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Peter Cornelius / Andy Zahradnik

PETER
CORNELIUS

Reif für die Insel

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Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber der Fotos zu ermitteln. Sollten dennoch Ansprüche offen sein, bitten wir um Benachrichtigung. Rechtmäßige Ansprüche werden nach Geltendmachung zu den üblichen Konditionen abgegolten.

www.kremayr-scheriau.at

eISBN 978-3-218-01142-6

Copyright © 2018 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG; Wien

Alle Rechte vorbehalten

Schutzumschlaggestaltung: Christine Fischer unter Verwendung von Fotos von Ulrike Cornelius, Dietmar Lipkovich, Hubert Mican & Votava / Imagno / picturedesk

Typografische Gestaltung und Satz: Sophie Gudenus

Inhalt

Intro

Die Insel zwischen den Gleisen

Die Entdeckung des Festlands

Ein Dreier in „Betragen“

Das ¼-Cello

Das verflixte dritte Jahr

Wie ein junger Hund im alten Bunker

Plötzlich Familie

Walkin’ Back to Happiness & Der Urknall

Die Faszination der Nachahmung

Augen auf und durch

Aquarius … Let the Sunshine In

Die Siebzigerjahre

„Flipper“

Wien – Hamburg – München – Frankfurt – Wien

Von der Gokart-Bahn zur Formel 1

Die gesunde Naivität

Der Tag hat 48 Stunden

Vom Norden in den Süden

Süchtig

Turbulenzen

Die Ananas am Dach

Wieder auf einer Insel

Masterfader Records

Die unbequemen Freund

Lebenszeichen

Insel XXL

Solo

12 neue 12 – das Spiel geht weiter

Schwebezustand

Unverwüstlich

Zugabe 1: Gitarren

Zugabe 2: Dort, wo der Stecker passt

Intro

Peter Cornelius ist Musiker und Singer-Songwriter. Ich wollte dieses Buch, das sich mit seinem Leben und Werk beschäftigt, daher nicht mit einem „Vorwort“ beginnen. Ich fand, „Intro“ passt für einen Musiker einfach besser. Ein Intro auch deshalb, weil es, wie bei der Musik, hier an dieser Stelle darauf ankommt, die Leser ein wenig auf das, was folgt, vorzubereiten. Oder noch besser: sie ein wenig einzustimmen. Stimmig und Musik, das passt sehr schön, finde ich, und daher erlaube ich mir in diesem Intro, ein wenig persönlich zu werden.

Den Musiker und Singer-Songwriter Peter Cornelius habe ich zum ersten Mal 1973 wahrgenommen, als er sich mit dem Lied „Die Wolk’n“ einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt hat. Das Cover der Single zeigte einen jungen Mann in einem Hemd, das ein wenig an die psychedelischen Muster erinnerte, wie sie damals in der Londoner Carnaby Street in jedem Laden zu sehen waren. Er saß vor einem Teppich, der als Fotohintergrund eher unpassend war. Blonde Locken, breites Grinsen. Im Fernsehen sah ich ihn dann bald darauf „I leb in ana Wolk’n und die is mei eig’ne Welt. I hab a Sanduhr ohne Sand und hab mein Reichtum ohne Geld“ singen, im Hintergrund spielte eine Big Band.

Ich war damals 15 Jahre alt, Plattensammler aus Leidenschaft und hatte eben als kaufmännischer Lehrling bei der einstigen CBS Schallplatten GesmbH in Wien angefangen. Meine Helden kamen aus England, den USA oder sangen Lieder im Wiener Dialekt. Und allesamt spielten sie Gitarre, Bass, Schlagzeug oder Keyboard.

