Cover

Über dieses Buch:

Eine muntere Rentner-Truppe gründet eine Wohngemeinschaft – und findet in ihrem norddeutschen Wasserschloss zuerst eine Leiche im Keller und dann ein neues Hobby: Kriminalermittlungen … Derweil wird in Mannheim der Chef der Psychiatrie ermordet – doch es gibt so viele Tatverdächtige mit überzeugenden Motiven, dass Kommissar Kautz schon bald kaum noch weiß, wo ihm der Kopf steht … Dieses Gefühl kennt Clara Pauly aus Schwäbisch Hall nur zu gut: Sie ist hoffnungslos verliebt in den Star einer Theaterproduktion – und bereit, jede Konkurrenz aus dem Weg zu räumen …

Über die Autorinnen und den Autor:

Regula Venske, geboren 1955 in Minden, promovierte zum Doktor der Philosophie. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie u. a. mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis, dem Deutschen Krimipreis und dem Lessing-Stipendium des Hamburger Senats ausgezeichnet. Im April 2017 wurde Regula Venske zur Präsidentin des deutschen PEN gewählt, einer Schriftstellervereinigung, die sich für die Freiheit des Wortes und Völkerverständigung einsetzt und dessen Generalsekretärin sie seit April 2013 war. Seit Oktober 2015 ist sie außerdem Mitglied im Präsidium von PEN International (www.pen-deutschland.de; www.pen-international.org).

Peter Lechler, geboren 1950 in Stuttgart, war nach seinem Studium 30 Jahre in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen tätig. Die Erfahrungen aus seinem Berufsalltag inspirierten ihn schließlich zu seinem ersten Psychiatrie-Krimi. Heute lebt der Autor in der Südpfalz in einem selbst renovierten Winzerhaus.

Tatjana Kruse, geboren 1960, ist in Schwäbisch Hall aufgewachsen, wohin sie nach 25 Jahren im außerhohenlohischen Exil auch wieder zurückgekehrt ist. Sie veröffentlicht in erster Linie Kriminalromane und -geschichten und wurde u. a. mit dem Marlowe und dem Nordfälle-Preis ausgezeichnet.

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Originalausgabe Mai 2018

Copyright © der Anthologie-Originalausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Regula Venkse, DIE GARSTIGEN GREISE: Dieses Buch erschien bereits 2009 unter dem Titel Der Bajazzo bei 2009 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. Copyright © der Originalausgabe 2009 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Peter Lechler, WO DER WAHNSINN WOHNT: Copyright © der Originalausgabe 2016 Verlag Markus Knecht, Landau; Copyright © der eBook-Lizenzausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Tatjana Kruse, VORSICHT: STUFEN!: Copyright © der Originalausgabe 2007 Tatjana Kruse, Schwäbisch Hall/Swiridoff Verlag, Künzelsau; Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Hilden Design, München (www.hildendesign.de) unter Verwendung eines Bildmotivs von Shutterstock.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-316-7

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MÖRDERISCHES DEUTSCHLAND

Drei Krimis in einem eBook:

DIE GARSTIGEN GREISE von Regula Venske
WO DER WAHNSINN WOHNT von Peter Lechler
VORSICHT: STUFEN! von Tatjana Kruse

dotbooks.

Inhalt

Regula Venske
DIE GARSTIGEN GREISE

Peter Lechler
WO DER WAHNSINN WOHNT

Tatjana Kruse
VORSICHT: STUFEN!

Lesetipps

Regula Venske
DIE GARSTIGEN GREISE

Kriminalroman

Es muss nicht immer ein Seniorenheim sein! Das denken sich auch die Freunde um Winnie und Frieder, die sich selbst die »garstigen Greise« nennen. Und so leben die ehemaligen Studienfreunde, jeder mit seiner eigenen leicht verschrobenen Art, gemeinsam in einem alten Wasserschloss. Wahrhaft idyllisch ist es an diesem Ort! Und das will sich die Seniorentruppe auch nicht nehmen lassen, als sie im Keller eine bereits mumifizierte Leiche findet. Für sie ist der Fund keineswegs besorgniserregend, schließlich liegt der Tote dort schon eine ganze Weile sang- und klanglos herum. Und so werden die Freunde zu Hobby-Ermittlern – und jeder einzelne von ihnen zum Verdächtigen …

Der Bajazzo

Der Bajazzo wartete. Es konnte doch nicht angehen, dass man ihn ganz vergessen hatte? Sicher würden ihn seine Kollegen vermissen. Die Freunde. Und vielleicht auch die Feinde. Die Neider, von denen es natürlich einige gegeben hatte. Mitleid bekam man umsonst, Neid musste man sich verdienen. Ob ihn einer von denen, die ihm übel gesonnen waren, zu guter Letzt noch bemitleidet hätte, vorausgesetzt, er hätte gewusst, was mit dem Bajazzo geschehen war?

Mochten ihn auch nicht all seine Kollegen vermissen, so doch sicher die eine oder andere Kollegin oder Ballettschülerin, mit der er in deren Garderobe oder in der Schuhkammer eine schnelle Nummer geschoben hatte. Vor allem aber fehlte er seinem Publikum. Seinen Bewunderern, seinen Fans. Wozu waren sie da, wenn nicht, um ihm über all die Jahre hinweg die Treue zu halten? Und auch seine Familie musste sich doch gelegentlich fragen, wo er wohl sei. Wohin er verschwunden war, und warum er so lange fortblieb.

Warum fanden sie ihn denn nur nicht?

Ob sich Siegmund und Undine gar nicht mehr an ihren Vater erinnerten? Und ob Ira sich doch nicht so nach ihm sehnte, wie er gedacht oder sich gewünscht hatte, als er noch Wünsche empfand? Zu Lebzeiten hätte er es nicht für möglich gehalten: jemals derart darauf angewiesen zu sein, dass sich seine Frau nach ihm sehnte. Darauf angewiesen, dass sie keine Ruhe mehr gäbe, bis sein Fall aufgeklärt war. Aber es schien ihr egal zu sein, entweder hatte sie sich längst damit abgefunden, oder sie war sogar froh darüber, dass er aus ihrem Leben verschwunden war – während er es nicht einmal mehr merkte, dass er hier wartete, so lange nun schon. In die hinterste, finsterste Ecke gestopft hatte man ihn; hätte er noch Augen gehabt, um zu sehen, so hätte er sich in ewiger Dunkelheit wähnen können. Und dann hatte man ihn vergessen.

