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Konny und Kriemhild, beide über sechzig, führen nicht sonderlich erfolgreich eine Pension in der Provinz. Eines Tages wird die Idylle durch einen Mord gestört – und die Schwestern entpuppen sich als wahre Meisterdetektivinnen …

In die Beschaulichkeit der Bed-&-Breakfast-Pension der Schwestern Konny und Kriemhild platzt eine Band junger Musiker, die den Haushalt ordentlich auf den Kopf stellen – bis einer von ihnen tot aufgefunden wird.

Hat der Gärtner den Gast versehentlich mit seinem Aufsitzrasenmäher umgefahren? War es wirklich ein Unfall? Oder nicht doch Mord? Kurzentschlossen nehmen die Schwestern die Ermittlungen selbst in die Hand – ihr Haus, ihre Regeln.

All das vor den Augen eines zufällig anwesenden Hotelkritikers. Und der Pensionskatze: dem unsäglich hässlichen Sphynx-Kater Amenhotep.

Das Chaos ist perfekt!

 

Tatjana Kruse, Jahrgangsgewächs aus süddeutscher Hanglage, wuchs in einem reinen Frauenhaushalt auf – das erklärt sicher manches. Zudem befand sich dieser Frauenhaushalt in einem Kleinstadthotel, das von ihrer Mutter geleitet wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Tatjana Kruse das literarisch aufarbeitete. Mittlerweile ist sie von Beruf Kriminalschriftstellerin. Mehr unter www.tatjanakruse.de

 

 

TATJANA KRUSE

DER GÄRTNER WAR'S NICHT!

Die K&K-Schwestern ermitteln

INSEL VERLAG

 

 

eBook Insel Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4565.

© Insel Verlag Berlin 2017

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

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Umschlag: zero-media.net, München

Umschlagfoto: FinePic©, München

eISBN 978-3-458-75198-4

www.insel-verlag.de

In 29 Schritten zur Lösung

 

Akt eins: Trügerische Idylle

1.  Idylle … [Substantiv, feminin], trügerische … [Adjektiv]

2.  Willkommen im Paralleluniversum … in dem sich Dinosaurier und Homo musicus dieselbe Welt teilen

3.  Kurzer Zwischeneinschub: Wie man sich als Pensionswirtin nicht verhalten sollte

4.  90-60-90, aus Silikon

5.  Stern oder nicht Stern … das ist hier nicht die Frage

6.  Das Fleischesser-Manifesto (Hohepriesterin Kriemhild hält das Wort zum Sonntag)

7.  Liebe – so sauber, wie in Sagrotan gebadet

8.  Trösterchen I

9.  Trösterchen II

10. Zoff und Zeitzeugnisse (Ein Morgen im Leben der K&K-Schwestern)

11. Knüpft ihn auf, den Hund!

12. Der Tod & andere ungebetene Gäste (Vier Leichen, ohne Dessert)

Des Grauens zweiter Akt

13. Wie die Sardinen, nur ohne Öl

14. Kapitel 14 … bei dem Leute, die ständig Cat Content in den Sozialen Medien posten, gaaanz breit grinsen werden, weil: Cat Content!

15. Hütet euch vor der dunklen Seite der Macht!

16. Zwischenspiel mit Leiche

17. Ein Zombie namens Gabi

18. Hochnotpeinliche Befragung mit Nacktschnecke

19. Voll enthemmt auf Kukident

20. Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu schmieden

21. Impuls-Kontroll-Störung für Fortgeschrittene (Die Schnüffelschwestern in Aktion)

22. J'accuse!

Sind wir schon im dritten Akt?

23. Wenn du über jemanden nichts Gutes sagen kannst, dann halt die Klappe … und schreibe alles, alles auf!

24. Frau Klum, Herr Hirsch und die Beißhemmung der Geißeltierchen

25. Die fünf Tode des Herrn B.

26. Ein Wort mit 32 Buchstaben

27. Shaun, Dolly und das wollige Grauen

28. Vom Leben durchgekaut und ausgespuckt …

29. Die Geister, die ich nicht rief …

Das letzte Ahoi des Kommodore – Epilog

Akt eins: Trügerische Idylle

 

Liebe Kummerkasten-Konny,

eines Morgens, ich war 45, bin ich in die Küche gegangen, um mir einen Kaffee aufzubrühen, und als ich wieder herauskam, war ich 59. Das habe ich mal wo gelesen, und es trifft voll auf mich zu. Wo sind die Jahre geblieben? Ich war immer sehr stolz auf mein Aussehen, jetzt aber habe ich – trotz Sport! – Hängewangen. Als Nächstes dann Hämorrhoiden, Inkontinenz und Krampfadern, oder? Ich kann ins Wasser gehen. Wofür lohnt es sich noch zu leben?

