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Über dieses Buch:

Es gibt viele Arten, die schönste Zeit des Jahres zu verbringen – Markus Waldo hat sich mit schlafwandlerischer Sicherheit die schlimmste ausgesucht: Er verbringt seinen Urlaub auf einem Campingplatz irgendwo im Nirgendwo. Die Mücken stechen, die Zeltnachbarn nerven … und dann wird auch noch ein toter Dauercamper gefunden! Eigentlich alles prima Gründe, um das Weite zu suchen – aber bevor Waldo aufbrechen kann, verbreitet sich das Gerücht, dass er zu den besten Privatdetektiven des Landes gehört. Das ist zwar eine glatte Lüge, verdonnert ihn aber dazu, den Tod des Campers aufzuklären. Missmutig beginnt Waldo zu ermitteln – und findet sich in einem abgründigen Fall wieder, in dem es bald ein weiteres Opfer gibt …

»Ein ungewöhnlicher Privatdetektiv in einem spannenden Ostsee-Krimi, der mit der Campingplatz-Idylle Schluss macht.« Radio Gong 96,3

Über den Autor:

Peter Godazgar, geboren 1967, wuchs im nordrhein-westfälischen Hückelhoven auf. Er studierte Germanistik und Geschichte, bevor er die Henri-Nannen-Journalistenschule besuchte und später als Redakteur der Mitteldeutschen Zeitung in Halle an der Saale arbeitete. Heute ist Peter Godazgar stellvertretender Pressesprecher von Halle an der Saale. Für seine Kriminalromane und Kurzgeschichten war für unter anderem für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis nominiert und erhielt ein Stipendium der Kunststiftung von Sachsen-Anhalt.

Der Autor im Internet: www.peter-godazgar.de

Bei dotbooks veröffentlichte Peter Godazgar seine Kriminalromane um den Privatdetektiv Markus Waldo: Nur ein Schwein stirbt allein, Tote Fische schwimmen oben und Ein Kaninchen killt man nicht.

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eBook-Neuausgabe Mai 2018

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel Unter freiem Himmel bei GRAFIT Verlag GmbH.

Copyright © der Originalausgabe © 2006 by GRAFIT Verlag GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Jenny Sturm und shutterstock/Anna Volotkovska

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-226-9

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Peter Godazgar

Tote Fische schwimmen oben

Kriminalroman

dotbooks.

Kurz vor Sonnenaufgang

Er spürt Tränen in seinen Augen. Es ist so unglaublich schön, denkt er, es ist jedes Mal ein Wunder.

Über ihm herrscht tiefe Nacht, aber am Horizont breitet sich die Ahnung eines ersten Schimmers aus. Einige Minuten später zieht sich ein hauchdünner, heller Streifen am Ende der spiegelglatten Wasserfläche entlang. Vögel kreischen.

Zeit genug, denkt er. Er wird längst auf dem See sein, um den großartigsten Moment in aller Ruhe genießen zu können: den Augenblick kurz bevor ihm die Sonne ihren ersten Lichtstrahl entgegenjagt. Er blickt nach oben. Perfekt, die Chancen stehen bestens, es ist vollkommen wolkenlos.

Auf geht’s. Keine Zeit verlieren.

Er beugt sich hinab, greift einen Eimer, eine Kiste und die Angel und geht langsam den Holzsteg entlang.

Als er ein Geräusch hört, dreht er sich um, eher überrascht als erschrocken. Er nimmt ein Gesicht wahr, nur für den Bruchteil einer Sekunde, ganz nah ist es, direkt vor seinen Augen; dann spürt er einen Schlag gegen seine Nase, er taumelt zurück, lässt die Kiste und die Angel los und hofft noch, dass beides, Angel und Kiste, nicht ins Wasser fällt.

Ein zweiter Schlag trifft ihn auf dem rechten Auge und sein zweiundsiebzig Jahre alter Körper verliert das Gleichgewicht.

»Fall nicht, Opa«, sagt eine Stimme und dann sind zwei andere Stimmen zu hören. Gelächter.

Er stürzt rückwärts, den Eimer hält er immer noch fest. Er fällt auf die Holzplanken und schlägt hart mit dem Kopf auf. Er blickt in den Himmel über sich, dessen Farbe sich gerade in ein tiefdunkles Blau verwandelt.

»Opa«, sagt die Stimme wieder. »Hörst du mich noch, Opa?«

Er hat die Orientierung verloren. Er spürt, wie jemand seine Beine hochhebt und sie so verdreht, dass sein gesamter Körper der Bewegung folgt. Er landet auf dem Bauch.

»Mach nicht so einen Krach, Opa«, sagt die Stimme.

Er bekommt einen Tritt in die Seite und stöhnt auf; auf einmal bewegen sich die Holzplanken unter ihm, ein Splitter frisst sich in seine Wange – und dann sieht er Wasser unter sich.

Sein Kopf taucht unter und er schluckt Wasser, aber er taucht nicht mit dem ganzen Körper hinein. Etwas hält seine Beine fest. Jemand. Er rudert mit seinen Armen, verzweifelt und immer verzweifelter, aber es gelingt ihm nicht, seinen Kopf aus dem Wasser zu bekommen.

