Jane Austen

Anne Elliot

oder die Kraft der Überredung

Roman

Aus dem Englischen von Sabine Roth

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BAND EINS

KAPITEL I

Sir Walter Elliot von Kellynch Hall in Somersetshire war ein Mann, der zu seiner Erbauung kein anderes Buch zur Hand nahm als das Baronetsregister; dort fand er Zerstreuung in seinen müßigen Stunden, Trost in den trüben; dort steigerte sich sein Fühlen zu Bewunderung und Respekt, wenn er bei den wenigen verweilte, die noch dem ältesten Adel entstammten; dort verwandelten sich alle häuslichen Verstimmungen, die ihm nachgingen, ganz von selbst in Mitleid und Verachtung, wenn er sich durch die schier unendlichen Ernennungen des vergangenen Jahrhunderts blätterte – und ebendort konnte er, sollte jedes andere Blatt seine Wirkung verfehlen, mit nie erlahmendem Interesse seinen eigenen Eintrag lesen – dies war die Stelle, an der sich der geliebte Band stets schon aufschlug:

»ELLIOT VON KELLYNCH HALL.

Walter Elliot, geb. 1. März 1760; am 15. Juli 1784 verehelicht mit Elizabeth, Tochter von James Stevenson, Esq., von South Park in der Grafschaft Gloucester; selbige Gattin (gest. 1801) gebar ihm Elizabeth, geb. 1. Juni 1785; Anne, geb. 9. August 1787; einen Sohn, totgeboren am 5. Nov. 1789; Mary, geb. 20. Nov. 1791.«

In dieser Form hatte der Absatz seinerzeit die Werkstatt des Druckers verlassen, doch Sir Walter hatte ihn noch verbessert, indem er zu seinem eigenen Gewinn und dem seiner Familie Marys Geburtsdatum um die Worte ergänzte: »verehelicht am 16. Dez. 1810 mit Charles, Sohn und Erben von Charles Musgrove, Esq., von Uppercross in der Grafschaft Somerset«, und höchst akkurat Monat und Tag einfügte, an dem er seine Frau verloren hatte.

Es folgten Historie und Aufstieg der alten und ehrwürdigen Sippe nach üblichem Muster: ursprünglicher Sitz der Familie in Cheshire; Nennung in Dugdales Adelskalender – Amt des High Sheriffs1, Vertretung ihres Wahlkreises in drei aufeinanderfolgenden Parlamentsperioden, dazu die Loyalitätsbeweise, durch die sie sich hervorgetan hatten und für die ihnen im ersten Regentschaftsjahr Charles II. die Baronetswürde verliehen worden war, und die diversen Marys und Elizabeths, mit denen sie sich vermählt hatten – zwei stattliche Duodezseiten füllte dies alles, abgerundet durch Wappen und Wahlspruch, »Hauptsitz: Kellynch Hall in der Grafschaft Somerset«, und in diesem Finale erneut die Handschrift Sir Walters:

»Voraussichtlicher Erbe: William Walter Elliot, Esq., Urenkel des zweiten Sir Walter.«

Eitelkeit war Sir Walter Elliots hervorstechendster Wesenszug: Eitelkeit bezüglich seines Äußeren und seines Standes. Er war ein bemerkenswert schöner junger Mann gewesen und sah nun, mit vierundfünfzig, immer noch sehr gut aus. Wenige Frauen konnten mehr Gedanken an ihre Erscheinung verschwenden, als Sir Walter es tat; selbst der Kammerdiener eines neu geadelten Lords hätte nicht beglückter sein können über seinen gesellschaftlichen Rang. Die Segnung der Schönheit wurde für ihn nur übertroffen von der Segnung der Baronetswürde; und der Sir Walter Elliot, der diese Gaben in sich vereinte, war der stete Gegenstand seiner wärmsten Zuneigung und Verehrung.

Seinem guten Aussehen und seinem Status huldigte er insofern zu Recht, als er ihnen eine Ehefrau verdankte, die charakterlich weit über allem stand, worauf ein Mann seines Charakters Anspruch erheben durfte. Lady Elliot war eine vortreffliche Frau gewesen, klug und liebenswürdig, deren Urteile und Handlungen, sah man ihr die jugendliche Schwärmerei nach, durch die sie zu Lady Elliot geworden war, sonst in nichts Nachsicht erforderten. – Siebzehn Jahre lang hatte sie seine Schwächen erduldet, sie abgemildert und bemäntelt und sein Ansehen bei den Leuten befördert; und wenn es auf Erden auch glücklichere Menschen als sie gab, so hatte sie doch soviel Erfüllung in ihren Aufgaben, ihrem Freundeskreis und ihren Kindern gefunden, daß sie am Leben hing und ihr der Abschied, als ihre Zeit gekommen war, nicht leichtfiel. – Drei Mädchen, die beiden älteren sechzehn und vierzehn: welch schlimmes Vermächtnis für eine Mutter, welch schwere Bürde vielmehr, sie der Obhut und Erziehung eines eingebildeten, törichten Vaters anzuvertrauen. Allerdings hatte sie eine sehr enge Freundin, eine verständige, hochverdiente Frau, die sich aus Anhänglichkeit ganz in ihrer Nähe niedergelassen hatte, im Dorf Kellynch; von deren wohlmeinendem Ratschlag erhoffte sich Lady Elliot die größte Hilfe und wirksamen Beistand bei der Bewahrung der guten Grundsätze, die sie ihren Töchtern so sorglich mit auf den Weg gegeben hatte.

