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Finlay Weber

Wir sind kein Perpetuum mobile

Kürzestgeschichten





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Der Tag, an dem die Fee ihren Monolog führte, war ein Meilenstein der Abwärtsspirale

An jenem Tag hätte mir wahrscheinlich ein anständiger, warmherziger Dialog gutgetan. Stattdessen geriet ich in die folgende missliche Lage, über deren Ursprung ich mir noch heute manchmal den Kopf zerbreche, wenn ich mangels Alternativen zum unzähligsten Male ausprobiere, ob sich meine Finger hinter meinem Rücken berühren können.

 

Es war 5:20 Uhr, zu früh also. Mein Wecker klingelte mit dem mir vertraut-verhassten Klang eines Gerätes, das man schlechtgelaunt an einem miesen Tag erfunden haben musste. Ich trat müde in die Küche und hatte den Kühlschrank soeben geöffnet und den Milchkarton an die Lippen gesetzt, als eine Fee hinter mir zu einem Monolog ansetzte. Das war neu. Komplett neu. Ich schüttelte den Kopf, rieb mir die Augen. Dann gab ich mich stoisch und beschloss, einfach mal zuzuhören ...

 

Fragmente, an die ich mich erinnere: »Artgerechte Haltung, hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?« Die Fee flatterte derweil, akribisch um Eleganz bemüht, um meine Küchenlampe. »Was mich gleich zu meiner nächsten Frage bringt: Wie genau darf ich mir das vorstellen, Fett i.Tr.? Und wo ist der Unterschied zwischen heller und dunkler Sojasoße, abgesehen von der Farbe?« Ich hatte keine Stoppuhr zur Hand. Aber das Aufgehen, Untergehen und erneute Aufgehen der Sonne ließ mich erahnen, dass die Fee – sich – tatsächlich einiges zu erzählen hatte. Endlich sagte sie, gefolgt von einem erlösten Seufzen meinerseits: »Ach, übrigens, du hast einen Wunsch frei ...«

 

Ich wünschte mir, dass sie endlich ihre Fresse halten und verschwinden möge. Das war kein guter Tag. Seitdem ging es bergab.

All die schönen Frauen da draußen

Sein Blick war der eines Ratlosen, als er auf sein Glas starrte. »Einfach weg«, flüsterte er in seinen Whisky und sah dann mich an. »Gestern Abend haben wir noch Arm in Arm auf der Couch gesessen. Und jetzt ist sie einfach weg ...«

Ich schwieg einen Moment. »Sei ehrlich zu dir«, sagte ich endlich. »Wie oft hast du hier gesessen und mir erzählt, was alles nicht gut läuft zwischen euch. Im Ernst, ich meine, sie wollte einen 5-Sterne-All-inclusive-Urlaub in New York, du wolltest mit dem Rucksack durch Kambodscha, Sonnenaufgang in Angkor Wat. Ihr hattet nichts, das euch verband. Bei Stromausfall hättet ihr euch gemeinsam gelangweilt. Und dann der Sex. Da lief doch schon ewig nichts mehr zwischen euch. Deine Worte.« Ich machte eine kurze Pause. Nicht dramatisch, nur zum Atmen. »Die Tage, an denen ihr euch nicht gestritten habt, lassen sich an zwei Händen mitsamt Füßen abzählen. Und vergiss dabei nicht, dass ihr ein Zeh fehlt.«

Er seufzte. »Du verstehst gar nichts ...«

Ich verstand sehr wohl. Dass hier mein bester Freund saß, frisch verlassen, und dass es nichts gab, das ihm helfen konnte. Kein Gespräch, kein Rausch – nur die Zeit. Tage würden nicht ausreichend Kraft bündeln. Sie müssten sich erst verbünden, mit Wochen, Monaten, vielleicht Jahren, müssten ihn durch diesen Schmerz jagen.

»All die schönen Frauen da draußen ...«, setzte ich an.

Doch er unterbrach mich: »… sind mir egal. Denn sie sind nicht sie

Ich erhob mich und brutzelte ihm ein mitternächtliches Lazarett-Menü: Spiegelei. Proviant für den Weg in Richtung Heilung!

Wir sind kein Perpetuum mobile

Vor einigen Jahren schon fiel dir einmal ein Sinnbild für euch beiden ein: Sie zu lieben, das sei wie barfuß durch eine Eiswüste zu laufen. Es glitzere in den anmutigen Farben der Eiskristalle, aber jeder Schritt würde schmerzen und nichts sei in greifbarer Nähe, das wärme. Doch hast du ihr dieses Sinnbild nie geschildert. Unweigerlich wäre die Frage aufgekommen, warum du dann mit ihr zusammen seist. Darauf hättest du keine Antwort gewusst, nur dieses Gefühl war da, dass du es sein wolltest. Sie war dekorativ, aber das war es nicht, es war schon Liebe.

Daran hieltst du fest, zapftest es an, dieses Wissen, wann immer du abends allein zuhause auf sie wartetest.

Sie wechselte so oft ihr Parfum, dass du irgendwann aufhörtest zu wissen, ob es noch ihres oder das eines anderen war. Als du dir wünschtest, sie zerschlüge die Möbel, statt nur kraftlos darauf zu kauern – auch da sagtest du nichts. Überhaupt sagtest du ihr nie sehr viel, weil jedes Gespräch, das du begannst, von ihr mit einem Streit beendet wurde. So nahmst du es hin, schrumpftest, während sie wuchs. Aber es war schon Liebe, murmelst du nun.

Wie oft wolltest du es ihr entgegen schreien, rotzig und trotzig, nach endlosen einsamen Tagen der Warterei: »Wach auf, verdammt! Wir sind kein Perpetuum mobile!« Aber dann bliebst du doch stumm, wann immer sie endlich in die Kissen fiel und nahezu sofort einschlief. Manchmal in deinem Arm.

Auch wir sind keine solche Maschine. Darum sage ich: »Zum Wohl, mein Freund!«