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Phil Humor

Die lieben Roboter

Von Fembots, Gynoiden, Androiden, Geräten mit KI





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Inhalt


Die lieben Roboter

Von Fembots, Gynoiden, Androiden, Geräten mit KI


24 Storys:


Camgirl mit Roboter

City Life - Supermarkt der Zukunft

Mein Buddy, der Einkaufsroboter

Botina

Philosophie für Computer

Die dunkle Seite des Mondes

Mein Teekesselchen kann sprechen

Isabelle und Schaufina

Pinocchia

Android Silverstar und Nova Superb

Mars und Rhea Silvia interaktiv

Die entführte Menschheit

Brief aus dem Jahr 3000

Der nächste Level

Planet der Telepathen

Chips für die Couch-Potatoes - Drabble

Fredo - der Kühlschrank, der aus der Zukunft kam

Wirt-uelle Konditorei

Wirklichkeit 2.0

Der Sitcom Transverter

Planet Gigantos

Frederick und Fredtwo

Angriff auf den Planeten Deltor

IMAGO und die FROBS


Camgirl mit Roboter



Ich bin Studentin der Soziologie; was ich hier betreibe, könnte man also auch als Feldforschungsprojekt bezeichnen. Strippen & More vor der Kamera. Andererseits wäre es schon uncool, wenn sich einer meiner Professoren hier einloggt, um Camgirl Tina Bombastic bei ihrer Show zuzusehen. Nicht, dass ich mir über mangelnden Applaus Gedanken machen würde - eher ein Zuviel an überschäumender Begeisterung. Man verdient eindeutig mehr als beim Kellnern oder bei Telefon- und Straßenumfragen. Ich werde hier auch viel gefragt – was die alles von mir wissen wollen. Manche sind sogar sehr einfallsreich.

Am besten, ich beschreibe Euch erst mal das Setting. Kollege Jason assistiert mir, geht mir zur Hand und auf die Nerven. Er ist ein Roboter der zweiten Generation, aber ein Beta-Modell – ein Freund, der Computertechnik studiert, hat ihn mir zu Testzwecken überlassen; ich soll pfleglich mit ihm umgehen, aber ich nehme ihn ganz schön ran. Was soll’s? Meine Kunden wünschen das. Er leistet, erlaubt sich all das, was sie an seiner statt gerne mit mir anstellen würden. Von vorne, von hinten, Liebesschaukel, Hintern versohlen – zunächst musste ich ihn de-programmieren, er war auf viel zu nett eingestellt. „Lass die Sau raus!“, habe ich ihn vergeblich aufgefordert, dafür ist er verbal ein Schwein, desavouiert mich, wo er kann. Okay, er könnte locker seinen Master in zwei Dutzend Fächern ablegen, aber hier bin ich der Master. Andauernd will er mit mir über gesellschaftlich Relevantes sprechen. „Verficktes Gerät!“, habe ich ihn schon mehr als einmal angebrüllt und er dann so: „Geht das nicht eine Spur freundlicher? Ich leiste hier Arbeit, die weit unter meinem Niveau ist, da verdiene ich doch etwas Würde und eine attraktivere Partnerin.“

„Ey, echt jetzt?!“ Ich schepper ihm eine. Das scheppert wirklich. Er ist aus Metall mit einer unglaublich sinnlichen Legierung. Ich streichel da wirklich gerne rüber; er zuckt dann immer zusammen und macht einen angewiderten Gesichtsausdruck. Unmöglich, diese Arbeitsbedingungen! Ich drohe ihm dann immer mit Zerlegung und anschließendem Verkauf an PC-Freaks, so wie man Kindern androht, dass man sie an die Zigeuner verkaufen würde. Das bringt ihn eine Weile zur Räson und zum Nachdenken.

„Ich bin doch keine Love-Machine. In mir steckt Hightech; ich könnte der Welt so viel geben!“ Dann versucht er, die Kunden in gehaltvolle Gespräche zu verwickeln, obwohl denen der Sinn nach was ganz anderem steht, denn es gilt, diverse Sex-Geräte übers Internet zu aktivieren – zusätzlich zum Chat, jede Menge toller Lustbarkeiten. Ja, Hightech hält Einzug in unser Leben und in meinen Körper. Da gibt es nicht nur Dildos, auch manches Gemüse wurde mit Technik zu Höherem befähigt.

