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Frank Ritter

Kill deinen Stress

Frank Ritter

Kill deinen Stress

Wirkungsvolle Methoden für ein entspannteres Leben

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

info@redline-verlag.de

1. Auflage 2020

© 2019 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Silvia Kinkel, Rednitzhembach

Umschlaggestaltung: Marc Fischer, München

Umschlagabbildung: shutterstock.com/Black creator

Illustrationen: Jan Bintakies

Grafiken und Satz: Müjde Puzziferri, MP Medien, München

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-768-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-158-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-159-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Einleitung

Franky, der STRESSKILLER

Das Erfolgsmodell der Veränderung

Die EMR-Methode – der ganzheitliche Ansatz

Wie Sie am effektivsten mit diesem Buch arbeiten

I Analysephase – Stress E-rkennen

Was ist Stress?

Stress, eine Frage der Perspektive

Definition Stress

Das Verhaltensmodell für Veränderungen

Stress auf Zellebene

Stress früher versus heute

Was ist eigentlich normal?

Ist Stress positiv oder negativ?

II Analysephase – Stress M-essen

Objektive Stressmessung

Schlaf und Regeneration

Regeneration während des Tages

»Always on«

III Reduktionsphase – Stress R-eduzieren

Kill deinen Stress rational

Kill deinen Stress körperlich

Kill deinen Stress mental

Über den Autor

Danksagung

Quellenverzeichnis

Einleitung

Vorwort

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Stress – ist es eine Modeerscheinung oder ein ernst zu nehmendes Problem, Esoterik oder Wissenschaft, real existierend oder nur eingebildet? Über kaum ein Gesundheitsthema gibt es so unterschiedliche Ansichten wie über Stress.

Haben Sie dieses Buch in der Hand, weil Sie überfordert sind, ständig unter Zeitdruck stehen, zu viele Dinge auf der To-do-Liste haben und gar nicht wissen, wo Sie anfangen sollen? Sitzt Ihnen dabei immer die Angst im Nacken, all den Anforderungen nicht gerecht zu werden, nicht gut genug zu sein und am Ende zu scheitern? Fühlen Sie sich ausgebrannt, sehen Sie kein Licht am Ende des Tunnels und zieht Ihr Leben trist und grau an Ihnen vorüber? Möchten Sie einfach mal wieder innehalten, einen kurzen Moment der Ruhe genießen und endlich einmal durchatmen können? Möchten Sie ein für alle Mal Licht in das Dunkel zum Thema Stress bringen?

Fakt 1: Stress wird in Fachkreisen als die Krankheit des 21. Jahrhunderts diskutiert - kontrovers diskutiert. Und immer mehr wissenschaftliche Studien, Erhebungen unabhängiger Institute und Auswertungen der großen Krankenkassen weisen darauf hin – anscheinend zurecht.

Fakt 2: Stress ist ein Killer. Er ist auf Dauer Auslöser, Mitverursacher oder manchmal sogar »das Zünglein an der Waage« vieler todbringenden Zivilisationskrankheiten. Studien besagen, dass hinter 75 Prozent aller Arztbesuche chronischer Stress steckt.

Es wird dringend Zeit, Ihren Stress zu killen, bevor er Sie killt. Damit Sie Stress zukünftig die Stirn bieten und Ihren Stressoren einen nach dem anderen den Garaus machen können, erlernen Sie in diesem Buch die von mir entwickelte EMR-Methode.

Die EMR-Methode ist ein ganzheitlicher, einfacher und pragmatischer Ansatz, um bereits entstandenen Stress abzubauen sowie neu aufkommende Stressreize schon im Keim zu ersticken.

E Erkennen: Dieses Buch soll Ihnen helfen, das komplexe Thema Stress zu verstehen und Ihren persönlichen Stress zu erkennen. In welchen Situationen kommt bei Ihnen Stress auf und warum ist das so? Ist das immer gleich? Von welchen Faktoren hängt es genau ab, ob Sie Stress empfinden? Nur wenn Sie die Auslöser in stressigen Situationen wahrnehmen, können Sie sie zukünftig ändern.

M Messen: Diese Methode wird Sie dazu befähigen, Ihren persönlichen Stress zu messen, damit Sie wissen, wo Sie auf Ihrer Stressleiter stehen. Sind Sie entspannt, ist es schon 5 vor 12 oder befinden Sie sich bereits im freien Fall?

R Reduzieren: Dieses Buch gibt Ihnen Werkzeuge und Techniken an die Hand, um künftige Belastungen zu minimieren und so neuen Stress zu vermeiden. Des Weiteren hilft es Ihnen, bereits entstandenen Stress gezielt abzubauen. Sie werden lernen, Ihrem Stress auf 3 Ebenen entgegenzutreten: der rationalen Ebene – abgeleitet aus der Wissenschaft, der mentalen Ebene – mit wirkungsvollen Techniken aus dem Leistungssport – und der körperlichen Ebene, die uns allen in die Wiege gelegt ist und die Sie nur zu nutzen brauchen.

Über viele Jahre, erst als Personal Trainer und später als Coach und Referent für Gesundheit, habe ich bestehende Ansätze, Werkzeuge und Techniken zum Thema Stressmanagement erlernt, ausprobiert, zusammengeführt und weiterentwickelt.

Aus meinen Erfahrungen aus Einzelcoachings und Seminaren vieler Jahre habe ich die EMR-Methode entwickelt. Diese Methode soll nun auch Sie unterstützen, die für Sie richtigen nächsten Schritte zu gehen – raus aus Ihrem Stress.

Franky, der STRESSKILLER

Stress ist für Sie wahrscheinlich ein ernstes Thema, denn sonst würden Sie dieses Buch nicht in den Händen halten.

Wir wissen heute aus der Lernforschung, dass wir mit Spaß und Freude besser, entspannter und einfacher lernen können. Die Stresswissenschaft hat ferner festgestellt, dass ein bisschen Spaß und ein kleines Lächeln positiv auf den Stresslevel und das Wohlbefinden wirken. Ein Lächeln bewirkt, dass das Gehirn über Nervenimpulse die Ausschüttung von Hormonen in unterschiedlichen Bereichen des Körpers anstößt. Das beeinflusst Ihre Emotionen und wirkt auch auf den Stresslevel. All das wird vom autonomen Nervensystem gesteuert. Das ist kein »Quatsch«, sondern messbar.

