The Cover Image

Mark Twain

Die Tagebücher
von Adam und Eva

Herausgegeben, übersetzt und
mit einem Nachwort versehen
von Andreas Nohl

Mit Illustrationen von Susanne Mehl

Deutscher Taschenbuch Verlag

Ungekürzte Ausgabe 2010

© der deutschsprachigen Ausgabe 2005

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-42390-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-25293-5

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website
www.dtv.de/ebooks

Vorbemerkung

Einen Teil dieses Tagebuchs habe ich vor einigen Jahren übersetzt, und ein paar Exemplare hat ein Freund in unvollständiger Form gedruckt, doch sind sie nie an die Öffentlichkeit gelangt. Seither habe ich noch mehr von Adams Hieroglyphen entziffert, und da er nun als Person des öffentlichen Lebens hinreichend bekannt ist, scheint mir ihre Veröffentlichung gerechtfertigt.

M. T.

S06_1.jpg

S07_1.jpg

AUSZÜGE AUS ADAMS TAGEBUCH

Montag – Dieses neue Wesen mit den langen Haaren ist ganz schön lästig. Es lungert herum und läuft mir dauernd nach. Das kann ich nicht leiden; ich bin Gesellschaft nicht gewöhnt. Wenn es doch bloß bei den anderen Tieren bliebe … Heute bewölkt, Ostwind; glaube, wir kriegen Regen … Wir? Wo habe ich dieses Wort her? – Jetzt fällt es mir ein – das neue Wesen benützt es.

Dienstag – Habe den großen Wasserfall inspiziert. Er ist, glaube ich, das Beste hier auf dem Grundstück. Das neue Wesen nennt ihn Niagarafälle – warum, ist mir ein Rätsel. Sagt, er sehe aus wie die Niagarafälle. Das ist kein Grund, es ist schlicht und einfach Unsinn. Ich selber darf keinem Ding einen Namen geben. Das neue Wesen benennt alles, was daherkommt, bevor ich einen Einwand erheben kann. Und immer mit der gleichen Ausrede – es sieht so und so aus. Da ist zum Beispiel der Dodo. Es sagt, dass er »wie ein Dodo aussieht«. Er wird diesen Namen behalten müssen, ohne Zweifel. Es ist ermüdend, sich darüber aufzuregen, und es hat gar keinen Zweck. Dodo! Er sieht ebenso wenig wie ein Dodo aus wie ich.

Mittwoch – Habe mir einen Unterschlupf gegen den Regen gebaut, konnte ihn aber nicht in Frieden benützen. Das neue Wesen drängte sich mit hinein. Als ich es hinaussetzen wollte, lief ihm Wasser aus den Öffnungen, mit denen es sieht, und das wischte es mit dem Rücken seiner Pfoten weg und machte ein Geräusch wie andere Tiere, wenn sie in Not sind. Ich wünschte, es redete nicht; es redet immerfort. Das klingt so, als wollte ich das arme Wesen schlecht machen, aber so meine ich es nicht. Ich habe noch nie die menschliche Stimme gehört, und jeder neue und fremde Laut, der in die feierliche Stille dieser verträumten Einsamkeit dringt, beleidigt mein Ohr und klingt wie ein falscher Ton. Und dieses neue Geräusch ist so nah; es ist gleich hinter meiner Schulter, gleich hinter meinem Ohr, erst auf der einen Seite, dann auf der anderen, und ich bin doch nur an Laute gewöhnt, die mehr oder weniger aus der Ferne kommen.

S09_1.jpg

Freitag – Das Namengeben geht munter weiter, ich kann machen, was ich will. Ich hatte einen sehr guten Namen für das Grundstück, er war klangvoll und schön – GARTEN EDEN. Insgeheim nenne ich es immer noch so, aber ich spreche es nicht laut aus. Das neue Wesen sagt, es gebe hier nur Wald und Felsen und Landschaft und deshalb sei keinerlei Ähnlichkeit mit einem Garten vorhanden. Sagt, es sieht aus wie ein Park und wie nichts sonst. Also wurde es umgetauft, ohne dass ich gefragt worden wäre – NIAGARA FALLS PARK. Das ist ziemlich hoch gegriffen, finde ich. Und es steht auch schon ein Schild da:

S10_1.jpg

Mein Leben ist nicht mehr so schön, wie es einmal war.

Samstag – Das neue Wesen isst zu viel Obst. Wahrscheinlich werden wir bald nichts mehr haben. Schon wieder »wir« – das ist sein Wort; meins nun auch, weil ich es so oft höre. Heute morgen ziemlich neblig. Ich gehe bei Nebel nicht raus. Aber das neue Wesen schon. Es geht bei jedem Wetter raus und stapft dann mit seinen schmutzigen Füßen wieder herein. Und redet. Früher war es so schön und ruhig hier.

S11_1.jpg

Sonntag – Heil überstanden. Dieser Tag wird immer mühsamer. Er wurde im vergangenen November als Ruhetag festgesetzt. Davon hatte ich sowieso schon sechs in der Woche. Heute früh erwischte ich das neue Wesen bei dem Versuch, mit Erdklumpen Äpfel von dem verbotenen Baum herunterzuholen.

Montag – Das neue Wesen sagt, es heiße Eva. Von mir aus, ich habe nichts dagegen. Sagt, mit dem Namen könne ich es rufen, wenn ich möchte, dass es kommt. Ich entgegnete, dass es dann überflüssig sei. Dieses Wort trug mir sichtlich Respekt ein; und in der Tat ist es ein großer, kräftiger Ausdruck, der eine Wiederholung verträgt. Das Wesen sagt, es sei kein Es, es sei eine Sie. Das bezweifle ich; doch für mich ist das einerlei; was sie ist, wäre mir egal, wenn sie mich nur in Ruhe lassen und nicht schwatzen würde.

Dienstag – Sie hat das ganze Grundstück mit abscheulichen Namen und grässlichen Schildern verschandelt:

S12_1.jpg

Sie sagt, der Park würde ein schmuckes Erholungsgebiet abgeben, wenn sich Gäste dafür fänden. Erholungsgebiet – wieder so eine Erfindung von ihr –, nur Worte, ohne jede Bedeutung. Was ist ein Erholungsgebiet? Aber ich frage lieber nicht, sie ist so wild aufs Erklären.

S13_1.jpg

Freitag – Sie bekniet mich neuerdings dauernd, nicht den Wasserfall hinunterzurutschen. Was ist denn dabei? Sie meint, es würde sie schaudern machen. Ich frage mich, warum; ich habe es doch schon immer getan, ich mag den Sprung und die Erfrischung. Ich dachte, dafür sei der Wasserfall da. Er hat, soweit ich sehe, keinen anderen Zweck, und für irgendetwas muss er doch geschaffen worden sein. Sie sagt, er sei nur für die Aussicht da – wie das Nashorn und das Mammut.

Ich bin in einem Fass den Wasserfall hinuntergerutscht – damit war sie nicht zufrieden. Ich fuhr in einer Wanne hinab – immer noch nicht zufrieden. Ich schwamm im Strudel und durch die Stromschnellen in einem Feigenblatt-Badeanzug. Er hat ziemlich darunter gelitten. Folglich langatmige Klagen über meine Verschwendungssucht. Ich bin hier zu sehr eingeengt. Ich brauche dringend einen Ortswechsel.

S14_1.jpg

Samstag – Vergangenen Dienstag bin ich nachts geflohen, war zwei Tage unterwegs und habe mir an einem abgeschiedenen Ort einen neuen Unterschlupf gebaut und meine Spuren verwischt, so gut ich konnte, aber sie spürte mich auf mit Hilfe eines