Fragt sich Regina (ehemalige Weinkönigin)

 

 

Liebe Regina,

lassen Sie einen alten Menschen nicht Ihren Körper entern! Ja, ja, das Altwerden ist nichts für Schwächlinge, aber he, was ist die Alternative?! Es gibt ja Leute, die sagen: »Eigentlich wollte ich die Welt erobern. Aber es regnet.« Lassen Sie sich von Kleinigkeiten wie Brustlappen, die Sie sich über die Schultern werfen können, nicht die Freude daran verderben, dass Sie immer noch da sind! Sie können nicht verhindern, dass Sie alt werden. Aber Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden. Erst mal dankbar sein: Alt zu werden ist ein Privileg, in dessen Genuss nicht alle von uns kommen. Wobei natürlich nicht jeder wie Wein altert … manche altern auch wie Milch. Aber Sie, als ehemalige Weinkönigin, werden das schon meistern. Prösterchen!

Ihre Konny

Idylle … [Substantiv, feminin], trügerische … [Adjektiv]

 

 

Großer Gott, was für ein Gesülze, dachte Konny und schüttelte sich innerlich. Nicht wegen der Message. Sie stand voll hinter jedem einzelnen Wort. Nur wegen der blumig-braven Ausformulierung. Am liebsten hätte sie dieser jammerlappigen Barbie eine virtuelle Ohrfeige versetzt. Das sahen allerdings die Redaktionsvorgaben nicht vor. Bis Redaktionsschluss musste Konny zweihundert Wörter liefern, und Redaktionsschluss war in zehn Minuten. Also war's das jetzt. Konny drückte auf »senden«.

Im Grunde war es ihr, der ehemals investigativen Journalistin, peinlich, für eine Frauenzeitschrift zu schreiben. Happy 50+ – das Lifestylemagazin für aktive Best Agers. Zielgruppenunabhängig gingen Frauenzeitschriften ja immer nach demselben Schema vor, kennt man ja: auf Seite eins bis zehn: Akzeptiere dich so, wie du bist! Seite elf bis zwanzig: Verliere fünfzehn Kilo in vier Wochen. Seite einundzwanzig bis dreißig: Leckere Tortenrezepte.

Hallo?

Aber mit dem Honorar unterhielt Konny sich, ihre Schwester und ihren Gärtner. Die Pension warf nichts ab. Noch nicht, wie Konny inständig hoffte. Ihre Schwester Kriemhild sah das skeptischer.

Wenn man an den Teufel denkt …

»Konniieeee!«, rief Kriemhild mit ihrer durchdringenden Stimme von unten aus dem Keller. Durchdringend und in einer Frequenz, die knapp davor war, dass nur noch Fledermäuse sie hören konnten und sie den Putz von der Decke rieseln ließ.

»Waaas?«, brüllte Konny zurück.

Draußen vor dem offenen Fenster schreckte ein Spatz aus dem Efeu hoch.

»Was ist das für ein Fleck auf deiner Leinenbluse?«

Seit sie vor einem Jahr aus ihrem ehemaligen Elternhaus eine Pension gemacht hatten, teilten sie die Arbeit strikt untereinander auf. Kriemhild kochte, wusch und putzte, Konny erledigte die Reservierungen und – wegen ihrer größeren sozialen Kompetenz – die Gästebetreuung.

Gäste, die es im Moment nicht gab.

Konny seufzte. Wegen der fehlenden Gäste. Und wegen des Flecks.

»Keine Ahnung«, brüllte sie zurück.