Immerhin, recht kommod hatte er es ja in seiner Nische, warm und trocken, und sogar ein wenig luftig. Der Heizungskeller war gleich nebenan. Schon zu Beginn des letzten Krieges hatte der damalige Schlossherr den Raum als Luftschutzkeller genutzt. Seine Kinder, zwei kleine Mädchen, die letzten ihres Geschlechts, hatten später bei Fliegeralarm hier geschlafen. Eng aneinander gekuschelt hatten sie zu zweit auf dem Feldbett kampiert und von Feen und Elfen geträumt oder von einem Prinzen, nur nicht von den Bombern, die Richtung Münster unterwegs waren in jenen Nächten. In diesem Keller hatten sie sich geborgen gefühlt, der Tod war weit über ihre Köpfe hinweg geflogen, und tatsächlich hatten sie den Krieg überlebt – um ein Vierteljahrhundert später, auf der Heimfahrt von einem Tanzfest, mit ihrem Sportwagen von einem Güterzug erfasst und mitgerissen zu werden. Nobis Krug, so hatte das Gasthaus geheißen, in dem ein Freund der Familie seinen Geburtstag gefeiert hatte. Mit dem Teufel fuhr man bis Nobis Krug, so hieß es, deshalb hatte der Name die Hinterbliebenen seltsam berührt. Es mochte aber bei diesem Höllenritt nur der Teufel Alkohol seine Finger im Spiel gehabt haben. Beide Schwestern waren auf der Stelle tot gewesen, und auch der Verlobte der jüngeren, der den Unfallwagen gesteuert hatte. Aber das war eine andere traurige Geschichte, von welcher der Bajazzo nichts wissen konnte und die ihn nicht mehr betraf.

Früher, als er noch auf seine Stimmbänder achtgeben musste, hätte er vielleicht gedacht, dass es hier zu luftig für ihn sei, ungesund, ja gefährlich, so nah bei der Lüftungsklappe. Aber vor Erkältungen fürchtete er sich schon lange nicht mehr. Seine Stimme, deren zärtlicher Schmelz selbst seine Kritiker mitunter zu Tränen gerührt hatte – was sie ihm freilich am allerwenigsten hatten verzeihen können –, war seit langem verstummt. Nun sollte sich der stete Luftzug sogar als Vorteil erweisen. Ein Verbündeter: freundlicher Garant dafür, dass der Bajazzo hier über die Jahre kein Moos ansetzen würde. So konnte sich im Leben die Perspektive auf alles und jedes immer wieder grundlegend ändern, und es war nur schade, dass er den Beweis für diese Erkenntnis am eigenen Beispiel nicht mehr führen oder würdigen konnte.

Hätte er noch ein Hirn gehabt, um zu denken, so hätte er als erstes freudig festgestellt, dass es trotz des Wassergrabens, der das Schloss zur Hälfte umgab, in seiner Gruft hinter dem Ofen angenehm trocken war. Es gab keine Pilze, die ihn verschimmeln ließen, und keine Insekten, die ihre Eier in ihm ablegten und sich an ihm gütlich taten. Und es gab auch keine Ratten, die sich an ihm labten und an ihm nagten. Unbehelligt, in aller Ruhe konnte er abwarten, bis man ihn einmal fände.

Während er immer dünner wurde und das weiße Gewand, das er trug, immer weiter im Verhältnis zu seinem Körper, verging an anderen Orten die Zeit. Erst gingen nur die Jahreszeiten ins Land. Dann Jahre. Jahrzehnte. Bis nur mehr die reine Zeit verging – verging und doch stillstand für ihn. Hätte er noch Kraft in den Beinen gehabt, um sich zu erheben und spazieren zu gehen, so hätte er sich darüber wundern können, wie sehr sein Kleid an ihm zu schlottern begonnen hatte. Aber da er sich nicht mehr wundern konnte, und da auch niemand vorbeikam, fiel es niemandem auf, und es bemerkte auch niemand den roten Saum an seinem Hals, der ihn wie eine kostbare Kette schmückte, und die bunte, gewundene Kordel, die darüber eine aparte Halskrause bildete.

Hätte er noch Ohren gehabt, um zu hören, so hätte er die Arbeiter fluchen und lachen hören können, als sie irgendwann die Heizungsanlage erneuerten. Aber sie bemerkten ihn in seinem Versteck hinter dem Mäuerchen genauso wenig wie er sie. Zufrieden mit sich und der Welt zogen sie nach Verrichtung ihres Tagewerks wieder ab, einer machte noch einen Witz, ein anderer schaltete das Deckenlicht aus, dann waren sie wieder verschwunden. Im Laufe der Jahre machte sich immer wieder jemand im Keller zu schaffen, der Ölbrenner wurde gewartet, die Räume nebenan umgebaut. Eine Dunkelkammer wurde eingerichtet, ein Weinkeller bestückt. Aber der Bajazzo sah und hörte nichts mehr, und er besaß auch keine Zunge mehr, um zu sprechen, um zu rufen und auf sich aufmerksam zu machen. Und so nutzte es ihm auch nichts, dass sich dann und wann ein kleiner Lichtstrahl auch in seine Nische herüberstahl und die großen mondfarbenen Knöpfe an seinem Kittel zum Leuchten brachte.

Sein hoher spitzer Filzhut war ihm nach und nach, als sein Kopf allmählich immer kleiner und schrumpeliger wurde, über die Augen gerutscht. Das ehemals mehlig weiß geschminkte Gesicht hatte sich zwar im Laufe der Zeit braun verfärbt, doch hielt es sich erstaunlich gut. Jeder, der ihn gekannt hatte, hätte ihn immer noch ohne Mühe erkennen können. Aber niemand kam, um das zu bewundern. Und es kam auch niemand, um darüber zu staunen, dass seine Haut nun wie gegerbtes Leder aussah. Von den Elevinnen, die ihn einst angehimmelt hatten, hätte ihn jetzt keine mehr auf den Mund küssen mögen. Überdies hatte der Zeitgenosse, der ihn hierher verbracht hatte, ihm zum Abschied eine Tröte in denselben gerammt, ein billiges Karnevalsutensil, das sich zu einer obszönen Zunge ausrollte, wenn man hineinpustete. Da er aber weder hineinblasen noch die Tröte hatte ausspucken können, hatten sich die Lippen des Bajazzos immer fester darum verschlossen, ganz eingewachsen in seinen Mund war sie inzwischen, aber das störte ihn nicht, er wollte ja nicht mehr singen. Er trat nicht mehr auf. Und er brauchte auch keine Luft mehr zum Atmen. Kein Maskenbildner, keine Maskenbildnerin hätte sich noch zugetraut, ihm für das Finale das passende Rouge aufzulegen. La commedia è finita –ja, die Komödie war aus.

Und doch, es musste noch einen letzten großen Auftritt geben. Bis es so weit war, harrte der Bajazzo hier aus und wurde leichter und leichter. Ein junges Mädchen hätte ihn ganz allein forttragen können. Aber noch kam keine vorbei, die sich seiner erbarmte.

Der erste Wunsch

Leben Finden Lachen

Donnerstag, 17. Juli

Es war ein Sommermorgen wie aus dem Bilderbuch. Noch lag ein Dunst über der Wiese, der die Welt und die sie säumenden Bäume und Sträucher seltsam entrückte. Das taubedeckte Gras fühlte sich kühl an, als sie es mit bloßen Füßen berührte. Aber die Sonnenstrahlen flirrten bereits durch das Laubwerk der Bäume und versprachen einen weiteren perfekten Tag.

