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Wyatt Earp
– Staffel 7 –

E-Book 61-70

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-132-1

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Curly Bill

Roman von Mark, William

Der leichte vierrädrige Wagen rollte über den Overlandway nach Süden. Rechts und links von dem stark überwachsenen Weg, der eigentlich nur durch die Zwillingsspur der Räder zu sehen war, breitete sich das endlos scheinende Hügelland der Apache-Prärie.

Zwei Männer saßen auf dem Kutschbock des Wagens.

Der Ältere hielt die Zügel der beiden Braunen. Es war ein untersetzter Mann in den Vierzigern, wuchtig, breit und mit einem braunen Ledergesicht, das von zwei wachen grauen Augen beherrscht wurde. Er trug einen hellbraunen Melbahut, einen braunen Anzug und ein weißes Hemd, das von einer schwarzen Samtschleife am Hals zusammengehalten wurde.

John Saunders war der Besitzer der großen S-Ranch. Fünfundvierzig Jahre hatte der Ire gebraucht, um die gewaltige Viehfarm oben in der Nord-ostecke Arizonas aufzubauen. Er hatte das Schicksal all jener Menschen teilen müssen, die Mitte der fünfziger Jahre nach Arizona gekommen waren, um sich dort eine Existenz zu schaffen: Indianerüberfälle, Bürgerkrieg, und dann waren die weißen Banden gekommen, die sich aus ehemaligen Soldaten zusammensetzten, als Menschen, die den Weg zurück ins zivile Leben nicht finden konnten. Aber auch jetzt noch gab es gefährliche Banden im Land. Immer noch gab es Ärger und Sorgen genug, die dem Rancher das Leben ziemlich schwer machten.

Der junge Mann neben ihm war sein Sohn Jonny, zweiundzwanzig Jahre alt, groß, kräftig, mit wasserhellen Augen und frischem Gesicht. Der Bursche trug ebenfalls seinen guten Anzug, hatte aber im Gegensatz zu seinem Vater einen Waffengurt umgeschnallt.

Der Rancher hatte eine Winchester zwischen den Knien; mit dem Revolver konnte er nicht umgehen. Als er damals in die Staaten kam, hatte man ihm gesagt, daß ein Mann hier ohne den Colt nicht lange leben könne. Saunders lebte noch – er hatte schnell gelernt, mit dem Gewehr umzugehen.

Die Fahrt währte schon mehrere Stunden. Da unterbrach der Junge das Schweigen.

»Man kann sich gar nicht vorstellen, daß man hier mal ohne Waffe fahren oder reiten kann.«

Der Rancher nickte. »Yeah – das ist ziemlich schwer. Aber eines Tages wird es doch soweit sein, Jonny.«

»Glaubst du das wirklich? Um mit Leuten wie den Clantons und den McLowerys fertigzuwerden, braucht man Männer, die ihr eigenes Leben nicht schonen.«

Damit endete das kurze Gespräch auf dem Kutschbock.

Dann tauchten in der Ferne die Dächer der Station auf. Der Rancher trieb die Pferde zu größerer Eile an.

Da lachte Jonny.

»Glaubst du etwa, daß du ihn verpaßt, Vater?«

Ein kleines Lächeln huschte auch um das Gesicht John Saunders.

»Nein, Jonny, wir kommen noch zeitig an die Bahn.«

Die kleine Station Harpersville rückte näher.

»Wie lange habt ihr euch eigentlich nicht gesehen, Vater?« wollte der Bursche plötzlich wissen. »Du und Onkel Greg?«

»Da muß ich nachdenken, Jonny. Ich glaube, daß es fast zwanzig Jahre sein werden.«

Der Rancher war, nachdem er fünf Jahre in den Staaten lebte, nach Hause gefahren, um den Bruder zu besuchen.

Und jetzt, fast zwanzig Jahre später, war auch Greg Saunders, sein Bruder, ausgewandert. Als der Vater dies ankündigte, war John sofort bereit gewesen, den Bruder zu sich auf die Ranch zu nehmen. Er hatte ja am eigenen Leib erfahren müssen, wie schwer es ein Neuling in den Staaten hatte.

Die ersten Dächer von Harpersville flogen vorüber.

Es war die kleine goldbraune Kistenholzstadt in der Nordoststrecke Arizonas. Eine breite Mainstreet und zwei Querstraßen, ein Store, ein Sa-loon und das Stationsgebäude der Bahn neben dem Post Office, das war Harpersville.

Der Rancher brachte die beiden Braunen vor der Station zum Stehen und stieg mit seinem Sohn zum Kutschbock.

Es gab hier keine Schranken und Barrieren – man konnte ungehindert auf den »Bahnsteig« gehen. Sie sahen den Stationshalter im Schatten sitzen und über den blitzenden Schienenstrang nach Osten blicken.

»He, Hutkins«, rief ihn der Rancher mit seiner Bärenstimme an.

Der kleine Mann wandte den Kopf. Wasserhelle Äuglein sahen zwinkernd aus einem verschrumpelten Gesicht hervor.

»John Saunders! By gosh, wir haben uns doch ganz sicher ein paar Jahre nicht mehr gesehen.«

»Nun, ganz so lange ist es nicht her, Hutkins.«

Das gichtige Männchen erhob sich und kam auf die beiden zu.

»Donnerwetter, das ist Jonny, nicht wahr? Aus dem ist ja ein richtiger Mann geworden.«

Der Bursche wurde rot und sah angelegentlich den Schienenstrang hinunter.

Hutkins stopfte sich seine halb zernagelte Maiskolbenpfeife zwischen die Zähne und krächzte an ihrem Mundstück vorbei:

»Sie warten doch hier nicht etwa auf jemanden?«

»Doch«, entgegnete der Rancher. »Ich warte auf meinen Bruder.«

»Sie haben einen Bruder?«

»Ja, er war bis jetzt drüben im alten Europa bei den Eltern.«

»Kommt er nur zu Besuch oder bleibt er immer?« wollte der Alte wissen, ohne zu bemerken, daß seine Frage schon reichlich neugierig war.

