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HANNES KRAKOLINIG

AL CENTRO

EINE REISE DURCH MITTELAMERIKA

© 2017 Hannes Krakolinig

Autor: Hannes Krakolinig

Fotos: Hannes Krakolinig, Alexander Mathis

Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH

ISBN: 978-3-99057-781-3 (Paperback)

ISBN: 978-3-99057-782-0 (Hardcover)

ISBN: 978-3-99057-783-7 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Einleitung

Es war noch in der Zeit vor facebook, twitter und all den anderen instrumentalisierten Virtualwelten. Die ersten Handys für Normalverbraucher waren seit wenigen Jahren im Umlauf, aber wir benutzten sie damals noch nicht ganztags und wenn jemand aus der Runde in aller Öffentlichkeit im Gasthaus oder Cafe mit dem Schnurlosen telefonierte, kamen sofort die ersten Witzchen, ob der Herr Doktor einen Notfall habe oder um welchen Fall es sich handle, Herr Staatsanwalt.

Auch wenn wir uns am Abend, bevor wir durch die Kneipen unserer Kleinstadt zogen, noch zuerst zum Vortrinken bei einem Freund trafen, ließen wir die mobilen Telefone in dessen Wohnung, warum sollten wir sie auch mitnehmen? Wir waren ja unter uns, wozu also ein Telefon benutzen. Kurz, es war noch die Zeit, in der die direkte menschliche Kommunikation ein fröhliches Beisammensein bedeutete und man noch miteinander sprach, anstatt mit glasigen Augen auf einen kleinen Bildschirm zu glotzen.

E-mail hatte ich auch erst seit einem Jahr und man kann sagen, dass das Internet für den Durchschnittsbürger gerade erst so richtig im Entstehen war. Ich war Anfang 20, arbeitete im städtischenTourismusbüro des Magistrats und nutzte all die Freiheiten, die einem jungen Wilden mit festem Job, gutem Gehalt und eigener Wohnung zur Verfügung standen, und manchmal auch mehr. Doch so richtig glücklich machte mich das verwöhnte Beamtenleben nicht, und meinen Unmut präsentierte ich regelmäßig in promilleintensiven Nächten, die immer öfter die legalen Grenzen eines sozial angepassten Lebens zu überschreiten begannen. Wenn ich heute an so manche Episode zurückdenke, schaudert es mich ein wenig, aber Fehler sind Türen zum Lernen und ich hoffe, mir wurden meine alle verziehen.

Natürlich hatte ich auch meine guten Momente, in denen ich mich auf mein Inneres Selbst und mein Umfeld besann, und in einem dieser fasste ich den Entschluss zur Abkehr meiner Abenteuer durch die Sackgassen der Nacht. Ich beschloss, ein neues Leben zu starten und zwar auf unbekanntem, neuem Territorium, auf dem man als unbeschriebenes Blatt leichter einen Neuanfang beginnen kann. Dass ich hierfür Mexiko wählte, war die Folge eines Urlaubs mit einem Freund im vorangegangenen Jahr, zu dem es kam, als wir in einem Reisebüro ohne jegliches Vorwissen oder kulturellem Interesse den günstigsten Flug in ein heißes, billiges Land verlangten. Doch Zufälle soll es ja bekanntlich keine geben und in diesen drei Wochen wurden die ersten Weichen für meine Reise in die richtige Richtung gestellt. Ein weiterer Aufenthalt acht Monate später verstärkte meine Ideen und ich begann mich mehr mit dem Leben, der Geschichte und Kultur der Lateinamerikaner auseinanderzusetzen, sodass ich dann kurz nach meiner Rückkehr den Entschluss fasste, Arbeit und Wohnung zu kündigen und mir ein One-Way-Ticket nach Mexiko City zu kaufen. Alle dagegensprechenden, gutgemeinten Ratschläge von Freunden und Familie prallten an mir ab und einen Monat später, ausgerüstet mit vielleicht 50 Spanischvokabeln, einem Reiserucksack mit Büchern von Castaneda, Coelho und Gabriel Garcia Marquez, sowie umgerechnet 700 Euro, saß ich im Flugzeug, das mich auf den anderen Kontinent bringen sollte. Tatsächlich in der Luft, machte sich kalte Nervosität in mir breit und ich fragte mich, was ich hier in meinem Irrsinn eigentlich schon wieder anstellte und wozu das ganze Risiko. Doch mit Coelhos Alchimisten in der Hand fühlte ich in meinem Inneren, dass ich wohl auf dem richtigen Weg war, und in meinen noch jugendlichen Phantasien träumte ich vom Treffen mit einer Indianerprinzessin, die mich zu ihrem Stamm bringen und in ihr Dorf einführen würde, um dann dort von Landwirtschaft und Tourismus zu leben.

