Über Jorge Luis Borges & Osvaldo Ferrari

JORGE LUIS BORGES, geboren 1899 in Buenos Aires, gestorben 1986 in Genf, war ein argentinischer Schriftsteller und Bibliothekar und gehört zu den wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Er verfasste unzählige phantastische Erzählungen und Gedichte und gilt als Mitbegründer des Magischen Realismus. Für sein Werk erhielt er zahlreiche internationale Ehrungen.

 

OSVALDO FERRARI, geboren 1948 in Buenos Aires, ist Schriftsteller, Dichter und Essayist. Er hat für viele argentinische und ausländische Zeitungen geschrieben und war Professor für Kommunikationswissenschaft. Nach vielen Jahren in Madrid lebt er heute wieder in Argentinien.

O.F.

Mir ist aufgefallen, Borges, dass Ihre Liebe zur Literatur, zu den Schriftstellern sich mehr noch als in Ihren Essays in Ihren VorwortenVorwortPrologVorwort ausdrückt, in den Vorworten zu Schriftstellern und Büchern, die Ihnen im Lauf der Zeit Bewunderung eingeflößt haben.

Nun ja, natürlich ist der PrologPrologVorwortProlog ein Mittelding zwischen kritischer Studie und, sagen wir, Trinkspruch. Das heißt, im PrologProlog muss es einen kleinen Überschuss an Lob geben; der LeserLeser zieht ihn wieder ab. Aber gleichzeitig muss der PrologProlog großmütig sein, und nach so vielen Jahren, nach zu vielen Jahren bin ich zu dem Schluss gelangt, dass man nur über das schreiben sollte, was einem gefällt.

Ich glaube, dass negative KritikKritik/Kritiker keinen Sinn hat; SchopenhauerSchopenhauer, Arthur hielt zum Beispiel HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich für einen Aufschneider oder für einen Trottel oder beides. In den Geschichten der deutschen Philosophie leben die beiden heute friedfertig zusammen. NovalisNovalis war der Meinung, GoetheGoethe, Johann Wolfgang von sei ein oberflächlicher Autor, bloß korrekt, bloß elegant; er verglich GoethesGoethe, Johann Wolfgang von

Aber ich schreibe jedenfalls seit langer Zeit nur über das, was mir gefällt, auch weil ich meine, wenn mir etwas nicht gefällt, liegt das eher an einer Unfähigkeit meinerseits oder einer Plumpheit, und davon brauche ich andere nicht zu überzeugen. Ich habe an die zwanzig Jahre englische und nordamerikanische LiteraturLiteratur gelehrt, ich habe gelehrt … ich will nicht sagen, die Liebe zu diesen Literaturen, denn das ist ein zu weiter und zu vager Begriff, wohl aber die Liebe zu bestimmten Autoren oder die Liebe zu bestimmten Büchern; oder, noch konkreter, die Liebe zu bestimmten Abschnitten oder bestimmten Versen oder bestimmten Plots. Und das habe ich erreicht.

Mir scheint, gegen etwas zu schreiben ist zu nichts nütze. Sicher, wenn man sehr einfallsreich schreibt, dann bleibt der Satz haften; ich denke da an jenen Satz von ByronByron, George Gordon Noel (Lord). HorazHoraz hatte gesagt, der gute HomerHomer schlafe bisweilen; und ByronByron, George Gordon Noel (Lord) setzte hinzu, WordsworthWordsworth, William wache gelegentlich auf (lacht). Der Satz hat Witz, aber er schadet WordsworthWordsworth, William nicht, denn wenn ein Satz Esprit hat, existiert er aus eigenem Recht; und es ist unwichtig, auf wen er sich bezieht. Der Satz, »WordsworthWordsworth, William wacht bisweilen auf«, steht und lebt neben seinem großartigen WerkWordsworth, William – und tut ihm nicht weh.

Was mich angeht, so habe ich viele PrologeProlog geschrieben; ich habe Vorworte geschrieben zu Autoren, die zu jenem Zeitpunkt unbekannt waren … Gut, das war ich auch. Und in all diesen VorwortenVorwort bin ich großmütig gewesen.

Allerdings. Nun wurden aber einige Ihrer PrologeProlog in einem Buch zusammengestellt, und darin kommt zum Ausdruck, was Sie in der LiteraturLiteratur am meisten bewundern, was Sie mit der größten Zuneigung bedenken.

Ja, diese Auswahl hat ein Neffe von mir gemacht, Miguel de TorreDe Torre, Miguel. Ich wollte mich mit niemandem anlegen, und manchmal gab es, nun ja, Prologe aufgrund von Umständen, wissen Sie? PrologeProlog aus Höflichkeit. Oder aber auch schlicht PrologeProlog, die ehrlich, aber nicht besonders gut geschrieben waren oder keine besondere Gedankentiefe hatten, sondern lediglich ein Buch lobten … Deshalb ließ ich zu, dass mein NeffeDe Torre, Miguel die Texte auswählte.

Trotzdem kann man sagen, dass kein anderer über Ihre Großherzigkeit verfügte, was Vorworte für junge Schriftsteller oder noch unbekannte Autoren angeht.