»Hm, er wird wohl bleiben. Kommt natürlich darauf an, ob’s ihm hier gefällt.«

»Wie kann es einem Menschen hier überhaupt gefallen?« knurrte der Stationsvorsteher. »Etwas Scheußlicheres als den Westen gibt’s doch wohl nicht auf der Welt.«

Während sich der Rancher eine lange Virginia anzündete, wandte sich der Bursche an den Alten. »Weshalb sind Sie denn hier, wenn es Ihnen nicht im Westen gefällt? Die Welt ist doch groß genug. Ziehen Sie nach Persien oder Arabien oder nach China. Auch in Germany soll es ganz schön sein.«

Der Alte sah den Rancher an. »Ihr Junge hat ja schon Haare auf den Zähnen, Saunders. Damned, der ist richtig. Solche Leute können wir hier gebrauchen. Überhaupt jetzt! Das Bandenunwesen hat durch den Knall in Tombstone zwar einen gewaltigen Schock bekommen, aber aussterben wird es so schnell nicht.«

»Den Knall in Tombstone?« fragte Jonny interessiert.

»Yeah! Haben Sie nichts von dem Fight im O.K.-Corral gehört?«

»Nein.«

»Da sind doch drei große Banditen ausgelöscht worden.«

»Banditen?« Jonnys Wangen glühten. »Aber in Tombstone herrschen doch die Clantons und die McLowerys.«

»Die McLowerys sind tot!«

Man hörte deutlich, daß der Alte stolz darauf war, seine Neuigkeit weitergegeben zu haben.

Jonny warf seinem Vater einen raschen Blick zu.

»Hast du’s gehört, Dad?«

Der Rancher hatte am Schienenstrang gestanden und nach Osten gesehen.

»Was war los in Tombstone?«

»Haben Sie tatsächlich nichts von dem Fight gehört? Außer den McLowerys ist einer von den Clantons ausgelöscht worden.«

»Ein Clanton und die beiden McLowerys?« meinte der Rancher ungläubig. »He, wer hat denn das geschafft? Da muß ja eine ganze Armee nach Tombstone marschiert sein.«

»Gar nicht mal. Es waren Wyatt Earp, seine Brüder und Doc Holliday.«

Das Rot in dem Gesicht des Burschen verstärkte sich noch.

»Wyatt Earp und Doc Holliday?«

Der Stationshalter wandte sich um und nahm eine Zeitung von seinem Stuhl. »Hier steht es, auf der ersten Seite.« Er las vor: »Die Clanton Gang zerschlagen. Im offenen Straßenkampf schlugen die Earps zusammen mit Doc Holliday die Anführer der berüchtigten Clantonbande. Drei Tote im O.K.-Corral.«

So begierig Jonny auch darauf war, die Zeitung selbst zu lesen, so reichte er sie als wohlerzogener Bursche doch zuerst seinem Vater.

Der Rancher rieb sich das Kinn.

»Zounds! Das hat der Marshal also geschafft. Er kämpft doch schon seit Jahren gegen Ike Clanton. Hell and devils, wie mich das freut!«

»Das schönste ist die jämmerliche Rolle, die Ike selbst bei dieser Auseinandersetzung spielte«, meinte der Stationshalter.

Der Rancher reichte die Zeitung seinem Sohn. »Da, lies, Jonny! Wir hatten ja unterwegs noch von den Clantons gesprochen. Jetzt haben sie einen gewaltigen Stoß bekommen.«

»Meinst du, daß sie noch nicht ganz fertig sind?«

»Ganz sicher nicht, Junge. Ike lebt ja noch, und Curly Bill ist auch davongekommen. Es war doch eine große Bande. Aber vielleicht hat Ike einen so gewaltigen Schock bekommen, daß er genug hat.«

Der Stationshalter meinte ziemlich wütend:

»Die größte Gemeinheit haben wieder mal die Bürger von Tombstone geliefert. Obgleich sie jahrelang unter den Clantons gelitten haben, sind sie jetzt keineswegs einstimmig für die Earps. Fast die halbe Stadt ist gegen sie.«

Ein fernes Singen drang durch den Schienenstrang.

Die drei Männer blickten auf.

»Der Zug!« rief Jonny.

»Yeah«, brummte der Alte.

Es dauerte fast noch eine Viertelstunde, bis die Bahn stampfend, ratternd und polternd vor dem Stationsgebäude vorfuhr.

Die beiden Saunders überflogen die drei Wagen mit erwartungsvollen Blicken.

Aus dem zweiten Wagen stieg eine rothaarige Frau in der Aufmachung einer Primaballerina. Sie trug einen gewaltigen Federhut, ein kanariengelbes Kleid und einen schreiendroten Seidenschal. Ihre Knopfschuhe waren mit rotem Samt verziert, und der schwarze Schirm, den sie jetzt sofort gegen die Sonne aufspannte, war mit roten Rosen bestickt.

Der Mann, der hinter ihr ausstieg, war mittelgroß, hatte ein blasses, eingefallenes Gesicht und schiefergraue Augen. Er war stutzerhaft gekleidet, mit einem hellen englischen Hut, einem Gehrock von der gleichen Farbe und einer gestreiften Hose. Seine schwarzen Lackstiefeletten glänzten. Lang wuchsen die Koteletten vor den Ohren hinunter und verliehen dem ohnehin harten, eingefallenen blassen Gesicht noch ein wenig angenehmes Aussehen. Zu seinem weißen Rüschenhemd trug er eine geckenhaft wirkende papageiengrüne Seidenschleife. Ein Tüchlein von der gleichen Farbe blickte aus seiner Reverstasche.

So wenig schön die Erscheinung der Frau in diesem Land paßte – der Mann wirkte wie ein Pfau in der Schweine-pferch.

Der Rancher hatte die beiden kurz gemustert und sah dann suchend die beiden anderen Wagen ab. Jonny hatte die beiden nicht einmal angesehen.

Aus dem letzten Wagen kam ein langer, breitschultriger Mann, braungebrannt in einfacher grauer Reisekleidung. Er zerrte etwas aus dem Wagen heraus und schwang es sich auf den Rücken. Einen schweren Sattel mit pendelnden Steigbügeln.

Jonny Saunders bekam weite Augen und warf dem Vater einen raschen Blick zu.

»Dad, Onkel Greg!«

Aber der Rancher hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen und musterte den herkulisch gebauten Fremden kopfschüttelnd.