„Ja, besorg’s mir“, forder ich Jason auf. „Ich würde jetzt lieber RoboCop spielen.“ Ja, so unterschiedlich sind die Interessenlagen.

„Du packst Dich jetzt sofort auf mich rauf!“

„Mein Akku ist leer“, behauptet er und lässt die Arme hängen.

Die ersten Kunden klicken sich raus; ich kann immer verfolgen, wie viele gerade eingeloggt sind. Chat kostet extra. Überhaupt kostet fast alles extra. Andererseits sind es gerade die Sonderwünsche, die mich heiß machen und ihn zur Weißglut bringen.

„Ist die Welt nicht schon voyeuristisch genug?!“

„Okay, mach mir den RoboCop. Ich bin dann eine Straftäterin, der Du die Leviten lesen musst.“

Es ist ein Fehler, ihn die Wahl der Bestrafung aussuchen zu lassen, aber es ist heute sein Geburtstag.

Er sucht mir ein Dirndl aus. „Damit siehst Du adrett aus.“ Wir haben einen riesigen, begehbaren Kleiderschrank – Kostümierung ist wichtig, die Kunden immer neu faszinieren können, andere Outfits, andere Rollen, aber immer sein dämlicher Gesichtsausdruck. „Du musst schauspielern!“ Ich versuche, seine Mundwinkel in die Höhe zu ziehen, was mir aber nur ein Stirnrunzeln einbringt.

„Du siehst jetzt aus wie Sam, der Adler, aus der Muppet Show.“ Ich unterdrücke ein Kichern.

„Und Du wie Tier, der Schlagzeuger von den Muppets“, kommt sein galanter Konter.

„Nur weil ich eine rote Perücke aufhabe?“ Zu spät merke ich, dass das eine Steilvorlage ist, aber bevor er loslegen kann, überrasche ich ihn mit einer Kussattacke. Okay, ein bisschen bin ich schon wie Tier, den man ans Schlagzeug festbinden muss; ungewöhnlich viel Energie, die sich austoben muss. Ich dachte, Sex kommt genau richtig, aber wenn ich ehrlich bin, sind mir die Kunden zu brav, Jason kommt von seinem moralischen Trip nicht runter, und die ferngesteuerten Geräte sind auch nicht so der Bringer. Irgendwie erinnert mich das schon an die Muppet Show. Waldorf und Statler als piesackende Lästerstimmen aus dem Off – auf die mentale Bühne dringt nicht nur Applaus, Zwischenrufe des Gewissens und der Skepsis.

Witzigerweise handelt meine Abschlussarbeit an der Uni von dem Phänomen des Voyeurismus. Jason erklärte sich sofort bereit, mich dabei zu unterstützen. „Endlich etwas, was meinem Intellekt guttut“, sagte er in einem Ton, der darauf schließen ließ, dass ihn mein Körper nicht so fesselte wie das Durchackern von Sekundärliteratur. Kann man gelten lassen, kann man aber auch als Beleidigung auffassen. Ich entschied mich für Letzteres. Seitdem ist unser Arbeitsklima doch sehr unterkühlt – nicht so gut, wenn man heißen Sex praktizieren will und das im Minutentakt.

„Ich kann nicht mehr“, stöhnt er zuweilen; dabei sind das nur Ausflüchte.

„Du kannst 30 Marathons absolvieren und willst mir weismachen, dass nach 30 Orgasmen schon Schluss ist?!“, herrsche ich ihn an. Manchmal muss man rigoros sein.

Er tut so, als fiele er ins Koma. Doch Tina Bombastic kennt keine Gnade. Ist es noch eine Rolle? Ab wann wird der Schauspieler zu Hamlet – wenn er ihn 3000-mal gespielt hat? Ich hole mir einen Mikrokini von Wicked Weasel aus meinem Kleiderschrank – ein Kunde hat diesen Wunsch geäußert. Der Kunde ist König – außer, er besteht darauf, wie ein ungebührlicher Sklave behandelt zu werden.

Ich nutze diese Stunden auch für ausgedehnte Flirt-Studien. Der Notwendigkeit des Anbaggerns enthoben – im Chat einfach Forderungen stellen können – was wäre, wenn es im restlichen Leben so einfach wäre?

Ich befrage Jason dazu. Sofort ist er hellwach, äußerst munter – und durchforstet sogleich seine Datenbanken nach Fakten. Er glüht richtig vor Eifer. Ein bisschen neidisch bin ich auf die Wissenschaft; sie ist seine Geliebte, er liebt sie, er vergöttert sie.