Ich habe zum Beispiel ein VorwortVorwort zu dem ersten Buch von Norah LangeLange, Norah geschrieben. Ich weiß nicht, ob das erste Buch ein WiederlesenWiederlesen verdient, aber Norah LangeLange, Norah hat

Unter den ausgewählten VorwortenVorwort ist zum Beispiel das, was Sie für Pedro Henríquez UreñaUreña, Pedro Henríquez geschrieben haben. Man sieht dort sehr deutlich Ihre Zuneigung zu ihm, Ihre Bewunderung und all das, was Sie mittels Ihrer Zuneigung entdecken.

Ja, Henríquez UreñaUreña, Pedro Henríquez habe ich in sehr guter Erinnerung, und vielleicht … also, das geht mir aber mit Macedonio FernándezFernández, Macedonio genauso: Vielleicht erinnere ich mich besser an den Dialog mit ihnen oder an ihre Präsenz, die eine Form des Dialogs ist, als an das, was sie geschrieben haben, wissen Sie? Aber alle großen Meister in der Geschichte der Menschheit waren Meister des gesprochenen Wortes.

Wie Sie sagen: jene, die ihr Bestes im Dialog gegeben haben.

Ja. PythagorasPythagoras hat absichtlich nicht geschrieben. Er wollte, nehme ich an, dass sein Denken sich in seinen Schülern weiter verzweigte. So bedeutet zum Beispiel der Satz – das Griechische ist mein LateinLatein, ich zitiere ihn aber auf Lateinisch – »Magister dixit«, »Der Meister hat es gesagt«, keinerlei rigide Autorität, im Gegenteil; wenn die Schüler die

Was das angeht, wäre für uns der Argentinier LugonesLugones, Leopoldo das Beispiel: Er war Anarchist, Sozialist, während des Ersten Weltkriegs Anhänger der Alliierten, das heißt, Demokrat, und später predigte er die Stunde des Degens, das heißt, den Faschismus. Da sagten dann viele Leute: »Er ist ein Wetterhahn.« Nein, er war kein Wetterhahn; er war ein Mann, den die Politik sehr interessierte und der in verschiedenen Epochen seines Lebens zu verschiedenen Schlussfolgerungen gelangte, ohne daraus je einen Vorteil zu ziehen. Im Gegenteil, er machte sich jedes Mal unbeliebt, wenn er sagte: Ich habe mich geirrt, jetzt denke ich anders.

In vielen Fällen wird man zweifellos sagen, Borges, dass Sie den AutorAutor erfunden haben mithilfe des VorwortsVorwort, das Sie ihm widmen. Zum Beispiel gibt es einen PrologProlog von Ihnen zu AlmafuertePalacios, Pedro BonifacioAlmafuerte; darin kommt Ihre alte Bewunderung für ihn zum Ausdruck, und darin loben Sie ihn auf eine Art, die ihn gleichzeitig enthüllt, könnte man sagen.

Also, wenn ich ein großes Beispiel zitieren darf: Als Bernard ShawShaw, George Bernard seine Quintessenz des IbsenismusShaw, George Bernard<i>Ein Ibsenbrevier: Die Quintessenz des Ibsenismus</i> vorlegte, wurde ihm gesagt, in diesem Buch stünde vieles, was im Werk IbsensIbsen, Henrik nicht zu finden sei. ShawShaw, George Bernard erwiderte: »Wenn ich nur

Ich kannte dieses Buch von ShawShaw, George Bernard – ich war relativ klein, erst elf Jahre, als ich es gelesen habe –, später las ich IbsensIbsen, Henrik Werk; und ich sah, dass ShawsShaw, George Bernard Zusammenfassungen vielleicht nicht die waren, die IbsenIbsen, Henrik selbst gegeben hätte, zumal sie nicht weniger einfallsreich sind als das, was IbsensIbsen, Henrik Einfallsreichtum uns hätte geben können. Und mir erscheint das gut so; es ist auch nicht zu bezweifeln, dass ein so komplexes Werk wie jenes, das MacbethShakespeare, William<i>Macbeth</i> und HamletShakespeare, William<i>Hamlet</i> einschließt, modifiziertModifikation worden ist durch … GoetheGoethe, Johann Wolfgang von, ColeridgeColeridge, Samuel Taylor, BradleyBradley, Andrew Cecil und andere ShakespeareShakespeare, William-Kritiker.

Das heißt, jeder KritikerKritik/Kritiker erneuert irgendwie das Werk, mit dem er sich befasst, und er setzt es auch fort. Und das entspricht dem Begriff, den ich von TraditionTradition habe: Eine TraditionTradition muss nicht die Nachahmung von etwas sein, sie muss vor allem Fortsetzung und Verzweigung sein. Man sollte bedenken, dass eine TraditionTradition etwas Lebendiges ist, dass sie sich unaufhörlich wandelt und mit dieser Wandlung natürlich reicher wird.

Wenn ein AutorAutor über einen anderen Autor schreibt, dürfen wir also annehmen, dass er jene tief verborgenen Dinge entdeckt, zu denen der AutorAutor selbst neigte.

