Heiraten oder nicht heiraten – das ist heut die Frage!

Gewiss – Herr Strax liebt Fräulein Hoyer.

Doch schließlich rechnet er und spricht:

»Der Ehestand ist mir zu teuer.

Ich bleibe unverehelicht!«

Strax führt ein höchst bescheidnes Leben.

So recht nach Junggesellen-Art! …

Wir andern wollen Obacht geben,

wie viel er, ohne Gattin, spart. –

Früh neun Uhr reitet er mit Grete    Tageszeit    Ausgaben

geliehne Pferde durch den Park.

Dann trinkt man Tee. Und isst Pastete.

Summa summarum: zwanzig Mark.    9h früh    20 M

Zu Mittag trifft er sich mit Kläre.

Und schenkt ihr Rosen (fünfzehn Stück!).

Erst speisen sie im Belvedere –

dann zieht sich Kläre bald zurück.    1h mittags    35 M

       Übertrag: 55 M

Im Café sucht er neue Kräfte.

Und dort entdeckt ihn schließlich Mix.

Schleppt ihn durch Juweliergeschäfte –

doch Gott sei Dank gefällt ihr nix!    3h mittags    0 M

Er atmet auf. Da kommt Marlene.

Zwingt ihn zu einer Autofahrt.

Will Küsse. Macht ihm eine Szene.

Und sagt, er sei zu wenig zart …    4h nachm.    15 M

Zu Abend speist er mit Reginen.

Die isst so gern, was sie nicht kennt,

und hinterher ein Pfund Pralinen!

Ihr Appetit ist eminent.    7.30h abends    20 M

Mit Nadja hockt er im Theater

und langweilt sich, so gut er kann.

Sie tut, als wäre er ihr Vater,

und lacht den Heldenspieler an. –    10h abends    15 M

Strax geht verärgert etwas tanzen.

Und trinkt mit Fräulein Lore Sekt.

Vier Flaschen trinken sie im Ganzen,

bis Lore ihren Freund entdeckt.    1h nachts    60 M

       Übertrag: 165 M

Strax landet in der »Stillen Klause«

und findet Leonore nett.

Zahlt Schnäpse, bringt das Kind nach Hause.

Und trollt sich heim ins eigne Bett.    2h nachts    10 M

       175 M

Dies ist ein Tag aus Straxens Leben.

So recht nach Junggesellen-Art.

Strax sollte ernstlich Obacht geben:

Wie viel er ohne Gattin spart!

Die Verlobungsjagd

Es war neun Uhr morgens. – In der Nacht schien Schnee gefallen zu sein. Jedenfalls versuchten die Dächer den entsprechenden Eindruck zu erwecken. Es gelang ihnen freilich nur stellenweise … Die Straßen sahen abscheulich aus. Und die Passanten schoben die Füße durch den Schmutz, als übten sie Skilaufen.

Herr Doktor Enterlein vollführte gerade die letzte Kniebeuge, schloss dann das Schlafzimmerfenster, schlüpfte in die Pyjamajacke und schlenderte in seine Wohnstube hinüber. Im Ofen prasselte Holz. Enterlein rieb sich die Hände, goss Tee ein, suchte nach Post, fand nur die Zeitung und setzte sich, faul und gähnend, vor den Schreibtisch. Erst trommelte er mit den Fingern auf der Stuhllehne herum. Dann klapperte er, zirka eine Minute, mit dem Federhalter. Und schließlich wandte er seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Abreißkalender zu. Er entsann sich, dass morgen Neujahr sei. Also war heute Silvester. Im Anschluss an diese unbestreitbare Erwägung begann er die überholten Datumzettel abzurupfen, bis die Rechnung stimmte: 31. Dezember. Enterlein fiel dabei eine Notiz ins Auge. Er beugte sich träge vornüber, um lesen zu können – und sprang hoch, als habe er sich versehentlich auf eine heiße Herdplatte gesetzt …

Das Kalenderblatt aber sah folgendermaßen aus:

Dezember 31 Tage

31

Dezember

Schlusstermin der Wette mit Bettina (1000 Mark).

Muss unter allen Umständen gewonnen werden!

Herr Doktor Enterlein stand längere Zeit vor seinem Schreibtisch, als sei er festen Willens, blödsinnig zu werden. Sein Gesicht ließ hierüber nicht den geringsten Zweifel zu. – Dann stieß er einen Laut aus, der seinem Bildungsgrad in keiner Weise entsprach. Und zwei Minuten später lehnte er, zum Ausgehen fertig, an der Tür. Er warf noch einen Blick ins Zimmer, als nehme er auf Jahre hinaus Abschied. – Plötzlich schien er sich eines Bessern zu besinnen, stürzte zum Telefon, stellte den Anschluss her und sprach minutenlang mit irgendjemandem. Dann hängte er ab, notierte etwas, schob den Hut aus der Stirn und telefonierte von neuem. Wieder hängte er ab. Wieder machte er Notizen. Und telefonierte zum dritten Mal.