Obwohl eine innere Ahnung, die man durchaus auch als zarte Gewissheit bezeichnen könnte, ihr sagte, es müsse sich um einen Rotweinfleck handeln. Hatten sie nicht vorgestern Abend draußen auf der Terrasse noch einen Schlummertrunk zu sich genommen? Kriemhild hatte wie immer – und trotz des lauen Sommerabends – an einer heißen Schokolade genippt, Konny an einem kräftigen Franzosen. Leider keinem aus Fleisch und Blut, sondern aus vergorenen Trauben. Vielleicht hatte sie daneben genippt. Konny war in solchen Dingen nicht penibel. Das überließ sie Kriemhild.

»Die Bluse muss in die Reinigung«, dröhnte Kriemhild. Auf dem langen Weg vom Waschkeller ins Büro verloren ihre Schallwellen nicht an Wucht. Beinahe das Gegenteil war der Fall. Kriemhild hatte ihre Schallwellen unter Kontrolle. Wie sonst auch alles. »Obwohl es humaner wäre, das Teil einfach zu verbrennen!«

»Untersteh dich!«, brüllte Konny, die schon heiser wurde, weil ihr das nötige Brüllaffentraining fehlte. Sie hatte eben nie einen schwerhörigen Seebären geheiratet.

Konny war die jüngere der beiden Schwestern. Um exakt vierzehn Minuten jünger. Sie war drall, hatte eher eine Hummelhüfte als eine Wespentaille, und sah immer erst mal das Gute in allem. Eine Seele von Mensch.

Ganz anders Kriemhild. Fast einen Kopf größer als ihre Schwester und nur halb so breit, mit stets fest zusammengepressten Lippen. Konny, die sie schon ihr ganzes Zwillingsleben lang kannte, wusste, dass die nach außen sichtbare Grundmissbilligung von allen und allem nichts damit zu tun hatte, dass Kriemhild vom Leben unbotmäßig gebeutelt worden wäre, obwohl sie das war. Nein, sie hatte schon als Embryo im Mutterbauch die Lippen zusammengepresst und immer ein wenig unzufrieden geguckt.

Das war über sechzig Jahre her.

Wer an sie beide dachte, dachte aber nicht: »Was für zwei süße, alte Damen«, er dachte: »Großer Gott, was haben sie jetzt wieder angestellt?«

Konny war immer schon ein verrücktes Huhn gewesen, hatte als Kind ständig irgendeinen Schabernack getrieben, liebte es auch später noch, Regeln zu brechen und als freiberufliche Journalistin beispielsweise über das zu schreiben, was andere gern zugedeckelt hätten. Sie hatte zahlreiche Affären gehabt und sich den Wind des Lebens um die Nase wehen lassen – was nach Freiheit und Abenteuer klang, und das zu Recht, was aber auch bedeutete, dass sie mit über sechzig unverheiratet war und mehr oder weniger mittellos dastand. 

Kriemhild hatte dagegen regelkonform gelebt, war Lehrerin geworden, ohne je in ihrem Beruf zu arbeiten, weil sie mit Kindern ebensowenig konnte wie mit Erwachsenen, hatte bei einer Hamburg-Reise einen sehr viel älteren, ehemaligen Hochseeschifffahrtskapitän kennen- und lieben gelernt, der aber auf seinen Fahrten ebenfalls nicht reich geworden war. 

So gesehen, traf es sich gut, dass vor zwölf Monaten ihre alte Lieblingstante Barbara gestorben war. Mit 102. Da war die Hebamme auch nicht mehr schuld. Einhundertundzwei ist ein gesegnetes Alter, da darf man ruhig mal einschlafen und nicht mehr aufwachen. Was Konny und Kriemhild in ihrer Kindheit nicht gewusst hatten und erst nach dem Unfalltod ihrer Eltern erfuhren, als beide schon lange aushäusig lebten und liebten und arbeiteten: Das Haus ihrer Kindheit, ihr Elternhaus, gehörte in Wirklichkeit Tante Barbara. Und die zog dann auch bis zu ihrem eigenen Ableben ein. Mit Gudrun, der Nenn-Tante von Konny und Kriemhild, mit der Barbara fast sechzig Jahre liebevoll zusammengelebt hatte, ein Fakt, der in der Familie nie thematisiert worden war. Die beiden hatten keine Kinder, und Gudrun war wenige Monate vor Barbara gestorben. So fiel das Haus an Konny und Kriemhild, die spontan beschlossen, für ihre eigene Altersabsicherung eine Bed-&-Breakfast-Pension daraus zu machen. Eine Villa im Grünen, in der Nähe einer süddeutschen Kleinstadt, in einer touristisch bestens erschlossenen Gegend – da hatte auch die Bank ein Einsehen und finanzierte den Einbau von sieben Nasszellen in den Zimmern des ersten Stocks. So weit, so gut. Wenn jetzt nur noch mehr Gäste kämen … 

Konny klappte ihren Laptop zu. Wie aufs Stichwort rollte ein Fleischball heran und ließ sich auf dem noch warmen Elektronikteil nieder. 