Ja, und das ist auch die Idee ShawsShaw, George Bernard. Also, wir könnten sagen, dass die Theologie oder die verschiedenen Theologien, die

Trotzdem hat man gesagt, die Theologie sei geboren aus dem Mangel an Glauben; das heißt, wenn eine Religion sich selbst erklären muss …

Nun ja, das hat man vor allem gesagt über … Die Tatsache, dass es verschiedene Beweise für die Existenz Gottes gibt, bedeutet, dass wir uns dieser Existenz nicht sehr sicher sind. Im Gegensatz dazu scheint es in der indischen Philosophie, die so reich ist, nicht einen einzigen Beweis für die Seelenwanderung zu geben, denn das ist etwas, was man voraussetzt. Das heißt, es gibt einen wirklichen Glauben daran.

Ohne Theologie.

Natürlich, und niemand braucht überzeugt zu werden, und es ist niemandem eingefallen, diesen Glauben mit Argumenten zu belegen. Für die Inder ist es ein natürlicher Glaube. Für uns nicht; man kann glauben oder nicht glauben – ich persönlich glaube nicht an die Seelenwanderung –, aber in Indien ist es etwas, woran man instinktiv glaubt.

Kommen wir auf Ihre PrologeProlog zurück. Auch diejenigen, die Sie Ihren Lieblingsautoren gewidmet haben, sind sehr zahlreich.

Das stimmt; ich glaube, niemand hat so viele VorworteVorwort geschrieben wie ich.

Ja, und ich habe versucht, in diesen VorwortenVorwort nicht nur Lob für das Buch, mit dem ich mich beschäftigte, unterzubringen, sondern auch, nun ja, persönliche Ideen von mir, mit denen der Autor übereinstimmen konnte oder auch nicht.

Persönliche Entdeckungen Ihrerseits.

Ja, weil ich glaube, wenn man diese PrologeProlog liest – natürlich lese ich das, was ich geschrieben habe, nie noch einmal –, aber ich glaube, dass man darin auch meine Ansichten über ästhetische ThemenLiteraturThemen findet.

Heute wollen wir über die Schönheit sprechen. Bevor wir damit beginnen, eine Frage vorab: Welchen Platz sollten Kunst und LiteraturLiteratur in unserer Zeit einnehmen?

Kunst und Literatur müssten versuchen, sich von der Zeit zu befreien. So oft hat man mir erzählt, dass die KunstKunstund Zeit von Politik oder Geschichte abhängt. Nein, ich glaube, das ist völlig falsch. WhistlerWhistler, James McNeill, der berühmte nordamerikanische Maler, nahm einmal an einer Zusammenkunft teil, bei der über die Bedingungen, unter denen KunstKunst entsteht, gesprochen wurde. Zum Beispiel über den biologischen Einfluss, den Einfluss der Umgebung, der zeitgenössischen Geschichte … Darauf sagte WhistlerWhistler, James McNeill: »Art happens«, die KunstKunstund Zeit ereignet sich, Kunst findet statt, das heißt, Kunst … ist ein kleines Wunder. Sie entzieht sich auf irgendeine Weise der organisierten Kausalität der Geschichte. Ja, KunstKunst ereignet sich – oder ereignet sich nicht; das hängt ebenso wenig vom Künstler ab.

Etwas anderes, wovon man gewöhnlich nicht mehr spricht, woran man gewöhnlich nicht einmal denkt, ist neben dem Geist die SchönheitSchönheit. Seltsam, dass nicht einmal die Künstler, letzten Endes auch nicht die Schriftsteller über das reden, was doch angeblich immer ihre InspirationInspiration oder ihr Ziel war; das heißt, die SchönheitSchönheit.

Sicher. Aber in Ihrem Werk, in Ihren Gedichten, Ihren Erzählungen …

Ich versuche, das betont Hässliche zu vermeiden, weil ich es scheußlich finde, wissen Sie? Aber es hat so viele literarische Bewegungen mit scheußlichen Namen gegeben. So existierte zum Beispiel in Mexiko eine literarische Bewegung mit einer entsetzlichen Bezeichnung: EstridentismoEstridentismo [von estridente, grell, schrill]. Aber schließlich hat diese Bewegung dann den Mund gehalten, und das war das Beste, was sie tun konnte. Sich bemühen, möglichst schrill zu sein – wie unbequem, nicht? Es war ein Freund von mir, Manuel Maples ArceMaples Arce, Manuel, der diese Bewegung gegen einen großen Dichter geleitet hat: Ramón López VelardeLópez Velarde, Ramón. Er leitete diese schrille Bewegung, und ich erinnere mich an sein erstes Buch. Es hieß, natürlich ohne jeden Funken Schönheit, Andamios interioresLópez Velarde, Ramón<i>Andamios interiores</i> [Inwendige Gerüste, Binnengerüste]. Was ziemlich unbequem sein muss, nicht wahr (lacht), inwendige Gerüste zu haben. Ich erinnere mich an einen einzigen Vers, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es ein Vers ist, und der lautet so: »Und in allen Zeitungen hat sich ein

Viele Jahre später traf ich ihn dann in Japan wieder. Ich glaube, er war mexikanischer Botschafter in Japan, und das hat ihn zwar nicht die Literatur, wohl aber seine Literatur vergessen lassen. Doch in der Literaturgeschichte – die ja alles aufnimmt – ist er verzeichnet als der Gründer des EstridentismoEstridentismo (beide lachen), eine der unbequemsten Formen der LiteraturLiteratur, schrill sein zu wollen.