Das Foto auf dem Plattencover von „Die Wolk’n“ kam dem ganz schön nahe, und so wie dieser Cornelius aussah, war das schon so, wie internationale Popstars in den frühen Siebzigern eben auszusehen hatten, um bei Teenagern anzukommen. Auch der Text war auf seine Art cool, denn dass einer in einer Wolke lebt, das hatte schon eine ganz eigene Qualität. Was ich allerdings überhaupt nicht verstand, war das Big-Band-Umfeld. Musikalisch war das nicht die Art Popmusik, mit der ich, der als Pubertierender um jeden Zentimeter Haare kämpfte und solche Hemden liebte, wie sie der Herr Cornelius am Cover trug, etwas am Hut hatte. Das passte für mich nicht zusammen. Was machten die Bläser da in dem Lied? ORF-Big-Band und Pop made in Austria? Gut, es war ja auch eine Produktion des ORF, und da war das Orchester offenbar Teil des Deals. Trotzdem wirkte diese Konstellation auf mich sehr brav. Zu brav. Öffentlich-rechtlich an die Leine gelegt. Schön ordentlich, denn wir sind hier ja nicht bei den Wilden. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass der Typ am Coverfoto gar nicht so brav wirkte. Vielmehr stellte ich mir vor, dass er bei einem Livekonzert durchaus auch heftig aufspielen könnte, was sich später ja auch als richtig erweisen sollte.

Ich habe damals bei der Carola am Praterstern, dem von mir bevorzugten und für mich heißesten Plattenladen Wiens, die Single zwar nicht gekauft, das Lied aber nie wieder aus dem Kopf gekriegt.

Richtig angesprungen bin ich dann zwei Jahre später bei „Flipper“. Auf dem Cover waren Kugel und Flipper abgebildet. Zusätzlich stand darauf ein Hinweis auf das „Do-it-yourself-Verfahren“. Sprich: Cornelius hat bei der Aufnahme alle Instrumente selbst gespielt. Dieser Hinweis war wichtig, denn damit war klar, dass sich das Klangbild – oder nennen wir es so, wie es richtig heißt: das Arrangement – zeitgemäß anhören würde. Pop-Rock, wie er 1975 klingen sollte – und auch klang. Der Text sprang mich sofort an. „Wie a Kugel von an Flipper, immer g’rollt werd’n, des is bitter.“ Zur Erklärung für alle Nicht-Wiener: „G’rollt werd’n“ heißt im Wiener Dialekt so viel wie „verarscht werden“. Und ja, das ist bitter, und wenn man 17 ist, so wie ich damals, tut es besonders weh.

Die Single ist heute eine Rarität. Das Lied selbst weniger, denn Peter Cornelius spielt es immer gerne live. Da rockt und rollt die Kugel, auch weil der Text bis heute nichts an Aktualität verloren hat und die Verarsche damals wie heute in allen Bereichen des Lebens anzutreffen ist. Zumindest wird man das Gefühl nicht los, dass es so ist.

Die Musik von Peter Cornelius lernte ich mit 15 kennen, den Menschen, den Musiker, den Singer-Songwriter erst viele Jahre später, als ich gebeten wurde, den Pressetext und biografische Informationen zu dem damals im Werden begriffenen Album Lebenszeichen zu schreiben.

Es war im Juni 2000, als ich Peter und seine Frau Ulrike im Wiener Café Dommayer kennenlernte. Das Dommayer, ein Wiener Kaffeehaus, wie es sein soll, hat eine über 180 Jahre alte Geschichte und befindet sich in der Nähe von Schloss Schönbrunn. Im Vorgängerlokal, dem Dommayer Casino, haben seinerzeit Johann Strauß Vater und Sohn sowie Josef Lanner die Wiener zum Walzertanzen eingeladen. Dort, an der Ecke Dommayergasse/Auhofstraße, treffen wir, also Peter, Ulrike und ich, uns seit Jahren immer wieder gerne.

Damals, im Sommer 2000, saßen wir im Garten des Cafés unter den schattigen Bäumen und sprachen über Musik, über Peters neues Album, über die darauf zu hörenden Neuaufnahmen von „Reif für die Insel“ und „Streicheleinheiten“. Damals sagte Peter zu mir zum ersten Mal diesen Satz, den ich seither nie vergessen habe: „‚Reif für die Insel‘ war nie ein Urlaubslied.“

Ich begleite Peter und Ulrike Cornelius nun seit 18 Jahren mit meinen Pressetexten, genieße jedes der langen Gespräche, die sich immer wieder ergeben, und es ist erstaunlich, wie schnell die Zeit auf der schweren Ledercouch im Wohnzimmer ihres Hauses am Rand von Wien vergeht, wenn sich Satz an Satz reiht und sich der Unterschied zwischen einem Gespräch und einer Plauderei offenbart.

