Cover

STUDIEN ZUR MUSIKWISSENSCHAFT
BAND 59

STUDIEN ZUR
MUSIKWISSENSCHAFT

BEIHEFTE DER DENKMÄLER
DER
TONKUNST IN ÖSTERREICH

Unter Leitung
von

MARTIN EYBL
und
ELISABETH TH. HILSCHER

im Auftrag der DTÖ

NEUNUNDFÜNFZIGSTER BAND

HOLLITZER

INHALT

THEOPHIL ANTONICEK † (WIEN)
„Pigliar musici dall’ Italia“.
Ein Agent des Erzherzogs Leopold Wilhelm auf der Suche nach italienischen Musikern: Giacinto Cornacchioli

ERICH BENEDIKT (WIEN)
Ergänzungen zum Historischen Kirchenmusik-Archiv der Minoritenpfarre Wien-Alservorstadt

HELMUT KOWAR (WIEN)
„Mit der allervollkommensten Reinheit, Stärke und Präzision“.
Nachrichten zur Musik des mechanischen Trompeters von Johann Nepomuk Mälzel

KARIN MARTENSEN (DETMOLD)
Singen und Darstellen – Autorschaft und Macht auf der Bühne.
Über die Zusammenarbeit von Anna Bahr-Mildenburg und Richard Strauss bei dessen Elektra

Theophil Antonicek † (Wien)

„PIGLIAR MUSICI DALL’ ITALIA“

Ein Agent des Erzherzogs Leopold Wilhelm auf der Suche nach italienischen Musikern: Giacinto Cornacchioli

Giacinto Cornacchioli (circa 1590–1653)1 ist in der Musikgeschichte vor allem durch seine Oper Diana schernita (Rom 1629)2 bekannt. Er stammte aus einer „distinta e agiata famiglia“ in Ascoli Piceno und erhielt hier im Rahmen der Musikkapelle der Kathedrale seine erste musikalische Ausbildung. Mit 23 Jahren wurde er Domorganist und konnte sich als solcher einen gewissen Ruf erwerben. Wahrscheinlich wurde er noch in seiner Heimat zum Priester geweiht. Er kam dann zur Familie Barberini nach Rom. Baron Rodolfo von Hohen-Rechberg, in dessen Haus die erwähnte Oper aufgeführt wurde, dürfte ihm Beziehungen zu den Fürstenhöfen jenseits der Alpen vermittelt haben.3 1635 befand sich Cornacchioli in bayerischen Diensten in München als Hofkaplan, „Musicus“ und „Discantisteninformator“. Bald darauf muss er nach Wien gegangen sein. Im Februar 1651 kehrte er in seine Heimatstadt zurück und wurde hier zum Leiter der Kathedralkapelle bestellt. Das letzte Lebenszeugnis ist seine Unterschrift als Zeuge auf dem Testament Luigi Rossis vom 23. Februar 1653 in Rom.

Im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv befinden sich nun siebzehn Briefe Cornacchiolis aus der Zeit vom 2. August 1641 bis 6. Dezember 16424, aus denen hervorgeht, dass der Priesterkomponist sich zu dieser Zeit in Diensten Erzherzog Leopold Wilhelms befand. Sie sind an den Erzherzog selbst sowie an dessen Kämmerer Grafen Attimis [Attems] gerichtet. Der Inhalt der Briefe sind Berichte Cornacchiolis über seinen Aufenthalt in Italien, wo er im Auftrag des Erzherzogs weilte, um italienische Musiker für dessen Hofkapelle anzuwerben sowie Instrumente und Noten einzukaufen. Eine ähnliche Reise hatte er bereits im Jahre 1640 unternommen.5

Erzherzog Leopold Wilhelm (1614–1662)6, neben den Kaisern selbst der größte Kunstförderer des Kaiserhauses im Seicento, war der jüngere Sohn Kaiser Ferdinands II. und Bruder Ferdinands III. Er gehörte dem geistlichen Stand an, war seit seinem elften Lebensjahr Bischof von Passau und besaß daneben zeitweilig oder dauernd die Bischofsstühle von Straßburg, Bremen, Magdeburg, Halberstadt, Olmütz und Breslau. 1642 wurde er auch Hochmeister des Deutschen Ritterordens. Einen nicht unbedeutenden Teil seines Lebens nehmen seine militärischen Leistungen ein. 1639–1643 und 1645/1646 war er Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen im Dreißigjährigen Krieg. Auch als Statthalter König Philipps IV. in den spanischen Niederlanden (1647–1656) war er dauernd als Feldherr gegen Frankreich beschäftigt.

