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Butler Parker
– 101 –

Der Sex Report

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74090-836-2

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Günter Dönges

Parker und der Sex-Report

Butler Parker wurde ganz offensichtlich abgelenkt. Er stand in würdevoller Haltung neben seinem hochbeinigen Wagen und übersah das Näherkommen von Lady Agatha Simpson. Sie wurde von ihrer äußerst attraktiven, jungen Gesellschafterin begleitet, die wie ein scheues Reh folgte. Kathy Porter winkte in Richtung Parker um auf Lady Agatha aufmerksam zu machen, doch der Butler reagierte nicht.

Was menschlich verständlich war.

Vom Parkplatz aus konnte der Butler bequem über eine hohe Taxushecke ein Grundstück beobachten, das seltsame Reize bot. Diese Reize versprühte eine junge Frau, die entfernt an ein amerikanisches Sexidol der 50er Jahre erinnerte. Eine gelungene Kopie der Marilyn Monroe stand am Rand eines überdachten Swimming-pools vor einer Staffelei und betätigte sich als Malerin. Was sie so an Ölfarben auf die Leinwand strich und spachtelte, interessierte den Butler nur sehr wenig. Seine Blicke wurden von den ausgeprägten Körperlinien dieser Frau angezogen, die etwa 25 Jahre zählte.

Sie trug ungemein knappe Shorts, die an sich schon eine einzige Herausforderung darstellten. Ihre langen, schlanken Beine endeten in hochhackigen Sandalen. Die aggressive Wucht ihrer Oberweite steckte in einer augenscheinlich hauchdünnen Bluse, die deutlich zeigte, daß die junge Dame auf Stützen jeder Art bewußt verzichtete. Das Haar war schulterlang und honigblond.

Nicht nur Parker war beeindruckt.

Es gab da auf dem Parkplatz eine Reihe von Männern aller Altersklassen, die völlig vergaßen, daß sie eigentlich in ihre Wagen steigen wollten. Diese Männer sahen verstohlen oder offen hinüber auf das Grundstück und auf die Malerin, die sich wohl nicht bewußt war, wie sehr sie die Räumung des Parkplatzes verzögerte.

Der Parkplatz gehörte zu den Tennisanlagen von Kew Gardens, westlich von London, an der Themse gelegen. Das Match einiger lokaler Vereine war vor zehn Minuten beendet worden. Der Andrang auf dem Parkplatz war dementsprechend massiv.

Der überdachte Swimming-pool gehörte zu einem kleinen Landsitz, der von weiten, gepflegten Rasenflächen und Baumgruppen umgeben wurde. Dieser Swimming-pool mit den zum Garten hin geöffneten Glastüren fügte sich gerade noch in das ansonsten seriöse Gesamtbild ein.

»Ich werde für Sie den ›Playboy‹ abonnieren«, ließ Agatha Simpson sich ironisch vernehmen. Sie stand inzwischen seitlich hinter ihrem Butler und beobachtete ebenfalls die Künstlerin.

»Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Parker ein wenig irritiert, »ich muß Mylady übersehen haben.«

»Kunststück!« Agatha Simpson lachte ein wenig anzüglich. »Damit kann ich natürlich nicht konkurrieren.«

Was vollkommen stimmte.

Lady Agatha Simpson war etwa 60 Jahre alt, groß und erinnert an eine Bühnenheroine vergangener Theaterzeiten. Sie hatte ein volles Gesicht mit sehr vielen Lachfältchen um Mund und Augen, besaß eine Art Adlernase und ein energisches Kinn. Die dunklen Augen waren in steter Bewegung. Einer Lady Agatha entging kaum etwas von Interesse.

Sie trug ein an sich teures Jackenkleid, das allerdings zu groß und zu bequem war. Es hing faltenreich an ihr herunter und paßte auf den Punkt genau zu den großen, derb wirkenden Schuhen, die Lady Agatha bevorzugte.

»Reißen Sie sich von dieser Einladung los«, meinte Parkers Herrin und deutete mit ihrer Lorgnette hinüber auf das Grundstück. »Dieses Dämchen posiert etwas zu eindeutig.«

»Wie Mylady befehlen«, erwiderte der Butler und wandte sich zu seinem Wagen um.

Genau in diesem Augenblick fiel der Schuß!

*

Die Monroe-Kopie vor der Staffelei stieß einen entsetzten Schrei aus und rannte zur Terrasse des Hauses. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, rutschte aus und landete mit einem zweiten Aufschrei im spritzenden Wasser. Sie schien nicht besonders sportlich zu sein. Sie schlug wild um sich und paddelte an den Rand des Swimmingpools heran.