Einmal, vor Jahren, rezitierte Peter einfach so aus dem Stand und völlig unerwartet aus Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus und holte einige der Figuren wortreich, in schönstem Schönbrunner Deutsch ins Wohnzimmer. Damit traf er bei mir voll ins Schwarze. Denn ich liebe dieses Stück. Punkt.

Man muss dazu wissen, dass immer wieder, wenn ich mit Menschen aus dem Showbusiness zusammentraf und über Peter Cornelius sprach, die Attribute „schwierig“ und „unzugänglich“ fielen. „Er ist halt kein Einfacher …“, hieß es oft zusammenfassend. In den Worten von Peter Cornelius hört sich das so an: „Ich habe eine geradezu krankhafte Abneigung, sozusagen eine Allergie, gegen Hochstapler, Bauchredner, unzuverlässige Mimer und Konsorten. Wenn das für die Betreffenden ‚schwierig‘ sein sollte, dann ist das deren Problem.“

Das kann ich nicht bestätigen. Ich selbst hatte nie das Gefühl, es mit einem passionierten Grantler zu tun zu haben. Für mich ist Peter Cornelius ein hochkreativer und hochsensibler Mensch, der in einer Zeit aufgewachsen ist und geprägt wurde, die vor allem aufgrund von Umbrüchen und gesellschaftspolitischen Ereignissen überhaupt nicht mit unserer heutigen vergleichbar ist. Peter Cornelius – ein Widerborst? Nicht im Sinne von starrsinnig. Aber durchaus im Sinne von widerspenstig oder, noch besser gesagt, widersetzlich.

„Widerstandsfähig, bist du widerstandsfähig?“, singt Peter Cornelius auf seinem jüngsten Album mit dem programmatischen Titel „Unverwüstlich“ (erschienen im September 2017). „Es ist eines seiner besten Alben“, lautete nicht selten die Meinung der Kritiker. „Ein Schmaus für Ohren und Hirn“ ist im Netz bei Käuferrezensionen nachzulesen.

Unverwüstlich ist mit Sicherheit das persönlichste Album des Künstlers und Songwriters. Es ist ein Blick in sein Innerstes. Entsprungen aus Beobachtungen und persönlichen Erfahrungen. Unverständnis über herrschende Gegebenheiten findet sich da ebenso wie die Aufarbeitung der eigenen Kindheit. Ungeschminkt. Der eigenen Meinung einfach freien Lauf gelassen.

Es ist mein Lebenstun“, sagt Peter Cornelius dazu, und als Ulrike und er mich fragten, ob ich mir vorstellen könnte, dass wir gemeinsam ein Buch über dieses „Lebenstun“ schreiben, habe ich nicht lange überlegt und sofort zugesagt.

Wir saßen oft und lange zusammen. Ungestört. Nur das Aufnahmegerät lief, und Peter erzählte und erzählte und erzählte. Zum Schluss schlug er „Reif für die Insel“ als Buchtitel vor. Nicht nur, weil jede und jeder im deutschen Sprachraum den Titel mit Peter Cornelius verbindet, sondern vor allem, weil es Inseln waren und sind, die in seinem Leben immer eine gewisse Rolle gespielt haben. Inseln. Insellagen. Physisch. Psychisch.

In Reif für die Insel erzählt Peter Cornelius über sein Leben, seine Kunst und den Menschen. Mag sein, dass die eine oder andere Erinnerung an bestimmte Jahreszahlen und manche Daten nicht ganz korrekt ist. Der Ort, die Zeit, ein Name waren im Gedächtnis vielleicht nicht richtig abgespeichert – die Erinnerung in ihrer Gesamtheit aber, die kommt hin. Persönliches zu erinnern, ist immer eine subjektive Angelegenheit. Objektivität ist da nicht zu erwarten. Wahrscheinlich liegt genau darin, in den unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Ereignissen, Erlebnissen und den daraus entstandenen und nun auch ausgesprochenen Erfahrungen, eine bisher unbekannte Seite jenes Künstlers, dem wir Lieder wie „Du entschuldige – i kenn di“, „Süchtig“, „Segel im Wind“, „Ganz Wien hat den Blues“, „Irgendwann im nächsten Leb’n“, „Sanft ist unser Kampf“, „Die unbequemen Freund“ und auch „Reif für die Insel“ zu verdanken haben.