Große, kaum zu überschätzende Verdienste erwarb sich Leopold Wilhelm aber als Förderer von Kunst und Kultur, besonders auch der Musik. In seinen Diensten standen unter anderem Orazio Benevoli, Francesco Foggia, Antimo Liberati und Johann Caspar Kerll, dessen Studien er in großzügiger Weise förderte. In gelegentliche Verbindung mit ihm traten die beiden Klaviermeister Wolfgang Ebner7 und Johann Jakob Froberger8, ferner ist Leopold Wilhelm Widmungsträger von Giovanni Felice Sances’ Salmi a 8 voci concertati (Venedig 1643)9, Biagio Marinis Concerto terzo delle musiche da Camera op. 16 (Mailand 1649)10, des ersten Bandes von Athanasius Kirchers Musurgia universalis (Rom 1650)11, des Librettos der Uraufführung von Antonio Cestis Alessandro vincitore di se stesso (Venedig, Teatro SS. Giovanni e Paolo 1651)12 und von Johann Heinrich Schmelzers Sacro-profanus concentus musicus fidium aliorumque instrumentorum (Nürnberg 1662)13. Insgesamt lassen sich aus der Literatur gegen 80 Namen von Musikern feststellen, die in festen Diensten des Erzherzogs standen. Etwa zehn weitere kamen auf andere Art mit ihm in Berührung.

Als die Briefe Cornacchiolis geschrieben wurden, befand sich Erzherzog Leopold Wilhelm am Kriegsschauplatz.14 Zum Zeitpunkt des Todes des schwedischen Generals Johan Banér am 20. Mai 1641 befand er sich gerade, von Regensburg gekommen, in Wien, begab sich jedoch in diesen Tagen über Iglau und Prag auf den nördlichen Kriegsschauplatz. Ende Juni versuchten die Kaiserlichen, ihre letzte Bastion in Niedersachsen, Wolfenbüttel, zu entsetzen. Sie erlitten dabei am 29. Juni 1641 eine Niederlage gegen General Guebriant. Der bayerische General Wahl, Befehlshaber der Liga-Truppen, maß die Schuld daran dem Leopold Wilhelm beigegebenen kaiserlichen Generalissimus Fürsten Ottavio Piccolomini zu. Leopold Wilhelm dagegen, so meinte er, werde „ein solcher Kriegsheld werden, als in langer Zeit nit gewesen; dann Sie die Stuckkugeln ebensowenig achten, als wann eine Mucken vorüberfliegen thät“.15

In der folgenden Zeit wurde Leopold Wilhelm zunächst durch Versorgungsschwierigkeiten und drohende Meuterei in Aschersleben festgehalten. Er konnte dann aber doch ausrücken und eroberte Osterwick, Goslar, Liebenburg, Eschwege und Nordheim, während die Generäle Wahl und Piccolomini ihrerseits ähnliche Fortschritte machten. Nachdem Leopold Wilhelm auch noch Einbeck genommen hatte, kam er dem General Hatzfeld bei der Belagerung von Göttingen zu Hilfe. Diese verlief angesichts der Gegenwehr des Oberst Rosen für die Kaiserlichen eher verlustreich und wurde nach Schlechtwettereinbruch im Herbst aufgegeben. Leopold Wilhelm zog sich nach Halberstadt in die Winterquartiere zurück. Im Winterlager, während dessen Leopold Wilhelm durch Don Hannibal Gonzaga um Geld und Versorgung beim Kaiser einkam, muss Leopold Wilhelm einen Großteil der Briefe Cornacchiolis empfangen haben.

Die Erfolge der Kaiserlichen waren, wie es scheint, vor allem durch das Interregnum im schwedischen Oberkommando ermöglicht worden. Die deutschen Offiziere weigerten sich, unter Guebriant zu kämpfen und erzwangen sogar ein Rückzugsmanöver. Sie warteten auf den zum Nachfolger Banérs ernannten Lennart Torstensson (1603–1651), der sie allerdings deswegen in eine Untersuchung zog. Torstensson kam am 14. Oktober 1641 nach Stralsund und schlug Winterquartiere in Celle auf. Indessen hatten die Braunschweiger, Lüneburger und Hessen gezwungenermaßen mit den Kaiserlichen in Goslar Friedensverhandlungen aufgenommen, diese aber ebenfalls bis Torstenssons Ankunft hinausgezogen.

