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Die New Yorker Modefotografin und Fototrainerin Lindsay Adler gehört zu den Top 10 ihrer Branche. Ihre Modestrecken erscheinen in zahlreichen Magazinen und Zeitschriften, darunter Marie Claire, InStyle, Noise Magazine, Zink Magazine, Elle, Rangefinder, Professional Photographer und viele andere mehr. Sie gehört zu den international nachgefragtesten Fototrainerinnen und Rednerinnen auf Branchenmessen und gibt Workshops online und offline rund um die Welt. Zu ihren Kooperationspartnern gehören Canon, Adobe und Microsoft.

Adler hat mit ihrem klaren, starken, fast grafisch anmutenden Stil Werbekampagnen, Designer-Lookbooks sowie Fotostrecken über Schmuck, Mode und professionelle Athleten geprägt. Sie ist bekannt für ihre Kreativität und Offenheit in der Zusammenarbeit mit Designern und Stylisten, um neue, noch nie gesehene Looks umzusetzen.

Als Autorin von inzwischen vier Büchern sucht sie immer nach neuen Wegen, um ihr Wissen über und ihre Leidenschaft für die Fotografie an andere weiterzugeben. Über die Online-Plattformen creativeLIVE und KelbyOne sowie über die großen Branchenmessen erreicht sie jedes Jahr Zehntausende von Zuhörern und Zuschauern.

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Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

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Lindsay Adler

Das Posing-Handbuch

Der Leitfaden für perfekte Porträts von Kopf bis Fuß

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Lindsay Adler

Übersetzung: Christian Alkemper, alkemper.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

ISBN:

1. Auflage 2018

Authorized translation of the English 1st edition of The Photographer’s Guide to Posing © 2017 by Lindsay Adler, ISBN: 978-1-681981-94-9. This translation is published and sold by permission of Rocky Nook, Inc., the owner of all rights to publish and sell the same.

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

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Ich widme dieses Buch all jenen, die mehr als nur einfach Bilder machen wollen.

Ich widme es Euch, die Ihr alles daran setzt, dass Eure Modelle möglichst gut aussehen, sich möglichst gut fühlen und Euer Shooting mit gestärktem Selbstwertgefühl verlassen.

Fotografie hat Kraft. Nehmt diese Kraft und gebt sie an andere weiter.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Posing und das Selbstvertrauen des Fotografen

 

Ihr Posingleitfaden

Ist Posing etwas Anrüchiges?

Was Sie wollen

image und image – schlecht und gut

Regeln wollen gebrochen sein

Schulen Sie Ihr Auge!

Weitere Ressourcen

1Wie Ihre Kamera die Welt sieht

 

Posing, Objektivauswahl. Perspektive. Und wie Ihre Kamera sieht

Eine Regel zur Perspektive, die alles ändert

Objektivauswahl und Brennweite

Perspektive und Pose: Das Arrangement des Körpers

Perspektive und Kamerawinkel

Das richtige Objektiv zur Überzeichnung des Kamerawinkels

Kamerawinkel und Körpergröße

Und warum ist das jetzt so wichtig?

2Posing des Gesichts

 

Anleitung geben

Spiegeln

Gesten

Verbale Anleitung

Die »schöne« Seite Ihres Modells

Kopfposition

Wichtige Aspekte bei Gesichtsporträts

Kinn und Kieferpartie

Augen

Schultern und Hals

Nase

Gesichtsmerkmale entspannen

Aus den Teilen wird ein Ganzes

3Fallstricke beim Posing

 

Schlechte Haltung

Problem: der Hals

Problem: der Bauch

Problem: geringere Größe

Die Lösung: Haltung zeigen!

Perspektivische Verkürzung

Problem: Der Arm weist Richtung Kamera

Die Lösung: Armstellung korrigieren

Problem: Ausrichtung des Körpers auf die Kamera

Die Lösung: Korrektur der Kameraparameter

Problem: Ausrichtung des Modells auf die Kamera

Die Lösung: Drehen des Modells

Verschmelzungen

Problem: Unförmigkeit durch seitlich angelegte Arme

Die Lösung: Negativen Raum schaffen

Die Lösung: In-Body-Posing

Die Lösung: Konturbildung mit den Armen

Problem: Verschmelzung durch formlose Kleidung

Die Lösung: Wechseln der Kleidung

Die Lösung: Korrektur der Gestik

Schlecht geposte Hände

Problem: Ablenkung durch die Hände: Weist die Innen- oder die Außenseite in Richtung Kamera?

Die Lösung: Zeigen Sie der Kamera den (kleinen) Finger

Problem: Anspannung

Die Lösung: Anspannungsfreie Hände

Problem: Bedecken des Kiefers

Die Lösung: Korrektur der Handposition

Problem: Gegen Gesicht oder Körper gepresste Hände

Die Lösung: Hände vorsichtig auflegen

Unpassende Mimik

Problem: ein angespanntes ernstes Gesicht

Die Lösung: Kopf und Lippen entspannen

Problem: gucken wie das Kaninchen vor der Schlange

Die Lösung: Gefühl und Ausdruck mit den Augen zum Vorschein bringen

Tipps und Tricks für den Gesichtsausdruck

Schulen Sie Ihr Auge!

410 Schritte auf dem Weg zum erfolgreichen Posing

 

10 Schritte auf dem Weg zum erfolgreichen Posing

Schritt 1:Grundpose auswählen

Schritt 2:Pose anpassen oder Winkel ändern, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperteile zu richten oder von ihnen abzulenken

Schritt 3:Auf Verkürzungen und Verschmelzungen prüfen

Schritt 4:Auf gute Handposition und Haltung achten

Schritt 5:Einen guten Gesichtsausdruck kreieren

Schritt 6:Drücken Sie auf den Auslöser!

Schritt 7:Hände, Ausdruck und Schulterhaltung des Modells variieren, um neue Posen zu erhalten

Schritt 8:Verschiedene Kamerawinkel, Kamerapositionen, Ausschnitte, Schärfentiefen und Objektive ausprobieren

Schritt 9:Und jetzt alles zusammen und von vorne!

