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Fürstenkrone Classic
– 27 –

Flucht ins Glück

Wie Baroness Theresa den Liebsten fand

Cora von Ilmenau

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-724-7

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Fest klammerte sich das kleine Mädchen an die Hand des Jungen. Die beiden Kinder standen auf dem kleinen Friedhof, der zu Schloss Schönfeld gehörte. Eben wurde der Sarg der verstorbenen Baronin Elisabeth in die Erde gelassen.

Das Mädchen hob das verweinte Gesicht zu seinem Bruder empor und fragte: »Die Mama kommt wirklich nicht wieder, Harro?«

»Nein, Schwesterchen, leider nicht.« Die Stimme des Jungen bebte.

Eine eisige Windböe fuhr über den Friedhof. Es war zwar schon März, aber der Frühling schien noch weit entfernt zu sein.

Eben traten die Trauergäste vor, um noch eine letzte Schaufel Erde auf den Sarg der Verstorbenen zu schütten.

»Komm, Tessa, du auch. Tue es für Mama.« Der junge Baron von Schönfeld nahm seine kleine Schwester an die Hand und geleitete sie näher an das offene Grab. »Sag Mama noch einmal Lebewohl.« Dann nahm der Junge selbst Abschied. Wie schwer fiel es ihm! War doch die geliebte und verehrte Mutter kaum vierzig Jahre alt geworden, bevor sie eine heimtückische Krankheit hinweggerafft hatte.

»Lebewohl, Mama, Lebewohl. Ich werde auch immer brav sein, das verspreche ich.« Schluchzend tat Tessa an der Hand ihres Bruders ein paar Schritte zurück. Nach und nach traten nun auch andere Trauergäste an das Grab, um der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

»Lass uns zu Papa gehen, Tessa. Er braucht uns jetzt, glaubst du nicht?«

Gemeinsam traten die Geschwister zu Baron Leopold von Schönfeld, der mit ruhiger Würde, aber tief gebeugt von Trauer, neben dem Grab stand. Er legte jedem seiner Kinder behutsam die Hand auf den Kopf.

»Meine geliebten Kinder. Ihr seid nun alles, was ich noch habe«, sagte er. Seine Stimme war ruhig, doch sein Gesicht war von Gram zerfurcht. Dieser Tag mit der Trauerfeier und den vielen Gästen, mit denen er reden musste, lag wie eine große Last vor ihm.

Schließlich hatten alle Trauergäste Abschied von Baronin Elisabeth von Schönfeld genommen. Langsam setzte sich der Trauerzug in Bewegung. Auf dem Schloss würde es gleich noch ein Gastmahl zu Ehren der Toten geben. Schaudernd zogen die Trauernden ihre Mäntel enger um sich. Was nützte einem an so einem Tag der dickste Mantel? Die Kälte schien alles zu durchdringen.

»Wie soll es auch ein schöner Tag sein, wenn ein so guter Mensch von uns gegangen ist?«, murmelte eine alte Dame, und ihr Begleiter erwiderte: »Ich frage mich nur, wie es mit Baron Leopold weitergeht. Er hing so sehr an seiner Frau, fast zu sehr.«

»Ja, sie war seine Stütze und sein Sonnenschein. Und die Kinder sind noch so jung! Besonders die kleine Baronesse.«

Der Familienfriedhof der Barone von Schönfeld lag ganz in der Nähe des Schlosses und grenzte an einen kleinen Wald. Die Trauergäste stiegen nun wieder in ihre Autos und fuhren zum Schloss zurück. Im vordersten Wagen saßen Baron Leopold und die beiden Kinder.

Tief seufzte der fünfzehnjährige Baron Harro auf. Traurig sah er seine neben sich sitzende kleine Schwester an.

Sie war doch erst fünf Jahre alt, und die Nähe der Mutter wäre für sie noch so wichtig gewesen. Er selbst fuhr in Kürze wieder in sein Internat zurück und würde sich kaum um die kleine Tessa kümmern können. Gewiss, es gab genug Dienstboten, und Tessa liebte ihre Frau Wolters sehr, aber …

In Gedanken versunken hatten Baron Leopold und sein Sohn kaum wahrgenommen, dass sie schon am Schloss angekommen waren.

Mühsam, als laste etwas unendlich Schweres auf ihm, stieg Baron Leopold aus. Stumm folgten ihm die beiden Kinder in das Innere des Schlosses.

»Na, komm, mein armes Kleines. Du bist ja ganz durchgefroren!« Frau Wolters hatte in der Eingangshalle auf die Trauernden gewartet und nahm die kleine Tessa nun in Empfang.

Baron Leopold übergab seinen Mantel dem Diener und sagte dann: »Ich glaube, Theresa sollte nicht am gemeinsamen Essen teilnehmen, Frau Wolters. Sie ist noch zu jung. Nehmen Sie sie bitte mit nach oben.«

Gemeinsam stiegen die Erzieherin und das kleine Mädchen die prächtige, mit reichen Ornamenten verzierte Treppe empor. Es war ein weiter Weg in den zweiten Stock, wo die Privatgemächer der Familie lagen, denn Schloss Schönfeld war ein imposanter Bau mit hohen Stockwerken. Doch heute schien Tessa die Anstrengungen des Weges nicht zu spüren. Sie war stumm, aber Frau Wolters konnte sehen, dass das Kind angestrengt nachdachte.

