Wyatt Earp 122 – Um 12 Uhr am O. K. Corral

Wyatt Earp –122–

Um 12 Uhr am O. K. Corral

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER DIGITAL GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert, Oliver Melchert, Mario Melchert

Originalausgabe: © KELTER DIGITAL GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.kelterdigital.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-182-9

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Die großen Räder des schweren Planwagens gruben sich tief in den gelben Arizonasand. Der grauhaarige Mann auf dem Kutschbock hatte ein blasses, müdes Gesicht und dunkle Augen. Neben ihm saß ein sechzehnjähriges Mädchen, das ebenfalls blaß, aber recht hübsch war.

Hinter den beiden streckte ein kleiner zwölfjähriger Junge seinen Blondschopf durch die Plane und blickte nach Westen.

»Oh, ist das da hinten eine Stadt?«

Der Vater nickte. »Ja, Jimmy, es ist Tombstone.«

»Tombstone?« kam es verblüfft von den Lippen des Jungen. Seine Augen waren kugelrund vor Verwunderung. »Richtig, Tombstone?«

»Na, klar«, meinte das blasse Mädchen, dem jedoch ein leises Schauergefühl dabei über den Rücken lief.

»Tombstone!« wiederholte der Junge fast andächtig.

»Ist es das gleiche Tombstone, von dem wir in New Orleans so oft gehört haben? Die Stadt von Wyatt Earp und Ike Clanton?«

Der Mann auf dem Kutschbock zog die Brauen düster zusammen. Er dachte mit Schrecken daran, daß er den Kurs doch nicht gründlich genug studiert hatte.

Tombstone! Was barg dieser Name nicht alles. Nicht allein, daß es schon makaber genug war, einer Stadt den Namen Grabstein zu geben, hatte dieses Tombstone einen Ruf, dessen Düsternis und Gespenstigkeit bis hinunter an die Küste der Staaten gedrungen war.

Die Stadt von Wyatt Earp und Ike Clanton! Der Junge hatte es gesagt. Aber es war ja mehr, viel mehr, was hinter diesen beiden Namen steckte. Wyatt Earp war der berühmte Marshal, der Gesetzesmann, und Ike Clanton ein berüchtigter Bandenführer, über den noch vor anderthalb Jahren bis nach New Orleans hin alle Gazetten voll waren. Und vor einem Monat tauchte sein vergessen geglaubter Name plötzlich wieder in den Zeitungen auf, in Verbindung mit der fürchterlichen Galgenmännerbande.

»Vater«, meinte der Junge nach einer Pause, ohne den Blick von den graubraunen Dächern zu lassen, die fern im Westen am Horizont aufgetaucht waren, »lebt Wyatt Earp eigentlich noch?«

»Ich habe nicht gehört, daß er gestorben ist«, entgegnete der Mann wortkarg.

»Und Ike Clanton? Lebt der noch?«

Da wandte sich Luzy nach dem Bruder um.

»Frag doch nicht soviel Unsinn, Jimmy. Woher soll Vater denn wissen, ob Ike Clanton noch lebt? Wahrscheinlich wird dieser Bandit längst unter der Erde liegen.«

»Ike Clanton auf dem Boot Hill?« sagte der Junge mit belegter Stimme. »Nein, das glaube ich nicht. Wenn er tot wäre, gäbe es doch überhaupt keine Banditen mehr!«

Wieder war es eine Weile still.

Und als der Knirps erneut zum Sprechen ansetzen wollte, verwies ihm die ältere Schwester mit einem Blick das Wort.

Knurrend zog er sich hinter den Planenschlitz zurück.

Luzy blickte den Vater von der Seite an, sah sein sorgenvolles Gesicht, das seit ein paar Minuten noch beklommener geworden zu sein schien.

»Woran denkst du, Vater?«

»Ach, an nichts Besonderes, Luzy.«

»An Tombstone?« forschte sie vorsichtig.

John Barker nickte. »Ja, Luzy, an Tombstone.«

»Kannst du nicht eine andere Straße nehmen?« fragte Luzy nach einer Weile.

Da schoß Jimmys Kopf plötzlich nach vorn.

»Nein, das kann er nicht! Wie kannst du Vater so etwas einreden! Du weißt genau, daß die Straße nach Westen die beste ist. Wenn wir nördlicher fahren, kommen wir auf die schlechtere Straße. Und im Süden liegt die mexikanische Grenze. Vater hat doch schon x-mal gefragt.«

»Sei ruhig!«

»Nein«, brummte Jimmy.

Barker hatte mit einem Kehllaut die beiden braunen Zugpferde angehalten.

Jimmys Gesicht war rot vor Ärger.

