Buchinfo

Mit einem Schuss, der sich als Fehlzündung einer Vespa entpuppt, landet Laura geradewegs im Paradies. Denn der himmelblaue Roller gehört zwei zwielichtigen, aber sehr charmanten Typen, Guido und Walter. Die drei und die Vespa, die angeblich fliegen kann, lassen sich durch den Tag treiben, baden im Meer, schlafen nachts inmitten einer Blumenwiese … ein verdammt schönes Leben!

Als Laura feststellt, dass sie am liebsten beide Jungs küssen würde und ein brutaler Carabiniere Jagd auf die Freunde macht, bleibt ihnen nur die Flucht aus dem Paradies. Kann die Vespa wirklich fliegen?

Durchgeknallt und dramatisch – ein rasantes Roadmovie

Autorenvita

Christian Klippel

© Alex Güngör

Christian Klippel (* 4. April 1955 in Wittlich) ist ein deutscher Schriftsteller. Seine bekanntesten Werke sind der Bundeswehrroman 456 und der Rest von heute (1979) und der Poproman Barfuß nach Palermo (geschrieben 1985, veröffentlicht 1999).

Klippel wuchs in Heidelberg auf. Nach seinem Wehrdienst ging er 1979 nach Paris, wo er die Arbeit an seinem Debütroman beendete. Es folgte ein Jahr auf Korsika, wo sein zweiter Roman Metro Babylon entstand, der bis auf einen kleinen Auszug unveröffentlicht blieb. Anschließend versuchte Klippel in New York Fuß zu fassen, kehrte allerdings nach drei Monaten wieder zurück. Die nächsten Stationen waren Heidelberg, Berlin, Palermo und Rom bzw. Rocca di Papa, wo er mit seinem zeitweiligen Weggefährten, dem Autor Michael Kleeberg, eine Wohnung teilte. 1984 zog er nach Amsterdam, wo er den Poproman Barfuß nach Palermo beendete und ein ohne Abschluss gebliebenes Studium der Philosophie und Theologie begann. Nach einem zweiten Jahr in Paris als Dolmetscher und Übersetzer kam er Ende 1986 nach Hamburg und wurde Werbetexter.

Titelseite

Für Josefine

ERSTER TEIL Die Kinder von Pozzo Reale

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1

Ich glaube nicht an Wunder.

Eine Vespa ist eine Vespa. Sie kann nicht fliegen. Auch die von Guido nicht. Da kann er viel erzählen. Sie kann vielleicht angefahren kommen, wenn er pfeift. So wie ein Hund. Oder sie kann von ganz allein fahren. Das habe ich schließlich selbst schon gesehen. Aber fliegen? Nee. Das kann sie nicht. Auch wenn er’s tausendmal behauptet. Ich gebe ja zu, dass sie toll ist, seine himmelblaue Vespa. Aber sie ist kein Flugzeug oder so. Sie ist und bleibt ein Motorroller. Na ja, aber das ist so ziemlich das Einzige, wo Guido und ich nicht einer Meinung sind. Mit Walter ist es schon schwerer. Er sieht immer alles ganz anders. Ziemlich extrem. Manchmal glaube ich, es macht ihm Spaß zu streiten. Das kann echt nerven. Aber am Ende vertragen wir uns dann doch wieder. Muss man auch. Wie könnte man sich hier lange böse sein?

Ich würde Walter ja fragen, was er dazu sagt. Aber er liegt im Bett und pennt. Siesta. Ich sitze alleine in der Sonne. Sie scheint mir auf die Schultern. Guido ist mit der Vespa losgefahren. Zum Fischen. Ihr solltet das mal sehen hier. Ihr würdet verstehen, warum keiner von uns wegwill.

Tja, zuerst mal das Haus: Wo Walter schnarcht, ist unser Schlafzimmer. Es ist ein bisschen schräg und klapperig. Oben sind Balken, in denen immer irgendwelche Spinnen nisten. Am Anfang fand ich das eklig. An der Wand hängt ein altes Kreuz. Auf dem Bett liegt eine riesige alte Steppdecke. Sie ist rosa und könnte mal wieder gewaschen werden.

Dann der Garten. Wir haben zwei Kirschbäume. Einer süß und einer sauer. Ein kleines Zitronenbäumchen und zwei Orangenbäume. Und einen Feigenbaum. Den will Guido demnächst abhacken, weil er sich mit seinen Ästen in die alte Mauer neben dem Schuppen krallt. Eines Tages, sagt Guido, sprengt er die ganze Bude auseinander, wenn er so weitermacht. Aber wer einmal von seinen Feigen gekostet hat, der wird verstehen, dass Walter und ich den kleinen Burschen mit allen Mitteln verteidigen.

Das Beste ist unsere Wiese! Nennt mir eine Blume, die ihr kennt. Ich wette, sie wächst hier. Es gibt Kornblumen, Klatschmohn, Tausendschönchen, Mutterkraut, Hahnenfuß, Kuckucksnelken und viele Blümchen, von denen ich nur die italienischen Namen kenne. Millionen von Schmetterlingen flattern um mich herum. Es duftet nach Minze, Basilikum und wildem Knoblauch. Fast alle Kräuter finden wir im Garten, wenn Guido seine berühmten Spaghettisoßen kocht.

Manchmal pflücke ich einen Blumenstrauß und stelle ihn ins Wohnzimmer oder ans Fenster in der Küche. Aber die beiden Jungen interessieren sich nicht dafür. Grünzeug nennen sie das. Sie würden vergessen, die Rosen zu gießen, wenn es mal wieder vier Wochen nicht geregnet hat. Wir haben sogar einen Hund. Er gehört eigentlich nicht uns. Wir haben ihn am Strand gefunden. Weil wir nett zu ihm waren, kommt er uns manchmal besuchen. Er ist auf einem Auge blind. Die Leute im Ort nennen ihn Talpinella. Das heißt kleiner Maulwurf. Wir sagen Avvocato zu ihm. Guido hat ihn so getauft. Es heißt Anwalt, und Guido meint, es passt, weil die Justiz ja auch auf einem Auge blind ist. Sonst hätten sie ihn nicht in den Knast gesteckt.

Ihr seht: Wir haben fast alles. Außer Mamas und Papas, Opas und Tanten.

Guido kommt zurück. Ich höre die Vespa schon knattern. Er stellt den Roller neben den Holzstoß am Schuppen. Dann kommt er auf mich zu.

»Wo ist Walter«, fragt er.

»Pennt«, sage ich.

»Pennt? Um diese Zeit? Er soll aufstehen. Ihr müsst mir helfen.«

»Was ist denn los?«

»Ich habe ihn wieder gesehen.«

Jetzt weiß ich, was als Nächstes kommt: Guidos Riesenkrake.

»Lass mich raten«, sage ich, aber Guido winkt ab.

»Schon gut!«, sagt er ziemlich laut. »Wenn du mir nicht glaubst, komm halt mit runter. Du wirst schon sehen!«

Guidos Problem ist nicht, dass er zu viel Fantasie hat. Aber er hat einfach so viel Scheiße erlebt. Deshalb muss er immer alles besser und größer machen, als es eigentlich ist. Wenn er eine gut genährte Motte sieht, macht er einen Quetzalcoatlus draus. Und wenn er im Wasser was mit Fangarmen findet, dann muss es mindestens ein Monsterkrake sein. Am besten einer, der gestern noch ein halbes Fischerboot mit Mannschaft verdrückt hat.

