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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 1954

 

Flugziel Chearth

 

Menschen und Maahks – die GILGAMESCH soll den Frieden bringen

 

von Hubert Haensel

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Seit einiger Zeit ist die Menschheit in einen Konflikt von kosmischen Ausmaßen verwickelt – und zwar ohne dass die Masse der Terraner weiß, wo dessen Fronten verlaufen. Auf der einen Seite steht die Koalition Thoregon, der friedliche Zusammenschluss von Völkern aus sechs verschiedenen Galaxien. Zu dieser Koalition soll die Menschheit alsbald gehören. Mit Perry Rhodan wurde bereits ein Terraner zum Sechsten Boten von Thoregon ernannt.

Auf der anderen Seite aber steht ein Wesen namens Shabazza, das im Auftrag noch unbekannter Mächte handelt und dem offensichtlich ungeahnte Machtmittel zur Verfügung stehen. Shabazzas Manipulationen brachten ungeheures Verderben über die Bewohner verschiedener Galaxien: Unter anderem wurden in der heimatlichen Milchstraße 52 Planeten komplett entvölkert.

In Chearth, der Heimat der Gharrer, des fünften Thoregon-Volkes, hat ebenfalls eine bedrohliche Entwicklung eingesetzt: Die Algiotischen Wanderer haben die Galaxis mit einer gigantischen Flotte von 200.000 Raumschiffen angegriffen. Mhogena, der Fünfte Bote von Thoregon, kam deshalb in die Milchstraße, um die Menschheit und ihre Verbündeten um Hilfe zu bitten.

Die Hilfe setzt sich in Marsch – doch es ist nur eine kleine Flotte. Während die Milchstraßenvölker, darunter sogar die Terraner, sich nicht dazu durchringen konnten, den Gharrern zu helfen, beteiligen sich die Maahks aus Andromeda mit zehn Kampfschiffen an der Expedition. Das stärkste Schiff der Flotte ist jedoch die GILGAMESCH, das offizielle Flaggschiff der Aktivatorträger.

Elf Schiffe sollen eine ganze Galaxis retten. Das klingt aussichtslos. Doch Atlan, der unsterbliche Arkonide, will das Wagnis eingehen und setzt die Flotte in Marsch – mit dem FLUGZIEL CHEARTH ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide führt die kleine Flotte aus der Lokalen Gruppe an.

Mhogena – Der Fünfte Bote von Thoregon bringt seiner Heimat nur eine kleine Hilfe.

Ganzetta – Der Flottenkommandant der Wlatschiden leitet eine aussichtslose Raumschlacht.

Vincent Garron – Der Todesmutant wird mit seinen Kräften nicht allein fertig.

Tuyula Azyk – Das Bluesmädchen leidet an der unerträglichen Situation.

Ronald Tekener – Der Smiler wird zum Gefangenen.

Prolog

 

Fünfzehn Millionen Lichtjahre – das ist eine für mich unvorstellbare Distanz, und irgendwo am Ende dieser Unendlichkeit liegt das Ziel der GILGAMESCH, die Galaxis Chearth. Nie zuvor war ich so weit fort von meiner Heimat wie jetzt. Ich glaube nicht, dass ich mich deshalb fürchten muss, eher bin ich gespannt auf das, was wir sehen werden, doch in meinem Magen krabbeln Muurth-Würmer, ein ganzer Gartopf voll, will mir scheinen ...

Langsam kippt der flachgedrückte, kreisrunde Kopf des Bluesmädchens zur Seite, die hinteren Augen schließen sich, während die beiden leicht grün schillernden vorderen Pupillen, weit aufgerissen, einen starren Ausdruck annehmen. Zögernd streckt Tuyula Azyk ihren rechten Arm aus. Die sieben Finger ballen sich zur Faust und öffnen sich wieder. Vor ihr, von Antigravfeldern in der Schwebe gehalten, liegt Vincent Garron im Koma. Seit einer halben Stunde steht sie da und betrachtet den Terraner. Die rege Geschäftigkeit in der Medostation, die Roboter und Mediker nimmt die junge Blue nur vage wahr. Sie lauscht ihren Gefühlen, die sie für den terranischen Mutanten empfindet.