»Geh aus mein Herz …«, dachte Winnie. Am liebsten hätte sie das schöne Lied von Paul Gerhardt laut vor sich hin gesungen, sie wäre dazu durchaus imstande gewesen, sogar ohne Orgel und Kirchenchor, auch wenn ihre Kinder fälschlicherweise behaupteten, dass sie ohne Begleitung keinen Ton richtig treffen, geschweige denn halten könne. Aber dann hätte sie den Gesang der Vögel nicht gehört, und der schien ihr doch besser geeignet, die friedliche Stunde zu preisen.

Wie konnte Frieder einen solch herrlichen Morgen verschlafen? Und wieso war ausgerechnet sie an diesen Langschläfer vor dem Herrn geraten, dessen allmorgendliche Depression an Atheismus grenzte und der überdies das Wort Ruhestand im Moment etwas zu wörtlich nahm? Wie oft hatte sie ihn schon ermuntert, es ihr doch gleichzutun und gemeinsam mit ihr die Sonne zu begrüßen. Aber leider konnte nicht einmal der prächtigste Sonnenaufgang ihn aus den Federn locken. Und schon gar nicht die Aussicht auf gemeinsame Yogaübungen mit ihr. Sie hatte Frieder hoch und heilig versprechen müssen, ihn niemals vor acht Uhr zu wecken. Zurzeit kroch er meistens erst gegen neun, halb zehn aus dem Bett.

Jetzt war es Viertel nach sechs.

Nun ja, schade für ihn. Zumal er offenbar wieder einmal schlecht träumte. Sie hatte ihn unter der Fußsohle gekrault, bevor sie aus dem Bett geschlüpft war, daraufhin hatte er sich seufzend auf die andere Seite gedreht und etwas Unverständliches gebrabbelt. Und vermutlich gleich weiter seine schweren Träume gesponnen. Das Traurigste aber war, dass Leute wie Frieder nicht einmal wussten, was sie jeden Morgen versäumten. Die beste Stunde am Tag!

Noch einer dieser hoffnungslosen Fälle war Marthe Flachsmann. Ob sie sich mit Marthe würde anfreunden können? Normalerweise wusste Winnie sehr schnell, ob sie mit jemandem auf derselben Wellenlänge lag. In diesen Dingen vertraute sie ganz auf ihre Intuition. Der erste Eindruck hatte sich am Ende noch immer als richtig erwiesen. Als junge Frau hatte sie ein paar Mal den Fehler gemacht, ihr Bauchgefühl zu ignorieren und sich trotz anfänglicher Skepsis mit Leuten einzulassen, die sich ihrerseits um Kontakt bemüht und um ihre Freundschaft geworben hatten. Sie hatten sich allesamt als falsche Freunde erwiesen, und Winnie war am Schluss jedes Mal zu ihrer ursprünglichen Sichtweise zurückgekehrt. Aber woran war sie mit Marthe? Es war ein ungewohnter Zustand für sie, dass sie sich über die eigenen Gefühle gegenüber der neuen Mitbewohnerin noch nicht im Klaren war. Doch musste sie sich ja auch nicht heute oder morgen entscheiden, und erst recht nicht hier und jetzt. Die Zeit würde es zeigen, und sie, Winnie, würde alles geschehen lassen und hinnehmen, wie es eben kam.

Zwar tat sich Frieder noch ein bisschen schwer, nicht nur mit seiner neuen Lebensphase als Pensionär, sondern auch und immer noch mit dem Tod seiner Mutter vor anderthalb Jahren. Manchmal fragte sie sich, was größer war, seine Trauer über den Verlust oder das schlechte Gewissen, das er wegen seiner Erbschaft empfand. Eine Jugendfreundin seiner Mutter, Frieders Patentante, hatte ihr Schloss Rothenvenne vermacht, und da beide, nun ja, ungefähr gleichzeitig gestorben waren, war es an ihn gefallen.

Aber was brachte es, sich mit Schuldgefühlen zu quälen? Dass sie beide vom Ruhrpott hierher gezogen waren und im schönen Münsterland diese Wohngemeinschaft gegründet hatten, war auf jeden Fall ein richtiger Schritt gewesen. Allein schon, dass sie die Sonne nun auf einer großen Wiese in einem richtigen Schlosspark begrüßen konnte anstatt auf einem winzigen Balkon mit Blick aufs Haus gegenüber, war Luxus pur. Sie selbst war eben der Typ, der nicht nur redete, sondern Ideen auch in die Praxis umzusetzen verstand.

»Was wäre nur ohne dich aus mir geworden?«, überlegte Frieder gelegentlich laut. Diese Frage, wiewohl rein rhetorisch gemeint und als Kompliment zu verstehen, erschien Winnie jedes Mal absurd. Als ob es diese Alternative ernsthaft gäbe – der Gute war doch vollkommen auf sie angewiesen. Aber natürlich hatte auch sie ihrem Mann sehr viel zu verdanken. Sie waren eben ein perfektes Paar, ergänzten sich hundertprozentig. Mitunter beschlich Winnie zwar die Angst, dass Frieder und sie Gefahr liefen, sich einander allzu geschwisterlich anzunähern, aber das war wohl der Preis, den man für Vertrautheit zahlen musste. In ihrem Bekanntenkreis gab es nicht viele Paare, die es vergleichbar lange miteinander ausgehalten hatten. Obwohl wegen Frieders Beruf überdurchschnittlich viele Theologen und Pfarrer darunter waren, hatte ihre Beziehung die meisten in ihrer Umgebung seit langem schon überlebt. Von den jungen Paaren, die in einer denkwürdigen Nacht vor dreißig Jahren beschlossen hatten, dereinst im Alter die Wohngemeinschaft der garstigen Greise zu gründen, waren sie als einzige noch zusammen; alle anderen waren inzwischen getrennt. Einige hatte man ganz aus den Augen verloren, andere – Isabel Gravenhorst, ihre beste Freundin, Richard Bindewald, Kirti Cölbe – waren als Singles ins Haus gezogen. Das war aber auch nicht verkehrt. Frieder und sie hatten durchaus Spaß an ihrer neuen Rolle als Herbergseltern. Damals, Silvester 1978, als sie während der sogenannten Schneekatastrophe in ihrem Ferienhaus nahe der Ostseeküste mehrere Tage lang eingeschneit gewesen waren und aus Hunger, Jux und Langeweile Pläne fürs Alter gesponnen hatten, hatten sie beide sich auch schon für ihre kleine Gemeinschaft verantwortlich gefühlt.

Winnie dehnte und reckte sich und streckte beide Arme hoch in die Luft. Mit den Fingerspitzen berührte sie beinahe den Himmel. Die Grenzen ihres Körpers waren aufgehoben, die Grenzen ihres Geistes erst recht. Sie war eins mit sich und der Welt, als sie jetzt die Sonne begrüßte, leicht und luftig war sie, und hatte doch einen festen Stand. In diesem Moment, in dem sie Wurzeln schlug und zugleich mit der Morgenröte verschmolz, gelang es ihr endlich, an nichts mehr zu denken. Sie war völlig entspannt im Hier und Jetzt, war eigentlich gar nicht mehr sie. War durchlässig geworden, ein leeres Haus, durch das der Wind …

Aufgeregte Rufe, die vom Haus herüberdrangen, holten sie jäh zurück in die Gegenwart. Sofern sie die schrille, vom Entsetzen entstellte Stimme richtig wiedererkannte, war es Dora, die um Hilfe rief – und es klang, als schrie sie um ihr Leben.

