435 |
Aber indessen fuhr Eidothea tief in des Meeres
Weiten Busen, und trug vier Robbenfelle von dannen, Welche sie frisch abzog; und entwarf die Täuschung des Vaters. Jedem höhlete sie ein Lager im Sande des Meeres, Saß und erwartete uns. Sobald wir die Göttin erreichten, |
440 |
Legte sie uns nach der Reih’, und hüllte jedem ein Fell um.
Wahrlich die Lauer bekam uns fürchterlich! Bis zum Ersticken Quält’ uns der tranichte Dunst der meergemästeten Robben! Denn wer ruhte wohl gerne bei Ungeheuern des Meeres? Aber die Göttin ersann zu unserer Rettung ein Labsal: |
445 |
Denn sie strich uns allen Ambrosia unter die Nasen,
Dessen lieblicher Duft des Tranes Gerüche vertilgte. Also lauerten wir den ganzen Morgen geduldig. Scharweis kamen die Robben nun aus dem Wasser, und legten Nach der Reihe sich hin am rauschenden Ufer des Meeres. |
450 |
Aber am Mittag kam der göttliche Greis aus dem Wasser,
Ging bei den feisten Robben umher, und zählte sie alle. Also zählt’ er auch uns für Ungeheuer, und dachte Gar an keinen Betrug; dann legt’ er sich selber zu ihnen. Plötzlich fuhren wir auf mit Geschrei, und schlangen die Hände |
455 |
Schnell um den Greis; doch dieser vergaß der betrüglichen Kunst nicht.
Erstlich ward er ein Leu mit fürchterlich wallender Mähne, Drauf ein Pardel, ein bläulicher Drach’, und ein zürnender Eber, Floß dann als Wasser dahin, und rauscht’ als Baum in den Wolken. Aber wir hielten ihn fest mit unerschrockener Seele. |
460 |
Als nun der zaubernde Greis ermüdete sich zu verwandeln,
Da begann er selber mich anzureden, und fragte: Welcher unter den Göttern, Atreide, gab dir den Anschlag, Daß du mit Hinterlist mich Fliehenden fängst? Was bedarfst du? Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte: |
465 |
Alter, du weißt es, (warum verstellst du dich, dieses zu fragen?)
Daß ich so lang’ auf dieser Insel verweil’, und nirgends ein Ausweg Aus dem Jammer sich zeigt, da das Herz den Genossen entschwindet! Drum verkündige mir, die Götter wissen ja alles! Wer der Unsterblichen hält mich hier auf, und hindert die Reise? |
470 |
Und wie gelang ich heim auf dem fischdurchwimmelten Meere?
Also sprach ich; der Greis antwortete wieder, und sagte: Aber du solltest auch Zeus und den andern unsterblichen Göttern Opfern, als du die Schiffe bestiegst, damit du geschwinder Deine Heimat erreichtest, die dunkle Woge durchsteuernd! |
475 |
Denn dir verbeut das Schicksal, die Deinigen wieder zu sehen
Und dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde, Bis du wieder zurück zu des himmelernährten Ägyptos Wassern segelst, und dort mit heiligen Hekatomben Sühnst der Unsterblichen Zorn, die den weiten Himmel bewohnen: |
480 |
Dann verleihn dir die Götter die Heimfahrt, welche du wünschest.
Also sagte der Greis. Mir brach das Herz vor Betrübnis, Weil er mir wieder befahl, auf dem dunkelwogenden Meere Nach dem Ägyptos zu schiffen, die weite gefährliche Reise. Aber ich faßte mich doch, und gab ihm dieses zur Antwort: |
485 |
Göttlicher Greis, ich will ausrichten, was du befiehlest, Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit: Sind die Danaer all’ unbeschädigt wiedergekehret, Welche Nestor und ich beim Scheiden in Troja verließen? Oder ward einer im Schiffe vom bittern Verderben ereilet, |
490 |
Oder den Freunden im Arme, nachdem er den Krieg vollendet?