In diesem Sinne herzlichst
Andy Zahradnik

Die Insel zwischen den Gleisen

Hetzendorf ist dort, wo der 12. Wiener Gemeindebezirk mit mehr Grünflächen als sonst aufwarten kann. Der Zwölfte – das ist Meidling, der Bezirk, wo das „l“ in einer Weise ausgesprochen wird, wie es wienerischer nicht sein könnte. Im Grunde ein Arbeiterbezirk, obwohl Hetzendorf viel näher beim 13. Bezirk, Hietzing, und dem noblen Cottageviertel liegt als bei den großen Gemeindebauten am Gürtel. Hetzendorf hat ein richtiges Schloss vorzuweisen, in dem früher der letzte Habsburgerkaiser – Karl I. – wohnte, bevor er wegen des verlorenen Ersten Weltkrieges abdanken und ins Exil gehen musste. Heute lernen in der dort untergebrachten Modeschule Jungdesignerinnen und Jungdesigner ihr Handwerk.

Geht man vom Schloss die Hetzendorfer Straße links hinauf, dann trifft man nach einigen Metern auf die Jägerhausgasse, die nach wenigen Gehminuten wiederum in die Schlöglgasse mündet. Dort, wo die beiden Gassen einer Astgabel gleich aufeinandertreffen, befindet sich heute ein Kinderspielplatz inmitten einer überschaubaren Grünfläche. Dahinter fährt, um rund zwei Stockwerke tiefer gelegt, viergleisig die Südbahn vorbei.

Am 29. Januar 1951 wurde Peter Karl Korunka in Wien geboren. „Der Klang des Nachnamens hat mich immer an eine russische Halskrankheit erinnert“, so Peter, dessen „Cornelius“ als zweiter Vorname durchs Internet geistert, was aber falsch ist. Karl hingegen als zweiter Vorname ist richtig, es ist der Vorname seines Vaters. „Cornelius“ kam erst später hinzu, als Künstlername und behördlich eingetragener offizieller Familienname.

Dort, wo heute der Spielplatz zu finden ist, stand bis in die Siebzigerjahre an der Adresse Schlöglgasse 50 das Jägerhaus. Es war das Zuhause von Peters Großmutter Karoline und ihrem Ehemann Heinrich. Er ein pensionierter Oberrevident der Österreichischen Bundesbahnen, sie „die Lebensretterin meiner frühen Kindheit“, wie Peter gerne sagt.

Peter, geboren im Zeichen des Wassermannes mit Aszendent Löwe, ist der Sohn von Karoline und Heinrich Selbmanns Tochter Christine. Unmittelbar nach seiner Geburt zog er bei den Großeltern im Jägerhaus ein. Denn die komplizierten Lebens- und Liebesumstände von Peters Eltern Christine und Karl machten das Aufwachsen des Sohnes unter einem gemeinsamen Dach mit den Eltern anfangs unmöglich. Das Platzangebot im Jägerhaus war zwar nicht gerade üppig, aber Peter hatte ein kleines Zimmer für sich allein, und die Liebe seiner Oma war sowieso das Maß aller Dinge.

Die Großmutter war die prägende Person in Cornelius’ früher Kindheit. An den Großvater hat er hingegen nur mehr stark verblichene Erinnerungen. Künstlerisch begabt war der Opa, ein hervorragender Zitherspieler. Die Kunst, Saiteninstrumente virtuos zu beherrschen, lag also offenbar in der Familie und ging vom Großvater auf den Enkel über.

Für den kleinen Peter hatte das Jägerhaus eine ganz besondere Bedeutung. Nicht nur, dass es sein Zuhause war, man hatte dem Kind auch stets erklärt, es handle sich um ein ehemaliges Jagdschloss der Kaiserin Maria Theresia und sei früher angeblich durch einen Geheimgang direkt mit dem Schloss Schönbrunn verbunden gewesen, der später aber zugeschüttet worden sei. Wie spannend! Aber leider nur ein Gerücht, das durch die Leute in der Hetzendorfer Nachbarschaft gerne aufrechterhalten wurde, denn diesen Geheimgang hat es nie gegeben. Weshalb er auch nie zugeschüttet wurde. Und alles, was bleibt, ist eine für einen kleinen Buben sehr aufregende Geschichte.