Ich bin aufgeregt, und Schweiß tränkt meinen Körperflaum. Vielleicht, versuche ich mir einzureden, ist das aber auch nur die Umstellung meines Körpers hin zur ausgereiften Frau. Vieles erscheint mir dadurch anders als vor wenigen Wochen.

Siebzig Tage hat der Arkonide Atlan für den Flug veranschlagt; wir haben erst einen Bruchteil davon hinter uns gebracht. Trotzdem fühle ich nach all den Aufregungen und Gefahren der letzten Zeit die Monotonie wie eine grässliche Leere in mir wachsen. Ich wünschte, Vincent wäre wieder wach – irgendwie braucht er mich, und ich brauche ihn.

Der Vibrationsalarm reißt Tuyula Azyk jäh aus ihrer friedlichen Gedankenwelt.

1.

 

»Gefahr liegt in der Luft«, sagte Ronald Tekener mit Nachdruck. »Sie ist da – ich kann sie nur noch nicht greifen.«

Fünf Uhr dreißig Bordzeit. Vor fünfzehn Minuten war er schweißgebadet aufgewacht, konnte sich aber an keinen Albtraum erinnern, und die Temperatur in seiner Kabine war eher zu niedrig als zu hoch justiert. Folglich gab es keine äußeren Ursachen für den Schweißausbruch.

Die Ultraschalldusche hatte das lauernde Unbehagen nicht verscheuchen können, das in seinem Unterbewusstsein nistete. Tekener spürte eine innere Unruhe, eine Rastlosigkeit, die ihn nach nicht einmal drei Stunden Schlaf wieder aus dem Bett getrieben hatte. Dennoch konnte er dieses Empfinden kaum in Worte kleiden. Er entsann sich des einen oder anderen Pokerspiels, bei dem er mit einem lausigen Paar Gegner geblufft hatte, die ein Full House in der Hand hielten; aber selbst dabei hatte er nie diese eigenartige Erregung wahrgenommen ...

Während der Smiler die Magnetsäume seiner Bordkombi schloss, wandte er sich wieder dem Interkom zu. Dao-Lin-H'ays Hologramm folgte jeder seiner Bewegungen, ihre zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Katzenaugen taxierten ihn aufmerksam.

»Ich bilde mir das nicht ein.« Scharf wehrte Tek jeden möglichen Widerspruch ab.

Oder doch? Sekundenlang schweiften seine Gedanken zurück zu den Ereignissen von Anfang März vergangenen Jahres. Unter dem Einfluss des künstlich verdummenden Medikaments hatten ihm die Tanglefelder der Tolkander zwar nichts anhaben können, andererseits war er nach zu langer Wirkungsdauer des IQ-Dimmers in ein tiefes Koma gefallen. Vielleicht litt er unter Nachwirkungen, gänzlich ausschließen konnte er das kaum.

»Hinter uns liegen inzwischen sechzehn ereignislose Flugtage.« Dao-Lin-H'ay schnurrte beruhigend. »Abgesehen davon, dass die zehn Maahkschiffe unaufhaltsam zurückfallen, gibt es keine Probleme. Bis wir Chearth erreicht haben, wird ihre Distanz zur GILGAMESCH mindestens eine Standardwoche betragen.«

Sie stutzte und schürzte irritiert die Lippen, als Tek mit zwei Fingern eine Münze in die Luft schnippte, sie mit der flachen Hand auffing und auf den linken Handrücken schlug.

»Kopf«, stellte er fest und zog eine Augenbraue hoch. »Ich verwette meinen Kopf dafür, dass es nicht so ruhig bleiben wird.«

»Dann solltest du Atlan informieren.«

Der Smiler stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus. »Was habe ich denn schon in der Hand außer dieser Zehn-Galax-Münze? Ich ...« Er verstummte und schien sekundenlang irgendwelchen Geräuschen zu lauschen, danach schüttelte er beinahe unwillig den Kopf und begann, die Schläfen mit den Fingerspitzen zu massieren.