Da wir nun schon über SchönheitSchönheit sprechen, möchte ich Sie noch etwas fragen, was mich immer beschäftigt hat: PlatonPlaton sagt, von allen übernatürlichen, archetypischen Wesen sei das einzige auf Erden Sichtbare, das einzig Manifeste die SchönheitSchönheit.

Ja, aber manifest mittels anderer Dinge.

Mit den Sinnen wahrnehmbar.

Mit den Sinnen? Ich weiß nicht …

So sagt PlatonPlaton.

Gut, natürlich, ich nehme an, dass die SchönheitSchönheit eines Verses durch das Gehör gehen muss und die Schönheit einer Skulptur durch den Tastsinn oder das Sehen. Aber das sind nur Medien. Ich weiß nicht, ob wir die SchönheitSchönheit sehen oder ob die SchönheitSchönheit uns durch Formen erreicht, die verbal oder skulptorisch sein können, oder auditiv im Fall der Musik. Walter PaterPater, Walter sagte, alle Künste streben nach dem Zustand der MusikMusik. Ich glaube, das erklärt sich daraus, dass

Sie muss irgendwie real sein.

Ja. Ich glaube nämlich, wenn wir eine Gestalt als Reihung von Wörtern empfinden, dann ist sie glücklos oder ungeschickt gezeichnet. Bei einem Roman müssen wir zum Beispiel das Gefühl haben, dass die Gestalten auch jenseits dessen leben, was der Autor uns von ihnen erzählt. Wenn wir zum Beispiel an eine beliebige Gestalt denken, eine Gestalt aus einem Roman oder einem Drama, müssen wir das Gefühl haben, dass diese Gestalt – in den Momenten, in denen wir sie nicht sehen – schläft, träumt, verschiedene andere Dinge tut. Sonst wäre sie für uns nämlich vollkommen irreal.

Dieser Satz ähnelt sehr dem Ausspruch von IbsenIbsen, Henrik: »Das Leben ist ein Kampf mit dem Teufel in den Grotten oder Höhlen des Gehirns, und die Dichtung ist die Feier des endgültigen Urteils über einen selbst.« Da gibt es doch Ähnlichkeiten, nicht wahr?

PlatonPlaton misst der SchönheitSchönheit ein Schicksal bei, eine Mission. Und hier in Argentinien hat Héctor MurenaMurena, Héctor gesagt, die SchönheitSchönheitund WahrheitSchönheit könne eine außerweltliche WahrheitWahrheit übermitteln.

Und ich nehme an, wenn sie das nicht tut, ist sie unnütz: wenn wir sie nicht als eine Offenbarung jenseits dessen aufnehmen, was uns die Sinne geben. Aber ich glaube, dass diese Empfindung allgemein verbreitet ist. Ich habe bemerkt, dass Menschen unaufhörlich poetische Sätze sagen können, die sie nicht zu schätzen wissen.

So hat zum Beispiel meine Mutter – diesen Satz habe ich literarisch verwendet –, meine Mutter hat über den Tod einer Cousine von mir, die noch sehr jung war, mit der aus Córdoba stammenden Köchin gesprochen. Und die Köchin sagte zu ihr, ohne zu bemerken, dass es ein literarischer Satz war: »Aber Señora, um zu sterben, braucht man nur lebendig zu sein.« … Und sie merkte gar nicht, dass es ein denkwürdiger Satz war. Ich habe ihn später in einer Erzählung verwendet. »Man braucht nur lebendig zu sein«, man braucht nur … Andere Bedingungen sind für den TodTod nicht erforderlich, man braucht nur diese eine, die einzige.

In diesem Fall wäre der Schriftsteller ein großer Koordinator des Genies der anderen.

Ja, und, sagen wir, ein Chronist der anderen, ein Chronist und Schreiber vieler Meister, und vielleicht ist es wirklich am wichtigsten, der Verzeichner und nicht der Erzeuger des Satzes zu sein.

Ein individuelles Gedächtnis des Kollektiven.

Ja, genau, darauf läuft es hinaus.

Seit einiger Zeit, Borges, möchte ich auf eine Idee zu sprechen kommen, die Sie schon mehrmals formuliert haben.

Ich habe nur wenige Ideen und drücke sie immer mehrmals aus (lacht).

So wird behauptet (beide lachen). Sie sagten, jeder Schriftsteller – besonders jeder Lyriker – habe zwangsläufig ein persönliches Universum. Auf die eine oder andere Weise ist er durch dieses persönliche Universum konditioniert, das ihm gegeben ist und dem er treu sein muss.

Ich weiß nicht, ob man treu sein muss, aber tatsächlich ist man es. Es ist vielleicht armselig, aber man lebt … also, man schreibt, in einer Welt, die ziemlich begrenzt ist, wissen Sie? Obwohl es anders besser wäre; aber oft ist es nun einmal so.

In Ihrem Fall erinnere ich mich, neben anderen Dingen, an TigerTiger, blanke Waffen, Spiegel, LabyrintheLabyrinth.

