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Moonlight Romance
– 15 –

Falsches Spiel

Liebe, Habgier und ein tödlicher Fluch

Peter Haberl

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-508-5

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Ein verhaltenes Lachen erklang. Der Mann war wie elektrisiert, wirbelte herum, denn das leise Lachen war hinter seinem Rücken erklungen – ein Lachen, das er sehr gut kannte und das er in den vergangenen mehr als zwanzig Jahren nur allzu oft gehört hatte. Es war das typische Lachen seiner Frau Regina, wenn sie sich über irgendetwas lustig machte. Aber da war niemand. Jähe Anspannung krümmte seine Gestalt, prägte jeden Zug in seinem Gesicht und zerrte an seinen Nerven. Und jetzt erklang das leise, für Regina so typische Lachen erneut – und wieder hinter seinem Rücken. Es riss Hans-Jürgen Henning regelrecht herum - und er sah in der Tür die Gestalt, sein Herzschlag drohte auszusetzen, er schnappte nach Luft wie ein Erstickender. »Regina …«

Es war eine langgezogene Linkskurve, in der Hans-Jürgen Henning die Kontrolle über das schwere Motorrad verlor. Es ging alles rasend schnell. Die Maschine wurde von der Fliehkraft aus der Kurve getragen und regelrecht über die Leitplanke katapultiert, überschlug sich einige Male im Straßengraben und zerschellte schließlich an einer Birke.

Hans-Jürgen Henning lag reglos, wie tot, am Fuß der Böschung des Straßengrabens, seine Frau, Regina Henning, etwa zehn Meter von ihm entfernt zwischen einigen Büschen. Auch von Regina ging nicht die Spur eines Lebenszeichens aus.

Ein Auto hielt an, ein Mann und eine Frau stiegen aus, registrierten voller Entsetzen, was hier geschehen war und während die Frau per Mobiltelefon Polizei und Rettungsdienst verständigte, begann ihr Mann erste Hilfe zu leisten.

Weitere Fahrzeuge hielten an, Menschen stiegen aus, die einen machten sich nützlich, andere rotteten sich nur zusammen, um zu schauen, der eine oder andere schoss sogar Aufnahmen mit dem Handy. Schließlich kam mit heulender Sirene und rotierendem Blaulicht ein Streifenwagen der Polizei, der mit zwei Beamten besetzt war, wenig später trafen der Notarzt und der Rettungswagen ein. Nach einer ersten Untersuchung der Frau forderte der Notarzt einen Rettungshubschrauber an …

*

Sieben Wochen waren vergangen. Es war um die Mitte des Vormittags, als Regina Henning aus dem Koma erwachte. Sie fand sich nicht sogleich zurecht, registrierte aber, dass sie sich in einem Krankenzimmer befand. Ein dünner Schlauch führte von ihrem Handrücken zu einem Tropf, der an einem verchromten Gestell hing, das neben ihrem Bett stand. Verständnislos ließ Regina ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie befand sich alleine in dem Zimmer, Fragen stürmten auf sie ein, nach und nach kam die Erinnerung, und der letzte Eindruck, den ihr Bewusstsein freigab, war die rasante Fahrt mit dem Motorrad auf der schmalen Landstraße in Richtung Freising.

Siedendheiß durchfuhr es sie.

Der Unfall!

Regina wollte sich bewegen. Aber ihr Körper schien auf die Signale, die ihr Hirn aussandte, nicht hören zu wollen. Regina fühlte ihn nicht einmal; nicht die Arme, die Beine – nichts. Sie bewegte den Kopf, ihr Nacken schmerzte fürchterlich, sie konnte kaum schlucken, Schwindelgefühl erfasste sie. Warum funktionierte ihre Motorik nicht?

Ihre Gedanken wirbelten, ihr Bewusstsein fabrizierte verworrene Bilder, sie spürte ihren Herzschlag bis in die Kehle und hatte das Gefühl, von einer unsichtbaren Hand gewürgt zu werden. Schließlich verschwammen vor ihrem Blick die Bilder, graue Nebel der Benommenheit hüllten sie ein, sie dümpelte in der Halbwelt der Trance dahin. Irgendeinen klaren Gedanken zu fassen war ihr nicht möglich.