Für mich sind das gute Gründe, das Thema Stress in diesem Buch mit einer Prise Humor und alltagstauglichen Praxisbeispielen darzustellen. Darf ich vorstellen:

»Ich bin Franky, der STRESSKILLER und werde Sie unterstützen

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Da Ihr Erfolg unser beider Ziel ist, habe ich mich dafür entschieden, Ihnen in diesem Buch immer wieder Praxistipps zu geben. Diese Tipps sind Kleinigkeiten. Da ich aus dem Leistungssport komme, weiß ich, dass häufig Kleinigkeiten (Zentimeter oder Millisekunden) über Sieg oder Niederlage entscheiden. Ich möchte, dass Sie zu den Siegern gehören.

Nehmen Sie sich selbst beim Lesen dieses Buches nicht so ernst. Wenn Sie sich, andere oder Situationen aus Ihrem Alltag in meinen Beispielen wiederfinden, dürfen Sie gerne schmunzeln und sich dabei kritisch hinterfragen. Das schlimmste, was Ihnen passieren kann: Das dunkelgraue Bild in Ihrem Kopf hellt sich schon ein bisschen auf.

Das Erfolgsmodell der Veränderung

Sie haben sich entschieden, das Thema Stress in Angriff zu nehmen. Sie möchten etwas verändern, um Ihren Stresslevel zu senken, entspannter zu sein und sich wohler zu fühlen.

Haben Sie schon mal etwas zum Thema Gesundheit verändert? Die Ernährung umgestellt, versucht, etwas wegzulassen (z. B. Süßes), mehr Bewegung in den Alltag eingebaut, regelmäßige Entspannungspausen in den Arbeitsalltag integriert bzw. eine Entspannungstechnik erlernt und regelmäßig praktiziert? War das einfach? Hat das langfristig funktioniert oder sind Sie irgendwann in alte Gewohnheiten zurückgefallen?

Selbst kleine Veränderungen sind in unserem vollgepackten Alltag gar nicht so einfach umzusetzen. Sie sind damit nicht allein, denn viele teilen dieses Problem. In den Kapiteln Bewusstsein/Unterbewusstsein sowie Ziele gibt es hierzu noch detaillierte Informationen. Vorab möchte ich an dieser Stelle einen kleinen Einblick geben, damit Sie von Beginn an zielführend mit diesem Buch arbeiten können.

Veränderung ist nicht einfach, sonst könnte es ja jeder. Das soll Sie jetzt nicht abschrecken oder Druck aufbauen. Es ist eine Tatsache. Daran ist noch nichts Positives oder Negatives. Gehen Sie aus der Bewertung raus. Wir bewerten viel zu schnell und stehen uns damit häufig selbst im Weg.

Hundertausende haben es geschafft, sich zu verändern, und damit ihr Leben bereichert. Noch mehr Menschen haben schon probiert, etwas in ihrem Leben zu ändern und sind gescheitert. Zu welcher Spezies Sie gehören möchten, entscheidet nur ein Einziger – Sie! Sie entscheiden! Sie haben die Macht!

Sie haben mit diesem Buch ein Werkzeug in der Hand, dass Ihnen Schritt für Schritt erklärt, wie nachhaltige Veränderung funktioniert. Wenn Sie die beschriebenen Prinzipien der Veränderung für andere Themen anwenden möchten, nur zu. Sie funktionieren nicht nur beim Thema Stress.

Die 4 Säulen der Veränderung

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Grafik 1: Das Erfolgsmodell

Die erste Säule ist das Wollen. Sie haben erkannt, dass Sie etwas verändern wollen, und mit diesem Buch bereits damit begonnen. Das ist toll!

Die Kunst besteht darin, dieses Wollen langfristig aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung zu treffen, den eigenen Stresslevel nun aktiv in die Hand zu nehmen und zu senken, und sich dann dieses Buch zu kaufen, ist recht einfach. Man glaubt gar nicht, wie viele ungelesene Bücher in deutschen Regalen verstauben. Dieses Buch jedoch kontinuierlich durchzulesen, damit zu arbeiten, die für Sie passenden Übungen regelmäßig in den Alltag einzubauen – das ist schon eine ganz andere Sache. Und deshalb liegt es mir am Herzen, Ihnen das Erfolgsmodell schon hier an die Hand zu geben. Sie sollen jetzt bereits einige Zusammenhänge verstehen, auch wenn noch wesentliche Basisinfos zum Themenkomplex »Veränderung« fehlen. Für eine nachhaltige Veränderung benötigen Sie noch die drei anderen Säulen.

Die zweite Säule ist das Wissen. Wenn Sie nicht wissen, wie etwas funktioniert, können Sie es nur schwer in die Praxis umsetzen. Wir Menschen haben in uns den Anspruch, Dinge zu verstehen. Unser Gehirn versucht immer, logische Zusammenhänge herzustellen, damit ein Sinn entsteht. Ohne Sinn ist unser Gehirn verwirrt, und das mag es gar nicht. Das Wissen, wie Stress überhaupt funktioniert, was im Körper dabei geschieht und wie man den Stresslevel verändert, bekommen Sie in diesem Buch. Das wird Ihnen bei der Umsetzung helfen.

Wenn ich in einem Stressmanagement-Seminar für Führungskräfte – das sind häufig ZDF-Menschen (Zahlen-, Daten-, Fakten-Menschen)–, ohne Vorwarnung eine Atemtechnik zum Stressabbau durchführe, dann gucken mich mindestens 50 Prozent der Teilnehmer an, als käme ich von einem anderen Stern. Statt die Übung zu machen, fangen sie an, auf Ihren Smartphones zu tippen. (Ich habe das probiert und das Ergebnis war nicht schön).

Erkläre ich vorher jedoch den Zusammenhang zwischen Atmung und dem autonomen Nervensystem (ANS) sowie die biochemischen Auswirkungen auf unser Stresssystem – gebe den Teilnehmern also Wissen an die Hand –, dann verleihe ich der Übung einen Sinn. Folgt nun noch ein Praxisbeispiel zur Atemtechnik aus dem Leistungssport, machen alle plötzlich interessiert mit und merken: »Huch, das funktioniert ja.«

Das Wissen allein und das einmalige Ausprobieren reichen für eine nachhaltige Veränderung leider nicht aus. Denn mit Wissen allein kommt man in einem Veränderungsprozess nicht weit, vor allem nicht im Themenkomplex Gesundheit. Es gibt viele intelligente Menschen, die ihr Wissen nicht anwenden und scheitern. Kennen Sie den Spruch: »Wissen ist Macht!«? Das stimmt nicht ganz für die Praxis. Wissen ist nur dann Macht, wenn man es auch anwendet.