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte: Warum fragst du mich das, Sohn Atreus’? Du mußt nicht alles Wissen, noch meine Gedanken erforschen! Du möchtest nicht lange Dich der Tränen enthalten, wenn du das alles erführest! |
495 |
Siehe, gefallen sind viele davon, und viele noch übrig;
Aber nur zween Heerführer der erzgepanzerten Griechen Raffte die Heimfahrt hin; in der Feldschlacht warest du selber. Einer der Lebenden wird im weiten Meere gehalten. Ajas versank in die See mit den langberuderten Schiffen. |
500 |
Anfangs rettete zwar den Scheiternden Poseidaon
Aus den Fluten des Meers an die großen gyräischen Felsen. Dort wär’ Athenens Feind dem verderbenden Schicksal entronnen, Hätte der Lästerer nicht voll Übermutes geprahlet, Daß er den Göttern zum Trotz den stürmenden Wogen entflöhe. |
505 |
Aber Poseidon vernahm die stolzen Worte des Prahlers,
Und ergriff mit der nervichten Faust den gewaltigen Dreizack, Schlug den gyräischen Fels; und er spaltete schnell voneinander. Eine der Trümmern blieb, die andre stürzt’ in die Fluten, Wo der Achaier saß, und die Gotteslästerung ausstieß; |
510 |
Und er versank ins unendliche hochaufwogende Weltmeer.
So fand Ajas den Tod, ersäuft von der salzigen Welle. Zwar dein Bruder entfloh der schrecklichen Rache der Göttin Samt den gebogenen Schiffen; ihn schützte die mächtige Here. Aber als er sich jetzo dem Vorgebirge Maleia |
515 |
Näherte, rafft’ ihn der wirbelnde Sturm und schleuderte plötzlich
Ihn, den Jammernden, weit in das fischdurchwimmelte Weltmeer, An die äußerste Küste, allwo vor Zeiten Thyestes Hatte gewohnt, und jetzo Thyestes’ Sohn Ägisthos. Aber ihm schien auch hier die Heimfahrt glücklich zu enden; |
520 |
Denn die Götter wandten den Sturm, und trieben ihn heimwärts.
Freudig sprang er vom Schiff ans vaterländische Ufer, Küßt’ und umarmte sein Land, und heiße Tränen entstürzten Seiner Wange, vor Freude, die Heimat wieder zu sehen. Ihn erblickte der Wächter auf einer erhabenen Warte, |
525 |
Von Ägisthos bestellt, der zwei Talente des Goldes
Ihm zum Lohne versprach. Ein Jahr lang hielt er schon Wache, Daß er nicht heimlich käm’, und stürmende Tapferkeit übte. Eilend lief er zur Burg, und brachte dem Könige Botschaft; Und Ägisthos gedachte sogleich des schlauen Betruges. |
530 |
Zwanzig tapfere Männer erlas er im Volk, und verbarg sie;
Auf der anderen Seite gebot er, ein Mahl zu bereiten. Jetzo ging er, und lud Agamemnon, den Hirten der Völker, Prangend mit Rossen und Wagen, sein Herz voll arger Entwürfe; Führte den nichts argwöhnenden Mann ins Haus, und erschlug ihn |
535 |
Unter den Freuden des Mahls: so erschlägt man den Stier an der Krippe!
Keiner entrann dem Tode vom ganzen Gefolg’ Agamemnons, Und von Ägisthos keiner; sie stürzten im blutigen Saale. Also sagte der Greis. Mir brach das Herz vor Betrübnis: Weinend saß ich im Sande des Meers, und wünschte nicht länger |
540 |
Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.
Aber als ich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert, Da erhub er die Stimme, der graue untrügliche Meergott: Weine nicht immerdar, Sohn Atreus’, hemme die Tränen; Denn wir können damit nichts bessern! Aber versuche |
545 |
Jetzt, aufs eiligste wieder dein Vaterland zu erreichen.
Jenen findest du noch lebendig, oder Orestes Tötet ihn schon vor dir: dann kommst du vielleicht zum Begräbnis. Also sprach er, und stärkte mein edles Herz in dem Busen, So bekümmert ich war, durch seine frohe Verheißung. |
550 |
Und ich redet’ ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Dieser Schicksal weiß ich nunmehr. Doch nenne den Dritten, Welchen man noch lebendig im weiten Meere zurückhält, Oder auch tot. Verschweige mir nicht die traurige Botschaft! Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte: |
555 |
Das ist der Sohn Laertes, der Ithakas Fluren bewohnet.