Das aufgeputzte Paar war neben dem Wagen stehengeblieben. Immer mehr Körbe und Kartons lud der Dandy aus und stellte sie neben die Frau, die gebieterisch mit dem Sonnenschirm winkte und so den Stutzer dirigierte.

Der Riese aus dem letzten Wagen mußte wie ein Storch im Salat über das Koffergewirr steigen, sah sich um, und als er wieder nach vorn blickte, sah Jonny in ein lachendes Männergesicht. Er sah in dunkelgrün schimmernde Augen, sah die tiefbraune Haut des Fremden und zwei Zahnreihen, die ebenmäßig und blendend weiß waren.

Der Mann maß wenigstens sieben Fuß. Je näher er kam, desto größer wurde er.

Jonny fühlte, daß er heiße Hände bekam. Sein junges Herz schlug hämmernd.

»Damned, Onkel Greg…!«

Aber die Freude verflog aus seinem Gesicht, als er einen Blick hinüber auf den Vater warf.

»Dad, was hast du? Ich finde ihn großartig!«

Der Rancher hörte gar nicht hin. Er suchte noch einmal die Wagen ab und hatte dann eine steile Falte zwischen den Brauen.

»Dad, was hast du denn? Er sieht doch prächtig aus! Die Boys auf der Ranch werden begeistert von ihm sein. By Gosh, der hebt Hal Baker mit der linken Hand von den Füßen.«

Jonny wollte auf den vermeintlichen Onkel Greg zugehen, als er von dem Vater zur Seite gezogen wurde.

Der hünenhafte Fremde ging vorbei.

Jonny sah den Vater bekümmert an.

»War… er das nicht?«

»Nein!«

Jonny wandte sich noch einmal um und sah dem Fremden nach.

Schade! Er hätte eine Menge darum gegeben, wenn das sein Onkel Greg gewesen wäre.

Dann sah er, wie der Vater noch einmal an den Wagen entlangging.

»Vielleicht hat er viel Gepäck und kann nicht so rasch aussteigen. Ich werde mal nachsehen.«

Obgleich der Rancher ihn daran hindern wollte, lief der Bursche an den Wagen vorbei und blickte in die Fenster.

Nichts.

Enttäuscht kam er zurück.

»Er ist nicht gekommen.«

Schweigend stand der Rancher da und starrte vor sich hin.

»Doch, Jonny, er ist gekommen«, sagte er dann mit heiserer Stimme.

»Aber – ich habe sonst niemanden aussteigen sehen, Vater!«

Der Rancher bewegte sich nicht. Steif stand er da und sah auf das Stationshaus.

Die Frau und der stutzerhafte Mann kamen jetzt an ihnen vorbei. Schnatternd und girrend die Frau – keuchend und schwitzend, gepäckbeladend wie ein Lakai, der Mann.

Als sie vorbei waren, wandte der Rancher sich um.

»Greg!«

Der Stutzer blieb stehen.

Drei Hutschachteln fielen auf den Bahnsteig, sprangen auf, und ihr blumenbesetzter, mit violetten, gelben und schwarzen Federn dekorierter Inhalt ergoß sich in den Staub des aufgeschütteten »Perrons«.

Langsam wandte der Dandy sich um. In seinem bleichen Gesicht brannten dunkelrote Flecken. Aus weiten Augen sah er den Rancher an.

»Jonny…?«

Der Bursche starrte den Fremden fassungslos an. Nein! Das konnte doch wirklich nicht wahr sein, daß diese Spielbudenfigur, dieser lächerliche Stutzer, dieser Tanzgirl-Gepäckträger sein Onkel Greg war!

Dunkle Schamröte überzog das Gesicht Jonnys. Der Rancher stand wie eine Steinfigur da, mit harten marmornen Gesichtszügen. Unverwandt ruhten seine Augen auf dem Bruder.

Da flötete die Frau:

»Was ist mit Ihnen, Greggy? Soll ich meine Koffer vielleicht selbst aufheben und weitertragen?«

»Ja!« stieß John Saundes heiser und mit unmißverständlicher Grobheit hervor. »Ja, Miß Mary, schleppen Sie Ihren Tand gefälligst selbst weiter. Mein Bruder ist kein Gepäckträger!«

»Ihr Bruder? Um Himmels willen, Greggy, dieser ungehobelte Klotz, dieser Kuhbauer ist Ihr Bruder? Nicht möglich. Jetzt dachte ich, daß mal ein Kavalier in dieses elende Nest gekommen wäre, und schon erweist sich das als fürchterlicher Irrtum.«

»Sie brauchen keinen Kavalier, sondern einen Knecht, Miß Mary«, fauchte der Viehzüchter. »Und das mit dem Kuhbauern will ich noch einmal überhört haben!«

»Greggy! Heben Sie sofort die Hüte auf, die Sie hingeworfen haben!« kreischte die Frau hysterisch. Und hatte sie bis zu diesem Augenblick noch halbwegs hübsch ausgesehen, so wirkte sie jetzt geradezu abstoßend häßlich durch ihr vor Zorn völlig entstelltes Gesicht.

Greg Saunders hatte sich schon halb abgewandt und machte Anstalten, der Aufforderung der »Lady« nachzukommen, als ihm die Stimme des Ranchers in den Ohren donnerte:

»Greg! Komm her!«

Entsetzt hatte der junge Saunders dieser Szene zugesehen.

Der Stutzer wandte sich wieder um; ganz langsam kam er auf den Rancher zu.

Der sah ihn aus scharfen Augen an und reichte ihm dann die Hand.

»Willkommen in der neuen Heimat, Greg!«

Langsam hob Greg seine Hand und nahm die Hand des Bruders.

»John.«

Der Rancher wies auf seinen Sohn.

»Das ist Jonny, mein Junge. – Und das ist dein Onkel Greg, Boy. Gib ihm die Hand und begrüße ihn!«

Der Bursche trat heran, nahm seinen Hut ab und reichte dem Stutzer nicht eben freudig begeistert die Hand.

Der Stutzer nahm ein blütenweißes Taschentuch aus der Tasche und rieb sich damit durch das völlig verschwitzte Gesicht.