Die Staffelei war wie von einer unsichtbaren Riesenfaust zur Seite geschleudert worden und lag zusammengeknickt im Gras.

Lady Agatha, Parker und Kathy Porter erhoben sich aus ihrer Kniebeuge, die sie beim Aufpeitschen des Schusses automatisch eingenommen hatten.

»Sollte da irgendein Flegel auf mich geschossen haben?« fragte die Sechzigjährige ergrimmt.

»Keineswegs, Mylady«, gab der Butler zurück und wies mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Swimming-pool, aus dem die Monroe-Kopie gerade herauskletterte, um dann in langen Sätzen auf das Haus zuzulaufen.

»Das will ich mir auch ausgebeten haben«, stellte Agatha Simpson fest. »Kommen Sie, Mister Parker! Wir werden gebraucht.«

»Sind Mylady sicher?« fragte Parker zögernd.

»Es handelt sich doch offensichtlich um einen Mordversuch«, freute sich die alte Dame und sah ihren Butler unternehmungslustig an. »Sehen Sie sich das an!«

Der Schuß und die flüchtende Malerin hatten bei den männlichen Zuschauern auf dem Parkplatz erstaunliche Reaktionen ausgelöst. Die Mehrzahl der Betrachter befand sich noch in Deckung zwischen den abgestellten Wagen. Doch einige mutige Männer hasteten auf die Taxushecke zu, um der Monroe-Kopie ihre Hilfe anzubieten. Sie warfen sich auf und unter die Hecke und arbeiteten sich wütend durch dieses Hindernis.

»Worauf warten Sie noch, Mister Parker?« Lady Simpson setzte sich in Bewegung, aber sie hielt keineswegs auf die Taxushecke zu. Sie marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum angrenzenden Grundstück, das einen etwas verwilderten Eindruck machte. Damit bewies die passionierte Detektivin, daß sie die Lage durchaus richtig einschätzte. Der Schuß mußte von diesem Grundstück aus abgefeuert worden sein.

Parker folgte notgedrungen, wobei er mit Agatha Simpsons Gesellschafterin einen hilfesuchenden und ergebenen Blick wechselte.

Es war also wieder mal passiert.

Agatha Simpson war mit einem interessanten Fall konfrontiert worden. Sie würde nun nicht eher ruhen, bis dieser Fall geklärt war. Die resolute Dame sehnte sich nach Abwechslungen dieser Art. Und erstaunlicherweise kam sie immer wieder auf ihre Kosten.

»Einen Augenblick, bitte, Sir …« Agatha Simpson hatte den Parkplatz verlassen und rief jetzt einen jungen Mann an, der hinter dichtem Busch- und Strauchwerk rechts vom Parkplatz hervorkam. Er schleppte bezeichnenderweise einen Geigenkasten mit sich herum.

Der junge Mann war etwa 25 Jahre alt, schlank und mittelgroß. Er trug gepflegte, sportliche Kleidung und paßte durchaus in diese Gegend.

»Einen Moment, bitte!« Lady Simpsons Stimme klang bereits wesentlich schärfer. Sie war nicht gewillt, diesen Mann ziehen zu lassen. Unternehmungslustig funkelten ihre schwarzen Augen.

Der Geigenkasten!

Das war ein Indiz nach Myladys Geschmack.

Natürlich wußte sie aus Erfahrung, daß in solchen Behältern nicht ausschließlich Instrumente transportiert wurden, Kästen dieser Art enthielten recht oft Schußwaffen aller Art.

Der junge Mann reagierte noch immer nicht.

Er war allerdings etwas schneller geworden und hielt jetzt auf einen Hillman zu, der am Straßenrand vor dem Parkplatz abgestellt worden war.

»Warten Sie!« Lady Simpsons Stimme grollte. Sie blieb stehen und bemühte ihren Pompadour.

Es handelte sich um ein mit Straß und Perlen besticktes Handbeutelchen, wie es von älteren Damen gern benutzt wird, um Gegenstände persönlichster Art aufzubewahren. Myladys Pompadour war allerdings wesentlich größer als der Durchschnitt und schien mehr zu enthalten als nur einige Toilettenartikel.

Lady Agatha hielt die Schnüre des Pompadours in der rechten Hand und ließ ihn kreisen. Dann, mit einer leichten Verbeugung, ließ sie die Schnüre los und schickte den Handbeutel auf die Reise.