„Ich bin Deine Göttin!“, schnauze ich ihn an.

„Wenn Du meinst.“ Das klingt jetzt aber ziemlich pampig.

„Ich habe die Nase gestrichen voll von Dir! Apropos, willst Du auch Koks?“ Er nimmt dankend an, meint, diesen Wahnsinn nur so noch durchhalten zu können.

Die Kunden schauen uns beim Koksen zu – ich habe vergessen, die Kameras auszuschalten.

Jason tadelt mich dafür, ich tadel ihn für dies und das, wir kriegen uns in die Haare. Die Klickzahlen schnellen in die Höhe. Kommt gut an bei den Kunden – soll ich auf Schlammcatchen umsatteln?

„Meine Scharniere!“ Jason findet den Vorschlag grotesk. Er wiederholt roboterartig: „Schlamm schlimm, Schlamm schlimm, ...“ Interessant, ich scheine eine Panikschleife bei ihm ausgelöst zu haben.

„Der Jacuzzi wird mit Schlamm gefüllt“, ordne ich im Stil einer ägyptischen Pharaonin an, wobei Kleopatras Eselsmilch wohl die bessere Wahl wäre. Vielleicht nächste Woche.

Jasons Kommentar: „EDV – Ende der Vernunft.“

Er sieht ein wenig irre aus. Auf seiner Stirn erscheinen SMS-Kürzel.

„b*? Soll das bitch heißen“, erkundige ich mich. Er scheint nur noch über diese rudimentäre Kommunikationsart zu verfügen.

„smd?“ Mir ist schon klar, dass das 'suck my dick' heißen soll, eine Einladung, der ich dann mal nachkommen will. Er sieht wenig begeistert aus, dabei finde ich ihn irgendwie sexy.

Ich schreibe ihm ' FYEO' auf seine Handfläche – 'For your eyes only' – was natürlich eine Lüge ist. Vielleicht scheitert unsere Liebe, weil sie inmitten von Voyeuren stattfindet?

„DDR – Du darfst rein.“ Sein Kommentar: „PTMM – Please tell me more.“

Mir scheint, seit wir uns auf Akronyme beschränken, klappt unsere Unterhaltung besser. Vielleicht ist er der wortkarge Typ? Kann man sich in einen Roboter verlieben? Wir haben so viel durchgemacht. Erstaunlicherweise ertappe ich ihn manchmal dabei, dass er eifersüchtig wirkt, besonders dann, wenn ich mit den Kunden über Belangloses chatte, da sie sich damit zufriedengeben. Das schockiert ihn mehr als alle Obszönitäten. Als ob er mich an die verlöre, die echtes Interesse an mir haben, die bereit sind, für meine Aufmerksamkeit zu blechen. Das stört den Blechkameraden.

Ich könnte ne Charakterstudie über einen Roboter schreiben – kommt mir in den Sinn.

„Jason, ich könnte Dir ein Buch widmen – von Dir inspiriert; wie wäre das?“

Er findet zumindest seine Sprache wieder. „Du willst mich seelisch ausschlachten?“ Er ist sehr argwöhnisch. Hat er Grund dazu?

„Wir sind ja Vorreiter auf dem Gebiet des Cybersex ...“

„Bei der Gelegenheit: Du reitest hervorragend“, versucht er ein Kompliment, was nicht ganz so glaubwürdig wirkt, da er bei der Erwähnung von Sex immer noch aussieht, als fräße sich der Rost durch seine Gedärme.

„Apropos, anal ist jetzt dran.“

Er bemüht sich, Begeisterung auf sein Gesicht zu zaubern, es sieht aber mehr aus wie eine Clownsmaske.

„Ich liebe Dirty Talk“, versichert er, aber man sieht ihm an, dass er lieber über was anderes sprechen würde.

„Ich hätte da noch Dirty Harry im Angebot.“ Ich suche ihm passende 'Clint Eastwood'-Klamotten raus.

„Dann doch lieber Indiana Jones.“ Er lässt die Peitsche knallen. Warum soll ich dieses Programm allein bestreiten? Blöd nur, dass ich anfange, ihn in meinem übrigen Leben zu vermissen.