»Was geht dir durch den Kopf, mein Liebes? Du runzelst ja die Stirn, als würdest du über schwierige Fragen nachdenken. Aber, ach, was rede ich. Ich weiß schon, du denkst an deine liebe Mama, nicht wahr?«

Theresa nickte. Die Erzieherin strich dem Kind über das glänzende goldbraune Haar.

»Und Harro muss auch wieder fort! Alle gehen weg.«

»Ich gehe auf jeden Fall nicht weg, mein Kind.« Ernsthaft sah Frau Wolters dem Kind in die großen blauen Augen. »Und der Papa, der ist doch auch da. Vielleicht kannst du ihn sogar trösten?«

»O ja, das mache ich«, erwiderte das Kind. »Ich habe gesehen, wie traurig er ist. Wir werden uns eine Stütze sein. Das sagt Harro auch immer.«

»Du hast wirklich einen klugen Bruder. Aber nun komm in dein Zimmer, und dann lassen wir dir einen schönen heißen Kakao kommen und etwas zum Essen.«

Tessa von Schönfeld betrat mit ihrer Erzieherin das Kinderzimmer. Eigentlich wohnte die kleine Baronesse sogar in zwei Zimmern. Eines war zum Spielen da und manchmal auch schon zum Lernen, und dann hatte sie noch ein Schlafzimmer. Neben diesem lag das Schlafzimmer von Frau Wolters, ohne die sich Baronesse Theresa nachts fürchtete.

»Frau Wolters kann böse Träume verjagen«, sagte Tessa oft stolz und ließ ihre tiefblauen Augen dabei funkeln. Heute jedoch funkelten die lebhaften Augen der kleinen Baronesse nicht. Zu tief hatte der frühe Tod der Mutter das Kind getroffen.

*

Einige Jahre waren inzwischen seit diesem traurigen Ereignis vergangen.

»Tessa, wenn du einen Augenblick Zeit für mich hättest?«

Baron Leopold von Schönfeld hielt seine Tochter zurück, die gerade mit einem Korb am Arm in den Garten gehen wollte.

»Gerne, Papa. Die Blumen kann ich auch später holen.«

Baronesse Tessa von Schönfeld stellte den Korb auf der Terrasse ab und ging hinter ihrem Vater her in den Salon.

Seit dem frühen Tod der Baronin waren fast neun Jahre vergangen. Tessa zählte nun vierzehn Jahre. Sie war stark gewachsen, dennoch hatte sie sich die Natürlichkeit und Anmut ihrer Kindertage bewahrt. Die erste Zeit nach dem Tod der Baronin Elisabeth war nicht leicht gewesen. Dennoch waren Tessa und Harro zu fröhlichen, liebenswerten Menschen herangewachsen. Der Baron sah seine einzige Tochter nachdenklich und liebevoll an.

»Fast wie eine junge Dame siehst du aus, meine Tessa. Darf man dich überhaupt noch Tessa nennen? Oder ist dir Theresa nicht lieber?«

»Für dich, lieber Papa, werde ich immer Tessa bleiben. Außerdem – so erwachsen bin ich doch auch noch nicht«, erwiderte das Mädchen lächelnd.

»Dennoch scheint mir deine Kinderzeit schon lange beendet zu sein. Wie doch die Zeit vergeht.« Der Baron stützte nachdenklich die Stirn auf die Hände. Dann sprach er weiter: »Tessa, mein Kind, ich habe eine Entscheidung getroffen, die auch dich betrifft. Du wirst erwachsen und brauchst weibliche Gesellschaft. Es reicht leider nicht aus, wenn deine Freundinnen hier zu Besuch kommen. Ich finde, du brauchst eine erwachsene weibliche Person, die dich leitet und später auch in die Gesellschaft einführt.«

»Sprich nur weiter, Papa«, antwortete Tessa, obwohl ihr plötzlich bang ums Herz geworden war. Was mochte der Vater mit ihr vorhaben? War denn nicht alles in Ordnung, so wie es jetzt war?

»Verzeih mir, mein Kind, ich habe lange nicht so viel hintereinander gesprochen.« Baron Leopold räusperte sich. »Tatsache ist nun, dass ich mich entschlossen habe, wieder zu heiraten.«

Erschrocken, ja fast entsetzt, sah Tessa ihren Vater an.

»Deine liebe Mutter wird nie vergessen werden«, sprach dieser weiter, »dennoch hat man gewisse Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Und dieses Haus braucht eine Herrin. Und du, wie gesagt, die Begleitung einer erwachsenen weiblichen Person.«

Immer noch ohne Worte sah Tessa ihren Vater an.