Im Frühjahr 1642 begann Torstensson die Kampfhandlungen. Er vereinigte sich mit dem Reitergeneral Ställhandske und drang siegreich in das von Herzog Franz Albert von Sachsen-Lauenburg mit wenig Glück und schließlich dem Verlust des eigenen Lebens verteidigte Schlesien. Im Juni 1642 stand er sogar vor Olmütz, das am 14. Juni 1642, angeblich durch Verrat des dafür am 24. Juli 1644 in Wien hingerichteten Obersten Antonio Miniati, in die Hände der Schweden fiel. Torstensson marschierte, um seine Rückendeckung zu wahren, daraufhin wieder nach Schlesien und knüpfte unterdessen Verhandlungen mit dem Fürsten Georg Rákóczy von Siebenbürgen an. Im Juli rückte ihm Leopold Wilhelm nach. Angesichts der überlegenen Macht der Kaiserlichen löste Torstensson die begonnene Belagerung von Brieg auf und zog sich zurück. Im September erhielt er jedoch Sukkurs aus Schweden durch Wrangel und Königsmarck und brach, die Österreicher geschickt über seine Absichten täuschend, in Sachsen ein. Leopold Wilhelm, der mit der Belagerung von Großglogau beschäftigt war, hob diese auf und folgte ihm, von Kurfürst Johann Georg zu Hilfe gerufen. Torstensson, der mit 20.000 Mann vor Leipzig stand, zog sich scheinbar gegen Halle zurück, erwartete die nachdringenden Kaiserlichen jedoch in einer für ihn günstigen Schlachtposition bei Breitenfeld, schlug, ohne seinem Gegner Zeit zu völliger Aufstellung zu lassen, los und fügte ihm am 2. November 1642 eine vernichtende Niederlage bei. Der Erzherzog soll die durch die immer unverlässliche Reiterei ausgelöste wilde Flucht mit allen Mitteln, sogar mit Schlägen, aufzuhalten versucht haben und wurde schließlich mit sanfter Gewalt vom Schauplatz entfernt. „Er bedauerte nichts so sehr, als dass er bei den Ehrlichen, die gefallen, nicht auch sein Leben ließ.“16 Auch Piccolomini entkam nur wie durch ein Wunder. Das alleingelassene Fußvolk wurde fast aufgerieben, zahlreiche Gefangene, 46 Kanonen, die gesamte Munition, 116 Fahnen, 75 Standarten, dazu die Kanzleien und die persönliche Habe Piccolominis und des Erzherzogs, der „kein Hemd anzuziehen“ hatte, gerieten in schwedische Hand; eine Madonna von Dürer aus Leopold Wilhelms Besitz schenkte Torstensson seiner Frau.

Leopold Wilhelm führte im Feld auch einen stattlichen persönlichen Hofstaat mit sich. Mit unangebrachtem Neid – handelt es sich doch zweifellos um einen allgemeinen Brauch – vermerkt ein späterer Geschichtsschreiber: „Wie viel unnöthiges Gefolge der Erzherzog im Kriege bei sich hatte, zeigt die Liste der Gefangenen, unter welchen zwei Silberdiener, ein Kapellendiener, Falkenmeister und Thürhüter, ein Ziergärtner, Saalthürhüter u.s.w. aufgeführt sind.“17 Unter diesem „unnöthigen Gefolge“ befanden sich, und dies ist das für uns besonders Interessante, auch Musikanten. Aus einigen Briefen Kaiser Ferdinands III., in denen er sich offensichtlich auf vorausgegangene Berichte Leopold Wilhelms bezieht, erfährt man, dass sie bei Breitenfeld in Gefangenschaft gerieten:

„Umb die Musici ist mir wohl laidt und absunderlich umb den Verdina wegen seins weibs und khinder. Der Valentin hallt nichts darauf daß die Musici in khrieg zihen.“18 – „Die Verdinin hatt mich betten Ihres Mans liberation zu beferdern Ich recomendier es Euer Liebden auf das beste.“19 – „en Musicis wirdt das Wasser wol nicht länger ruh schenkhen Ich main der Torstensson werde hofflich sein und Sie heriber lassen.“20