Ihn sah ich auf der Insel die bittersten Tränen vergießen, In dem Hause der Nymphe Kalypso, die mit Gewalt ihn Hält; und er sehnt sich umsonst nach seiner heimischen Insel; Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern, |
560 |
Über den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten.
Aber dir bestimmt, o Geliebter von Zeus, Menelaos, Nicht das Schicksal den Tod in der rossenährenden Argos; Sondern die Götter führen dich einst an die Enden der Erde, In die elysische Flur, wo der bräunliche Held Radamanthus |
565 |
Wohnt, und ruhiges Leben die Menschen immer beseligt:
(Dort ist kein Schnee, kein Winterorkan; kein gießender Regen; Ewig wehn die Gesäusel des leiseatmenden Westes, Welche der Ocean sendet, die Menschen sanft zu kühlen:) Weil du Helena hast, und Zeus als Eidam dich ehret. |
570 |
Also sprach er, und sprang in des Meeres hochwallende Woge. Aber ich ging zu den Schiffen mit meinen tapfern Genossen, Schweigend, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele. Als wir jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten, Da bereiteten wir das Mahl. Die ambrosische Nacht kam; |
575 |
Und wir lagerten uns ans rauschenden Ufer des Meeres.
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte, Zogen wir erst die Schiffe hinab in die heilige Meersflut, Stellten die Masten empor, und spannten die schwellenden Segel, Traten dann selber ins Schiff, und setzten uns hin auf die Bänke, |
580 |
Saßen in Reihn, und schlugen die graue Woge mit Rudern.
Und ich fuhr zum Strome des himmelgenährten Ägyptos, Landete dort, und brachte den Göttern heilige Opfer. Und nachdem ich den Zorn der unsterblichen Götter gesühnet, Häuft’ ich ein Grabmal auf, Agamemnon zum ewigen Nachruhm. |
585 |
Als ich dieses vollbracht, entschifften wir. Günstige Winde
Sandten mir jetzo die Götter, und führten mich schnell zu der Heimat. Aber ich bitte dich, Lieber, verweil in meinem Palaste, Bis der elfte der Tage vorbei ist, oder der zwölfte. Alsdann send’ ich dich heim, und schenke dir köstliche Gaben: |
590 |
Drei der mutigsten Rosse, und einen prächtigen Wagen;
Auch ein schönes Gefäß, damit du den ewigen Göttern Opfer gießest, und dich beständig meiner erinnerst. Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen: Atreus’ Sohn, berede mich nicht, hier länger zu bleiben. |
595 |
Denn ich säße mit Freuden bei dir ein ganzes Jahr lang,
Ohne mich jemals heim nach meinen Eltern zu sehnen: Siehe mit solchem Entzücken erfüllt mich deine Erzählung Und dein Gespräch! Allein unwillig harren die Freunde In der göttlichen Pylos; und du verweilst mich noch länger. |
600 |
Hast du mir ein Geschenk bestimmt, so sei es ein Kleinod.