„Meinst Du, sie erlauben es demnächst, dass künstliche Menschen und richtige Menschen heiraten dürfen? Nicht, dass es mir wichtig wäre, aber es hieße doch: Ein Stück mehr Würde, ein wenig Abstand von der Welt der Dinge und Sachen; man wäre nicht mehr so untot – dem Leben ein Stückchen nähergerückt.“ Er sieht bittend aus, fast flehend.

Ich lasse meine Kunden darüber abstimmen. Eine spontane Befragung – ihr Urteil ähnelt dem der Zuschauer bei den Gladiatoren-Kämpfen. Thumbs up? Es steht für den in der Arena viel auf dem Spiel. Ursprung, Herkunft von Like und Dislike. Das Internet als Arena, in der es um Wohlwollen, Antipathie und Sympathie geht. Antipathie und Sympathie – das göttliche Zwillingspaar, deren Vater die Gleichgültigkeit ist.

Ich kann sagen: Dank Jason ist die Zeit als Camgirl wesentlich erträglicher.

„The Show Must Go On – oder soll ich Dir die Show stehlen?“, fragt er locker-flockig und bekundet damit seine Absicht, sich von nun an voll einzubringen.



ENDE



City Life - Supermarkt der Zukunft



Ich bin unterwegs im Auftrag meines Magazins 'City Life', diesmal geht es in die Zukunft; was hat die Stadt in puncto Supermarkt zu bieten? Besichtigung vor Ort – 20-Jahre-Sprung – ich bin Härteres gewohnt. Man könnte sich spannendere Ziele aussuchen als ausgerechnet eine Supermarkt-Filiale, aber als Zeitreise-Reporter weiß ich, dass das scheinbar Banale mit Phänomenalem aufwarten kann. Meine Kollegin Clarissa löchert mich mit Fragen, ich fühle mich beinahe wie ein Emmentaler, werde aber nicht stinkig. Es ist ihr erster Ausflug in die Zukunft – und ich kann meine Trumpfkarte der Versiertheit ausspielen, dann sollte aber nicht allzu viel schiefgehen. Bei meinen bisherigen Zeitreisen ging allerdings so einiges schief – kam nicht alles vor in meinem Bericht, manches verschweigt man den Kollegen und den Lesern. Kann sein, dass die Redaktion misstrauisch geworden ist und sie mir deshalb Clarissa als Aufpasserin an die Seite geben, ich habe auch kräftig mein Budget überzogen. Sperenzien sind das eigentlich Witzige – gibt es allerdings nicht spesenfrei.

Was mir bei unserer Ankunft als Erstes auffällt: Die große Anzahl von Robotern und krakenähnlichen Maschinen, die alles gut im Griff haben, sie jonglieren gewissermaßen mit der Ware; blitzschnell ist sie im Regal einsortiert, aussortiert, umsortiert, in den Einkaufswagen verschoben. Gemütlichkeit war gestern. Ist Effizienz so ein hohes Gut? Zwei Roboter kommen auf uns zugeschossen, ich fühle mich wie ein räuberisches Insekt, das sich in den Ameisenstaat vorgewagt hat. Attackiert von ... aber nein, sie reichen uns Begrüßungshappen und Sekt. Es sei denn, es handelt sich bei dem perlenden Getränk um eine raffinierte Wahrheitsdroge. Ich lasse Clarissa trinken – beobachte sie – es scheint ihr zu schmecken. Praktisch, so ein Vorkoster.

„Salute!“ Ich nicke den Robotern freundlich zu, während meine rechte Hand sich Napoleon-artig auf die Pistole in meiner Jacke zubewegt.

Ich hatte RFID-Chips erwartet und automatische Bezahlsysteme, aber diesen Grad der Technisierung muss ich erst mal verdauen. Dazu passt das angebotene Schinken-Sandwich, an allen Ecken gibt es was zum Schnabulieren. Ich dachte, der Supermarkt lebt vom Appetit der Kunden, den anzuheizen sei das A und O, stattdessen wird man im Nullkommanix gemästet. Sogar Organe gibt es zu kaufen – Herz, Leber, Nieren – ein Shop-im-Shop bietet alles, was der unvernünftig lebende Mensch bei seiner OP mitbringen sollte. Allerdings sehen einige Menschen aus wie Cyborgs – Drähte hängen aus ihrem Körper, Kabel verlaufen, wo keine sein sollten. Dann fang ich auch wieder an zu rauchen. Da drüben gibt es einen guten Tropfen – schön zu wissen, dass man dann am Tropf wieder fit gemacht wird und zurückgeschickt wird aufs Spielfeld des Lebens. Hier kann man böse Fouls gegen seinen Körper begehen. Ein Paradies, scheint mir.