Mit einiger Verzögerung wurde die Befreiung auch erreicht, allerdings, wie es scheint, gegen Lösegeld und nicht für alle auf einmal. Ein Akt bemerkt: „Wegen der gefangenen Musicanten von Ihr Erzhochfürst[lichen] D[urch]l[aucht] Ranzion: […] Sol vermöge eineß von den Obristen Pucklaß fürgezeigten Reverß von Herrn Capellmeister 1000 R[eichs]th[a]l[er] sich erstrecken.“21 Namentlich werden die Musiker in dieser Gefangenenliste nicht angeführt, offenbar weil sie nicht zum Heer gehörten.22 Am 11. November wurde den Schweden eine Liste übergeben, in der neben Leopold Wilhelms schmerzlich vermisstem23 Leibarzt Joachim Kumpertus „2 Musicanten Jungen“ aufscheinen.24 Kaiserinwitwe Eleonore Gonzaga bezieht sich wahrscheinlich auf diese Vorgänge in einem in Wien geschriebenen Brief an Leopold Wilhelm vom 27. Dezember 1642: „mi rallegro che li musici siano ritornati, il mio Pietro e ancor lui guarito et il Rodomonte e di già partito del servitio potrebbe ben essere che ritornasse fra qualche tempo.“25 Pietro Verdina, der kaiserliche Vizekapellmeister, dessen Rückkehr hier die Kaiserin begrüßt, sollte sich seiner Freiheit mit seiner Familie nicht lange freuen. Er starb bereits im Juli 1643. Der Kaiser bemerkte zu Leopold Wilhelm: „umb den Verdina ist mir wol laid wir haben alle beide in suo genere wol ein gueten diener verlohren.“26

Nach der Katastrophe von Breitenfeld hielt sich Leopold Wilhelm an verschiedenen Orten Böhmens auf, so am 10. November 1642 wahrscheinlich in Rakonitz, am 14. November in Prag, am 13. Dezember bei Pilsen und am 20. Dezember in Tepl. An einem dieser Orte wird er wohl Cornacchiolis letzten Brief vom 6. Dezember 1642 erhalten haben.

Die Niederlage hatte trotz Kaiser Ferdinands echt habsburgischer Versicherung, dass sie „nuhnmehr ein geschehene sach“ sei27, nicht nur ein grausames Strafgericht über das angeblich hauptschuldige Regiment Madlot zur Folge – es wurde getilgt, seine Standarten zerbrochen und die Offiziere sowie vom Wachtmeister abwärts jeder zehnte Mann hingerichtet –, sondern im weiteren auch den Abschied Leopold Wilhelms und Piccolominis. Es geschah dies vor allem auf Betreiben des führenden österreichischen Diplomaten der Zeit, des Obersthofmeisters Maximilian Graf von und zu Trauttmansdorff-Weinsberg, der die seit Weihnachten 1641 in Gang befindlichen Verhandlungen in Münster und Osnabrück führte. Das Kommando übernahm mit 22. März 1643 Graf Matthias Gallas. Piccolomini ging in spanische Dienste, Leopold Wilhelm, der ohnedies in seinem Misserfolg eine Strafe des Himmels für die Vernachlässigung seines geistlichen Berufes gesehen hatte, zog sich auf sein Bistum Passau zurück. 1645 wurde er abermals neben Gallas, später neben Hatzfeld auf das Oberkommando geholt, legte es jedoch 1646 endgültig zurück.

Der zweite Adressat der Rapporte Cornacchiolis war Maximilian Freiherr, seit 1630 Graf von Attimis (Attems, † 1665).28 Er war der jüngste Sohn aus der 1588 geschlossenen Ehe des Freiherrn Hermann IV. von Attems (1564–1611) und der Ursula Freiin von Breuner, hatte den Titel eines Kämmerers des Königs, dann des Kaisers Ferdinand III. Im Hofstaat Leopold Wilhelms hatte er das Amt eines geheimen Rates und Kämmerers, zugleich war er königlicher Rat beim Gouvernement in Brüssel. Seine dort geschlossene Ehe mit Ursula de Gersenc Freiin von Schallart blieb kinderlos. Leopold Wilhelm bedachte ihn in seinem Testament für seine treuen Dienste mit 60.000 fl. Bereits drei Jahre nach seinem Herrn starb auch Attimis in Wien und wurde in der Augustinerkirche begraben. Für seine künstlerischen Interessen zeugt es, dass er aus Brüssel 25 Ballen mit „Tapezereien“ und einen prächtigen Schreibkasten mitbrachte.29 Attimis scheint sich während Leopold Wilhelms Feldzügen in Wien aufgehalten zu haben.

DIE BRIEFE30

1.

An Leopold Wilhelm, Venedig 2. August 1641, fol. 8r–v.