Ihr zerrissenes Bewusstsein zeigte tiefe Spalten, Denkvorgänge fielen aus, Erinnerungen schwanden, Zusammenhänge kamen nicht zustande. Schwäche kroch wie flüssiges Blei durch ihre Glieder, in ihren Schläfen dröhnte es, und plötzlich hatte sie den Eindruck, in einen pechschwarzen, bodenlosen Schacht zu stürzten. Ihr Denken riss …

Regina Henning hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war, als sie erneut die Augen aufschlug. Die Eindrücke, die sich ihrem nur ganz langsam klar werdenden Blick boten, waren dieselben wie beim letzten Mal. Alles wirkte zunächst irgendwie nebulös, unwirklich, ohne feste Formen und nicht greifbar.

Eine dunkle Stimme sagte: »Willkommen im Leben, Frau Henning.«

Regina erschrak und lauschte den fünf Worten hinterher. Ihre Mundwinkel zuckten, ihre Nasenflügel vibrierten, sie wollte etwas sagen, doch ihre Stimmbänder versagten. Sie brachte lediglich ein unzusammenhängendes, jämmerliches Wimmern zustande und spürte Panik in sich aufsteigen, denn sie erkannte ihre Hilflosigkeit, ihre Ohnmacht – und sie fühlte sich ausgeliefert.

Warum spürte sie ihren Körper nicht?

Die Frage stieg wie ein schriller Schrei in ihr auf.

Ein Gesicht schälte sich aus den Nebeln, in denen sie trieb – das Gesicht eines Mannes mittleren Alters, auf dessen Nase eine Brille saß und dessen Haare sich schon grau zu färben begannen.

»Wer sind Sie?«, entrang es sich Regina, nachdem sie zweimal zum Sprechen angesetzt hatte, und ihre eigene Stimme war ihr fremd. Sie sprach heiser, kratzig, und jede Silbe bereitete ihr Mühe, denn ihr Kehlkopf schmerzte und war trocken wie Schießpulver.

»Ich bin Doktor Siebert, Oberarzt auf dieser Station.«

»Wo befinde ich mich? Was ist geschehen? Wo ist mein Mann?«

»In der Uni-Klinik Großhadern. Sie hatten einen Unfall …

Der Arzt berichtete mit knappen Worten. Die Dreiundvierzigjährige Frau erfuhr, dass sie sieben Wochen lang im Koma gelegen habe und dass sie vom Hals an abwärts gelähmt sei. Ihr Mann sei schon nach zehn Tagen wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden und war wieder vollkommen hergestellt.

Nachdem der Arzt den Raum verlassen hatte, konnte Regina die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie würde niemals wieder gehen können, sie würde den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen, sie würde bis zu ihrem letzten Atemzug auf die Hilfe anderer angewiesen sein.

Eine Welt war zusammengebrochen. Der Gedanke, ein Leben lang an den Rollstuhl gefesselt zu sein, war derart monströs, dass Regina kurz davor war, den Verstand zu verlieren. Eine Welle der Hoffnungslosigkeit spülte durch ihr Bewusstsein, sie vergoss bittere Tränen, rief Gott an und flehte, sie vor diesem Schicksal zu bewahren.

Irgendwann waren ihre Tränenkanäle versiegt. Mit vom Weinen geröteten Augen starrte sie hinauf zur Zimmerdecke, und es gab nur einen einzigen Gedanken, der sie unablässig durchfuhr: Du wirst niemals wieder gehen können …

Sie dachte an Selbstmord, fragte sich aber im selben Moment, wie sie ihn bewerkstelligen sollte, funktionierte doch ihr Körper vom Hals an abwärts nicht mehr.

Wie mag Hans-Jürgen diese Diagnose aufgenommen haben? Sein Gesicht erschien vor ihrem geistigen Auge. Er war sechsundvierzig, fast eins neunzig groß, durchtrainiert und sah sehr gut aus. Ein Mann von Welt, ein Erfolgsmensch. Hans-Jürgen und sie hatten ein Logistik-Unternehmen aufgebaut und waren verhältnismäßig reich geworden. Vor zwanzig Jahren hatten sie geheiratet. Sie war damals dreiundzwanzig und kaufmännische Angestellte bei einem großen Konzern.

