my_cover_image

image

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas.wuv · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

A. Francke Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden

Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol

vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Martin Hailer

Religionsphilosophie

Vandenhoeck & Ruprecht

Prof. Dr. Martin Hailer, geboren 1965 in München, Studium der evangelischen Theologie und Philosophie, Promotion zum Dr. theol. 1997 an der Universität Heidelberg, 1999 Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Habilitation für Systematische Theologie an der Universität Erlangen 2003, Heisenberg-Stipendium der DFG 2007. Nach Stationen an den Universitäten Bayreuth, Basel, Lüneburg und Erlangen, seit 2011 Professor für Evangelische Theologie und ihre Didaktik mit Schwerpunkt Systematische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.
www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Satz: Ruhrstadt Medien AG, Castrop-Rauxel
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Ulm

UTB-Band-Nr. 4183

ISBN 978-3-8252-4183-4

Wolfgang Schoberth
mit Dank und in Freundschaft
gewidmet

Inhalt

Vorwort

Teil I. Grundbedingung der Religionsphilosophie: Der entzogene Grund

1. Wonach fragt die Religionsphilosophie?

2. Den entzogenen Grund denken

3. Negative Theologie

Zwischenbemerkung nach Teil I

Teil II. Dem entzogenen Grund nach denken: Themenfelder der Religionsphilosophie

4. Gottesbeweise

5. Religionstheorien

6. Gott und das Leid

7. Neuer und klassischer Atheismus

8. Argumente für Gottes Existenz in einer wissenschaftsbestimmten Welt

9. Die Vielfalt der Religionen

Teil III. Gibt es Wissen vom entzogenen Grund?

10. Negative Theologie und die eigentümliche Rationalität der Religion

11. Die Wahrheitsansprüche von Gottesbezug und Religion

Anhang

1. Allgemeine Hinweise zu Literatur und Zitierweise

2. Lehrbücher und Gesamtdarstellungen

3. Nachschlagewerke

4. Weiterführende Literatur zu den einzelnen Kapiteln

Vorwort

Gott und Religion geben zu denken. Deshalb gibt es Religionsphilosophie. Sie ist nicht die einzige denkerische Disziplin, die sich auf Gott und Religion bezieht, aber sie ist diejenige, die sagt, es lohnte vom Standort der Vernunft aus sich mit diesen Phänomenen zu befassen – nicht nur, aber auch, weil es ja immerhin sein könnte, dass die Vernunft selbst von diesem Unternehmen nicht unberührt bleibt.

Der vorliegende Band unternimmt eine entsprechende Erkundung. In Teil I wird nach der Konturierung dessen, was Religionsphilosophie überhaupt sein könnte, das Projekt der Negativen Theologie als ihr zeitgemäßer Kern vorgestellt. In Teil II werden an seinem Leitfaden maßgebliche Felder der Religionsphilosophie diskutiert. Teil III kehrt zur Konzeption als solcher zurück und erwägt angesichts dieser Themenfülle ihre Risiken und Chancen.

Das Buch hat einführenden Charakter: Fachleute werden wenig neue Informationen in ihm finden, auch hatte ich bei der Niederschrift beständig studentische Leserinnen und Leser vor Augen. Dennoch ist es programmatisch angelegt: Eine religionsphilosophische Konzeption wird vorgestellt und argumentativ beworben, weshalb das Buch im Gegensatz zu ›Glauben und Wissen‹ (Göttingen 2006) einen gänzlich systematischen Aufriss hat. Dass sich dem älteren Band gegenüber manche Einschätzung geändert hat und neue Einsichten dazu kamen, verbuche ich durchaus nicht als Nachteil.

Mein herzlicher Dank gilt denen, die mich in den Jahren der Planung und in den Monaten der Niederschrift unterstützten: Lektor Jörg Persch vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hat das Projekt angeregt und begleitete es über die lange Entstehungszeit mit genauso eherner wie liebenswürdiger Geduld; die studentischen Hilfskräfte Nele Heinrich (Lüneburg) und Hannah Schwier (Heidelberg) unterstützten mich vielfältig; meine Frau Brigitte Gallé ertrug nicht nur manche räumliche und mentale Abwesenheit, sondern ›rächte‹ sich dafür auch noch durch besonders gründliches Aufspüren von Tippfehlern und stilistischem Unsinn – verbleibende Fehler und Unklarheiten gehen jedoch allein auf mein Konto. Unter den Gesprächspartnern nenne ich dankbar die Mitglieder der systematisch-theologischen Sozietät an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, genauso die Kollegen Erwin Dirscherl (Regensburg), Joachim Weinhardt (Karlsruhe) und Mirko Wischke (Heidelberg/Berlin). Das gilt a fortiori für den Widmungsträger, dessen Assistent ich fünf Jahre lang war und mit dem mich eine Freundschaft weit über die gemeinsame Faszination durch die Religionsphilosophie hinaus verbindet.

Heidelberg, im April 2014

Martin Hailer

Teil I:
Grundbedingung der Religionsphilosophie: Der entzogene Grund

1. Wonach fragt die Religionsphilosophie?

Aristoteles, Metaphysik, 2 Bd., Hamburg 31991 und 31989; ders., Politik, Reinbek 1994; ders., Über die Teile der Lebewesen, Berlin 2007; ders., Über die Seele, Hamburg 1995; E. Feil, Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation, 4 Bd., Göttingen 1986–2006; G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 3 Bd., Frankfurt/M. 1986; M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 161986; K. Jaspers, Philosophie, 3 Bd., Berlin u.a. 41973; I. Kant, Logik, in: Werke III, hg. von W. Weischedel, Darmstadt 1983, 417– 582; L.B. Puntel, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, Darmstadt 2009; R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München Nachdruck 1991; F.D.E. Schleiermacher, Dialektik, hg. von R. Odebrecht, Nachdruck Darmstadt 1976; ders., Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, hg. von R. Otto, Göttingen 82002; P. Tillich, Auf der Grenze, Leipzig 1962; Wahrheitstheorien. Eine Auswahl aus der Diskussion über Wahrheit im 20. Jahrhundert, hg. von G. Skirbekk, Frankfurt/M. 21980.