Eine volle Stunde mochte er mit diesem abwechslungsreichen Einerlei zugebracht haben, als er aufstand, Hut und Mantel ablegte, ein großes Stück weißen Papiers aus einer Mappe nahm und, unter eifriger Benutzung seiner Notizen, etwas entwarf, was einem Stundenplan verteufelt ähnlich sah. – Und zwar so:

4h

Café »Magnet«

Melitta Stoeckel

430

Intime Bar

Ruth Gwinner

5h

Café »Buen Retiro«

Lucie Schädlich

530

Exzelsiordiele

Katrin Perlbach

6h

Café »Blaue Hand«

Josefine Basch

630

Prinzeß-Kasino

Ursel Bansin

7h

Klubhaus A.S.C.

Mix Meyer

730

Café »Walfisch«

Alice Stetten

 

Halb vier Uhr saß Doktor Enterlein bereits im Café »Magnet« und trank Kognaks. Um vier wollte er sich mit Fräulein Melitta Stoeckel treffen. Fünf Minuten vor halb fünf kam sie denn auch. – Enterlein blickte, statt sie anzuschauen, giftig auf die Uhr, deren Zeiger weiterrückten; das Mädchen bestellte sich Kaffee und Torte, musterte ihn neugierig und schien keineswegs ohne Anteilnahme. Schließlich fragte sie ihn, was er eigentlich wolle. Er stand, statt zu antworten, auf. Zog den Mantel an. Fräulein Stoeckel war erstaunt und aß Torte. Dann sagte sie: »Du solltest ein bisschen in den Engadin fahren, Robert. Die Luft dort oben würde dir guttun. Ich kann dir in Pontresina ein ausgezeichnetes Hotel empfehlen. Es heißt … na, wie heißt es doch gleich?« Robert Enterlein knöpfte den linken Handschuh und sprach: »Melitta, willst du dich mit mir verloben?« Sie prüfte sein Gesicht und meinte, St. Moritz wäre für Gemütskranke zu lebhaft. Dann fragte sie aber doch: »Wann?« –

Er nahm den Hut vom Nagel und murmelte resigniert: »Sofort.« Darauf lachte sie. Er zuckte zusammen, hielt seine Hand hin und sagte: »Auf Wiedersehen, Kindchen!« Nun wurde sie böse; erkundigte sich, was ihm eigentlich einfalle, sie bei solchem Wetter aus dem Haus zu locken; ob er denn glaube, Verlobungen würden beim Adieusagen erledigt! Im Übrigen sei sie nicht etwa abgeneigt. Aber so schnell gehe es keinesfalls. Sie könne ja gelegentlich mal mit den Eltern Rücksprache nehmen. Zwar gebe es da einen gewissen Herrn Haferkorn, den der Vater für sie …

Enterlein befand sich inzwischen längst auf der Straße, winkte einem Auto, rief »Intime Bar!«, stieg ein und begann, als Melitta ihren Satz beendet hatte, gerade damit, auf Ruth Gwinner zu warten …

Es hat keinen Sinn, Robert Enterleins Nachmittagsbeschäftigung länger zu verfolgen. Die anderen sieben Mädchen rieten ihm, der Reihe nach, sieben andere Erholungsreisen. Siebenmal noch wurde er für geistig leicht gestört erklärt. Siebenmal wurde sein ungestümer Drang zur Verlobung nachdrücklich unbescheiden gefunden und abgelehnt. Und noch siebenmal wurde ihm bedeutet, dass man seiner Nachfrage (allerdings bei längerer Lieferungsfrist) ein günstiges Angebot recht wohl in Aussicht stellen könne.