»Geht’s wieder los?«, sage ich nur.

Guido verdreht genervt die Augen und blafft: »Geht’s wieder los! Geht’s wieder los! Ihr habt doch alle keine Ahnung!« Wütend schüttelt er den Kopf.

»Uaselo …?«, kommt es plötzlich von der Tür.

Walters Stimme hat mich total überrascht. Guido genauso. Walter steht in der Tür und reibt sich die Brillengläser an seinem Unterhemd sauber. Das macht die Gläser nicht gerade durchsichtiger. Seine blonden Haare zeigen in alle Richtungen. Sein »Uaselo« sollte vermutlich. »Was geht los?« heißen.

»Was glotzt ihr?«, fragt Walter und gähnt noch mal. »Wenn ihr aus dem Bett steigt, seht ihr auch nicht besser aus.« Dann sagt er: »Fahren wir doch hin und sehen uns dieses Viech an. Dann hört das Gerede wenigstens mal auf.«

Guido schwingt sich auf die Vespa. Ich setze mich hinter ihn und halte mich an seinem Bauch fest. Walter kommt als Letzter und hält sich an mir fest. So sitzen wir, wenn wir auf Tour gehen. Am Anfang hatte ich Angst, Vespa zu fahren. Aber jetzt kann ich mir einen Tag ohne dieses Kribbeln unterm Hintern gar nicht mehr vorstellen. Der Motor vibriert und das geht durch und durch. Guido lässt den Roller über den Waldweg tanzen. Hier liegen überall Steine und dicke Äste. Wenn er hier zu schnell fährt, fliegen Walter und ich aus dem Sattel. Oder unsere Köpfe knallen aneinander. Einmal ist Walter hinten runtergefallen. Guido hat nichts gemerkt. Ich habe geschrien. Aber der Motor war so laut. Erst unten an der Straßenkurve, wo wir jetzt auch gerade ankommen, hat Guido es gemerkt. Hier gibt es einen uralten Brunnen, wo wir uns immer Wasser holen. Die Steine sind total vermoost. Ein kleiner Frosch lebt seit drei Monaten darin. Aber im Augenblick ist er nicht da. Guido bockt die Vespa am Brunnen auf und spritzt sich das Gesicht voll Wasser. Dann schleudert er mir plötzlich eine Handvoll ins Gesicht.

»Lass das, Spaghettifresser«, schimpfe ich und spucke ihm eine volle Ladung ins Gesicht.

»Was hast du da oben eigentlich getrieben. Ich mein, das Heft, dieses Geschreibsel …«

»Nichts«, sage ich. Guido muss ja nicht wissen, dass ich euch von uns erzähle. Er denkt dann höchstens, ich habe Heimweh und will weg. Das ist natürlich Quatsch. Oder er kriegt es mit der Angst, dass unser Versteck irgendwann auffliegt.

Aber Guido interessiert sich schon für was anderes. Er lauscht in den Wald.

»Hört ihr das? Was ist das? Was kann das sein?«

Jetzt höre ich es auch. Ein seltsames Rumpeln, das immer lauter wird. Plötzlich blitzt es gelb zwischen den Blättern. Dann donnern sie auch schon vorbei: Drei fette Lkws mit Baugeräten und Männern drauf. Auf einem Anhänger steht eine Walze.

»Was haben die vor?«, fragt Guido.

»Ich würde tippen, die bauen was.«

»Schlaumeier. Aber was.«

»Vielleicht ’ne Straße?«

»Super. Dann fahren wir darauf Vespa.«

»Hauptsache, sie lassen unsere Hütte in Ruhe.«

Wir schwingen uns wieder auf den Sattel. Guido lenkt die Vespa geschickt aus dem Wald heraus, wo uns die Nachmittagshitze entgegenschlägt, als würden wir die Köpfe in einen Backofen stecken. Die Straße führt in hundert Kurven runter zum Meer. Hier schaltet Guido den Motor aus. Wir schieben die Vespa auf dem Fußweg zum Wasser. Dann verstecken wir sie im Schatten der Felsen und klettern weiter runter.

Wir haben hier unseren eigenen Badefelsen. Er gehört natürlich nicht wirklich uns. Aber für uns ist es, als ob ihn außer uns niemand kennt. Auf unserem Hausfelsen ziehen wir uns einfach aus und springen ins Wasser. Am Anfang haben wir immer die Unterhosen angelassen. Aber eines Tages hat Guido erklärt, dass es ihm zu doof ist, mit nassen Sachen rumzurennen. Für mich war es zuerst nicht drin, mich vor Guido und Walter auszuziehen. Aber Guido hat gesagt, er interessiere sich sowieso nicht für Mädchen.

Es ist so heiß, dass Guido die Sache mit dem Tintenfisch vergessen hat. Wir auch. Er springt sofort ins Wasser. Ich springe auch rein. Guido taucht, zieht mich an den Beinen und spielt, dass er der Riesenkrake ist. Als er wieder auftaucht, spritze ich ihm einen Schwung Wasser ins Gesicht. Er hustet und prustet. Walter schaut uns von den Klippen aus zu. Er geht fast nie ins Wasser. Als wir genug haben, legen wir uns auf den heißen Felsen. Die Tropfen fallen von unserer Haut auf den Stein und verdunsten in wenigen Minuten. Ich liege so gern auf unserem Felsen mit der Nase auf den Armen. Ich höre das Meer zwischen den Klippen glucksen und rieche das Salz und die Rosmarinsträucher. Guido kramt in seinen Sachen nach einer Zigarette.

»Na, alter Albaner, immer noch Schiss vor Wasser?« Guido spritzt Walter nass und reibt ein Streichholz an der Klippe in Brand.

»Quatsch«, sagt Walter und tritt nach dem Streichholz, als Guido damit seine Zigarette anzünden will.

»Aua. Bist du blöd, Mann? Jetzt hab ich mir wegen dir das Maul verbrannt.«

»Dann lösch es. Aber schnell!«

Walter gibt Guido einen zweiten Tritt. Guido ringt mit dem Gleichgewicht. Er steht auf der Kante der Klippe. Weil er sich nicht mehr halten kann, springt er mit zappelnden Beinen und einem geschraubten Kopfsprung ins Meer. Ziemlich albern. Er taucht wieder auf, zerrt Walter an den Füßen und zieht ihn hinterher. Die beiden raufen im Wasser. Guido hält Walter fest umklammert. Er versucht, ihn zu küssen, Walter wehrt und windet sich. Ich dreh mich um. Das muss ich mir nicht länger ansehen.

