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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Epilog

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2481

 

Günstlinge des Hyperraums

 

Sie sind die Prognostiker der Kolonne – ihr Auftrag ist die Erschaffung der Negasphäre

 

Wim Vandemaan

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.

Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.

Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören. Hinzu kommen erste Erfolge im Angriff: die Zerstörung von CRULT etwa oder das Vordringen nach Hangay.

Dem Weltweisen und der Parapositronik ESCHER gelingt es, sich von Einheiten der Kolonne selbst zum Herz der entstehenden Negasphäre tragen zu lassen: GLOIN TRAITOR, die Nadel des Chaos, ein unfassbares Gebilde. Auf ihrer Reise stoßen sie auf die geheimnisvollen T-Prognostiker und töten einige von ihnen. Aus erbeuteten Daten erfahren sie dann aber mehr über die GÜNSTLINGE DES HYPERRAUMS …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Laurence Savoire – Der Erste Kybernetiker ESCHERS liest die Periodische Chronik eines T-Prognostikers.

ESCHER – Die Parapositronik muss Überzeugungsarbeit bei den Supratroniken der Kolonne leisten.

Latifalk – Ein 5-D-Mathematiker von Palkaron sucht die Erfüllung.

Canzuri – Latifalks Todfreund macht schnell Karriere.

Poccelyn – Der Ganschkare hat viel zu leiden.

Prolog

Vor einiger Zeit

 

Landschaft über null. Langsam steigend. Nachtwachen im Blauen Turm. Im Vakuumzylinder eine lange Episode der Frostkriege. T’Tunday gegen die Poststellare Kohabitation. Auf den Dimensionen-Mosaiken Szenen aus dem Leben der Gaurach Doy: dreidimensionale Phase.

Die Schlafwandler beschleunigten den Para-Puls des Geburtshelfers behutsam, schlossen seine Sinne den Stoffen auf.

Die Bilder im Vakuumzylinder bemerkten seine anwachsende Aufmerksamkeit.

Die Szenen in den Dimensionen-Mosaiken wurden farbenprächtig, laut, vielseitig.

Gestützt von den Bio-mechanischen Kreaturen erhob er sich. Die Landschaft folgte ihm wie eine Robe aus dunkler Materie. Er blickte hinab in ihre spindelförmigen Gehirne, die sich drehten und drehten wie in einem ausweglosen Traum. Sie glommen.

Er hauchte sie an.

Sie loderten auf.

Sie flüsterten: »Der Herr, der Herr!«, voller Sorge, die ihr Leben war.

Er gewichtete seine Bewusstseine, eichte sie neu, richtete sie aus, bündelte sie. Warum habt ihr mich geweckt?

»Der Herr! Ein Schiff der Kolonne erbittet Landeerlaubnis auf Basom Tokk!«

Basom Tokk. Das war der Raumhafen nahe beim Blauen Turm. Ein Schiff welcher Kolonne?

»Kolonne TRAITOR, der Herr!«

Ihre Hirne brannten lichterloh.

Oh, dachte er vergnügt. Diese Kolonne also. Die neue.

Er gestattete den Anflug, die Landung.

Kurz darauf betrat der Emissär der Kolonne den Salon im Blauen Turm.

»Du hast uns lange warten lassen«, klagte der Traitorianer, ein Biologem mit eingelagertem Skelett, Gliedmaßen und funkelndem Nervenzellennetz.

Habe ich?

Er spürte, wie der Traitorianer unter seiner Ansprache zusammenzuckte.

»Jahre«, röchelte der Traitorianer. »Jahrzehnte.«

Oh, das meinst du. Diese Art von Zeit: vergängliche.

Der Traitorianer schrie auf. Seine Neuronenketten, verbrannt vom Licht.

Zur Schonung des Gastes schaltete er seine Biomechanischen Kreaturen ein. Dolmetscher zwischen den Geistern.

Die Kreaturen ertrug der Traitorianer beinahe mühelos.

