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Mit Dank an Harald Müller. M.L.

Mark Lammert

Rot/Gelb/Blau

Texte zum Theater

© an dieser Textsammlung: Theater der Zeit, 2019

© an den Einzeltexten: Mark Lammert

Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

Verlag Theater der Zeit

Verlagsleiter Harald Müller

Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany

www.theaterderzeit.de

Lektorat: Nicole Gronemeyer

Gestaltung: Sibyll Wahrig

Umschlagabbildung: © Mark Lammert

Printed in the EU

ISBN 978-3-95749-161-9 (print)

ISBN 978-3-95749-267-8 (ePDF)

ISBN 978-3-95749-268-5 (EPUB)

MARK LAMMERT

ROT
GELB
BLAU

TEXTE ZUM THEATER

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Raum als Dramaturgiemaschine

Müller und Malen

Schwarz, Rot, Weiß. Eigentlich: Gelb

ROT/GELB/BLAU

Godard Maler

Schönheit als Beute, Farbe als Verfremdung – alles ist Material

Etwas über Gedärme, Melonen und Kleeblätter

Laudatio auf ein Trio mit Hirtenhund

Der verliebte Partisan

Erinnerungen an Dimiter Gotscheff

Die Katze von Kasan

KATJUSCHA oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben. Aus dem Kriegstagebuch eines Laudators

Es gibt Lichtdramaturgie

Für Torsten König

Textnachweise

Raum als Dramaturgiemaschine

2007

„Mein Stück (…) spielt in Räumen,
wo die Moral ersetzt wird durch die Ästhetik der Bühne.“

Jean Genet an Roger Blin1

Handlungsmotoren und Dramaturgiemaschinen

Wo eine Bewegung ist, bedarf es auch eines Antriebs. Hier ist davon zu reden, worin die Sprache ihren Raum findet, welchen Raum sie damit erzeugt und wie die Sprache räumlich bewegt wird. Solcherart Räume auf Bühnen, wie sie im Folgenden vorgestellt werden, sind als Skulptur sozial durch ihre Öffentlichkeit und beweglich durch ihre Benutzbarkeit. Sie stellen immer auch die Frage nach dem Körper, „das kleine Stück Raum“2, das „fragment d’espace“3.

Er, der Körper, der der Akteur sein kann, ist mitzudenken. Als Antrieb und als derjenige, der die Folgen der Raumbewegung und die Um- und Übersetzung einer Raumveränderung zu tragen hat. Er ist immer mitzudenken, denn zwischen ihm und der Hülle, dem BÜHNENHAUS, gibt es nur den Raum und Licht. Die Bewegung zwischen Haus, Körper, Licht und Raum kann als flexibles System bezeichnet werden. Das Statische in solchen Konstruktionen kann Grundlage für Sprache sein. Erst die Bewegung macht Handlung.

Die menschliche Bewegung kann den GRUNDRISS ausschreiten und die Maschine Raum kann ihn überschreiten: den Grundriss verändern, den Grundriss aufreißen. Das macht Raum und seine Bewegung wichtig. Der Raum agiert und erweitert, auch sich selbst. Dabei determiniert die Farbe den Raum nicht nur, sondern trennt ihn auch von Hülle und Körper. Der Akteur aber bleibt der in den Räumen nicht sesshafte Nomade der Sprache.

Dem entsprechen die Parallelkonstruktionen sich bewegender Körper, die die Entfernung des Raums zum Publikum verändern, ebenso wie die Entgegenständlichung der skulpturalen Setzungen im Raum, die nicht abstrakt sind, sondern in ihrer Reduzierung als Analogie zum Kern des dramatischen Textes verstanden werden können. Diese Räume sind deshalb das Gegenteil von „Imitation of life“4 und gleichermaßen bezeichnen sie auch eine Entfernung von den Sehweisen des Bewegungsmediums Film.

Die Isolierung des Augenblicks vom Kontext als Herangehensweise und die Verwandlung durch Bewegung aus der Bewegung selbst – das ist ein Kommentar und gleichermaßen Trennung zum Text. Aus dem Bedürfnis mitzuspielen entsteht eine Geometrie. Aus der Geometrie kann eine absichtsvoll ziellose Maschine entstehen, aus dieser wiederum eine sich selbst demolierende Maschine, eine auseinanderdriftende Dissonanz. Geometrie und Maschine kann in ihrer Entsprechung zum Plot die Bewegungsdramaturgie erzeugen. Wie aber funktioniert, wie bewegt sich eine absichtsvoll ziellose Maschine?