Mittwoch

Waldo starrte auf den 140-Euro-Schein. Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie erst wieder, als sie schmerzten. Dann blickte er das Mädchen an, das ihm und Albert den ganzen Abend Bier gebracht hatte; es mochte Anfang zwanzig sein und ließ gelangweilt seinen Blick durch die Kneipe schweifen.

Erstaunlich, wie geduldig sie war.

Komm jetzt, Junge, ganz ruhig.

Waldo sah erneut angestrengt auf die Rechnung. Jetzt standen am Ende des Zettels wieder 280 Euro. Es war zum Irrewerden. Waldo war weniger über die enorme Summe erschüttert – auch wenn er bislang in einer Kneipe nie eine Rechnung hatte bezahlen müssen, die nur annähernd bei 280 Euro gelegen hatte; er machte sich auch keine Gedanken darüber, wie es sein konnte, dass Albert und er an diesem Abend Bier für 280 Euro getrunken haben sollten und dennoch nicht auf der Notfallstation des Uni-Klinikums oder wenigstens hier unterm Tisch lagen. Was Waldo irritierte, war die Tatsache, dass sich die Zahlen auf der Rechnung mit jedem Blick, den er auf sie warf, änderten und das, obwohl es sich um einen Computerausdruck handelte. Der ausgedruckte Endbetrag wechselte von 280 Euro auf 176 Euro. Und wieder auf 280 Euro.

Okay, dachte Waldo, also doch 280 Euro. Ein Einhundertvierziger liegt auf dem Tresen. Er blickte wieder in sein Portmonee und blätterte die Scheine durch.

»280 muss ich zahlen«, murmelte er leise und mit geschlossenen Augen vor sich hin. Er fühlte sich unendlich müde, versuchte aber trotzdem, sich zu konzentrieren. »140 Euro liegen da, brauch ich erst mal noch 20 Euro« – er zog einen Zwanziger aus der Geldbörse und legte ihn neben den Einhundertvierziger – »ruhig bleiben, jetzt hab ich 160 Euro, nehm ich noch einen Fuffi« – er nahm einen Schein heraus, aber es war kein Fünfziger, sondern ein Fünfundfünfziger – »komisch, wo kommt der denn her, aber egal, hab ich jetzt 160 plus 55 sind ... sind 215.« Er blickte auf die Rechnung.

Jetzt standen dort wieder 176 Euro!

Ich werde wahnsinnig, dachte Waldo.

Er glotzte der Bedienung in den Ausschnitt und rechnete verzweifelt: 215 Euro minus wie viel sind 176 Euro? Minus fünfzehn sind schon mal zweihundert, fehlen also noch ...

Oder soll ich sagen: Stimmt so? Aber, Mann, das wär ja ein Hammertrinkgeld, das wären ..., wie viel Euro Trinkgeld wären das denn ...?

Er kapitulierte. Ihm war schlecht.

Dann hörte er hinter sich einen Schrei. Er kam von weit her und Waldo drehte sich verwundert um, doch er konnte nicht ausmachen, woher das Geräusch kam. Aus dem gammeligen Zelt, das im Eingang der Kneipe stand, jedenfalls nicht. Waldo schüttelte den Kopf – ein selten dämlicher Platz für ein Zelt.

Erneut vernahm er aus der Ferne einen Schrei, doch die anderen Gäste in dem Lokal saßen an ihren Tischen und schienen nichts zu hören – oder jedenfalls schienen sie sich nicht an dem Schrei zu stören. Waldo drehte sich wieder der Theke zu und nahm erneut die Rechnung zur Hand.

Neben ihm gab nun Albert ein Grunzen von sich. Waldo sah nach rechts: Offensichtlich war sein Freund eingeschlafen. Kerzengerade stand er vor dem Tresen, mit geschlossenen Augen, die Arme vor der Brust verschränkt.

Wieder ein Schrei.

Und wieder ein Grunzen von Albert.

Waldo öffnete die Augen und blickte gegen die grasgrüne Zeltwand. Vogelgezwitscher.

»Wasndasfürnlärm?«, nuschelte Albert.

Waldo richtete sich auf, bis sein Schädel den Zeltstoff eindrückte; der Schlafsack knisterte. Waldo blieb still und horchte. Er hörte, wie jemand vorbeilief. Dann ertönte ein weiterer Schrei.

Neben ihm rappelte sich Albert hoch. »Sag mal, wer brüllt denn hier die ganze Zeit mitten in der Nacht rum wie ‘n Bekloppter?«

»Eher wie ‘ne Bekloppte«, sagte Waldo. »Da schreit ‘ne Frau.«

Sie saßen geduckt in dem Zelt und lauschten. In der Ferne erklangen Stimmen, aber Waldo konnte kein Wort von dem verstehen, was sie sagten. Über allem lag das Zwitschern der Vögel. Ganz in der Nähe wurde ein Reißverschluss geöffnet; Waldo nahm an, dass es der Reißverschluss eines Zelteingangs war.

Mit einem Stöhnen schälte sich Albert aus seinem Schlafsack, beugte sich nach vorn und öffnete ihren eigenen Zelteingang. Er steckte seinen Kopf nach draußen.