Vor etlichen Jahren saß ich an der Konzeption meiner Habilitationsschrift. Eine Freundin, die sich zur gleichen Zeit in Chemie habilitierte, fragte bei einem Treffen, wie die Dinge bei mir denn so stünden. Ich hatte etwa ein Jahr des intensiven Lesens, Suchens und Fragens hinter mir, in dem ich nicht selten verzagt war. Erst ganz langsam begann ich Land zu sehen. Deshalb antwortete ich auf ihre Frage mit einem Stoßseufzer der Erleichterung: »Ich beginne, an die Möglichkeit der Fragestellung zu glauben.« Selten habe ich ein so verdutztes Gesicht gesehen wie ihres in diesem Augenblick. Dass man nach einem Jahr täglich vielstündiger Arbeit es als Glück empfinden kann, langsam den Themenbereich zu sehen, um den es gehen könnte, war für die Denkwelt der versierten Naturwissenschaftlerin völlig fremd. Sie hatte buchstäblich nach wenigen Tagen gewusst, welches chemische Problem sie bearbeiten wollte und welche hoch komplexen Geräte und Methoden sie dafür würde verwenden müssen. Geplagt haben wir uns mit unseren jeweiligen Arbeiten nachher beide weidlich, und in einer Reihe von Gesprächen die sehr unterschiedliche Fächerkulturen in der Naturwissenschaft einerseits und in Theologie und Philosophie andererseits erkundet.

Von diesen unterschiedlichen Fächerkulturen wird weiter unten im Kapitel über Theologie und Naturwissenschaft noch die Rede sein müssen. Ich erzähle die Episode hier nicht, weil sie für meinen damaligen und auch heutigen Arbeitsstil typisch ist – es könnte sich ja um eine nicht eben empfehlenswerte persönliche Marotte handeln. Mit dem Satz »Ich beginne an die Möglichkeit der Fragestellung zu glauben« zeigt sich vielmehr etwas, was für die Religionsphilosophie insgesamt kennzeichnend ist: Was Gegenstand religionsphilosophischer Fragen sein kann, erschließt sich so gut wie nie selbstverständlich. Man muss sich, wie Martin Heidegger (1889–1976) einmal gesagt hat, vielmehr geduldig um die »Freilegung des Horizonts« der wirklich interessanten Fragen kümmern. (Heidegger 15) Für diesen eigentümlichen Umstand gibt es mehrere Gründe. Sie haben sowohl mit dem Frageinstrument zu tun, also der Behauptung, hier werde philosophisch gefragt, als auch mit dem Gegenstand der Religionsphilosophie, der mit dem eigentümlichen Begriff ›Religion‹ allenfalls grob umrissen ist. Der Begriff ist sogar so umstritten und unklar, dass den damit verbundenen Diskussionen in diesem Band ein eigenes Kapitel gewidmet werden muss. Hier geht es in einer ersten Annäherung um die beiden Phänomene Frageinstrument und Gegenstand.

a) Philosophisch denken

Zunächst also zur Behauptung, es handle sich um eine philosophische Disziplin. Was ist damit gemeint und was tun Menschen, von denen man sagt, sie philosophierten? Erste Annäherungen fallen mitunter leicht amüsiert aus: Philosophen und Philosophinnen sind Angehörige einer brotlosen Kunst, so dass die Chance von einem oder einer von ihnen in einer Universitätsstadt im Taxi gefahren zu werden, ziemlich hoch ist. Das liegt daran, dass sie sich für Dinge interessieren, die eigentlich keine Dinge sind und die mit dem, was Menschen brauchen und womit sie tagtäglich umgehen, nichts zu tun haben. Philosophen interessieren sich für alte und uralte Bücher, von denen sie behaupten, dass sie dennoch nicht veralteten und sie freuen sich daran, auf diesen großen Bücherstapel noch weitere Bände derselben Art aufzuschichten. Wer einmal einen philosophischen Kongress besucht hat, wird feststellen, dass diese Schilderung nicht weiter übertrieben ist. Warum also bringt Philosophie Menschen dieses Schlages zusammen? Und vor allem: Warum finden sie es gut, so zu sein und so zu arbeiten? Zwei Hauptgründe lassen sich benennen, um diese nur scheinbar weltfremde Faszination zu verstehen:

In der Philosophie gelten die Prüfkriterien ›wahr‹, ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹

Alle vorgetragenen Argumente müssen sich an diesen Prüfkriterien messen lassen – und nur an ihnen. Damit ist zunächst gesagt, dass Philosophie eine Denkdisziplin ist, die mit möglichst wenigen und möglichst allgemeinen Voraussetzungen auskommen will. Niemand kann – und das ist quer durch alle Lager Konsens – ohne Voraussetzung denken. In der Philosophie gilt nun, dass diese Voraussetzungen benannt werden müssen und mehr noch, dass sie den strengen Allgemeinheitskriterien ›wahr‹, ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹ zu genügen haben. Das mag selbstverständlich klingen, aber es schließt einige wohl vertraute Denkweisen aus. So gilt zum Beispiel nichts nur deshalb, weil es immer schon gegolten hat, also aus Tradition, und sei die Tradition noch so vertraut und lieb geworden. Auch gilt nichts nur deshalb, weil Menschen es einmal so beschlossen haben, etwa ein Gesetzgeber oder eine verfassungsgebende Versammlung – auch dann, wenn man das Gesetzbuch oder die Verfassung für gelungen hält. Erst recht gilt nichts nur deshalb, weil jemand den Anspruch erhebt, es sei ihm von Gott offenbart worden oder auf eine andere Weise als höhere Wahrheit zuteil geworden, und diese Weise stünde nur ihm oder wenigen zur Verfügung. Tradition also, Behauptung/Setzung und Offenbarungsanspruch sind klassische Argumentationsfiguren, mit denen die Philosophie immer wieder zu tun hat, deren Gültigkeit sie jedoch bestreitet. Am Ende einer philosophischen Prüfung kann herauskommen, dass etwas, was traditionell gilt, vom Gesetzgeber so beschlossen wurde oder von einer Religion als Wahrheit verkündet wird, tatsächlich wahr ist; allerdings darf das nicht vorausgesetzt werden, soll es sich tatsächlich um eine philosophische Prüfung von Argumenten handeln.