Das stimmt. Ich bin ziemlich monoton, wie? Also, sollte ich jetzt Gründe dafür anführen? Vor allem anderen: Ich habe diese Themen nicht ausgesucht; diese ThemenLiteraturThemen haben mich ausgesucht. Aber ich glaube, das kann man über alle Themen sagen. Ich meine, es ist ein Irrweg, ein Thema zu suchen; ein Irrweg und eher etwas für einen Journalisten

Dann wären diese ThemenLiteraturThemen also schicksalhaft die Ihren.

Ja, weil sie immer wiederkehren. Seltsamerweise weiß ich, wenn ich das Wort »TigerTiger« schreibe, dass es ein Wort ist, das ich Hunderte Male geschrieben habe. Aber gleichzeitig weiß ich, wenn ich »Leopard« schreibe, dass ich dann mogele: Dem Leser wird ganz klar sein, dass es ein leicht maskierter Tiger ist – ein TigerTiger, der gefleckt ist statt gestreift. Man findet sich mit so etwas ab.

Ja, aber trotzdem ist es Ihnen in Ihrem Gedicht ›Der Panther‹Borges, Jorge Luis›Der Panther‹ gelungen, etwas zu umreißen, was wirklich anders ist als ein TigerTiger.

Gut, vielleicht vierzehn Zeilen hindurch, aber nicht mehr, wie (beide lachen). Ich glaube, man merkt, dass es eine Variante des TigersTiger ist, oder dass der Leser das empfindet.

Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne das Gedicht ›Der Panther‹Borges, Jorge Luis›Der Panther‹ vorlesen, damit auch die Zuhörer wissen, dass Sie ihn dieses eine Mal wirklich vom TigerTiger völlig abgehoben haben.

Hinter den starken Stäben wird der Panther

den monotonen Weg wiederholen

der (aber das weiß der Panther nicht) das Schicksal

des schwarzen unseligen gefangenen Kleinods ist.

Gar nicht schlecht, wie? Lesen Sie weiter.

Tausende gehen vorbei und Tausende

kommen zurück, aber eins und ewig

ist der verhängnisvolle Panther, der in seiner Höhle

die Linie zieht, die ein ewiger Achilles

in dem Traum zieht, den der Grieche träumte.

Natürlich, Achilles und die Schildkröte, die beiden aus dem eleatischen Paradoxon.

Er weiß nicht, dass es Steppen und Berge gibt

mit Hirschen, deren bebende Eingeweide

seinen blinden Appetit entzücken würden.

In diesem Fall, Borges, hätte SilvinaOcampo, Silvina OcampoOcampo, Silvina wirklich recht mit ihrer Bemerkung, dass auch Sie manchmal zu grausamen Nuancen neigen.

Sie hätte völlig recht. Also, dieses Gedicht – ziemlich neu, wie mir gerade bewusst wird – wäre das Gegenstück zu einem natürlich weit besseren von LugonesLugones, Leopoldo: dem Sonett ›León cautivo‹Lugones, Leopoldo<i>León cautivo</i>. Der gefangene Löwe denkt nämlich an die Hirsche, die zum Fluss hinabgehen; er spricht vom erschreckten Traben der Gazellen, und ich glaube nicht, dass so etwas vorkommt. Ich stelle mir eher das Tier vor, wie es in diesem Moment lebt. LugonesLugones, Leopoldo dagegen stellt sich den

Das ist die Idee, die Ihnen der Kater eingab, der in der Ewigkeit des Augenblicks lebt.

Ja, es ist dieselbe Idee. Es ist die Idee, dass die Tiere die Zeit nicht kennen, dass die Zeit den Menschen eigen ist und nicht den Tieren. Diese Idee ist von YeatsYeats, William Butler, von William Butler YeatsYeats, William Butler, bis zum bitteren Ende durchdacht worden, in diesem großartigen Gedicht, in dem es am Schluss heißt: »He knows deathYeats, William Butler›Death‹ to the bone / Man has created death.« Der Mensch kennt den Tod bis ins Mark, bis auf die Knochen. Der Mensch hat den TodTod erschaffen. Das heißt, der Mensch verfügt über das Bewusstsein des TodesTod – und das bedeutet: das Bewusstsein von Zukunft und die Erinnerung an VergangenheitVergangenheit –, natürlich, ja.

Die letzten beiden Zeilen des Gedichts ›Der Panther‹Borges, Jorge Luis›Der Panther‹ lauten:

Vergebens ist die Welt vielfältig. Das Tagewerk,

das jeder Einzelne erfüllt, ist längst festgelegt.

Ah, ja. Hier nun ist diese Idee auf den Menschen

Bleibt zu hoffen …

Das heißt nun aber nicht, dass es durch jemanden festgelegt worden wäre. Man bringt diese beiden Ideen nämlich häufig durcheinander: Ich glaube, dass man an die PrädestinationPrädestination glauben kann, ohne gleichzeitig anzunehmen, dass diese PrädestinationPrädestination einen persönlichen Urheber hat – etwas, das sich aus einem fatalen Spiel von Wirkungen und Ursachen ergibt.

In diesem Fall wäre unser Dialog, wie Sie sagen, kosmisch oder geordnet.