Diese Freundin und Sir Walter heirateten nicht, was immer ihre Bekannten sich diesbezüglich ausgemalt haben mochten. – Dreizehn Jahre waren seit Lady Elliots Tod nun vergangen, und sie waren unverändert gute Nachbarn und vertraute Freunde; und er blieb Witwer und sie Witwe.

Daß Lady Russell, von gesetztem Wesen und Alter und ausnehmend gut versorgt, auf eine zweite Ehe verzichtete, bedarf keiner Rechtfertigung gegenüber einer Öffentlichkeit, die noch mehr grundlosen Anstoß nimmt, wenn eine Frau sich wiederverheiratet, als wenn sie es nicht tut; doch daß Sir Walter allein blieb, verlangt nach einer Erklärung. – So sei denn gesagt: Sir Walter, ganz sorgender Vater, rechnete sich diesen Zustand (nach einer oder zwei privaten Enttäuschungen infolge höchst unvernünftiger Vorstöße) als Opfer für seine lieben Töchter an. Für eine seiner Töchter, die älteste, hätte er tatsächlich alles gegeben, eine Probe, auf die er allerdings nie gestellt wurde. Elizabeth hatte ihre Mutter mit sechzehn so vollständig in Rang und Rechten beerbt, wie dies einer Tochter nur möglich ist; und da sie sehr schön war und ihrem Vater sehr ähnlich, war ihr Einfluß stets groß gewesen, und ihre Allianz war eine äußerst glückliche. Seine beiden anderen Kinder waren von minderem Wert. Mary hatte ein wenig künstliche Bedeutung hinzugewonnen, indem sie Mrs. Charles Musgrove geworden war; aber Anne, die so fein und gescheit war, daß jeder vernunftbegabte Mensch von ihr angetan sein mußte, galt bei Vater und Schwester gar nichts; ihr Wort hatte kein Gewicht, ihre Interessen mußten immer hintanstehen – sie war einfach nur Anne.

Für Lady Russell indes war sie eine inniggeliebte, hochgeschätzte Patentochter, Vertraute und Freundin. Zwar liebte Lady Russell sie alle drei, aber nur in Anne meinte sie die Mutter wieder lebendig werden zu sehen.

Noch vor einigen Jahren war Anne Elliot ein sehr hübsches Mädchen gewesen, doch sie war rasch verblüht; und ihr Vater, der selbst in ihrer besten Zeit nicht viel an ihr zu loben gewußt hatte (zu wenig glichen ihre zartgeschnittenen Züge und sanften dunklen Augen den seinen), fand nun, da sie blaß und abgehärmt war, erst recht nichts mehr an ihr. Er hatte nie große Hoffnung gehegt, ihren Namen jemals auf einer anderen Seite seines Lieblingsbuchs zu lesen; jetzt hegte er gar keine mehr. Die ganze Bürde einer angemessenen Partie lag somit auf Elizabeth, denn Mary hatte lediglich in eine hochangesehene alte Gutsbesitzerfamilie mit großem Vermögen eingeheiratet und insofern alle Ehre erwiesen und keine empfangen: Elizabeth würde sich, wenn es erst einmal so weit war, standesgemäß vermählen.

Es gibt Frauen, die mit neunundzwanzig besser aussehen als mit neunzehn; überhaupt, wenn nicht Krankheit oder Sorge ihren Tribut fordern, ist dies eine Zeit im Leben, da der Liebreiz noch kaum gelitten hat. So war es bei Elizabeth: noch immer dieselbe bildschöne Miss Elliot, als die sie vor dreizehn Jahren angetreten war; weshalb man es Sir Walter vielleicht nicht verdenken kann, daß er ihr Alter vergaß – oder ihn zumindest nur für einen halben Narren halten muß, wenn ihm Elizabeth und er selbst so blühend wie eh und je erschienen inmitten all dieser anderen, die vor seinen Augen dahinwelkten; denn er sah ja klar und deutlich, wie sehr der Rest seiner Familie und seiner Bekannten alterte. Anne hager, Mary plump, jedes Gesicht in der Nachbarschaft gezeichnet von Verfall; und die immer tiefer einschneidenden Krähenfüße an Lady Russells Schläfen waren ihm schon lange ein Greuel.