»Woher wußtest du denn, daß ich mit diesem Zug kommen würde?«

Der Rancher rieb sich das Kinn.

Er hatte den Eltern das Reisegeld für Greg geschickt. Er hatte genau beschrieben, wann sie ihn zur Bahn bringen sollten. Er hatte sich nach allem genauestens erkundigt – und wußte, daß der Vater für alles sorgen würde.

So hatte er auch gewußt, daß dies der Zug war, der den Bruder herbringen würde. Allenfalls hätte er noch mit dem nächsten kommen können. In diesem Fall wäre der Rancher mit seinem Jungen über Nacht hier im »Hotel« geblieben.

»Ich wußte es, Greg. Nun komm. Wo ist dein Gepäck?«

»Gepäck? Oh, die Tasche. Sie steht sicher noch im Wagen…«

Sein eigenes Gepäck hatte er also über den Hutschachteln des Tanzgirls vergessen.

Jonny lief auf einen Wink des Vaters los und kam gleich darauf mit der Reisetasche des Onkels zurück.

Der Rancher blickte darauf nieder.

»Vaters Tasche«, kam es heiser von seinen Lippen.

Greg nickte.

»Ja, er dachte, sie wäre noch gut genug. Allzu kauffreudig war er ja nie, der alte Herr.«

»Wozu auch, die Tasche tut’s doch wirklich noch. Außerdem bin ich direkt froh, daß ich sie noch einmal sehen kann. Vater ist früher damit über Land gefahren, wenn er den Leuten seine Sachen anbot. Ich werde es nie vergessen, wie er abends nach Hause kam und die Tasche auf den Tisch stellte. Ich stand dann immer davor und glaubte, er müsse gleich etwas Besonderes auspacken.«

Greg Saunders nahm die Tasche und hielt sie dem Bruder hin.

»Hier, wenn du willst, schenke ich sie dir.«

Der Rancher schüttelte den Kopf.

»No, Greg, behalte sie nur – und vor allem: halte sie in Ehren. Vergiß nie, daß sie deinem Vater gehört hat, der sie viele Jahre durch Nordirland geschleppt hat, um Geld für uns zu verdienen.«

Sie gingen an dem gaffenden Stationsvorsteher vorbei zum Wagen.

Georg Saunders sah an dem Gefährt vorbei in die Mainstreet.

»Um Himmels willen, ist das hier etwa ganz Harpersville?«

»Yeah«, versetzte der Rancher trocken. »Komm, steig auf, wir haben zu dritt auf dem Kutschbock Platz.«

Der Ankömmling vermochte jedoch den Blick von der Straße nicht loszureißen.

»Hell and all devils! Das ist also Harpersville! Aber das kann doch nicht sein. Das wird das Ende der Stadt sein, die Bahnhofsecke… Überhaupt: Bahnhof! Dieser elende Schuppen hier soll ein Bahnhof sein? Miß Queen hat mir…«

»Queen?« lachte der Viehzüchter, während er die Zügel aufnahm. »Wenn du diese Vogelscheuche meinen solltest, Greg, sie heißt Frosch, ganz einfach Frosch, und stammt aus Austria. Maria Frosch. Sie läßt sich hier also Mary Queen nennen.«

»Ist sie denn nicht im Golden Pa-lace die Attraktion der Cowboys aus ganz Arizona?«

Nun lachte John Saunders laut auf.

»Sie hat wirklich Phantasie, die Dame. Erstens ist sie nicht im goldenen Palace, sondern im Wimmerts ›Blech-Hütte‹, und dann ist sie nicht die Attraktion aller Cowboys von Arizona, sondern eine ganz verrufene Person, nach der sich kein anständiger Cowpuncher mehr umdrehen wird. Im Silver Saloon hat man sie hinausgeworfen. Joe Wimmert ist anspruchslos – und seine Gäste auch. Anscheinend hat sie gerade wieder eine ihrer ominösen kleinen Reisen gemacht, von denen sie nach ein paar Wochen aufgeputzt wie ein Pfingstochse zurückkehrt.«

Greg, der immer noch unten neben dem Wagen stand, fragte:

»Ominöse Reisen? Wie meinst du das?«

Der Rancher sah sich nach seinem Sohn um und meinte dann leise feixend:

»Hm, wenn ihr einer der Gäste wohlhabend und gleichzeitig dumm erscheint, spielt sie sich als seine Braut auf und reist so lange mit ihm durch die Gegend, bis er eben nur noch dumm ist.«

»Und sie ist nicht die Tochter eines Silberminenbesitzers?«

»Nein, so wenig wie sie eine Lady ist.«

Man sah es dem Ankömmling an, daß ihn das Gehörte sehr enttäuschte; vielleicht hatte er sich von der Zugbekanntschaft mit der hübschen Mary Queen doch schon bereits sehr viel versprochen. Hatte sie ihm doch Gott weiß was vorgegaukelt, als sie erfuhr, daß er hier in der Nähe eine Ranch aufbauen wolle.

So unaufrichtig die Frau gewesen war – Greg Saunders hatte auch so prahlerisch von seinen Zukunftsplänen gesprochen, daß das etwas abgeblühte Dancing Girl sich von dem Fremden sehr angezogen fühlte.

Jetzt erst wurde ihm klar, daß er sich von dem Gedanken, John aufzusuchen, während dieser Reise vollständig gelöst hatte.

»Komm, steig auf!« rief ihn der Rancher aus seinen düsteren Gedanken.

Mit ungeschickten Bewegungen zog sich Greg Saunders auf den Wagen.

*

Die Fahrt verlief ziemlich schweigsam.

Jonny war so fürchterlich von dem Onkel enttäuscht, daß er nichts sagen konnte. Auch der Rancher, der vielerlei Fragen nach Vater, Mutter, dem Haus und dem Garten, der kleinen Stadt und den Menschen in der alten Heimat auf dem Herzen gehabt hatte, schwieg. Der Anblick des Bruders hatte all diese Fragen in ihm erstickt.

Welch eine unwürdige Ankunft!

Welch ein Auftreten! Wie ein Schürzenjäger, wie eine lächerliche Figur war Greg Saunders in Harperswille angekommen. Er hatte sich zum Gespött der Leute gemacht!