Natürlich. Und überdies wird er von einer Maschine fixiert, glaube ich (beide lachen).

Was die LabyrintheLabyrinth angeht – ich denke gerade daran, dass Sie kürzlich in dem vielleicht berühmtesten von allen gewesen sind …

Auf Kreta, ja. Seltsamerweise ist nicht bekannt, ob das von Knossos ursprünglich wirklich ein Labyrinth war; ich nehme an, nein. Es scheint ein Palast gewesen zu sein, und später wandte man wohl HerodotsHerodot Labyrinthbegriff darauf an. Er spricht, glaube ich, von den ägyptischen Labyrinthen. Ich weiß nicht, ob er überhaupt von dem LabyrinthLabyrinth

Nach Ihrer Rückkehr von dieser Reise zeigten Sie mir auch sehr schöne blanke Waffen: Messer, die Sie aus Griechenland mitgebracht haben. Eines davon hat ein Heft aus Ziegenhorn, was mich sehr überraschte.

Wegen meiner LiteraturLiteratur – nennen wir es einmal so, ich verwende das Wort mit Gänsefüßchen – bringt man mich mit blanken Waffen in Verbindung: Man schenkt mir Dolche, was mir gefällt, sehr gefällt. Allerdings kann ich nicht damit umgehen, ich bin sehr ungeschickt, ich kann keinen Messerkampf simulieren. Klar, man achtet auf den Blick des Gegners, nicht auf die Hand, die die Waffe hält; und indem man dem anderen in die Augen sieht, errät man seine Absichten. Und dann sind die Hände an der Reihe. Jedenfalls hat man mir Dolche geschenkt, in vielen Ländern.

Und man müsste Ihnen Schwerter schenken. Mir scheint nämlich, in Ihrem Werk werden häufiger Schwerter als Dolche erwähnt.

Ja, schon, aber Schwerter sind unbequem, nicht wahr (lacht.)? Auf Reisen ist der Dolch besser.

Also, die SpiegelSpiegel …

Das hängt mit der Idee vom DoppelgängerDoppelgängerAlter EgoDoppelgänger zusammen, mit der Idee des Alter EgoAlter Ego. Das heißt, es hat etwas mit einer ganz anderen Vorstellung zu tun. Mit der Idee der Zeit, denn mit der Idee der Zeit verhält es sich so: Sie ist die Idee von einem Ich, das überdauert, während alles andere sich

Gerade fällt mir ein: In Der Bericht des Arthur Gordon PymPoe, Edgar Allan›Der Bericht des Arthur Gordon Pym‹ von Edgar Allan PoePoe, Edgar Allan gelangt man in ein Gebiet der Antarktis, und in diesem antarktischen Gebiet gibt es Menschen, die, sehen sie sich in einem Spiegel, ohnmächtig werden. Das heißt, es wird ihnen klar, dass der Spiegel etwas Furchtbares ist. Zweifellos hat PoePoe, Edgar Allan das so empfunden; es gibt nämlich von ihm einen Aufsatz darüber, wie man einen Raum einrichten sollte, und da sagt er, Spiegel sollten so angebracht werden, dass eine sitzende Person sich nicht darin reflektiert sieht. Das bedeutet, dass auch er das Grauen vor dem Spiegel empfunden hat; andernfalls wäre diese Vorsichtsmaßnahme, dass der Spiegel einen Sitzenden nicht reflektieren soll, nicht zu erklären. Ohne Zweifel hat er dieses Grauen empfunden, denn es findet sich in zwei Texten von ihm. Seltsam, dass er nicht näher darauf eingegangen ist. Aber es gibt diese zwei unmissverständlichen Anspielungen auf den Spiegel als etwas Furchtbares.

Wie schon einmal erwähnt, als wir über TräumeTräume sprachen, kommt es vor dem SpiegelSpiegel zu einer beklemmenden VerdoppelungDoppelgänger.

Wenn man vor dem Spiegel steht, ja. Und zweifellos meint die Bezeichnung »Alter EgoAlter EgoDoppelgängerAlter Ego«, »das andere Ich«, die man PythagorasPythagoras zuschreibt, diese Idee; sie muss aus der Widerspiegelung entstanden sein. Auch wenn man sie später auf die Freundschaft angewendet hat. Und zwar falsch, wie ich glaube, denn ein Freund ist kein zweites Ich. Wäre er ein zweites Ich, so wäre das sehr monoton; er muss eine Person mit eigenen Charakterzügen sein.

Ja, aber immer heißt es, ein Freund sei ein zweites Ich, und das stimmt nicht, er ist kein Alter EgoAlter Ego.

Was man in der Philosophie heute »Relation der Alterität« nennt, wäre die Annäherung an den anderen, der von einem selbst verschieden ist.

Klar, dass er kein anderes Ich ist. Der Akzent liegt auf »Ego«, nicht auf »AlterAlter Ego«.

Abgesehen von Tigern, blanken Waffen, Spiegeln, LabyrinthenLabyrinth – erinnern Sie sich an irgendein anderes Element Ihres persönlichen Universums, das in letzter Zeit als Konstante wiederkehrt?

In TräumenTräume?

Oder im Wachen.