Jetzt weiß ich, dass mein Bruder mich umbringen will. Alles Freundliche, Glatte ist von ihm abgefallen, das Monster ist zum Vorschein gekommen.

Welche Ironie der Geschichte! Hinge nicht so viel für andere davon ab, könnte ich beinahe darüber lachen. Der Tod hat für mich seinen Schrecken verloren, seit langem schon. Seit jener Nacht, in der ich mein Recht auf ein unbeschwertes Leben verwirkte.

Was habe ich da gerade in die Wolken vor dem Fenster geschrieben? Mein Recht auf ein unbeschwertes Leben? Kein Wunder, dass ich den ganzen Tag kotzen muss. Man sollte denken, dass so kurz vor dem Tod auch der Kitsch ein Ende haben müsste.

Dass er abdankt, bevor man in den Staub beißen muss.

Also noch einmal von vorn. Ein unbeschwertes Leben wird hier und heute gestrichen. Der Tod hat für mich seinen Schrecken verloren, seit jener Nacht, in der ich das Recht auf mein Leben verwirkte.

Ja, so lass ich es gelten.

Denn in Wahrheit bin ich seit jener Nacht tot. Nur habe ich das damals noch nicht begriffen. Wie denn wohl auch? Ich war jung und wollte, wie alle, das eine. Ein fröhliches Leben. Was dasselbe zu sein schien wie überhaupt: leben.

Jetzt ekelt es mich richtig davor.

Er aber starb alt und lebensmüde; lebenssatt, sagen die Deutschen. Ja, man kann sich an dieser Speise, die man Leben nennt, regelrecht überfressen. Auch wenn man noch nicht beim Dessert angelangt ist. Oder habe ich mit dem Dessert angefangen?

Vielleicht täte mir mein Bruder, hätte er denn Erfolg, in Wirklichkeit einen Gefallen? Aber ich habe noch eine Pflicht zu erfüllen und muss meinem Mörder ein Schnippchen schlagen, es geht hier nicht nur um Leben und Tod. Hier geht es um Wahrheit. Und gibt es ein höheres Gut?

Immer habe ich die Wahrheit so sehr geliebt, schon als ganz kleines Mädchen. Und doch habe ich fast mein ganzes Leben in dieser Lüge verbracht. Erbärmliches Lügenleben.

Ach, es ist ganz allein meine Schuld, ich wollte die Wahrheit nicht sehen. Als hätte ich mich vor der Wahrheit noch mehr als vor meinem Mörder gefürchtet.

Nein, Mörder darf ich nicht schreiben.

Er ist mein Bruder.

Mein Mörder ist er noch nicht.

Nachdem Dora Zeter und Mordio geschrien und ihre Rufe – »Hilfe! Feuer!« – Winnies meditative Morgenstimmung zunichte gemacht hatten, spurtete Winnie, so schnell sie konnte, zum Hintereingang des Schlosses. Sie traf Dora auf dem Küchenfußboden kniend an, hustend und fluchend und von dichten Rauchschwaden umgeben.

»Dora, um Gottes willen …«

»Alte Männer, ich sag’s ja immer. Taugen nicht mehr als junge.«

»Bist du verletzt?«

»Und mein Vater ist der schlimmste von allen. Schau dir das an!«

Bei dem Häufchen, vor dem Dora kniete, mochte es sich um verbrannte Küchentücher und Topflappen handeln. Auch die neue Küchengardine mit den üppigen Bauernrosen hatte es erwischt. Winnie hatte den Stoff erst vor kurzem ausgesucht und die Gardine eigenhändig genäht. Inmitten der verkohlten Lumpen waren die traurigen Überbleibsel eines durchgeschmorten Teekessels zu erkennen. Es roch nach geschmolzenem Plastik. Handelte es sich bei dieser undefinierbaren Masse etwa um Jonas’ Lieblingshausschuhe aus rosa Plüsch, mit Schweinchengesicht und Ringelschwänzchen? Er hatte sie im vorigen Jahr beim Julklapp in der Schule von einer gewissen Carolin geschenkt bekommen. Seitdem hatte ihr Sohn diese Stücke – in den Augen eines Fünfzehnjährigen doch eher uncoole Kinderschuhe – tagein, tagaus getragen. Und wenn Winnie diese Tatsache richtig deutete, so war Carolin seine erste große Liebe.

»Dora, was ist passiert?«

Winnie hockte sich neben ihre Freundin, die sie aus rußgeschwärzten Augen anstarrte.

»Der bringt uns noch alle ins Grab«, schimpfte Dora. »Ich sag dir, er wird uns noch überleben.«

»Walter? Was hat er jetzt wieder angestellt?«

»Das ist das dritte Mal in zwei Tagen, dass er den Teekessel vergessen hat. Nicht mitgezählt der Wasserkocher, der vorige Woche im Keller durchgeschmort ist.«

Dora schüttelte sich in Erinnerung an den vorangegangenen kleinen Brand in Walters Bastelkeller, dem einige ihr liebe Erinnerungsstücke zum Opfer gefallen waren. Auch da war sie nur zufällig im rechten Moment hinzugekommen, um Schlimmeres zu verhindern.

»Ach je, der Arme …«

»Spinnst du? Wär ich nicht rechtzeitig gekommen, wär die ganze Küche abgefackelt!«

»Wo ist er denn eigentlich jetzt?«

Winnie versuchte vergeblich, ihre Freundin zu unterbrechen. Dora war dabei, sich in Rage zu reden.

»Und bald schon das ganze Schloss! So viel Tee kann mein Vater gar nicht trinken, wie er Wasser aufsetzt. Lässt das Küchentuch auf dem Griff liegen und macht sich vom Acker. Ist ja auch wichtig, dass man einen Topflappen benutzt, solange das Wasser noch kalt ist.«

»Immerhin hat er sich etwas dabei gedacht.«

»Ich kann nicht mehr. Als ich reinkam, griff das Feuer gerade auf die Gardine über.«

Ein Schluchzen wollte in ihr aufsteigen, aber sie versuchte, es zu unterdrücken, und so wurde ein heftiges Schnauben daraus. »Die schöne Gardine. Du hast dir so viel Mühe damit gegeben.« Das Schnauben steigerte sich, ging in ein missglücktes Lachen über. »Haha, vielleicht ist der Hammer ja noch zu retten.«

Erst jetzt bemerkte Winnie, dass auch ein Hammer mit verkohltem Griff auf dem Haufen vor ihnen lag. Der Himmel wusste, wofür der alte Mann das Werkzeug so früh am Morgen gebraucht hatte.

Als Dora danach griff, erschrak Winnie.