»Amenhotep, mein Schöner«, gurrte Konny. 

Schönheit lag ja bekanntermaßen im Auge der Betrachterin. Im alten Ägypten hielt man Katzen für Götter. Die Katzen haben das nicht vergessen. Amenhotep schon gar nicht. Auch wenn er für Außenstehende nichts weiter war als ein fetter Sphynx-Kater mit Mundgeruch und permanent schlechter Laune. Ja, genau, ein Sphynx-Kater, im Volksmund auch gern »Nacki« genannt. Ein Kater ohne Fell. Das beleidigte das Schönheitsempfinden mancher Ästheten, war aber positiv, weil selbst katzenallergische Pensionsgäste gut mit ihm klar kamen und seine Nacktheit ihn nicht daran hinderte, als fleißiger Soldat durch die Villa zu patrouillieren und jede Maus zu killen, der er ansichtig wurde. Und er war ein verdammt guter Mäusejäger, wie Konny in diesem Moment feststellen musste. 

»Igitt, Amenhotep!« 

Nonchalant hatte er gerade einen abgebissenen Mäusekopf auf die Schreibtischplatte gespuckt. Seine riesigen, leicht schräg stehenden, türkisblauen Augen blickten stolz. Ich bin der Beste, der Größte, der Schönste!

Konny wickelte ein Papiertaschentuch um die Beute ihres Inhouse-Raubtieres und trug sie in die Küche. 

Wo sie schon da war, konnte sie sich auch gleich eine Tasse Tee machen. 

In der Spüle türmte sich das dreckige Geschirr. Es gab ja immer zwei Sichtweisen auf das Leben. Konny sah das Geschirr und hielt es für eine sensibel angelegte Installation mit dem Titel »Das Gesicht des Alltags – im Spannungsfeld zwischen Intimität und Spröde des Daseins«. Eine andere, reaktionäre Lesart des Kunstwerks wäre natürlich: »Keiner hat Bock auf Abwasch.« Konny sortierte ein paar Teller neu, damit sie den altmodischen Wasserkessel unter den Wasserhahn halten konnte. 

Die wenigen Gäste, die sie bisher gehabt hatten – die meisten waren durch Mund-Propaganda auf sie aufmerksam geworden –, fanden den altmodischen Charme des Hauses unwiderstehlich. Einer hatte das sogar auf TripAdvisor geschrieben: Bezauberndes B&B, von außen wie die Villa aus Psycho, innen liebevoll bis ins letzte Detail eingerichtet – mit knarzenden Dielen, Kronleuchtern, Himmelbetten und Meißner Porzellan. Geführt von zwei reizenden, alten Ladys. Altmodischer Charme vom Feinsten. Ich gebe fünf Sterne.

In Wirklichkeit hatten sie einfach kein Geld, um sich neu auszustatten. Was sie nicht geerbt hatten, stammte vom Flohmarkt. 

»Konniieeee!«, brüllte Kriemhild. »Schick Herrn Hirsch runter, die Waschmaschine zickt!« 

»Ist guuuut.« 

Herr Hirsch fuhr am anderen Ende des Grundstücks, dort, wo der Wald anfing, sehr vergnügt auf seinem Aufsitzrasenmäher herum. Die Waschmaschine musste warten. Hoffentlich gelang es ihm, sie wiederzubeleben. Bettwäsche und Handtücher der Gäste wurden vom Wäscheservice der Adretta-Reinigung professionell und porentief gesäubert, aber ihre Privatwäsche wuschen sie natürlich hier im Haus. Und weil Konny Vorratshaltung jedweder Art abging, hatte sie – sollte die Waschmaschine den Geist aufgeben – ab morgen nichts mehr anzuziehen und müsste sich neue Unterwäsche kaufen.