… Nun, da gibt es jetzt das Thema des TodesTod. Weil ich immer … ich verspüre jetzt eine gewisse Ungeduld. Mir scheint, dass ich sterben sollte, und dass ich bald sterben sollte. Dass ich schon zu viel gelebt habe. Und außerdem bin ich sehr neugierig. Ich glaube, bin mir aber nicht sicher, dass der TodTod einen ganz bestimmten Geschmack haben muss; es muss etwas Eigenartiges sein, was man nie zuvor empfunden hat. Der Beweis dafür ist … ich habe viele Todeskämpfe gesehen, und die Betreffenden wussten, dass sie sterben würden.

Und vor Kurzem wurde mir erzählt – Alberto GirriGirri, Alberto erzählte es mir –, dass er mit Mujica LainezMujica Lainez, Manuel zusammen war, einen Monat vor dessen Tod, und Mujica LainezMujica Lainez, Manuel sagte ihm,

Ihr Aussehen nach der Rückkehr von dieser Reise, der Eindruck, den Sie nach der Rückkehr von dieser Reise machen, widerspricht allerdings dieser Annäherung an den TodTod, die Sie da andeuten.

Nun ja, irgendwie findet diese Annäherung statt, und im Übrigen spreche ich nicht von unmittelbarer Todesnähe. Ich spreche von einer gewissen Ungeduld. Aber wenn der Augenblick des TodesTod kommt, werde ich mich vielleicht als großer Feigling erweisen. Obwohl, ganz allgemein, ich habe nun schon mehrere Todeskämpfe gesehen – im Verlauf von vierundachtzig Jahren sieht man viele Todeskämpfe –, und immer verspürte der Sterbende dabei eine große Ungeduld, er wollte sehr dringend sehr schnell sterben.

(lacht) Na gut, und … der TodTod wäre … wäre eine ReiseReisen, natürlich viel besser als die sieben Reisen von Sindbad; es wäre eine viel größere Reise, nicht wahr?

Heute würde ich gern mit Ihnen über den SüdenSüden sprechen, der in Ihrem Werk und in Ihrem Denken so oft erscheint. Mir kommt es so vor, als ob es sich dabei weniger um einen literarischen als vielmehr um einen ontologischen Begriff handelt, vielleicht eine Art und Weise, uns zu erkennen, indem wir den SüdenSüden erkennen.

Den SüdenSüden kann man auf verschiedene Weise begreifen. Man kann an die PampaPampa-Ebene im Süden Argentiniens denken, nicht wahr, und das ist eine Art. Und so geschieht es in einer Erzählung von mir, ›Der Süden‹Borges, Jorge Luis›Der Süden‹, die man auf verschiedene Art lesenLesen kann. Ich hatte damals gerade Henry JamesJames, Henry gelesen, der Geschichten schrieb, die absichtlich mehrdeutig sind. So kann zum Beispiel The Turn of the ScrewJames, Henry<i>The Turn of the Screw</i> auf verschiedene Arten gelesen werden. Ich dachte mir: Ich werde Henry JamesJames, Henry imitieren, aber sozusagen mit einem völlig andersartigen Hintergrund. Dann schrieb ich diese Geschichte, ›Der Süden‹Borges, Jorge Luis›Der Süden‹Borges, Jorge Luis›Der Süden‹, die man, soweit ich weiß, auf drei verschiedene Arten lesenLesen kann.

Diese drei Arten wären: Wir können diese Erzählung als eine reale Begebenheit lesen. Nun ja, alle Begebenheiten sind real, aber, kurz und gut, diese lässt sich so lesenLesen, wie sie erzählt ist, das wäre eine mögliche Lektüre. Dann können wir annehmen, dass der zweite Teil der Erzählung eine Halluzination ist oder ein Traum des Protagonisten, als er der Anästhesie unterzogen wird. Und schließlich können

Also, im Gegensatz zu dem, was Oscar WildeWilde, Oscar sagt, nämlich: »Each man kills the thing he loves« – »Jeder tötet, was er liebt« … Ich glaube, man müsste im Gegenteil sagen, jeden tötet, was er liebt, das heißt, man kann uns nur physisch töten oder verletzen, aber nicht mehr. Wenn man dagegen einen Menschen liebt und dieser Mensch einen hintergeht, tut das weh. Hier könnten wir nun annehmen, dass der Protagonist den SüdenSüden, den er kaum kennt, sehr liebt. Als er in den Süden kommt, tötet ihn der SüdenBorges, Jorge Luis›Der Süden‹Süden, und das wird in verschiedenen Passagen der Geschichte angedeutet.

Aber ich glaube, diese Erklärung ist ein bisschen weit hergeholt, und es ist besser anzunehmen, dass im ersten Teil der Erzählung das stattfindet, was wir Realität nennen; das heißt, der Unfall, die Operation. Und dass alles andere dem Tod entspricht, den er gern gestorben wäre. In diesem Fall wäre die Geschichte autobiografisch. Mein Großvater hat sich nach der Kapitulation von Mitre, in La Verde, im Jahr 1874 töten lassen. Und ich hätte mir irgendwann einen solchen TodTod wünschen können, den TodTod eines Mannes der Tat. Ich bin kein Mann der Tat gewesen … und will es auch nicht mehr werden. So viel zu dieser Auffassung vom SüdenSüden.