Eine zum Stillstand gekommene Maschine

„Duell-Traktor-Fatzer“. Heiner Müller/Bertolt Brecht.
Regie: Heiner Müller, Berliner Ensemble, 1993

Müllers statischer Inszenierungsweise für „Duell-Traktor-Fatzer“ stand zunächst Matthias Langhoffs spielerische Brechung der Texte gegenüber, die auch in seinem Bühnenbildentwurf eine Entsprechung hatte. Heiner Müller kam damit nicht zurecht.5 Als ich hinzugezogen wurde, bestand die Herausforderung für mich im Bild einer zum Stillstand gekommenen Maschine, einer Gegenschräge der Zeit. Es begann insofern als Polemik. Die schräge Ebene, die durch einen überdimensionalen Tisch in einem zum Zuschauer hin abschüssigen Raum gestellt wurde, war zuallererst eine erzwingende Veränderung des gewohnten Bewegungsablaufs auf der Bühne und des Verhaltens der sich auf ihr bewegenden Körper zueinander. Die Polemik richtete sich gegen eine illusionistische und illustrative Abbildung von Vorgängen und Abläufen. Dem entsprach die Überlegung, die Geschichte rückwärts zu erzählen. Im Verhältnis von Tisch, schräger Ebene und Farbe (ein roter Streifen billigsten Fahnenstoffs verlief als schmaler roter Teppich parallel zum Tisch in der Bühnenmitte bis nach vorn zum Publikum), bezogen auf unterschiedliche Texte bzw. Textfragmente und -splitter, und der Veränderung der Körperbewegung lag ein Moment von Raumdramaturgie in Sinne von Gilles Deleuze: „Die Konstanten oder Invarianten eliminieren, nicht nur in der Sprache und den Gebärden, sondern auch in der theatralischen Repräsentation und in dem, was auf der Bühne repräsentiert wird; also alles eliminieren, was Macht ‚ausübt‘, die Macht dessen, was das Theater repräsentiert (…), aber auch die Macht des Theaters selbst.“6

Der Auflösung der Zeit im Text ist die Bewegungsdimension des Raums verbunden. In einer zeitgenössischen Rezension heißt es: „Mit dieser Anordnung setzte die Aufführung zwei verschiedene Orte, die zugleich eine Dissoziation in der Zeit bezeichneten. (…) Mit der Konzentration auf szenische Positionen wie Tisch und Stuhl (…) wurde die den Texten inhärente Statik noch verstärkt, Haltungen und Sätze determiniert. Erst in der Krise, dem Auf-stand, hätte die Sitzordnung in Bewegung geraten können.“7 Und weiter: „Die Inszenierung (…) markierte damit eine Grenze, in der Ausstellung eines Vakuums, das dem Publikum die eigene Totenstarre vorführte: ‚Es war ein Experiment an einem Kadaver. Die Leiche war das Publikum. Auf der Bühne die Gespenster, die Toten im Zuschauerraum‘ (Heiner Müller, 1995).“8