Als schließlich am Horizont auf einem Hügel die Bauten der Ranch auftauchten, wies John Saunders mit der ausgestreckten Rechten nach vorn.

»Da vorn liegt die Ranch, Greg!«

Der Ire Gregory Alfred Saunders sah mit zusammengekniffenen Augen zu den Häusern hinüber, die nun seine neue Heimat sein sollten.

»Die drei Buden?« fragte er zum Entsetzen seines Neffen und zum Unwillen des Bruders.

»Drei Buden? Es sind sieben Bauten. Ein großes Wohnhaus mit neun Räumen, ein Cowboyhaus mit drei großen Sälen, ein langes Stallhaus und zwei Scheunen, von denen die eine größer ist als die City Hall mancher Stadt. Dann ist da noch ein Geräteschuppen und eine Schmiede. Der Pferdecorral ist größer als alles Land, was unserem Vater daheim gehört, und das Wagendach, das sich daran anschließt, könnte die Wagen von ganz Greenwest beherbergen.«

»Greenwest!« stieß Greg gallig hervor. »Ich wäre dir wirklich dankbar, John, wenn du diesen Namen in meiner Gegenwart nicht mehr erwähnen würdest. Ich kann ihn nicht mehr hören.«

»Es ist der Name meiner Heimatstadt, Greg. Aber wenn du willst, kann ich das ja für mich behalten. Daß du auch dort geboren bist, spielt ja vielleicht keine Rolle. Außerdem« – der Rancher sog die frische Luft, die von den Gräsern aufstieg, in seinen mächtigen Brustkasten – »hast du vielleicht recht, Bruder. Da oben liegt meine Heimat und jetzt auch deine.«

Greg nahm den Kopf herum und fuhr sich unbehaglich durch den Kragen.

»Ich weiß noch nicht, ob ich bleiben werde, John«, druckste er hervor.

»Was denn? Wo willst du denn hin? Und was willst du tun? Du bist drüben in einer Branche tätig gewesen, die es hier überhaupt nicht gibt. Ich finde, es wäre das beste, wenn du dich gleich an den Gedanken gewöhnst, daß du hier daheim bist. Bei uns. Wir sind deine Verwandten. Du bist nicht allein, hast dich nicht durch den verdammten Holzkuchen durchzubeißen, durch den ich mich beißen mußte, kannst dich an den gedeckten Tisch setzen und froh sein, daß dein älterer Bruder bereits ein Vierteljahrhundert hier hinter sich hat.«

Aber der Ankömmling schien von diesen Gedanken nicht eben begeistert zu sein.

»Ich werde es mir überlegen, John.«

»Tu das. Ich bin sicher, daß es dir hier gefallen wird!«

»Aber das alles hier ringsum ist doch Prärie!«

»Die Prärie?« Der Rancher sah ihn verblüfft an. Dann machte er eine weitausholende Handbewegung.

»Das… das habe ich mir ganz anders vorgestellt.«

»Wie denn?«

»Wilder. Romantischer. Voller Bären mit zottigem grauen Fell, voller Pumas, und vor allem voll schleichender und buntbemalter Rothäute. Banditen müßten zu sehen sein, mit rauchenden Revolvern und schnellen Pferden.«

Das Gesicht des Viehzüchters verdichtete sich.

»Sei froh, daß du dies alles nicht siehst. Denn es ist da! Ohne daß du es siehst. Das ist das Schlimme daran.«

»Verstehe ich nicht.«

»Nicht nötig, das kommt von selbst. Wenn dich unterwegs mal ein Indianer angefallen hat, wenn du nachts einmal von Banditenkugeln aus dem Bett gejagt wirst, wenn ein paar Strolche dir das Dach über dem Kopf angezündet haben, oder wenn du auf einem einsamen Ritt auf einer Waldlichtung oben in den Bergen plötzlich einem Grisly gegenüberstehst. Sei nur nicht ungeduldig.«

Die beiden Braunen hatten den Wagen zum Ranchtor gebracht.

Jonny sprang vom Kutschbock und öffnete das Tor.

»He! Weshalb habt ihr hier überhaupt ein Tor?« meinte Greg. »Ich sehe ja nirgends einen Zaun. Wozu braucht man ein Tor, wenn kein Zaun da ist?«

»Das ist so üblich in diesem Land«, erklärte der Rancher. »Einen Zaun braucht man nicht. Hauptsache, man weiß, daß man vor einer Ranch und auf fremder Weide ist. Durch solch ein Tor weiß man das genau.«

Greg lachte auf.

»Ein Tor und kein Zaun – das ist doch idiotisch.«

»Wenn du so denkst, Greg, wirst du noch manches in diesem Land idiotisch finden.«

Der Wagen rollte dem Ranchhof entgegen.

Vorn rechts neben den beiden Holzbauten, die die Einfahrt bildeten, stand ein alter Mann und spaltete Holz.

Als er den Wagen hörte, blickte er kurz auf und tippte an den Hutrand.

»Was war denn das für eine verkrüppelte Figur?« meinte Greg.

»Das ist der alte Sam Barney, Greg. Er ist mein ältester Cowboy. Sieben-undsiebzig. Aber er ist fleißiger als mancher Bursche von zwanzig oder dreißig.«

»Cowboy?« schnarrte Greg und sah sich feixend um. »So eine Jammergestalt ist bei dir Cowboy?«

Der Rancher mußte sich den Ärger gewaltsam von der Stirn wischen und mühte ein Lachen um seine Mundwinkel.

»Du hast noch keinen rechten Blick für das Land und für die Leute hier, Greg. Barney ist ein recht braver Bursche. Aber ich würde ihn hierbehalten, selbst wenn er neunundneunzig wäre und nur noch drüben vor dem Bunkhaus im Schaukelstuhl in der Sonne sitzen könnte…«

»Du hast doch aber kein Greisenasyl hier!« begehrte Greg auf.

»Nein, ganz sicher nicht. Hier wird hart und schwer gearbeitet, Tag für Tag. Bei uns gibt es weder Sonn- noch Feiertag, Bruder. Aber das wird uns den Respekt vor einem Menschen, dem wir Dank schulden, nie nehmen können. Zweimal hat der Alte mich vor dem Tod bewahrt. Und einmal deinen Neffen hier…«

Greg schüttelte den Kopf und blickte in den weiten Hof, der wenigstens einen Durchmesser von hundertzwanzig Yards hatte.