Diese Bestimmung mag man für einigermaßen selbstverständlich halten, und in einer Gesellschaft und Diskussionskultur, die sich aufgeklärt nennt, ist das auch gut so – wenn schon nicht jeden Tag, so doch als kritischer Ruf zur Sache. Die Hintergründigkeit zeigt sich dann, wenn man sich folgendes klarmacht: ›Wahr‹, ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹ sind Kriterien, die selbst in ihrer Bedeutung umstritten sind. Beim Kriterium ›wahr‹ etwa verhält es sich so: Recht viele sagen, eine Aussage sei dann wahr, wenn sie mit dem Gegenstand übereinstimmt, den sie abzubilden behauptet. Dieses Verständnis von Wahrheit, die Korrespondenztheorie, geht auf Aristoteles (384–322 v.Chr.) zurück und dürfte im allgemeinen Bewusstsein recht weit verbreitet sein, so weit sogar, dass viele Zeitgenossen kaum auf eine andere Idee kommen würden als diese: Wahre Aussagen bilden Wirklichkeit ab, falsche tun dies eben nicht.

Freilich kann man mit guten Gründen auch anders denken. Sie zeigen sich, wenn man die Korrespondenztheorie näher unter die Lupe nimmt: Damit für sie ein Satz wahr ist, muss irgendeine Verbindung zwischen dem Satz und der von ihm beschriebenen Wirklichkeit vorhanden sein, er muss mit angebbaren Gründen auf diese Wirklichkeit bezogen werden können. Wenn es etwa um die Beschreibung eines Hauses geht, das jemand sieht, dann ist ja klar, dass die Sätze, mit denen das Haus beschrieben wird, das Haus nicht einfach abfotografieren oder abmalen. Im Lauf der Entwicklung der Sprache, die der Beschreibende verwendet, kam es vielmehr dazu, dass die Sprecher dieser Sprache Wörter und Sätze auf gleiche Weise verwendeten und so vereinbarten, wie ihre Sprache funktionieren soll. Wer mit Worten ein Haus beschreibt, hat es also nicht nur mit der Korrespondenz seiner Beschreibung an die Sache zu tun, sondern mit einem Beschreibungsinstrument, in dem sehr viel Herkommen, Entwicklung und Vereinbarung enthalten ist. Dieses Moment der Vereinbarung spielt in einer weiteren Wahrheitstheorie die Schlüsselrolle, in der Konsenstheorie der Wahrheit. Nach ihr darf das als wahr gelten, was unter fairen Bedingungen von allen an der Wahrheitssuche Beteiligten als wahr ausgemacht wird. Reine Konsenstheorien der Wahrheit fragen skeptisch, ob man den Bezug von Beschreibung zur Sache, den die Korrespondenztheorie behauptet, jemals ohne Beimengungen bekommt. Sie schauen deshalb besonders gründlich auf diese Beimengungen und erklären, sie seien das wahrheitstheoretisch eigentlich Interessante.

Es gibt noch weitere Wahrheitstheorien. Mit der konsenstheoretischen ist etwa die Kohärenztheorie der Wahrheit verwandt, nach der eine Aussage dann als wahr gelten kann, wenn sie zu anderen, bereits als wahr erkannten Behauptungen passt und also das Netz der wahren Aussagen entweder vergrößert oder aber verdichtet. – Auf eine vollständige Nennung oder gar Beschreibung der Wahrheitstheorien – in sich ein weites und, je näher man hinsieht, sehr komplexes Feld – kommt es hier nicht an. (Skirbekk, Puntel) Vielmehr sollte gezeigt werden: Das vorgeblich Selbstverständliche, man solle wahr, wirklich und sinnvoll reden, zeigt, wenn man nur etwas genauer hinsieht, wie wenig selbstverständlich es ist. Durch eine kleine Überlegung findet man sich unversehens im Getümmel der Wahrheitstheorien. Ein solcher Effekt ist für den Charakter philosophischer Probleme typisch. Es war wiederum Aristoteles, der gesagt hat, dass der Anfang der Philosophie im sich-Verwundern bestehe. (Metaphysik 1, 13)

Bislang sollte klar sein, dass philosophisches Denken sich strenge Allgemeinheitskriterien vorschreibt. Gedanken, die auf anderen Wegen entstehen, müssen deswegen nicht falsch sein, sind aber diesen Prüfkriterien zu unterwerfen. Auf besondere Weise ›typisch philosophisch‹ ist, dass der Blick auf die Prüfkriterien selber Klärungsbedarf hervorbringt. Es ist eben nicht einfachhin klar, was ›wahr‹ heißt. Nicht anders steht es mit ›wirklich‹ und ›sinnvoll‹. Die Diskussionsfelder, die sich bei Analyse dieser Prüfkriterien auftun, sind eher noch weiter und unübersichtlicher. – Freilich sind mit diesen ersten Überlegungen vor allem formale Gedanken geäußert worden: Wie man es eben anstellt, philosophisch zu denken. Höchstens implizit ging es bislang um die Frage, was man denn in den Blick nimmt, wenn man philosophisch denkt.

Philosophie hat es mit Gegenständen zu tun, die von Fachwissenschaften nicht in den Blick genommen werden können, die für die Fachwissenschaften und für Menschen überhaupt aber wichtig sind Um diese – absichtlich vorsichtige – Bestimmung des Inhalts philosophischer Gedanken plausibel zu machen, soll ein Blick auf die Philosophiegeschichte geworfen werden. Rückblicke dieser Art sind weithin üblich, aber man sollte immer dazu sagen, zu welchem gegenwärtigen Zweck sie geschehen, denn Gedanken sollen in ihrer Jetztgestalt den Zeitgenossen einleuchten und sich nicht hinter einem Panzer ideengeschichtlicher Informationen verbergen. Hier bietet sich der Rückgang an, der noch einmal zu Aristoteles führt. Denn der Blick auf sein riesenhaftes Werk fördert Titel zu Tage, die ›typisch philosophisch‹ klingen, so gibt es etwa zwei Werke zur Ethik und – sein wohl bekanntestes – die 14 Bücher der Metaphysik. Andere hingegen klingen für heutige Ohren nicht eben philosophisch, die umfangreiche ›Physik‹ etwa oder ›Die Teile der Tiere‹, eine Art systematischer Biologie, ferner die ›Dichtkunst‹, die unter anderem eine Theorie des Dramas enthält. Für diese drei gibt es seit langem etablierte Einzelwissenschaften und man trifft heute keinen Philosophen mehr, der die Arbeit der systematischen Biologie besser machen will als ein Biologe. Man kann noch eine dritte Gruppe ausmachen, die vielleicht eine Zwischenstellung zwischen den ersten beiden ausmachen, so etwa die ›Politik‹ oder ›Über die Seele‹. An dieser dritten Gruppe lässt sich in erster Näherung zeigen, was ein philosophisches Problem inhaltlich ausmacht.