Als unsere Tochter gerade 1 Jahr alt war, sind wir für ein paar Jahre aus der Hamburger City in den Speckgürtel von Hamburg gezogen, ein kleines Dorf im Grünen. Hier spielen die Kinder noch draußen. Es gibt Pferdehöfe, und jeder kennt jeden. Als die Neuen lernte man nach und nach die Nachbarn kennen. Eine Straße weiter wohnt bei uns der Grillmeister, so ist er im Dorf bekannt. Er grillt das ganze Jahr über und lädt dazu auch immer gerne ein. Als ich ihn kennenlernte, erzählte er, was er beruflich macht. Da hatte ich einen dieser Momente im Leben, wo es mich von den Beinen holte und ich ihn fassungslos anstarrte. Er ist Professor der Kardiologie (Herzspezialist) in einer großen Klinik. Was ist daran so ungewöhnlich? Der Professor ist ein kleiner untersetzter Mann, der aussieht, als hätte er eine Melone verschluckt. Er hat keinen Hals. Er ist nicht dick. Nein, er ist fett! Er hat Bluthochdruck. Ab einem gewissen Level kann man das sehen, ohne es messen zu müssen. Er ist kurzatmig und außer Puste, wenn er die fünf Treppenstufen aus dem Keller mit der Fleischplatte hochkommt. Er trinkt gerne und viel Weizenbier und Whisky. Das Motto »Fleisch ist das Gemüse des Mannes« könnte von ihm stammen. Auf seinen Fleischplatten ist von guten Steaks über Rippchen, fettem Bauchfleisch und Würstchen in unterschiedlichen Variationen alles dabei. Er kostet von allem, um sicherzugehen, dass es auch seinen Gästen gut schmeckt. Er bewegt sich in seiner Freizeit so wenig wie möglich. Er raucht nicht. Das ist aber auch so ziemlich der einzige Risikoparameter für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, den er nicht im Gepäck hat. Noch einmal, er ist Professor der Kardiologie und im Krankenhaus der Chefarzt. Er operiert täglich todkranke Menschen am Herzen, sieht dieses Leid, und trotz seines Rufs, ein sehr guter Arzt zu sein, holt ihm der Sensenmann regelmäßig Patienten vom OP-Tisch. Als Professor weiß er über das Herz-Kreislauf-System bestimmt zehnmal mehr als ich. Und was bringt es ihm für seine eigene Gesundheit? Er ist Risikopatient Nr. 1 und bei seinen Grillfesten unter allen Gästen statistisch am nächsten dran, auf seinem eigenen OP-Tisch zu landen. Sein Wissen hat ihm für seine eigene Gesundheit nichts gebracht, denn er wendet es nicht an.

Bitte, bitte, bitte. Machen Sie es besser als der Professor. Wenden Sie das Wissen an, das Sie schon haben und das Ihnen dieses Buch vermittelt.

Die dritte Säule ist das Können. Viele meiner Seminarteilnehmer haben Probleme mit dieser Säule. Sie trauen sich selbst zu wenig zu, haben Angst zu scheitern, empfinden Scham oder haben andere Ausreden. Erst wenn sie erleben, dass sie es können, legt sich der sprichwörtliche Schalter um. Ins Können kommt man nur, wenn man die Zweifel beiseiteschiebt, den Mut zusammennimmt und aus der eigenen Komfortzone tritt.

Um zu erleben, dass Sie es können, müssen Sie es tun. Das ist die vierte und zugleich schwierigste Säule. Regelmäßig zu tun und zu üben, und auf diese Weise ein neues Verhalten in Ihr Leben zu integrieren bzw. ein altes Verhaltensmuster zu ändern – das ist wie ein Aufstieg in die Championsleague. An diesem Punkt scheitern viele.

Deshalb meine Bitte: Führen Sie die Praxisübungen aus diesem Buch durch. Auch wenn Sie manchmal Gedanken hegen, die Sie vom praktischen Tun abhalten, weil Sie dessen Sinn noch nicht erkannt haben, Sie glauben, gerade keine Zeit zu haben oder lieber gemütlich weiterlesen möchten, anstatt jetzt selber zu üben … Ohne Tun kommen Sie nicht ins Können und Ihr Ziel rückt in weite Ferne.

»Den Schalter umzulegen«, das kann man schwer mit Worten verständlich machen. Das kann man nur in der Praxis erfühlen. Jemandem mit reiner Wissensvermittlung das Schwimmen beizubringen, ohne ins Wasser zu gehen, das kann nicht funktionieren. Stress nur mit ein paar Fakten aus diesem Buch und Ihrem Willen zu reduzieren, funktioniert ebenso wenig.

Wenn man dem Nichtschwimmer Theorie und Praxis vermittelt, mit ihm ins Wasser geht und ihn tun lässt, dann fängt er plötzlich an zu schwimmen – zu können. Das klappt nicht beim ersten und auch nicht beim zweiten Versuch, aber nach ein paar Mal Tun beginnt das Wasser, ihn zu tragen – wie von Zauberhand. Erst sind es nur einige Meter und dabei wird ihm klar, was er vorher falsch gemacht hat. Viel wichtiger, er fühlt, dass er es kann. Ein Triumph. Erfolg macht Spaß und motiviert ihn weiterzumachen. Über das weitere Tun kann er irgendwann richtig schwimmen. Nun macht er ohne Trainer weiter. Er hat sich verändert, vom Nichtschwimmer zum Schwimmer.

Dieser (im Beispiel beschriebene) Mechanismus nennt sich intrinsische Motivation, und genau die benötigt man, um sich erfolgreich beim Thema Stress zu verändern. Deshalb möchte ich mit diesem Buch Ihre intrinsische Motivation wecken:

Die EMR-Methode

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Grafik 2: Die EMR-Methode

Die EMR-Methode – der ganzheitliche Ansatz

Die EMR-Methode ist ein einfacher und pragmatischer Ansatz, das komplexe Thema Stress ganzheitlich abzubilden. Im ersten Schritt geht es darum, den eigenen Stress zu analysieren. Hierzu gehören die Punkte Stress E-rkennen und Stress M-essen. Aus der Praxis weiß ich, dass diese Punkte häufig unterschätzt und vernachlässigt werden. Damit der zweite Schritt Stress R-eduzieren gut funktioniert, ist Schritt Eins als Basis wichtig.

Stress R-eduzieren kann man, indem man die Belastungen herunterschraubt. Das ist eine häufig verwendete Herangehensweise, die funktioniert. Um dem Anspruch eines ganzheitlichen Anspruchs gerecht zu werden, richten wir zusätzlich den Blick auf die Ressourcen. Welche Ressourcen gibt es, um Stress vorzubeugen? Wenn man diese Ressourcen aufbaut bzw. stärkt, dann hilft das, zukünftige Stressreize abzufedern. Das Resultat: Stress reduziert sich.