Konny warf einen Teebeutel in eine der Porzellantassen, die zu angeschlagen waren, um sie den Gästen vorzusetzen. Es war feinster Schwarztee aus Kenia, von einem Exil-Briten nach London exportiert, dort in formschöne 3D-Beutel portioniert und per online-Bestellung zu ihr weitergeleitet. Nicht billig, aber »bestes Tee von Welt«, wie ihr indischer Paketbote zu sagen pflegte, wenn sie ihm eine Tasse davon anbot. Wobei Konny schwer davon ausging, dass er ihn für indischen Tee hielt. Dieser Tee war derzeit ihr einziger Luxus. Ja, das Leben war schön. Aber teuer. Man konnte es natürlich auch billiger haben, aber dann war es nicht so schön. 

Das Telefon klingelte. 

»Ich geh schon«, rief Konny. 

»Was?«, dröhnte es aus dem Waschkeller. 

Amenhotep lag immer noch auf dem zugeklappten Laptop. Er schaute Konny aus halb geschlossenen Augen an. Wer wagt es, mich in meinem Schönheitsschlaf zu stören?

Konny setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. Vermutlich war das die Redaktion der Frauenzeitschrift. Wenn gekürzt werden musste, wurde das wegen der Dringlichkeit am Telefon geklärt. 

»Ja?«, meldete sie sich daher wortkarg an dem alten Bakelit-Teil, das vermutlich so alt war wie sie selbst, aber immer noch treu seinen Dienst versah. Tonnenschwer lag der Hörer in ihrer Hand. 

»Äh … bin ich da richtig? Bed-&-Breakfast K & K?« 

Huch, potenzielle Gäste! 

»Ja, da sind Sie richtig. Entschuldigen Sie bitte. Ich hatte jemand anderen erwartet.« 

»Kein Problem. Guten Tag. Ich war mir nur unsicher … ich hatte bei Google Bed-&-Breakfast in einem Umkreis von hundert Kilometern von Stuttgart eingegeben und bin auf Ihre Homepage gestoßen, aber ich war mir gar nicht sicher, ob Sie noch … äh … aktiv sind. Es gab auch gar keine Fotos.« 

Die Homepage. Konny nahm sich vor, endlich mal Bilder einzustellen und die Seite grundsätzlich etwas aufzupeppen. »Wie schön, dass Sie trotzdem angerufen haben.« 

»Sie sind nicht meine erste Wahl«, räumte die Stimme ein. »Eher meine letzte Hoffnung.« 

Konny schürzte die Lippen, sagte aber nichts. Sie war mit Beten beschäftigt. Bitte lass sie ein Zimmer reservieren, bitte lass sie ein Zimmer reservieren … 

»Also … ich rufe wegen einer Reservierung an.« 

Yessss! Konny nickte dankbar in Richtung Decke und rotierte fröhlich mit den gerundeten Hüften. 

»Einen Moment bitte …« Mit der freien Hand wollte sie Amenhotep vom Laptop heben. Wenn er aber nicht weggehoben werden wollte, machte er auf nasser Sack und wog schlagartig gefühlte zwanzig Kilo mehr. Konny klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und nahm beide Arme, dann klappte sie den Laptop auf und klickte sich zu der Seite mit den Reservierungen. »So … an welches Datum hatten Sie denn gedacht?« 

»An sofort.« 

»Wie bitte? Jetzt gleich?« 

Die Stimme am anderen Ende klang noch sehr jung, aber schon routiniert. Und ein klitzekleines bisschen peinlich berührt. »Nein, nein, sorry, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Erst ab morgen. Wir benötigen sieben Übernachtungen. Für fünf Personen.« 

Jackpot! 

Konny war klar, dass sie eigentlich so tun sollte, als müsse sie mit Gästen und Zimmern jonglieren, um den Nimbus des stets nachgefragten Hauses zu zementieren, aber sie war ein offener, ehrlicher Mensch und zu solchen Spielchen gar nicht fähig. »Kein Problem, das lässt sich einrichten.« 

Vor dem Fenster fuhr Herr Hirsch auf seinem Aufsitzrasenmäher vorbei. Er winkte ihr zu. 

»Echt jetzt?« Die Stimme klang erstaunt. 