Ich schließe kurz die Augen und schaue zur Sonne. Ich mag es, wenn die Lider das Licht rot durchschimmern lassen. Dann mache ich die Augen fester zu und sehe auf einmal dunkelgrüne Flecken. Bis auf Guidos und Walters Planschen ist alles sehr still hier und friedlich. So gefällt mir das Leben. Dann höre ich plötzlich einen Schrei: »Da! Da! Da ist er!«

Es ist Guido. Er zeigt auf eine Stelle im Wasser, was Walter für einen Trick hält. Er taucht Guido unter. Aber Guido kommt wieder hoch und japst: »Der Polyp! Der Krake!«

Wieder verschwindet sein Kopf im Wasser. Eine Weile passiert gar nichts. Ich starre von der Klippe auf die Stelle, wo Guido verschwunden ist. Walter tut dasselbe vom Wasser aus. Eine verdammt lange Zeit passiert nichts. Guidos Körper ist ganz klein da unten in der Tiefe, wo es verdächtig dunkel ist. Dann kommt Guido hoch. Der Polyp hat sich fest um seinen Hals geschlungen. Er ist tatsächlich riesengroß. Mit zwei freien Armen wirbelt er herum und sucht Halt. Sein Schwabbelkörper hängt auf Guidos Kopf und verdeckt sein Gesicht, das dunkelrot ist.

»Hilfe …! Kommt her … helft mir«, presst Guido zwischen den Fangarmen hervor.

Walter krault zu der Stelle, wo Guido den Kraken hochgezogen hat. Oder der Krake Guido. Ich springe auch ins Wasser, weiß aber nicht so recht, was ich tun soll. Schließlich packe ich doch zu und ziehe an einem Arm des Viehs. Der Fangarm schlängelt sich um meinen herum und versucht, Halt zu kriegen. Die Saugnäpfe docken auf meiner Haut an. Das ist so widerlich, dass ich sofort loslasse und meinen Arm in Sicherheit bringe. Zum Glück findet der Krake meine Arme genauso eklig und lässt mich in Ruhe. Walter reißt die Saugnäpfe von Guidos Haut, aber gegen acht Arme gleichzeitig hat er keine Chance.

Plötzlich wird die Bucht von einem gemeinen Gelächter erfüllt.

Ein Gegröle, das wir leider nur zu gut kennen.

»Ha, ha, ha, ha! Schaut euch diese Idioten an! Was habt ihr vor? Treibt ihr’s jetzt schon mit Tintenfischen? Hey, Guido. Bist du sicher, dass es ein Männchen ist?«

Sie fallen fast von der Straße, so biegen sie sich vor Lachen. Es sind Luciano, Franco, Ezio, Paolo und Paola. Und der fiese Glatzkopf Duiglio, der seinen Wanst jetzt zum Wasser bewegt. Alle aus Pozzo Reale. Eigentlich kann man mit ihnen reden. Bloß mit Duiglio nicht. In letzter Zeit hängen alle immer mehr mit ihm rum. Wir haben sie nicht kommen sehen. Wir sind vor Schreck so erstarrt, dass wir das Schwimmen fast vergessen und absaufen. Keiner von uns merkt, dass der Riesentintenfisch abtaucht. Mit einem Blubb ist er im Meer verschwunden.

»Die Schwuchtel, die Schlampe und der Schwatte«, schreit Duiglio. »Hey, kommt raus. Wir wollen euch ein bisschen die Fresse polieren. Gönnt uns den Spaß!«

Er tritt mit dem Fuß nach unseren Sachen. Guidos Hose fällt ins Wasser.

Guido fängt als Erster von uns an zu paddeln. Mit ein paar Zügen ist er am Felsen. Aber er kann nicht hoch, weil Duiglio ihm auf die Hände tritt. Die anderen kramen jetzt ebenfalls in unseren Sachen.

»Ey, die sind nackt.«

»Was erwartest du. Ein Albaner, ein Afrikaner und eine Deutsche.«

»Ich bin Sizilianer, du Schwachkopf«, schreit Guido wütend und kassiert noch einen Tritt auf die Hand. Er flucht leise vor Schmerz, doch dann kriegt er Duiglios Beine zu fassen und zieht sie ihm weg. Duiglio landet mit dem Hinterkopf auf den Steinen. Er brüllt und hält sich den Schädel. Vorsichtshalber schwimmen Guido, Walter und ich ein bisschen vom Ufer weg.

Erst sieht es so aus, als wollten die Typen ins Wasser springen, um uns zu verfolgen. Aber dann werden sie von Paolo aufgehalten.

»Leute, ich hab ’ne Idee …!«

Paolo geht zur Vespa und schraubt den Tank auf. Er dreht Guidos Unterhose zu einem Strick zusammen und taucht sie in den Tank. Dann wringt er die voll gesogene Unterhose über unseren Sachen aus. Paolo zieht ein Feuerzeug aus der Tasche. Paola schaut sich unsicher um und beißt sich auf die Lippe. Sie pustet die Flamme aus. Aber Duiglio ist begeistert. Er reißt Paolo das Feuerzeug aus der Hand und macht es selbst.

»Scheiße!« Guido krault wieder in Richtung Felsen. Zu spät. Es gibt eine Stichflamme.

Unsere Klamotten brennen. In diesem Augenblick pfeift Franco durch die Finger.

Duiglio und die anderen schauen sich um.

»Pirrone«, ruft Franco. Jetzt sehen wir auch schon den Kastenwagen der Carabinieri anrollen. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde – Duiglio und seine Truppe oder Pirrone, den Carabiniere. Wahrscheinlich sieht er die Motorräder der Jungs auf der Straße. Denn der Wagen bremst und hält. Pirrones feister Bauch erscheint oben über den Felsen. Duiglio macht einen Nazigruß und drückt sich an Pirrone vorbei. Der fette Carabiniere hebt auch kurz die Hand, verzieht aber keine Miene. Guido, Walter und ich verstecken uns hinter den Felsen, die zum Meer abfallen. Von da oben kann Pirrone uns nicht sehen.

»Was ist hier los?«, will er wissen.

»Nichts. Gar nichts«, sagen die anderen und steigen auf ihre Räder. Der Carabiniere klettert runter und sieht die Flammen. Er tritt darauf rum. Zum Glück erkennt er nicht, was da brennt. Sonst würde er uns sofort suchen. Aus irgendeinem Grund hat er’s auf uns abgesehen. Jetzt dreht er sich um und will zurück zur Straße. Da passiert es: Er entdeckt die Vespa, kommt zurück und sieht sich misstrauisch um. Auf die Idee, direkt unter seine Füße zu schauen, kommt er allerdings nicht. Gott sei Dank. Schließlich dreht er um und schleppt den Roller hoch zur Straße. Der Schweiß läuft ihm von der Stirn. Kirschrot ist sein Gesicht. Bis jetzt haben wir das alles aus unserem Versteck heraus beobachtet und nicht gewagt zu atmen. Doch jetzt kommt Leben in Guido.

Nackt wie er ist, schleicht er zur Straße. Pirrone hat den Roller auf der Straße abgestellt, nicht weit vom Kastenwagen, in dem er jetzt sitzt und telefoniert. Irgendwas von einem Tatfahrzeug, das abgeholt werden soll. Was für eine Tat?