»Morgen«, hörte Waldo Albert sagen. »Wer schreit denn hier so?«

»Kommt von da hinten, glaub ich«, antwortete eine männliche Stimme von rechts.

»Wie spät is’ denn?«, fragte Albert mehr sich selbst.

Waldo tastete nach seiner Uhr, die irgendwo neben seiner Luftmatratze liegen musste. »Kurz nach sechs«, antwortete er, nachdem er sie gefunden hatte. Er hörte mehrere Menschen an dem Zelt vorbeilaufen. Anfangs hatte es Waldo erstaunt, wie deutlich die Außengeräusche in das Zelt drangen. Irgendwie hatte er angenommen, dass die dünne Plane nicht nur Blicke abwehren kann, sondern auch als Lärmschutzwand dient. Das Geschnarche, das ihm in der ersten Nacht den Schlaf geraubt hatte, hatte ihn schnell eines Besseren belehrt.

Waldo ließ sich auf seine Luftmatratze zurücksinken.

Albert krabbelte zurück in das Zelt. »Ich geh mal gucken«, sagte er und angelte nach seiner Jeans. Er zog sie im Liegen an, dann kroch er nach draußen. Jetzt war nur noch das Zwitschern der Vögel zu hören und ab und zu, weit weg, unverständliches Rufen.

Waldo schloss die Augen und zog den Schlafsack über sein Gesicht, damit es dunkler wurde. Er war hundemüde und spürte ein leichtes Pochen hinter der Stirn. Er wusste, dass er nun nicht mehr einschlafen würde, und bedauerte sich dafür, so früh aus seinem zugegebenermaßen merkwürdigen Traum gerissen worden zu sein.

Nein, besonders entspannend fand er den Urlaub bislang nicht.

Er wurde ruckartig wach, als Albert erneut in das Zelt robbte. Waldo machte die Augen erst gar nicht auf.

»Mann, das glaubst du nicht«, zischte Albert.

»Was ‘n?«, nuschelte Waldo.

»Das glaubst du nicht«, wiederholte Albert mit Nachdruck.

»Hast Recht, ich glaub’s nicht«, sagte Waldo lustlos.

»Da hinten haben sie ‘ne Leiche gefunden!«

Waldo blinzelte und hob den Kopf leicht an. »Wo?«, fragte er blöde.

»Na, da hinten«, Albert drehte seinen Oberkörper in dem engen Zelt und zeigte in Richtung Eingang. »Am Wasser. Auf dem Holzsteg. Polizei ist da und alles.«

Waldo stützte sich auf die Ellenbogen. »Polizei?«

»Ja, so ‘n kleiner Fetter und noch einer. Machen auf irre wichtig, haben aber keine Ahnung.«

Solche Charakterisierungen waren typisch für Albert. Waldo hätte sich nicht gewundert, wenn sein Freund den Polizisten schon ein paar Tipps gegeben hätte. »Na, und wer ist tot?«

»Keine Ahnung, ein Opa, der hier Urlaub gemacht hat.«

»Ach du Scheiße.« Waldo blickte dumpf vor sich hin. Eine Weile war nur das Gezwitscher der Vögel zu hören.

»Ich geh wieder zurück«, sagte Albert dann.

»Komm, nun mach mal halblang. Was willste da denn jetzt rumstehen und blöd gaffen?«

»Keine Bange, nur gucken«, beschwichtigte Albert, während er aus dem Zelt krabbelte.

Waldo machte es sich mit einem Stöhnen wieder auf der Luftmatratze bequem. »Bring Brötchen mit«, sagte er leise und zog sich den Schlafsack übers Gesicht.

Aber nun war er wach. Eine Leiche, na prima, auch das noch. Vermutlich erwürgt vom wahnsinnigen Campingplatzmörder, der hier oben schon seit Jahren sein Unwesen treibt. Wahrscheinlich der merkwürdige Typ, der hinten in der äußersten Ecke des Platzes in diesem schmuddeligen roten Zelt haust – in eben jenem Zelt, von dem ich inzwischen schon träume, dachte Waldo. Klasse Urlaub.

Waldo blieb noch ein paar Minuten liegen. Dann fischte er sich die beiden Strümpfe, die er gestern Abend ausgezogen hatte, schnüffelte daran und entschied, dass sie für einen weiteren Tag reichen würden. Er rutschte aus seinem Schlafsack, streifte die Strümpfe über, zog eine Jogginghose an und kroch aus dem Zelt. Er blickte an sich herab. Keine Woche unter freiem Himmel und ich seh aus wie der letzte Asi, dachte er.

Die Luft war frisch und es war fast windstill. Der Duft von Nadelbäumen ließ Waldo ein paarmal tief ein- und ausatmen. Er streckte sich. Sein Rücken schmerzte und er beneidete zum wiederholten Mal Albert um dessen Nachtlager. »Beste Luftmatratze von Welt«, hatte Albert gesagt, als sich Waldo über das flache Ding lustig gemacht hatte. Tatsächlich hatte sein Freund dieses eine Mal nicht übertrieben. Waldo war außerordentlich überrascht gewesen, als er sich auf das Teil gelegt hatte. Überhaupt kein Vergleich zu seiner eigenen Luftmatratze mit den drei Kammern, von denen die mittlere die Luft nicht mehr halten konnte, sodass Waldo sie allabendlich aufblasen musste, nur um am nächsten Morgen mit dem Gefühl aufzuwachen, auf ein paar Maulwurfshügeln genächtigt zu haben. »Wir können ja tauschen«, hatte Waldo gesagt, »einen Tag kriegst du das Ding, einen Tag ich«, aber Albert hatte den Vorschlag nicht mal ignoriert.