Wirkliche Vorstellung hatte ich allerdings keine, ich wusste nur, dass ich so schnell wie möglich eine Arbeit finden musste, da mein Kapital sonst in Kürze aufgebraucht sein würde. Zum Glück hatte ich in der Hauptstadt zumindest eine Anlaufstation, wo ich unterkommen konnte, bis ich etwas für mich gefunden hatte. Die Familie Rojas in Mexico City, Stadtteil Naucalpan, die ich auf meiner ersten Reise kennengelernt hatte, als deren Töchter meinen damaligen Reisebegleiter Alex und mich zu sich nach Hause auf ein paar Bier einluden. Auf der Terrasse sitzend hatten wir eine nicht schöne, aber dafür breite Aussicht auf die Siedlungsmassen der immensen Hauptstadt und auch auf eine Hauptstraße, auf der in selbem Moment, in dem wir ein paar kalte Corona öffneten, ein Bus in Höchstgeschwindigkeit bedrohlich klappernd versuchte, eine Kurve erfolgreich zu meistern. Ein Unterfangen, das misslang. Laut krachend stürzte er in ein wenige Meter tiefer gelegenes, breites Feld, das durch eine Ziegelmauer vom Grundstück unserer Freunde getrennt war. Sofort liefen wir zur Unfallstelle und kletterten auf die meterhohe Mauer, von der aus wir erkannten, das der Bus auf seinen Rädern aufgeschlagen und wundersamer Weise nicht umgestürzt war, sondern wie eine groteske Vogelscheuche inmitten tausender Maispflanzen stand.

Zum Glück blieben Fahrer und Passagiere so gut wie unversehrt. Einen Verletzten gab es allerdings doch, und zwar Alex, der als Schaulustiger von der Ziegelmauer stürzte und sich den Fuß brach, ein Umstand, der ihm zwei Wochen Urlaub auf Krücken bescherte, aber uns auch eine enge Freundschaft mit der Familie, denn Unfälle bringen nunmal Leute zusammen und geteiltes Leid ist halbes Leid.

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Am Zocalo in Mexico City

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Mit Koch Rogelio bei meinem ersten Job in Mexico

Teil I

Mexico

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Zehn Monate später saß ich dann in der Küche der mexikanischen Familie, bestehend aus der typischen, kräftigen Latinogroßmutter, die lautstark den Haushalt regelte, Tochter Carla mit englischem, gehörntem Ehemann, Tochter Cristina mit unehelicher Tochter, Künstlersohn Ivan mit Marihuanastaude im Zimmer, und jede Menge anderer Cousins, Cousinen, Tanten und Onkel, die zur Familie gehörten, deren Verwandschaftsgrad ich aber regelmäßig verwechselte oder gar nicht erst zuordnen konnte. Wir aßen und tranken ausgiebig und regelmäßig und einigten uns darauf, dass ich bei der Familie wohnen durfte, bis ich selber Fuß gefasst haben würde. Bis dahin sollte ich einen kleinen Betrag für Gas, Wasser und Essen als Unterstützung zahlen.

Die ersten Tage der Arbeitssuche waren eher mühselig, ich marschierte von Kneipe zu Kneipe und stellte mich mit meinem armseligen Wortschatz vor, der nur dazu reichte, meinen Namen, Staatszugehörigkeit, sowie Hunger und Durst darzulegen. Doch eine Ablehnung folgte der nächsten, mein schwaches Spanisch, aber auch das Nichtvorhandensein legaler Dokumente verweigerten mir vorerst eine Anstellung in der „Zona Rosa“, der geschäftigen Touristenzone Mexico Citys. Müde, rotäugig und mit blutigem Rotz in der Nase, von der mir ungewohnten schlechten Luft in der Millionenhauptstadt, kam ich Abend für Abend erschöpft und weiterhin arbeitslos bei der Familie an. Als einziger Erfolg stand das Jobangebot eines Onkels von Ivan zu Buche, der mir vorschlug in einem der anliegenden Schlachthöfe lebendigen Hühnern den Kopf abzuschneiden. Ich sollte doch noch etwas zuwarten, dachte ich mir.