Nun gibt es noch eine andere, die sich auf die Südstadt von Buenos AiresBuenos Aires bezieht … Für mich ist dieses Viertel das wesentliche Viertel von Buenos Aires, zumal die anderen sich so sehr verändert haben … wogegen man im SüdenSüden die Dinge bewahrt oder zu bewahren versucht. Deshalb ist für mich der SüdenSüden kein Viertel wie die anderen und nur ein bisschen anders, sondern das wesentliche, fundamentale Viertel von Buenos Aires. Für mich verbindet sich das mit vielen Dingen …

Im Viertel Monserrat,

wo der Stahl blitzt,

halte ich die Haut hin für das,

was ich mit dem Schnabel sage.

Ja, jene Gegend wäre das, sodass ich – wie seltsam –, ich möchte sagen, es gibt etwas, es gibt einen Teil von mir, der in Buenos AiresBuenos Aires bleibt. Und dass ich vielleicht glaube, auf Reisen zu sein, aber dass es etwas gibt – um die augenblicklich gültige Mythologie zu verwenden: im Unterbewusstsein –, das in Buenos Aires bleibt und das sich besonders in der Nähe der Calle México aufhält, zwischen Perú und Bolívar, wissen Sie? Und nachts, wenn ich träumeTräume, bin ich dort immer.

Damit hätten wir also eine Version des SüdensSüden, die aus der Gegend von Monserrat bestünde.

Ja, natürlich, ja. Und es gäbe noch eine Version des SüdensSüden, in der ich einen großen Teil meiner Kindheit verbracht habe: Adrogué. Vielleicht das hübscheste Dorf des Südens. Adrogué war ein Dorf aus Landsitzen, die inzwischen längst parzelliert worden sind. Früher gab es in Adrogué Landsitze von der Größe zweier oder dreier Häuserblocks,

Dann haben wir den SüdenSüden der LiteraturLiteratur, also das Gebiet jenseits des Río Salado, nicht wahr, vor allem in der argentinischen LiteraturLiteraturArgentinische Literatur des 19. Jahrhunderts.

Das stimmt, ja. Also, mit der damaligen LiteraturLiteratur bin ich wohl irgendwie verbunden, denn ich, und das sage ich ohne besonderen Stolz, bin weitläufig verwandt mit RosasRosas, Juan Manuel de, dessen Andenken mit dem Fluss Salado verbunden ist, wo er ja seine Estancia, seine Farm, hatte, wissen Sie?

Aber über die geografischen Einzelheiten hinaus scheint mir, dass der SüdenSüden …

Nun ja, es gibt noch einen weiteren Grund, der sehr wichtig ist, und zwar die Tatsache, dass sur [Süden] ein einsilbiges Wort ist, einsilbig scharf. Wenn man dagegen este [Osten] und oeste [Westen] sagt, lässt sich das fast nicht aussprechen, im Gegensatz zum englischen west, also, das ist eine einzige Silbe und klingt gut, oder? »To the west« – »nach Westen«. Und auf Spanisch ist oeste kaum auszusprechen, este genauso wenig; norte ist schon besser. Es ist eine einzige Silbe, kurz und scharf: sur. Wenn Sie dagegen el sud sagen, nein, das ist kraftlos, und es gibt viele Leute, die sud sagen. Klar, weil es auf der Fassade des Bahnhofs Constitución in Buenos AiresBuenos Aires steht: Ferrocarril del Sud [argentinische Eisenbahngesellschaft], ein Jammer, nicht? Und auch in der Nationalhymne, da gibt es ja das Wort, also: »al gran pueblo argentino salud« – »Heil dem großen argentinischen Volk«, wozu steht da das salud? Damit es sich mit sud reimt.

Ja.

Und mir scheint, dass sich dieser Geist irgendwie auf uns alle übertragen hat. Sie werden sich erinnern, Martínez EstradaMartínez Estrada, Ezequiel sagte, es sei der Geist der Erde – den er den Geist der PampaPampa nannte –, was unseren gemeinsamen Hintergrund abgibt; den Hintergrund unserer Persönlichkeiten.

Er ist ja, glaube ich, in der PampaPampa um Santa Fé geboren, nicht wahr?

Richtig.

Er war aus San José de la Esquina, nicht wahr? Ich habe ihn gekannt, aber … er starb im Süden, in der Nähe von Bahía Blanca.

In Bahía Blanca.

Ich bin in seinem Haus gewesen. Es war voll von Vögeln, er rief sie, er hatte Brotkrümel auf den Handflächen, die Vögel kamen zu ihm (beide lachen). Und ich glaube, das ist auch William Henry HudsonHudson, William Henry gelungen, nicht wahr, sich so sehr mit den Vögeln zu identifizieren, dass sie ihn nicht als Menschen, sondern als anderen Vogel ansahen.

HudsonHudson, William Henry, den Martínez EstradaMartínez Estrada, Ezequiel so sehr bewunderte.

Auch das, ja. Also, ich glaube, dass er sich irrte, indem er HudsonHudson, William Henry als Gaucho definierte, was vollkommen falsch war,