Noch mehr vermisste Waldo sein Kopfkissen. In der ersten Nacht – das war vor vier Tagen gewesen – hatte er sich im Schlaf den Nacken verrenkt und seitdem konnte er den Hals nur unter Schmerzen drehen. Abend für Abend rollte er seine beiden Pullover zusammen, aber das war ein allzu notdürftiger Ersatz.

Waldo beugte sich in das Zelt hinein, nahm ein Handtuch und stapfte in Richtung Waschhaus. Er bedauerte, sich aufs Zelten eingelassen zu haben. Annettes Versuchen, ihn zum Campen zu überreden, hatte er schließlich stets erfolgreich widerstanden.

Annette.

Wie jedes Mal, wenn er sich dem roten Backsteinhäuschen mit dem Schild Sanitärgebäude 3 näherte, fragte sich Waldo, was der Hinweis Chemieentsorgung ist im Waschhaus verboten! neben der Tür zu bedeuten hatte. Bevor er den Eingang zu der roten Baracke aufdrückte, schielte er in Richtung Wasser. Zwischen Bäumen und Sträuchern konnte er eine Menschengruppe ausmachen, die vor und auf dem Holzsteg stand; auf dem Platz neben dem Schuppen, in dem sich die Anmeldung befand, parkte ein Polizeiwagen. Zwei Jugendliche gingen mit schnellen Schritten an Waldo vorbei in Richtung Holzsteg. Gaffer, dachte Waldo verächtlich.

Er betrat eine der Toiletten und legte den Riegel vor. Immerhin – und das war für ihn eine ganz entscheidende Erkenntnis gewesen, die ihn gehindert hatte, gleich am zweiten Tag darauf zu bestehen, in ein Hotel oder eine Pension zu wechseln –, immerhin waren die Toiletten sauber. Überraschend sauber, fand Waldo. »Camper sind sauber«, hatte Albert ihm als Erklärung angeboten.

Waldo hörte, wie die Tür zum Waschhaus aufging, dann Schritte, irgendwas wurde abgestellt, anschließend drehte jemand den Wasserhahn auf. Heftiges Schnauben durch die Nase. Im nächsten Moment sammelte der Unbekannte geräuschvoll Spucke und rotzte sie ins Waschbecken. Waldo saß still. Eine elektrische Zahnbürste ging an, danach waren erneut Spuckgeräusche zu hören.

Wenig später fiel die Tür des Waschhauses wieder ins Schloss. Waldo trat aus der Toilette und an eines der Waschbecken. Er stellte fest, dass er sein Waschzeug vergessen hatte – auch so etwas, was in einem Hotel oder in einer Pension nicht passieren konnte. Waldo formte seine Hände zu einer Schale und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Er trocknete sich ab und wollte gerade das Häuschen verlassen – da sah er sie. Eine Mischung aus Wut und Mordlust stieg in ihm hoch. Er legte sein Handtuch neben das Waschbecken und trat einen Schritt auf die Wand zu. Er hob die Hand. Sie wiegt sich in völliger Sicherheit, dachte er – dann klatschte er seine Hand gegen die Wand. Als er sie wieder wegnahm, war dort, wo eben noch die Mücke gesessen hatte, ein roter Fleck auf dem Stein. Ein ungemein tiefes Gefühl der Befriedigung erfüllte Waldo.

»Nimm das, Schuft«, sagte er. »Hängst voll gefressen an der Wand, voll gesaugt mit dem Blut unschuldiger Menschen und bist unfähig, dich vom Fleck zu bewegen, das hast du davon. Miststück, Mistvieh, Sausack ...«

Waldo erschrak. Im Spiegel erkannte er einen Mann, der schräg hinter ihm stand und ihn mit halb offenem Mund anstarrte.

»Morgen«, grüßte Waldo. »Hab eine Mücke erlegt. Am besten, wir lassen den Kadaver da hängen. Als abschreckendes Beispiel.«

Der Mann nickte und versuchte ein Lächeln, das ihm allerdings ziemlich misslang.

Waldo verließ das Waschhaus, lief zu seinem Auto, öffnete den Kofferraum und kramte in seinem Rucksack. Wo Albert bloß blieb? Waldo zog ein blaues T-Shirt aus den Untiefen seines Gepäcks und schlug die Kofferraumklappe zu. Sein Blick fiel auf die anderen Zelte, allesamt beneidenswert geräumige Unterkünfte, die meisten sogar mit Vorzeit; in einigen von ihnen dürfte er fast stehen können, schätzte Waldo. Dagegen sah Alberts grünes Minizelt wie ein Kinderspielzeug aus.

