Die drei ???® Kids

Band 16

Der magische Brunnen

Erzählt von Ulf Blanck

Mit Illustrationen von Stefanie Wegner

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KOSMOS

Umschlagillustration von Stefanie Wegner, Hamburg

Innenillustrationen von Stefanie Wegner

Farbige Umsetzung von Timo Müller, Hamburg

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Grundlayout: Friedhelm Steinen-Broo, eStudio Calamar

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-15325-3

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Geldregen

Punkt acht Uhr morgens stand Justus Jonas vor dem Geschäft von Mister Porter und drückte die Türklinke herunter. Es war abgeschlossen. Merkwürdig, dachte er. Porter hat seinen Laden noch nie zu spät geöffnet. Justus ärgerte sich, denn Tante Mathilda hatte ihn an diesem Wochenende extra früh mit einem langen Einkaufszettel aus dem Bett geworfen. Sie war sicher, dass man die frischeste Ware bekam, wenn man nur als Erster an der Kasse stand. Genervt ließ er die lindgrüne Einkaufstasche fallen und rutschte müde an der Hauswand herab. Kaum saß er auf dem Boden, bemerkte er einen Fahrradfahrer, der über den fast menschenleeren Marktplatz der kleinen Stadt fuhr. Justus erkannte ihn sofort. »He, Peter. Hat dich deine Mutter auch zum Einkaufen losgejagt?« Peter Shaw stellte sein Rad ab und nahm einen geflochtenen Korb vom Gepäckträger. »Hallo, Just. Ich konnte mir aussuchen, ob ich mein Zimmer sauber machen wollte, oder das hier. Aufräumen dauert mindestens das ganze Wochenende – da hab ich mich fürs Einkaufen entschieden.« Fast gleichzeitig traf auch Bob Andrews ein. »Gibt es bei Porter heute was umsonst?«, grinste er und lehnte sein Rad an die Wand. »Ist es Zufall, oder haben sich unsere Eltern etwa abgesprochen, damit sie am Samstag ihre Ruhe haben?«

»Bei mir ist es umgekehrt«, lachte Peter. »Ich will lieber vor denen Ruhe haben. Aber was ist eigentlich mit Mister Porter los? Der müsste doch schon längst aufhaben?«

Gelangweilt trotteten die drei ??? über den Marktplatz und blickten zur Kirchturmuhr. Es war mittlerweile schon Viertel nach acht. Plötzlich blieb Justus abrupt stehen. »Sagt mal, fällt euch nichts auf? Irgendwas ist heute anders.«

Seine beiden Freunde blickten sich um. »Stimmt, hier fehlt was«, bemerkte Bob. »Ja, jetzt hab ich’s. Ich hör kein Plätschern vom Brunnen.«

Der alte Brunnen stand mitten auf dem Marktplatz, und normalerweise ergoss sich aus der Bronzestatue von Fred Fireman ein Wasserstrahl in das runde Becken. Neugierig liefen sie in die Richtung. Doch als sie sich näherten, konnten die drei ihren Augen nicht trauen.

»Seht ihr, was ich sehe?«, stotterte Bob und ging noch schneller. Er wurde von Peter überholt. »Das darf doch nicht wahr sein. Das ist absolut unmöglich.«

Jetzt stand auch Justus atemlos am Brunnenrand. »Ich werde verrückt«, staunte er. »Der ganze Brunnen ist voll mit Pennies.« Ungläubig griff er in das Becken und hatte beide Hände voll mit Ein-Cent-Münzen. Sie rieselten wie Sand durch seine Finger und klimperten über das Kopfsteinpflaster. Dort, wo sonst knietief Wasser stand, lagen Berge von funkelnden Geldstücken.

Peter stand immer noch der Mund offen. »Wo kommt das ganze Geld her? Manchmal schmeißen Leute hier Münzen zum Spaß rein, aber das muss ja ein Verrückter gewesen sein.« Bob schien ihm gar nicht zuzuhören. »Mir kann es egal sein. Das müssen tausende von Dollars sein. Wir sind reich.« Dann nahm er Anlauf und sprang wie in einem Schwimmbad ins Becken. Er nahm beide Hände voll mit Münzen und warf sie überglücklich nach oben. Pennies flogen durch die Luft, als wären es Wassertropfen. »Kommt mit rein!«, lachte Bob. »Das habe ich mir schon immer gewünscht. Ich geh auf Tauchstation.« Er legte seine Brille auf den Rand und versuchte, mit dem Kopf in die Münzen einzutauchen. Jetzt gab es auch für Justus und Peter kein Halten mehr.

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»Achtung, jetzt komm ich!«, grölte Peter und hielt sich bei seinem Sprung die Nase zu.«

»Nicht vom Beckenrand springen«, lachte Justus und schimpfte wie ein Bademeister. Immer wieder warfen sie händeweise die kleinen Kupfermünzen in die Luft und ließen sie wie Regen auf sich niederprasseln.

In diesem Moment wurden die Eisengitter vor Porters Schaufenster hochgezogen. Nervös blickte der Kaufmann auf seine Armbanduhr und schüttelte verärgert den Kopf. Bob winkte ihn zu sich herüber. »Guten Morgen, Mister Porter! Kommen Sie mal hierher! Sie werden sich wundern.« Hektisch rannte der Mann mit der weißen Schürze über den Marktplatz. »Was ist denn los? Erst streikt mein Wecker und dann …« Weiter kam er nicht. Fassungslos starrte er auf die Münzen im Becken. »Aber … aber … das kann doch … das ist doch nicht …« Er brachte keinen vernünftigen Satz heraus.