 

Vom Leid gebeugt, vom Schneetreiben durchnässt und marode kehrte Herr Doktor Enterlein gegen acht Uhr nach Hause zurück. Dort sank er in den ersten besten Stuhl und ließ den Kopf, auf dem der Hut noch saß, hängen. Was er tat und dachte, bleibt der Beschreibung unzugänglich. Denn er tat und dachte nichts. – Sein Inneres glich einem großen Theater, dessen Schauspieler nach Haus gingen, da keine Zuschauer kamen …

An den Fenstern wirbelten die Flocken vorbei, als hätten sie es eilig. Die Straßenpassanten marschierten mit schiefen Köpfen gegen den Wind und zogen die Füße aus dem Schlick, als hätten sie sich verbrannt. Hundewetter war der richtige Ausdruck …

Und dann klingelte das Telefon. Enterlein stolperte durch das dunkle Zimmer und murmelte: »Hallo.« Die Stimme am andern Ende musste ihm bekannt sein; denn er unterdrückte einen Fluch und fragte, so harmlos als es gehen wollte: »Was ist denn los, Bettina? Waaas? – Wette zwischen uns? Das muss ein Irrtum sein! … Allen Ernstes, ich hab keine Ahnung mehr. Worum handelte sich’s denn?«

Bettina schien an dieser Stelle des Gesprächs ein ausführliches Lachen für gut zu finden; denn Enterlein fuchtelte wütend mit einem Arm in der Luft herum und sagte mild: »Beruhige dich doch, bitte, und verrate mir lieber den Gegenstand unserer Wette … hm? … So, so … Ist schon möglich … Nun, und? – Aber das ist ja Irrsinn, meine Liebe! In diesem Jahre verloben, sagst du, oder tausend Mark? … Urkundlich festgelegt? … oooh. – Das wird das Beste sein … Sofort? – Ich möchte nur erst etwas essen. Vielleicht in einer halben Stunde? Schön. Auf Wiedersehen, Bettina!«

Es darf für erwiesen und glaubhaft gelten, dass Robert Enterlein nichts aß. Er hockte vielmehr zehn Minuten in ernster Arbeit am Schreibtisch; zählte das Geld in Brieftasche und Schatulle; betrachtete ironisch den letzten Bankauszug; schrieb Zahlen untereinander, die er addierte und subtrahierte, bis er einsah, dass ihm ohne Multiplikation nicht zu helfen sei, – und dann ging er aus.

 

Herr Doktor Enterlein hatte im Laufe des Tags achtmal auf junge Damen gewartet, die zu spät kamen. Bettina Fouqué war früher zur Stelle als er selber. – Die Begrüßung geschah herzlich. Und Enterleins rührenden Bemühungen gelang es, das Liquidationsgespräch, welches ihnen – genau genommen: ihm – bevorstand, zu verzögern. Es vergingen Stunden; die Lokale wurden gewechselt, dass es für die Gastwirte eine Lust war – von der Wette aber wurde bis elf Uhr lediglich mit den Blicken gesprochen … Bettina behielt (in all der Zeit und in all den Lokalen) ihre lächelnde gleichmütige Sachlichkeit bei, für die sie unter Freunden bekannt war und wie sie sich für eine Medizinerin schicken mochte. Enterlein geriet langsam und sicher in jenen Zustand, in dem man, wie behauptet wird, Blut schwitzt. Je später es wurde, umso öfter zog er seine Uhr heimlich aus der Tasche. Hoffte er ernstlich, seinem Schicksal zu entwischen?

Plötzlich fragte Bettina: »Wie spät ist’s eigentlich, Robert?« Er ließ ertappt die Uhr unterm Tisch verschwinden und sagte bescheiden: »Fünf vor halb zwölf!« – »Verflixt!«, rief Bettina, »da muss ich doch schnell meinen Wettgewinn kassieren. Zahlst du bar oder per Scheck?« Robert erklärte sich außerstande, tausend Mark sofort flüssigmachen zu können. Im Übrigen dürfe die Wette gar nicht gelten, da er sie ja vergessen habe und dadurch gar nicht in der Lage gewesen wäre … Bettina Fouqué kramte aus ihrer Tasche einen Zettel, der Enterleins Unterschrift trug. Und dann erkundigte sie sich bei ihm, welchen Zinsfuß er für angemessen halte, falls sie sich dazu herbeilasse, ihm die Schuld zu prolongieren. Enterlein zuckte die Achseln, und die Debatte wurde fortgesetzt. – Fünf Minuten vor Neujahr hatte man sich auf eine Verzinsung von fünfzehn Prozent (jährlich) geeinigt und einen Tilgungstermin anberaumt, den Enterlein einzuhalten versprach.

Während dieses merkwürdigen Schuldenabkommens war Bettina recht unruhig geworden und schien nun, wie vorher Enterlein, die Uhr für unentbehrlich zu halten … Drei Minuten vor zwölf wurde Fräulein Fouqué rot und sagte in ungewöhnlich bescheidenem Ton (ihre Stimme vibrierte geradezu, als gelte es, Angst zu haben): »Robert, bist du nicht auf den Gedanken gekommen, dass du die Wette noch immer gewinnen könntest? Auch jetzt noch?«

Herr Doktor Enterlein schüttelte den Kopf und bemerkte trübe:

»Mit wem sollte ich mich denn so schnell verloben?« Doch seine letzten Worte klangen anders als die ersten. Es lag so etwas wie eine unermessliche Verwunderung darin. Er blickte Bettina an. Doch sie hatte plötzlich irgendwo irgendein Federchen am Kleid gefunden, das sie mit größester Exaktheit und rühmlicher Ausdauer fortblies.