»Das ist ein Zwei-bis-drei-Mann-Zelt, Kollege« – noch so eine von Alberts wahnwitzigen Übertreibungen. Nachdem sie das rundliche grüne Ding am ersten Abend aufgebaut hatten, fand Waldo, dass es allenfalls für eine Person Platz bot.

»Und wo pennst du?«, hatte er Albert gefragt, und weil dieser nicht reagierte, war er deutlicher geworden. »Jetzt mal im Ernst, da passen wir doch nie zu zweit rein. Oder willst du auf mir liegen?«

»Da haben wir schon zu dritt drin gelegen«, hatte Albert geantwortet.

»Du und deine beiden Flöhe, oder was?«

»Idiot.«

»Und wo tun wir unsere Rucksäcke hin?«

»Da haben wir zu dritt drin gelegen mit Rucksäcken.«

»Gestapelt wahrscheinlich. Und die Rucksäcke?«

»Mann, du hast ja wirklich keine Ahnung. Die kommen in die Apsis!«

»Wohin?«

»In die Apsis.« Albert hatte die geöffnete Zeltspitze gepackt und das grüne Material hin- und her geschüttelt, dass es raschelte.

»Das Ding nennt man Apsis? Ich dachte, das ist der Platz, wo man Salz- und Pfefferstreuer aufbewahren kann. Und wenn’s regnet?«

»Das ist doch alles wasserdicht.«

Waldo guckte grimmig. »Ich packe meinen Rucksack ins Auto«, entschied er dann.

Als sie schließlich Probe lagen, fragte Waldo: »Und jetzt erklär mir mal, wo hier noch ein Dritter liegen soll.«

»Welcher Dritte?«, fragte Albert zurück.

Waldo hatte sich gestreckt und mit Kopf und Füßen die jeweiligen Enden des Zeltes berührt. Er hatte sich ausgemalt, wie Albert nachts im Schlaf an ihn heranrutschen würde, und er hatte den Gedanken daran nicht gerade prickelnd gefunden.

Waldo saß mit nacktem Oberkörper auf seiner Luftmatratze und kratzte missmutig an seinen neuen Mückenstichen herum, die er an den Armen entdeckt hatte, als draußen jemand seinen Namen rief.

»Herr Waldo?«

Waldo erschrak. »Ja?«

»Herr Waldo?«, fragte die Stimme noch einmal.

»Moment.« Waldo zog sich schnell das T-Shirt über, kroch rückwärts aus dem Zelt, an Alberts Rucksack vorbei, und richtete sich auf.

»Sind Sie Herr Waldo?« Ein dicker Mann hielt Waldo die Hand hin.

Der schüttelte sie und bejahte. Er erinnerte sich, den Mann bei ihrer Ankunft in der Rezeption gesehen zu haben.

»Moin, Moin, ich bin hier der Chef, mir gehört der Campingplatz, Werner, mein Name, Klaus Werner.« Es war unüberhörbar, dass der Mann nicht an der Küste groß geworden war; er sprach mit ausgeprägtem sächsischem Dialekt. »Der Albert sagt, Sie seien ein bekannter Detektiv.«

»Was?« Waldo war irritiert. Er blickte in Richtung Wasser in der vagen Hoffnung, Albert irgendwo zu erblicken. »Na ja, bekannt ...«

»Ja, er sagte, Sie seien so was wie der Sherlock Holmes von Halle.«

Waldos Kinnlade klappte nach unten. Sherlock Holmes von Halle? Das war doch nicht zu fassen.

»Es geht um den ..., ähm, um den Todesfall, den es heute hier gegeben hat«, fuhr Werner fort. »Das ist natürlich schlecht für uns. Sagt auch Albert. Schlecht fürs Geschäft. Ich meine, wenn sich herumspricht, dass man bei uns seines Lebens nicht mehr sicher ist...«

»Schon klar«, sagte Waldo zerstreut. Er beobachtete, wie Albert aus dem Waschhaus trat und an seinem Reißverschluss herumfummelte.

»Albert meinte, es wäre vielleicht gut, wenn Sie sich die Sache mal angucken würden«, fuhr Werner fort.

»Hallöchen«, sang Albert, als er an die beiden herantrat.

Werner nickte.

»Guten Morgen, Watson«, sagte Waldo und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

»Na? Seid ihr schon handelseinig geworden?«, fragte Albert und strahlte über das ganze Gesicht.

»Spinnst du?!«, fauchte Waldo, nachdem Werner verschwunden war. »Was erzählst du denn hier für einen Scheiß von wegen, ich sei der Sherlock Holmes von Halle?«

»Biste das denn nicht?« Albert grinste breit.