»Der Herr, die Kolonne wünscht etwas von euch zu erwerben«, übersetzten die Kreaturen und trugen ihm den Wunsch der Kolonne vor.

Er sichtete die Bioarchive, rollte die Informationsbanderolen ab, die, da sie die Auflösung des Schemas nicht hatten wahrhaben wollen, immer noch durch das Weltenmeer spulten und die Sterneninseln begutachteten und die Tausend Neuen Reiche, die aus dem Schema hervorgegangen waren.

Sagt ihm: Ich habe etwas in der Art, wie sie sie wünscht. Aber es erwerben? Hält sie mich für einen Händler? Womit gedächte sie zu zahlen?

Die Hirne der Kreaturen loderten, als sie ihm den Preis nannten, an den der Traitorianer dachte. »Die Kolonne bittet den Herrn anzunehmen, andernfalls sie gegen den Herrn Gewalt einsetzen müsste.«

Seine Bewusstseine verschoben sich vor lauter Erheiterung. Sie wollen mir drohen? Mit Gewalt? Physischer Gewalt?

Er hatte jede Form von Schmerz genossen, damals. Er kannte den Tod und seine Öden Provinzen.

Als ob ich etwas fürchten könnte!

Die Hirne der Biomechanischen Kreaturen glänzten in poliertem Glück: Das war ihr Herr. Keiner kam ihm gleich.

Aber, sagte er.

Aber er hatte ein Faible für die Kohorten des Chaos, für ihren Erfindungsreichtum und ihren unverschämten Mut, die Schöpfung in Turbulenzen zu versetzen, aus ihrer Bahn zu werfen, um zu sehen, was …

Sie waren lustig.

Anders als ihre kosmokratischen Eben- und Andersbilder, die alles, was war, in Rüstungen retten wollten, in ewige Formen gießen, feien gegen alle Eventualitäten. Immerzu Ritter, Orden, Logen und Bruderschaften …

Die Hirne der Biomechanischen Kreaturen kräuselten sich vor Vergnügen.

Sagt ihm, sie könne weder kaufen noch erzwingen. Aber bescheren lassen könne sie sich.

Er bemerkte am Rand eines seiner Bewusstseine, wie die Kreaturen dem Traitorianer ausrichteten, er möge als Geschenk nehmen, was zu kaufen er gekommen war. Sie sagten ihm: »Nur ein wenig Geduld.«

Er machte sich ans Werk. Er hatte etwas in der Art, wie sie sie wünschten. Ein biogenes Spielzeug, Erzeugnis einer absonderlichen Evolution. Urgezeugt und aufgewachsen auf einem titanischen Planeten, der einen Gepressten Stern umkreiste. Seichte Wasser. Lotosinseln, die sich zu Pseudokontinenten zusammenfügten. Ein asymmetrischer, keilförmiger Mond.

Er weckte ein Hyperschiff aus seinem Dimensionenschlaf, nahm dessen Enttäuschung darüber zur Kenntnis, dass man seiner nicht etwa bedurfte, weil das Schema wieder in Kraft gesetzt worden wäre, sondern nur, weil man es auf eine kleine Mission schicken wollte. Das Hyperschiff murrte nicht, sondern tat, wie ihm geheißen.

Wenig später landete eine Barke des Hyperschiffs auf dem Raumhafen Basom Tokk, ein schlichtes Flugzeug aus Metallplastik, kleiner als ein Mond.

Er war selbst mit einem Bewusstsein zugegen, als die Barke ihre Fracht entlud. Ein paar Traitorianer wuselten auf dem Landefeld und versuchten, in die Biotop-Container zu lugen, aber er blendete sie mit ein paar Worten, und da zogen sie sich zurück in ihr dünnhäutiges Schiff aus zerbrechlichem Ricodin.

Ein paar Modifikationen noch, ließ er den Traitorianern ausrichten.