Rosse nützen mir nicht in Ithaka; darum behalte Selber diese zur Pracht: du beherrschest flache Gefilde, Überwachsen mit Klee und würzeduftendem Galgan, Und mit Weizen und Spelt und weißer fruchtbarer Gerste. |
605 |
Aber in Ithaka fehlt es an weiten Ebnen und Wiesen;
Ziegen nährt sie: doch lieb’ ich sie nicht, als irgend ein Roßland. Keine der Inseln im Meer’ ist mutigen Rossen zur Laufbahn Oder zur Weide bequem, und Ithaka minder als alle. Lächelnd hörte den Jüngling der Rufer im Streit Menelaos, |
610 |
Faßte Telemachos Hand, und sprach mit freundlicher Stimme:
Edles Geblütes bist du, mein Sohn; das zeuget die Rede! Gerne will ich dir denn die Geschenke verändern; ich kann’s ja! Von den Schätzen, soviel ich in meinem Hause bewahre, Geb’ ich dir zum Geschenk das schönste und köstlichste Kleinod: |
615 |
Gebe dir einen Kelch von künstlicherhobener Arbeit,
Aus geläutertem Silber, gefaßt mit goldenem Rande; Und ein Werk von Hephästos! Ihn gab der Sidonier König Phädimos mir, der Held, der einst in seinem Palaste Mich Heimkehrenden pflegte. Den will ich jetzo dir schenken. |
620 |
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Aber die Köche gingen ins Haus des göttlichen Königs, Führeten Ziegen und Schaf’, und trugen stärkende Weine. Ihre Weiber, geschmückt mit Schleiern, brachten Gebacknes. Also bereiteten sie im hohen Saale die Mahlzeit. |
625 |
Aber vor dem Palast Odysseus’ schwärmten die Freier, Und belustigten sich, die Scheib’ und die Lanze zu werfen, Auf dem geebneten Platz, wo sie sonst Mutwillen verübten. Nur Antinoos saß und Eurymachos, göttlich von Ansehn, Beide Häupter der Freier, und ihre tapfersten Helden. |
630 |
Aber Phronios’ Sohn Noemon nahte sich ihnen,
Redet’ Antinoos an, den Sohn Eupeithes, und fragte: Ist es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen, Ob Telemachos bald aus der sandigen Pylos zurückkehrt? Mir gehöret das Schiff, und jetzo brauch’ ich es selber, |
635 |
Nach den Auen von Älis hinüber zu fahren. Es weiden
Dort zwölf Stuten für mich, mit jungen lastbaren Mäulern: Davon möcht’ ich mir eins abholen, und zähmen zur Arbeit. Sprach’s; da erstaunten die Freier, daß er die Reise vollendet Zur neleischen Pylos: sie glaubten, er wär’ auf dem Lande, |
640 |
Wo ihn die weidende Herd’ erfreute, oder der Sauhirt.
Und Eupeithes’ Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort: Sage mir ohne Falsch: Wann reist’ er? Welche Genossen Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige oder Gedungne, Und leibeigene Knechte? Wie konnt’ er doch dieses vollenden! |
645 |
Dann erzähle mir auch aufrichtig, damit ich es wisse:
Brauchte der Jüngling Gewalt, dir das schwarze Schiff zu entreißen; Oder gabst du es ihm gutwillig, als er dich ansprach? Aber Phronios’ Sohn Noemon sagte dagegen: Selber gab ich es ihm! Wie würd’ ein anderer handeln, |
650 |
Wenn ihn ein solcher Mann, mit so bekümmertem Herzen,
Bäte? Es wäre ja schwer, ihm seine Bitte zu weigern! Aber die Jünglinge waren die Tapfersten unseres Volkes, Die ihm folgten; es ging mit diesen, als Führer des Schiffes, Mentor, oder ein Gott, der jenem gleich an Gestalt war. |
655 |
Aber das wundert mich: ich sah den trefflichen Mentor
Gestern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Pylos! Also sprach Noemon, und ging zum Hause des Vaters. Aber den beiden wühlte der Schmerz in der stolzen Seele. Und die Freier verließen ihr Spiel, und setzten sich nieder. |
660 |
Aber Eupeithes’ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung,
Glühend vor Zorn; ihm schwoll von schwarzer strömender Galle Hoch die Brust, und den Augen entfunkelte strahlendes Feuer: Wahrlich ein großes Werk hat Telemachos kühnlich vollendet! Diese Reise! Wir dachten, er würde sie nimmer vollenden; |
665 |
Und trotz allen entwischt er, der junge Knabe, wie spielend,
Rüstet ein Schiff, und wählt sich die tapfersten Männer im Volke! Der verspricht uns hinfort erst Unheil! Aber ihm tilge Zeus die mutige Kraft, bevor er uns Schaden bereitet! Auf! und gebt mir ein rüstiges Schiff und zwanzig Gefährten, |
670 |
Daß ich dem Reisenden selbst auflaure, wann er zurückkehrt,
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos; Daß die Fahrt nach dem Vater ein jämmerlich Ende gewinne! Also sprach er; sie lobten ihn all’, und reizten ihn stärker, Standen dann auf, und gingen ins Haus des edlen Odysseus. |
675 |
Penelopeia blieb nicht lang’ unkundig des Rates, Welchen die Freier jetzt in tückischer Seele beschlossen. Denn ihr verkündete Medon, der Herold, welcher den Ratschluß Außer dem Hause belauscht, als jene sich drinnen besprachen. Schnell durcheilt’ er die Burg, und brachte der Königin Botschaft. |
680 |
Als er die Schwelle betrat, da fragt’ ihn Penelopeia:
Herold, sage, warum dich die stolzen Freier gesendet! Etwa daß du den Mägden des hohen Odysseus befehlest, Von der Arbeit zu ruhn, und ihnen das Mahl zu bereiten? Möchten die trotzigen Freier sich niemals wieder versammeln, |
685 |
Sondern ihr letztes Mahl, ihr letztes! heute genießen!