»Das ist ja ein richtiger Marktplatz hier!« räsonierte der Ankömmling aus Irland. »Weshalb hast du die Buden nicht näher aneinandergestellt? Und das soll ein Bauerngut sein…«

»Ein Bauerngut?« fragte John Saunders entrüstet. »Es ist eine Ranch, Greg. Eine Viehranch, wie es sie in dieser Art nur im Westen gibt. Ein Bauernhof hat vor allem Land und dann auch ein paar Kühe. Im besten Fall fünfzig, sechzig Tiere. Das hier aber ist eine Rinderfarm, wo es nur um die Aufzucht und Erhaltung von Rindern geht.«

»Willst du damit sagen, daß du mehr als fünfzig oder gar sechzig Kühe hast?«

John Saunders hatte den Wagen angehalten und stieg ab.

»Yeah, Greg. Das will ich damit sagen. Und nun steig erst mal runter. Nointa wird uns einen guten Trunk zurechtgestellt haben.«

Jonny nahm die Reisetasche des Onkels und brachte sie ins Haus. Die beiden Brüder blieben neben dem Brunnen stehen.

Greg schaute zum Corral hinüber, wo sich drei Pferde an den Schatten des anliegenden Wagendaches drängten.

»Und wo hast du die Kühe?«

»Draußen an den Sommerhängen.

»Hab’ keinen Kuhschwanz gesehen!«

»Es sind Rinder, Greg, über drei-tausend Tiere.«

Dem Ankömmling blieb der Mund offenstehen.

»Waaas? Mann, das ist doch Aufschneiderei! Kein Mensch kann drei-tausend Kühe unterbringen. Einen so großen Stall gibt es ja nicht. Ich habe gehört, daß in Germany Bauern wohnen, die dreißig oder sogar vierzig Rinder in den Ställen haben. Aber dreitausend?«

»Mehr als dreitausend, es sind wohl bald vier…«

Greg schluckte.

»Nein. Ich kann sie nicht jeden Tag zählen. Ihre genaue Zahl ändert sich ständig.«

»Woher kommt das? Man muß doch wissen, wieviel Rinder man hat. Verkaufst du vielleicht jeden Tag welche?«

»Nein, aber erstens verlaufen sich immer Tiere, werden von der Herde abgetrieben, finden nicht zurück und sind verloren. Dann gibt es schlechte Menschen, die Rinder stehlen…«

»Aber dafür sind doch die Cowboys da, um auf die Rinder aufzupassen. Du mußt sie dafür verantwortlich machen, wenn ein Tier fehlt.«

»Erstens merke ich das ja nicht, Greg, denn ich habe keine Zeit, täglich nachzuzählen – und zweitens wäre das ganz unmöglich, auch für die Weidereiter. Die Tiere weiden auf einer so großen, unübersichtlichen Fläche, daß es ausgeschlossen ist, sie ständig im Auge zu behalten. Zudem wird immer wieder Fleisch für die Küche benötigt. Nichts schmeckt einem richtigen Cowboy besser als ein tellergroßes Rindersteak.«

Greg Saunders schüttelte den Kopf.

»Vater sagte schon, ich würde mich umgewöhnen müssen. Das ist ein ganz fremdes Land.«

»Da hatte er recht. Nun kommt mit ins Haus!«

Als sie auf die saubergefegte Verandatreppe zugingen, kam oben aus der Haustür ein weißhaariger Neger, der einen Moment stehenblieb, sich verbeugte und lachend sein weißes Gebiß zeigte, um gleich darauf im Geräteschuppen zu verschwinden.

John Saunders war schon oben auf der Veranda, als er bemerkte, daß ihm sein Bruder nicht gefolgt war. Er sah sich um und sah ihn immer noch unten vor der Treppe stehen.

»Come on, Greg!«

Aus engen Augen starrte Greg dahin, wo der Schwarze verschwunden war

»Was war denn das?« fragte er, ohne dabei zu dem Bruder hinaufzusehen.

»Das war Sam. Er ist die gute Seele der Ranch…«

»Eine verdammt schwarze Seele. Du beschäftigst einen Neger?«

»Weshalb nicht? Er ist seit siebzehn Jahren bei mir, Greg. Und als das Haus brannte, lag ich damals allein oben in meiner Kammer und schlief, da holte er mich heraus. Als wir dann keuchend auf dem Hof ankamen, brüllte einer: Jonny ist noch im Haus! Da stampfte er, ehe sich ein anderer rühren konnte, davon und verschwand wieder in der schwelenden Glut des Hauses. Er brachte den Jungen heraus und brach hier, wo du jetzt stehst, mit seiner Last zusammen, von mehreren schweren Brandwunden bedeckt, vom beizenden Rauch betäubt.«

»He, du hast wohl hier jedem etwas zu verdanken.«

»Wenn du einmal länger hier bist, wirst du bald feststellen, daß man hier auf den anderen angewiesen ist wie nirgends sonst auf der Welt.«

»Verrücktes Land, ich sage es ja!«

Sie gingen ins Haus.

»Gerade als sie die große Wohnstube von der Halle her betraten, huschte zur anderen Tür ein Wesen hinaus, das den Blick des Iren bannte. Es war eine junge Frau mit braunroter Haut und Kohlenaugen. Eine Indianerin.

Obgleich sie längst verschwunden war, sah er noch ihr bronzefarbenes Gesicht, ihre schimmernden dunklen Augen, ihr glattes Gesichtsoval, umrahmt von blauschwarzem, schulterlangem Haar. Sie trug eine lange Jacke aus hellem dünnen Hirschleder, einen Gurt aus rotem Stoff, ein rotes Haarband, einen Rock aus dunklerem Leder und an den kleinen Füßen bestickte Mokassins.

Greg rührte sich nicht.