Serenissimo Principe Signore Clementissimo

Affinche il mio servitio sia totalmente uniforme al gusto dell’Altezza Vostra Serenissima è necessario ch’io dependa da un ordine preciso, circa il tempo, nel quale dovrò stabilire la levata di tutti quelli virtuosi che dovrò condurre al servitio di Vostra Altezza Serenissima, sin qui ne conservo sotto parola alcuni con esattissima secretezza per esser in questa Città di non mediocre sospetto e risico, il levar musici principali, e protetti. Al primo arrivo ch’io qui feci, ogn’un credeva che dovessi spogliar San Marco di Musici, e questo per lettere scritte da alcuni musici di Sua Maestà Cesarea, ma col mezo del valore del Croatino universalmente acclamato, e accarezzato, m’è giovato dar à credere essere io in Italia per approfittar il giovanetto con benigna licenza però del Altezza Vostra Serenissima nel tempo della sua absenza. Tengo ordinaria corrispondenza cogl’amici si di Roma, come di Napoli di dove à suo tempo leverò quelle miglior parti, che saranno più al proposito, e frà tanto qui in Venetia starò attendendo li benignissimi ordini di Vostra Altezza Serenissima alla quale col Croatino genuflesso fò devotissima et humilissima reverenza pregando quotidianamente il Signore Iddio per il gloriosissimo e felicissimo ritorno di Vostra Altezza Serenissima. Venetia 2 Agosto 1641

Di Vostra Altezza Serenissima

humilissimo e devotissimo Servitore
Giacinto Cornacchioli

Cornacchioli bittet um Anweisung, wann er mit den von ihm engagierten Musikern abreisen solle. In Venedig müsse er sehr vorsichtig vorgehen, man verdächtige ihn, San Marco von Musikern zu entkleiden. Dahinter stecken Briefe von Musikern der kaiserlichen Kapelle. Mit Hilfe des „Croatino“ (offensichtlich ein junger Kroate, den Cornacchioli mit sich führte) sei es ihm gelungen, den Glauben zu erwecken, dass der „giovanetto“ (junge Mann) in seiner Begleitung von Italien profitieren wolle. Cornacchioli stehe in ständiger Korrespondenz mit Freunden in Rom und Neapel, von wo er gute Musiker mitbringen wird.

Aus einem Verzeichnis der Korrespondenz Erzherzog Leopold Wilhelms von 164131 geht hervor, dass diesem Brief Cornacchiolis einer vom 13. Juli 1641 vorausging: „Julius N. 34 schreiben von D. Giacinto Cornacchioli di dato Venetia von 13. Julij 1641. etliche guete musicos sonderlich einen gueten organisten betr.“ Auch die beiden hier wiedergegebenen Briefe dieses Jahres (Nr. 1 vom 2. August 1641 und Nr. 3 vom 8. August 1641) sind dort verzeichnet.

Es wirft ein interessantes Licht auf die Verhältnisse am Musikmarkt, zu sehen, mit welchen Schwierigkeiten Cornacchioli bei der Ausführung seiner Aufträge zu kämpfen hatte. Dass die Venezianer ihre repräsentativen Künstler nur ungern ziehen ließen, ist begreiflich. Hat doch gerade Venedig über seinen Besitz an kulturellem Gut immer besonders eifersüchtig und mit berechtigtem Stolz gewacht, wie die Anekdote vom Verkauf der heute im Museo Archeologico befindlichen Kolossalstatue des vermeintlichen Marcus Agrippa zeigt, welchen ihr ehemaliger Besitzer, ein Grimani, rückgängig machen musste, nachdem ein Abgesandter der Republik vor der Statue erschienen war und dieser, aber auch Grimani selbst gute Reise gewünscht und diesem damit die Verbannung angedroht hatte.32 Cornacchioli mochte vielleicht ähnliche Repressalien befürchten, denn als er mit den inzwischen engagierten Musikern im März 1642 aus Venedig fortreisen wollte, mussten sich diese verborgen halten und heimlich bei Nacht abreisen.33 Noch dazu dürften sich Angehörige der kaiserlichen Hofmusikkapelle in Wien dieser Sachlage bedient haben, um gegen Cornacchioli und sein Unternehmen zu intrigieren. Zwischen den Musikern des Kaisers und jenen der übrigen Hofkapellen (also jenen der Kaiserinnen und Erzherzoge) dürfte eine traditionelle Feindschaft bestanden haben; Cornacchioli macht noch öfter Andeutungen in dieser Richtung (meist spricht er abfällig von „altri musici“).