Schritt 10:Bilder analysieren und aus gelungenen und misslungenen Aufnahmen lernen

5Posing von Frauen

 

Anleitung für das Frauen-Posing

Vorzüge betonen, Schwächen kaschieren

Beugen und Krümmen

Mit Asymmetrie und Ebenen Interesse wecken

Stimmungsvolles und dramatisches Posing

Mit Verengungspunkten Kurven bauen und die Taille betonen

Eine Standardpose

Bewegung

Wippender Schritt

Der Zeitlupenschritt

Die Aufziehbewegung

Der Ventilator

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Frauen

6Posing von Männern

 

Anleitung für das Männer-Posing

Strukturierte und standfeste Posen

Halt oder Requisite verwenden

Schultern definieren Breite

Hände und Füße brauchen Anweisungen!

Anleiten und Optimieren

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Männer

7Posing von Paaren

 

Anleitung für das Paar-Posing

Für romantische Aufnahmen viele Interaktionspunkte bilden

Spiegelbilder vermeiden – Asymmetrie schaffen

»Runden machen« und neue Posing-Ideen bekommen

Die vier Grundposen für die »Runden«

Mit Digits und Mimik Abwechslung schaffen

Änderungen hinter der Kamera

Wichtiger als die Menge: Qualität und Ausdruck

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Paare

8Posing von Molligen

 

Anleitung für das Kurven-Posing

Pose und Perspektive übertreiben

Kleidung sorgfältig auswählen

Die Taille definieren

Ein optisches Gleichgewicht erstellen

Ganz ohne geht es nicht: Bildausschnitt und Verengungspunkte

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Mollige

9Familienporträts

 

Anleitung für das Familien-Posing

Mit Dreiecken arbeiten

Eine ausgewogene Bildkomposition

Verbundenheit ausdrücken

Der Gesichtsausdruck

Denken Sie an die Perspektive

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Familienporträts

10Boudoir

 

Anleitung für das Boudoir-Posing

Beugen, Krümmen, Wölben

Stärken präsentieren, Schwächen herunterspielen

Das Auge streichelt mit

Kameraarbeit

So erreichen Sie Vielfalt beim Boudoir

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Boudoir

11Schwangerschaftsporträts

 

Empfehlungen für Schwangerschaftsporträts

Mit Dreiviertel- oder Vollprofil den Babybauch featuren

Vorderes Bein anwinkeln oder hochstellen

Konturbildung mit den Armen

Weiterhin gültig: die Regeln für Posing und Perspektive

Den Partner hinzunehmen – in unterstützenden und einrahmenden Posen

Schulen Sie Ihr Auge!

5 Standardposen für Schwangerschaftsporträts

12Der Wissenscheck – was haben Sie gelernt?

 

Checkliste für das Posing

Modell 1: Schlanke junge Frau

Modell 2: Mollige Frau

Modell 3: Familien

Modell 4: Paar

Modell 5: Mollige Frau

Schlusswort

Index

 

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Einleitung

Posing und das Selbstvertrauen des Fotografen

Manche Fotografen – vor allem diejenigen, die sich immer noch an den Grundlagen des Fotografierens abarbeiten – haben ein Problem damit, Menschen zu fotografieren. Leute, die nicht fotografieren, können sich gar nicht vorstellen, woran man alles denken muss. Beleuchtung, Blickwinkel, Belichtung, Fokus und viele andere technische Parameter wollen beachtet sein, bevor man überhaupt einmal dazu kommt, sich mit dem Modell auseinanderzusetzen. Und dann müssen wir nicht nur eine vorteilhafte Pose finden, sondern unser Modell auch noch dazu animieren, eine tolle Mimik hinzulegen. Was gar nicht so einfach ist, wenn unser Modell eigentlich gar keine Lust hat, fotografiert zu werden. Es gibt eine Menge Hindernisse, die überwunden werden müssen, bis das perfekte Porträt im Kasten ist. Aber: Je mehr man lernt, desto reibungsloser läuft eine solche Porträtsession ab.

Vielleicht kommen Sie sich jetzt gerade etwas überrollt vor, aber keine Sorge: Ich helfe Ihnen, die wesentlichen Elemente der Porträtfotografie in den Griff zu bekommen. In diesem Buch werde ich das Wissen zum Posing und zum Anleiten der unterschiedlichsten Modelle, das ich mir in über 15 Jahren als Profifotografin angeeignet habe, in vereinfachter Form mit Ihnen teilen. Heute arbeite ich als Modefotografin in New York, aber auch ich habe mal klein angefangen – in einem Porträtstudio, in dem ich gelernt habe, Modelle mit allen möglichen Körperformen vorteilhaft in Positur zu bringen. Die Bandbreite reicht von Schwangerschaftsfotografie (Abbildung 0–1) über Boudoir bis hin zu Hochzeiten – und da ist noch lange nicht Schluss.

Wenn es darum geht, Ihr Modell ins rechte Licht zu setzen, ist das Beherrschen des Posings ein wesentlicher Teil der Gleichung. Und dazu gibt es eine Menge zu lernen. Bricht Ihnen der Angstschweiß aus, sobald Sie ans Posing denken? Kenne ich, das ging mir auch mal so. In meiner Zeit als Porträtfotografin habe ich immer dieselben ein oder zwei Posen benutzt, denn ich wusste, dass ich damit ordentliche Ergebnisse erzielen würde. Nicht allein, dass ich mich nicht zu experimentieren traute – noch mehr Angst hatte ich davor, ganz unterschiedliche Figurtypen fotografieren zu müssen. Aber nach vielen Jahren, in denen ich gelernt und geübt habe, geht mir das Posing ebenso leicht von der Hand wie Belichtungseinstellung oder Bildkomposition. Dieses Wissen und dieses Selbstvertrauen möchte ich Ihnen in diesem Buch vermitteln.

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Abb. 0–1 Hier habe ich mithilfe der Pose, der Lage der Hand und des Stylings den Babybauch betont und gleichzeitig die Rundungen des Körpers zur Geltung gebracht. Bei manchen Porträtvarianten wie etwa der Schwangerschaftsfotografie sind bestimmte Aspekte zu beachten, mit denen Sie dafür sorgen können, dass Ihr Modell richtig gut aussieht.