„Duell-Traktor-Fatzer“ schreibt die nicht realisierte Inszenierung von Bertolt Brechts „Die Maßnahme“ von 1930 fort. Sie ist insofern auch eine Erinnerung: „auf einem kleinen Podium, ich würde es den Corpus-Delicti-Tisch nennen, spielen die einzelnen Episoden der Handlung“.9 Im gemeinsam mit Heiner Müller konzipierten Arbeitsbuch zur Aufführung „Duell-Traktor-Fatzer“ ist daher bewusst eine Textpassage von Henri Michaux aufgenommen, die eine andere Bewegungsdimension des Tischs beschreibt: „Einmal auf ihn aufmerksam geworden, fuhr der Tisch fort, die Gedanken zu besetzen. Sozusagen bestand er sogar darauf, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Es fiel auf, dass er weder einfach noch wirklich komplex, ursprünglich oder zweckdienlich komplex oder nach einem komplizierten Plan konstruiert war. Stattdessen war er im Verlauf der Zimmerei desimplifiziert worden. Wie er da stand, war es ein Tisch der Hinzufügungen, fast wie bestimmte als überfüllt beschriebene Zeichnungen von Schizophrenen, und wenn fertig, war er es nur insofern, als es keinen anderen Weg mehr gab, noch etwas hinzuzufügen: der Tisch war mehr und mehr eine Ansammlung geworden und weniger und weniger ein Tisch. Er war nicht für einen bestimmten Zweck geplant, für irgendetwas, das man von einem Tisch erwartet. Schwer und klobig, war er so gut wie unbeweglich. Man wusste nicht, wie ihn zu handhaben (verstandesmäßig oder materiell). Der nutzbare Teil des Tisches, seine Hauptoberfläche, nach und nach reduziert, war im Verlorengehen: mit so wenig Verständnis zu seinem plumpen Gerüst machte das Ding nicht mehr den Eindruck eines Tisches, sondern den eines monströsen Möbelstückes, einer unbekannten Vorrichtung, für die es keinen Zweck gab. Ein entmenschlichter Tisch, nichts ‚Mittelständiges‘ an ihm, nichts Rustikales, nicht Veränderliches, kein Küchentisch oder Arbeitstisch: ein Tisch, der sich zu keiner Funktion hergab, sich selbst schützend, sich selbst dem Dienst und der Kommunikation gleichermaßen verweigernd. Etwas Lähmendes umgab ihn, etwas Versteinertes. Vielleicht erinnerte er an eine zum Stillstand gekommene Maschine.“10 Heiner Müller, November 1995: „Drama / Die Toten warten auf der Gegenschräge / Manchmal halten sie eine Hand ins Licht / Als lebten sie. Bis sie sich ganz zurückziehn / In ihr gewohntes Dunkel das uns blendet“11

Grundriss – Panoptikum

„Michel Foucault. Choses dites choses vues“. Regie: Jean Jourdheuil, Paris, Théâtre de la Bastille, Festival d’Automne, 2004

Bei dieser Inszenierung ging es nicht nur um einen Bühnenraum, sondern um eine mit Jean Jourdheuil gemeinsam hergestellte Textfassung für die Aufführung, die aus fragmentarischen, assoziativ aneinandergereihten Zitaten bestand. Die Dramaturgiemaschine im Bühnenraum bewegt hier die Handlung durch die Errichtung des Modells, eines Panoptikums. Es wird sukzessive durch acht blaue Platten geschlossen – analog der Blickverweigerung zwischen Standort und Beobachter. Durch die Drehbewegung des Panoptikums als Objekt wird gleichermaßen Raum generiert. Grundriss und Objekt fallen zusammen. Das Objekt wird zum Zeichen des Objekts und dessen Grund. Es entsteht ein Raum, der sich aus Perspektiven zusammensetzt. Einen Auf- oder Abgang gibt es nicht. Die Bewegung, der Zusammenbau der acht Wände, ist die einzige sichtbare Handlung und Bewegung.

Nachdem Foucault den Raumbegriff benutzt hat in allen möglichen Facetten wie Splittern (Wer hat mehr von Raum gesprochen?), stößt er (zwangsläufig) auf den GRUNDRISS, der als Wesenheit, Eigentlichkeit erkannt wird. Etwas zu Foucault sagen, irgendetwas zu Foucault sagen, heißt zuallererst Foucault aus dem Zusammenhang reißen: Der panoptische Grundriss, der ein Subjekt zum beobachteten Objekt werden lässt und umgekehrt, den Beobachter zum Beobachteten und umgekehrt, ist das glatte Gegenteil eines sakralen Raumes.12

In diesem Zusammenhang wurde an die bekannte Formulierung erinnert: „Ich bitte die Philosophiehistoriker um Verzeihung, aber ich glaube, dass Bentham für unsere Gesellschaft wichtiger war als Kant oder Hegel. Wir sollten ihm in allen unseren Gesellschaften ein ehrenvolles Andenken bewahren. Denn er hat die Formen von Macht, in denen wir heute leben, äußerst präzise entworfen, definiert und beschrieben, und er hat uns diese Gesellschaft der generalisierten Orthopädie in einem wunderbaren kleinen Modell vorgestellt: seinem berühmten Panoptikum. Eine Architektur, die eine gewisse Macht des Geistes über den Geist ermöglicht; eine Form von Intuition, die sich für Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Besserungsanstalten, psychiatrische Anstalten und Fabriken eignet.