»Kommen Sie herein!«, lachte Peter. »Hier ist es herrlich erfrischend – Pennytemperatur zwanzig Grad.« Entgeistert rieb Porter sich die Augen. »Wo kommt das ganze Geld her? Wer hat das hier reingetan? Was habt ihr damit zu tun?«

»Gar nichts. Wir haben das auch eben erst entdeckt!«, jubelte Bob. Das Gesicht des Kaufmanns entspannte sich. »Ja, aber dann bedeutet das, die Münzen gehören niemandem. Man kann sich also nach Lust und Laune bedienen, oder?«

Justus knetete nachdenklich seine Unterlippe. »Ich denke, man muss den Fund zur Polizei bringen.« Porter schüttelte den Kopf. »Ach was. Das hat doch niemand verloren. Hier wollte uns jemand ein schönes Geschenk machen. Vielleicht ist es dem Weihnachtsmann vom Schlitten gefallen? Macht, was ihr wollt, ich weiß, was ich zu tun habe.«

Zwei Minuten später kam er mit Schubkarre und Schaufel wieder. Emsig grub er sich durch die Münzberge hindurch.

Es leuchtete ein, was Mr Porter sagte, und die drei holten schnell die lindgrüne Tasche von Tante Mathilda und den geflochtenen Einkaufskorb.

»Dann mal los!«, lachte Bob und wühlte in den Pennies wie ein Hund, der nach einem Knochen gräbt.

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Penny-Jagd

Es dauerte nicht lange, bis weitere Passanten die wundersame Geldquelle entdeckt hatten. Es sprach sich herum wie ein Lauffeuer. Immer mehr Menschen kamen auf den Marktplatz und blickten erstaunt auf die Münzberge. Es war, als hätte man vor Tauben einen riesigen Sack Brotkrumen ausgestreut. Die Bewohner von Rocky Beach liefen in ihre Häuser und kamen mit Eimern, Kochtöpfen, Müllsäcken und leeren Kopfkissenbezügen zurück, wobei jeder versuchte, so viele Münzen wie möglich zusammenzuraffen.

»Alle weg hier!«, brüllte Porter in die Menge. »Ich habe es zuerst entdeckt. Alles meins!«

Doch keiner hörte auf ihn. Justus, Peter und Bob versuchten, ihre Beute in Sicherheit zu bringen und krabbelten zwischen den Beinen der Menschen hindurch. Immer wieder griff jemand in den gefüllten Weidenkorb.

»Finger weg!«, schimpfte Bob. Mittlerweile umlagerte eine Menschentraube den sonst ruhig vor sich hin plätschernden Brunnen. Als Mister Porters Schubkarre zum dritten Mal geplündert worden war, holte er aus seinem Geschäft einen großen Industriestaubsauger auf Rädern. Den langen Schlauch mit dem Saugrohr hielt er über die Menge direkt in die Münzen hinein. »So, jetzt wird abgesaugt«, schrie er vor Lachen und schaltete den Motor an. Wie ein gefräßiges Maul sog die Düse die Pennies in sich hinein. Klimpernd und klappernd verschwanden sie im Sauger.

Doch allmählich hatten sich die Menschen auf den Grund des Brunnenbodens durchgearbeitet. Bepackt mit schweren Säcken, verschwanden die Ersten wieder in ihren Häusern. Jetzt erst hatte man den Aufruhr anscheinend auch in dem nahen Polizeirevier bemerkt. Kommissar Reynolds kam aus der Wache, rannte auf den Brunnen zu und versuchte, sich durch die Menschenmenge zu zwängen. An seinem Mund klebten noch Marmeladereste vom Frühstück. »Platz machen! Lassen Sie mich zu dem Verletzten durch! Platz da – der Krankenwagen ist unterwegs!«

Als er zum ersten Mal einen Blick auf die restlichen Münzen werfen konnte, schüttelte der Polizist verständnislos den Kopf. »Kann mir mal jemand sagen, was hier passiert ist?«, rief er, so laut er konnte. Doch keiner wollte ihm eine Antwort geben. Die letzten Pennies waren schon fast aufgesammelt, und einer nach dem anderen verschwand mit seiner Beute. Mister Porter saugte noch schnell die restlichen Münzen aus dem Brunnenbecken und zog eilig seinen Staubsauger zurück ins Geschäft. »Tut mir leid, Kundschaft wartet«, entschuldigte er sich und schloss schnell die Tür.

Die drei ??? waren die Einzigen, die dem verwirrten Kommissar die Geschichte erzählen wollten. »Das ist ja unglaublich!«, stieß dieser hervor und wischte ein paar Schweißperlen von seiner Stirn. »Ich weiß gar nicht, ob die Polizei hier zuständig ist. Immerhin ist nichts gestohlen worden, keiner ist verletzt – eigentlich bin ich überflüssig.«

»Sie wollen den Fall nicht aufklären?«, wunderte sich Justus und sah ihn staunend an.

»Was für einen Fall? Irgendwann wird sich ein Witzbold melden und die Sache von allein auflösen. Bestimmt ist das wieder so ein Werbegag der Industrie. So, ich werde einen kurzen Bericht schreiben und ihn zu meinem Frühstück, äh, zu meinen Akten legen.« Dann verschwand auch der Kommissar.

Kopfschüttelnd sah Justus seine beiden Freunde an. »Unglaublich, den interessiert das einfach nicht. Ich glaube, dann müssen wir uns darum kümmern.« Bob nahm seine Brille ab und putzte sie am T-Shirt sauber. »Du hast recht, Just. Wir übernehmen den Fall. Und in Giovannis Eiscafé fangen wir am besten gleich mit unseren Nachforschungen an. Geld haben wir ja jetzt genug«, grinste er.