»Was ist?«, erkundigte sich die Kartanin. Ihre Besorgnis war unüberhörbar.

»Nichts«, wehrte der Smiler barsch ab.

Dao-Lin glaubte ihm nicht. »Bleib, wo du bist!«, rief sie. »Ich komme zu dir.«

»Lass den Quatsch, verdammt!«, fuhr Tekener auf. »Deine Wache ist noch nicht zu Ende, und du kennst Guillaume – er schreckt nicht einmal vor einer Aktivatorträgerin zurück. Ich komme zu dir auf die VINAU.«

Lantes Guillaume, ein Terraner, war der Kommandant der VINAU, ein Hagestolz und Militarist, der Zucht und Disziplin hochhielt und das Modul längst als sein eigenes Schiff betrachtet hatte. Er tat sich schwer, Dao-Lin-H'ay als Eignerin zu akzeptieren.

Tek unterbrach die Interkomverbindung, bevor die Kartanin reagieren konnte.

 

*

 

Ronald Tekener verließ eilig seine Kabinenflucht. Der unmittelbar zur Zentrale der KENNON führende Hauptkorridor war leer. Weder Besatzungsmitglieder noch Roboter waren so kurz vor dem Ende der Morgenwache unterwegs. Die fahlrötliche Nachtbeleuchtung würde jedoch in Kürze der gewohnten Helligkeit weichen.

Zwölf identische, autarke Raumschiffs-Module bildeten gemeinsam mit dem Zentralmodul MERLIN den zweieinhalb Kilometer durchmessenden Großraumer GILGAMESCH. Im geschlossenen Verbund, in dem sie den Abgrund zwischen den Galaxien durchquerten, ergaben sie ein Polyeder mit Außenflächen in Form gleichmäßiger Fünfecke.

Jedes der zwölf Module war rund tausend Meter lang und durchmaß an seiner dicksten Stelle siebenhundert Meter. Die bei der Koppelung zwangsläufig entstehenden Lücken zwischen den einzelnen Schiffen wurden durch Formenergiefelder kaschiert, nach außen entstand der Eindruck eines geschlossenen Ganzen. Die Täuschung konnte auch aufrechterhalten werden, wenn einzelne Module fehlten.

Alles in allem war die GILGAMESCH ein überaus schlagkräftiges Trägerschiff, ausgestattet mit der modernsten Technik, die galaktischer Erfindergeist zu bieten hatte, entwickelt und gebaut auf der geheimen Werft- und Forschungswelt der Zellaktivatorträger, dem Planeten Camelot. Jedes Außenmodul stand einem der potentiell Unsterblichen zur Verfügung – allerdings, dachte der Smiler bitter, während er im zentralen Antigravschacht langsam zum Heck der KENNON schwebte, war er mit seinem Schiff bislang nicht vertraut. Und das galt ebenso für einige andere Aktivatorträger.

Die GILGAMESCH hatte eine Geste des Zusammenhalts zwischen den Unsterblichen sein sollen, doch das Schicksal war menschlichem Erfindergeist wieder einmal zuvorgekommen. Das sechste Modul, die MERKOSH, stand Michael Rhodan zur Verfügung, nur hatte Perrys Sohn sein Schiff nie betreten, da er schon Jahrzehnte vor dessen Fertigstellung in Fornax verschollen war. Dasselbe galt für die TALOSH, das fünfte Modul, das für Julian Tifflor vorgesehen war.

Müßig, darüber nachzudenken, dass weder Perry Rhodan noch Reginald Bull und auch nicht der Mausbiber Gucky an Bord weilten. Und die Vandemar-Zwillinge hatten vor über einem Jahr den Tod gefunden; ihr Modul SAIRA war, von der Stammbesatzung abgesehen, seitdem verwaist.

Der Schwerkraftvektor auf allen GILGAMESCH-Modulen zeigte heckwärts. Ronald Tekener verließ den Antigravschacht unterhalb der Space-Jet-Hangars, auf der Ebene der ersten Maschinenräume. Ein Transportband trug ihn zur Peripherie; da Dao-Lin-H'ays VINAU neben seiner KENNON angedockt lag, konnte er bequem den Verbindungstunnel zwischen beiden Modulen benutzen.