Das Panoptikum ist ein ringförmiges Gebäude, das einen Hof mit einem Turm in der Mitte umschließt. Der Ring ist in kleine Zellen unterteilt, die sowohl auf den Innenhof als auch nach außen führen. In jeder dieser Zellen sitzt ein Kind, das Schreiben lernt, ein Arbeiter bei der Arbeit, ein Häftling auf dem Wege der Besserung oder ein Geisteskranker, der seinen Wahnsinn auslebt. In dem zentralen Turm sitzt ein Wärter. Da jede Zelle auf den Innenhof führt, kann der Wärter die gesamte Zelle einsehen; es gibt keine dunklen Winkel, so dass alles, was der Einzelne tut, dem Blick des Wärters ausgesetzt ist, der durch die halb geschlossenen Jalousien schaut und alles sehen kann, ohne selbst gesehen zu werden. In Benthams Augen ließ sich diese wunderbare kleine architektonische List in einer ganzen Reihe von Institutionen nutzen. Das Panoptikum ist die Utopie einer Gesellschaft und einer Form von Macht, die in unserer Gesellschaft Wirklichkeit geworden ist, eine realisierte Utopie. Diese Form von Macht kann man mit vollem Recht als panoptisch bezeichnen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Panoptismus herrscht.“13

Was aber geschieht, wenn dem Bewacher wie dem Bewachten der Blick verweigert wird, wenn der Ausgang verweigert wird? Das war eine wichtige Frage für den Foucault-Raum.

Gedankengänge als Staffellauf von Stichworten, die Assoziationen sind – auch eine Assoziation von Stichworten. Mehr als Wahnsinn, besser, hinter dem Wahnsinn scheinen vier große Komplexe/Motoren beherrschend DER RAUM, DIE MASCHINE, DAS LABYRINTH, DAS PANOPTIKUM. Man könnte es auch anders sagen: ein hektischer Marathon als Möglichkeit.14 Panoptikum wie Textcollage schaffen Bewegungsmöglichkeiten und -zwänge für den Foucault-Raum.

Die „Ermittlung“ der Farbe ist „Zusammenempfinden“, also Synästhesie, was Hirnforscher beschreiben, wenn Menschen das, was sie hören, als Farbe wahrnehmen. Dem Panoptikum entspricht die Entstofflichung der Farbe Blau, die für die Wände des Objektes verwandt wurde und die Durchlässigkeit und Materialität von Grenze und Überwachung assoziiert.

Wand. Bewegung formulieren. Raum bewegen

„Die Perser“. Aischylos. Regie: Dimiter Gotscheff, Deutsches Theater, Berlin, 2006

Auswahl des Stückes wie Festlegung auf die interlineare Übersetzung waren mitbestimmte Voraussetzungen für den Bühnenraum. Der Text sollte ohne illustrative Aktualisierungen den Raum organisieren. Raum und Bewegung sind durch eine Setzung bestimmt. Diese Setzung besteht aus einer Wand, die die Breite eines Fußballtores hat, und einer Farbe – der Farbe Gelb. Durch diese Setzung sind die Körper vom Hintergrund getrennt. „Gegen die Wand rennen“, „mit dem Rücken an der Wand stehen“, „etwas an die Wand fahren“. Eine Wand wird Mauer, die Bewegung ist eine Rotation, die das Bild der Wand nicht freilässt. Die Drehung treibt die Handlung bis zur gänzlichen Fortbewegung aus dem Drehpunkt der Geschichte. Das „in Bewegung setzen“ bzw. „in Bewegung bringen“ ist die Animation, nicht die Bewegung selbst. Der innere Zusammenhang, dessen Mechanik, wird nicht dem Blick entzogen, sondern ins Bild gesetzt. Eine Reaktion: „Eine dunkle Höhle, leer bis auf die gelbe Wand, die die Figuren nach vorne schieben, trennen, zum Verschwinden (…) bringen kann.“15