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Abb. 0–2 Wenn Sie Selbstvertrauen ausstrahlen, wirkt das ansteckend. Es ist dieses Selbstvertrauen, das dafür sorgt, dass Ihre Modelle sich während der gesamten Session richtig gut fühlen. Unsicherheit auf Ihrer Seite schlägt sich oft in der Pose oder Mimik des Modells nieder. Bei dieser Aufnahme kann man die Selbstsicherheit des Modells hingegen fast mit Händen greifen.

Wie wichtig das Selbstvertrauen des Fotografen für das Posing eines Modells (Abbildung 0–2) ist, kann nicht genug betont werden. Wenn Sie Selbstvertrauen ausstrahlen, dann vertrauen Ihnen Ihre Kunden und die gesamte Session wird angenehm verlaufen. Wirken Sie hingegen unsicher, gehemmt oder unklar, wird sich das im Verhalten des Modells niederschlagen. Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, das grundlegende Selbstvertrauen aufzubauen, das notwendig ist, um beliebige Porträtmodelle erfolgreich zu posen.

Ihr Posingleitfaden

Mit diesem Buch möchte ich Sie in die Lage versetzen, jedes beliebige Modell ansprechend aussehen zu lassen. Wenn Sie das Buch gelesen und die beschriebenen Schritte in die Praxis umgesetzt haben, verfügen Sie über das notwendige Wissen und Selbstvertrauen, um das Beste aus jedem Menschen herauszuholen, der Ihnen vor das Objektiv kommt. Ich habe dieses Buch als unverzichtbare Kurzübersicht für alle Porträtfotografen und Fotoliebhaber konzipiert, die das Thema »Posing« beherrschen möchten.

Zu Beginn werden wir uns mit der Frage befassen, wie unsere Kamera »sieht« und wie sich folglich Kamerawinkel, Objektivauswahl, Perspektive und weitere Parameter auf die Darstellung des Modells auswirken. Auch eine eigentlich exzellente Pose des Modells kann fürchterlich aussehen, wenn Kamerawinkel oder Objektiv suboptimal ausgewählt wurden. Es ist wichtig zu verstehen, wie diese verschiedenen Komponenten ineinandergreifen. Deswegen steht am Anfang umfassendes Grundlagenwissen. Wir werden uns dem Posing-Basiswissen widmen, Posen behandeln, die Sie kennen müssen, besondere Aspekte beleuchten und Ihr Auge schulen, um bessere Posen und damit auch ansprechendere Ergebnisse zu erzielen.

Zudem werden wir die häufigsten Probleme und Fehler beschreiben, durch die eine ansonsten tolle Pose ruiniert werden kann. Wir werden uns darin üben, Problembereiche zu erkennen, bevor wir auf den Auslöser drücken, und lernen, wie Sie mithilfe subtiler Änderungen zu drastisch besseren Bildern kommen. Außerdem werde ich Ihnen Tipps für das Posing von Körper, Gesicht und Händen geben, damit Sie zu deutlich ansprechenderen Ergebnissen gelangen.

Im zweiten Teil des Buchs befassen wir uns dann ausführlich mit der Frage, wie Sie jedes Modell – und zwar wirklich jedes, von Männern, Frauen und Paaren bis hin zu ganzen Familien, von molligen Menschen über Boudoir bis zur Schwangerschaftsfotografie – toll aussehen lassen (Abbildung 0–3). Bei jedem Thema werden wir zunächst Grundregeln beschreiben und wertvolle Tipps geben, damit Ihnen das Posing noch besser und schneller gelingt. Danach gehen wir für jeden Modelltyp Schritt für Schritt effektive Posen durch, damit Sie sofort loslegen können. Verstehen Sie diese Posen als Ausgangspunkte bei Ihrer Vorbereitung auf eine Porträtsession. Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie Sie Posen und Kamerawinkel optimieren, um Ihr Modell noch besser aussehen zu lassen. Zudem werden wir erläutern, wie Sie ausgehend von ein paar wenigen Grundposen eine endlose Zahl von Variationen erstellen, damit nicht jedes Foto mehr oder weniger gleich aussieht und Sie auch unter Zeitdruck neue und aufregende Posen kreieren können.

Ich hoffe, dass Sie dieses Buch bei Ihrer Reise in die komplexe Welt des Posings und des Fotografierens unterschiedlichster Modelle als Referenzwerk nutzen werden. Gleichzeitig soll es Sie aber auch mit den Grundlagen des Posings vertraut machen und Ihnen so das Selbstvertrauen geben, das Sie brauchen, um überzeugende Porträts zu fotografieren.

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Abb. 0–3 Bei der Boudoirfotografie geht es ausschließlich darum, Kurven und Rundungen zu formen und ansprechend darzustellen. Wir werden verschiedene Techniken kennenlernen, durch die Kurven entstehen, darunter etwa die »Zuspitzung« (eine Pose, die sich ganz bewusst zum unteren Rand des Bilds hin verengt).

Ist Posing etwas Anrüchiges?

Manche meiner Modelle baten mich eindringlich darum, dass sie auf den Fotos nicht gestellt wirkten: Sie bestanden ganz bewusst auf Schnappschüssen. Ich habe mich jedoch gefragt, ob hier nicht ein Missverständnis vorliegt.

Für manche Modelle ist Posing etwas Unanständiges. Sie denken dabei an steife Körperhaltungen und eine Mimik, die Unbehagen ausdrückt. Schnappschüsse hingegen sind ungezwungene Bilder, die normalerweise gemacht werden, ohne dass sich der Fotografierte dessen bewusst ist. Die meisten Menschen verbinden mit diesem Begriff einen entspannten und natürlichen Ausdruck.

Allerdings werden Ihre Modelle eigentlich gar keine Schnappschüsse wollen: Ihnen geht es vielmehr darum, dass die gesamte Atmosphäre entspannt ist und das auch so auf den Fotos rüberkommt (Abbildung 0–4). Natürlich weckt das Wort »Posing« bestimmte Assoziationen, aber Sie können Ihre Modelle trotzdem dazu bringen, Körperhaltungen einzunehmen, die ihnen einfach gut stehen, und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Gesamteindruck der Aufnahme einfach großartig ist.