»Deine Hand, Dora! Du hast dich verbrannt!«

»Ach, das ist nichts. Ich hab bloß die Handtücher von der Herdstange … und der Brotkorb stand auch schon in Flammen.«

»Ich gucke mal, ob Richard eine Brandsalbe hat.«

»Lichterloh! Das schöne Körbchen!«

Endlich setzte sich das Schluchzen durch, und Dora fing an zu weinen. Winnie nahm die kleine, rundliche Frau – sie hatte ihr bei der Pflege von Frieders Mutter geholfen und war ihr im Laufe der letzten Jahre so vertraut geworden wie eine ältere Schwester – in den Arm und streichelte ihr beruhigend über den Rücken.

»Mein Vater gehört eben doch ins Heim!«

»Unsinn. Wo ist er denn überhaupt?«

»Will ich gar nicht wissen! Wehe, der lässt sich noch mal in meiner Küche blicken.«

»Vielleicht sollten wir uns doch einen anderen Herd gönnen, Dora.«

Dora schniefte. »Am besten einen mit eingebauter Sprinkleranlage.«

»Ein Aga – das wär mein Traum. Wo wir doch schon einmal die Gasleitung haben.«

»Vor allem brauchen wir ein Schild, das alten Männern den Zutritt zu meiner Küche verbietet.«

Behutsam griff Winnie nach Doras Hand und pustete ein paar Mal darüber, so wie sie es bei ihren Kindern getan hatte, als sie noch klein gewesen waren. Vielleicht konnte sie, wenn auch nicht Doras Schmerz, so doch wenigstens ihre Aufregung lindern. Walter Rosin war ihnen allen hier im Haus schon in kurzer Zeit ans Herz gewachsen. Nur Dora – die gelernte Altenpflegerin! – genierte sich für ihren Vater und war übertrieben kritisch mit ihm. Aber so war es wohl immer, dachte Winnie. Mit den eigenen Eltern war man weniger duldsam als gegenüber fremden Leuten. Laut sagte sie:

»Schon komisch, erst haben wir sie dazu erzogen, sich nützlich zu machen, und dann müssen wir’s ihnen wieder verbieten.«

»Meinen Vater hat niemand erzogen, das ist ja die Problematik.«

Winnie lachte. »Es ist nie zu spät, damit anzufangen.«

Befriedigt stellte sie fest, dass Doras Schluchzen langsam abebbte und sich ihr Mund, wenn auch widerwillig, zu einem Lächeln verzog.

»Tut mir leid, Schatzi, der Toast ist heute etwas angebrannt«, flötete Winnie.

»Heute gibt’s Zwieback zum Frühstück«, stöhnte Dora.

Im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen und kicherten sich wie zwei Backfische immer weiter in eine leicht hysterische Heiterkeit hinein, indem sie sich an abstrusen Vorschlägen übertrafen, über die wahrscheinlich niemand hätte lachen können außer ihnen.

»Hansel, steh auf, die Sonne scheint schon hell in die Stube!«

»Lass sie scheinen, Mutter. Sie ist gar alt und hat genug geschlafen.«

»Hansel, steh auf, die Vöglein singen schon!«

»Lass sie singen. Sie haben winzige Köpfe und brauchen nur wenig Schlaf.«

»Hansel, steh auf, es ist Zeit!«

»Lass es Zeit sein, Mutter, die Zeit währt ewig und hat keine Eile.«

»Hansel, steh auf! Dein Haferbrei steht schon auf dem Tisch.«

»Mutter, wo ist mein großer Löffel vom alten Schöffel?«

Marthe gönnte der Morgensonne, deren freundliche Strahlen in ihr Zimmer drangen, nur ein kleines Blinzeln, einen flüchtigen Blick. Dass sie immer noch jedes Wort auswendig kannte! Aber diese Rolle, die sie im zweiten Schuljahr gespielt hatte, war ihr einfach auf den Leib geschrieben gewesen. Denn natürlich hatte sie nicht die Mutter gespielt, wie Winnie gestern Abend annahm, als Marthe die Anekdote beim gemeinsamen Abendessen zum Besten gegeben hatte. Sie war der Hansel gewesen, dieser Weltmeister, wenn es darum ging, die Welt Welt sein zu lassen und sich weise auf die andere Seite zu drehen. Der geborene Philosoph, den nur der Hunger aus dem Bett treiben konnte. Ein höchst sympathischer Bursche, der durchaus zum Vorbild taugte.

Sie hatte nie die Frauen- oder Mädchenrollen gespielt. Mit ihren rostroten Haaren, die sie stets kurz getragen hatte, war sie lange als Junge durchgegangen. Zudem hatte sie mehr Talent gehabt als alle Jungen in ihrer Klasse zusammen, und deshalb war sie beim Krippenspiel alle Jahre wieder der fürsorgliche Josef gewesen, der seine schwangere Frau von Haustür zu Haustür geleitete. Allenfalls einmal ein Hirte im Felde. Mochten andere es auch merkwürdig finden – nie hatte sie die Sehnsucht verspürt, einen Rauschegoldengel im weißen Kleidchen zu geben, eine Prinzessin in rosa Tüll oder die in ein blaues Seidengewand gehüllte Maria. Nein, sie hatte am liebsten gespielt, was sie für die Hauptrollen hielt, und sich alle Jahre wieder tapfer und ohne zu murren in eine alte braune Wolldecke gehüllt, die nach Mottenkugeln roch und gottesmäßig gekratzt hatte.

»Mutter, wo ist mein großer Löffel vom alten Schöffel?«

Mit einem Satz, im doppelten Wortsinn, war Hansel aus dem Bett gesprungen, voller Vorfreude auf seinen Haferbrei. Ihr perfektes Alter ego, vorausgesetzt, man ersetzte den Haferbrei oder das hier im Haus so beliebte Vollwertmüsli durch starken Kaffee und Butterbrötchen mit Marmelade. Vorausgesetzt ebenfalls, dass ein anderer den Tisch für sie deckte. Was das allmorgendliche Bemuttern anging, so hatte sich der Kuddel wirklich hingebungsvoll aufgeopfert, sowohl für sie als auch für ihre Tochter; das war ein eindeutiger Pluspunkt in ihrer Ehe gewesen. In der neuen Wohngemeinschaft konnte sie einen solchen Liebesdienst wohl von niemandem erwarten. Zwar war Dora quasi als Köchin angestellt und für Fragen des Haushalts zuständig, aber so weit, dass sie Marthe das Frühstück ans Bett bringen würde, ging der Komfort leider nicht. Und Richard Bindewald, der sie überhaupt erst mit den garstigen Greisen, wie ihre Mitbewohner sich spaßeshalber nannten, bekannt gemacht und sie vor einem halben Jahr überredet hatte, von Hamburg nach Rothenvenne zu ziehen, konnte ihr noch so schöne Augen machen. In Wahrheit war er von ihnen beiden der noch größere Egoist. Er würde seine Freiheit, oder das, was er dafür hielt, nicht aufgeben, um für sie den Butler zu spielen. Und die Bitte, ihr die Brötchen zu buttern, würde er gewiss missverstehen – nach all den verpassten Gelegenheiten, die sich im Laufe der Jahre zwischen ihnen angehäuft hatten.