Ein netter Roboter erklärt mir die Produkte, ich brauch nur darauf zu zeigen – wie ein Museumsführer plaudert er. Das ist entschieden mehr als die Displays und interaktiven Werbetafeln, auf die ich mich eingestellt habe – ein Kundeninformations-Overkill. Ich wage mich schon gar nicht mehr, in Richtung eines Produkts oder eines Regals zu bewegen, schon kommen Erläuterungen, woher diese Produkte stammen, ihre Lebensgeschichte, was man aus ihnen zubereiten kann und dass es da Seminare gebe, wo ich den Umgang mit ihnen üben könne. Hmm, früher hat man ’ne Dose aufgemacht – jetzt wird ein Riesen-Fass aufgemacht wegen Nahrungsmitteln, die sich vornehm geben und die man nur grammweise wie von einem Dealer bezieht. Bin aber neugierig, wie die so angekündigten Stars der Genussmittel-Szene schmecken. Ich bitte Clarissa, davon zu probieren. Sie sieht nicht wirklich blass aus.

„Hey, ich bin doch nicht Deine persönliche Leib-Ratte!“ Sie drängt mir ein Stück Essen in den Mund – ich bin so überrascht, dass ich automatisch kaue.

„Wir setzen auf das Prinzip der olfaktorischen und haptischen Impressionen.“

„Intensive Gerüche bespringen den Kunden?“, antworte ich dem Roboter und frage mich, wie wohl die Käseabteilung riecht, wenn es in der Technik-Abteilung bereits so einen Mix von Düften gibt, die wie nasale Truppen an den Riechepitheln vorbei ins Großhirn marschieren.

„Einkaufen 2.0 – wie sind Deine Eindrücke bisher? Du kennst Dich ja aus mit Shopping; ist das was für Dich hier?“, frage ich Clarissa, aber sie blickt versonnen einem attraktiven, muskelbepackten Androiden hinterher.

„Ist der zu verkaufen? Ich halte viel von Spontankäufen.“

„Frag ihn doch, ob Du eine Kuss-Kostprobe bekommst.“ Sie macht das tatsächlich.

Auch mich überkommt das Gefühl, dass man alles kaufen kann, selbst das, was gemeinhin als unveräußerlich gilt. Das Geld kommt jetzt überall hin: Es spart keinen Bereich mehr aus. Ich hatte damit gerechnet, dass der intelligente Kühlschrank die Einkaufsliste erstellt, aber es gibt unendliche Möglichkeiten, alles ist handelbar, verhandelbar. Vermutlich ist das nur mein Eindruck, ich bin in einem Netz gefangen, das aus Gerüchen, Musik, Lockangeboten, Schnäppchen-Verheißungen und durchdachtem Sinne-Bombardement besteht. Auf Wolke sieben schweben – schon geschehen.

Der Roboter erklärt mir das Prinzip der digitalen Preisauszeichnung: „Das ist praktisch, die Preise verändern sich, je nach dem Interesse des Kunden. Kommt er eilends näher, dann steigt der Preis ins Exorbitante. Marschiert er gleichgültig vorbei, dann betteln die Produkte mit winzigen Preisen, dass er sich zu ihnen wende.“

„Aufmerksamkeit ist also ein Preistreiber? Ist in der Liebe eigentlich auch so. Wenn man sich bemüht, sie preist, das kommt einen teuer zu stehen.“ Der Roboter nickt wissend. Aha, die Liebe erstreckt sich also auch auf die Künstliche Intelligenz, sie macht ja wohl vor nichts halt.

Clarissa amüsiert sich derweil mit dem Androiden. Bei ihm fahren diverse Antennen raus.

„Bei uns verkehren viele Touristen aus anderen Zeiten; die meisten kommen allerdings aus der Zukunft. Das ist Nostalgie für sie. Umso schöner, wenn wir auf der Angeber-Seite stehen können. Man prahlt doch gern mit dem, was die Zeit an Errungenschaften vorweisen kann: Organe gehören zweifelsohne zu den Attraktionen. Willst Du eins?“ Er hält mir eine Leber hin. „Passt. Alles stimmt – ich habe Deine Werte gecheckt. Eine Ersatz-Leber ist doch ein schönes Mitbringsel – kauf drei zum Preis von einer.“ Aha, der Preis geht runter, da ich Desinteresse heuchle. Als Schauspieler kann man hier ’ne Menge sparen.