Wir kennen die wissenschaftlichen Disziplinen der Politikwissenschaft und der Psychologie. Aber nicht wenige Menschen, die sich mit der einen oder anderen befassen, stellen sich die Frage, ob die jeweilige Wissenschaft denn alles sagen kann, was für den Themenbereich nötig ist. So ist es in der Politikwissenschaft etwa üblich, die Geschichte und die Veränderung der Parteienlandschaft zu beobachten, verschiedene parlamentarische Systeme zu vergleichen, Wahlprozesse zu beobachten oder den Einfluss zivilgesellschaftlicher Gruppen auf politisches Entscheidungsverhalten zu analysieren. In diesen und anderen Themenbereichen der Politikwissenschaft muss sich auskennen, wer politisch mitreden will, schlicht, weil er sonst ein Dilettant ist. Aber von einem verantwortlichen Politiker und/oder politischen Analysten erwartet man mit gutem Grund mehr: So muss er etwa benennen können, was er für gerecht hält, wenn es um die Verteilung von Einkommen oder von Steuerlasten geht. Er muss eine Vorstellung davon haben, was Mündigkeit ist, wenn es ans Wahlrecht geht und zum Beispiel das Wahlalter der Bürger/innen thematisiert wird. Er muss sogar zu besonders kniffligen Fragen Stellung nehmen können, wann menschliches Leben eigentlich beginnt und endet, wenn es um die gesetzliche Regelung der medizinischen Forschung geht. ›Was ist gerecht?‹, ›was ist mündig?‹, ›wann beginnt das menschliche Leben?‹ – das sind Fragen, die mit den historischen und empirischen Methoden der Politikwissenschaft nicht beantwortet werden können und die doch für verantwortliche Politik ganz unumgänglich sind. Und hier zeigt sich, gleichsam an den Rändern einer etablierten universitären Wissenschaft, der Bedarf an Aufklärung zu Themen, mit denen sie zu tun hat, die sie mit ihren eigenen Mitteln aber nicht bearbeiten kann. Bei den hier rasch angetippten Beispielen geht es um Fragen, die in der philosophischen Ethik und der philosophischen Anthropologie verhandelt werden. Sie kommen mitten aus dem politischen Geschäft und führen doch vor das, was kein Geringerer als Immanuel Kant (1724–1804) als zwei der vier philosophischen Grundfragen benannte: Wie soll ich handeln?, und: Was ist der Mensch? Die beiden anderen heißen nach Kant: Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? (Kant 448) – Man braucht nicht viel Phantasie, um im politischen Handeln auch den Bedarf an Aufklärung in Betreff dieser Fragen zu entdecken.

Aus dem Alltagsgeschäft einer etablierten universitären Disziplin ragt also der Bedarf an philosophischer Aufklärung gleichsam heraus. Das lässt sich für andere universitäre Disziplinen ebenso zeigen. Die bereits angesprochene Psychologie etwa hat unsere Kenntnisse über menschliches Verhalten und Reagieren enorm erweitert. Das aber tat sie um den Preis, von der ›Seele‹ eben nicht mehr zu reden. Es ist für wissenschaftliche Psychologie sinnvoll, ja unabdingbar, an diesem Punkt sparsam zu sein, weil sie sonst ihre empirischen Befunde gar nicht erheben kann. Aber die auf den Gedanken der Seele bezogene Frage ›was ist der Mensch?‹ muss sie dafür unbeantwortet sein lassen. Diese Frage freilich verstummt dadurch nicht.

So zeigt der Blick auf die verschiedenen Werkgruppen des Aristoteles: Er interessierte sich teils für Bereiche, für die sich mit guten Gründen wissenschaftliche Einzeldisziplinen entwickelten. Bei anderen, wie den hier angesprochenen Politik und Psychologie war das nur teilweise der Fall: Gerade weil die heutigen Wissenschaften auf ihren Gebieten einen so enormen Wissenszuwachs erzeugten, setzen sie den Bedarf an Fragen aus sich heraus, die sie nicht selbst beantworten können. Bei der zuerst genannten Werkgruppe des Aristoteles stehen diese Fragen gleichsam besonders rein vor uns: Die Frage nach dem rechten Handeln etwa – Gegenstand der Ethik – ist für viele andere Disziplinen und Lebensbereiche relevant, als sie selbst aber ist sie eine philosophische Frage.

In den Grenzlagen der etablierten Disziplinen und über sie hinaus also zeigen sich die philosophischen Probleme. Es ist eine weiterführende Frage, ob man eine Sammlung aller philosophischen Probleme in ihrer Zuordnung versuchen kann. Zu manchen Zeiten herrschte diesbezüglich ziemlicher Optimismus, so etwa in den dominierenden Debatten des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Die entsprechende Form einer solchen Darstellung aller philosophischen Probleme galt der Zuordnungsleistung und Vollständigkeit wegen als System der Philosophie. Denker sehr verschiedener Richtung legten Werke dieser Art vor, so etwa Georg W.F. Hegel (1770–1831) die ›Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‹ und Karl Jaspers (1883–1969) seine ›Philosophie‹, jeweils in drei Bänden. Heute überwiegt weithin die Skepsis, ob Vollständigkeit an Themen und an innerer Systematisierung überhaupt möglich ist. Weil philosophische Themen als Grenzlagen des Denkens auftauchen, ist es wahrscheinlicher, dass sie nicht in ein vollständiges System gefasst werden können. Sie haben vielmehr etwas Anarchisches und Störendes, das etablierte Diskurse unterbricht.

b) Religionsphilosophisch denken

Der Ort der Religionsphilosophie auf der Grenze

Nach diesen vorläufigen Bestimmungen zum Frageinstrument Philosophie muss es jetzt darum gehen, was eigentlich in der Religionsphilosophie thematisiert wird. Dass es sich um Themen handeln sollte, die im Rahmen anderer Disziplinen auftauchen, von ihnen aber nicht adäquat bearbeitet werden können, sollte so weit klar sein. Welche genau es aber sein könnten, ist nicht leicht auszumachen. Man kann dem näher kommen indem man zunächst eine Abgrenzung vornimmt: Religionsphilosophie behandelt Themen, die auch von anderen Disziplinen behandelt werden, aber sie tut dies auf spezifisch philosophische Weise, die im letzten Abschnitt umrissen wurde. Diese anderen Disziplinen sind:

Religionssoziologie: Hier geht es um Religion als gesellschaftliches Phänomen. Wie sind Religionen beschreibbar, wenn man ihre Vergesellschaftungsformen analysiert und wenn man fragt, welche Funktion(en) sie innerhalb einer Gesellschaft ausüben? Bis auf sehr wenige Ausnahmen bilden alle Religionen Gemeinschaftsformen aus, bilden religionsspezifische Rollen und Riten aus, haben Institutionen, Gebäude usw. Die Religionssoziologie konzentriert sich ausschließlich hierauf. Nicht ganz selten hat religionssoziologische Literatur einen säkularistischen und religionskritischen Grundton, der aus der Geschichte der Disziplin erklärbar ist. Arbeiten von Rang erliegen ihm nicht einfach, sondern vermögen ihn kritisch zu reflektieren.