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Abb. 0–4 Zwar sieht das Modell auf dieser Aufnahme vollkommen natürlich aus, aber trotzdem ist das kein Schnappschuss. Ich habe Pose, Licht und Winkel so ausgewählt, dass das Modell zur Geltung kommt und eine träumerische Wirkung entsteht. Statt eine statische oder steife Körperhaltung zu posen, habe ich das Modell in seinen Bewegungen angeleitet und mit ihm interagiert, um einen authentischen Ausdruck zu erzielen.

Was Sie wollen

Ein weiteres Ziel dieses Buchs besteht darin zu vermitteln, wie Sie individuelle Stärken betonen und gleichzeitig von möglichen Schwächen ablenken. Jeder ist anders. Es gibt keine Pose, die in jeder Situation und bei jeder Person funktioniert. Wenn Sie jedoch verstanden haben, wie Ihre Kamera sieht, und die Grundlagen des Posings kennen, dann sind Sie in der Lage, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen, damit Ihr Modell optimal aussieht.

Grundsätzlich gilt: Jedes Modell, das vor Ihre Kamera tritt, ist ein schöner Mensch. Jedes einzelne! Ihre Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass Ihr Modell sich seiner Schönheit bewusst wird. Das Aufnehmen eines Porträts ist eine Erfahrung, bei der sich das Modell öffnen muss – und dies erfordert eine Menge Vertrauen. Sie müssen diese Schönheit erkennen und zeigen – und dazu alle Werkzeuge einsetzen, die Ihnen als Fotograf zur Verfügung stehen.

Standardposen und Anleitungen sind sicherlich eine gute Grundlage, aber mit Ihrem fotografischen Fachwissen können Sie mithilfe einiger Änderungen das Optimum aus Ihrem Modell herausholen. Wir beschreiben in diesem Buch Tools für Posing und Perspektive, mit denen Sie exakt festlegen können, wie Ihre Kamera das Modell darstellt (Abbildung 0–5).

Jeder kennt den Spruch: »Die Kamera macht dick.« Das ist Blödsinn. Es ist doch vielmehr so, dass die Kamera das Modell sogar schlanker machen kann, wenn man das denn will. Fakt ist: Sie müssen Ihr Equipment kennen und im Griff haben.

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Abb. 0–5 Dieses kurvenreiche Modell wollte frech rüberkommen und wünschte sich eine Aufnahme im Body. Licht, Pose und Mimik vereinen sich hier zu einem Ausdruck von Selbstvertrauen und Stärke.

image und image – schlecht und gut

Ich habe dieses Buch für Menschen geschrieben, die tagtäglich visuell arbeiten. Deswegen habe ich darauf geachtet, dass sich die Unterschiede zwischen »guten« und »schlechten« Posen möglichst auf den ersten Blick erfassen lassen. Als ich damit begann, Posen zu vergleichen, fand ich es immer wieder schwierig zu sagen, welche Pose besser aussieht. Aus diesem Grund habe ich, um Verwechslungen zu vermeiden, die Posen in diesem Buch gekennzeichnet: die schlechten mit einem roten »X«, die guten (bzw. optimierten) mit einem grünen Häkchen. Achten Sie auf diese Kennzeichnungen, um Ihr Auge zu schulen. Lesen Sie dann die zugehörigen Anmerkungen, um die Nuancen nachzuvollziehen.

Regeln wollen gebrochen sein

Wie überall in der Fotografie gibt es auch beim Posing Regeln, die dazu da sind, gebrochen zu werden. Ich werde Ihnen eine Menge Regeln zeigen, mit Hilfe derer Sie ein besseres Verständnis dafür entwickeln, wie Sie Ihr Modell am besten in Szene setzen. Diese Richtlinien sind zwar eine belastbare Grundlage, aber einschränken lassen sollten Sie sich von ihnen nicht (Abbildung 0–6).

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Abb. 0–6 Bei diesem Bild habe ich alle möglichen Posingregeln gebrochen: Es gibt keine Rundung, wir sehen das Modell im Vollprofil und seine Hände sind nach hinten geworfen, wobei die Handflächen zur Kamera weisen. Trotzdem hat das Bild die Anmutung von Wildheit und Freiheit – was genau das war, was wir wollten. Manchmal kann das Brechen von Regeln ein sehr wirksames Werkzeug für die visuelle Kommunikation sein.

Angenommen, Sie möchten ein Bild machen, das Schmerz oder Leiden ausdrückt. Ihr Modell kniet zusammengekauert, die Hände verkrampft in unbequemer Haltung. Ist das eine falsche Pose? Keineswegs. Hier wird lediglich die kreative Vision des Fotografen umgesetzt. Wenn dies genau das ist, was Sie wollen, dann haben Sie keine Scheu, dies auch so zu posen! Allerdings werden wir uns in diesem Buch vorwiegend auf das Posing für die traditionelle Porträtfotografie und auf Techniken konzentrieren, die das Modell besser zur Geltung bringen. Sie werden also zunächst die Regeln des Posings erlernen – und sie später immer dann brechen, wenn es angemessen ist.

Sie dürfen, wenn Sie sich mit diesen Regeln vertraut machen, auch die Mimik nicht vergessen. Eine Pose kann noch so elegant sein: Stimmt der Gesichtsausdruck nicht, ist das Foto ruiniert. Umgekehrt kann sich mancher Kunde für eine schreckliche Pose begeistern, solange die Mimik passt. Achten Sie darauf, dass Sie vor lauter Regeln nicht den Draht zu Ihrem Modell verlieren. Außerdem: Ein übermäßig gestelltes Bild muss auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Denken Sie daran, dass Sie für viele der hier präsentierten Posen auch ungestellte Varianten erschaffen können. Ich zeige Ihnen lediglich die Grundlagen und vermittle Ihnen die wichtigsten Aspekte: Nehmen Sie sich die Freiheit, Dinge zu kombinieren, und bleiben Sie spontan.

Schulen Sie Ihr Auge!

Am Ende jedes Kapitels finden Sie eine Übung, mit der Sie Ihr Wissen testen und Ihr Auge schulen können. Ich zeige Ihnen dort jeweils ein Foto, bei dem das Posing aus irgendeinem Grund problematisch ist. Das können allgemeine Fehler wie die Körperhaltung oder fehlender negativer Raum sein, aber auch Probleme, die für das abgebildete Modell insgesamt spezifisch sind. Ich möchte Sie einladen, sich diese Bilder genau anzusehen, die Problembereiche zu erkennen und Lösungen für deren Behebung zu formulieren (Abbildung 0–7).