Sie hatten sich geliebt. Als sie heirateten, besaßen sie so gut wie nichts. Aber damit gaben sie sich nicht zufrieden. Jetzt, zwanzig Jahre später, verfügten sie über alles, was das Herz begehrt; ein großes Haus in Grünwald, zwei teure Autos, ein Boot, das im Yachthafen von Benalmadena an der Costa del Sol vor Anker lag, ein schweres Motorrad …

Die verdammte Maschine!, brüllte es durch ihren gequälten Verstand. Ich war von vorneherein dagegen, sie zu kaufen, als hätte ich geahnt, dass damit nur Unglück über uns kommt. Hätte ich mich bloß niemals auf sie gesetzt.

Sie schluchzte trocken.

Warum kam Hans-Jürgen nicht, um sie zu besuchen. Sie brauchte seinen Beistand, er sollte ihr Trost spenden, er sollte ihr sagen, dass er sie trotz allem liebte wie am ersten Tag …

*

Hans-Jürgen erschien am Nachmittag des drauffolgenden Tages. Er sah gut erholt aus, der Maßanzug, den er trug, betonte seine sportliche Figur, die dunklen Haare begannen sich an den Schläfen schon grau zu färben, was ihm einen ausgesprochen interessanten Touch verlieh.

Er beugte sich über Regina und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. »Man hat mich informiert, dass du aus dem Koma erwacht bist«, sagte er und schaute ihr ohne die Spur einer Gemütsregung in die Augen.

Das Glücksgefühl, das Regina in dem Moment verspürte, als er das Krankenzimmer betrat, verwandelte sich in Enttäuschung. Warum war er so reserviert, geradezu unterkühlt? Er hatte nicht mal Blumen mitgebracht. Und Regina fragte sich, was da nicht stimmte.

Hans-Jürgen zog sich einen Stuhl heran, ließ sich nieder, legte die Ellenbogen auf seine Oberschenkel und ließ die Hände zwischen den Knien baumeln. »Es ist tragisch«, murmelte er. »Ich habe mit dem Chefarzt gesprochen. Er hat keinen Zweifel darüber offen gelassen, dass …«

Er brach ab und reckte unbehaglich die Schultern.

Regina war wie vor den Kopf gestoßen. Die wenigen Worte, ihr Unglück betreffend, waren geradezu geschäftsmäßig aus seinem Mund gekommen. Die Frau verspürte Ratlosigkeit. Vielleicht ist es der Schock, der ihn so kalt reagieren lässt, durchströmte es sie. Wahrscheinlich will er es mir nicht noch schwerer machen, indem er seine echten Gefühle zurückhält. Wir lieben uns doch, er hat mir seine Liebe immer wieder beteuert und mich auf Händen getragen …

»… dass ich dazu verurteilt bin, den Rest meines Lebens im Rollstuhl zu verbringen«, vollendete sie seinen Satz.

Der Blick, mit dem er sie ansah, war unergründlich. »Du bist von den Zehenspitzen bis zum Hals gelähmt«, stieß er hervor. Seiner Stimme fehlte jegliche Wärme, und auch die eisige Kälte in seinen Augen milderte sich nicht. »Weißt du, was das bedeutet?«

Regina spürte ihr Herz plötzlich bis zum Hals hinauf schlagen; es raste geradezu und jagte das Blut durch ihre Adern. Ihr Hals war wie zugeschnürt, und plötzlich glaubte sie das Unheil, dem sie der Strom ihres Schicksals entgegentrug, tief in der Seele zu spüren. »Was bedeutet es?«, fragte sie und jedes der drei Worte schien in ihrem Mund tonnenschwer zu wiegen.

Es war, als ballten sich dunkle Gewitterwolken über ihrem Kopf zusammen. Eine Wand, die nicht zu überwinden war, schien sich zwischen Hans-Jürgen und ihr aufgestellt zu haben. Warum war er plötzlich so abweisend, man konnte sein Verhalten fast als feindselig bezeichnen.