»Ja. Wir sind gerade schwach belegt.« 

»Gott sei Dank, ich war echt schon am Verzweifeln. Die anderen Pensionen haben alle abgewunken.« 

Okay, sie waren also die Letzten auf der Liste. Aber wie hieß es doch so schön: Die Letzten werden die Ersten sein … und am besten lachen. 

»Wie schön, dann sind wir jetzt beide glücklich. Und Sie haben die Pension quasi ganz für sich.« 

Das quasi war dem Umstand geschuldet, dass ein Zimmer angefragt worden war, von einem Herrn Bettenberg, aber er hatte sich auf ihre Mail nicht mehr gemeldet. Womöglich kam der gar nicht. Doch selbst wenn, es würde perfekt aufgehen.

»Toll! Dann möchte ich hiermit fest reservieren.« 

»Sie haben ja gar nicht gefragt, was die Zimmer kosten«, sagte Konny. 

»Geld spielt keine Rolle.« 

Konny ging das Herz auf. 

»Ich sollte Ihnen aber sagen, dass ich von der Künstleragentur Brandauer anrufe und die Zimmer nicht für mich, sondern für die Mitglieder der Band Cordt reserviere. Sie haben vielleicht schon von ihnen gehört?« 

»Ja, ich glaube schon«, hörte Konny sich sagen, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wer oder was Cordt war. Der Name Brandauer kam ihr allerdings irgendwie bekannt vor. 

»Wie Sie sicher verstehen werden, legen wir größten Wert auf Diskretion. Wenn Sie bitte niemand erzählen würden, wen Sie beherbergen werden?« 

»Selbstverständlich!« Fünf Personen für sieben Nächte, das machte summa summarum … Kopfrechnen war nicht Konnys Kernkompetenz. Aber die Summe war jedenfalls bombastisch. Zumal wenn sie für jedes Zimmer den Höchstpreis ohne Rabatt in Rechnung stellte, vielleicht sogar mit einem kleinen Sofortbelegungszuschlag, weil Geld ja offenbar keine Rolle spielte. 

»Perfekt! Ich bestätige Ihnen das gleich noch per E-Mail. Ach, da fällt mir noch ein, die Musiker ernähren sich vegan. Aber das ist ja sicher kein Problem.« 

»Nein, selbstverständlich nicht«, log Konny, ohne mit der Wimper zu zucken. 

»Ab wann stehen die Zimmer zur Verfügung? Die Band wird eventuell etwas früher anreisen. Möglicherweise sogar schon vormittags. Wir bezahlen dann natürlich gern eine zusätzliche Nacht pro Zimmer.« 

Himmel, das wurde ja immer besser! 

»Kein Problem, wann immer die Musiker anreisen, die Zimmer werden bereit sein.« 

»Bestens. Dann bedanke ich mich bei Ihnen.« Die junge Frau klang erleichtert. Sehr erleichtert. Hätte das Konny zu denken geben müssen? 

Konny strahlte. »Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.« 

Und so war es passiert. Sie waren ausgebucht. Eine ganze Woche lang. 

»Kriemhild! Wir kriegen Gäste!« 

Wenn Konny glücklich war, legte sie immer ein kleines Glückstänzchen aufs Parkett. Eine Mischung aus Line Dancing, Bollywood und Derwischkreiseln. Amenhotep suchte sein Heil in der Flucht. 

»Hurra! Champagner!«, jubilierte Konny. 

Kriemhild kam ins Büro. »Gäste?« Sie klang fast erstaunt. Aber jedenfalls nicht fröhlich. 

»Musiker. Eine Band namens Cordt.« Konny war es völlig egal, welchem Musikstil die fünf frönten – ob sie ein klassisches Quintett oder eine Heavy-Metal-Band waren. Eine Woche lang ausgebucht! Tscha-tscha-tscha! 

»Ach, diese Rip-Ropper.« 

Konny hielt abrupt inne. »Diese was?« 

»Du weißt schon … Rip-Ropper.« Kriemhild hörte Deutschlandradio Wissen. Immer schon. Sogar nach der Verjüngungskur des Senders. Sie fand, dass Wissen gebildet klang, auch wenn man zwischen den intelligenzsteigernden Wortbeiträgen mit Jugendkulturmucke zugedröhnt wurde. 