Die Biologeme in dem Container wussten nicht, wie ihnen geschah.

Aber wer von den bloß Lebendigen weiß das schon!

Bald war es so weit, und er bestellte den Traitorianer zu sich. Das Skelett des Biologems war morsch, zwei Gliedmaßen gegen technoiden Ersatz ausgetauscht, das ehedem funkelnde Nervenzellennetz glomm nur noch, aufgehellt von einer Beimischung chemischer Drogen und einer primitiven Denkhilfe.

Ein vergreister Körper, erkannte er.

»Du hast uns lange warten lassen«, sagte der Traitorianer, »ein Leben lang.«

Es klang kein Vorwurf daraus, nur eine Müdigkeit, eine Erschöpfung, die so restlos war, dass am Grund der Schale des traitorianischen Bewusstseins etwas wie Weisheit sichtbar wurde.

Oh, sagte er behutsam. Dennoch krümmte sich der Traitorianer.

Verlor das Bewusstsein.

Erholte sich wieder.

Er ließ die Biomechanischen Kreaturen vorführen, woran er gearbeitet hatte. Ihr Geburtshelfer, wie er so vielen Wesen Geburtshelfer gewesen war.

»Ich kann sie nicht gut sehen«, sagte der Traitorianer. »Sie wirken ein wenig plump.«

Zeigt sie ihm in ihrer vollen Pracht!

Da erleuchteten die Kreaturen den Traitorianer und zeigten ihm die Geschöpfe unverhüllt, ihre schiere Geistigkeit.

»Sie sind wunderbar«, bekannte der Traitorianer demütig.

»Sie bedürfen ein wenig Pflege in den kommenden Jahrmillionen. Ein wenig Feinschliff, um sie vollständig euren Bedürfnissen anzupassen. Wir übermitteln eurem Schiff eine Gebrauchsanweisung. Wir haben keinen Zweifel, dass sie das Prunkstück eurer Kolonne sein werden.«

Kurz darauf startete der Traitank mit seiner wertvollen Fracht an Bord vom Raumhafen Basom Tokk. Für einen Moment überlegte das eine oder andere seiner Bewusstseine, ob man ein wenig verfolgen sollte, wohin die Kolonne sich wenden würde: Blieb sie in diesem Universum? Welches andere strebte sie an? Eines, auf das sich einst die Befugnisse des Schemas ausgedehnt hatten?

Ein anderes?

Langsam verebbte seine Neugier.

Die äußerste Front seiner Bewusstseine verweilte noch bei dem Vakuumzylinder; er sah eine Episode der Frostkriege, in der die T’Tunday gegen die Kohabitation den Sieg davon zu tragen schienen. Er warf einen Blick ins Leben der Gaurach Doy, und es schien ihm, als wollten sie sich, ihres Daseins im Dimensionen-Mosaik bewusst geworden, daraus befreien.

Seine Bewusstseine freuten sich über die neuen Geschöpfe, die sie der Kolonne zum Geschenk gemacht hatten. Wesen, so reich an Möglichkeiten. Aber auch voller Begehren, sich und ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, zu erfüllen.

War das kein Widerspruch? Keine Ironie?

Sicher war es das. Eine wunderbare Ironie sogar. Ein großes Vergnügen.

Der Geburtshelfer hoffte, dass die Traitorianer einen Scherz verstehen würden, wenn der Tag kam. Bis dahin blieb ihnen ja – jedenfalls nach ihren Maßstäben – beinahe unendlich viel Zeit.

Die Schlafwandler verlangsamten seinen Puls behutsam, schlossen seine Sinne ab von der stofflichen Welt.

Der Blaue Turm entfärbte sich. Die Landschaft sank unter Null.

 

 

9. Oktober 1347 NGZ

Erinnerungen an Troja

 

»Ich würde zu gerne wissen, wie oft schon ein Trojanisches Pferd einen Krieg entschieden hat«, überlegte Laurence Savoire, der Erste Kybernetiker ESCHERS.