»Was soll ich denn hier ermitteln?«

»Na, den Mord aufklären! Ist doch prima: Du machst Urlaub und verdienst nebenbei auch noch ein bisschen Kohle.«

Waldo schnappte nach Luft. »Sag mal, bist du meine Mutti? Vielleicht kann ich selbst entscheiden, welche Aufträge ich annehme und welche nicht! Ich hab Urlaub. Außerdem kenne ich hier doch niemanden. Wie soll ich da ermitteln? Und ich weiß nichts über den Toten.«

Albert verzog beleidigt das Gesicht. »Entschuldige bitte, dass ich dir einen neuen Auftrag verschafft habe.«

»Darum geht’s doch gar nicht, aber du kannst doch nicht hier rumlaufen und irgendeinen Quatsch erzählen.«

Albert hatte ihn völlig überrumpelt. Waldo hatte dagestanden, während sein Freund mit Klaus Werner, dem Campingplatzchef, die Details besprach. Albert hatte erklärt, dass Waldo für hundert Euro pro Tag plus freie Unterkunft auf dem Zeltplatz den Fall mit hundertprozentiger Sicherheit in kürzester Zeit aufklären würde. »Das ist eine Frage von Stunden; du kannst die Sache quasi als im Sacke befindlich betrachten«, hatte er gesagt und jovial gegackert. Danach hatte Albert Werner noch ein paar Fragen gestellt; so hatten sie immerhin erfahren, dass der Tote ein allein stehender Dauercamper gewesen war, der hier seit Jahr und Tag von Frühling bis Herbst lebte. Waldo hatte staunend daneben gestanden und fassungslos mit angesehen, wie sich Albert und Werner schließlich die Hand gaben.

Zwei alte Männer traten auf Waldo und Albert zu und grüßten.

»Morgen, Herr Mährlein, Morgen, Herr Prinz«, sagte Albert, nun wieder fröhlich.

Waldo rang sich ein Lächeln ab und nickte den beiden zu.

»Na, der Tag fängt ja gar nicht gut an«, sagte Prinz.

»Furchtbar«, ergänzte Mährlein. »Ganz furchtbar.«

»Für mich sieht das ziemlich eindeutig nach einem Racheakt aus«, stellte Albert fest.

Waldo sah sich bestätigt, dass sein Kumpel schon eine bis ins Letzte ausgefeilte Theorie hatte.

»Wer ermordet denn einen alten Mann auf so grausame Weise?«, fragte Mährlein kopfschüttelnd.

Sie blickten schweigend in Richtung Wasser. Zwischen den Bäumen waren die beiden Polizeibeamten in Uniform zu erkennen. Gerade schaukelte ein weiterer Polizeiwagen über das Gelände und näherte sich dem Wasser.

»Kaffee?«, fragte Mährlein.

Eine Viertelstunde später saßen Waldo, Albert und Rüdiger Prinz auf weißen Combibloc-Stühlen unter dem Vorzelt von Hans Mährleins modernem Campingwagen und tranken Kaffee aus großen Tassen. Albert hatte frische Brötchen gekauft, Mährlein und Prinz steuerten Wurst, Käse und Marmelade bei. Gerade kam Hans Mährlein mit vier weich gekochten Eiern aus seinem Wagen und verteilte sie auf die Plastikeierbecher.

Albert hatte bereits am Tag ihrer Ankunft Freundschaft mit Rüdiger Prinz geschlossen, was zum einen Alberts unbegrenzter Kontaktfreudigkeit, zum Zweiten aber auch der Tatsache geschuldet war, dass Prinz Alberts Leidenschaft fürs Angeln teilte.

Rüdiger Prinz und Hans Mährlein waren beide achtundsechzig Jahre alt und verbrachten wie der Tote als Dauercamper den größten Teil des Jahres auf dem Campingplatz. Am zweiten Abend nach Waldos und Alberts Anreise hatten sie zu viert vor Mährleins Wagen gesessen, gegrillt und zwei Fünfliterfässchen Hasseröder Pils geleert. Mährlein und Prinz kannten sich seit der Grundschule, aber noch vor dem Mauerbau war Prinz mit seinen Eltern in den Westen gegangen, nach Hamburg, sodass sie sich für Jahrzehnte aus den Augen verloren hatten. Ein paar Jahre nach der Wende hatten sie sich zufällig auf diesem Campingplatz wieder getroffen.

Seit diesem Abend wussten die Rentner, dass Waldo in Halle als Privatermittler sein Geld verdiente – nicht von Waldo, versteht sich.

Auch Mährlein und Prinz hatten den Tatort in aller Frühe in Augenschein genommen. Nun grinsten die beiden viel sagend, als Albert ihnen berichtete, dass Waldo den Fall auf seine, Alberts, Vermittlung hin übernommen habe.

»Das ist ja keine schöne Vorstellung, auf einem Campingplatz zu wohnen, wo andere Leute umgebracht werden«, sagte Prinz.

»Hat heute schon jemand den komischen Vogel gesehen? Würde mich nicht wundern, wenn der was mit der Sache zu tun hat«, sagte Albert und drehte seinen Kopf in die Richtung, wo sein eigenes Zelt stand. Ein Stück weiter war gerade noch das rote Zelt zu erkennen. Das heißt, richtig rot war die Plane nicht mehr. Zeit, Sonne und Regen hatten den Stoff ausgewaschen und gebleicht.

Waldo, Prinz und Mährlein folgten Alberts Blick. »Seltsamer Typ«, bestätigte Mährlein.

Meistens öffnete sich der Zelteingang erst gegen Mittag und heraus kroch ein hünenhafter Mann mit Vollbart, der dann für eine halbe Stunde im Waschhaus verschwand, anschließend einen kleinen Rucksack packte und den Campingplatz zu Fuß verließ. Irgendwann mitten in der Nacht kehrte er zurück – völlig betrunken: Zweimal waren Waldo und Albert von Gebrüll wach geworden. Als sie aus ihrem Zelt gelugt hatten, war der Riese um seine rote Behausung gestapft und hatte mehrfach: »Die Sau! Diese alte Sau!«, gerufen.