Aber nicht nur die Venezianer, sondern auch andere Regierungen sahen Cornacchiolis Werbetätigkeit mit „occhio bieco“. Don Giacinto hatte oder befürchtete Schwierigkeiten mit dem Vizekönig von Neapel (Briefe Nr. 6, 9, 14), mit der päpstlichen Kapelle (Nr. 2) und einem gleich ihm in Italien tätigen Agenten des Kardinal-Infanten Ferdinand von Toledo, damaligem Regenten der Niederlande (Nr. 4).

Mit wenigen Ausnahmen nennt Cornacchioli in seinen Berichten niemals die Namen der von ihm ins Auge gefassten Musiker. Dies geschah wahrscheinlich aus Vorsicht, wenn die Briefe in unrechte Hände gelangt wären. Gleich hier im ersten Brief verhält sich das so mit dem „Croatino“, was wohl die Nationalität des Betroffenen bezeichnet. Dieser junge Mann, der wohl schon mit Cornacchioli nach Italien gekommen war, war Sänger in Diensten des Erzherzogs. Unter den bekannten Namen aus den Kapell-Listen Leopold Wilhelms käme wohl nur Georg Ostresio (Ostresi, Ostreccio) in Frage, dessen merkwürdige Namensform kaum die ursprüngliche ist und vielleicht die italianisierte Form eines kroatischen Namens darstellt. Ostresio ist 1645/46, 1647/52, 1651 und 1655 als Sopranist der erzherzoglichen Kapelle in Wien und Brüssel nachweisbar und befand sich 1657–1659 in kaiserlichen Diensten.34

2.

An Graf Attimis, Venedig 2. August 1641, fol. 26r–v.

Illustrissimo Signore mio Padron Colendissimo

Io non posso se non replicare lettere à Vostra Signoria Illustrissima sin tanto che non otterò qualche benigna risposta, però, come hò fatto nell’altre humilmente la supplico, ad honorarmi di qualche preciso ordine dal Serenissimo Padrone circa al tempo nel quale io dovrò stabilire la parola ferma con questi 4 virtuosi, che conservo per il servitio di Sua Altezza. à 2 di questi hò prefisso il tempo di 6 mesi, e ciò hò fatto per non perderli sendo richiesti da altri Principi con non mediocre provisione e promessogli 50 tallari il mese di provisione ferma col solito viaggio e regalo, sono soggetti meritevoli, e daran gusto; non m’estendo in raccontargli le loro qualità perchè con altre mie n’hò dato più piena informatione a Vostra Signoria Illustrissima. Tengo anche qui appresso di me un Organista, che ad ogni modo era risoluto andare al servitio ò del Cardinale Sacchettti ò del Gran Duca di Toscana, ma io col mezo dell’Eccellentissimo Ambasciador Rabatta hò fatto tanto che l’hò fermato per Sua Altezza Serenissima con provisione delli medemi 50 tallari il mese come li 2 sopraccennati, con patto però di tenerlo à mie spese per tutto il tempo che resterà senza provisione sino alli 6 mesi ch’io penso poter restar in Italia. quest’è un soggetto che per le sue virtù è degno d’ogni maggior provisione. perche oltre l’esser Organista di gran valore suona di Tiorba ad ogni paragone e di più in Compositione è tanto valente, che tanto io non harei creduto se non havessi sentito le sue opere si di camera come di Chiesa. è poi giovane di 24 anni ma di Costumi tanti modesti che per Sua Altezza Serenissima non potevo mai trovar un par suo. Come anche nell’altre gl’hò accennato, oltre le 4 parti che qui tengo in parola ve ne sono dell’altre tanto in Roma come in Napoli quali à suo tempo saranno da me fermate, che però m’è necessario sapere io tempo preciso affinche possa andar a la volta loro, a restar d’accordo si del tempo che dovrà corrergli il soldo come pattuire la provisione mensuale. Havevo relatione d’un Basso che si ritrova in Napoli esquisito se haverò l’ordine ch’io dessidero dal Serenissimo Padrone son sicuro che non me lo lascierò uscir dalle mani, ma se lui arriverà prima a Roma dubito che lo metteranno in Cappella del Papa havendo già li musici del Papa mandato un editto per tutta l’Italia come à mezo ottobre si farà concorso de Bassi per la Cappella che ne tiene presto bisogno. per curiosità qui sotto gli ne scrivo la Copia dell’editto che viene mandato da Roma per tutto. Finisco per non piu tediarla col reiterare l’instanze di tal ordine acciò possa stabilire il mio servitio e fra tanto raccomandomi alla sua solita protettione le vivo col Croatino più che mai devotissimo Servitore. Venetia 2 Agosto 1641