Seine KENNON ...?

Nein, angefreundet hatte er sich mit dem Modul bisher nicht, es erschien ihm fremder als mancher andere Raumer.

Falls jeder so empfand, würde die GILGAMESCH nie zu dem Symbol werden, als das ihre Konstrukteure sie schon in den ersten Aufrissen gesehen hatten: ein Monument der Freiheit und der Gemeinsamkeit zugleich ...

... geprägt von der Stärke technischer Innovation und dem Bewusstsein, dass der Kosmos ungezählte Rätsel bereithielt, bei denen es längst nicht nur um die Beantwortung der Dritten Ultimaten Frage ging.

Ein Schritt zur Seite brachte Tekener auf festen Boden. Zu seiner Rechten, hinter einer transparenten Wand aus Formenergie, erstreckte sich eine der gewaltigen Hallen mit Hypertrop-Zapfer und Gravitraf-Speicher über mehrere Hauptdecks. Klein wie Ameisen wirkten die Systemtechniker in ihren weißen Schutzanzügen, die zwischen den Zapfpolen hantierten.

Eine Serie orangefarbener Lichtblitze, emittiert von einem Dutzend diskusförmiger Roboter, verdichtete sich unterhalb der Projektoren zu einem glühenden Ring, der langsam an der Außenhülle des Hypertrops absank. Achteinhalb Stunden würde die atomare Strukturüberwachung in Anspruch nehmen, eine Tortur für die Techniker, denen die Analyse der Feinstruktur inmitten des optischen Strahlengewitters allerhöchste Konzentration abverlangte. Die reibungslose Energieversorgung war für ein Schiff wie die GILGAMESCH und ihre Module das A und O.

Es gab mehr als genug Arbeit an Bord. Dennoch war, verglichen mit früheren Raumschiffen, die Stammbesatzung auf ein Minimum geschrumpft. Nur einhundert Personen genügten, jederzeit die volle Einsatzbereitschaft eines Moduls zu gewährleisten – kein Wunder, dass die Korridore und Schächte der KENNON wie verlassen wirkten.

Eigentlich ein schönes Schiff ...

Zum ersten Mal seit langem empfand der Smiler wieder die Verlockung des Unbekannten, die Herausforderung, die das Leben für ihn nach wie vor bedeutete. Mit Daumen und Zeigefinger massierte er die juckenden Pockennarben in seinem Gesicht.

Der Kosmos schien kleiner geworden als im 24. Jahrhundert alter Zeitrechnung, dem er entstammte. Aber, bei allen Sternengeistern, selbst die Lokale Gruppe war nur ein Staubkorn in der Unendlichkeit.

Tekener lächelte stumm. Egal welches Blatt das Schicksal ihm im Kartenspiel des Lebens zugedacht hatte, er würde das Spiel so zu Ende bringen, wie er es für richtig hielt. Die Höhe des Einsatzes hatte ihn nie interessiert.

Ein Lamellenschott öffnete sich. Drei Meter dahinter lag die Außenwand. Hologramme zeigten den Rumpf der VINAU zum Greifen nahe – eine gewaltige, von Schründen, Vorsprüngen und eingebetteten Sensoren durchbrochene stählerne Front, in der Scheinwerferbatterien wie Sterne funkelten.

Tekener genoss den Anblick. Er empfand sogar Stolz dabei. Für ihre Mission in Chearth waren in den Räumen zwischen den Modulen zusätzliche Beiboote angeflanscht worden: 100-Meter-Kreuzer, 60-Meter-Korvetten und sage und schreibe 500 Space-Jets. Eine beachtliche Streitmacht.

»Verbindungstunnel aufbauen!«, befahl er.