Die ihr hier täglich in Scharen das große Vermögen hinabschlingt, Alle Güter des klugen Telemachos! Habt ihr denn niemals, Als ihr noch Kinder war’t, von euren Vätern gehöret, Wie sich gegen sein Volk Odysseus immer betragen, |
690 |
Wie er keinem sein Recht durch Taten oder durch Worte
Jemals gekränkt? da sonst der mächtigen Könige Brauch ist, Daß sie einige Menschen verfolgen, und andre hervorziehn? Aber nie hat Odysseus nach blindem Dünkel gerichtet; Und ihr zeiget euch ganz in eurer bösen Gesinnung, |
695 |
Da ihr mit Undank nun so viel Wohltaten vergeltet!
Ihr antwortete drauf der gute verständige Medon: Königin, wäre doch dieses von allen das äußerste Übel! Aber ein größeres noch und weit furchtbareres Unglück Hegen die Freier im Sinne, das Zeus Kronion verhüte! |
700 |
Deinen Telemachos trachten sie jetzt mit dem Schwerte zu töten,
Wenn er zur Heimat kehrt. Er forscht nach Kunde vom Vater In der heiligen Pylos, und Lakedämon der großen. Sprach’s; und Penelopeien erzitterten Herz und Kniee. Lange vermochte sie nicht, ein Wort zu reden; die Augen |
705 |
Wurden mit Tränen erfüllt, und atmend stockte die Stimme.
Endlich erholte sie sich, und gab ihm dieses zur Antwort: Sage mir, Herold, warum mein Sohn denn reiset! Was zwingt ihn Sich auf die hurtigen Schiffe zu setzen, auf welchen die Männer, Wie mit Rossen des Meers, das große Wasser durcheilen? |
710 |
Will er, daß auch sein Name vertilgt sei unter den Menschen?
Ihr antwortete drauf der gute verständige Medon: Fürstin, ich weiß es nicht, ob ihn ein Himmlischer antrieb, Oder sein eigenes Herz, nach Pylos zu schiffen, um Kundschaft Von dem Vater zu suchen, der Heimkehr oder des Todes. |
715 |
Als er dieses gesagt, durcheilt’ er die Wohnung Odysseus. Seelenangst umströmte die Königin: ach! sie vermochte Nicht auf den Stühlen zu ruhn, so viel in der Kammer auch waren, Sondern sank auf die Schwelle des schimmerreichen Gemaches Lautwehklagend dahin; und um sie jammerten alle |
720 |
Mägde, jung und alt, so viel im Hause nur waren.