Religionspsychologie: ›Religiös sein‹ oder ›glauben‹ hat auf die eine oder andere Weise mit dem Erleben einzelner Menschen zu tun. Religionspsychologie erforscht dies Erleben. Sie fragt nach typischen Erfahrungsinhalten, sie nimmt die Entwicklung des Erlebens im Verlauf des Lebens in den Blick und sie fragt gelegentlich auch, ob sich die individuellen Erfahrungsgehalte bei unterschiedlichen Religionen vergleichen lassen. Dabei ist die Religionspsychologie eine empirische Wissenschaft, die also aus einer gewissen Distanz beobachtet und beschreibt. Immer wieder greifen sowohl Verteidiger der Religion als auch ihre Gegner zu religionspsychologischen Erkenntnissen, das aber ist bereits eine Indienstnahme, die den rein beschreibenden Zugang verlässt.

Eine gewisse Parallele dazu weist eine neue Disziplin auf, die unter dem Namen Neurotheologie bekannt wurde: Ihr geht es darum, diejenigen Gehirnaktivitäten namhaft zu machen, die bei Menschen vorliegen, die religiös empfinden. Irreführend ist der Name deshalb, weil es oft nicht um Theologie – also um die Selbstbeschreibung eines Glaubens, s.u. – geht, sondern um Religionskritik, denn mit dem Aufweis von Neuronenaktivitäten bei religiösen Empfindungen geht häufig die Behauptung einher, die religiöse Empfindung beruhe nur auf dieser Aktivität und Gott sei also eine Erfindung des Gehirns. Dieser Anspruch wird weiter unten im Kapitel über den Neuen Atheismus diskutiert.

Religionswissenschaft: Religionen sind für diese Wissenschaft Gegenstände wie es z.B. die Geschichte für die Geschichtswissenschaft ist. Sie sind Objekte, die aus der Distanz dessen beschrieben werden, der ihnen nicht angehört, der aber gleichwohl verstehen will, wie sie funktionieren. Sie bildet, auch in historischer Perspektive, den weitesten Rahmen der bislang benannten Disziplinen. Ihre Methoden sind größtenteils historisch, häufig auch philologisch, weil zur Kenntnis einer Religion immer die Kenntnis ihrer normativen Texte in der jeweiligen Ursprache gehört. Häufig arbeiten Religionswissenschaftler auch religionsvergleichend, wenn sie z.B. Parallelen zwischen dem Mönchtum im Buddhismus und dem im Christentum herausarbeiten. Entscheidend ist bei der großen Vielfalt von Methoden und möglichen Gegenständen jedoch, dass es sich um eine Außenperspektive auf den jeweiligen Gegenstand handelt. Erwägungen, die vor allem in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts angestellt wurden, ob Religionswissenschaft nicht die Theologie aller Religionen zusammen sei, werden heute ganz überwiegend nicht mehr geteilt.

Theologie: Wer sie betreibt, befindet sich in der Innenperspektive einer Religion. Die Wahrheitsbehauptungen der Religion werden erforscht, erklärt, dargestellt und verteidigt. Das kann durchaus in kritischer Perspektive stattfinden, so ist ein christlicher Theologe durchaus nicht gesonnen, alles, was z.B. kirchenleitende Persönlichkeiten sagen, einfach zu übernehmen. Seine Loyalität gilt dem, was er als Grundlage der Religion erkannt hat. Für das Gespräch mit der Religionsphilosophie ist aus christlicher Perspektive besonders die systematische Theologie wichtig: Im engen Austausch mit anderen theologischen Disziplinen – besonders mit den biblischen Theologien und der historischen Theologie – erklärt sie die Grundwahrheiten des Christentums in ihrem Zusammenhang und erläutert sie so, dass Kirche und Theologie als kritische gegenwärtige Gesprächspartner auftreten können.

Religionsphilosophie ist keine dieser Disziplinen. Vielmehr befasst sie sich mit Themen der Religion im Rahmen der im letzten Abschnitt kurz entwickelten Leitlinien. Sie beansprucht strenge Allgemeinheit für ihre Überlegungen und sie nimmt aus dem großen Themenpool ›Religion‹ das wahr, was für andere mit Religion befasste Disziplinen wichtig ist, ohne dass diese es im Rahmen ihrer eigenen Voraussetzungen adäquat erfassen könnten. Verwirrenderweise gibt es dabei aber immer wieder Überschneidungen und Überlappungen: So ist etwa der Weg von einer religionssoziologischen Entdeckung zu der Behauptung, das sage etwas über die Wahrheit von Religion, mitunter sehr kurz. Wer aber an die Beobachtung eines gesellschaftlichen Zustands eine Erörterung über die Wahrheit von Religion anschließt, hat von der beobachtenden Perspektive des Soziologen bereits in den Modus dessen gewechselt, der sich angesichts von Religion die Wahrheitsfrage vorlegt.

Diese Perspektive – etwas, was eine Religion sagt oder das ›Ganze‹ der Religion sei wahr oder falsch – ist ein Modus des Sprechens, der von den hier angesprochenen Disziplinen streng genommen nur Theologie und Religionsphilosophie zukommt. Religionswissenschaft beschreibt Bräuche, heilige Texte, Riten oder andere Aspekte von Religionen – aber sie tut das mit dem Pathos der Distanz, als beschreibende und erforschende Disziplin, die von außen herzutritt. Dass das mit größter Sprach- und Sachkenntnis einhergehen sollte, ist dazu kein Widerspruch. Beobachten aber und bekennendes Teilnehmen sind zweierlei. Das gilt auch dann, wenn die Beobachtung durch intensives Hereingehen, Mitleben und Teilhabe an den sozialen Vollzügen der beobachteten Religion erfolgt. Entscheidend ist letztlich die Perspektive, aus der betrachtet wird, und hier ist die Grenze zwischen der beobachtenden Perspektive und der des bekennenden Mitvollzugs zwar immer wieder verwischt worden, aber letztlich doch immer zu erkennen. Ähnliches gilt für Religionssoziologie und -psychologie auch.