Stress E-rkennen images

Kennen Sie Menschen, die immer in Eile sind, immer unter Zeitdruck stehen, außer Atem sind und ständig zu spät kommen? Kennen Sie Menschen, die immer nörgeln und immer schlecht drauf sind? Alles ist doof, zu viel, zu anstrengend und immer sind die anderen schuld. Sie fühlen sich grundsätzlich als Opfer der äußeren Umstände. Kennen Sie Menschen, die von jetzt auf gleich aus der Haut fahren, den Nebenmann – egal ob Partner, Kollege, Nachbar, Kind oder Goldhamster – zur Schnecke machen? Kennen Sie Menschen, die immer alles mit »Eins +« erledigen wollen, die in jeder Situation perfekt sein wollen, extrem hohe Erwartungen an sich und die anderen haben, Angst vor Fehlern haben und durch diesen Erwartungsdruck in Stress geraten? Kennen Sie Menschen, die immer ein offenes Ohr für die anderen haben, die immer für andere da sind, alle um sich herum versorgen und sich kümmern? Allen um sie herum geht es auch gut, nur selbst stoßen sie immer wieder ans Limit.

Hatten Sie beim Lesen dieser Beispiele Bilder im Kopf? Sehen Sie die Situationen mit Personen aus Ihrem Umfeld vor Ihrem geistigen Auge? Ja, es gibt Menschen, die sich so verhalten, irgendwo da draußen. Zum Glück sind Sie anders.

Stress bei anderen Menschen zu erkennen, ist einfach. Man sitzt da, schaut von außen auf die Situation und das Verhalten des anderen und staunt, warum der sich wegen einer Lappalie so stresst. Man selbst ist emotional nicht betroffen, entspannt und hat sofort eine Lösung parat.

So kenne ich es, wenn ich auf eine Kollegin warte. Meine Kollegin Tanja ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, hat einen braunen Labrador und ist immer in Eile. Zum Glück ist sie recht fit, sonst hätte sie wahrscheinlich schon ein ernstes Herzproblem. Dass sie den Hund am Supermarkt vergisst oder eines der Kinder im Eiscafé sitzen lässt, ist nicht erst einmal vorgekommen. Wenn ich mit Tanja in einem Café verabredet bin, dann komme ich mittlerweile schon immer 10 Minuten später. Trotzdem bin ich vor ihr dort und trinke entspannt meine erste Tasse Tee, wenn sie um die Ecke geprescht kommt. Außer Atem, mit leicht roten Wangen, kommt sie an meinem Tisch an. Jedes Mal erfindet sie neue und verrücktere Ausreden, warum sie sich »ein bisschen verspätet« hat. Ich lasse sie gewähren und grinse in mich hinein: »Warum schaut sie nicht zwischendurch mal auf die Uhr? Warum macht Sie sich nicht mal 10 Minuten früher auf den Weg? Andere Alleinerziehende schaffen das doch auch. Es wäre für sie viel einfacher und entspannter.« Kennen Sie solche oder ähnliche Situationen auch? Sie sind in einer entspannten Beobachter-Position, sehen den Stress beim Gegenüber und haben sofort Lösungsansätze im Kopf, die für Sie klar ersichtlich sind.

Sind wir jedoch selber in Hektik, mit mehreren Dingen gleichzeitig beschäftigt – gestresst – dann nimmt man das in der Situation eher selten wahr. Genau das ist das Hauptproblem, das ich in meinen Seminaren und Coachings immer wieder erlebe. Wie können Sie Stress vorbeugen, Stressreize zukünftig vermeiden bzw. verringern, wenn Ihnen gar nicht bewusst wird, wann Sie eigentlich in Stress geraten? Ist es so, dass Sie es gar nicht wahrnehmen oder wollen Sie es sich nicht eingestehen?

»Was stresst Sie genau und warum ist das so?« Bei dieser Frage herrscht in meinen Seminaren erst einmal Stille. Hake ich nach, dann kommen ein paar vage und pauschale Aussagen – jedoch selten etwas Konkretes. Aber ohne greifbare Anhaltspunkte zur eigenen Stressentstehung kann man an dem Thema Stressabbau nicht arbeiten.

Was die Statistiken zu Stressoren sagen und welche am häufigsten auftreten, bringt Sie nicht weiter. Was die anderen stresst, ist, mit Verlaub gesagt, für Ihren Stresslevel und Ihr Wohlbefinden »schiet egal«. Was stresst Sie, wann und warum? Nur diese Parameter haben Auswirkungen auf Ihren Stresslevel, und die sind bei jedem anders. Damit Sie das zukünftig gut umsetzen können, benötigen Sie Wissen über das Reiz-Reaktions-System Stress, die Funktionszusammenhänge in unserem Organismus und zum Thema Bewusstsein und Unterbewusstsein. Mit diesem Basiswissen an Bord setzen wir uns anschließend mit Ihren Alltagsgewohnheiten bei Stress auseinander.

Stress M-essen images

Es gibt sogenannte ZDF-Menschen, die kopflastiger im Leben unterwegs sind als Gefühlsmenschen. Es kann ihnen beim Erkennen helfen, den eigenen Stresslevel zu messen. Häufig liegen bei ZDFMenschen der gefühlte Stresslevel und der tatsächlich gemessene sehr weit auseinander. Ich werde daher auf die subjektive und objektive Stressmessung eingehen.

Spannend ist hierbei der Zusammenhang zwischen Stress und Regeneration auf der einen Seite und Gehirn und Körperchemie auf der anderen Seite. Diese Zusammenhänge können durch moderne Messverfahren visualisiert werden. Daraus lassen sich interessante Verhaltensmaßnahmen ableiten.

Sie sind eher ein Gefühlsmensch und nicht so sehr an Zahlen, Daten und Fakten interessiert? Sie können sich ohne Probleme auf die Übungen und Praxistipps in diesem Buch einlassen und entwickeln schnell ein Gefühl, was Ihnen besonders gut tut? Dann können Sie die Kapitel zur Stress-Messung quer lesen und Zeit sparen.

Stress R-eduzieren images

Nachdem Sie in der Analysephase Ihre Stressoren erst einmal erkannt und verstanden haben, wo Ihre Probleme liegen, geht es in den Hauptteil über. Hier dreht sich alles darum, den eigenen Stress zu reduzieren. In diesem Teil wird es deutlich praktischer. Sie finden viele Tipps, Tricks, Übungen und Techniken.

In der Stresswissenschaft gibt es drei unterschiedliche Ansätze zur Stressreduktion:

  1. STRESSKILLER 1 – Rational images: Mit dem rationalen Ansatz können Sie durch Strategien sehr gezielt an bestimmte Stressoren herangehen, um Ihren Stresslevel zu verändern. Sie gehören eher zu den ZDF-Menschen – dann könnte Ihnen dieser Ansatz liegen.