Tatsächlich gab es unter dem Haus einen sogenannten „Eiskeller“, der bereits seit dem 18. Jahrhundert zur Lagerung von Natureis und später von Eisblöcken aus der Eisfabrik genutzt wurde, als elektrische Kühlschränke entweder noch gar nicht erfunden waren oder das Geld nicht reichte, um sich einen anzuschaffen. Noch 1952 gab es nur in zwei Prozent der Wiener Haushalte einen elektrischen Kühlschrank, und der Eiskeller leistete daher in vielen Häusern noch immer gute Dienste.

In dem Keller in der Schlöglgasse 50 hatte sich ein Weinhändler eingemietet, der darin Flaschen und Fässer lagerte. Es wurde gemunkelt, dass er immer nur Wein aus dem Keller heraufholte, aber nie welchen hinunterbrachte. Eine wundersame Weinvermehrung?

Das Jägerhaus war auch nie ein Jagdschloss, sondern hatte einst als Heim für den kaiserlich-königlichen Forstverwalter gedient, war also ein Forsthaus gewesen. Als es erbaut wurde, hatte sich die Stadt noch nicht so weit ausgedehnt, weshalb es direkt in den Jagdgründen der Habsburger lag. Später wurde das Haus umgebaut und in fünf Wohneinheiten aufgeteilt. Eine davon wurde den Selbmanns zugewiesen. Vermutlich gehörten die Gründe der Bahn und ebenso vermutlich ist das der Grund, weshalb der Oberrevident dort eine Wohnung bekam. Im Krieg wurde das Jägerhaus nicht beschädigt. Es überstand die Bombardements trotz der unmittelbaren Nähe zu den Schienen, galten Eisenbahnstrecken doch als erste Zieladresse für Bombenabwürfe, um die Transportwege des Feindes unbrauchbar zu machen.

Alles, was bis heute vom Jägerhaus in der Schlöglgasse noch erhalten geblieben ist, sind der Name Jägerhausgasse und jener des Kleingartenvereins, der, nur durch einen Bretterzaun getrennt, direkt in der Nachbarschaft des ehemaligen Forsthauses zu finden war und bis heute ist.

1951. Sechs Jahre nach der Stunde null. Das Wirtschaftswunder begann sich stotternd, aber doch auch in Wien langsam in Bewegung zu setzen. Noch war Österreich von den alliierten Mächten besetzt, und bis zum Abzug der Truppen sollte es noch weitere vier Jahre dauern. Der 12. Bezirk, Meidling, lag im britischen Sektor, eingeklemmt zwischen Sowjets und Franzosen.

Die Briten! Der kleine Peter wurde also genau in jenen Sektor hineingeboren, wo jene das Sagen hatten, für deren Musik und Popkultur er sich als Heranwachsender mit einer Leidenschaft zu interessieren begann, die ihm bis heute erhalten geblieben ist. „Ich kann mich ganz dunkel erinnern, dass ich an der Hand meiner Mutter englische Besatzungssoldaten in der Nähe der Fasangartenkaserne [Anm.: die heutige Maria-Theresien-Kaserne] gesehen habe. Ich konnte damals natürlich noch nicht ahnen, was für eine schicksalhafte Rolle Engländer durch ihre Musik in meinem weiteren Leben spielen werden“, erinnert er sich noch heute.