Guido schwingt sich auf die Vespa und macht uns Zeichen. Wir haben verstanden. Blitzschnell sitzen wir hinter ihm. Guido tritt auf den Kickstarter. Er ist der Einzige von uns, der schwer genug dafür ist. Aber der Motor springt nicht an. Im Wagen hört der Carabiniere auf zu telefonieren. Er steigt aus. Guido flucht durch die Zähne. Er probiert es noch mal. Der fiese Polizist erscheint im Rückspiegel. Mit vollem Gewicht lässt sich Guido auf das Pedal krachen. Ein Glück – der Motor kommt. Der Fettsack trampelt los. Guido gibt Gas. Pirrone sprintet neben der Vespa her. Er greift nach dem Lenker, aber Guido weicht ihm geschickt aus. Der Bulle bleibt stehen: »Anhalten! Polizei! Ich knall euch ab!«

Ob ihr’s glaubt oder nicht, er zieht tatsächlich die Pistole.

Bevor er schießen kann, rast Guido um die nächste Kurve. Jetzt bleibt dem Carabiniere nur noch eins: Rein ins Auto und hinterher. Doch der Roller ist verdammt schnell. Fast habe ich das Gefühl zu fliegen. Allerdings nur fast. Immerhin hängen wir den fiesen Pirrone ab. Schließlich fährt Guido auf einen Feldweg. Wir verstecken uns hinter einem hohen Busch und sehen den Carabiniere in die Gegenrichtung davonfahren.

Es ist fast Abend, als wir uns wieder rauswagen. Auf einem Feld finden wir drei alte Vogelscheuchen. Spaventapasseri nennt man sie hier. Denen reißen wir die Fetzen vom Leib und schlüpfen rein. So kommen wir zu Hause an. Wir sind so müde, dass wir uns nicht mal mehr ausziehen. Wir fallen aufs Bett und schlafen sofort ein.

Jetzt wisst ihr, wie wir hier leben. Wie im Paradies. Eigentlich …

2

Aber wie wir zusammengekommen sind, wisst ihr noch nicht.

Eigentlich habe ich auch keine Lust, mich zu erinnern.

Aber für euch mach ich sogar das. Leicht ist es allerdings nicht.

Wer erzählt schon gern, wie das Kartenhaus, das er Leben nennt, auf einmal nicht nur zusammenkracht, sondern abfackelt. Genau das war mir passiert.

Alles fing damit an, dass Katja anrief – Katja, meine bis dahin beste Freundin.

Ich stand auf dem Schulhof, als das Handy vibrierte. Ich sah das Foto auf dem Bildschirm. Der rotbraune Zopf, die blauen Augen, der Pickel über der gezupften Braue.

Dann hörte ich sie knarzen – unverkennbar Katjas Stimme.

Laura, bist du dran? Ich muss dir was sagen!

Es klang wie die Kellertür in einem Ab-18-Film. Seit einem Jahr ging sie deshalb zu einer Logopädin. Ohne Erfolg. Vielleicht, weil die Jungs die Stimme mochten.

Ich hielt das Handy in die Horde kreischender Erstklässler, in der ich stand, und sagte: Warte mal kurz. An der Elbchaussee, wo die Zwerge nicht hindürfen, hielt ich mir das Telefon wieder ans Ohr. Plötzlich war Patrick dran. Patrick. Der liebe, süße Patrick.

Laura? Bist du da? Laura, ich … wir … Ich … Es tut mir …

Das letzte Wort habe ich schon nicht mehr gehört.

Ich hab einfach aufgelegt.

Patrick, mein Freund. Patrick mit den perfekten Zähnen. Patrick, mit dem ich noch am Samstag auf dem Flohmarkt gewesen war. Für den ich einen Parka gefunden habe in der Farbe seiner Augen. Auf das Loch unter der Schulter hab ich einen St. Pauli-Sticker genäht. Patrick wollte den Mantel erst gar nicht annehmen. Waren Katja und er da schon …?

Ich dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende.

Das Nächste, was kam, war das Essen mit Mama.

Den ganzen Tag hatte ich versucht, jemanden zu finden, der mich fragt, wie es mir geht, damit ich sagen konnte: Na ja. Geht so.

Aber alle waren verabredet, machten Hausaufgaben oder hatten leere Akkus.

Deshalb freute ich mich auf Mama. Aber dann, als das Curry auf dem Tisch stand, ging die Tür auf – und wer kam rein? Harald. Der Chorleiter ihres neuen Stücks. Mit seinem Goldzahn oben links und den staubgrauen Locken, die er beim Reden schüttelte wie einen Wischmob. Mama schaufelte ihm den Teller voll und grinste. Ihr eigener Teller blieb fast leer. Alles klar – mal wieder Diät. Sogar mein kleiner Bruder Gregor war genervt. Dass Harald zwei Jahre jünger ist als Ma und vielleicht drei Gramm weniger wiegt, macht ja noch keinen Brad Pitt aus ihm. Beim Abwasch wollte ich sie mir schnappen, aber sie sagte, sie und Harald müssten jetzt üben. Für das Konzert. Weg waren sie. Schönen Gruß an Pachelbel.

So ging es weiter.

Es war wie beim Domino Day. Alles war perfekt aufgebaut. Aber irgendwo in China lässt ein Schmetterling einen fahren und plötzlich ist es ein Fall für Kehrschaufel & Co.

Als ich Papa in Italien anrief, war eine fremde Frau dran.

Sie sei Franca, sagte sie, ob ich etwa Laura sei?

Klar. Wer denn sonst? Aber vielleicht war das schon eine Lüge.

Vielleicht war ich gar nicht mehr ich. Nur noch ein Zombie, der früher mal so hieß.

Diese Franca war nicht total anti blabla, das war bald klar: Dein Italienisch ist ja immer noch super, vermisst du Italia? Ich weiß, du hast hier gelebt, bist bei uns zur Schule gegangen, würd dich gern mal kennenlernen, was ist eigentlich dein Lieblingsessen, hast du einen Freund? Übrigens – dein Papa und ich –, na ja, vielleicht sagt er dir das lieber selbst, ich sage ihm, dass du angerufen hast. Ciao.

Ciao? Ich würde eher sagen: Und tschüss!

Später in der Nacht kam eine SMS von Papa: Tut mir leid, dass ich nicht da war. Wie geht es dir? Vermisse dich, sehen uns an Weihnachten.

Weihnachten? Na toll.

Dann kam Weihnachten. Dann kam Papa. Dann kam der nächste Schlag ins Gesicht. Und diesmal ganz wörtlich. Wir waren im Capriccio verabredet. Das ist sein Lieblingsitaliener. Immer wenn er in Hamburg ist, geht er da hin. Zwischen zwei Terminen wollten wir uns treffen. Ich hatte schon schulfrei. Kurz vor Heiligabend also.

Als ich ihm endlich gegenübersaß, sah er mich genervt an mit seinen hellgrauen Augen passend zum Hemd. Er schüttelte den Kopf: Ich hatte gehofft, wir hätten mehr Zeit. Jetzt muss ich gleich los.

Mir ist die Kette vom Rad gesprungen, erklärte ich ihm. Hab sie nicht wieder draufgekriegt und in der U-Bahn war kein Netz. Die letzten zehn Minuten habe ich im Bad versucht, das Öl von den Fingern zu kriegen. Riech mal, es geht nicht ab. Voll eklig.

Ich hielt ihm die Finger hin, aber er roch nicht daran. Er starrte auf die verwelkte Rose auf dem Tisch. Gino kam und wollte wissen, was ich esse.

Was am schnellsten geht, sagte ich.

Salat mit Ohrfeige. Das wusste ich aber noch nicht.