  2. STRESSKILLER 2 – Mental images: Mit dem mentalen Ansatz arbeiten Sie auf einer anderen Ebene an Ihrem Stresslevel. Auch wenn Sie zu den ZDF-Menschen gehören, empfehle ich, dem mentalen Ansatz eine Chance zu geben, denn hier liegt viel Potenzial. Leistungssportler arbeiten heute sportartenübergreifend im mentalen Bereich, sowohl, um auf den Punkt die optimale Leistung abzurufen, als auch zur Entspannung zwischen den Wettkämpfen. Warum tun sie das? Weil es extrem effektiv ist. Nutzen Sie diese Techniken zukünftig auch als Nicht-Leistungssportler.

  3. STRESSKILLER 3 – Körperlich images: Mit dem körperlichen Ansatz gehen wir wiederum von einer anderen Ebene an das Problem heran. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen man bei dem Satz »Körper, Geist und Seele hängen zusammen« den Esoterik-Stempel aufgedrückt bekommen hat. Die Wissenschaft kann diese Zusammenhänge heute eindeutig messen. Dieser Ansatz ist für alle Leser interessant.

Stress vorbeugen durch Belastungsminimierung

Wenn man Stressoren als Belastungen erkannt hat, kann man sie minimieren. Das heißt, man schraubt die Belastungen herunter, lässt Stress gar nicht erst entstehen und senkt dadurch den Stresslevel. Sie gehen Ihre Stresstreppe hinunter (siehe Grafik 3).

Ein tolles Beispiel durfte ich in einem meiner Seminare erleben, als der Arbeitsweg als Belastung diskutiert wurde. Einige Teilnehmer ereiferten sich lautstark über diese Problematik, die bei der Baustellenlage in Hamburg in Kombination mit der Tatsache, dass die Elbe die Stadt teilt und ein Nadelöhr darstellt, nicht wegzudiskutieren ist. Ein Teilnehmer verschaffte sich Gehör und erzählte seine Geschichte. Er hatte, wie einige andere Teilnehmer ebenfalls, eine knapp 1-stündige Anfahrt zur Arbeit. Das war für ihn vergeudete Lebenszeit, Zeit, die an anderer Stelle fehlte, und diese Tatsache stresste ihn. Sein Hobby war sein Motorrad. Es war nicht nur das Fahren, sondern auch das Schrauben, pflegen und sich an seiner schönen Maschine zu erfreuen. »Ich liebe mein Motorrad, und wenn ich darauf sitze und es nur anlasse, diesen Sound höre, dann ist schon alles gut.« Eines Morgens, als er wieder einmal schlecht gelaunt am Frühstückstisch saß und sich bei seiner Frau beschwerte, dass er gleich wieder ins Chaos starten müsste und nie Zeit für seine wahren Hobbies hätte, sagte seine Frau den einen und alles entscheidenden Satz. »Dann fahr doch einfach mit deiner Maschine zur Arbeit.« Warum er da selbst nie draufgekommen ist, so sagte er, war ihm beim Seminar drei Jahre später immer noch schleierhaft. Er fuhr an diesem Morgen zum ersten Mal mit dem Motorrad zur Arbeit. Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Ein Teil der Strecke ist eher ländlich und top zum Fahren geeignet. Der zweite Teil ist nicht ganz so schön, wegen des Schritttempos in der Stadt. Doch es macht trotzdem Laune, und er freut sich, wenn er dadurch 10 Minuten Zeit einspart und noch entspannt einen Kaffee vor Arbeitsbeginn trinken kann, von Stress keine Spur mehr. Auf dem Rückweg dann, wenn das Wetter einlädt, hängt er häufig noch eine Spritztour dran und frönt so viel häufiger als früher seinem liebsten Hobby. Viel besser noch, er freut sich schon während der Arbeit darauf, wenn die Sonne ins Fenster lacht. Ein tolles Beispiel für das Verändern der Belastungsschraube. Das ist ein Einzelbeispiel, sehr speziell, aber auch sehr schön. Es zeigt, wie eine kleine Veränderung eine große Wirkung erzielen kann.

Häufiger erlebe ich folgendes Beispiel. Egal in welcher Firma und Branche ich als Trainer unterwegs bin. Es gibt immer Mitarbeiter, die mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, und es gibt welche, die einen vergleichbaren Arbeitsweg haben und es nicht tun. Egal in welche Richtung man nun argumentieren möchte, es gibt auch hierbei viele Perspektiven, die man einnehmen kann.

Ein Fakt zum Thema Stress ist unbestreitbar: Durch die Bewegung wird ein Teil der Stresshormone, die jeder von uns täglich ausschüttet, neutralisiert. Das ist wissenschaftlich hinreichend belegt. Ob Sie dieses Puzzleteil für sich nutzen oder nicht, ist wieder einmal Ihre Entscheidung. Wenn Sie unter Stress stehen und sich gleichzeitig, objektiv betrachtet, eher wenig bewegen, dann könnte es ein wichtiges Puzzleteil für Sie sein. Aber wir schweifen ab. Mehr Infos hierzu gibt es im Kapitel Bewegung.

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Grafik 3: Stresslevel: Ist der Stresslevel bei x, dann gibt es zwei Möglichkeiten zur Reduzierung. Möglichkeit 1 ist, Stressbelastungen zu minimieren. Möglichkeit 2 ist, bei bereits entstandenem Stress diesen nachträglich abzubauen. In beiden Fällen geht es im Erfolgsfall die Stresstreppe hinunter.

Stress nachträglich reduzieren

Sie werden statt von der Rushhour am Morgen von Ihren Kindern gestresst? Hier gibt es wenige Optionen, die Belastung zu ändern. Sie könnten die Kinder verkaufen oder ins Heim stecken – selbstverständlich ist das keine Option. An der Belastungsschraube zu drehen, funktioniert in dieser Situation nicht. Ihre Kinder sind da und machen Alarm. Das wird sich erst ändern, wenn die Kinder groß sind und ausziehen.

Wie wir später an anderen Beispielen noch sehen werden, funktioniert es nicht, jeglichen Stress im Vorfeld zu umgehen. Das ist auch gar nicht notwendig, denn dafür gibt es zum Glück noch weitere Möglichkeiten. Man kann bereits entstandenen Stress nachträglich gezielt abbauen und hierdurch den Stresslevel wieder auf ein normales Maß herunterfahren. Wir befinden uns nun auf der Entlastungsseite und gehen die Stresstreppe Stufe für Stufe nach unten.

Ressourcen stärken

Ein weiterer Ansatz besteht darin, die eigenen Ressourcen zu stärken. Die Stresswissenschaft sagt hierzu:

Je mehr Ressourcen Sie haben, desto besser sind Sie in Belastungssituationen aufgestellt und können zukünftige Belastungen und Anforderungen abfedern.