Agatha Simpsons. Geschicklichkeit war schon eine beachtenswerte Sache. Der Pompadour zischte nachdrücklich durch die Luft, überbrückte die fast 20 Meter und … klatschte dann gegen den Hinterkopf des Geigenspielers.

Der Musikus – falls er einer war – blieb sofort stehen.

Dann rutschte er allerdings im Zeitlupentempo in sich zusammen, wobei er den Geigenkasten, den er sich unter den Arm geklemmt hatte, verlor. Es staubte ein wenig, als der Mann auf dem Boden landete.

»Treffer!« stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Widmen wir uns diesem Subjekt, Mister Parker. Es befand sich nicht grundlos auf der Flucht.«

Parker beeilte sich, zu dem jungen Mann zu kommen.

Er wußte sehr gut, daß der Mann Hilfe brauchte. Parker kannte nämlich den Inhalt des Pompadours. In dem Handbeutel befand sich Myladys Glücksbringer: ein echtes Hufeisen von beachtlichem Gewicht.

Der junge Mann stöhnte leicht, als Parker sich über ihn beugte.

»Sie hatten einen Unfall?« erkundigte sich der Butler und nahm den Pompadour schnell an sich. Er ließ ihn unter seinem schwarzen Zweireiher verschwinden.

»Ohhh …« stöhnte der junge Mann.

»Nur eine kleine Beule, die allerdings noch wachsen wird«, beruhigte Parker den Getroffenen und richtete ihn vorsichtig auf. Dabei achtete er darauf, daß der junge Mann nicht mitbekam, wie Lady Agatha bereits ungeniert und ungemein erwartungsvoll den Geigenkasten öffnete.

Sie beugte sich über den nun geöffneten Behälter und nahm dann sehr langsam und etwas betroffen wieder den Kopf hoch. Anschließend präsentierte sie Parker den Inhalt des Kastens.

»Ohhh!« war Josuah Parkers einzige Reaktion.

Die Geige im Kasten war nicht zu übersehen. Lady Agatha schien ihren Pompadour auf den falschen Hinterkopf gewirbelt zu haben.

*

»Sie hätten mich warnen müssen«, raunzte Agatha Simpson ihren Butler an. »Sie wissen doch, daß ich manchmal ein wenig impulsiv bin.«

Parker saß am Steuer des Wagens, Agatha Simpson und Kathy Porter hatten im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen. Bei diesem Wagen handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach Parkers Wünschen frisiert und umgebaut worden war. Dieser Wagen war jetzt eine Trickkiste auf Rädern und zeichnete sich durch technische Raffinessen aller Art aus.

»Warum sagen Sie nichts?« wollte Lady Agatha wissen, als Parker beharrlich schwieg.

»Ich möchte Mylady nicht widersprechen«, sagte der Butler, »zudem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Träger des Geigenkastens sehr wohl eine Waffe mit sich führte …«

»Wie bitte?«

»Besagter junger Mann besaß eine Handfeuerwaffe, Mylady.«

»Und das sagen Sie mir erst jetzt? Wie finden Sie das, Kindchen? Das ist doch ein glatter Mißbrauch meines Vertrauens.«

Kathy Porter hütete sich, Stellung zu nehmen.

»Er hatte einen Revolver bei sich?« fragte Agatha Simpson eifrig.

»Eine Pistole. Eine Automatik vom Kaliber 9 Millimeter, um ganz genau zu sein, Mylady.«

»Und dann lassen Sie dieses verkommene Subjekt so einfach laufen, Mister Parker? Soll ich mich wundern oder ärgern?«

»Vielleicht sollten Mylady auf beide Möglichkeiten freiwillig verzichten«, schlug der Butler vor. »Ich war natürlich so frei, die Personalien des Musikanten festzustellen.«

»Und? Wie heißt dieses Individuum?«

»Es handelt sich um einen gewissen Marty Pearson, Mylady, wohnhaft in London. Wenn Mylady es wünschen, kann ich mit der vollständigen Adresse dienen.«

»Verschonen Sie mich mit diesen Einzelheiten«, grollte Agatha Simpson zurück. Sie wollte sich auf keinen Fall ablenken lassen. Und sie fragte auch nicht, auf welche Art und Weise Parker sich die Adresse verschafft hatte. Die Lady wußte inzwischen längst, daß ihr Butler eine Fingerfertigkeit besaß, die einen professionellen Taschendieb hätte erröten lassen.

»Könnte dieser Marty Pearson auf die Malerin geschossen haben?« fragte Kathy Porter.