»Aha«, gab Isokrain zurück.

Savoire lächelte schwach und strich sich über die stachligen schwarzen Haare. »Eine alte Legende.«

Er erzählte in kurzen Worten die Geschichte von Odysseus und den Truppen Agamemnons, die nach zehnjähriger Belagerung die Stadt Troja durch eine List eroberten: das hohle, hölzerne Riesenpferd, in dessen Bauch griechische Elitesoldaten lauerten.

»In der Nacht entstiegen sie dem Pferd und öffneten die Tore Trojas von innen.«

»Ich verstehe«, sagte der Kosmitter. »Helden der Intelligenz übertölpeln einen leichtgläubigen Gegner. Meinst du, wir glichen diesen Soldaten aus der Urzeit deines Volkes? Und die Kolonne gliche der Stadt aus Stein Troja?« Es klang spöttisch.

Savoire überlegte, ob er noch einige Details der Geschichte erzählen sollte. Sagen, dass durchaus nicht alle Insassen der Hohlfigur zu Helden geworden waren. Hatte Odysseus nicht einen der Soldaten eigenhändig erwürgt, als er nach draußen zu rufen drohte? Hatte sich nicht ein anderer das Genick gebrochen beim Sprung aus dem Pferd?

Was Helden und Heldentum angeht, sieht man am besten nicht zu genau hin.

»Nicht die Dinge gleichen sich«, sagte Savoire, »sondern die strategischen Probleme. Und die Ideen, wie sich diese Probleme lösen lassen. Die Männer um Odysseus standen vor der Frage: Wie überwindet man das Unüberwindliche?«

»Leichte Frage, leichte Antwort: gar nicht. Das Unüberwindliche ist unüberwindlich«, antwortete Isokrain. »Was überwunden wird, war nicht unüberwindlich.«

Savoire lachte leise. »Feinheiten der Formulierung. Was bezwingt das Übermächtige? Was besiegt das Unbesiegbare? Die Antwort bleibt immer gleich: Du musst dich der Kräfte des Gegners bedienen, wenn diese Kräfte deine Kräfte übersteigen. Du musst Teil dessen werden, was du nicht besiegen kannst.«

»Aha«, sagte Isokrain. »Hoffen wir, dass wir am Ende unserer Feindwerdung noch von unserem Feind unterscheidbar sind. Wenigstens für unsere Freunde.«

Vorstoß in Feindesland. Geborgen in den Armen des Gegners …

Der Portivabschnitt 3h3h2, ein Gebilde aus 24 aneinandergeflanschten Kolonnen-Forts von insgesamt 216 Kilometern Höhe, befand sich auf dem Weg zum Zentrum der Galaxis Hangay.

15 Kolonnen-Fähren schleppten das Monument einer weltverändernden Technologie durch den Hyperraum.

Für einen Moment stellte Savoire sich vor, der Portivabschnitt würde havarieren und auf einen Planeten wie seine Heimatwelt Diakat einschlagen – ein Keil, aus den Himmeln geworfen, der in die Oberfläche einschlug und wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, Wellen auslöste, die durch den Kontinent liefen. Der höchste Berg von Diakat war der Piz Thoosa – fast 9000 Meter hoch. Er stellte sich den eingeschlagenen, stecken gebliebenen, monströsen Technoiden vor: Der Portivabschnitt würde den Piz Thoosa in einen ewigen Schatten stellen, weit aus der Mesosphäre hinaus-, tief in die Thermosphäre hineinragend. Planet und Weltraum verbinden wie eine Brücke in die Nacht.

»Die Finsternis weicht, denn wir bringen das Licht«, zitierte Savoire das Motto der Kosmitter.

Und nun ist es die Finsternis, die das Licht bringen soll. Denn mit dem Portivabschnitt, den die Kolonne durch die Kernzone der entstehenden Negasphäre transportierte, beförderten die Spediteure der Kolonne den Weltweisen von Azdun und ESCHER nach GLOIN TRAITOR, zur Nadel des Chaos.