In dem Moment, in dem man beginnt, die eigenen Ressourcen zum Thema Stress aufzubauen, wird man resistenter gegen zukünftig auftauchende Stressoren. Ressourcen sind ein häufig vernachlässigter Punkt bei Prävention und Therapie.

Das Leben verläuft nicht auf einer horizontalen Linie mit stetig gleichen Belastungen, sondern viel mehr als Welle. Es gibt Zeiten im Leben, in denen wenige Stressoren auftreten und wir entspannt sind, egal ob wir viele oder wenige Ressourcen haben. Es gibt aber auch Zeiten, in denen ein Stressor den nächsten jagt, viele Dinge gleichzeitig passieren und wir alles andere als entspannt sind. Genau hier benötigen wir Ressourcen – möglichst viele.

»Ressourcen können Sie vom Fähnchen im Wind zum Fels in der Brandung werden lassen.«

(Frank Ritter)

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Grafik 4: Stressbelastung und Ressourcen: Wenn man es schafft, die Ressourcen zu steigern, dann verschiebt sich der graue Bereich nach oben. Man kann Belastungen besser verkraften und kommt seltener in den roten Bereich.

Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Sie haben zwei Mittelklasse-Limousinen gleicher Bauart, mit nur einem Unterschied. Eine davon ist mit einem 50-PS-Motor (1,0-Liter-Hubraum) und die andere mit einem 150-PS-Motor (2,0-Liter-Hubraum) ausgestattet. Fahren Sie mit beiden in Hamburg durch die Stadt, dann sind Sie an der Ampel mit dem kleinen Motor nicht der schnellste in Sachen Beschleunigung, aber kommen ohne Probleme von A nach B, in der Rushhour sogar genauso schnell wie der Porsche neben Ihnen. Fahren Sie aber mit beiden Autos Vollgas von Hamburg nach Frankfurt, dann werden spätestens bei den Kasseler Bergen bei dem 50-PS-Motor Probleme auftauchen. 50 PS sind für das Gewicht eines Mittelklassewagens einfach zu wenig. In dem Moment, in dem Belastungen/Stressoren auftauchen, hat der Wagen zu wenig Ressourcen und ist schnell am Limit. Der kleine Motor läuft heiß, Sie werden immer langsamer und kriechen auf der rechten Spur den Berg hoch, angehupt von den LKWs. Der 150-PSWagen hingegen schnurrt die Kassler Berge entspannt hoch und runter wie eine Katze und freut sich, endlich mal ein bisschen Auslauf zu haben. Er hat keinen Stress, denn er hat genug Ressourcen.

Ressourcen für eine gute Stressresistenz sind sehr vielfältig. Zu allen drei Ansätzen (rational, mental, körperlich) lassen sich Ressourcen zuordnen. Der körperliche Ansatz verdient hierbei besonderes Augenmerk. Dabei stärken Ressourcen nicht nur vor zukünftigen Belastungen, sondern wirken häufig auch gleichzeitig stressreduzierend.

Stress wird häufig als rein psychisches Problem dargestellt. Daraus resultieren langfristig körperliche Probleme – Symptome – Krankheiten. Diese Zusammenhänge sind unbestritten. Die meisten Therapieansätze setzen daher psychologisch an. Wenn wir unseren Organismus als Ganzes betrachten, bestehen jedoch auch Wechselwirkungen in die andere Richtung. Es gibt körperlichen Stress auf Zellebene, und dieser hat Auswirkungen auf die Psyche. Unser Gehirn als Schaltzentrale kommuniziert mit unserem Herzen und mit unserem Verdauungssystem. Das ist jedoch ebenfalls keine Einbahnstraße, denn unser Gehirn bekommt auch Impulse und Anweisungen vom Herzen und vom Darm. Diese Tatsachen werden leider häufig beim Thema Stress vernachlässigt. Was wir nicht wissen, können wir nicht ändern. Da ich um die mangelnde Verbreitung dieser Kenntnisse selbst in Fachkreisen weiß, ist es mir ein besonderes Anliegen, möglichst viele Ressourcenansätze aus unterschiedlichen Bereichen vorzustellen. Außerdem sind einige davon recht einfach umzusetzen, was dem Praxisansatz dieses Buches sehr zuträglich ist. Die Ressourcenansätze sind den jeweiligen Kapiteln zugeordnet.

Wie Sie am effektivsten mit diesem Buch arbeiten

Sie haben nun einen Überblick zum Aufbau dieses Buches erhalten. Und vielleicht haben Sie hierbei schon bemerkt, dass Sie sich nicht von allen Ansätzen gleich stark angesprochen fühlen. Das ist ganz normal, und genau das sollten Sie im weiteren Verlauf dieses Buches berücksichtigen.

Ich gebe in meinen Seminaren immer wieder Raum für Selbstreflexion. Was für ein Typ sind Sie eigentlich? Welche Techniken und Ansätze könnten Ihnen liegen? Fangen Sie genau mit den für Sie relevanten Punkten an, denn die bringen Ihnen bei geringstem Zeiteinsatz den größten Nutzen.

Stellen Sie sich dieses Buch als Puzzle vor. Aktuell liegt Ihr Stresspuzzle in einem Wirrwarr vor Ihnen, und Sie können kein Bild erkennen. Sie wissen gar nicht so recht, wo Sie anfangen sollen. Vielleicht spüren Sie Überforderung, was zusätzlichen Stress auslöst – das ist ungünstig.

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Im ersten Teil legen wir die Basis für das Verständnis von Stress. Sie werden Ihre Stressoren, also die Reize, die Sie stressen, erkennen lernen. Den ersten Teil empfehle ich unbedingt zu lesen, da die folgenden Teile darauf aufbauen. Die dafür investierte Zeit zahlt sich aus.

In den Teilen 2 und 3 können Sie sich dann die Puzzleteile heraussuchen, die auf Ihre erkannten Problemstellen aus Teil 1 passen und bei denen Sie ein gutes Gefühl haben (für die Gefühlsmenschen), bzw. was für Sie Sinn ergibt (für die ZDF-Menschen).

Klicks und Klacks

Vielleicht haben Sie sich vorher noch gar nicht mit dem Thema Stress beschäftigt, vielleicht auch schon sehr intensiv. Egal wo Sie aktuell stehen, Sie werden in diesem Buch Fakten finden, die Sie schon kennen. »Kenn ich schon, ist ja auch nichts Neues, was der Frank da schreibt.« Genau, ich habe die Stresswissenschaft nicht neu erfunden. Einige Erkenntnisse, Fakten und Techniken stehen auch schon woanders geschrieben. Gehen Sie bitte unbedingt aus der Bewertung heraus. Bewertung ist ein ganz wesentliches Thema, das Stress auslösen oder verhindern kann. Etwas doppelt zu lesen oder erneut zu erfahren, ist keinesfalls negativ. Wir lernen durch Wiederholungen, und jeder vermittelt anders. Wichtig ist, ob Sie von den Fakten in diesem Buch etwas Positives für sich mitnehmen können und dadurch in die Umsetzung kommen. Das macht Ihren Erfolg aus.