»Keineswegs mit der Pistole«, gab der Butler zurück, »dazu war die Entfernung zu groß.«

»Hoffentlich sind wir bereits auf dem Weg nach London«, erkundigte sich Agatha Simpson grimmig. »Dieser Pearson wird mir Rede und Antwort stehen müssen.«

»Wie Mylady befehlen«, gab der Butler ungerührt und höflich zurück, »aber darf ich mich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?«

»Lenken Sie mich nur nicht ab, Mister Parker«, Agatha Simpsons Stimme ließ Mißtrauen erkennen. Sie hatte herausgefunden, daß ihr Butler in letzter Zeit alles tat, um Kriminalfällen aus dem Weg zu gehen. Was Mylady selbstverständlich nicht paßte.

»Man sollte sich vor dem Gespräch mit Mister Pearson mit der Malerin befassen«, redete der Butler inzwischen weiter. »Ohne Grund dürfte man nicht auf sie geschossen haben.«

»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?«

»Die junge Dame kann unmöglich die Besitzerin des Landsitzes sein, Mylady.«

»Natürlich nicht. Danach sah sie wirklich nicht aus. Ich werde mich darum kümmern, Mister Parker.«

»Vielen Dank, Mylady.«

»Zum Teufel mit Ihrer Höflichkeit«, entfuhr es der Sechzigjährigen, »sagen Sie mir lieber, warum wir uns den Tatort nicht angesehen haben.«

»Darf ich Mylady nachträglich an die Zahl jener Herren erinnern, die der jungen Künstlerin Hilfestellung anbieten wollten?«

»Dennoch … Vielleicht hätten wir eine heiße Spur entdeckt, Mister Parker.«

»Einzelheiten zur Tat können wir mit Sicherheit der Abendpresse entnehmen, Mylady.«

»Nun ja, Augen- und Ohrenzeugen gab’s ja genug«, pflichtete Lady Simpson ihrem Butler bei, »eigentlich überraschend, daß der Schütze sich ausgerechnet diese Zeit ausgesucht hat, finden Sie nicht auch? Auf dem Parkplatz wimmelt es geradezu von Leuten.«

»Eine Feststellung, Mylady, der man größte Aufmerksamkeit schenken sollte.«

»Aha!« Agatha Simpson wußte zwar nicht, worauf ihr Butler anspielte, aber sie hatte das deutliche Gefühl, einen wichtigen Beitrag geliefert zu haben. »Worauf wollen Sie hinaus, Mister Parker?«

»Mit einiger Phantasie, Mylady, könnte man den Eindruck haben, daß dieser Schuß bestellt gewesen war.«

»Natürlich«, erwiderte Lady Agatha schnell und ließ sich zufrieden zurücksinken. »Davon rede ich doch die ganze Zeit.«

»Gewiß, Mylady«, sagte Parker höflich. Er dachte nicht daran, Agatha Simpson zu widersprechen. Er war eben ein sehr höflicher Mensch.

*

»Zum Teufel, nein, ich weiß es nicht«, sagte Marty Pearson gereizt. Er befand sich in seiner kleinen Wohnung oberhalb einer Garage und telefonierte.

»Irgendwas knallte gegen meinen Hinterkopf. Und dann war Sense. Als ich wieder an Deck war, kümmerte sich so ’ne alte Tante samt Butler um mich.«

Pearson hörte einen Moment zu und verzog dabei sein Gesicht. Das, was er zu hören bekam, schien ihm nicht zu gefallen.

»Ich wiederhole noch mal«, meinte er schließlich. »Der Schuß auf die Sexbombe kam aus einem Gewehr. Eindeutig. In solchen Dingen kenne ich mich aus. Und daraufhin habe ich mich natürlich abgesetzt. Ist doch wohl klar. Und dann hatte ich den Hammer am Kopf. Fühlte sich an wie ein auskeilendes Pferd.«

Pearson zündete sich eine Zigarette an und hörte wieder zu. Er befand sich in gereizter Stimmung. Es paßte ihm gar nicht, daß er einem gewissen Rätsel gegenüberstand. Es paßte ihm nicht, daß man ihn auf geheimnisvolle Art und Weise von den Beinen gebracht hatte.

»Natürlich versuche ich es noch mal«, sagte er endlich, als die Gegenseite für einen Moment schwieg. »Ist ja schließlich egal, wer da geschossen hat. Hauptsache, die Sexbiene hat eine Warnung verpaßt bekommen. Wie? Natürlich werde ich mich um die alte Lady kümmern. Ich habe mir das Wagenkennzeichen gemerkt. Die spüre ich schnell auf. Okay. Ende!«