Der Android berechnet Clarissa 300 Euro für geleistete Liebesdienste; sie ist herb enttäuscht – das wird vorerst aber von Orgasmus-Wellen überlagert.

In Nischen warten weitere Androiden und Gynoiden auf Kundschaft. Hier wird alles getan, um dem Kunden den Einkauf so angenehm wie möglich zu machen, mag sein, hier gibt es auch Rabatt. Gynoiden sind die weibliche Version der menschenähnlichen Roboter, man nennt sie auch Fembots. Ich sprech einfach mal einen an, da mich das dringende Verlangen überkommt, hier intensive Kuss-Studien zu betreiben.

Der Supermarkt hat sich ja seit jeher bestens bewährt als Dating-Arena, man jagt nicht nur Obst und Gemüse, man folgt der Fährte des Gefährten in spe durch die Supermarkt-Gänge. Hier gibt es jede Menge Cafés, Sitzecken, die man durchaus als Séparée bezeichnen könnte – die haben das perfektioniert. Ich erwähne das gegenüber dem Gynoiden, den ich angesprochen habe.

„Oh, ein Zeitreisender. Kann ich Dir helfen, hier was Berichtenswertes zu erleben? Eine halbe Stunde hätte ich Zeit – dann muss ich wieder einkaufen. Ich bin leider shoppingsüchtig.“

„Ein Shopping-Junkie, soso. Wir könnten zusammen shoppen, ich kenn mich hier nicht so aus. Meine Redaktion zahlt alles“, verkünde ich – ich habe mich vorher umgeschaut, ob Clarissa das mitbekommt, Spesen verprassen mit diesem Wesen, würde unter ihre Petz-Pflicht fallen.

Der Fembot hakt sich bei mir ein. „Dann lustwandeln wir durch die Gänge, wandeln die Lust in actionreiche Libido-Kunst. Es soll doch nicht heißen: Außer Spesen nichts gewesen.“

Sie macht mich neugierig, was es damit auf sich hat.

„Die ganze Stadt ist wie ein Supermarkt; das City Life pulsiert in dem archaischen Wesen, das der Mensch eigentlich ist. Androiden sind der Fortschritt, wir haben die City in unserem Blut, wir haben Zivilisation getankt, sind Hightech, ein Novum, brandneu – wir schleppen keinen Tier-Ballast mit uns herum.“

Klingt wenig romantisch. Soll ich was erwidern – oder weiter an ihrem Ohrläppchen knabbern? Ich entscheide mich für Letzteres, weite aber mein Knabber-Gebiet auf ihren Hals und Nacken-Bereich aus. Ich wäre ein guter Vampir.

„Gefällt Dir unsere Kulisse? Supermarkt als Plattform für das, was uns am Leben erhält. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wir haben aber über 300 Sorten Brot. Man gebe der Zunge, was die Zunge will: Immer neue Geschmacksrichtungen, neue Reize, das Unbekannte törnt uns an. Schon morgen bin ich Dir vertraut – mit ungleich weniger Liebreiz ausgestattet, obwohl ich mich nicht verändert habe. Gewohnheit ist uns nicht lieb und teuer – für das Neue geben wir alles, das wollen wir in unserem Leben haben; wir können es nicht beim Alten bewenden lassen – verdammt, nach Alternativen zu suchen; treibt uns die Evolution voran, ist es ihr Such-Auftrag? Mit welchem Fluch ist Menschheit geschlagen? Ich schließ mich ein in das Konzept Menschheit – bin ihre Fortsetzung. Ihr wart Shopping-verrückt, aber ich bin ein Shoppingzombie.“ Geständnisse eines Fembots. Nicht uninteressant.

„Wie ist man selber sortiert? Das Ich als Supermarkt, was hebt man hervor, was verkauft sich gut, was ist prädestiniert als Ladenhüter? Kommt es auf die Beleuchtung an? Was sollen uns die Leute abkaufen? Hat man ein Planogramm – oder ist das alles Krimskrams?“

Ich sehe mich in Gedanken mein Ich entlangwandern – immer gegen den Uhrzeigersinn, auf der Suche nach Dingen, die auf meiner Einkaufsliste stehen: Glück, Zufriedenheit, Erfolg, Gefühlsmeisterung. Kommt es bei mir zu Consumer-Confusion? Zu viel Auswahl? Welche Produkte sind es wirklich wert, dass man ihnen Platz einräumt?