»Du bist eine ganz alberne Ziege, Luz, so!« knurrte er.

»Was fällt dir ein!« fuhr der Vater ihn an.

Der Bursche sprang vom Wagen und stand mit gesenktem Kopf neben den Pferden.

Da rutschte auch Barker vom Kutschbock, legte eine seiner schmalen Hände auf den Schopf des Jungen und blickte zum Horizont hinüber.

»Du hättest Tombstone gern gesehen, nicht wahr?«

Der Kleine nickte heftig. »Ja, Dad, sehr gern.«

»Man sollte es nicht für möglich halten.«

Das Mädchen, das auf dem Kutschbock sitzen geblieben war, schüttelte den Kopf. »Du würdest sehr enttäuscht sein. Dein Marshal ist längst nicht mehr in der Stadt. Wenn ich mich nicht irre, ist er in Dodge City daheim. Oder glaubst du im Ernst, er hätte dieses Nest, in dem er so viel Furchtbares erlebt hat, so schön gefunden, daß er da Wurzeln geschlagen hat? Und von den Clantons wirst du noch so viel sehen, wie du bis jetzt von den Indianern gesehen hast. Die gibt es auch längst nicht mehr.«

Jim warf den Kopf herum und sah die Schwester aus blitzenden Augen an.

»Das ist mir egal. Ich möchte den O.K. Corral gern sehen, die Allenstreet, den Crystal Palace und Wyatt Earps Office.«

Luzy Barker wischte sich durch das Gesicht und senkte den Kopf.

»Du bist ein Narr. Vater wäre schön dumm, wenn er deinetwegen durch dieses Verbrechernest führe. Wenn auch die Clantons nicht mehr leben, so ist es doch immer noch Tombstone, eine gefährliche Stadt. Eine Gefahr für jeden Menschen, der sich gegen Banditen nicht zur Wehr setzen kann. Vielleicht denkst du daran, daß dein Vater noch nie einen Revolver in der Hand gehabt hat, Mr. Jim! Daß er keine Ahnung hat, wie man sich mit dem schweren Eisenknüppel, der da vorm Kutschbock liegt, gegen einen Outlaw verteidigt.«

Jimmy war blutrot vor Ärger geworden. »Aber ich weiß es!« preßte er durch die Zähne.

»Seid endlich still!« mahnte der Vater die beiden, nahm den grauen Hut ab und fuhr sich durch sein kurzgeschorenes Grauhaar.

Der kleine Jim Barker blickte unverwandt zum Horizont hinüber, wo im hellen Mittagslicht der Januarsonne die sagenumwobene Stadt Tombstone lag. Wie konnte ein Mensch nur erwägen, an dieser Stadt vorbeizuziehen? Das ging einfach nicht in seinen Kopf hinein. Und wenn er nach hundert Jahren hier vorübergekommen wäre – er würde immer nach Tombstone gefahren sein, um die Stadt zu sehen!

Da drang das dumpfe Geräusch von Hufschlag an ihre Ohren.

Die drei wandten die Köpfe und sahen in der Ferne drei Reiter auf der Overlandstraße von Bisbee herankommen.

Obgleich ihnen unterwegs auf dem langen Treck von New Orleans herauf doch immer wieder einmal Reiter begegnet waren, schraken die drei jetzt doch zusammen.

»Es sind drei!« kam es leise von Jimmys Lippen.

»Ja, das sehen wir auch.« Luzy gab sich Mühe, das Zittern ihrer Stimme hinter raschem Sprechen zu verbergen.

Auch das Gesicht des Vaters hatte sich noch stärker bewölkt.

»Wie schnell sie reiten!« entfuhr es Jim.

Im raschen Galopp kamen die drei näher und erreichten kurz hinter dem Prärieschooner die Overlandstraße nach Westen. Je näher sie dem Wagen kamen, desto langsamer wurden sie.

»Jim, auf den Kutschbock!« gebot der Vater.

Und während der Junge rasch auf den Wagen stieg, blieb er neben den Pferden stehen und blickte den Reitern entgegen.

Jetzt war der vorderste herangekommen.

Es war ein Mann, bei dessen Anblick es nicht nur dem kleinen Jim die Sprache verschlug. Auch seine schon ›erwachsene‹ ältere Tochter blickte den Mann gebannt an.

Es war ein hochgewachsener Mensch mit breiten Schultern, schmalen Hüften, tiefbraunem, markantgeschnittenem Gesicht und einem Augenpaar von so strahlender Bläue, daß Luzy Barker hätte schwören können, nie faszinierendere Augen gesehen zu haben.