Carla half mir, Stellenanzeigen in der Zeitung herauszusuchen und so kam ich zu einem Vorstellungsgespräch in einer Apotheke, die mir aber beim Betreten schon äußerst unsympatisch war. Ich hatte auch keine Lust, den ganzen Tag mit einem Mundschutz zwischen krank riechenden Regalen den Boden zu wischen, das war nun wirklich alles andere als mein mexikanischer Traum.

Als ich mich anschließend wie jeden Tag zu den Schachzelten am Park Alameda aufmachte, um mich dort bei ein paar Partien abzulenken und zu entspannen, grüßte mich ein ca. 50jähriger Franzose vor seinem Bistro. Mich als Europäer erkennend fragte er mich auf Englisch, woher ich sei und, da ich ihm auf Französisch antwortete, war schnell Freundschaft geschlossen. Er war Besitzer eines großen Restaurants, und hatte diese Woche ein kleines, aus einer Bar und sechs Vierertischen bestehendes Bistro für seine junge Frau eröffnet, aber es fehlte noch ein Kellner, und ob ich Interesse hätte. Und wie ich hatte.

Nachdem er mir seine Frau Laura und Rogelio, den Koch, vorstellte, erklärte er mir kurz den Arbeitsablauf, gab mir Geld, um mir eine blaue Jean und ein weißes Hemd zu kaufen und bat mich, am nächsten Morgen pünktlich um halb acht zu erscheinen. Überglücklich akzeptierte ich, besorgte mir meine neue Uniform und begann am nächsten Tag meine erste Anstellung in Mexiko, bei der ich eigentlich alles tat, außer kochen. Spezialität des Lokals waren Baguettes mit verschiedenen Käsesorten und Roastbeef, und zwei Sorten von dunklem und hellen Bier. Die Arbeit machte mir von Beginn an großen Spaß und mit Rogelio, der mir jeden Tag im Tausch für ein paar Ernteeinträge aus Ivans Zimmer ein wenig mehr Spanisch beibrachte, verstand ich mich prächtigst. Preislich in der oberen Kategorie angeordnet, lag das Lokal in einer Bankenzone und hätte eigentlich ganz gut laufen können, wäre da nicht die eigenwillige Chefin gewesen, die das Lokal eher wie ein Krankenhaus anstatt einer Kneipe leitete und sich selbst stolz die Tochter Hitlers nannte. Sie verstand sich mehr aufs Putzen als auf die Gäste, die sie ohnehin nur willkommen hieß, wenn diese der oberen Sozialschicht angehörten. Sie war die typische Klassenrassistin, die sich ihren Gringo geangelt hatte und auf alles Einheimische verächtlich herabblickte. Ignorant verkündete sie regelmäßig, dass die Mexikaner klein gewachsen und dumm seien, weil sie nur Tacos essen anstatt Weißbrot, wie die Europäer.

Dass ich mich nicht sonderlich mit ihr verstand, war klar. Kundschaft blieb in den folgenden Wochen weiterhin aus, was ihre Laune nicht besserte und in Schikanen für mich und Rogelio ausartete. Einerseits war ich sehr froh, eine Arbeit gefunden zu haben und mir gefiel auch das Lokal, doch andererseits war ich nach vier Wochen nicht mehr bereit, für Laura den Putzclown zu spielen und mir ihre blödsinnigen Schimpftiraden anzuhören, noch dazu, da ich nur mehr einmal am Tag auf Hauskosten Essen durfte und es auf Grund fehlender Kundschaft auch kein Trinkgeld gab.

Da es auch in der Familie nicht so gut lief, – nicht nur die kulturellen Unterschiede, wie unter anderem das sonntägliche Betrinken, das jedes Mal in handfesten Raufereien ausarteten, oder die so fehlende aber für mich wichtige Privatsphäre, sondern auch die strenge, mir unverständliche Grossmutter, machte mir ein Einleben sehr schwer –, beschloss ich die Hauptstadt zu verlassen und an der Küste mein Glück zu versuchen. Doch es sollte vorerst ganz anders kommen...

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