Schließlich schaute sie ihn doch an; ein bisschen hilflos, so, als habe sie sich zu weinen entschlossen. Sie flüsterte: »Robert, noch eine Minute …«

 

Angemessenes Zartgefühl verbietet es, die folgende Szene zu detaillieren. Und statt unvornehmer Ausführlichkeit sei sofort auf den 3. Januar verwiesen, an dem bei Stoeckels, Gwinners, Schädlichs, Perlbachs, Baschs, Bansins, Meyers, Stettens und vielen andern eine Briefkarte eintraf, die einiges Aufsehen hervorrief und bei den Töchtern der genannten Familien Empörung oder Tränen. Oder, schlimmstenfalls, beides. –

Und auf der Briefkarte stand in Koch’scher Antiqua-Kursiv:

In der Silvesternacht verlobten sich:

Dr. med. Bettina Fouqué

Dr. ing. Robert Enterlein

Infolge einer Wette, die beide gewannen

Karl der Faule

Da er zu Besuch war, durfte er wie früher als pakettragende Begleiterscheinung der Mama wirksam werden. Sicher trug die zunehmende Last der Einkäufe dazu bei, dass seine sorglich verborgene Zerknirschung nun doch zu bemerken war. – Mit mütterlich unheimlichem Scharfsinn stellte sie die einzige Frage, vor der er mit Recht zittern konnte: sie erkundigte sich, wie lange er eigentlich früh im Bett zu liegen pflege. Oh, das sei ganz verschieden, entgegnete er. Seiner wachsenden Befangenheit nicht achtend, wiederholte sie die Frage. – Nun, einmal sei er, beispielsweise, um neun aufgestanden. (Das entsprach übrigens der Wahrheit.) – Und sonst? – Mama fragte noch etliche Male. Und das Ergebnis war beschämend.

Plötzlich standen sie in einem Uhrenladen. Die Nervosität unzähliger Pendel ließ Karl erschrecken. Sooft er die Wände ansah, schienen sie sich sturmgetrieben hin und her zu bewegen. Angstvoll schloss er die Augen. Da hörte er die Stimme der Mama: »Sagen Sie, Fräulein, führen Sie Weckuhren für Schwerhörige?«

Karl öffnete die Augen rechtzeitig genug, um dem mitleidigen Blick einer über den Ladentisch geneigten jungen Dame zu begegnen. Sie nickte der Mama seriös zu, drehte sich um und ging in Kniebeuge. Dann stellte sie eine blechern anmutende Weckuhr auf den Tisch und begann: »Diese Uhr, gnädige Frau, ist amerikanisches Fabrikat, und kann ich Ihnen diese dringend empfehlen. Selbst Taubstummenanstalten lieferten uns glänzende Gutachten. Auch leisten wir Garantie für ein Jahr. Diese Uhr besitzt die Eigenschaft, im Laufe einer halben Stunde zwanzigmal zu wecken; jedes Mal eine Minute lang; zwischen den Weckzeiten liegen Pausen von je einer halben Minute …« Karl fand, sie spräche wie ein Führer durch Residenzschlösser. Daraufhin dachte er an seine Briefmarkensammlung, so dass es ihn überraschte, als das Mädchen ein Paket an seinen letzten freien Finger hing, die Tür öffnete und von baldigem Wiedersehen sprach. »Ich schenke sie dir«, meinte die Mama auf der Straße. Karl, der das Paket zu verlieren trachtete, fragte: »Wem?«, und dachte dabei an das Fräulein mit der Kniebeuge und dem mitleidigen Blick. Es gelang ihm nicht, die Weckuhr zu verlieren …

Als er am nächsten Tag in der Universitätsstadt ankam, war es leider noch zu früh zum Mittagessen. Ohne tiefere Absicht begab er sich in die Universität, betrat irgendeinen Hörsaal, hing Hut und Mantel an ein Fensterkreuz und stellte die kleine Reisetasche und den Karton mit den Pfannkuchen neben die Tür. Sich selber setzte er in beträchtlicher Entfernung vom Katheder nieder und mühte sich, seinen Nachbar, der zufällig eine Dame war, kennenzulernen.