Der Mann trug einen breitrandigen, flachkronigen Hut, unter dem lackschwarzes starkes Haar hervorblickte. Sein Anzug war aus gefüttertem schwarzem Kalbleder, das Halstuch über dem grauen Kattunhemd aus hellrotem Leinen, und die Stiefel, über deren abgesteppte Schäfte die Hosen fielen, waren hochhackig und mit großen silbernen Sternradsporen besetzt. Der Reiter trug einen breiten Waffengurt aus schwarzem Büffelleder, der an beiden Hüftseiten je einen Revolver hielt.

Und hätte nicht schon das Äußere dieses Mannes die Blicke der drei gefesselt, so hätte es bestimmt sein Pferd getan. Der hochbeinige Schwarzfalbe war ein so edles Tier, daß es auch einen Menschen, der nicht gerade ein großer Pferdekenner war, mit Bewunderung erfüllte.

Jim vermochte den Blick nicht von dem Reiter zu nehmen.

Da war der nächste Mann schon hinterm Wagen hervorgekommen. Und sein Anblick bildete den krassen Gegensatz zu dem des ersten Reiters. Es war auch ein großer Mensch, aber sein Gesicht wirkte schwammig und leer. Seine hellen gelblichen Augen flogen unstet hin und her. Er trug einen braunen, unsauberen Hut, eine gefütterte braune Jacke und eine schwarze Hose, die von grauen Streifen durchzogen war. Auch er trug einen Waffengurt, aber keinen Colt im Halfter. Das Pferd, das er ritt, war ein Weißfuchs.

Seltsamerweise erfüllte dieser Mann die drei Fremden mit Ekel und Schrecken zugleich.

Luzy hatte ihre schlanke Rechte beim Anblick dieses Menschen instinktiv um ihre Kehle gelegt.

Da hörte das Mädchen hinter sich ein Geräusch, wandte sich um und sah in ein hartes, kristallklares eisblaues Augenpaar!

Der dritte Reiter hatte den Wagen auf der rechten Straßenseite passiert.

Es war ein großer, schlanker Mann mit einem scharfgeschnittenen, fast aristokratisch wirkenden Gesicht, das von den seltsam intensiven Augen beherrscht wurde. Der Mann hatte einen saubergetrimmten Schnurrbart, trug einen schwarzen neuen Hut, den er tief in die Stirn gezogen hatte, und einen eleganten schwarzen Anzug, wie man unter seinem offenstehenden, pelzgefütterten schwarzen Mantel erkennen konnte. Sein Hemd war rüschenbesetzt und so blütenweiß, daß man hätte glauben können, er hätte es eben erst angezogen. Auch er trug einen breiten Waffengurt aus Büffelleder, der patronengespickt war und weit vorn über den Oberschenkeln in den Halftern zwei Revolver. Ihre Metallteile waren vernickelt und die Knäufe elfenbeinbeschlagen. Der Mann saß auf einem

Rapphengst, der seinen etwas düsteren Eindruck noch unterstrich.

Der Falbreiter hatte seinen Hengst angehalten und tippte grüßend an den Hutrand.

Barker grüßte erleichtert zurück und sah im gleichen Augenblick zu seinem Entsetzen, daß sein Sohn Jim die Winchesterbüchse, die sie in New Orleans gekauft hatten, mit beiden Händen umklammert hielt.

»Das ist er«, flüsterte der kleine Jim seiner Schwester durch den linken Mundwinkel zu.

Luzy, die sich inzwischen von der Überraschung über diese Begegnung einigermaßen erholt hatte, wollte sich überlegen zeigen und flüsterte zurück:

»Wer? Ike Clanton?«

»Nein«, zischelte Jim. »Das ist… das könnte…«

»Halt den Rand!« zischelte Luzy zurück. »Du spinnst.«

Jim bemerkte erst jetzt den verweisenden Blick des Vaters und ließ die Winchester auf das Bodenbrett rutschen.

Der Falbreiter hatte ein winziges Lachen in den Augenwinkeln.

Luzy bemerkte es und wurde puterrot; am liebsten hätte sie Jim jetzt eine Ohrfeige gegeben.

»Ist es noch weit bis – nach Tombstone?« forschte Barker.

Der Falbreiter wandte den Kopf, blickte nach Westen, und es schien Luzy, als ob jetzt auch über sein Gesicht ein Schatten flöge.

»Nein«, entgegnete er mit einer sonoren, metallischen Stimme, »vier Meilen etwa.«

»Danke«, sagte Barker und fragte dann noch: »Wissen Sie, wo man in der Stadt unterkommen kann?«

Der Falbreiter warf einen forschenden Blick über Barker, das Mädchen, den Jungen und das Gefährt und sagte dann:

»Bei Nellie Cashman sind Sie gut aufgehoben.«

»Thanks, Mister…«

Der Falbreiter hatte die Zügel schon aufgenommen, an den Hutrand getippt und war weitergeritten.