»Du wirst ab sofort im Betrieb ausfallen.«

Regina glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Ist das ein einziges Problem?« Zorn kroch in ihr hoch. »Ich glaub das nicht, Hans-Jürgen. Wir können jemand einstellen, der an meiner Stelle die kaufmännische Leitung übernimmt. Mein Gott, ich liege hier und muss akzeptieren, dass ich niemals mehr ohne fremde Hilfe auskomme, und du machst dir Sorgen, weil ich den kaufmännischen Part in der Firma nicht mehr übernehmen kann.«

Er presste sekundenlang die Lippen zusammen, sodass sie nur einen dünnen, blutleeren Strich bildeten, dann stieß er hervor: »Es geht nicht nur um deine Mitarbeit in der Firma. Du weißt selbst, wie sehr ich eingespannt bin, und ich werde mich kaum um dich kümmern können.«

»Was willst du damit sagen?«

Hans-Jürgen erhob sich. »Wir werden ein Heim für dich finden, in dem du leben kannst und in dem du adäquate Fürsorge erhältst. Die nächste Zeit wirst du noch im Krankenhaus sein, dann wird man Reha-Maßnahmen einleiten. Bis das alles vorbei ist, werde ich einen Platz gefunden haben …«

»Du – du willst mich abschieben?«, keuchte Regina, in ihrem Blick vermischten sich Entsetzen, Fassungslosigkeit und Betroffenheit.

»Wenn du es so bezeichnen willst – bitte. Ich würde sagen, ich will nur das Beste für dich.«

»Als – als wir vor dem Traualtar standen hast du geschworen, immer zu mir zu stehen, sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten!«, strömte es aus Reginas Mund. Es überstieg ihr Begriffsvermögen. »Außerdem solltest du nicht vergessen, dass ich es dir zu verdanken habe, dass ich derart hilflos daliege.«

»Ich habe es nicht gerne getan«, murmelte er. »Der Staatsanwalt ermittelt. Wahrscheinlich werde ich wegen Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Ich lasse es auf mich zukommen und werde es wohl akzeptieren müssen. Es tut mir wirklich leid, Regina. Aber ich kann nun einmal nicht aus meiner Haut. Ich habe – im Gegensatz zu dir – eine Zukunft. Ich denke, du verstehst das. Der Betrieb …«

»Ich verfüge über fünfzig Prozent der Stammeinlage!«, schnitt sie ihm wütend das Wort ab. Mehr und mehr begriff sie, wie ernst es ihm war. Er hatte mit wenigen Worten zum Ausdruck gebracht, dass sie für ihn nur noch Ballast war, ein Klotz am Bein, den er abschütteln wollte.

Das Herz drohte ihr in der Brust zu zerspringen. Die Gefühle, die sie zu überwältigen drohten, brachten sie fast um den Verstand und eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Hirn ließ sie schwindlig werden.

»Darüber werden wir zu gegebener Zeit sprechen«, erklärte er. »Du wirst mit deinen Anteilen nichts mehr anfangen können. Die Gesellschaft kann dir auch kein Gehalt mehr zahlen, wenn du keine Arbeitsleistung mehr erbringst. Auf eine stille Teilhaberschaft lege ich keinen Wert.«

»Du willst mich draußen haben!«, giftete Regina. »Sowohl aus der GmbH als auch aus deinem Leben. O mein Gott! Was hat dich innerhalb weniger Wochen so werden lassen, Hans-Jürgen? Ich kenne dich nicht wieder. Zwanzig Jahre lang hast du mir dein wahres Gesicht nicht gezeigt. Du hast mir Liebe vorgegaukelt, mir zwanzig Jahre lang Sand in die Augen gestreut. Hast du denn kein Gewissen? Du – du legst mich ab wie ein schmutziges Hemd. Das ist kläglich. Was hat dich dermaßen verändert?«

Hans-Jürgen Henning winkte ungeduldig ab. »Du wirst mir deine Gesellschaftsanteile überschreiben, Regina, du brauchst sie nämlich nicht mehr, und ich werde hohe Kosten deinetwegen zu tragen haben. Die Firma darf darunter nicht leiden. Du musst lernen einzusehen, dass der Betrieb gesunde und tatkräftige Leute braucht. Denk in Ruhe über alles nach. Und am Ende wirst du mir recht geben. Wir haben das alles nicht in einer langen Reihe von Jahren aufgebaut, damit es jetzt den Bach runtergeht.«