Der Lärm des frühen Morgens hatte den seltsamen Bewohner offenbar nicht geweckt, jedenfalls war der Zelteingang noch verschlossen.

Mit den Worten: »Na, dann mach ich mich mal los«, stemmte sich Waldo schließlich aus seinem Stuhl und machte sich auf den Weg zur Rezeption.

Sollte er einfach zu diesem Werner gehen und ihm sagen, dass er den Fall doch nicht übernehmen würde? Immerhin hatte er nichts unterschrieben. Andererseits – er könnte ja wenigstens mal anfangen.

Waldo verfluchte sich zum wiederholten Mal dafür, Alberts Angebot angenommen zu haben. »Komm, wir machen uns ein paar schöne Tage auf dem Darß«, hatte er gesagt und dabei genau gewusst, dass die Ostsee Waldos liebstes Reiseziel war, seit er vor acht Jahren von Köln nach Halle gezogen war. Nachdem Waldo und Annette sich getrennt hatten, war er allerdings nicht mehr hier oben gewesen. Und als er sich mit Albert auf den Weg gemacht hatte, war ein ungutes Gefühl in ihm hochgestiegen – ein Gefühl, das ihn nicht getrogen hatte, denn seit er hier war, erinnerte er sich immer wieder an Urlaube, die er mit Annette in dieser Gegend verbracht hatte.

Die Ostsee, das war ihrer beider Sehnsuchtsort.

Als Waldo die Klinke des Häuschens drückte, in dem sich die Anmeldung befand, passierte erneut ein Polizeifahrzeug die geöffnete Schranke.

Die Luft in der Rezeption war abgestanden; trotz des schönen Wetters stand kein Fenster offen. Hinter dem Tresen wartete ein junges, attraktives Mädchen auf Kundschaft.

»Hallo«, sagte Waldo. »Ich suche Herrn Werner.«

Das Mädchen drehte sich um und rief durch eine Tür: »Papa!«

Ein Stuhl scharrte über den Boden, dann erschien Klaus Werner in der Tür.

»Kann ich Sie kurz sprechen?«, fragte Waldo und Werner bedeutete ihm, in den Raum zu kommen.

»Ich muss nochmal ein paar Fragen stellen«, begann Waldo, nachdem Werner die Tür geschlossen und sich ebenfalls gesetzt hatte. »Das ging eben alles ein bisschen hopplahopp.«

Klaus Werner schwieg.

»Der Tote ...«

»Herr Löblich.«

»Ja. Wissen Sie da etwas mehr als nur den Namen und dass er ein Dauergast ist? War?«, verbesserte sich Waldo.

»Eigentlich nicht. Das war ein netter, ruhiger Mann, ganz unauffällig. Hat immer seinen Campingwagen gepflegt und den Bereich drum herum.«

»Seit wann war er denn Gast hier?«

»Seit Jahren«, sagte Werner. »Seit Jahrzehnten sogar, glaub ich. Der war schon da, als ich den Laden übernahm. Egon Löblich gehörte sozusagen zum Inventar. Er ist Frührentner. Er war Frührentner.«

»Und er lebte immer allein?«

»Ja.«

»Bekam er nicht manchmal Besuch? Wissen Sie was über seine Familie?«

»Ich glaube, es gibt ein Kind oder zwei, aber zu denen hatte er keinen Kontakt mehr. Das hat er mal meiner Frau erzählt, aber sonst war er sehr still. Er hat sich eigentlich auch nie groß beteiligt, wenn wir was im Kollektiv gemacht haben. Gemeinsame Feste und so.«

Waldo blickte aus dem Fenster, das ebenfalls geschlossen war. »Ist so was schon mal passiert?«

»Was soll denn das heißen?«, fragte Werner und Argwohn lag in seiner Stimme.

»Ich meine, gab es irgendwann schon mal einen Mord? Nicht unbedingt hier auf dem Campingplatz. Sondern vielleicht in der Nähe?«

»Kann mich nicht erinnern«, sagte Werner. »Auf dem Campingplatz gab es jedenfalls noch nie so einen ...«, Werner suchte nach dem richtigen Wort und entschied sich schließlich: »... Zwischenfall.«

Waldo überlegte. Dann fiel ihm ein: »Ist eigentlich was gestohlen worden? Aus Herrn Löblichs Wohnwagen oder so?«

»Keine Ahnung.«

»Wissen Sie denn, ob Herr Löblich wohlhabend war?«

»Wohlhabend?«

»Na, ob er viel Geld hatte.«

Werner zögerte. »Sein Wohnwagen sieht jedenfalls nicht danach aus«, meinte er dann.

»Können Sie mir noch sagen, wo Löblichs Wohnwagen steht?«, fragte Waldo.