Der Bruder stieß ihn an. »Komm zu dir, Boy.«

»Was war denn das?«

»Sie heißt Nointa, es ist ein Apachenmädchen. Wir haben es seit seiner Jugend auf der Ranch. Eines Tages kam ein sterbender Indianer hier an und legte sie vor unsere Ranchhaustreppe.«

Greg höhnte:

»Hast du ihr auch etwas zu verdanken?«

»Nein, aber sie ist jetzt schon so lange hier wie sie denken kann. Sie ist fleißig, sehr still, genügsam und zuverlässig. Mehr kann man in diesem Lande von keinem Menschen verlangen.«

»Aber sie ist doch eine Indianerin!«

»Na und…?«

»Du beschäftigst Indianer und Neger – ich verstehe dich wirklich nicht. Bei uns drüben würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, einen Neger zu beschäftigen.«

»Auch das ist etwas, was du hier lernen mußt, Greg. Es ist ein großes freies Land. Abe Lincoln hat die Sklaverei abgeschafft, Gott sei Dank. Die Neger sind Menschen wie du und ich.«

»Nie werde ich mich mit einem Schwarzen auf die gleiche Stufe stellen. Und erst die Roten! Haben sie nicht Millionen Weiße ermordet…?«

»Nein, Greg, das stimmt nicht. Das ist ein übles Greuelmärchen. Fest steht, daß die Weißen in das Land, das immer den Indianern gehört hat, wie die Barbaren einbrachen, das Land ganz einfach beanspruchten und die Indianer fast ausgerottet haben.«

Greg wandte den Kopf und zischte:

»Ansichten hast du!«

*

Es gab niemanden auf der Ranch, dem die Anwesenheit des Mannes aus Irland wirklich Freude bereitet hätte.

Überall hatte Greg Saunders etwas herumzunörgeln. Das Essen schmeckte ihm nicht. Es war ihm nachts in seiner Schlafkammer zu kalt, obgleich der Rancher ihm sein eigenes Zimmer überlassen und selbst in einen Bodenraum gezogen war. Der Arbeitslärm auf dem Hof begann ihm zu früh und das »Gejohle« der Cowboys störte ihn gewaltig. Er trank unglaubliche Mengen Whisky, dessen Qualität er unentwegt zu rügen hatte – und erwies sich überhaupt als ein sehr unliebsamer Gast.

Eines Abends sprach der Rancher mit ihm.

»Greg – so kann es nicht weitergehen. Eine Ranch ist kein Sanatorium und kein gemütlicher Bauernhof. Hier wird sehr hart und verbissen gearbeitet. Ein Cowboy ist im Grunde ein armer Teufel, denn die Arbeit, die er für knapp vierzig Dollar im Monat leistet, ist Berserkerarbeit. Und es ist schwer, gute Cowboys zu bekommen. Ich bin froh, daß ich eine brauchbare Crew zusammengebracht habe.

Hier ist die große Ranch, Greg – du gehörst zu unserer Familie. Wenn du ein Cowboy wirst, so bleibst du doch mein Bruder…«

Greg verstand – aber er wollte nicht verstehen.

Eines Vormittags stand Greg im Vorratsraum im Dunkeln hinter einem mit Blech ausgeschlagenen Fleischschrank, als sich vorn die Tür öffnete und der Neger Sam den Raum betrat.

Greg wußte, wann der Schwarze kommen mußte, um das Fleisch für das Mittagessen zu holen. Als der ahnungslose Mann an dem Schrank vorbeikam, schnellte Greg blitzschnell vor, packte ihn mit beiden Händen am Hals und würgte ihn.

»Du verdammter schwarzer Hund hast hier nichts zu suchen! Das ist unser Haus, unsere Ranch. Wir füttern keine Schwarzen!«

Er würgte ihn, als wollte er ihn umbringen.

In seiner Verzweiflung und Todesnot gelang es dem Neger, eine große Porzellanschüssel zu packen und sie gegen die Tür zur Halle zu schleudern, wo sie mit einem enormen Lärm zersprang.

Jonny kam sofort herein. Mit einem Blick übersah er die Situation, sprang hinzu und befreite den Neger von dem Würgegriff.

»Onkel Greg!« stieß er erregt hervor. »Was war denn los?«

Keuchend stand der Ire da und stierte auf den um Atem ringenden Alten.

»Dieser verdammte Hund! Er hat mir hier aufgelauert und mich angefallen. Ich bringe ihn um!« Wieder wollte er sich auf den Schwarzen stürzen.

Aber der Bursche schob sich dazwischen.

»Halt! Das geht auf keinen Fall. Wir müssen Vater die Sache vortragen!«

»Vater die Sache vortragen? Was gibt es da vorzutragen, wenn mich dieser schwarze Bandit angefallen hat? Aufhängen muß man ihn, und zwar sofort!«

Der Rancher war schwach genug, nachzugeben: er entließ den Neger Sam mit einem größeren Geldgeschenk – um den Bruder zu retten.

Das Geld, das er dem Schwarzen gegeben hatte, fand er anderen Tags vor seiner Zimmertür. Und der schwarze Mann hatte sich unweit vom Haus das Leben genommen.

»Zufrieden?« fragte Jonny seinen Onkel mit bitterem Lächeln. »Jetzt bist du ihn ja endlich los.«

Dieser Vorfall lag noch nicht ganz drei Tage zurück, als John Saunders eines Abends ein merkwürdiges Geräusch aus dem Anbau vernahm, in dem gewaschen und geplättet wurde.

John wollte die Tür öffnen. Sie war verschlossen. Da warf er sich kurz entschlossen mit seinem Zweizentnergewicht dagegen.

Sie sprang auf – und der Rancher sah zu seinem Entsetzen die Indianerin Nointa halb ohnmächtig drüben an der Wand lehnen und vor ihr - seinen Bruder, der beide Hände um ihren Hals geklammert hatte.

»Greg!«

Der Ire sah sich nicht um.

»Erdrosseln sollte man diese Schlange! Sie hat mir mit dem Messer aufgelauert. Nach Indianerart! Da liegt das Messer noch. Diese Teufelin wollte mich umbringen! Aber das werde ich dieser Hexe versalzen!«

»Laß sie los, Greg!«

Erst als der Rancher ihn von der Frau wegriß, gab Greg auf. Er taumelte zurück, stand mit schweißtriefendem Körper da, blutige Kratzer im Gesicht und an den Händen.