Der Mann mit dem Weißfuchs folgte ihm.

Der andere, der mit dem Rappen, nahm ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche, holte eine lange russische Zigarette daraus hervor und schob sie zwischen seine Zähne.

Ganz genau beobachtete Jimmy, wie der elegante Mann mit der Linken ein Zündholz aus der Tasche nahm, es ohne Zuhilfenahme der anderen Hand mit unerhörter Geschicklichkeit am Daumennagel anriß und die Flamme an die Zigarettenspitze hielt.

Dann zog eine blaue Rauchwolke unter seinem Hutrand hervor, und auch er ritt davon.

Die drei Barkers blickten ihnen schweigend hinterher:

John Barker in düstere Gedanken versunken – Luzy immer noch faszinierend von der Begegnung, geblendet von der sehr männlichen Erscheinung des Falbreiters und der unerwarteten Eleganz des Mannes auf dem Rapphengst, abgestoßen von dem Gesicht des Menschen auf dem Weißfuchs – und der Junge wie von einem Abenteuer verzaubert.

Endlich brach Jimmy das Schweigen:

»Ich hätte geschworen, daß es…«

»Daß was?« fragte Luzy rasch.

Der Blick des Jungen hing an den Reitern, die in einer gewaltigen Staubwolke verschwunden waren.

»Ich hätte geschworen, daß es… Wyatt Earp war!«

»Du bist verrückt!« sagte Luzy ziemlich schnippisch, obgleich sie sekundenlang einen ähnlichen Gedanken gehabt hatte.

»Der Schwarze auf dem Falben, das hätte er tatsächlich sein können«, beharrte Jim.

»Glaubst du denn«, fragte Luzy, »daß der Marshal zwei so seltsame Figuren mit sich herumschleppt? Der eine sah doch aus wie ein Bandit. Und der andere wie ein Richter oder ein

Lawyer.«

Der kleine Jim wußte auf diese Beobachtung seiner Schwester keine Antwort.

Barker rieb sich durchs Gesicht und stieg dann auf den Kutschbock zurück.

»Wollen sehen, daß wir weiterkommen!«

Er nahm die Zügelleinen auf. Mit lautem, kehligem »Hooo hoo!« trieb er die beiden Zugpferde an.

Das erste, was sie sahen, als sie in die Allenstreet, die breite Mainstreet von Tombstone einfuhren, war auf der rechten Straßenseite ein Beerdigungsunternehmen, der seine Ware auf dem Vorbau und der Straße zur Schau gestellt hatte, wie andere Leute Äpfel, Kartoffeln oder Fische vor ihren Geschäften feilboten.

»Scheint ja ein gefragter Artikel in dieser Stadt zu sein«, meinte Jim altklug.

Luzy stieß ihn fröstelnd an. »Sei bloß still! Das fängt ja gut an. Ach, Dad, weshalb sind wir nicht über Gleason weitergefahren?«

Barker beugte sich zu einer Frau nieder, die gerade die Mainstreet überquerte.

»Wo finde ich Cashmans Boardinghouse?«

Die hagere Frau wandte den Kopf und deutete zur nächsten Straßenkreuzung.

»Wenn Sie da links abbiegen, kommen Sie hin. Es liegt gleich unten an der Ecke zur Toughnutstreet.«

Als der Wagen auf die Ecke der Fünften Straße und der Toughnutstreet zurollte, meinte das Mädchen:

»Das ist ja ein richtiges Hotel, Dad. Das ist doch nichts für uns.«

»Der Fremde hat es Vater empfohlen«, beharrte Jimmy. »Es ist bestimmt gut.«

»Gut ja, das sieht man«, meinte Barker, »aber sicher auch teuer.«

Er beschloß dennoch, hineinzugehen und nachzufragen.

An der Tür kam ihm ein grauhaariger Neger entgegen, der sein gewaltiges Gebiß zu einem freundlichen Lächeln fletschte.

Barker erkundigte sich nach den Zimmerpreisen.

»Kommen Sie nur herein, Mister«, sagte der Schwarze, »Sie sind schon angemeldet.«

»Angemeldet?« Barker verstand nicht. Da sah er im Hintergrund der Halle eine Frau stehen. Sie war jung, sah sehr gut aus, hatte dunkles Haar und ernste große braune Augen.

Barker machte ein paar Schritte in die Halle hinein und blieb dann stehen.

»Entschuldigen Sie, Madam, ich wollte mich nur nach den Zimmerpreisen erkundigen.«