Damit lässt sich der eigentümliche Ort der Religionsphilosophie noch etwas besser bestimmen, und zwar durch eine doppelte Entgegensetzung: Im Gegensatz zu Religionssoziologie, Religionspsychologie und Religionswissenschaft ist sie keine beobachtende Disziplin, sondern erhebt explizite Wahrheitsansprüche in Sachen Religion. Im Gegensatz zur Theologie aber tut sie das nicht aus der bezeugenden Perspektive einer Religion, sondern mit den strengen Allgemeinheitskriterien der Philosophie. Dies ist der eigentümliche Ort der Religionsphilosophie, und man kann ihn durchaus als einen Zwischenzustand oder als einen Ort auf der Grenze beschreiben. Nach Paul Tillich (1886– 1965) ist die Grenze freilich der fruchtbare Ort der Erkenntnis.

Um was geht es in der Religionsphilosophie: rationale Theologie oder Philosophie der Religion?

Auch hier dürfte sich die Grenze als der fruchtbare Ort der Erkenntnis erweisen. Diesmal ist es allerdings nicht die Grenze zwischen Disziplinen, sondern die zwischen zwei großen Traditionen innerhalb der Religionsphilosophie selbst. Denn was in ihr überhaupt zum Gegenstand werden kann und soll, ist umstritten. Auf die Frage hätte ein Großteil der europäischen Tradition – einschließlich klangvollster Namen – mit wenig Zögern geantwortet: Gegenstand der Religionsphilosophie ist Gott. Gott ist das höchste, absolute Wesen, allwissend, allmächtig, einzig, in sich einfach, unveränderlich und perfekt. Die Aufgabe der Religionsphilosophie ist, das mögliche Wissen von diesem höchsten Wesen zu eruieren, gegen Einwände zu verteidigen und darzustellen. Das kann sehr verschiedene Formen annehmen, die miteinander kräftig im Streit stehen, so etwa die, ob Religionsphilosophie nicht über Götter (im Plural) zu sprechen hätte und nicht nur über die Vermutung, es gebe letztlich nur ein höchstes Wesen. Einigkeit aber bestand und besteht darin: Letztlich hat die Religionsphilosophie einen erhabenen, höchsten und letzten Gegenstand.

Für diese Position stehen weite Teile des Denkens der Antike, so etwa die auf Platon und auf Aristoteles zurückgehenden Traditionen samt ihrer Adaptionen im jüdischen, christlichen und muslimischen Denken. Thomas von Aquin (1225–1274) zählt ebenso dazu wie eine ganze Reihe prominenter evangelischer Denker im und nach dem Reformationsjahrhundert. Aber auch danach und nach dem schneidenden Einspruch der Aufklärungsepoche (dazu mehr gleich und in Kap. 4) wurde und wird das Programm einer philosophischen Theorie des höchsten Wesens vertreten. Der allerwichtigste Name aus jüngerer Zeit ist Georg W.F. Hegel, es gibt die Programmatik aber nahezu gleichwertig bei denen, die sich auf ihn beziehen wie bei seinen geschworenen Gegnern. Bei denkbar größten Unterschieden in Programmatik und Durchführung eint diese Gruppe von Denkern die Überzeugung: Es ist möglich und geraten, mit den Mitteln der Philosophie das höchste, umfassende und unanschauliche Wesen zu beschreiben oder sich ihm – seiner Unfassbarkeit eingedenk – doch mindestens begrifflich oder metaphorisch zu nähern. Dafür hat sich der Name der rationalen Theologie eingebürgert. Religionsphilosophien mit Nähe zum Christentum verwenden sie in aller Regel, um die Sache des christlichen Glaubens plausibel zu machen, freilich gibt es auch rationale Theologen, die einen allgemeinen philosophischen Gottesbegriff gerade als Kritik am christlichen Gotteskonzept entwickeln, dem sie zum Beispiel Engstirnigkeit, Fanatismus oder wunderliche Sonderlehren vorhalten, wie zum Beispiel die Behauptung, Gott sei in sich drei-einig.

Rationale Theologie kann auf eine überaus beeindruckende Geschichte verweisen, sie hat gegenwärtig jedoch eine namhafte Gegenposition. Theoretiker/innen, die rationale Theologie vertreten, beginnen ihre Ausführungen auch sehr häufig mit einer Rechtfertigung, warum etwas dieser Art überhaupt möglich sein soll. Das ist ein recht deutlicher Hinweis auf das konkurrierende Gegenkonzept und darauf, dass dieses offenbar gute Gründe für sich zu haben scheint. Dies Gegenkonzept behauptet: Es ist aus prinzipiellen Gründen unmöglich, eine Theorie über Gott aufzustellen oder eine, die sich Gott – wie vorsichtig auch immer – nähert. Das liegt maßgeblich daran, dass Gott, wenn er denn Gott ist, dem menschlichen Begreifen entzogen sein muss. Eine Theorie über etwas, was man nicht begreifen kann, ist aber ein aussichtsloses, oder schärfer noch: ein sinnloses Unterfangen. So hat, aufs Allerkürzeste gesagt, Immanuel Kant der bis dahin gängigen rationalen Theologie das Lebenslicht ausgeblasen. Das Resultat war jedoch nicht Schweigen oder das Ende der Religionsphilosophie als Disziplin. In einer Wendung, die man durchaus als epochal bezeichnen kann, kam die Alternative zum Zuge, die seither und wohl auch in der Gegenwart das dominantere Muster darstellt: Gegenstand der Religionsphilosophie ist nicht Gott, sondern vielmehr der Mensch, weil und sofern er religiös ist. Religion, Religionen, Religiosität, religiöse Erfahrungen und Gefühle – all das lässt sich durchaus beschreiben. Das ist der erste und bahnbrechende Vorteil einer Philosophie der Religion gegenüber einer rationalen Theologie. Dazu kommt, dass Religion/Religiosität (usw.) ein über sich hinaus weisendes Moment hat: Ein Mensch jüdischen Glaubens etwa unterstellt, wenn er betet, dass es Gott gibt. Genauso behauptet jemand, der sich in mystischer Versenkung übt, dass es das ›etwas‹, worin er sich versenkt, tatsächlich gibt, obwohl es begrifflich nicht zugänglich ist. Die Reihe der Beispiele lässt sich leicht vermehren. Sie zeigt: Eine Philosophie der Religion hat die Chance, die indirekte Mitteilung, über das, was direkt nicht zugänglich ist, einzuüben. Nicht nur, aber vor allem aus diesem Grund, sind Religionsphilosophien der Gegenwart in ihrer überwiegenden Zahl als Philosophien der Religion konzipiert.