Nachdem es lange ziemlich still war, legte Papa los: Franca hast du ja kennengelernt, sie hat mir von eurem Telefonat erzählt, sie sagt, du hättest eine nette Stimme, sie lobt dein Italienisch, sie nannte es ›stravolgente‹.

Das Blabla-Hobby schien auf ihn abzufärben.

Ich sagte: Das Wort stravolgente hab ich lange nicht mehr gehört. Gibt’s das noch?

Hör zu, sagte Papa, Franca und ich werden ein Baby haben. Du bekommst …

Von dieser Hure?

Pang. Es war das erste und einzige Mal, dass Papa mir eine scheuerte. Es klatschte durchs Lokal. Alle sahen her. Es war so peinlich, dass ich am liebsten gestorben wäre. Ich lief raus und heulte. Papa kam und nahm mich in den Arm.

Er sagte, es täte ihm leid. Dann fragte er, was ich mir am allermeisten wünschte.

Vielleicht meinte er damit Weihnachtsgeschenke, aber ich sagte: Dass du und Mama wieder miteinander redet. Einfach nur redet.

Er cancelte seinen Termin und fuhr mich nach Hause. Bevor ich ausstieg, sagte er: Ich vestehe deinen Wunsch. Aber ich kann ihn dir nicht erfüllen. Mama und ich können nicht miteinander reden. Wir haben alles versucht. Paartherapie. Trennungsbegleitung. Nichts hat funktioniert. Drei Minuten im selben Raum und wir zerfleischen uns. Mailen geht auch nicht mehr. Besser, jeder geht seiner Wege. Es tut mir leid.

Ich sagte nichts. Schon fast am Haus drehte ich mich noch mal um und sagte: Ich wünsch mir doch was. Ein Paar Schuhe.

Klar, sagte er, das kriege ich hin. Wie war noch mal deine Größe?

Nicht für mich. Für dich. Ein Vater, der Chucks trägt, das geht gar nicht.

Damit ließ ich ihn stehen. Ich freute mich über meinen Spruch. Aber eigentlich war ich unendlich traurig und dachte: Wenn euch euer Streit wichtiger ist als ich, dann tut’s mir für euch leid. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.

So fing es an.

Kurz nach den Weihnachtsferien kicherte ich eines Tages in der Mathestunde plötzlich los. Ich zeigte auf die Tafel, wo unsere Lehrerin eine Formel hingeschrieben hatte. Das war aber schon eine halbe Stunde her. Den Witz hatte ich jetzt erst kapiert. Komischerweise lachte keiner mit. Die Lehrerin war sauer, dann guckte sie mich seltsam an. Ich zeigte auf die Tafel, schrie und brüllte. Die Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich war kurz davor, mir in die Hose zu machen. Aber das Allerwitzigste war: Keiner außer mir kapierte es. Waren sie über Nacht alle verblödet? Dann kam die Angst.

Es war nicht die Angst, die einen im Wald packt.

Es war die Angst vor mir selbst. Was würde als Nächstes passieren? Würde ich Stimmen hören oder nackt auf die Straße laufen und mit AA schmeißen? Ich konnte meine Gedanken mit den Händen auseinanderreißen.

In das Loch, das dabei entstand, fiel ich selbst. Tiefer und tiefer.

Als ich vor den Hamburger Skiferien irgendwann zitternd auf der Sportmatte saß, fragte die Lehrerin, ob ich nach Hause wollte. Nee, sagte ich. Zum Schularzt.

Dr. Preuss sah mir in die Augen und gab mir ein Filzplättchen, das ich oben an den Gaumen klebte. Es löste sich auf. Eine halbe Stunde später war die Angst weg.

Jetzt konnte ich erzählen, was los gewesen war: Ich hatte im Bett gelegen und konnte mich nicht bewegen. Mama klopfte an die Tür und rief: Alles okay? Du musst gleich los. Ich bin jetzt weg, Gregor ist bei mir – bis später. Ich zog mich an. Es dauerte etwa zwei Stunden. Kurz vor dem Läuten zur großen Pause kam ich in die Klasse. Statt einer Entschuldigung redete ich mich um Kopf und Kragen. Aus meinem Mund kam wirres Zeug. Am Ende sogar Babysprache, die ich mit Gregor immer gesprochen hatte. Der Doc sagte: Dass du zu mir gekommen bist, ist ein positives Zeichen. Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn du ein paar Tage beobachtet wirst. Es gibt da eine Klinik, von der ich viel halte. Sie nehmen Jugendliche eigentlich erst ab 17 Jahren auf. Ich kann aber dafür sorgen, dass sie bei dir eine Ausnahme machen.

Natürlich war es eine Anthroklinik. Keine rechten Winkel, jede Menge helles Holz, Malen, Gartenarbeit, Töpfern, Musik. Statt mit Chemie versuchten sie es mit Reden und Zeug, das man auch am Straßenrand pflücken konnte. Im Gemeinschaftsraum hing ein Foto vom alten Steiner. Schwarz-weiß. Da stand ich lange vor und dachte: Tja, Santo Rudolfo – wo steckst du eigentlich, wenn man dich wirklich braucht?

Station 4 oben unter dem Dach war alles in allem okay. Im Sommer würde man von da jede Menge Grün sehen. So lange wollte ich aber nicht bleiben.

Blieb ich dann aber doch. Die Zeit war ein Ei, das mir jemand auf den Kopf geklatscht hatte. Langsam, zäh und feucht flossen die Wochen über mein Gesicht. Es wurden Monate. Straußeneier. Ich konnte zusehen, wie Triebe aus den Ästen zischten, sich zackzackzack zu Blättern fächerten, aus denen Kerzen schossen, lila und weiß. Anfang Juli kam der Herbst. Das Laub wurde braun. Diesen Kastanien ging es kein bisschen besser als mir. Immerhin kam Besuch. Mama war jedes Wochenende da. Manchmal brachte sie Gregor mir. Papa kam auch. Natürlich nur, wenn Mama weg war. Einmal war Franca bei ihm. Sie war viel netter, als ich gedacht hatte. Es tat mir leid, wie ich sie genannt hatte. Als ich es Papa sagen wollte, musste er los. Einmal kam sogar Katja. Ich hörte, wie sie im Hof nach mir fragte, und bin geflohen. Oben auf dem Dach versteckte ich mich, bis sie endlich zwischen den Bäumen verschwunden war.

Vor den Sommerferien wollte ich nur noch raus. Ich machte alles, wie es Dr. Malik gesagt hatte. Irgendwann mussten sie mich also entlassen. Der Tag kam. Mama wurde von der Klinik informiert. Trotzdem schickte ich ihr eine WhatsApp. Papa schrieb ich eine Mail. Als Mamas roter V 40 auf den Parkplatz kurvte, schlug mein Herz höher. Fast hopste es aus dem Hals, als ich sah, was da noch kam: Ein weißer Passat. Der weiße Passat von Papa. Es hatte geklappt. Das Wunder war geschehen.