»Möchtest du denn nicht wissen, wen ich heimführen werde, Tessa? Wer deine neue Mutter wird?«

»Doch, gewiss, Papa. Wie unhöflich von mir, nicht zu fragen.«

Begütigend legte der Baron seine Hand auf die der Tochter. »Nicht doch. Du bist nicht unhöflich. Und natürlich bist du überrascht, das ist kein Wunder. Aber um die Frage zu beantworten, es ist Edith von Arau. Unsere Familien kennen sich schon lange.«

»Ich kenne die Gräfin von Arau. Wenn auch nur vom Sehen. Sie ist eine sehr vornehme Erscheinung, nicht wahr?«

»In der Tat, mein Kind. Nun, wir werden morgen zu einem Besuch nach Schloss Steinsberg fahren. Ich weiß, dass ich mich auf dein tadelloses Benehmen verlassen kann.«

»Gewiss, Papa«, sagte Tessa und lächelte. »Frau Wolters hat mir viel beigebracht. Und ich bin doch schon vierzehn Jahre alt.«

»Dann lauf jetzt in den Garten und hole deine Blumen. Morgen um drei Uhr nachmittags erwarte ich dich unten in der Eingangshalle.«

Tessa verließ den eleganten Salon, von dessen Schönheit sie heute aber nichts wahrnahm. Fast ohne auf den Weg zu achten ging das junge Mädchen über die Terrasse in den Garten. Die Rosen standen in schönster Blüte. Überall dufteten und leuchteten die Blumen, aber Tessa sah nichts davon. Die Tränen standen ihr in den Augen. Papa wollte wieder heiraten! Hatte er Mama schon vergessen? Er hatte von der Pflicht zu heiraten gesprochen. Aber hatte er dabei denn gar nicht auf sein Herz gehört? Gab es denn nicht auch die Pflicht des Herzens?

»Ich habe doch alles, was ich brauche«, murmelte Tessa. »Frau Wolters ist die beste und liebste Gesellschaft, die ich mir vorstellen kann. Und wenn Harro nach Hause kommt, habe ich doch auch ihn. Und Papa ist doch auch so oft für mich da.«

Mutlos setzte sich die junge Baronesse auf eine Gartenbank aus Marmor. So saß sie einige Minuten da, ohne sich zu rühren.

»Theresa, mein Liebling, was ist los?« Frau Wolters kam den Gartenweg entlang. In der Hand trug sie einen hübschen Strohhut, den sie der Baronesse bringen wollte. Die Sonne schien heute doch recht stark für die Jahreszeit.

»Du sitzt so traurig da. Dabei bist du doch sonst so munter und lustig.«

»Papa will wieder heiraten.«

»Und das macht dich so traurig?«

»Ja, denn er sagt, ich brauche Gesellschaft und das Haus eine Herrin. Aber wir haben doch schon alles, was wir brauchen.«

Frau Wolters setzte sich neben ihren Schützling auf die Gartenbank. Sie dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete. Die Baronesse war kein Kind mehr und doch noch nicht erwachsen. In ihr schienen die Gefühle durcheinander zu geraten. Verständlich, da diese Heirat auch in Tessas Leben viel verändern würde.

Ruhig entgegnete die Erzieherin: »Dass dein Vater wieder heiraten will, ist sein gutes Recht, Theresa. Das ist für dich natürlich erst einmal neu und vielleicht auch erschreckend. Ich bin aber sicher, dass niemand jemals die Baronin Elisabeth von Schönfeld, deine verehrte Mutter, vergessen wird.«

Baronesse Tessa nickte.

»Und vielleicht«, fuhr Frau Wolters fort, »vielleicht gewinnst du in Frau von Arau sogar eine Freundin. Keine Mutter, aber eine mütterliche Freundin.«

Wieder nickte das Mädchen. »Es kam nur so plötzlich. Ich dachte, alles würde so wie immer weitergehen …, wie dumm von mir.« Tessa schüttelte den Kopf und lächelte.

Frau Wolters nahm die Hand des Mädchens. »Siehst du, es geht ja schon wieder. Und da ist auch wieder ein Lächeln in deinem Gesicht. Wollen wir jetzt nicht die Blumen holen?«

»Gerne. An dem Busch neben dem Pavillon sind gestern ein paar besonders schöne Blüten aufgegangen. Und die schönsten Blüten kommen auf Mamas Grab.«

Am nächsten Tag wachte Tessa früh auf. Behaglich streckte sie ihre Arme und Beine und sprang dann aus dem Bett. Heute war sie viel fröhlicher. Wie sehr es doch half, wenn man eine Nacht über einer Sache geschlafen hatte. Die Heirat war ganz allein Papas Sache, da hatte Frau Wolters ganz recht. Und vielleicht war Frau von Arau auch nicht so streng, wie sie aussah. Das war es, was dem Mädchen gestern Sorgen gemacht hatte.

Gleich begann die Baronesse, sich anzuziehen. Sie wollte keine Minute dieses Tages versäumen, der sie mit seinem herrlichen Sonnenschein nach draußen lockte.