Der Gründervater dieses Typs der Religionsphilosophie ist Friedrich D.E. Schleiermacher (1768–1834). In seinen epochalen ›Reden über die Religion‹ (1799) entwarf er eine Theorie der religiösen Erfahrung und provozierte das theologische Establishment mit dem Satz: »Gott ist nicht alles in der Religion.« (Schleiermacher 2002, 99) In seinem reifen Werk ist das Verhältnis von Religiosität und Gotteskonzept ausbalancierter als in den ›Reden‹, was vor allem an Schleiermachers systematischer Philosophie, der ›Dialektik‹ zu studieren ist. (Schleiermacher 1976, 297–314) Von bis heute enormer Wirksamkeit ist ein Buch, das sich teilweise auf Schleiermacher bezieht, Rudolf Ottos ›Das Heilige‹ von 1917. Otto entwirft eine Idee der religiösen Erfahrung und rekurriert dafür auf den Begriff des Numinosen. Sein Buch ist das wahrscheinlich meistgelesene Werk aus Theologie und Religionswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ernst Feil legte umfangreiche Studien zur Begriffsgeschichte von ›Religion‹ vor, in der er die zum Teil dramatischen Bedeutungswandel des Begriffs nachzeichnet. (Feil Bd. 1–4)

Beide Typen von Religionsphilosophie partizipieren auf je ihre Weise an demselben Grundproblem: Gibt es eine Instanz über die Welt hinaus – die im jüdisch, christlich und muslimisch inspirierten Denken gewöhnlich ›Gott‹ genannt wird –, so muss sie eben auch über unser Begreifenkönnen hinaus sein. Eine Philosophie der Religion, die sich der Technik der indirekten Mitteilung bedienen kann, scheint hier gegenüber einer rationalen Theologie im Vorteil zu sein. Im Fortgang der Argumentation möchte ich zeigen, dass es gleichwohl falsch wäre, allein den Weg einer Philosophie der Religion zu gehen. Das Motiv der rationalen Theologie ist für eine im jüdisch-christlichen (und recht vermutlich auch im muslimischen) Kulturkreis angesiedelte Religionsphilosophie zu achten, auch wenn man sich genau Rechenschaft ablegen muss, wie mit der genannten Grundschwierigkeit umzugehen ist. Eine Philosophie der Religion allein steht demgegenüber in der Gefahr des Anthropozentrismus und der inhaltlichen Verengung, also der Konzentration auf Möglichkeiten menschlicher Erfahrung allein, die den Zielpunkt der indirekten Mitteilung aus dem Blick verlieren.

2. Den entzogenen Grund denken

I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in: Werke Bd. IV, Darmstadt 1983, 103–302; ders. Kritik der reinen Vernunft, Werke Bd. II, Darmstadt 1985; Platon, Phaidros, in: Werke Bd. 5, bearb. von D. Kurz, Darmstadt Neudruck 2001, 1–193; ders., Politeia (Der Staat), Werke Bd. 4, bearb. von D. Kurz, Darmstadt Neudruck 2001; J. Rawls, Geschichte der Moralphilosophie. Hume – Leibniz – Kant – Hegel, Frankfurt/M. 2002. L. Wittgenstein, Tractatus, Logico-Philosophicus, in: Werkausgabe Bd. 1, Frankfurt/M. 51989, 7–85; ders., Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben, Frankfurt/M. 22001.

In diesem Kapitel kommen große Vertreter der rationalen Theologie zu Wort. Sie werden daraufhin befragt, wie sie mit der Grundschwierigkeit umgehen, einen ›Gegenstand‹ denken zu wollen, der ein Gegenstand doch nicht sein kann. Es gehört zu den hermeneutischen Selbstverständlichkeiten, anzunehmen, dass ein Autor von Rang etwas, was man als Problem empfindet, selbst eher und deutlicher sah. Der amerikanische Ethiker John Rawls nannte das den Grundsatz, »daß die Autoren, die wir studierten, viel gescheiter gewesen waren als ich selbst. Wären sie es nicht gewesen, warum hätte ich dann meine eigene Zeit (…) mit ihrer Lektüre vergeuden sollen?« (Rawls 17f) Wissend, dass die Lektüre dieser Originale gewiss keinerlei Zeitvergeudung ist, folgt hier der Blick auf drei charakteristisch unterschiedliche Weisen, mit der Grundschwierigkeit der rationalen Theologie umzugehen.