Und mit heftigem Schluchzen begann itzt Penelopeia: O Geliebte, mich wählten vor allen Weibern der Erde, Welche mit mir erwachsen, die Götter zum Ziele des Jammers! Erst verlor ich den tapfern Gemahl, den Löwenbeherzten, |
725 |
Der mit jeglicher Tugend vor allen Achaiern geschmückt war,
Tapfer und weitberühmt von Hellas bis mitten in Argos! Und nun raubten mir meinen geliebten Sohn die Orkane Unberühmt aus dem Haus, und ich hörte nichts von der Abfahrt! Unglückselige Mädchen, wie konntet ihr alle so hart sein, |
730 |
Daß ihr nicht aus dem Bette mich wecktet, da ihr es wußtet,
Als er von hinnen fuhr im schwarzen gebogenen Schiffe! Hätt’ ich es nur gemerkt, daß er die Reise beschlossen; Wahrlich er wäre geblieben, wie sehr auch sein Herz ihn dahintrieb. Oder er hätte mich tot in diesem Hause verlassen! |
735 |
Aber man rufe geschwinde mir meinen Diener, den alten
Dolios, welchen mein Vater mir mitgab, als ich hieherzog, Und der jetzo die Bäume des Gartens hütet; damit er, Hin zu Laertes eilend, ihm dieses alles verkünde! Jener möchte vielleicht sich eines Rates besinnen, |
740 |
Und wehklagend zum Volke hinausgehn, welches nun trachtet,
Sein und des göttlichen Helden Odysseus Geschlecht zu vertilgen! Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia: Liebe Tochter, töte mich gleich mit dem grausamen Erze, Oder laß mich im Haus; ich kann es nicht länger verschweigen! |
745 |
Alles hab’ ich gewußt! Ich gab ihm, was er verlangte,
Speise und süßen Wein. Doch mußt’ ich ihm heilig geloben, Dir nichts eher zu sagen, bevor zwölf Tage vergangen, Oder du ihn vermißtest, und hörtest von seiner Entfernung: Daß du nicht durch Tränen dein schönes Antlitz entstelltest. |
750 |
Aber bade dich jetzo, und leg’ ein reines Gewand an,
Geh hinauf in den Söller mit deinen Mägden, und flehe Pallas Athenen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes. Diese wird ihn gewiß, auch selbst aus dem Tode, erretten! Aber den Greis, den betrübten, betrübe nicht mehr! Unmöglich |
755 |
Ist den seligen Göttern der Same des Arkeisiaden
Ganz verhaßt; ihm bleibt noch jemand, welcher beherrsche Diesen hohen Palast und rings die fetten Gefilde! Also sprach sie, und stillte der Königin weinenden Jammer. Und sie badete sich, und legt’ ein reines Gewand an, |
760 |
Ging hinauf in den Söller, von ihren Mägden begleitet,
Trug die heilige Gerst’ im Korb’, und flehte Athenen: Unbezwungene Tochter des wetterleuchtenden Gottes, Höre mein Flehn: wo dir im Palaste der weise Odysseus Je von Rindern und Schafen die fetten Lenden verbrannt hat, |
765 |
Daß du, dessen gedenkend, den lieben Sohn mir errettest,
Und zerstreuest die Freier voll übermütiger Bosheit! Also flehte sie jammernd; ihr Flehn erhörte die Göttin. Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten Saale. Unter dem Schwarme begann ein übermütiger Jüngling: |
770 |
Sicher bereitet sich jetzo die schöne Fürstin zur Hochzeit, Und denkt nicht an den Tod, der ihrem Sohne bevorsteht! Also sprachen die Freier, und wußten nicht, was geschehn war. Aber Eupeithes’ Sohn Antinoos sprach zur Versammlung: Unglückselige, meidet die übermütigen Reden |
775 |
Allzumal, damit uns im Hause keiner verrate!
Laßt uns jetzo vielmehr so still aufstehen, den Ratschluß Auszuführen, den eben die ganze Versammlung gebilligt! Also sprach er, und wählte sich zwanzig tapfere Männer. Und sie eilten zum rüstigen Schiff am Strande des Meeres: |
780 |
Zogen zuerst das Schiff hinab ins tiefe Gewässer,
Trugen den Mast hinein und die Segel des schwärzlichen Schiffes; Hängten darauf die Ruder in ihre ledernen Wirbel, Alles wie sich’s gebührt, und spannten die schimmernden Segel, Ihre Rüstungen brachten die übermütigen Diener. |
785 |
Und sie stellten das Schiff im hohen Wasser des Hafens,
Stiegen hinein, und nahmen das Mahl, und harrten der Dämmrung. Aber Penelopeia im oberen Söller des Hauses Legte sich hin, nicht Trank noch Speise kostend, bekümmert: Ob ihr trefflicher Sohn entflöhe dem Todesverhängnis, |
790 |
Oder ob ihn die Schar der trotzigen Freier besiegte.