Mauer muss nicht Begrenzung von Raum sein, sondern kann auch Bezeichnung von verweigerter Perspektive sein. Michel Foucault: „Die einzigen Mauern sind die Mauern der verschwimmenden oder sich verfeinernden Transparenz. Allein der körperlose Abstand richtet seine Schranken auf. Das, was unmittelbar bevorsteht, kann von überall kommen, der Horizont ist ohne Tiefe und ohne Grund. In einem gewissen Sinne ist alles sichtbar, denn es gibt keinen Gesichtspunkt, keine verlorene Form, keine Perspektive, die in der Ferne versinkt, aber nichts ist wirklich sichtbar.“16

Der Hintergrund rückt nach vorn, wird Vordergrund. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Darstellung in den Hintergrund tritt, um der Wahrnehmung von Sprache und Licht Raum zu geben. Diese ostentative Flächigkeit gleicht Handlungsebenen an, die „Mauer führt hinters Licht“. Darstellungsmechanismen sind kurzgeschlossen mit einer Raummechanik, während das Gelb haften bleibt, nicht so sehr am Gegenstand Mauer als am Drehterritorium.

Nicht nur die Farbe als Ton, sondern auch die Materialität ihrer Konsistenz macht die Bewegung anders sichtbar. Die Reflexion auf einer natürlichen Farbe ist eine andere, absolut intensivere, als auf einer synthetisch hergestellten Farbe. Der gelbe Bolusgrund setzt sich wie in antiken Zeiten aus folgenden Bestandteilen zusammen: „Ein halbes Pfund pontische Sinope-Erde, zehn Pfund helles Berggelb und zwei Pfund griechische Melos-Erde, gemischt und zwölf Tage miteinander gerieben, ergeben das (…) (Poliment). Es ist das Bindemittel für Gold, wenn es auf Holz aufgetragen wird.“17 Eine Farbe, von keinem Scheinwerfer zu vernichten, eine Erdfarbe.

Löcher. Bewegen am Abgrund

„Die Hamletmaschine“. Heiner Müller. Regie Dimiter Gotscheff, Deutsches Theater, Berlin, 2007

„In der Bühne (…) sind zehn offene Gräber eingelassen. Die Untoten der Geschichte schlüpfen hier ungesehen ein und aus. Dimiter Gotscheff umschlurft den kleinen Weltfriedhof so, wie der Kuttenmensch aus Becketts Stück ‚Quadrat‘ das Loch im Bühnenboden umkreist, das ihn verschlingen wird.“18

Es ist ein Raum aus weniger als nichts, ein Raum mit zehn Leeren, der Versuch, analog dem Text zur „Hamletmaschine“ eine Entsprechung auf Becketts „Quad I & II“ zu finden. Wie in Becketts „Quad I & II“ der zentrale Punkt in den Gängen der Mitspieler bewusst freigelassen wird, werden in „Hamletmaschine“ die Löcher im Bühnenboden freigespielt und erhalten so in der Vertiefung des Raums nach unten eine besondere Intensität. Der Raum gefährdet bzw. schränkt die Bewegung ein, und der einzige Akteur der Aufführung muss darauf achten, nicht in die Erweiterung des Raumes zu fallen, nicht von ihm aufgesogen zu werden. Die theatrale Nichtbenutzung der Löcher macht den Text zu einem Monolog, quasi mit negativen Monolithen. Der Leerraum wird als agierender Raum behauptet.

„Exhaustive Serien von Dingen bilden; (…) die Potentialitäten des Raumes ‚entkräften‘ (…) in (…) der Sprache der Bilder und Räume. Sie bleibt in Verbindung mit der Sprache, aber richtet sich auf oder reckt sich in ihren Löchern, ihren Lücken oder ihren Schweigemomenten.“19 Das, was Deleuze für Beckett beschreibt: „Es ist die besondere Schwierigkeit, ‚ein Loch nach dem anderen zu bohren‘ in die Sprachoberfläche“20, führt hier zu: zehn Gevierte im Geviert.

Vertikaler und horizontaler Raum. Bewegungsbilder

„Anatomie Titus/Fall of Rome. Ein Shakespearekommentar“ von Heiner Müller. Regie: Dimiter Gotscheff, Deutsches Theater, Berlin, 2007