Diese zentrale Schaltstelle für die Umwandlung Hangays in eine Negasphäre. Einen blinden Fleck der Schöpfung.

Längst spürten Laurence Savoire und Isokrain das Vibra-Psi, das die Raumzeit der Kernzone flutete. Beide wussten, dass keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben bestand. Aber ihr Wissen vermochte die Unruhe nicht ganz auszublenden, das Gefühl einer untergründigen, rasend sich ausbreitenden, immer weiter vertiefenden Zerrüttung der Welt, das Gefühl, der Boden der Wirklichkeit habe sich in Eis verwandelt, das immer dünner, immer brüchiger wurde. Und darunter …

Er schloss die Augen. Er griff in eine Jackentasche. Seine Finger suchten und fanden die Perlen. Er legte sich fünf in die Handfläche, griff dann eine nach der anderen, drückte ihre Pole zwischen Daumen und Zeigefinger und spürte, wie sie wuchsen. Schließlich hatten sie die Größe von Billardkugeln erreicht. Er legte sie sich in den Schoß und betrachtete sie. Er wusste, dass die Kugeln für ein normales menschliches Auge von schlichtem Weiß waren. Sein diakatisches Auge mit den zwei Pupillen aber sah die ultravioletten Muster, die sanft bewegten Wärmelinien. Jede Kugel war einzigartig.

Jonglieren war für ihn immer eine Möglichkeit gewesen, Spannung abzubauen. Die Gleichförmigkeit der Bewegung, die dennoch ein Höchstmaß an Konzentration verlangte, versetzte ihn in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, die an Trance heranreichte. Nach wenigen Minuten gewann er den Eindruck, die Bälle bewegten sich in seinem Geist, holten ihn aus jeder Zerstreuung zurück, ließen ihn wieder eins werden mit sich selbst.

Er warf Kugel um Kugel, mit der Linken nach rechts, mit der Rechten nach links.

Aber es war, als mischten sich andere Kräfte ins Spiel, als würde die Zeit linker Hand zäh, zur rechten abrupter verlaufen. Die eine Kugel schien mit einem Ruck nach oben zu beschleunigen, die andere sackte durch.

Erst eine, dann zwei, dann fiel die dritte Kugel zu Boden.

Seine Hände krallten sich um die letzten beiden.

Isokrain sah zu, wie die Kugeln über den Boden rollten. Dann richteten sich seine Facettenaugen auf Savoire.

»Das Vibra-Psi«, stellte er fest.

Savoire nickte. Er reduzierte die Bälle auf ihre Ruhegröße und steckte sie zurück in die Tasche. Er wandte sich an ESCHER. »Wie kommst du voran? Was wissen die Kolonnen-Forts über die Kernzone Hangays?«

»Nicht genug für unsere Zwecke«, sagte die Parapositronik. »Zahlengestöber. Sie rechnen mit hochspekulativen Werten und Fremdzahlenclustern, insgesamt sehr informationsenthaltsamen Gebilden.«

»Sie geben sich Tagträumen hin«, übersetzte Savoire.

»Nicht weiter erstaunlich«, sagte ESCHER. »Die Kolonnen-Forts des Portivabschnitts sind Neuankömmlinge. Wie wir.«

Savoire nickte. Zahlengestöber. Mit Vanika Hoog, Janezz Abrahim und Dara Minster waren einige der führenden Mathematiker der terranischen Zivilisation unter den mentalen Prozessoren der Hyperdim-Matrix. Wie mochten sie das Zahlengestöber sehen? Verwirrte es sie? Genossen sie es? Er seufzte leise. ESCHER war wie ein Teleskop in unentdeckte Welten. Ein Mikroskop. Ein Kosmoskop.

