstbestimmt dachte, störte ihn in solchen Fällen dessen Fragerei. Ich darf mich davon nicht beeinflussen lassen, redete er sich ein.

»Du machst aber auch wirklich langsam«, flüsterte Samantha Arnulf zu. »Dabei hat uns Myles Kantor besondere Eile aufgetragen.«

»Dann mach doch du weiter!«, schnauzte Arnulf sie an.

Der Biomechaniker wusste selbst nicht so genau, warum er gereizt war. Doch, eigentlich wusste er es schon, aber der Grund dafür war eigentlich nicht einzusehen. Drei war lediglich ein Androide ohne eigene Persönlichkeit, mit einem organischen Gehirn, das keine eigenen Lebenserinnerungen besaß, nur mit Allgemeinwissen aus dem Hypnoschuler. Dennoch ging es ihm gegen den Strich, dieses Wunderwerk zu verstümmeln. Es war eine Schande.

»Wie du dich gebärdest, wärst du besser Seelsorger geworden«, sagte Samantha und nahm die Überprüfung der Gehirnfunktionen vor.

Das organische Gehirn des Avataras war über einen Bioponblock sowohl mit einem Pikosyn wie auch mit einer Mikropositronik verbunden, die in der Magengegend untergebracht waren. Die Bioponverbindung funktionierte, wie nicht anders zu erwarten, ausgezeichnet, die Rechenleistung beider Troniken war optimal.

Samantha beendete diesen entscheidenden Test mit einem Seufzer und kündigte Drei den dritten Durchlauf an. Dabei ging es um allgemeine technische Belange, die Überprüfung des Schirmfeldgenerators zum Aufbau eines Individualschutzschirmes, der ebenfalls in der Magengrube eingebettet war, und die verschiedenen Zusatzmodule, die wahlweise in die Avataras eingebaut werden konnten.

Drei war im Besitz eines Mikrogravitators, den er als Rückenplatte trug, eines Lähmstrahlers, der in der linken Handfläche eingebaut war und auf Gedankenbefehl ausgefahren werden konnte, und eines miniaturisierten Kombistrahlers in seiner rechten Handfläche.

Es gab noch eine Reihe weiterer Zusatzmodule, die kompatibel zu den Avataras waren. Doch dabei handelte es sich mehr oder weniger um technische Spielereien, für deren Anwendung es keinen Bedarf gegeben hatte.

Die Avataras waren vor allem für Rettungseinsätze konzipiert worden, etwa um den intakten Gehirnen von Unfallopfern einen Körper bieten zu können, und sei es nur vorübergehend, bis ihre eigenen Körper wieder zusammengeflickt worden waren. War die Wiederherstellung des eigenen Körpers nicht mehr möglich, konnte das Gehirn im Avatara ein ständiges Zuhause finden.

Das erschien menschlicher und für das Gehirn erträglicher, als es in einen Überlebenstank oder einen Robotkörper zu stecken. Rohmer wusste aus dem Trivid-System, dass es früher, also vor über zwei Jahrtausenden, einen Menschen namens Sinclair Marout Kennon gegeben hatte, den besten Freund Ronald Tekeners – und Kennons Gehirn hatte man in einen Robotkörper gesteckt.

Um Identitätsprobleme zu vermeiden, war man bei den »neuen« Androiden darauf bedacht, dass Avataras keine eigene Persönlichkeit entwickelten und neutrale Wesen blieben. Es bestand sogar die theoretische Möglichkeit, die gesamten Gehirninhalte von Menschen, die bald sterben mussten, wie Erinnerung, Lebenserfahrung, Wissen und Individualität, kurzum das Id eines Individuums, auf die Gehirne der Avataras zu übertragen.