Mit einem riesigen Hallo wollte ich sie überraschen, sobald sie aus dem Besprechungszimmer kamen. Deshalb schlich ich draußen rum. Und ja, ich gebe es zu, ich drückte das Ohr an die Tür, um zu hören, was der Professor erzählte: »… Hebe heißt Jugend, phren heißt Zwerchfell. Die Griechen dachten, das Zwerchfell sei der Sitz der Seele. Die Diagnose wird heute nicht mehr gestellt. Im Fall Ihrer Tochter handelt es sich um eine Krise, die viele Ursachen hat. Ihre Tochter hat Fantasie. Das hat ihr geholfen, sich eine Welt zu schaffen, in der sie leben konnte, als die wirkliche nicht mehr genügte. Ich bin zuversichtlich, dass es nie wieder passiert. Ich sehe ja, wie Sie sich bemühen. Sie sprechen miteinander, trotz Trennung, Krise. Es ist das Beste, was Sie für Ihre Tochter jetzt tun können. Viel Glück, Frau Pankalla. Auf Wiedersehen, Herr Pankalla. War schön, Sie …«

Pankalla? Wieso Pankalla? Wieso nicht Schäfer? Soll das ein Witz sein?

Es war kein Witz. Die Tür ging auf, und ein Mann und eine Frau kamen raus, die ich noch nie gesehen hatte. Sie gingen auf Bea zu. Bea, mit der ich bei der Heileurythmie immer Kupferstäbe getauscht hatte. Meistens fielen ihre runter. So wie bei mir gerade die Kinnlade. Bea hieß also Pankalla und wurde heute ebenfalls entlassen. Glückwunsch, auch zu den Eltern, mit denen sie später in einen grünen Bulli stieg direkt neben dem weißen Auto, das ich für das von Papa gehalten hatte. So kann man sich täuschen. Drei Autos nebeneinander. Rot, weiß, grün …

Vor Pozzo Reale gibt es einen sehr hohen Felsen.

Der Felsen, wo die Kids im Sommer ins Meer springen. Er bildet eine Art Landzunge und trägt den Pickel einer Leuchtturmruine. Wenn die Kinder von Pozzo Reale im Wasser landen, müssen sie ziemlich strampeln und schwimmen. Da wollte ich hin. Wenn ich da runterspringe, aber nicht ins Meer treffe, sondern ein Stück daneben, dann muss ich nie mehr strampeln. Da hin und springen. Ein letzter kleiner Schritt. Dann war es vorbei. Nie wieder Messer in der Seele. Ich fühlte mich leicht bei dem Gedanken. Schwer war es nur, Mama zu überzeugen, dass wieder alles in Ordnung war. Nach einer Woche im alten Leben mit Gregor, Harald, Pachelbel und Co. schlachtete ich mein Sparschwein. Ich ging nach Altona und kaufte ein Ticket. Hamburg – Pozzo Maggiore. Einfache Fahrt. Mama sagte ich, dass ich zu Papa fuhr. Ich versprach ihr, mich zu melden, sobald ich dort war. Papa schrieb ich, ich hätte nachgedacht und wäre an einem Punkt, wo es besser wäre, mal Abstand zu halten. Ich würde mich melden, wenn ich den Kontakt wieder wollte. Jetzt gab es nur noch einen, der mich von dem Sprung abhalten konnte: Patrick.

Mein Zug ging 3 vor 8 von Gleis 9. Bis dahin hatte ich Zeit. Ich stellte meinen Koffer in ein Schließfach und ging in den Park, wo die Clique immer abhängt. Hier waren Patrick und ich im Winter Schlittschuh gelaufen. Irgendwann musste er kommen. Kam er dann auch. Er ging an mir vorbei. Er sah mich nicht. Ich rief seinen Namen. Er drehte sich um. In diesem Augenblick fiel ein Schatten über mich. Von der anderen Seite kam Katja, die Leine von ihrem Köter in der Hand. Sie flog Patrick direkt in die Arme und küsste ihn. Dabei versenkte sie ihre Zunge in seinem Mund. Ich hätte kotzen können. Über ihre Schulter schaute Patrick zu mir. Das Bild seiner Augen nahm ich mit in den Zug. Patrick, wie er mich ansah und Katja küsste. Irgendwie fragend. Mit dieser Erinnerung schlief ich ein. Als ich wach wurde, war ich in Italien. Milano Termini. Von dort nach Grosseto und weiter bis Pozzo Maggiore. Im Bus nach Pozzo Marina war das Bild verschwunden. Hatte sich aufgelöst wie ein Tropfen Spucke auf dem Asphalt. Das letzte Stück bis Pozzo Reale musste ich zu Fuß zurücklegen.

Ich ging an der Landstraße entlang, die durch eine ziemlich wüstenartige Gegend mit Felsen und dürren Sträuchern führt. Irgendwann hab ich die Schuhe ausgezogen. Die ersten drei Kilometer habe ich sie getragen. Immerhin echte Pumas. Die hatte ich mit Patrick gekauft. Sie waren grün mit gelben Streifen. Dann schmiss ich sie weg. Ich brauchte keine Schuhe mehr, brauchte bald überhaupt nichts mehr. Nicht mal mehr Essen. Es fuhren jetzt immer weniger Autos. Es ging auf Mittag zu. Die Sonne knallte auf meinen Schädel. Ich merkte, dass ich allmählich Sonnenbrand bekam, im Scheitel und auf der Nase. Egal, dachte ich. Es war so heiß, dass die Sonne die Steine spaltete. So sagen die Leute hier. Plötzlich donnerte ein Lkw vorbei, bremste und blieb am Straßenrand stehen. Von ihm zu mir war die Straße von Öltropfen gepunktet. Der Fahrer schaute aus dem Fenster und grinste mich an. Es war ein Tanklaster von Agip. Knallgelb mit einem schwarzen Hund mit sechs Beinen und roter Zunge drauf. Der Fahrer sagte: Na, Mädchen, willste mit? Dabei öffnete er grinsend die Tür. Bei so einem Typ einzusteigen, ist normalerweise das Letzte. Aber wenn du sterben willst, kannst du dich ebenso gut umbringen lassen. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Keine Angst, Mädchen, ich tu dir nix. Ich stieg trotzdem ein …

Das hätte ich besser gelassen. Obwohl – die ersten drei Minuten war alles okay. Wenigstens quatschte der Typ nicht so viel. Er lachte bloß über das Öl, das hinten auf die Straße tropfte, und meinte, dass er das extra macht, damit er auf der Rückfahrt den Weg findet. Hahahaha. Dann fing er an von einer Party zu labern. Fantastico. Da kam er gerade her. Kein Wunder, dass er so nach Rotwein stank. Irgendein Kostümfest zu Ferragosto. Fantastico! Er meinte: Rat mal, Mädchen, als was ich unterwegs bin.

Ich hatte keine Lust, aber ich schaute mir den Kerl genauer an und bekam einen ziemlichen Schreck. Statt des linken Schuhs hatte er einen Pferdefuß und hinter dem Rücken schaute ein roter Kuhschwanz vor. Er merkte, dass ich geschockt war, lachte laut und gemein, drehte sich um und kramte auf der Rückbank. Dabei kümmerte er sich einen Dreck um die Straße. Plötzlich kam uns eine Vespa entgegen. Wir wären voll in sie reingerast, wenn ich nicht im letzten Moment das Steuer gepackt hätte.