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Abb. 0–7 Während diese Aufnahme ausgesprochen zufriedenstellend ausgefallen ist, gab es bei der Session auch andere Bilder, auf denen die Hüften deplatziert waren, die Hand peinlich aussah oder der Gesichtsausdruck überhaupt nicht passte. Dadurch, dass ich mein Auge geschult habe, erkenne ich diese häufigen Fehler sofort, wenn sie auftreten, und korrigiere sie, damit mein Modell optimal abgebildet wird.

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Abb. 0–8 (gegenüberliegende Seite) Das aufstrebende Model Melody hatte mich für Aufnahmen engagiert, die ihre Schönheit mithilfe von Styling und Posing herausstellen sollten. Werfen Sie bei diesem Shooting doch einmal einen Blick hinter die Kulissen – unter image learnwithlindsay.com.

Mein Ziel ist es, Ihnen ein Bewusstsein für mögliche Probleme zu vermitteln, damit Sie diese vor Ort beheben können, bevor Sie die Aufnahme machen. Diese Übungen sollen Ihnen dabei helfen, einen Blick fürs Posing zu entwickeln und diesen so zu trainieren, dass er bei laufender Porträtsession bei Bedarf automatisch aktiviert wird. Ich werde Ihnen für jedes Beispiel eine mögliche Lösung zur Optimierung der Pose anbieten und das von mir erkannte Problem eindeutig benennen. Natürlich gibt es zahllose weitere Lösungen, aber von mir bekommen Sie nur einen einzigen Ansatz. Das allerdings ist dann eine Lösung, die ich auch bei meinen eigenen Sessions nutzen würde.

Am Ende jedes Kapitels erhalten Sie im Abschnitt »Schulen Sie Ihr Auge!« die Möglichkeit, Ihr Wissen zu testen und problematische Posings zu korrigieren. Auf diese Weise können Sie Ihr frisch erworbenes Wissen auf eigene Sessions übertragen und häufig auftretende Probleme identifizieren. Ich kann sicher nicht bei jeder meiner Fotografien das perfekte Posing umsetzen, aber ich kann eine Menge Fehler bereits abfangen, bevor sie passieren. Und umso seltener schlage ich mir heute auf die Stirn und denke mir »Wie konnte ich das nur übersehen?«, wenn ich meine Aufnahmen durchsehe.

Im letzten Kapitel wird dann alles zusammengeführt, was Sie gelernt haben. Danach können Sie einschätzen, wie viel Sie nun wirklich übers Posing wissen.

Weitere Ressourcen

Klar, in diesem Buch lernen Sie eine ganze Menge. Trotzdem möchte ich Ihnen unbedingt learnwithlindsay.com/posing ans Herz legen. Sie finden auf dieser Website eine Vielzahl von (englischsprachigen) Lehrvideos zum Thema, können Posingleitsätze wiederholen, Quizaufgaben bearbeiten und vieles mehr (Abbildung 0–8). Solange Sie das Gelernte nicht in die Praxis umzusetzen verstehen, haben Sie eigentlich noch gar nichts gelernt. Lassen Sie sich nicht frustrieren, wenn es nicht auf Anhieb klappen sollte. Es hat mich Jahre meines Lebens und Hunderte Sessions gekostet, bis ich wirklich verstanden habe, wie es funktioniert. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch Ihren Lernprozess beschleunigt. Ersparen Sie sich das Lehrgeld in Form verschwendeter Zeit und gemachter Fehler. Unter dieser Devise wollen wir nun loslegen, damit Sie endlich erfahren, was Sie für meisterhaftes Posing wissen müssen.

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Kapitel 1

Wie Ihre Kamera die Welt sieht

Eines der größten Hindernisse, mit denen sich Fotografen beim Posing konfrontiert sehen, ist ein Mangel an Verständnis dafür, was die Kamera aus dem Motiv macht. Sie haben für Ihr Modell eine wunderschöne Pose ausgewählt, die hervorragend zu ihm passt, aber der Gesamteindruck kann durch die Wahl von Objektiv, Ausrichtung und Winkel vollständig ruiniert werden. Umgekehrt kann eine Pose für das bloße Auge etwas unnatürlich wirken und doch entsteht am Ende dank eines günstigen Kamerawinkels und einer geeigneten Objektivauswahl eine beeindruckende Aufnahme.

Posing ist kein separat zu betrachtender Aspekt der Fotografie. Es steht vielmehr im Wechselspiel mit der Perspektive und damit, wie Ihre Kamera das Modell erfasst und interpretiert. Diese Elemente sind untrennbar miteinander verbunden. Aus diesem Grund müssen wir uns zunächst etwas Zeit nehmen, um ihr Zusammenspiel nachzuvollziehen.

Posing, Objektivauswahl. Perspektive. Und wie Ihre Kamera sieht

Wenn Sie wissen, wie Perspektive funktioniert und wie Ihre Kamera Motive erfasst, wird es Ihnen leichter fallen, ansprechende Posen für Ihre Modelle zu finden. Haben Sie die Konzepte Perspektive, Objektivauswahl und Kamerawinkel erst einmal verinnerlicht, dann werden Sie gutes Posing wesentlich einfacher hinbekommen. Ich werde in diesem Teil zwar jedes einzelne Detail betrachten, aber Sie sollten sich immer klarmachen, dass es das Zusammenspiel dieser Elemente ist, das eine Pose zum Leben erweckt. Machen wir uns an die Arbeit.

Eine Regel zur Perspektive, die alles ändert

Beginnen wir mit den beiden wichtigsten Tatsachen zur Frage, wie Ihre Kamera sieht. Bitte wiederholen Sie diese immer wieder, bis Sie sie im Schlaf beherrschen.

Regel 1: Je geringer der Abstand eines Elements zur Kamera, desto größer erscheint es auf dem Bild.

Regel 2: Je größer der Abstand eines Elements zur Kamera, desto kleiner erscheint es auf dem Bild.