Ronald Tekener hatte Dao-Lin seit einigen Tagen nicht mehr in den Armen gehalten. Er wusste nur, dass die Kartanin sich ebenso sehr nach seiner Berührung sehnte wie er sich nach ihrem seidig weichen Fell. In seinem an Aufregungen nicht gerade armen Leben hatte er viele Frauen gekannt, einem Vergleich mit Dao-Lin-H'ay hielt im Nachhinein keine stand, außer vielleicht Jennifer Thyron.

Jäh überfiel ihn wieder die Vorahnung einer nahen Gefahr. Beinahe körperlich spürte er das Unbehagen, das ihn daran hindern wollte, den Verbindungstunnel zu betreten. Lächerlich.

Bis zur VINAU waren es nur wenige Schritte ...

 

*

 

Nur das wesenlose Wogen des Hyperraums stand auf den Bildschirmen. Mit der Höchstgeschwindigkeit von achtzig Millionen Licht raste die GILGAMESCH der fernen Galaxis Chearth entgegen.

Vor zwanzig Minuten hatte Dao-Lin-H'ay das Kommando an Lantes Guillaume übergeben. Keine besonderen Vorkommnisse. Der Flug verlief bislang monoton und ohne Zwischenfälle.

Die Kartanin wartete auf Tek. Warum sie sich unter all den Menschen ausgerechnet in den Spieler verliebt hatte, dessen kaltes Lächeln ihr Fell auch heute noch elektrisierte – Dao-Lin wusste es selbst nicht so genau. Vermutlich weil er ebenso kaltblütig und ein Abenteurer war wie sie selbst. Aber weshalb ausgerechnet ein Mensch?

Weshalb nicht? Ein ärgerliches Knurren drang aus ihrer Kehle, denn die eigenen Überlegungen erschreckten sie.

»Ronald Tekener befindet sich weder in seiner Kabine noch in der Zentrale seines Moduls«, meldete der Servo, den sie mit einer Rückfrage beauftragt hatte.

»Mache ihn ausfindig!«

Es lag ihr nicht, Tek nachzuspionieren. Doch seit seinem Anruf war mehr als eine Stunde vergangen. Außerdem hatte er so schroff verkündet, dass er sofort auf die VINAU kommen würde, dass sie nicht daran zweifelte.

»Ronald Tekener hat um 5.53 Uhr die KENNON verlassen. Seine Individualimpulse wurden zuletzt im Tunnelzugang zur VINAU registriert.«

»Ist das sicher?«

Eine dumme Frage. Der Syntron irrte nicht. Andererseits hatte sie bereits nachgeprüft, dass der Smiler ihr Modul nicht betreten hatte.

Mit spitzen Fingern zeichnete Dao-Lin die Maserung ihres Fells nach. Ich verwette meinen Kopf darauf, dass es nicht so ruhig bleiben wird, hatte Tek gesagt, eine Floskel, der sie erst jetzt mehr Bedeutung beimaß.

»Der Gesuchte hält sich nicht an Bord der GILGAMESCH auf«, meldete der Servo.

Dao-Lin-H'ay reagierte mit einem gereizten Knurren. Guillaume und die beiden Wissenschaftsoffiziere, die sich außer ihr in der Zentrale befanden, bedachten sie mit erstaunten Blicken. Dao-Lin winkte knapp ab und ließ eine Verbindung zu Atlan schalten, der den Anruf sofort entgegennahm.

»Tek ist verschwunden«, platzte die Kartanin heraus.

Dann erst bemerkte sie die steile Falte über der Nasenwurzel des Arkoniden. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er sie durchdringend.

»Ich weiß, dass es dumm klingt«, sagte Dao-Lin, »aber ich mache mir Sorgen. Es sieht so aus, als wäre Tek zwischen der KENNON und meiner VINAU ...«

»Wann?«

»Vor ziemlich genau dreißig Minuten.«

»Dann war er der erste ... noch vor Irma LaMash ...« Kein Muskel zuckte in Atlans Gesicht. Er wirkte wie versteinert.