Endlich hatte der Tanker-Teufel gefunden, was er suchte: zwei Papp-Hörner, die er sich auf den Kopf setzte. Er machte ein Satanszeichen mit den Fingern und lachte dreckig. Fantastico. Jetzt machen wir eine kleine Party, mein Engel. Party? Mit dem? Ich war nicht in der Stimmung zu feiern. Ich sagte, dass ich rauswollte. Und zwar sofort. Er meinte: Schade, jetzt wo es lustig wird, Mädchen. Ich dachte: Wenn ich schon lenken kann, dann kann ich auch den ganzen Rest. Also zog ich an der Handbremse, so fest ich konnte. Der Lkw kam ins Schleudern. Die linken Räder holperten über die Böschung. Der ganze Zug stellte sich quer auf die Straße, die Fahrerkabine schaute jetzt in die Gegenrichtung. Ich riss die Tür auf und sprang aus dem Lkw. Der Typ kicherte noch immer und rief mir hinterher. Irgendwas von keinen Spaß verstehen und so.

Verpiss dich, dachte ich und zeigte ihm den Finger.

Kein Mensch war unterwegs.

Es wurde Mittag und so heiß, dass meine Füße auf der Straße fast verbrutzelten. Also ging ich am Wegrand, wo jede Menge Glassplitter und spitze Steine lagen. Dauernd musste ich anhalten und irgendwas aus der Haut pulen. Irgendwann kam ich an ein Schild. Da stand drauf: Attenzione Caccia, also: Achtung, Jagd. Prima. Noch eine Chance, den Job von anderen erledigen zu lassen.

Ich ging direkt in das Gebiet rein. Auf einem Feldweg, von dem nach ein paar Kilometern nichts mehr zu erkennen war. Irgendwo gab es einen Wegweiser: Pozzo Reale, 15 Kilometer, auf einem gemalten Pfeil. Von Pozzo aus ist es nicht weit zu diesem Sprung-Felsen. Genau als ich in die Pfeilrichtung gehen wollte, kam ein Stoß heißer Wind und drehte den Pfeil in die andere Richtung. Ich ging querfeldein weiter und kam an eine kleine Kirche, eher eine Kapelle. Die muss verdammt alt sein, dachte ich. Das Dach war durchgefault, sodass ich direkt in den Himmel sehen konnte. Drinnen gab es ein bisschen Schatten. Aber keine Bänke mehr. Ich setzte mich auf die Stufe vor dem Altar und ruhte mich aus.

Kann sein, dass ich ein bisschen geschlafen habe.

Auf einmal hatte ich ein komisches Bild im Kopf. Auf die Wand war eine Vespa gemalt, hellblau, fast wie der Himmel. Plötzlich fing sie an zu fahren, ich konnte nicht erkennen, wer draufsaß, aber sie raste auf mich zu. Kurz bevor sie mich umgefahren hätte, hob sie ab und fuhr Slalom durch die rosaroten Wölkchen. Ich wachte auf und starrte die Madonna über dem Altar an. Die hat einen nackten Jesus auf dem Arm. Ich rieb mir die Augen. Denn ob ihr’s glaubt oder nicht – was machte dieser kleine Hosenscheißer? Der streckte mir die Zunge raus.

Okay, werdet ihr sagen – jetzt tickt sie echt nicht mehr richtig. Ihr habt ja recht. Dasselbe dachte ich auch. Aber so war es eben. Ich taumelte also aus dieser Kirche. Draußen war es heller als ein Fotoblitz. Die Sonne knallte mir auf den Kopf. Gleich platzt dein Schädel, sagte ich mir. Dann hörte ich meinen Magen knurren. Ich hatte gefühlte zweiundsiebzig Stunden nichts zu mir genommen.

Ich schaute mich um und dachte: Ich würde gern was essen. Aber hier gibt’s nichts. Ich könnte vielleicht in einem Restaurant Teller waschen. Aber wo ist eins? Und wie komm ich hin? Weit und breit kein Mensch. Nur Hitze, dürres Gras. Steine und Staub. Ich sah nach oben, ballte die Faust und schrie den Himmel an. Der hatte mir die Suppe hier schließlich eingebrockt, falls ihr an so was glaubt. Ich ballte also die Faust, da knallte plötzlich ein Schuss. Jedenfalls hörte es sich wie einer an. Ich schmiss mich auf den Boden. Da hörte ich ein komisches Brummen. Ein Motorengeräusch. Keine Ahnung, was es war. Aber es kam näher. Ziemlich schnell sogar. So, und jetzt könnt ihr schon wieder an meinem Verstand zweifeln. Denn was da hinter zwei Steinbrocken rausschoss, war nichts anderes als eine Vespa. Sie war himmelblau wie auf der Kirchenwand oder besser: in meinem Traum.

Doch das Allerverrückteste: Sie fuhr allein. Ich musste schon zweimal hinsehen. Ich glaubte es genauso wenig wie ihr. Der komische Roller kam direkt auf mich zu. Zwei Meter vor mir blieb er stehen. Irgendwie muss der Ständer halb runtergeklappt gewesen sein, dass er sich aufrecht halten konnte. Aber er stand. Der Motor blubberte noch zwei, drei Mal. Dann war er aus. Stille. Jetzt sägten nicht mal mehr die Zikaden. Hitzefrei für Insekten.

Ich lag noch immer auf dem Boden. Dann stand ich auf. Ich schaute mich um. Keiner zu sehen. Ich blickte nach oben. Das Ganze kam mir vor wie bei »Vorsicht, Kamera«. Aber ich war allein mit der komischen himmelblauen Vespa. Eine ganze Weile stand ich so da. Nichts passierte. Dann schaute ich mir das Ding aus der Nähe an. Ich ging um den Roller herum. Vielleicht entdeckte ich hinten den Trick.

Eigentlich sah die Vespa schön aus. Wie alt mochte sie sein? Zehn, zwanzig Jahre? Vielleicht sogar älter. Die Enden des Lenkers blitzten vor Chrom. Ich dachte: Schade, dass ich nicht fahren kann. Ich könnte damit zur nächsten Trattoria düsen und sagen: Ciao, ich hab Hunger, aber kein Geld, gebt mir was zu essen und ich spiel für euch Klavier. Denn wenn ich was kann, dann das. Zu irgendwas muss Waldorfschule ja gut sein. Oder ich wasche Teller. Also fasste ich mal ein bisschen die Griffe am Lenker an und …

»Pfoten weg!«, bellte eine Stimme.

Ich zuckte zusammen und drehte mich um.

Ein Junge stand hinter dem Felsen, in jeder Hand etwas, das ich nicht erkennen konnte.

Er starrte mich an, drohend, schaute sich um. Dann kam er auf mich zu. Es war Guido. Aber das wusste ich noch nicht. In diesem Augenblick war es nur noch einer von der Sorte Goldkettchen tragendes Unterhemd mit schwarzen Locken und Händen, die ständig in der Hose nach ihrem Ding wühlen. Nichts gegen Italiener. Aber ein Maul voll Flüche und ein Hirn voll geschäumter Milch ist nicht unbedingt das, was meine Laune hebt. Seine Augen glühten wütend. Dass der Typ gut aussah, fiel mir erst später auf. Ehrlich gesagt sah er besser aus als jeder, den ich jemals gesehen hatte. Goldlöckchen Patrick inklusive. Aber in diesem Moment dachte ich bloß: Nimm deine blöde Vespa und hau ab. Genau das machte ich ihm klar.