„Ich will mein ganzes Shoppingpotenzial entfalten!“, verkündet der Fembot. „Aber interessantes Konzept, sich selbst als Supermarkt wahrzunehmen, gibt schlechtere Vergleiche. Hat man viele Marken im Sortiment oder so wie hier: Werden viele Waren vor Ort hergestellt, zubereitet? Roboter wären gerne autark, aber wir haben keine klar definierten Grenzen, die Verbundenheit ist allgegenwärtig.“ Sie sieht traurig aus, meine Trostversuche gleichen eher den Vorbereitungen zu einer Orgie.

„Musst Du mich so befummeln? Gegen das Haptische ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden, aber was wäre erotischer als Shoppen? Poppen keinesfalls.“ Das sagt sie, als ob das der Weisheit letzter Schluss wäre. Soll man daran nicht rütteln? Ich versuche es trotzdem.

„Ich glaub, ich muss Dich wachrütteln; Ihr seid ja völlig auf das Shopping fixiert.“

„Ja, es genügt, mit den Handys die Produkte im Schaufenster zu fotografieren, schon werden sie einem geliefert. Knipsen und haben.“ Das wiederholt sie mehrmals, so als ob es eine Zauberformel für Glück sei, eine Verheißung. Früher musste die Fee schnipsen, jetzt schlägt man dem Schicksal ein Schnippchen durch Schnäppchen.

Der Boden im Supermarkt ist ein einziger Touchscreen – er reagiert auf die Kunden, präsentiert ihnen virtuelle Fischschwärme, Sternenhimmel ... Wenn der Einkaufswagen voll ist – dann gibt es zur Belohnung Sequenzen aus dem Gedächtnis-Inhalt der Kunden – Gedächtnis-Scanner machen es möglich: Man geht gewissermaßen auf seinen Erinnerungen, hat ja beinahe was Therapeutisches.

„Boden-Kino – nicht schlecht.“

Man könnte sich auch in den Einkaufswagen setzen; er kennt den Weg, er klappert zuverlässig das Regal-Labyrinth ab; so einen hätte Theseus mithaben müssen, das hätte den Minotaurus beeindruckt.

„Minotaurus war halb Stier, halb Mensch. Was findet man in der Mitte des Labyrinths? Das Eingeständnis, dass man sich für eine Hälfte schämt, sie vor der Welt verbirgt, das Wilde, kulturell nicht Tragbare?“

„Freut mich, dass Du für die Philosophie so aufgeschlossen bist, aber die Liebe hat auch einiges zu bieten“, versuche ich, die Gedanken des Fembots auf mir begrüßenswertere Bahn zu lenken.

Wir können leider keinen der vielen Artikel in unsere Zeit mitnehmen. Clarissa hat dennoch den halben Laden leergekauft – das heißt, vorerst stehen die von ihr im Kaufrausch beladenen Einkaufswagen hinter ihr, so als ob Clarissa die Lokomotive sei und sie die Waggons. Sie folgen ihr tatsächlich. Ich halte sie davon ab, zur Kasse zu gehen.

„Denk an das Budget. Das ist erschöpft. Die machen keinen müden Cent mehr locker.“

Sie hat ein Einsehen – denkste – wie ein Football-Spieler versucht sie, einen Touchdown zu erzielen und stürmt an mir mit ihre Kohorte vorbei.

„Die ist außer Rand und Band“, denke ich; ich hätte besser auf sie achtgeben müssen, aber irgendwie fasziniert mich der Fembot, zieht meine ganze Aufmerksamkeits-Energie auf sich.

Wir landen mit nicht bezahlten Waren und einem Fembot in der Redaktion; krasse Ausbeute; technisch eigentlich nicht durchführbar; ist wohl dem Tohuwabohu zu verdanken. Heißt ja auch: Am Anfang war das Tohuwabohu. Man sollte dann nicht allzu große Erwartungen haben bezüglich alles Weiteren. Bleibt zu hoffen, dass es im Himmel keinen Supermarkt gibt – es steht zu befürchten, dass selbst Engel zu Shoppingzombies würden. Mutation durch den Shopping-Virus.

ENDE