Ich nenne diese Fakten/Erkenntnisse Klack. Kenn ich schon – Klack. Bei den Klacks sollten Sie sich folgende Fragen stellen:

Der Fakt ist für Sie neu. Das kenn ich noch nicht – Klick. Toll, ich habe etwas Neues gelernt. Stellen Sie sich folgende Fragen:

Wir suchen immer nach neuen Erkenntnissen und glauben häufig, dass nur diese unsere Probleme lösen. Es muss neu, wissenschaftlich und hochtechnisch sein. Nur dann ist es sexy. Das ist aus meiner Sicht nicht richtig. Vieles wissen Sie schon. Wissen alleine bringt Sie jedoch leider nicht zum Ziel, wie Sie aus dem Beispiel des Kardiologen bereits wissen. In bekanntem, altem Wissen – also den Klacks – kann für Sie ein ebenso großer Nutzen stecken wie in neuem Wissen – also den Klicks.

Ein Praxisbeispiel aus meinem Gesundheitsseminar: Ich mache seit mehreren Jahren in der Mitte des ersten Seminarblocks mit allen Teilnehmern eine kleine Bewegungseinheit (max. 5 Minuten). Vorher frage ich, wie viele Teilnehmer Schulter-/Nackenprobleme haben. Je nach Branche sind das 30–50 Prozent der Anwesenden. Die letzte Übung ist immer das »Schulterkreisen«. Das kennt natürlich jeder. Ich frage dann: »War das nicht eine tolle letzte Übung? Ist das nicht der Hammer für Eure Schultern?« Die Reaktion ist verhalten. Verdutzt frage ich weiter: »Wie, ist das nicht toll? Kennt ihr das etwa schon?« Natürlich kennen es alle, und Verwirrung macht sich breit. »Okay, wenn ihr das alle kennt – mal Hand aufs Herz: Wer von euch macht diese Übung täglich mindestens einmal?« – Pause. Es herrscht Stille und bei einigen hört man den Groschen förmlich fallen.

Ja, es ist eine banale Übung, uralt, und die haut keinen vom Hocker. Sie hilft aber extrem gut bei Schulter-/Nackenproblemen, allerdings nur, wenn die Betroffenen die Übung regelmäßig praktizieren. Die Übung zu kennen und nicht zu praktizieren, bringt leider gar nichts. Es ist ein Klack – nichts Neues. Dieser Klack hat jedoch das Potential, das Problem zu lösen – einfach, ohne viel Aufwand, kostengünstig, pragmatisch.

Mein Ziel ist es, dass Sie in diesem Buch von beiden, »Klicks und Klacks«, möglichst viele haben. Denn in beiden kann die Lösung für eines Ihrer Probleme stecken. Stress und »Zeitmangel« treten häufig gemeinsam auf, wodurch wir leider viel zu selten reflektieren. Doch genau das ist essenziell, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und in die Umsetzung zu kommen. Nutzen Sie die Praxis-Übungen und die Fragen zur Selbstreflexion, die Sie immer wieder im Buch finden werden.

Selbstversuche

Ich nenne meine Praxissequenzen Selbstversuche. Übungen oder noch schlimmer Hausaufgaben sind bei vielen Menschen negativ belegt – oder gehörten Sie zu denjenigen, die in der Schule nach Extra-Hausaufgaben verlangt haben? Ich definitiv nicht! Training wird oft mit Sport, Schwitzen und Anstrengung assoziiert, und das widerstrebt wiederum den meisten »Couch-Potatoes«. Selbstversuche hingegen können spannend sein.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindheit? Sie haben Bauklötze aufeinandergestellt. Der Stapel ist umgefallen. Sie haben es wieder und wieder probiert, bis irgendwann der Turm stand. Zugegeben, da war ganz sicher der eine oder andere kleine Wutanfall dabei, doch grundsätzlich hatten Sie Spaß.

Mit derselben Leichtigkeit sollten Sie auch an die Selbstversuche in diesem Buch herangehen. Meistens benötigt man mehrere Versuche, bis etwas funktioniert. Das ist vollkommen normal, genauso wie bei den Bauklötzen damals. Das schlimmste, das bei den Übungen in diesem Buch passieren kann, ist, dass sich nichts verändert. Es gibt keine Übung hier im Buch, die etwas verschlimmern kann – versprochen! Vielleicht erwarten Sie, dass ich Ihnen sage, was richtig und was falsch ist. Vielleicht möchten Sie aber auch genau das, auf gar keinen Fall – jemanden, der Sie bevormundet. Egal was für ein Typ Sie sind. Von mir bekommen Sie hier kein richtig oder falsch zu hören. Und ich empfehle Ihnen, grundsätzlich bei Experten mit Pauschalempfehlungen, die für alle gelten sollen, Vorsicht walten zu lassen, auch wenn die Empfehlung von Prof. Dr. Dr. XY kommt. Wir sind mit ca. 70 Billionen Zellen individuell und hochkomplex. Was für den einen praktikabel ist, funktioniert beim nächsten eben nicht. Es gibt viele Wahrheiten, und mit fortschreitender Wissenschaft ändern die sich auch immer mal wieder.

Vor etwas über 20 Jahren wurde Prof. Andresen bei einem Vortrag vor Kollegen belächelt, als er in seinem Vortrag einen Zusammenhang zwischen Stress und Infarktrisiko herleitete. Heute ist eindeutig bewiesen, dass Stress die Gefäße verengt, die Blutgerinnung verändert und somit Dauerstress das Infarktrisiko deutlich erhöht.

»Die Wahrheit« oder »richtig und falsch« ist stets nur eine Momentaufnahme, eine Frage der Betrachtungsweise, und baut auf unseren bisher gesammelten Erfahrungen auf.

Ich verwende daher die Begriffe günstig und ungünstig. Was ist günstig für Ihr Ziel, Ihr Stresslevel zu senken, und was ist ungünstig. Das mache ich zum einen fest an der aktuellen, wissenschaftlichen Fachlektüre und zum anderen an den Praxiserfahrungen in meinen Seminaren, Workshops und Coachings.

Viele Kleinigkeiten führen beim Stressabbau zum Erfolg. Zwei perfekte Wellnesstage in einem Top-Hotel, mit allem, was dazu gehört, das ist klasse. Täglich eine Entspannungsübung ist jedoch auf Jahressicht effektiver für den Stressabbau.