»Ich hätte sie umgebracht, diese Schlange, das schwöre ich dir!«

Da stand plötzlich der Bursche in der Tür. Sein Gesicht wurde kalkweiß.

»Dad!« sagte er schneidend. »Sprich kein Wort! Und wenn du sie aus dem Hause weist wie den alten Sam, gehe ich mit ihr!«

John Saunders fuhr herum. Wie vom Schlag getroffen stand er da und starrte seinen Sohn an.

»Was hast du da gesagt, Jonny?« kam es heiser von seinen Lippen.

»Well, ich werde es deutlicher sagen, Vater. Du hast den Neger Sam wegen dieses Mannes, der ja leider dein Bruder ist, aus dem Haus, das seine Heimat war – und in den Tod getrieben! Ich weiß, daß du jetzt Nointa seinetwegen verjagen wirst. Aber du brauchst es nicht. Sie geht freiwillig – und ich gehe mit ihr. Und dieser Mann da…«, mit ausgestrecktem Arm und flammendem Blick stand der Bursche da und deutete auf seinen Onkel, »kann froh sein, daß er der Bruder meines Vaters ist, sonst würde ich ihn jetzt in den Hof zerren, zum Gunfight fordern und aus den Stiefeln schießen. Für mich ist er ein Strolch. Ein Bandit, den ich gnadenlos niederschießen werde, wenn ich ihn eines Tages außerhalb dieser Ranch einmal treffen sollte! – Nointa komm!«

Das Mädchen wischte sich durchs Gesicht und ging grußlos hinaus.

Jonny Saunders folgte ihr.

Wenige Minuten später ritten die beiden schon auf Jonnys Schimmel vom Hof. Als sie das Tor fast erreicht hatten, kamen vier Reiter angesprengt.

Bei dem seltsamen Anblick hielten sie ihre Pferde an.

Der vorderste von ihnen saß auf einem Fuchs, ein kleiner hagerer Mann mit scharfen Augen und faltigem Gesicht. Er trug, wie seine Begleiter, Weidereiterkleidung. Es war Norman Teck, der Vormann der Saunders Ranch.

»Wohin, Jonny?«

»Weg, Mister Teck.«

»Aha. Und darf ich fragen wohin?«

»Nein«, entgegnete Jonny knurrend.

»Hören Sie, Jonny, dies ist zwar die Ranch Ihres Vaters und wird eines Tages vielleicht einmal Ihre Ranch sein. Aber noch bin ich hier Vormann, und Sie sind nichts weiter als einer meiner Cowboys. Sollten Sie das vergessen haben?« Der kleine Mann hatte es ohne Hast und Lautstärke gesagt.

»Nein, Vormann, ich habe es nicht vergessen. Aber ich bitte Sie, von heute ab auf den Cowboy Jonny Saunders zu verzichten. Ich habe dem Boß aufgesagt.«

»Und mir? Wagen Sie vielleicht auch, mir aufzusagen? He, Sie elender Flegel, Sie!« Die letzten Worte hatte der Vormann plötzlich gebrüllt. »Wie wollen Sie je ein guter Cowboy werden, wenn Sie wegen jeder Lappalie von der Ranch rennen. Wie erst wollen Sie je ein guter Rancher werden, wenn Sie so leicht aufgeben? Sie haben sich erst mit dem Vormann zu besprechen, ehe Sie gehen, und dann dem Boß zusammen mit dem Vormann Bescheid zu sagen!«

Jonny biß sich in die Lippen. Er wußte, daß der kleine Teck recht hatte, und vor allem, daß er es gut mit ihm meinte.

Einer der Cowboys riß ein Zündholz an und hielt es Teck an die reichlich krummgedrehte Zigarette.

»Jonny, Sie dürfen nicht glauben, daß ich Sie jetzt wegen des Indianermädchens aufhalte. Wir alle mögen die Roten nicht – haben aber das Mädchen geschätzt, weil es einfach zur Ranch gehörte. Daß Sie Nointa – lieben, ist Ihre Sache. Und dann müssen sie es natürlich auch vor irgendwelchen krummen Hunden beschützen.« Teck sagte es, ohne zu wissen, was sich inzwischen auf der Ranch ereignet hatte. »Aber die Ranch verlassen zu dürfen, dann sind Sie für mich ein Feigling.«

Jonny erwiderte mit zusammengebissenen Zähnen:

»Es ist mir einerlei, Mister Teck! Ich gehe nicht mehr zurück!«

»All right! Dann reiten Sie. Aber wenn der Rancher eines Tages mal die Augen zumacht und Sie tauchen dann hier auf, dürfen Sie sich nicht einbilden, daß Ihr Vormann dann Norman Teck heißt. Lizzy, go on!«

Er gab seinem Pferd die Sporen. Die anderen folgten ihm.

Jonny Saunders hielt auf der Stelle und sah hinter den Reitern her.

Da hörte er das Apachenmädchen sagen:

»Du darfst nicht wegreiten, Jonny.«

Er wendete seinen Schimmel und ritt langsam zurück. Aber er ging nicht mehr ins Ranchhaus zurück.

Als John Saunders ihn am nächsten Morgen beim Holzhacken traf, knurrte er:

»Ich dachte, du wolltest den Corralzaun reparieren.«

»All right!« gab Jonny muffig zurück.

Der Vater hatte ihn nur von den anderen Cowboys wegholen wollen.

»Ich danke dir, daß du zurückgekommen bist, Jonny!«

»Der Vormann hat mich zurückgeholt. Und wenn Greg sie noch einmal anfaßt, erschieße ich ihn.«

»Er wird sie nicht mehr anrühren – und du brauchst niemanden zu erschießen.«

Damit schien der Friede auf der Ranch wiederhergestellt zu sein. Aber es schien eben nur so.

Greg, von der Schwäche des Bruders gestützt, unterschätzte seine Position auf der Ranch. Und eines Morgens kam, was kommen mußte.

Er, der gar nicht daran dachte, irgendwelchen Arbeiten auf dem

Ranchhof nachzugehen, traf in der Scheune auf die Indianerin, die mit Wäsche von den Leinen hinter der Scheune kam. Zu Tode erschrocken blieb Nointa mit dem schweren Wäschekorb stehen.