Merken Sie sich das. Vergessen Sie es nie. Diese Regeln werden Ihnen nämlich beim Posing von großem Nutzen sein, wenn es darum geht, das Modell ansprechend in Szene zu setzen.

Wir wollen uns das einmal in der Praxis ansehen. Die erste Regel können Sie sich am einfachsten merken, wenn Sie sich vorstellen, dass Ihr Modell die Hand in Richtung Kamera ausstreckt. Oha! Plötzlich wirkt die Hand im Vergleich zum restlichen Körper riesig. Je geringer der Abstand der Hand zur Kamera, desto größer sieht sie aus. In diesem Fall aufgrund der Perspektive sogar größer als der Kopf des Modells (Abbildung 1–1). Bewegt das Modell die Hand nun zum Gesicht zurück, dann werden die korrekten Proportionen wiederhergestellt. Je weiter die Hand von der Kamera entfernt ist, desto kleiner wirkt sie (Abbildung 1–2). Beide Bilder wurden mit einer Durchschnittsbrennweite von 50 mm aufgenommen.

Hieraus wird später ein mächtiges Konzept mit unendlichen Möglichkeiten, wenn Sie versuchen, bestimmte Körperteile zu betonen oder größer wirken zu lassen oder umgekehrt.

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Abb. 1–1

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Abb. 1–2

Objektivauswahl und Brennweite

Als nächstes folgt die Auswahl des geeigneten Objektivs. Klar: Was der Kamera am nächsten steht, sieht größer aus, was weiter entfernt ist, wirkt kleiner. Mithilfe der Brennweite jedoch können Sie diese Wirkung entweder subtiler oder aber auffälliger machen.

Bei der Wahl des Objektivs sind die folgenden beiden zentralen Regeln zu berücksichtigen:

Regel 1: Kurze Brennweiten betonen Entfernungen.

Regel 2: Längere Brennweiten kaschieren Entfernungen.

Betrachten Sie es einmal so: Sie fotografieren einen Berg mit einem Baum im Vordergrund. Wenn Sie ein Weitwinkelobjektiv verwenden, erscheint der Abstand zwischen Baum und Berg sehr groß, aber der Baum wirkt größer, weil er näher zu Ihnen steht. Verwenden Sie hingegen ein Teleobjektiv, dann wirkt der Abstand zwischen Baum und Berg wesentlich kleiner und die Proportionen sind realistischer. Die Brennweite beeinflusst also die Darstellung der Abstände zwischen hintereinander angeordneten Bildelementen.

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Abb. 1–3 70 mm

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Abb. 1–4 180 mm

In Abbildung 1–3 und Abbildung 1–4 sitzt das Paar im gleichen Abstand voneinander auf der Bank. In Abbildung 1–3 habe ich mich für eine Brennweite von 70 mm entschieden, bei Abbildung 1–4 für 180 mm. Die beiden haben sich zwischen den Aufnahmen nicht bewegt und trotzdem sorgt das längere Objektiv, mit dem ich die Aufnahme in Abbildung 1–4 gemacht habe, dafür, dass die Modelle so aussehen, als säßen sie direkt nebeneinander. Die Reduzierung der Abstände ist augenfällig.

ACHTUNG! Wenn Sie Gruppenoder Familienaufnahmen machen, kann die Verwendung eines Weitwinkelobjektivs problematisch werden, weil es Abstände betont. Es kann deswegen am Ende so aussehen, als ob die Mitglieder der Gruppe relativ weit auseinander stehen. Auch Probleme durch Verzerrungen sind möglich.

Betrachten wir nun noch einmal das Beispiel mit der Hand, um zu sehen, wie dieser Faktor sich bei nur einer abgebildeten Person auswirkt. In allen drei Abbildungen hält das Modell seine Hand in derselben Position und im weitgehend gleichen Abstand zur Kamera. Was ändert sich? Es ist die Brennweite, die ich bei jeder Aufnahme anders gewählt habe. Abbildung 1–5 habe ich mit einer Brennweite von 50 mm gemacht, Abbildung 1–6 mit einem 24-mm-Weitwinkelobjektiv und Abbildung 1–7 schließlich mit einem 135-mm-Teleobjektiv. Beachten Sie den deutlichen Einfluss, den die Brennweite auf die Perspektive hat.

Beim Weitwinkelobjektiv (24 mm) ist der Abstand zwischen Hand und Gesicht extrem überzeichnet. Das führt auch dazu, dass die Hand größer aussieht (denn was sich näher an der Kamera befindet, … aber das wissen Sie ja bereits). Beim Teleobjektiv (135 mm) wirken die Abstände gestaucht. Zwar steht die Hand näher zur Kamera, aber die Perspektive wirkt praktisch unbeeinflusst (die Hand wirkt genau so, als befände sie sich weiter hinten vor dem Gesicht).

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Abb. 1–5 50 mm

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Abb. 1–6 24 mm, Weitwinkelobjektiv

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Abb. 1–7 135 mm, Teleobjektiv

Kurz gesagt: Wenn Sie perspektivische Effekte übertreiben möchten, verwenden Sie ein Weitwinkelobjektiv. Möchten Sie die Perspektivwirkung hingegen verringern (was etwa bei Familien- und Gruppenaufnahmen notwendig ist), dann sollten Sie eine längere Brennweite nutzen.

Sie kennen nun die Grundlagen der Perspektive und haben gelernt, wie sich diese mithilfe der Brennweite beeinflussen lässt. Was um alles in der Welt hat das jetzt mit Posing zu tun? Gut, dass Sie fragen.

Perspektive und Pose: Das Arrangement des Körpers

Stellen wir uns nun vor, wie dieses Konzept auf den menschlichen Körper übertragen werden könnte. Was größer wirken oder mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll, bringen wir näher zur Kamera. Wollen wir diesen Effekt ein wenig überzeichnen, dann verwenden wir ein etwas kürzeres Objektiv.

Eine Möglichkeit, den Abstand zur Kamera zu ändern, besteht darin, Pose und Position unseres Modells zu variieren. Eines der wohl offensichtlichsten Beispiele hierfür ist das Posing der Hüften. In den nächsten beiden Bildern ist die Brennweite konstant und der Kamerawinkel exakt gleich – die einzige Veränderung besteht darin, dass das Modell sein Gewicht verlagert. In Abbildung 1–8 erfolgt die Verlagerung dergestalt, dass die Hüften des Modells auf die Kamera gerichtet sind. Sie befinden sich der Kamera am nächsten, wirken also größer. Ich habe in Abbildung 1–9 mit einer Linie angedeutet, wie dick ihre Oberschenkel ungefähr sind.