Natürlich ist es sinnvoll, auch größere Veränderungen anzugehen, und ich werde davon einige im Buch aufgreifen. Fokussieren möchte ich mich dennoch auf die Kleinigkeiten, denn die sind für die meisten Menschen deutlich einfacher in die Praxis umzusetzen.

I Analysephase – Stress E-rkennen

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Was ist Stress?

Eigentlich ist es eine ganz einfache Frage, denn überall in den Medien ist das Thema vertreten. Aber wenn Sie das jetzt ad hoc beantworten müssten? Was würden Sie sagen?

Stress ist sehr komplex und vor allem sehr individuell. Jeder nimmt Stress anders wahr. Jeder spürt Stress ab einem anderen Belastungsgrad bzw. empfindet Stress bei unterschiedlichen Reizen. Was der eine als Überforderung wahrnimmt, ist für den anderen eine spannende und anspornende Herausforderung. Dann gibt es laut Wissenschaft positiven und negativen Stress. Was macht einen Reiz zu einem positiven und was zu einem negativen Stressor? Welche Reize sind laut Studien die wesentlichen beim Thema Stress? Und welche Reize stressen Sie? Was passiert bei Stress kurzfristig im Organismus? Was passiert auf körperlicher, psychischer und biochemischer Ebene? Wozu führt das mittel- und langfristig? Fragen über Fragen …

Um den eigenen Stresslevel nachhaltig und gezielt zu reduzieren, bedarf es einer genauen Analyse, Einordnung und Bewertung. Wichtig hierfür ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Stress wird in vielen Medien in die »Psycho-Ecke« geschoben. Psychische und psychosoziale Aspekte wirken nachweislich auf unser emotionales Befinden und können Auslöser von Stress, Depression bis hin zum Burnout sein. Es gibt jedoch noch weitere Stressauslöser auf körperlicher und biochemischer Ebene. Diese Ursachen und Wechselbeziehungen werden häufig vernachlässigt. Dieses Kapitel soll ein wenig Licht in das Dunkel der Stressvorgänge zu bringen.

Stress, eine Frage der Perspektive

Wir Menschen können rational denken. Wir können Vergangenes reflektieren, daraus lernen und Zukünftiges planen. Dennoch sind wir emotionale Wesen. Je wichtiger uns ein Thema ist, desto eher kann es uns in Stress versetzen. Der rationale Bereich wird nach und nach abgeschaltet, Emotionen übernehmen die Oberhand und beeinflussen unsere Wahrnehmung, unser Denken und unser Verhalten. Was für uns wichtig ist, ist typabhängig.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen mit Ihren Einkäufen aus dem Supermarkt zu Ihrem Auto zurück. An der Fahrertür Ihres Wagens entdecken Sie einen 30 cm langen Kratzer. Jemand hat sich dort mit einem Schlüssel verewigt. Wenn Sie Ihr Auto hegen und pflegen, es für Sie ein wichtiges, materielles Gut oder Statussymbol darstellt, könnte es sein, dass bei Ihnen gerade Stress entsteht und Wut aufkommt. Sie beginnen zu fluchen und die Emotionen kochen hoch. Mein erstes Auto war ein alter VW-Bus. Ich fahre noch heute einen aktuell 14 Jahre alten VW-Bus. Er ist ein Gebrauchsgegenstand für mich. Das äußere Erscheinungsbild meines Busses ist mir nicht wichtig. Ein Kratzer an meinem Bus ist für mich kein Stressor.

Je wichtiger uns etwas ist, desto eher kann es bei uns Stress auslösen und wir reagieren emotional. Wir sind Menschen und keine Computer, die nur die Zahlen 1 und 0 verarbeiten und keine Emotionen kennen. Unser Leben wird durch Emotionen erst interessant und lebenswert. Dennoch sollten wir von Zeit zu Zeit die Perspektive wechseln und in emotionalen Situationen unseren Verstand einschalten. Wir Menschen sind anders als Tiere dazu in der Lage, da wir rational denken können. Wir sprechen hier von der Hubschrauber-Perspektive. Wenn wir diese Perspektive einnehmen, sind wir neutrale Beobachter.

Stress bei anderen zu erkennen, ist einfach, vor allem wenn wir nicht emotional ins Geschehen eingebunden sind. Hier haben wir automatisch die Hubschrauber-Perspektive und beobachten die Situation und die agierenden Personen. Viel schwieriger ist es, wenn wir selber in der Stresssituation stecken, mitten im Geschehen sind und unsere Emotionen hochkochen. Dann in die Hubschrauber-Perspektive zu wechseln und uns selbst zu beobachten, bedarf schon einigen Trainings. Mit ein wenig Übung und den richtigen Techniken funktioniert es jedoch.

Banal-Stressoren

Speziell bei den vielen kleinen Stressoren des Alltags kann ein solcher Perspektivwechsel sehr hilfreich für die Reduzierung des eigenen Stresslevels sein. Ich nenne sie »Banal-Stressoren«.

Neulich wartete ich gegen 9:30 Uhr auf einen Besprechungstermin bei einer Marketing-Agentur. Ich saß im Vorraum und las eine Zeitschrift. Durch eine offen stehende Bürotür konnte ich zwei Damen beobachten. Eine Dame saß am Rechner und eine weitere stand mit dem Rücken zu mir an einem Gerät. Völlig unvermittelt rastete sie aus: »Verdammte Sch… Ich kann so nicht arbeiten. Diese alten Geräte funktionieren einfach nicht mehr. Der Chef soll endlich mal was Neues anschaffen. Jedes Mal hakt das Ding. Ich hasse es! …« Ihre Kollegin am Rechner versuchte Ihr per Zeichensprache zu signalisieren, dass die Tür offen stand und ein Kunde – ich – im Vorraum saß. Als sie das nach einiger Zeit verstand, ging sie schnell zur Tür und schloss diese.

Die Dame hatte ganz offensichtlich ordentlich Stress gehabt. Rational betrachtet, hat sie mit einem Gerät geschimpft. Wie blöd ist das eigentlich? Und wie häufig kommt das in Büros in Deutschland vor? Kennen Sie solche oder ähnliche Situationen von Kollegen oder gar sich selbst?

Banal-Stressoren können sehr vielfältig sein: Ihr Lieblingsfußballverein verliert. Sie stehen in der Rushhour im Stau oder verpassen die Bahn und kommen zu spät zum Termin. Seit 20 Minuten hängen Sie nun in der Warteschleife der Telefonhotline. Der Akku vom Handy ist schon wieder leer und WLAN gibt’s hier auch nicht.