Di Vostra Signoria Illustrissima

Devotissimo et fedele Servitore

Giacinto Cornacchioli

Editto

Il Maestro di Cappella e Colleggio de Cantori di Nostro Signore fà intendere che per ordine di Sua Santità s’hà da fare il Concorso d’un Basso in Cappella; però chi intende concorrere si faccia scrivere al Signore Cavaliere Loreto Vittori al presente Maestro di Cappella, et il detto Concorso si farà alli 28 del mese d’ottobre 1641

Cum sigillo

In Roma nella stamperia della Real Camera Apostolica 1641.

Auch Attimis bittet er um Anweisung bezüglich seines Abreisetermins, damit er mit den vier Musikern, die er für den Dienst Leopold Wilhelms engagiert habe, abschließen könne. Es gebe auch Angebote von anderen Fürsten mit erheblicher Besoldung und wie gewohnt Reisegeld und ein Geschenk. Er habe einen Organisten bei sich, der zugleich Theorbe spiele und ein guter Komponist sei. Auch in Rom und Neapel habe er Musiker an der Hand, mit denen er zum gegebenen Zeitpunkt abschließen werde. In Neapel habe er einen ausgezeichneten Bassisten, bei dem jedoch die Konkurrenz der päpstlichen Kapelle zu fürchten sei, die eine Bassstelle ausgeschrieben habe.

Die Briefe an Graf Attimis zeigen einen wesentlich anderen Ton als die an den Erzherzog. Dies hat seine Ursache nicht nur im Standesunterschied, sondern auch in persönlichen Differenzen. Attimis hegte, in einigen Punkten vielleicht nicht unbegründete Zweifel an Cornacchiolis Absichten, ging jedoch in seinen Verdächtigungen viel zu weit und dürfte durch hinhaltende Geschäftsführung sowie wohl auch persönliche Einflussnahme auf den Erzherzog Cornacchiolis Unternehmen behindert haben.

Von dem hier erwähnten Organisten wie auch von den übrigen Musikern hatte Don Giacinto offensichtlich schon in seinem oben erwähnten verloren gegangenen Schreiben an den Erzherzog und wohl auch an Attimis Genaueres berichtet. Die hier gemachten Angaben setzen vorläufig nicht in die Lage, die Person dieses Organisten zu bestimmen, da von den aus späteren Jahren bekannten Organisten Leopold Wilhelms keiner in Frage kommt.35 Die Altersangabe und sein tatsächliches Wirken in der erzherzoglichen Kapelle lassen an Antimo Liberati denken.36 Die im nächsten Brief vom selben Tag auftretende Bezeichnung „Romano“ trifft zwar nicht zu, doch muss diese Herkunftsangabe nicht unbedingt auf den Geburtsort zu beziehen sein.

Bei dieser Gelegenheit sei darauf aufmerksam gemacht, dass gerade aus dieser Zeit das nach den bisherigen Forschungen früheste Dokument über Leopold Wilhelms bedeutendsten Organisten stammt, nämlich den damals vierzehnjährigen Johann Kaspar Kerll. In dem erwähnten Korrespondenzprotokoll von 1641 heißt es: „Augustus N. 37 schreiben von Valentini khay. Capelmaisteren des Caspars Kerl compositiones betr. de dato Wien von 28. Aug. 1641.“37 Dies spricht sehr für die Angabe Walthers38, dass Kerll auf Veranlassung Leopold Wilhelms von Giovanni Valentini unterrichtet worden ist. Bemerkenswert auch, dass wir dadurch Kunde von der Kompositionstätigkeit Kerlls im Knabenalter erhalten, und doppelt schade, dass wir von dem Schreiben Valentinis nicht mehr als diesen Vermerk besitzen.

Der Florentiner Kardinal Giulio Sacchetti (1597–1663) war zu dieser Zeit Präfekt der Congregazioni dell’immunità de’ Riti, del Concilio und della Segnatura; den Purpur trug er seit 1626.39 Großherzog der Toscana war damals Ferdinando II. (1621–1670).