In Abbildung 1–10 habe ich das Modell aufgefordert, das Gewicht von der Kamera weg zu verlagern. Hierdurch befinden sich Hüfte und Taille weiter entfernt von der Kamera, weswegen sie kleiner wirken. Vergleicht man diese beiden Aufnahmen direkt nebeneinander, dann bemerkt man einen extremen Unterschied. Nur dadurch, dass wir Hüfte und Oberschenkel von der Kamera wegbewegt haben, haben wir die Körperteile in der Größe um beinahe ein Drittel reduziert (Abbildung 1–11)! Dieses kleine Beispiel veranschaulicht bereits, welche Rolle die Perspektive bei der Darstellung der Körperform spielen kann.

Bei einer Aufnahmesession sollten Sie diese grundlegende Technik stets im Hinterkopf behalten, denn hiermit können Sie die Aufmerksamkeit auf bestimmte Teile des Körpers richten und von anderen ablenken. Wenn Sie die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Körperregion richten möchten oder diese größer wirken soll, verringern Sie ihren Abstand zur Kamera. Wenn Sie die Aufmerksamkeit von einer bestimmten Körperregion ablenken möchten oder diese kleiner wirken soll, vergrößern Sie ihren Abstand zur Kamera. Dies gilt unabhängig davon, ob das Modell sitzt oder steht, Shorts oder ein langes Kleid trägt, weiblich oder männlich ist. Die Perspektive macht einen gigantischen Unterschied.

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Abb. 1–8

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Abb. 1–9

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Abb. 1–10

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Abb. 1–11

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Abb. 1–12

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Abb. 1–13

Betrachten wir ein anderes Beispiel. Hier sind Kamerawinkel und Objektiv bei beiden Aufnahmen gleich. Der Unterschied? Bei Abbildung 1–12 stand das Modell gerade, bei Abbildung 1–13 bat ich es, Gesicht und Brustbereich näher an die Kamera heranzuführen. Plötzlich wirkt der Brustkorb größer und die Aufmerksamkeit ist durch Gesicht und Brust gefesselt. Kurz gesagt: Wenn die Brust voll aussehen soll oder Sie die Aufmerksamkeit auf das Gesicht richten wollen, dann sollte das Modell Kopf und Brust in Richtung Kamera strecken.

Nachdem wir nun gesehen haben, wie die Perspektive in Verbindung mit der Körperhaltung funktioniert, kommt als nächster Aspekt die Brennweite hinzu. Durch Ändern der Brennweite kann die Perspektivwirkung verstärkt oder abgeschwächt werden, wenn Sie die Pose oder Position eines Modells korrigieren.

In Abbildung 1–14 verwende ich ein 70-mm-Objektiv und das Modell steht gerade. Nach dieser Aufnahme bat ich das Modell, die Brust in Richtung der Kamera zu strecken. Deswegen sieht der Brustbereich in Abbildung 1–15 voller aus und das Gesicht schiebt sich mehr in den Vordergrund. Allerdings ist der Unterschied noch subtil. Sie werden auch feststellen, dass die Taille definierter wirkt.

Jetzt wollen wir etwas Gas geben. Im nächsten Beispiel habe ich mich für ein 35-mm-Objektiv entschieden. Abbildung 1–16 zeigt mein Modell aufrecht stehend und die Proportionen sind mehr oder minder völlig normal. Danach bat ich sie, ihre Brust wiederum nach vorne zu strecken, und zwar im gleichen Abstand zur Kamera wie bei der vorherigen Aufnahme. Im Ergebnis erhielt ich mit dem Weitwinkelobjektiv einen überbetonten Abstand (Abbildung 1–17). Kopf und Brust wirken nun sehr viel größer.

Relative Abstände

Wenn ich mein Modell formatfüllend mit unterschiedlichen Brennweiten fotografiere, unterscheiden sich die Wirkungen teils deutlich. Bei der Weitwinkelaufnahme sind die Proportionen offensichtlich übertrieben. Die Brust wirkt voller, der Kopf größer (beinahe schon verzerrt) und die Taille schmaler. Bewegte ich mich aber nur 30 bis 60 cm nach hinten, dann wäre der Effekt bereits deutlich subtiler. Folglich ist auch der relative Abstand wichtig! Wenn Sie mit einem Weitwinkelobjektiv näher an das Modell herantreten – und sei es auch nur um eine Winzigkeit –, dann sind die Auswirkungen beträchtlich. Gehen Sie weiter nach hinten, dann kann dieselbe Haltungsänderung bereits zu subtil sein, um wahrgenommen zu werden. Dies hat etwas mit dem relativen Abstand zu tun. Wenn Sie mit dem Weitwinkelobjektiv formatfüllend arbeiten, also nahe an das Modell herantreten, dann wird die Entfernung nicht nur überzeichnet, sondern wenige Zentimeter wirken bereits wie ein relativ großer Abstand. Trete ich hingegen weiter zurück, dann machen ein paar Zentimeter nichts aus (da ich sowieso schon recht weit weg stehe).

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Abb. 1–14 70 mm

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Abb. 1–15 70 mm

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Abb. 1–16 35 mm

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Abb. 1–17 35 mm

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Abb. 1–17

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Abb. 1–18

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Abb. 1–19

Viele große Porträtfotografen nutzen bevorzugt eine Brennweite von 35 mm und vermeiden dabei Verzerrungen, indem sie dafür sorgen, dass Kopf und Körper nicht zu nah an den Bildrand gelangen, und den Abstand zwischen Modell und Kamera nicht zu klein wählen. Ein 35-mm-Objektiv funktioniert vielleicht nicht für eine Nahaufnahme im Abstand von 50 cm, kann aber bei einem Abstand von vielleicht einem Meter für Aufnahmen im mittleren Abstand durchaus die optimale Wahl sein.