Seine Welt in der Schlöglgasse erstreckte sich zwischen zwei Gleisen, lag doch das Jägerhaus einer Insel gleich zwischen zwei Bahnlinien. Hinter dem Haus verlief die Südbahn. Damals noch auf gleichem Niveau wie das Haus. Und vor dem Haus trennten zwei große Schranken die aus gepresster Schlacke aufgeschüttete Hauseinfahrt von den Gleisen der Verbindungsbahn, wie die Wiener Stadtbahn damals hieß. Wollte der Weinhändler Weiss zu seiner im Eiskeller gebunkerten Ware, so hatte der Lkw-Fahrer einen eigenen Schlüssel dabei, mit dem er das Vorhängeschloss, das die Schranken sicherte, öffnen konnte. Ansonsten blieben die Schranken immer geschlossen, was jedoch die fünf Hausparteien des Jägerhauses nicht davon abhalten konnte, die mit zusätzlichen metallenen Gittervorhängen als Unterkriechschutz ausgestatteten Schranken zu umgehen, indem sie die Gitter so weit aufbogen, dass eine erwachsene Person durchschlüpfen konnte. Die Alternative wäre gewesen, einen weiten Umweg zum Hetzendorfer Friedhof oder in die Fasangartengasse über die Hetzendorfer Straße zu machen. Die Abkürzung stellte ein Risiko dar. Doch der in Sichtweite gelegene Friedhof war als Mahnung, es besser bleiben zu lassen, wohl nicht drastisch genug, denn Peter nahm bereits als kleines Kind an der Hand der Mutter oder der Großmutter auf dem Weg in den Kindergarten diese gefährliche Abkürzung. Und er kann sich noch sehr gut daran erinnern, dass das etwas Verbotenes und Gefährliches war.

Am Vorderausgang des Jägerhauses führte, wie schon erwähnt, die sogenannte Verbindungsbahn vorbei. Direkt neben dem Bahndamm führte ein schmaler Weg entlang, Peters Schulweg, der ebenfalls an einem Bahnschranken endete. Dieser Schranken unterschied sich von denen, die die Verbindungsbahn absicherten, jedoch grundlegend, denn er war sehr kurz, etwa einen Meter lang, da er ja nur diesen schmalen Weg absperrte. „Ich hatte als Kind meinen eigenen Schranken“, erinnert sich Peter Cornelius, denn im Jägerhaus wohnten keine anderen Kinder. Doch Ordnung musste sein. Und so gab es einen kleinen Schranken für einen kleinen Buben. Der Schranken war zu, aber ein Schrankenwärter war vor Ort und stand in seinem Schrankenwärterhäuschen. Wenn Peter in die Schule ging, lief jedes Mal das gleiche Szenario ab: Das Kind tauchte beim Schranken auf, und der Schrankenwärter griff zu seiner Kurbel. Schranken rauf, Kind durch, Schranken runter.

Vorne Bahngleise mit Schranken. Hinten Bahngleise ohne Schranken. Bretterzäune grenzten das Grundstück rund ums Jägerhaus ab. Wiese. Blumen. Natur. Die Stadt war gefühlt weit entfernt. Die paar Erwachsenen, die auf dem Flecken Grünland lebten, konnten die Idylle für ein aufgewecktes Kind nicht stören.

Abenteuerlich und zum Teil auch angsteinflößend, aber trotzdem spannend und interessant waren die Lokomotiven, die direkt hinter und vor dem Haus vorbeistampften. Riesen aus schwarzem Stahl. Dampfloks. Fauchend, zischend, nach Kohle und Öl riechend und ihre Kraft nicht verbergend. Die an den großen Dampfloks links und rechts neben dem Kessel angebrachten Seitenteile aus Stahl wirkten auf Peter wie die riesigen Ohren eines noch riesigeren Ungetüms.

Das Einzelkind auf seiner Insel. Seiner eigenen Insel. Ein Naturjuwel, bewacht von Bahnschranken und spannenden Monstern, die alles Böse fernhielten. Dazu eine Oma, die für Liebe, Zuneigung und Geborgenheit zuständig war. Keine bittere Armut, aber viel gab es – den Zeiten entsprechend – nicht. Vor allem Geld gab es keines auf der Hetzendorfer Insel. Sich etwas „leisten“ zu können, war selten. Aber das tat nichts zur Sache. Ein normales Familienleben mit Mutter und Vater kannte Peter da noch nicht. „Ohne die Großmutter wäre mein Leben sicher chaotisch verlaufen“, sagt Peter Cornelius heute. Und setzt hinzu: „Ich bin in einem Zustand der mehr oder weniger selbstverständlichen Harmonie aufgewachsen. Die Verhältnisse waren sehr bescheiden, aber auf meiner Hetzendorfer Insel fühlte ich mich geborgen. Das Einzige, was in meiner Wahrnehmung nicht harmonisch war, war das Verhältnis meiner Eltern. Da waren diese Spannung und dieser Zorn drin. Aber die waren für mich zu dieser Zeit ja nicht die Hauptdarsteller. Meine Bezugsperson war die Großmutter.“