»Du meinst Hip-Hopper. Oder Rapper.« 

Kriemhild hasste es, wenn sie korrigiert wurde. »Ich meine diese jungen Waldorfschüler, die sich gegenseitig Beleidigungen vortanzen.« 

»Das sind Breakdancer.« 

»Wie auch immer … ich hoffe, sie können sich benehmen.« Wenn es nach Kriemhild ginge, würden sie immer erst Leumundszeugnisse einholen, bevor sie einem Fremden Gastrecht gewährten. »Hast du Herrn Hirsch von der Waschmaschine in Kenntnis gesetzt?« 

Der fuhr gerade in der anderen Richtung wieder am Fenster vorbei und winkte. Er wirkte beschwingt. Andere Männer mochten von einem Ferrari träumen, Herr Hirsch brauchte weiter nichts zu seinem Glück als seinen Aufsitzrasenmäher. 

Kriemhild schnaubte. »Nein, natürlich hast du das nicht. Um alles muss ich mich selber kümmern.« 

»Dafür fahre ich jetzt in die Stadt und kaufe ein. Die Gäste haben diätetische Sonderwünsche.« Vor lauter Freude umarmte Konny ihre Schwester, die ihre Umarmung steif wie ein Bügelbrett über sich ergehen ließ. »Bis später.« 

Dass sie Lebensmittel einkaufen wollte, war frech geschwindelt. Sie hatten alles im Haus, auch Grünzeug. Aber da jetzt wieder Geld in die Kasse kam, konnte sie endlich zum Frisör. Es wurde höchste Zeit, dass sie nicht länger aussah, als hätte sie sich die Haare nach einer Zombie-Apokalypse mit der Machete in Form gesäbelt. 

»Wirst du mich vermissen, du Süßer?«, fragte sie Amenhotep, der mittig in der offenen Haustür lag und ein Sonnenbad nahm. 

Er sah auf und bedachte sie mit einem emotionslosen Blick. Und wer waren Sie gleich noch mal …?

Konny nahm sich fest vor, in ihrem nächsten Leben Hundemensch zu werden. 

Sie lief zum Schuppen, um ihren Roller zu holen, wie sie ihn nannte. Aber natürlich war sie keine stereotype alte Dame, die mit einem Helm mit Blümchenmuster auf einer Vespa im Schneckentempo durch die Landschaft gurkte. Kalt, ganz kalt. 

Keine fünf Minuten später röhrte etwas im Schuppen auf, und Konny kam auf ihrer Harley Davidson Fat Boy FLSTC Custom mit Schaltgetriebe herausgebraust, auf dem Kopf einen schwarzen Helm mit Totenschädel. 

Was auch sonst?! 

Liebe Kummerkasten-Konny,

»sechzig ist das neue vierzig, siebzig ist das neue fünfzig«, kann man heutzutage in jeder Frauenzeitschrift lesen. Strahlende Grauhaarige mit Model-Maßen im Fitnessstudio allüberall. Wahlweise strahlende Grauhaarige beim Abschluss ihres Master-Studienganges. Ich bin aber nicht mehr fit, weder im Kopf noch im Körper. Soll ich mir den Gnadenschuss geben?

Alt und apathisch, Gerda (68 und sieht auch so aus)

 

 

Liebe Gerda,

schauen Sie nicht auf andere, konzentrieren Sie sich auf das, was Ihr Leben lebenswert macht: die Menschen, die Sie lieben, Ihre Haustiere, die Natur, Ihr Handicap im Golf. Das reicht vollkommen.

Sie müssen absolut gar nichts erreichen. Seien Sie einfach dankbar, dass es Sie gibt. Sie hätten ja auch als Regenwurm geboren werden können oder als Schüssel Hummus. Aber nein, Sie sind Sie, und das schon so lange, dass Sie genau wissen, was Ihnen gefällt und was nicht. Mit zunehmendem Alter wird das Leben besser – weil Sie sich ein Ei darauf pellen können, was andere denken. Legen Sie Lippenstift auf und gehen Sie den Tag an! Tun Sie, worauf Sie Lust haben. Mit Gusto! Und am Ende des Tages sollten Sie schmutzige Füße vom Barfußlaufen, zerzauste Haare und leuchtende Augen haben.

Ihre Konny

PS: Wenn wir älter werden, sollten wir nicht jünger aussehen, sondern glücklich!