Er kam auf mich zu, schnaubte, ging um die Vespa rum, als müsse er prüfen, ob ich was kaputt gemacht hätte. Plötzlich riss er die Hände hoch und zischte: ksch. Ich ging automatisch ein paar Schritte rückwärts. Dann war mir das zu doof. Also ging ich auf ihn zu und machte ebenfalls ksch. Er grinste, murmelte was, setzte sich auf den Roller und kickte den Starter. Nichts geschah. Die Vespa blubberte drei Mal. Der Motor sprang nicht an. Also stieg er wieder ab, sah mich an, quasselte was über Mädchen, hockte sich neben den Roller und fummelte an irgendwelchen Hebeln und Drähten rum.

Peng! Da knallte wieder ein Schuss. Die Kugel prallte heulend wie in einem schlechten Western von einem Felsen ab. Der Typ hechtete zu mir rüber, riss mich runter und hielt mich am Boden fest mit seinem ganzen Gewicht. Er stank nach Schweiß. Goldkettchen? Fehlanzeige. Falls das T-Shirt mal schwarz gewesen war, hatte man es eindeutig zu oft gewaschen. Falls seine Originalfarbe Weiß sein sollte, war es dreckig. Ich meine: wirklich dreckig. Noch ein Schuss fiel. Wieder mit Echo. Dann noch einer. Dann war es still …

»Die Jagd«, sagte er grinsend.

Er hatte verdammt hübsche Zähne. Seine Augen waren so nah. Ich hätte mich darin spiegeln können. Stattdessen sah ich darin etwas anderes. Etwas, bei dem mir ganz seltsam wurde. Es ging mir bis in die Zehen.

Er sagt: »Was bist du für ein Freak?«

Bevor ich ihn einladen konnte, sich diesen Kommentar sonst wohin zu stecken, hielt er mir die zwei Dinger in seinen Händen unter die Nase. Igitt. Es waren tote Vögel.

»Buchfinken!«, sagte er. Das klang auch noch stolz.

»Ich kotze gleich«, sagte ich. Ich schaute ihn so angewidert an, wie ich konnte.

Er streckte mir seine blutige Hand hin: »Ciao, ich bin –«

3

»… Guiiiiiiiiiiido!«

Meine Stimme kreischt wie Kreide auf der Tafel. Dabei ist es keine Spinne, die mir über die Schulter schaut. Nur Guido. Der macht ein ziemlich dummes Gesicht. Ich habe ihn nicht kommen hören. Besonders freundlich wirkt er nicht.

»Hallo«, sage ich. Meine Stimme klingt wieder normal. »Was machst du hier? Ich dachte, du bist angeln.«

»War ich auch.« Er zeigt auf einen kleinen Eimer mit vier Sardinen, einem Wolfsbarsch, ein paar Seeigeln und ein paar Sachen, die nicht gerade lecker aussehen. Er sagt: »Die Frage ist, was du hier machst.«

»Ach, nix«, sage ich und raffe die Blätter zusammen.

»Nix? Und was ist das?«

»Ein Brief.« Ich versuche, den Stapel in den Rucksack zu stecken, aber Guido grapscht zwei Bögen heraus und versucht zu lesen. Zum Glück kann er kein Deutsch. Also zieht er die Augenbrauen zusammen und lässt die Seiten zu Boden segeln.

»Verdammt lang, dein Brief …«

»Ich schreibe ausführlich.«

Jetzt fängt Guido an, im Zimmer hin und her zu laufen. Dann bleibt er stehen und stiert mich an. Fast so hitzig wie damals in der Wüste. Er hebt den Zeigefinger. Als Oberlehrer macht er sich super. Sein Fuß kreist über den Tintenspuren auf dem weißen Rechteck am Boden: »Wer soll das Zeug lesen?«

»Na ja«, lüge ich, »ich hab massenhaft Freunde.«

»Aha. Und was steht da genau?«

»Unwichtig. Wie wir hier leben. Wie wir uns kennengelernt haben. Was wir vorher gemacht haben und so.«

»Vorher gemacht? Alles? Auch das mit dem Knast?«

Ich nicke.

Guido denkt nach.

Die Tür geht auf. Walter, beide Arme voller Rosen. Ohne uns anzusehen, legt er sie auf die Kommode und geht ins Bad. Dort wühlt er in sämtlichen Schubladen: »Wo ist die Salbe? Ich bin gestochen worden.«

Guido schaut zu und redet mit ihm. Ich halt die Klappe.

»Tja. Dornen stechen. Hätte ich dir sagen können …«

»Nicht von einer Rose, du Superhirn. Von einer verdammten Wespe. Mir reicht’s jetzt. Wo ist die Giftbombe? Die müssen weg …«

»Erst muss jemand anderes weg!«

Walter hat die Salbe gefunden. Er schmiert sich den Ellbogen ein und schaut Guido groß an.

»Die!« Guido zeigt mit dem Finger auf mich.

Dann erzählt er Walter von meiner Schreiberei.

»Sie ist dabei, alles zu verraten, verstehst du? Sie quasselt alles aus. Das mit dem Knast, das mit dem Krieg. Einfach alles. Wenn sie so weitermacht, haben wir hier bald ein Popkonzert. Bloß ohne Stars. Hereinspaziert, meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier sehen sie den einzigen Überlebenden der M.S. Durres-Katastrophe. Für Autogramme bitte hinten anstellen. Mann, Walter, die ist dabei, unser Versteck an die große Glocke zu hängen, verstehst du? Es hat keinen Zweck. Die oder ich.«

Er zeigt mit dem Finger auf mich und schnappt nach Luft wie die Fische im Eimer. Walter fährt sich mit den Fingern durch die verfilzten Haare. Dann putzt er seine Brille, wie immer, wenn er Zeit gewinnen will. Er setzt die Brille auf. Sauber ist sie jetzt nicht.

»Langsam. Immer schön langsam. Komm erst mal runter, Guido.«

»Sie oder ich. Ich geh nicht wieder in den Knast.«

»Locker und langsam. Erst einmal nachdenken. In Ruhe nachdenken …«

Jetzt geht auch Walter im Zimmer hin und her. Vor dem Schrank bleibt er stehen. Der Riss im Spiegel teilt sein Gesicht. Seine grünen Augen schauen mich an. Er zwinkert. Aber mir reicht’s. Ich sammle meine Seiten ein und stopfe sie in den Rucksack. Dann fange ich an zu packen: Jeans, Lieblings-T-Shirts, Zahnbürste, Kosmetikkram, ein paar Bücher. Der Rest kommt in den zerbeulten roten Alukoffer mit den Aufklebern. Die Sachen haben Walter, Guido und ich eines Abends aus Papas Haus geholt, als er unterwegs war. Wahrscheinlich mit Franca oder wer weiß mit wem. Kein großer Akt, er versteckt den Schlüssel ja immer noch unter dem Oleandertopf neben dem Eingang.

»So, Jungs«, sage ich und trample noch eine Delle rein, damit das Schloss zugeht, »war nett bei euch. Ciao. Schönen Tag noch.«

»Warte doch mal!« Walter stellt sich mir in den Weg.