Da sich also niemand anschickte, sie zu verwöhnen, drehte sich Marthe noch einmal auf die andere Seite und schmiegte ihre Wange tiefer ins Kopfkissen hinein. Wie an jedem Morgen in der letzten Zeit freute sie sich an dem rosengeblümten Bezug, den sie sich zur Feier ihrer Scheidung gegönnt hatte. Witzigerweise hatte Winnie den gleichen Stoff für die Küchengardinen ausgesucht. Tja, so konnte es einem ergehen, wenn man beim Schweden einkaufte und nostalgischen Anwandlungen erlag. Im Zusammenleben mit ihrem Mann hatte Marthe einfarbige Satinwäsche in hellem Grau bevorzugt, einer Farbe, von der sie sich eingeredet hatte, sie sei besonders elegant. Doch nun gab es ja weit und breit keinen Mann mehr, der ihren Geschmack beeinflussen, ihn verwässern oder verbessern konnte. Ein Hoch auf die Freiheit!

Aber es gab auch kein Kind mehr, das an ihrer Bettdecke zupfte und drängelte und sie anfeuerte, endlich aufzustehen. Oder zu ihr ins Bett kroch und gekitzelt oder beschmust werden wollte. Seltsam, dass sie dieses Kind mehr vermisste als den Mann. Aber das kleine Mädchen war nun zu einer selbstbewussten jungen Frau herangewachsen – trotz der widrigen Lebensumstände in den vergangenen drei Jahren. Sie konnte wirklich stolz sein auf ihre Tochter. Es war schließlich Marlene gewesen, die ohne Wenn und Aber auf ihrer Seite gestanden hatte, als Marthe in den schrecklichen Verdacht geraten war, einen Journalisten ermordet zu haben. Nicht nur der eine oder andere ihrer feinen Freunde oder Kollegen, sogar der Kuddel hatte an ihrer Unschuld gezweifelt. Ihre Ehe war darüber zerbrochen, denn natürlich konnte sie nicht mit einem Mann zusammenbleiben, der ihr ein solches Misstrauen entgegengebracht hatte.

Marthe wusste, es würde dauern, bis dieses Trauma verheilt war und sie ihm würde verzeihen können. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass wenigstens Marlene, soweit sie das als Mutter beurteilen konnte, keinen Schaden an ihrer Seele genommen hatte. So unbeirrt, wie ihre Tochter zu Marthe gehalten hatte, hatte sie auch ihre eigenen Ziele verfolgt. Mit vierzehn Jahren hatte Marlene es sich in den Kopf gesetzt, das elfte Schuljahr in einem Internat in Neuseeland zu verbringen. Und tatsächlich hatte sie das ersehnte Stipendium erhalten und war jetzt schon zum Einleben dort. Auf der anderen Seite der Erdkugel, schrecklich weit fort.

Aber Hauptsache, Marlene ging es gut. Und sie selbst hatte ja auch eine Freiheit wiedergewonnen, die sie in den zurückliegenden Jahren oftmals schmerzlich vermisst hatte. Dass die neue Freiheit sie auch mit einem Gefühl der Furcht – und der Ehrfurcht – erfüllte, war nicht verwunderlich. Auch vor ihr lag ein Neuanfang. Eigentlich sollte sie aufstehen und sofort mit dem neuen Leben beginnen. Mit ihren neuen Projekten. Gestern Abend hatte sie sogar das Fenster offen gelassen und die Gardinen nicht zugezogen, um der Morgensonne eine Chance zu geben, sie aufzuwecken. Doch der Tag war ja noch lang. Im Moment erschien es ihr auch für ihre Arbeit bekömmlicher, im halbwachen Zustand im Bett liegen zu bleiben, auf die Geräusche des Morgens zu lauschen und den Mustern nachzusinnen, die die Sonnenstrahlen auf die Tapete zeichneten. Noch ein wenig zu dösen. Nur fünf Minuten …

In den letzten Tagen träume ich immer häufiger vom Meer. Es umhüllt mich, birgt mich, es schmeichelt mir. Nur hier kann ich noch atmen und leben, in diesem grüngoldenen Glitzern bin ich daheim. Der Gedanke daran ermutigt mich und verleiht mir noch Stärke. In manchen Träumen gleite ich in leuchtenden Tiefen übermütig wie ein junges Mädchen dahin. In anderen fühle ich mich selbst noch in der bleischwarzen Dämmerung freundlich geborgen. In den finstersten Tiefen, in die niemand außer mir sich je traut, wo nichts und niemand mehr funkelt. Dort unten auf dem Grund liegt ein altes Wrack, meine Burg, in der ich unerkannt ein- und ausgehen kann und wo keiner mich findet. Weder Tod noch Teufel fürchte ich hier, und erst recht nicht meine Feinde, nicht den lebenden und schon gar nicht den toten. Nein, auch er schaut mich dort nicht mehr an.

Ach, ich hätte es doch machen sollen, vorigen Monat, gleich, als ich die Diagnose erfuhr. Alles war vorbereitet, nur der Brief noch nicht zu Ende geschrieben. Ein Fest hätte es werden können. Erst die richtigen Worte finden, die nicht allzu viel Kummer entfachen, keine Kränkung verursachen, nach so langer Zeit. Dann den Brief abschicken, die Adresse klingt noch vertraut, obwohl es so lange her ist, nach all diesen Jahren. Und schließlich an den Strand gehen und genügend Tabletten schlucken. Das richtige Quantum Genever dazu, ein Maß Furchtlosigkeit, und dann dem Vergessen entgegengehen. Im Wasser findest du Trost.

Es wäre noch Zeit gewesen. Genau die richtige Zeit. Welche Hoffnung hat mich nur zögern lassen? Verrückte Hoffnung worauf?

Ich könnte längst schon zu Haus sein.

Wenn ich aufwache, bin ich beinahe enttäuscht, mich noch am Leben zu finden. Ich fühle mich wie ein Fisch, den eine leichtsinnige Welle auf den Strand gespuckt hat. Und so liege ich in meinem Bett, nach Luft ringend und japsend.

Aber nun dauert es nicht mehr lang.

Wird jemand bei mir sein, wenn ich hinübergehe? Wird er bei mir sein? Be with me when I need drink, be with me when I die .

Ich hab keinen mehr, von dem ich mir das wünschen würde. Seltsam, wohin sind sie alle verschwunden? All die guten Bekannten und die netten Kollegen. Wie nah haben sie mir einmal gestanden, die Kolleginnen, meine Freundinnen, und die Mädchen und Frauen im Frauenhaus, für deren Freiheit wir kämpften. There’s too much sea between us, das Lied dudelt in meinem Kopf. Bedeutet mir das alles noch etwas, was früher so wichtig war? Frauenpower, Freiheit und Emanzipation, all diese schönen Wörter. Darüber muss ich jetzt lachen. Denn am Ende bleibt nichts. Am Ende liegst du da, nackt und bloß, zwischen deinen Laken, und alles, was zählt, ist ein bisschen mehr Luft. Freiheit von Schmerzen, Linderung statt Solidarität.