Der von Cornacchioli erwähnte Bassist in Neapel ist der berühmte Francesco Falconio (1598–1679)40, der von 1629 bis an seinen Tod in der Real Cappella zu Neapel diente. Das Engagement sollte schließlich am Einspruch des Vizekönigs scheitern.

Bei den „talleri“ handelt es sich wohl um den Reichstaler von 1566 zu 68 oder 72 Kreuzern.41

3.

An Leopold Wilhelm, Venedig 8. August 1641, fol. 10r–v.

Serenissimo Principe Signore Colendissimo

Doppo esser io dimorato qui in Venetia circa un mese, e mezo, e fermato con meza parola quattro virtuosi, cio è un Tenore, un Contralto, un Discantista Castrato, et il mio bravo organista, come nell’altre mie passate humilmente hò partecipato à Vostra Altezza Serenissima ora mi son risoluto alla fine del presente mese, partire verso la Toscana, et ivi sentire qualche virtuoso se vi sarà, poi passarmene à Roma, dove sono aspettatissimo dal Padre Gerolamo della Chiesa Nova, e seco maturamente stabilire circa il Carissimi et altre parti che saranno al proposito. e perche hò qualche fedele relatione, che in Napoli vi siano alcune parti insigni, per non esser prevenuto, si dalla Cappella del Papa, come da altri Principi, che cercano musici boni, mi trasferirò con prestezza à quella volta, dove spero compire il numero prefisso de primi virtuosi che si ritrovino per il servitio di Vostra Altezza Serenissima. Tengo spesse lettere da quel Basso di Milano quale trattengo in cerimonie per fermarlo allora, che non havrò trovato altro miglior di lui, et in simil maniera ne nutrisco de gl’altri che pretendono. Per tutti questi viaggi condurrò in mia compagnia questo Giovane organista, il quale come Romano e pratichissimo anche in Napoli, mi sarà di molto profitto nella cognitione, e nell’elettione di qualche virtuoso insigne, essendo egli in quelle parti notissimo, come virtuoso inferiore à null’altro suo pari si in Organo, come in Tiorba, Chitarra, Spinetta, et in compositione à mio giuditio al paragone de primi e più leggiardi Compositori che vivano, di maniera tale che quando Vostra Altezza Serenissima potesse sentire la dolcezza e bizzaria delle sue opere forse per qualche tempo si compiacerebbe tener sospesa l’elettione d’altro Maestro di Cappella; ciò m’è parso con dovuta reverenza significare à Vostra Altezza Serenissima affinche resti informata delle qualità di questo soggetto non già per rimoverla dal ordine prescrittomi di condurre il Carissimi, il quale sarà da me con dovuta fedeltà puntualmente eseguito, cosi permetta il Signore Iddio gloriosissimo e felicissimo il presto ritorno di Vostra Altezza Serenissima, come io m’assicuro di condurre riverente al suo real servitio una Corona de primi virtuosi musici d’Italia. Il Croatino di Vostra Altezza Serenissima lascia in Venetia ripieni tutti i cuori di questa nobiltà del suo valore, e realmente si approffitta fuor d’ogni aspettatione l’uno, e l’altro genuflessi facciamo humilissima reverenza à Vostra Altezza Serenissima à cui auguriamo perfettissima salute e trionfante ritorno. Venetia 8 Agosto 1641

Di Vostra Altezza Serenissima

humilissimo e devotissimo servitore
Giacinto Cornacchioli

Nach eineinhalb Monaten in Venedig, während deren er einen Tenor, einen Altisten, einen Soprankastraten und einen Organisten engagiert habe, wolle er jetzt in die Toskana und nach Rom reisen. In Rom werde er von P. Gerolamo erwartet, der mit ihm wegen Carissimi und anderen abschließen wolle. Auch nach Neapel werde er gehen, um dort die vorgesehene Zahl erstklassiger Musiker voll zu machen. Er sei auch in ständiger Verbindung mit dem Bassisten aus Mailand. Der junge Organist begleite ihn auf seinen Reisen.

Die Bemühungen des Wiener Hofes um Giacomo Carissimi (1605–1674) sind schon durch Giuseppe Ottavio Pitoni bekannt: „Fù richiesto al servitio dell’Imperatore ma egli ricusò con somma modestia.“42 Dass es vor allem (vielleicht überhaupt allein) Erzherzog Leopold Wilhelm war, der 1647 äußerste Anstrengungen zur Gewinnung Carissimis für seine Brüsseler Kapelle unternahm, hat J. Loschelder 1940 anhand von Dokumenten dargestellt.43