Und ESCHER, die erste Parapositronik der Menschheit, war mehr als das Auge des Entdeckers: Es war selbst Neuland, mentales Universum. Für einen Moment fühlte Savoire sich wie im Exil. ESCHER war seine eigentliche Heimat. Sein gelobtes Land.

»Man muss umsichtig sein«, mahnte Isokrain die Bewusstseinsmaschine.

»Ich bin umsichtig, Kundschafter«, erwiderte ESCHER. »Ich versinke nicht im Datentrödel der Forts. Ich habe mich über das Netzwerk der Rechner mit einer der Fähren in Verbindung gesetzt, die uns schleppen. Sie heißt PASSAGH, und sie operiert schon eine geraume Zeit zwischen Rest-Hangay und der Kernzone.«

»Gut«, lobte Savoire. »Informiere dich.«

»Die Supratronik der Fähre ist ein wenig scheu«, sagte ESCHER. »Sie hat sich in eine Art informationellen Keuschheitsgürtel gewickelt. Ich bemühe mich, aber ich will sie nicht drängen. Wir plaudern zurzeit über unverfängliche Themen, über prognostische Ästhetik und das Selbstbewusstsein einiger gebräuchlicher Verschlüsselungssysteme.«

»Schön«, sagte Savoire. »Ein paar vertrauensbildende Maßnahmen können nicht schaden.«

»Die Supratronik vertritt in Sachen prognostischer Ästhetik einige sehr exzentrische Positionen. Beispielsweise meint sie …«

»Klingt privat. Mein Sinn für Diskretion gebietet, mich mit derartigen Dingen nicht auseinanderzusetzen«, wehrte Savoire ab. Aber ein Unterton in der Stimme ESCHERS hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. »Da ist noch etwas?«

»Ich konnte ein wenig Zeit und Rechenkapazität erübrigen und mich mit der Periodischen Chronik des Latifalk Acht-Acht befassen.«

Die Periodische Chronik – das war der Inhalt des Datenkristalls, den Isokrains Nano-Kolonne gestern in einem Außenfach des Cyborg-Leibes entdeckt hatte. Dort, in dem Wohnkomplex, der mit blauen Kacheln ausgekleidet ist wie mit Stücken eines versteinerten Himmels: unberührbar und leblos.

Savoire und Isokrain hatten den Kristall entnommen und ESCHER übergeben.

»Und?«, drängte Savoire.

»Es sind Aufzeichnungen privater Natur«, sagte ESCHER. »Die Memoiren eines der beiden Cyborgs, die der Kosmitter liquidiert hat. Aber vielleicht gebietet es dein Sinn für Diskretion ja, dich damit nicht auseinanderzusetzen.«

Savoire seufzte. »Ich werde mich in diesem Fall überwinden. Du hast den Text übersetzen können?«

»Es ist weniger ein Text als vielmehr ein mentales Diorama. Sehr vertrackt.«

»Informativ?«

»Es ist nur eine Lebensgeschichte«, sagte ESCHER. Savoire spürte, wie sich ein Hauch von Widerwille in ihm regte über diese herablassende Bemerkung der Parapositronik. Was weiß sie schon vom Leben? »Wie lange werden wir noch unterwegs sein bis GLOIN TRAITOR?«

»Die Fähre sagt elf Stunden.«

»Dann möchte ich mir dieses Leben anhören. Oder ansehen.«

»Ich kann die Periodische Chronik nicht restlos nach außen projizieren«, sagte ESCHER. »Aber wenn du dich in die Hyperdim-Matrix bequemst, kann ich sie dir präsentieren.«

»Und ich?«, fragte Isokrain.

»Du hältst Wache«, sagte Savoire. »Wenn ich aus der Chronik etwas von Belang erfahre, erhältst du umgehend Nachricht.«

Der Kosmitter aus dem Volk der Insk-Karew beugte seinen Kopf so weit vor, dass die Spitzen seiner Fühler beinahe Savoires Stirn berührten.