Aber ich träume immer noch von der Liebe. Ja, wirklich, denn in Wahrheit zählt, auch wenn ich das Gegenteil behaupte, all das doch noch immer. Eine vorwitzige klitzekleine Sehnsucht wagt sich immer wieder unter dem Elend und Ekel hervor, ist einfach nicht unterzukriegen.

Ich habe doch früher für ihn so etwas wie reine Liebe empfunden. Ob sie zurückkehren kann? Wenn alle Schlacken, alles Störende von uns abfiele? Wenn der Verrat nicht mehr zählt?

Aber es wird mir nicht gelingen, ich werde ihn nicht lieben können, wenn er mir die Spritze aufzieht. Wenn er an mein Bett tritt und sich über mich beugt, in den Händen ein Kissen. Ob er dann lächeln wird? Oder gleichgültig tun? Wird er mir in die Augen sehen? Oder erst noch mein Tagebuch, meinen Brief vor meinen Augen zerreißen?

Wenn er das wagen sollte, werde ich ihn hassen, im letzten Moment noch hassen, wie grausam das klingt. Das wäre das Schlimmste, wozu er mich bringen, was er mir antun könnte.

Katharina warf einen Blick in den Rückspiegel und biss sich auf die Lippen. Tarik war wieder eingeschlafen. Ein unheimlicher Bursche. Nein, ein armer Kerl, der sicher anstrengende Tage hinter sich hatte. Aus dem, was ihre Nachbarin Soraya ihr erzählt hatte, hatte sie sich zusammengereimt, dass seine Brüder hinter ihm her waren, weil er nicht die Frau heiraten wollte, die seine Eltern, genauer gesagt, sein Vater und der Vater des armen Mädchens, für ihn ausgeguckt hatten. Vielleicht waren auch die Brüder der Braut hinter ihm her, so ganz hatte Katharina die Verhältnisse nicht verstanden. Auf jeden Fall war es ein Notfall, Tarik musste dringend von der Bildfläche verschwinden und irgendwo untertauchen, je weiter weg von Berlin, desto besser.

So hatte ihre Nachbarin die Lage gestern Abend erklärt, und ohne nachzudenken, hatte Katharina sich sagen hören, dass Soraya selbstverständlich auf sie zählen könne, wenn es galt, ihren Lieblingscousin in Sicherheit zu bringen. Das war Ehrensache.

Aber war es auch klug?

Darüber zu grübeln hatte sie sich bislang streng verboten. Von jetzt auf gleich hatte sie das Notwendigste zusammengerafft, Zahnbürste und Führerschein, Bargeld und Autoschlüssel, und hatte die Stadt gegen Mitternacht mit einem ihr völlig unbekannten Mann auf dem Rücksitz verlassen.

Im Münsterland würde ihn niemand vermuten, und das Schloss, das ihre Eltern geerbt hatten, bot ausreichend Platz. Wofür sollte so ein riesiger alter Kasten gut sein, bitte schön, wenn nicht dafür, auch mal einen Flüchtling darin zu beherbergen?

»Eigentum verpflichtet«, sagte Katharina forsch. »Artikel 14 Absatz 2 unseres Grundgesetzes.«

Es konnte nicht schaden, ein paar Argumente zu sammeln, um möglichen Einwänden ihrer Eltern zu begegnen. »Klopfet an, so wird euch aufgetan«, das passte auch. Einem Bibelzitat würde ihr Vater nichts entgegensetzen können, schließlich war er Pfarrer gewesen. Und hatte ihre Geschwister und sie, solange sie denken konnte, mit frommen Sprüchen traktiert. »Was ihr getan habt dem Geringsten unter meinen Brüdern …«

Er sah gut aus, dieser Tarik. Schade nur, dass er immer noch hinten im Auto saß und vor sich hin döste, ein kleiner Flirt hätte die Zeit vertrieben. In Berlin hatte er sich zur Sicherheit auf dem Rücksitz zusammengekauert und war so lange in Deckung geblieben, bis sie Potsdam hinter sich gelassen hatten. Als sie bald hinter Magdeburg auf einen Parkplatz gefahren waren und sie den Vorschlag gemacht hatte, sich eine Mütze Schlaf zu gönnen, war natürlich jeder von ihnen auf Abstand bedacht gewesen. Vor lauter Aufregung hatte sie dann allerdings doch nicht geschlafen.

Später, als sie kurz vor Hannover tanken musste und Katharina sich an der Raststätte einen Kaffee gegönnt hatte, war Tarik im Auto geblieben. Er wollte wohl nicht riskieren, dass einer der Brüder oder Cousins oder sonst jemand ihn zufällig sah und seiner Fährte folgte. So hatte sie ihm nur ein Croissant mitgebracht, mit dem er dann den Rücksitz vollkrümelte.

Katharina atmete tief durch und gab Gas. Ein herrlicher Sommermorgen. Sie fühlte sich gebraucht, und das Gefühl tat, wie immer, gut. Zu dumm, dass sie noch heute wieder nach Berlin zurückfahren musste. Sie schrieb zurzeit an ihrer Hausarbeit für den kleinen Strafrechtsschein, und dazu brauchte sie die Bibliothek in Berlin, Ferien auf dem Lande waren leider nicht drin. Steckte hinter ihrer Hilfsbereitschaft in Wahrheit etwa der Wunsch, sich mit einem geheimnisvollen Fremden auf dem Landsitz ihrer Eltern zu vergnügen? Bisher hatte sie sich noch nie mit jemandem wie Tarik eingelassen. Das wäre einmal eine Abwechslung zu ihren Jurakommilitonen. Die letzten beiden – von Beziehungen konnte man nicht reden – Affären? – die letzten beiden Männer, mit denen sie sich getroffen hatte, waren ausschließlich an ihrer Karriere interessiert und arge Langweiler gewesen.

Vielleicht ließe sich der Kontakt über Soraya halten und sie könnten sich später einmal wiedersehen, wenn erst Gras über diese Sache gewachsen wäre? Er würde doch sicher gegenüber seiner Retterin ein gewisses Gefühl der Dankbarkeit empfinden …

Einen Moment lang hing sie ihren Gedanken nach und nahm vielleicht deshalb den alten Mann, der unvermittelt vor ihr am Straßenrand erschien, erst in letzter Sekunde wahr. Um ein Haar wäre es schon zu spät gewesen. Katharina kam es vor, als wäre er buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht. Aus irgendeinem Grund warf er seinen Hut auf den Mittelstreifen und hüpfte dann hinterher, ihr beinahe direkt vors Auto. Im letzten Moment gelang es ihr, das Lenkrad herumzureißen und dem Alten auszuweichen. Mit quietschenden Reifen schlingerte sie an ihm vorbei über den Seitenstreifen der Gegenfahrbahn, bevor sie wieder auf die richtige Spur schoss und die Fahrt fortsetzen konnte.