Wie Sie sehen, sorgt das Zusammenspiel von Perspektive, Pose und Brennweite für sehr unterschiedliche Ergebnisse bei Porträtaufnahmen. Ich würde Ihnen zu gerne das optimale Objektiv für diesen Einsatzzweck empfehlen, aber offen gestanden kann ich nicht behaupten, dass es so etwas gibt. Letztendlich hängt es von einer Reihe von Faktoren ab, die wir uns im Laufe dieses Buchs genauer ansehen werden.

Perspektive und Kamerawinkel

Eine andere Möglichkeit, bestimmte Elemente näher an die Kamera heranzubringen oder von ihr zu entfernen (und sie so größer bzw. kleiner zu machen), besteht in einer Änderung des Kamerawinkels. Sprechen wir also nun vom Aufstellungsort Ihrer Kamera.

Für die Aufnahmen in den Abbildungen 1–17 bis 1–19 hat sich mein Modell seitlich auf eine Bank gelegt. Ich machte drei verschiedene Bilder, wobei ich stets dieselbe Brennweite (50 mm) nutzte und auf einen möglichst gleichen Abstand zwischen Modell und Kamera achtete. Der Unterschied bei diesen Aufnahmen ist die jeweilige Kameraposition. In Abbildung 1–17 ist der Winkel so gewählt, dass die Aufnahme eher von Kopf und Oberkörper her erfolgt, in Abbildung 1–18 bin ich in etwa auf gleicher Höhe mit der Körpermitte und Abbildung 1–19 entstand eher von den Füßen des Modells her. Beachten Sie, wie die Position meiner Kamera die Betonungen im Bild und die Proportionen des Modells ändert.

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Abb. 1–20 Gesicht und Brust wirken nun größer, weil ich einen geeigneteren Kamerawinkel ausgewählt habe.

Was hat das nun mit einer Porträtsitzung zu tun?

Bei Boudoirfotografie oder einem Modell, das auf dem Rücken liegt, sollten Sie einen Kamerawinkel auswählen, bei dem sich die Position eher in Richtung Gesicht orientiert. Dann nämlich wirken Gesicht und Brust mit einem Mal größer und ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich. Dieses Ziel wird offensichtlich in Abbildung 1–20 erreicht: Hüfte und Taille wirken schmal, Augen und Brust größer. Dieses Ziel wurde allein durch die Anordnung der Kamera erreicht.

Beim Porträtieren eines stehenden Modells etwa können Sie durch einen höheren Winkel Gesicht und Brust größer wirken lassen, während Hüfte und Taille schmaler sind. Mit dem Kamerawinkel können Sie auch die Perspektive ändern.

Sehen wir uns eine Folge von Bildern an, in denen die Brennweite, der Abstand des Modells zur Kamera und der Beschnitt stets gleich bleiben – es ändert sich nur der Kamerawinkel.

Ich mache die erste Aufnahme aus einem niedrigen Winkel knapp unterhalb der Hüfte des Modells (Abbildung 1–21). Da die Hüfte näher zur Kamera steht, erscheint sie wesentlich größer bzw. der Kopf im Vergleich dazu deutlich zu klein. In Abbildung 1–22 steht die Kamera ein bisschen höher – knapp unterhalb der Taille. Die Hüfte sieht immer noch größer aus, aber nicht so dramatisch wie im vorherigen Beispiel. Die zentrale Aufmerksamkeit erhält der Punkt unterhalb der Taille in der Körpermitte. Die Aufnahme in Abbildung 1–23 habe ich dann auf Brust- und Schulterhöhe gemacht. Die Proportionen zeigen sich im Vergleich zum vorherigen Foto verbessert, betont werden Gesicht und Brust. Für Abbildung 1–24 schließlich habe ich mir eine Leiter besorgt: Die Kamera befand sich knapp oberhalb der Höhe der Augenpartie. Nun sehen Hüfte und Taille vergleichsweise winzig aus, Zentrum der Aufnahme sind Gesicht, Brust und Schultern.

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Abb. 1–21

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Abb. 1–22

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Abb. 1–23

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Abb. 1–24

ACHTUNG! Behalten Sie stets im Hinterkopf, dass die auszuwählende Pose davon abhängt, was genau Sie in der Aufnahme hervorheben möchten. Zwar lässt der niedrige Kamerawinkel die Hüfte breiter aussehen, aber das kann bei Modellen, die ihren Po präsentieren möchten, durchaus die beste Lösung sein. Es geht hierbei nicht um richtig oder falsch, sondern nur darum, welche Mittel uns zur Verfügung stehen und wie wir sie benutzen.

Das richtige Objektiv zur Überzeichnung des Kamerawinkels

Wir haben gerade gelernt, wie der Kamerawinkel die Perspektive beeinflusst. Wenden wir uns nun der Bedeutung des Objektivs zu, mit dem wir das bisher Gezeigte noch weiter treiben können. Im nächsten Beispiel behält das Modell die exakte Position bei und ich fotografiere bei beiden Aufnahmen formatfüllend. Dabei habe ich in Abbildung 1–25 eine Weitwinkelbrennweite mit 28 mm verwendet, die Abstand und Perspektive überzeichnet. Scheinbar sind das Gesicht des Modells und seine Füße relativ weit voneinander entfernt: Der Kopf sieht wesentlich größer aus als die Füße. In Abbildung 1–26 dagegen habe ich eine längere Brennweite verwendet, nämlich 70 mm. Der Abstand zwischen Kopf und Füßen wirkt kleiner (sodass man nicht den Eindruck hat, das Modell wäre zwei Meter groß) und das Gesicht sieht zwar immer noch größer aus, aber der Effekt ist nicht so dramatisch wie bei der vorhergehenden Aufnahme.

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Abb. 1–25

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Abb. 1–26

Kamerawinkel und Körpergröße

Wir haben gerade gesehen, wie man den Kamerawinkel zweckmäßig einsetzt, um bestimmte Körperbereiche unseres Modells größer oder kleiner wirken zu lassen. Allerdings müssen wir, wenn wir bei Ganzkörperaufnahmen die Darstellung der Körperform mithilfe der Perspektive ändern, einige Nebeneffekte beachten.

Ganz einfach gesagt sieht das Modell bei niedrigen Kamerawinkeln größer, bei höheren jedoch kleiner aus.