a) Platon: Das blendende Licht und die Macht der Bilder

Eines der bekanntesten Stücke aus dem Werk Platons (428–348 v.Chr.) ist das sogenannte Höhlengleichnis. Es ist neben dem Seelenmythos (Phaidros 246a–247e) der Textausschnitt aus Platons Werk, in dem die Grundschwierigkeit der rationalen Theologie in besonders dichter und für ihn besonders typischer Weise behandelt wird. Der Kontext der Argumentation ist in etwa folgender: Sokrates und seine Gesprächspartner beraten in umfangreichen Erörterungen, wie ein ideales Gemeinwesen aussehen könnte. Eine Kernfrage dabei ist, ob der ideale Staat eine Verpflichtung zur Wahrheit hat. Staaten, so könnte man ja durchaus meinen, haben dies nicht: In ihnen gilt das, was das Gemeinwesen leidlich funktionieren lässt und worauf die Bürgerinnen und Bürger sich einigen. In Demokratien etwa geht es nicht um ›Wahrheit‹, sondern um politisches Funktionieren und den guten Kompromiss innerhalb bestimmter grundrechtlicher Grenzen. Das freilich, so Sokrates und seine Freunde, soll im idealen Staat nicht so sein (entsprechend kritisch sieht er die Demokratie: Politeia 555b–562a). Die Gesetze und Ideale sollen vielmehr von denjenigen Menschen festgelegt werden, die sich nicht nach der jeweiligen kurzlebigen Mode mal so und mal so verhalten, sondern die »das, was immer/ewig sich gleich bleibt, erfassen können«. (Pol 484b) Diese Menschengruppe aber sind die Philosophen. Das muss gegen einen gewissen modephilosophischen Trend derjenigen gesagt werden, die Philosophie mit gut ankommender Rhetorik verwechseln (nichts übrigens, was es nur zur Zeit Platons gegeben hätte!), auch ist das Erkenntnisstreben eines Philosophen durchaus gefährdet. (Pol 490d–495b) Ist das aber geklärt, so kann man sagen: Ein von Philosophen eingerichteter Staat wird nicht nach bloßer Tradition oder nach gerade vorhandenen Machtkonstellationen leben. Die Philosophen werden vielmehr daran gehen, ihn nach Maßgabe des »natürlicherweise Gerechten, Guten und Besonnenen« einzurichten. (Pol 501b) Wer einen philosophisch geführten Staat möchte, muss also akzeptieren, dass er nur von denen geleitet wird, die in besonderer Weise befähigt sind. Er/sie bekommt dafür aber die Garantie, dass dieser Staat auf den Wahrheiten der Gerechtigkeit, des Guten und der klugen Abwägung aufruht.

Der nächste große Gedankenschritt fragt, worin diese Wahrheiten denn nun bestünden. Eine verzweigte und auch auf andere Dialoge Platons ausgedehnte Argumentation bringt an den Tag, dass das Konzept des ›Guten‹ der wichtigste Wahrheitsbesitz ist, den jemand haben kann. Die einfachste Begründung dafür geht so: Man muss sich nur vorstellen, von einem Gegenstand alle Exemplare zu besitzen, die es überhaupt gibt, gleich ob es sich um eine Süßigkeit handelt, eine CD oder einen Tisch. Wüsste der Besitzer all dieser Dinge nicht, welches oder welche davon gut sind, dann hätte er nur einen unübersehbaren Berg an Dingen, aber er hätte im Wortsinne nichts, was zu besitzen sich lohnt. Aus diesem Grund ist die Fähigkeit, aus dem unüberblickbaren Heer von Gütern diejenigen herausfinden zu können, die ›gut‹ genannt zu werden verdienen, die herausragendste aller Eigenschaften. (Pol 505a–b)

Was das Gute nun näherhin ist und wie man zu ihm gelangt, muss offenbar der Kern der Erörterung sein. Hier nimmt das in der Politeia berichtete Gespräch eine eigentümliche Wendung. Die diskursive und traditionskritische Erörterung der langen Abschnitte zuvor wandelt sich zu einer Reihe von drei Gleichnissen, dem Sonnengleichnis, dem Liniengleichnis und eben dem wohlbekannten Höhlengleichnis. Die ersten beiden (Pol 506b–511e) gehören in die Erörterung dessen, was das Gute an sich ausmacht, das Höhlengleichnis baut hierauf auf, fokussiert aber auf diejenigen, die sich die Erkenntnis des Guten zur Lebensaufgabe machen, also auf die Philosophen. Es erzählt folgendes:

Ganz normale Menschen meinen, dass sie es in ihrem ganz normalen Leben mit realen Dingen und Weltzuständen zu tun haben. Das ist jedoch ein Irrtum, denn sie sehen nur flüchtige Schatten. Die Menschen sind, entgegen ihrer Annahme, nämlich wie gefesselte Gefangene in einer Höhle. Was sie für die realen Gegenstände halten, sind Schatten, die an eine Wand in der Höhle projiziert werden, indem jemand außerhalb der Höhle Gegenstände vorbeiträgt und ein ebenfalls außerhalb brennendes Feuer jene Schatten erzeugt. Da niemand diese Höhle verlässt, ist die Einigkeit über die Realität dessen, was doch nur Schatten sind, komplett. Nun könnte es aber sein, dass jemandem die Fesseln abgenommen würden und er gezwungen würde, sich der Lichtquelle zuzuwenden. Das ist für diesen Menschen freilich keine Erleichterung oder Befreiung, sondern zunächst eine große Irritation, weil die Selbstverständlichkeit dessen, was für real gehalten werden darf, damit durchbrochen wird. Dieser Einzelne wird nun mit Gewalt aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und aus der Höhle geführt. Er muss einen unwegsamen und steilen Aufgang nehmen, bis er ganz ans Licht der Sonne kommt. Erst allmählich gewöhnen sich seine Augen an dieses Licht. Er sieht die Schatten, die die anderen Menschen für Realität halten, die anderen Dinge, schließlich sogar das, was am Himmel ist und den Himmel selbst. Es ist ihm sogar vergönnt, die Sonne zu sehen und »er wird es schon schaffen, herauszufinden dass sie Zeiten und Jahre hervorbringt und allem im sichtbaren Raum die Ordnung gibt und auch von dem, was dort sichtbar ist, die Ursache ist.« (Pol 516b–c) Da er dies erkannt hat, bemerkt er, wie vollständig die anderen Menschen irren, die darum wetteifern, das am besten zu erkennen und für real zu halten, was doch nur Schatten sind. Kehrt derjenige, dem es vergönnt war, die Sonne zu sehen, wieder in die Höhle zurück, so wird ihm dort vorgehalten werden, dass er sich die Augen verdorben habe und dass es nicht lohnt, diesen beschwerlichen und irritierenden Aufstieg zu unternehmen. Mehr noch: Jeden, der einem diese irritierenden Erkenntnisse antun will, muss man fangen und umbringen. (Pol 514a–517a)

Dieses Gleichnis gibt vielfach Auskunft, selbst dann, wenn wir uns nur auf die Aspekte konzentrieren, die es zur Grundschwierigkeit der rationalen Theologie beisteuert, das Undenkbare denken zu wollen. Folgendes ist hier mindestens zu nennen: (1) Es ist radikal unwahrscheinlich, den höchsten aller Gegenstände überhaupt zu Gesicht zu bekommen, weil man sich dafür von tief eingewurzelten Vorstellungen über das, was wirklich ist, befreien muss. Genauer: Man muss davon befreit werdendes Philosophen