Wie im Getümmel der Männer die zweifelnde Löwin umherblickt, Voller Furcht, denn rings umgeben sie laurende Jäger: Also sann sie voll Angst. Doch sanft umfing sie der Schlummer, Und sie einschlief hinsinkend, es lösten sich alle Gelenke. |
795 |
Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athene: Siehe, ein Luftgebild erschuf sie in weiblicher Schönheit, Gleich Iphthimen, des großgesinnten Ikarios’ Tochter, Deren Gemahl Eumelos die Flur um Pherä beherrschte. Diese sandte die Göttin zum Hause des edlen Odysseus, |
800 |
Daß sie Penelopeia, die Jammernde, Herzlichbetrübte,
Ruhen ließe vom Weinen, und ihrer zagenden Schwermut. Und sie schwebt’ in die Kammer hinein beim Riemen des Schlosses, Neigte sich über das Haupt der ruhenden Fürstin, und sagte: Schläfst du, Penelopeia, du arme Herzlichbetrübte? |
805 |
Wahrlich sie wollen es nicht, die seligen Götter des Himmels,
Daß du weinst und traurest! Denn wiederkehren zur Heimat Soll dein Sohn; er hat sich mit nichts an den Göttern versündigt. Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia, Aus der süßen Betäubung im stillen Tore der Träume: |
810 |
Warum kamst du hieher, o Schwester? Du hast mich ja nimmer Sonst besucht; denn fern ist deine Wohnung von hinnen! Jetzo ermahnst du mich, zu ruhn von meiner Betrübnis, Und von der schrecklichen Angst, die meine Seele belastet: Mich, die den tapfern Gemahl verlor, den Löwenbeherzten, |
815 |
Der mit jeglicher Tugend vor allen Achaiern geschmückt war,
Tapfer und weitberühmt von Hellas bis mitten in Argos! Und nun ging mein Sohn, mein geliebter, im Schiffe von hinnen, Noch unmündig, und ungeübt in Taten und Worten! Diesen bejammre ich jetzt noch mehr, als meinen Odysseus! |
820 |
Diesem erzittert mein Herz, und fürchtet, daß ihn ein Unfall
Treffe, unter dem Volk, wo er hinfährt, oder im Meere! Denn es lauren auf ihn viel böse Menschen, und trachten Ihn zu ermorden, bevor er in seine Heimat zurückkehrt! Und die dunkle Gestalt der Schwester gab ihr zur Antwort: |
825 |
Sei getrost, und entreiße dein Herz der bangen Verzweiflung!
Eine solche Gefährtin begleitet ihn, deren Gesellschaft Andere Männer gewiß gern wünschten, die mächtige Göttin Pallas Athene, die sich, o Traurende, deiner erbarmet! Diese sendet mich jetzo, damit ich dir solches verkünde. |
830 |
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia: Bist du der Göttinnen eine, und hörtest die Stimme der Göttin; O so erzähle mir auch das Schicksal jenes Verfolgten! Lebt er noch irgendwo, das Licht der Sonne noch schauend? Oder ist er schon tot, und in der Schatten Behausung? |
835 |
Und die dunkle Gestalt der Schwester gab ihr zur Antwort: Dieses kann ich dir nicht genau verkünden, ob jener Tot sei, oder noch lebe; und eitles Schwatzen ist unrecht. Also sprach die Gestalt, und verschwand beim Schlosse der Pforte In sanftwehende Luft. Da fuhr Ikarios’ Tochter |
840 |
Schnell aus dem Schlummer empor, und freute sich tief in der Seele,
Daß ihr ein deutender Traum in der Morgendämmrung erschienen. Aber die Freier im Schiffe befuhren die flüssigen Pfade, Um den grausamen Mord Telemachos’ auszuführen. Mitten im Meere liegt ein kleines felsichtes Eiland, |
845 |
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos,
Asteris wird es genannt, wo ein sicherer Hafen die Schiffe Mit zween Armen empfängt. Hier laurten auf ihn die Achaier. |