»Sitar Allah«, meldete sich Tarik hinter ihr. »Super reagiert.«

Katharina antwortete nicht. Mit beiden Händen hielt sie das Lenkrad fest umklammert und fuhr einfach weiter, wie auf Autopilot. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie wieder denken konnte und sich überhaupt erst der Gefahr bewusst wurde, in der sie sich alle – sie, Tarik und der alte Mann – befunden hatten. Sollte Tarik sie ruhig für unhöflich oder gar für gefühlskalt halten. In Wahrheit war sie wie gelähmt und gar nicht fähig zu einer Antwort.

Man wusste ja nie, wie man im Notfall reagieren würde, bis der Notfall eintrat. Als sie wieder zu sich kam, dachte sie, dass sie wohl zufrieden mit sich sein konnte. Vollkommen handbuchgerecht hatte sie ruhig gegengesteuert und die Kontrolle über den Wagen behalten. Kein panisches Bremsen, kein hektisches Herumreißen des Lenkrads. Nur der Angstschweiß war ihr ausgebrochen. Vielleicht doch gut, dass der Mann nicht direkt neben ihr saß. Aber sie waren ja gleich da, und dann konnte sie sich im neu gekachelten Badezimmer ihrer Eltern erfrischen.

Kurze Zeit später stand sie vor der Schlosstür und überlegte, ob sie einfach eintreten oder in aller Form klingeln sollte. Oder den ehemaligen Dienstboteneingang an der Seite des Hauses benutzen? Katharina entschied sich fürs Klingeln. Nicht, weil sie einen Gast mitbrachte. Tarik saß noch im Auto und wollte dort abwarten, bis sie die Lage sondiert und die Frage seiner Unterbringung mit ihren Eltern besprochen hatte. Sie selbst war der Gast, in diesem Haus hatten ihre Eltern kein Zimmer mehr für sie eingerichtet. Und ein Gast kam nun einmal nicht einfach so hereingetrampelt. Ein Gast klingelte. Und wartete, bis man ihn bat einzutreten. Ihr unangemeldetes Kommen, dieser Überfall, und vor allem ihr besonderes Anliegen, sollten Kindesprivileg genug sein.

Ihr Blick fiel auf das Messingschild an der Tür, das in der Morgensonne glänzte. GRÄSSLICHE GRUFTIS. Keine Frage, die Leute, mit denen ihre Eltern jetzt zusammenwohnten, hatten Humor, auf jeden Fall mehr Humor als ihr Vater. Dass sie eine solche Inschrift gegen Frieder durchgesetzt hatten! Der verstand ja, wenn es um die Würde des Menschen ging – oder was er dafür hielt – nur selten Spaß. Als Kind durfte sie nicht einmal einen harmlosen Ostfriesenwitz riskieren, wenn sie ihn nicht zu einer seiner Grundsatzpredigten hatte provozieren wollen. Grässliche Gruftis … Das kam gut. Bei ihrem letzten Besuch vor knapp zwei Monaten war das Schild noch nicht da gewesen, aber damals waren ihre Eltern gerade erst eingezogen und hatten noch auf einer Baustelle gewohnt. Alles war unfertig gewesen, überall hatten Kisten herumgestanden, die noch nicht ausgepackt waren. Zu essen hatte es auch nichts Vernünftiges gegeben, nur westfälische Schinkenschnittchen mit Spiegelei, nichts für sie, die sich streng vegan ernährte. Auch für Tarik, der nach der langen Autofahrt genauso hungrig wie sie sein dürfte, käme die deftige westfälische Kost wohl kaum in Frage. Hoffentlich hatte die Küche der Gruftis heute also etwas mehr Abwechslung zu bieten. Und hoffentlich lief auch sonst alles gut.

Mit leichtem Bangen drückte Katharina die Klingel.

Die Einzige, die die Türglocke läuten hörte, obwohl ihre neuen Mitbewohner behaupteten, sie sei schwerhörig, wenn nicht gar taub, war die bald neunzigjährige Thusi Spannagel in der zweiten Etage. Sie schwelgte gerade in der Lektüre alter Liebesbriefe, die zum Teil vor so langer Zeit geschrieben worden waren, dass die Tinte ganz verblichen war, was freilich auch für den einen oder anderen Urheber der Briefe gelten mochte. Auf dem Teller eines alten Plattenspielers drehte sich eine Langspielplatte, und aus den Lautsprecherboxen erklang ein Walzer von Chopin in der legendären Aufnahme mit Dinu Lipati, dem einzigen Pianisten, dem sie zubilligte, er habe ihren Lieblingskomponisten besser interpretiert als sie selbst. Das elektronische Vogelgezwitscher, das auf einer Wellenlänge ertönte, die beim besten Willen nicht zu Chopin passte, tat ihr beinahe körperlich weh. Amsel, Drossel, Fink und Star – zum Teufel mit ihnen!

Thusi drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag und versuchte, sich in ihrem Kunstgenuss nicht stören zu lassen. »Das gibt ein Sausen und Brausen, wenn Du wie ein frischer Wirbelwind über mich stürmst«, hatte ihr ein Verehrer namens Karl-Georg vor etlichen Jahrzehnten geschrieben. Sie hatte nur mehr eine vage Erinnerung daran, wer er gewesen war und wie er ausgesehen hatte, aber an dem Übermut, der sie beide damals offenbar verbunden hatte, konnte sie sich noch immer erfreuen – und nun wieder neu.

Wieder ertönte das schrille Geläute. Ja, waren denn alle hier schwerhörig außer ihr? Thusi seufzte, legte den Brief aus der Hand, stellte den Plattenspieler aus und stemmte sich aus dem Sessel. Sie lief zum Fenster hinüber, schlug die schweren Vorhänge zurück und langte nach ihrer Sonnenbrille, die griffbereit auf der Fensterbank lag. Sie war riesig und bedeckte ihr Gesicht zur Hälfte – solche Brillen waren jetzt wieder modern. Es lohnte sich, die schönen Dinge aufzubewahren. Wenn man nur lange genug wartete, kam ihre Zeit irgendwann wieder. Davon abgesehen, war sie nie der Typ gewesen, der es nötig hatte, jede Mode mitzumachen. Lieber hatte sie ihren eigenen Stil kultiviert. Vorzugsweise hüllte sie sich in schlabberige, orientalisch anmutende Gewänder in schrillen Farben, zu denen sie aus demselben Stoff gefertigte Turbane trug, die zu ihrem Markenzeichen geworden waren. Nicht nur verhalfen sie ihr zu ihrem unverwechselbaren Thusi-Stil, sondern auch dazu, Geld zu sparen, unanständig viel Geld, das sie sonst zum Frisör hätte tragen müssen. Mit ihren dünnen Haaren war nun einmal kein Staat zu machen gewesen, und noch dazu war sie lange vor der Zeit schon ergraut – ein Erbteil ihres Vaters, über den sie sich ansonsten nicht beklagen wollte, verdankte sie ihrem Papa doch auch ihr musikalisches Talent und die Ermutigung, darauf ihre ganze Existenz zu gründen.