Erst nach einigen Sekunden begriff Dao-Lin-H'ay in voller Konsequenz, was der Arkonide gesagt hatte: Tek war nicht der einzige, der vermisst wurde. Sie entsann sich, dass Irma LaMash als Mikrotechnikerin auf dem Zentralmodul MERLIN arbeitete. Gemeinsam mit den Siganesen gehörte Irma Myles Kantors Technikerstab an, dessen Aufgabe war, die von Mhogena gelieferten Daten auszuwerten und zu überprüfen, wie den sich daraus ergebenden Problemen mit der Camelot-Technik am wirkungsvollsten begegnet werden konnte.

Atlan löste den Alarm aus.

2.

 

Sie war fasziniert von diesem Wesen, das einen komplexen Schutzanzug benötigte, um in der Sauerstoffwelt der Terraner zu überleben. Immer wieder bedachte sie Mhogena mit forschenden Blicken, sobald sie glaubte, dass niemand auf sie achtete.

Bis vor kurzem hatte die Mikrotechnikerin Irma LaMash Maahks nur aus Hologrammen gekannt; sie war nie einem dieser exotischen Fremden persönlich begegnet, nicht einmal in Terrania City. Nun stand sie einem Angehörigen dieses »Giftgas« atmenden Volkes gegenüber und brauchte nur den Arm auszustrecken, um seinen Schutzanzug zu berühren.

Unwillkürlich achtete sie auf jeden Atemzug. Nein, die Luft roch nicht fremd, schon gar nicht nach dem ohnehin geruchlosen Methan, auch nicht beißend nach Ammoniak.

»Was hältst du von dieser Möglichkeit, Irma?«

Erst als die Frage wiederholt wurde, fühlte sie sich angesprochen und zuckte unwillkürlich zusammen. Etliche Augenpaare musterten sie durchdringend. Irma spürte, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss.

»Ich ... ich habe eben nicht ganz hingehört«, gestand sie zerknirscht.

Domino Ross kicherte leise. Der Siganese saß auf einem Regal, ungefähr in Kopfhöhe, und ließ die Beine baumeln.

»Du solltest dich zusammennehmen, Irma.« Er reckte seine imposanten 11,21 Zentimeter Körpergröße. »Allein mit seligen Träumen werden wir nie die gewünschten Ergebnisse erzielen.«

Mhogena atmete Wasserstoff, verbunden mit Methan als Spurenelement. Und er atmete teilweise Ammoniak aus. Für menschliches Selbstverständnis war er demnach in der Tat ein Giftgasatmer – aber wie sah er seinerseits die Terraner? Für ihn war Sauerstoff ein toxisches Gas, das in hoher Konzentration tödlich wirkte und in geringen Spuren vermutlich einen ekelerregenden Beigeschmack verbreitete.

Die Freundschaft zwischen Maahks und Menschen war alt und von Höhen und Tiefen geprägt. Vor langer Zeit hatten sie sich noch erbittert bekämpft, obwohl beide Völker grundverschiedene Lebensräume bewohnten.

Mhogenas Volk stammte von den Maahks ab, hatte sich aber schon in den Kriegswirren vor fünfzigtausend Jahren losgelöst. Mit seinen 2,32 Metern Körpergröße und einer Schulterbreite von 1,32 Metern wirkte der Gharrer nicht ganz so wuchtig und imposant wie seine Verwandten aus Andromeda. Kurze, kräftige Beine, lange Tentakelarme und vor allem der sichelförmige, halslose Kopf mit den vier Augen bestimmten die äußere Erscheinung.

Faszination und Bedrohung zugleich strahlten von ihm aus. Zweifellos hing das auch mit seinem Status als Fünfter Bote von Thoregon zusammen, wenngleich Irma damit wenig Greifbares zu verbinden wusste.

Thoregon – das war und blieb etwas Abstraktes, zu weit entfernt von der Erde, als dass der Durchschnittsterraner sich damit hätte identifizieren können. Ein Bündnis für den Frieden, so interpretierte Irma die Mitteilung des Helioten, der vor ziemlich genau einem Jahr im Sonnensystem erschienen war und davon gesprochen hatte, die Menschheit sei das sechste Thoregon-Volk.

Seither meldeten sich immer wieder Zweifel, ob es richtig war, ein solches Geschehen einfach hinzunehmen.