Werner hatte Recht. Egon Löblichs Wohnwagen war zwar tadellos gepflegt, hatte aber augenscheinlich schon einige Jahre auf dem Buckel. Waldo blickte durch die Fensterscheiben. Auch drinnen sah es sehr aufgeräumt aus, aber die Einrichtung wirkte eher schlicht. Geld, das war die erste Idee gewesen, die Waldo eingefallen war. Warum sonst sollte man einen allein stehenden, alten, offenbar friedfertigen Mann umbringen?

Waldo beobachtete, wie Albert und Rüdiger Prinz in einiger Entfernung mit ihrem Angelzeug über die Betonplatten in Richtung Bodden spazierten. Na prima, seinen Kumpel würde er erst heute Abend wieder zu Gesicht bekommen. Das war ein weiterer Punkt, der ihm an ihrem ›gemeinsamen‹ Urlaub missfiel: Schon als Albert sein Angelzeug auf der Rückbank von Waldos altem Fiesta verstaut hatte, war Waldo der Verdacht gekommen, dass sein Freund bloß eine günstige Mitfahrgelegenheit zur Ostsee gesucht hatte. Seit sie hier oben waren, war Waldo dann auch mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Albert verbrachte die meiste Zeit des Tages irgendwo am Bodden oder auf einer Seebrücke und hielt eine seiner Angeln ins Wasser. Wieso er allerdings gleich drei von den Dingern hatte mitnehmen müssen, hatte ihm Albert noch nicht schlüssig erklären können. Einen Fisch hatte er jedenfalls bislang mit keiner einzigen gefangen.

Waldo schlenderte zum Wasser, wo inzwischen auch ein Leichenwagen stand. Auf dem Holzsteg waren zwei Männer in weißen Overalls offenbar damit beschäftigt, Spuren zu sichern. Die beiden Polizisten, die als Erste am Tatort eingetroffen waren – der eine war tatsächlich ziemlich fett –, standen innerhalb der Absperrung, die gezogen worden war, und beschränkten sich darauf, wichtig zu gucken.

Waldo trat an das Duo heran. Noch bevor er das Flatterband erreicht hatte, hob der Dicke die Hand und sagte: »Halt, hier können Sie nicht durch.«

»Will ich ja auch gar nicht«, sagte Waldo beschwichtigend und zückte seinen Ausweis, um die Beamten ruhig zu stellen.

Die beiden starrten ein paar Sekunden auf das Dokument, dann fragte der Dicke: »Und was wollen Sie hier?«

»Och, mich mal umgucken.«

»Umgucken?«

»Ja, umgucken.«

»Na, dann gucken Sie sich mal um. Solange Sie vor der Absperrung bleiben, können Sie sich hier bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag umgucken.« Der Dicke lächelte süffisant, sein Kollege glotzte nur.

»Kann ich vielleicht auch mit jemandem von der Kripo sprechen? Das da hinten sind doch Kripoleute, oder?« Waldo zeigte auf zwei Männer in Zivil, die am Ende des Holzstegs standen und, ins Gespräch miteinander vertieft, auf den Bodden hinausblickten.

»Die haben zu tun.«

Was für ein Arschloch, dachte Waldo. »Hören Sie, der Campingplatzchef hat mich beauftragt, den Fall zu untersuchen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht mehr als unbedingt nötig behindern würden.« Waldo bereute im selben Moment, was er gesagt hatte. Es war nicht davon auszugehen, dass der Dicke sich einschüchtern ließ.

»Der Campingplatzchef?«, fragte der Dicke. »Klaus?«

Waldo brummte. Der Dicke guckte seinen Kollegen an, der Kollege glotzte weiter.

Waldo machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, machen Sie doch, was Sie wollen.«

Er spazierte an der Absperrung entlang auf ein Grüppchen von drei Männern zu, die ihn beobachtet hatten.

»Tagchen«, sagte Waldo, als er sie erreicht hatte. »Kann man jetzt noch hier bleiben oder finden wir morgen die nächste Leiche?«

»Das Vöglein singt wohl nicht«, sagte einer aus der Gruppe und grinste.

»Das Vöglein?«, fragte Waldo.

»Dieter Vogel, der dicke Bulle.«

»Ach so, nee, der singt nicht, der blökt nur.«

Die Männer lachten. Vogel und sein Partner blickten finster herüber. Vogel sagte irgendwas und Waldo nahm nicht an, dass es etwas Freundliches war.

»Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte Waldo.

»Meine Frau hat den alten Löblich heute früh in seinem Boot gefunden«, antwortete ein zweiter Mann und zeigte auf ein kleines Holzboot, das zwanzig Meter weiter am Strand lag.

»Ihre Frau?«

»Ja, sie liegt im Wohnwagen und zittert.«

Erst jetzt registrierte Waldo, dass zwei der drei Männer geöffnete Bierbüchsen in den Händen hielten. Aber es war ja inzwischen auch schon nach neun.

»Löblich lag also tot im Boot?«

»Tot im Boot!« Der Dritte lachte meckernd. »Das klingt gut.« Alle drei Männer sprachen mit deutlichem norddeutschem Dialekt.

»Tot im Boot«, wiederholte der Zweite. »Mit eingeschlagenem Schädel.«

Waldo sah wieder zu den beiden Polizisten. Jetzt stand nur noch der dünnere von beiden da. Vogel marschierte über die Betonplatten in Richtung Ausgang des Campingplatzes.