Die Entdeckung des Festlands

Die Züge, die mehrmals täglich am Jägerhaus vorbeidonnerten, gehörten zum Leben einfach dazu. Sie zogen die Grenzen zur Welt außerhalb. Dort, außerhalb der Insel, war Festland, und dort wurde noch immer daran gearbeitet, die Stadt wieder aufzubauen. Kriegsschutt wurde zu Baumaterial, zu Fundamenten, auf denen neue Häuser entstanden. Gasleitungen wurden verlegt, Mauern im Akkord hochgezogen. Die Stadt veränderte ihr Gesicht. Glatte Wände statt Gründerzeit-Fassaden.

Der Sommer 1954 war geprägt von extremer Hitze. Die Wiese zwischen den Schienen mit ihren Blumen, Schmetterlingen, Regenwürmern und was sich da sonst noch tummelte, litt genauso wie die ganze Stadt unter massivem Wassermangel, und noch Anfang September rief das Wiener Rathaus die Bevölkerung dazu auf, Wasser zu sparen. Das war für Peter allerdings das kleinere Übel. Viel stärker beschäftigte ihn die Tatsache, dass mit dem 2. September 1954 für ihn eine Zeit anbrach, die ihm von Anfang an nicht gefiel, denn von nun an musste er seine Insel jeden Tag verlassen. Kein langes Ausschlafen mehr, denn ab sofort musste er zeitiger als bisher aufstehen. Seine Großmutter machte ihm das Frühstück, und dann hieß es warten, bis seine Mutter kam und ihn abholte. An ihrer Hand ging es dann Richtung Kindergarten.

Es folgte das tägliche und gefährliche Ritual: Zuerst durch die auseinandergebogenen Speichen des geschlossenen Schrankens hindurch bis knapp an die Gleise der Verbindungsbahn. Stehen bleiben. Nach links und nach rechts schauen. Hören, ob was kommt. Ob die Monster unterwegs sind. Tat sich da was am Horizont, musste man abwägen, „ob es sich noch ausgeht“, über die Gleise zu huschen. „Dieses Gefühl wird man nie ganz los und vor allem die Erkenntnis daraus, dass man im Leben schon auch immer ein bisschen nach links und rechts schauen sollte“, sagt Peter Cornelius und ist eigentlich nicht unglücklich darüber, denn im Showbusiness ist so eine Art Sicherungsknopf im Kopf durchaus brauchbar.

Er erinnert sich auch daran, dass eine Bewohnerin des Jägerhauses eines Tages ihren letzten Weg zu diesen geschlossenen Schranken antrat. Der Zug machte wegen ihr eine Vollbremsung, und das, wovor sich jeder Lokführer fürchtet, war nicht mehr zu verhindern. Die Frau hatte nicht mehr nach links und nach rechts geschaut, sondern sich ganz bewusst vor die Lok geworfen, um ihr Leben zu beenden. Die Züge, die für den kleinen Peter von Beginn an zum Leben dazugehörten, sie gehörten von nun an auch zum Tod. Selbst auf dieser idyllischen Insel.

Außerhalb, am Festland, war die Idylle sowieso mehr als durchwachsen. Das Größerwerden brachte einige unangenehme Begleiterscheinungen mit sich. Eine davon war der Kindergarten. Der war in einer Holzbaracke untergebracht, die in unmittelbarer Nähe der Rosenkranzkirche in Hetzendorf stand. Dunkles, nach Imprägnierung riechendes Holz. Am Boden Linoleum. Küchengerüche. Auf den Tellern befanden sich zumeist eingebrannte Erdäpfel, Eintöpfe mit Fisolen oder anderes Gemüse. Speziell die Dillsauce, die für seinen Geschmack allzu oft aufgetischt wurde, war für Peter das maximale Geruchs- und Geschmacksgräuel.