Elizabeths Selbstzufriedenheit reichte nicht ganz an die ihres Vaters heran. Dreizehn Jahre war sie nun Herrin von Kellynch Hall, und die Sicherheit und Entschiedenheit, mit der sie ihres Amtes waltete, ließen keinen Moment lang die Illusion zu, sie könnte jünger sein, als sie war. Dreizehn Jahre machte sie schon die Honneurs, führte das Regiment im Hause Elliot, bestieg als erste den Vierspänner und rauschte gleich hinter Lady Russell aus den Salons und Eßzimmern der Grafschaft. Dreizehn frostige Winter hindurch hatte sie jeden nennenswerten Ball eröffnet, der sich in der spärlichen Nachbarschaft bot, und durch das Blütenspalier von dreizehn Frühlingen war sie mit ihrem Vater nach London gereist, um für einige Wochen die große Welt zu genießen. Sie hatte ihre Erinnerungen an all dies, sie wußte, sie war neunundzwanzig Jahre alt – genug, in ihr ein gewisses Bedauern, gewisse Befürchtungen auszulösen. Daß sie noch so schön war wie je, daran hegte sie keinen Zweifel; aber das kritische Alter rückte näher, und sie hätte viel um die Gewißheit gegeben, daß ihr das kommende Jahr, oder das darauffolgende, einen Bewerber bringen würde, in dessen Adern Baronetsblut floß. Dann würde sie das Buch der Bücher wieder mit dem gleichen Behagen aufschlagen wie in ihren Kindertagen; derzeit aber war es ihr verleidet. Immerzu das eigene Geburtsdatum vor sich zu sehen, und danach kein Hochzeitsdatum als das der jüngsten Schwester, machte das Buch zu einem Schrecknis, und mehr als einmal hatte sie es, wenn ihr Vater es neben ihr auf dem Tisch hatte liegenlassen, schon mit abgewandtem Blick zugeklappt und weggeschoben.

Hinzu kam, daß sie eine Enttäuschung erlitten hatte, an die dieses Buch und namentlich der Eintrag ihrer eigenen Familie sie ständig mahnte. Der voraussichtliche Erbe hatte sie enttäuscht, ebenjener William Walter Elliot, Esq., dessen Anspruch von ihrem Vater so generös hervorgehoben worden war.

Schon früh – schon seit sie als ganz junges Mädchen erfahren hatte, daß der Titel, falls sie keinen Bruder bekam, an ihn fallen würde – hatte für sie festgestanden, daß er ihr Mann werden sollte; und für ihren Vater ebenso. In seiner Kinderzeit waren sie einander nie begegnet, aber sehr bald nach Lady Elliots Tod hatte Sir Walter begonnen, auf ein Kennenlernen zu drängen, und obgleich seine Offerten kühl aufgenommen wurden, hatte er sich nicht abschrecken lassen; er schrieb es der bescheidenen Zurückhaltung der Jugend zu, und bei einem ihrer Frühjahrsausflüge nach London, noch in Elizabeths erster Jugendblüte, gab es für Mr. Elliot kein Entrinnen mehr.

Er war damals ein sehr junger Mann, ein frischgebackener Student der Rechte; Elizabeth fand ihn über die Maßen einnehmend und sah sich in sämtlichen ihrer Absichten bestätigt. Er wurde nach Kellynch Hall eingeladen, und das ganze restliche Jahr sprach man von ihm und wartete auf ihn; aber er kam nicht. Im darauffolgenden Frühjahr traf man ihn wieder in London, fand ihn ebenso einnehmend, ermunterte ihn wieder, lud ihn ein und erwartete ihn, und wieder kam er nicht; und als nächstes verlautete, daß er verheiratet sei. Statt sein Glück auf dem Wege zu machen, der dem Erben des Hauses Elliot zugedacht war, hatte er sich Unabhängigkeit erkauft, indem er sich mit einer reichen Frau von niederer Abkunft vermählte.

Sir Walter hatte es übel aufgenommen. Als Oberhaupt des Hauses hätte er zu Rate gezogen werden müssen, fand er, zumal er den jungen Mann so öffentlich bei der Hand genommen hatte. Denn zweifelsfrei seien sie zusammen gesehen worden, bemerkte er, einmal bei Tattersal2 und zweimal im Foyer des Unterhauses. Das Mißfallen wurde geäußert, eine Reaktion jedoch blieb aus. Mr. Elliot machte keinen Versuch einer Entschuldigung und zeigte sich in gleichem Maße uninteressiert an den Aufmerksamkeiten der Familie, wie Sir Walter ihn derselben für unwert erklärte: jeglicher Kontakt zwischen ihnen war zum Erliegen gekommen.

Diese unerquickliche Geschichte um Mr. Elliot war auch jetzt, etliche Jahre nach dem Vorfall, Grund zur Bitterkeit für Elizabeth, die den Mann um seiner selbst willen gemocht hatte, und noch mehr als Erben ihres Vaters, und deren ausgeprägter Familienstolz einzig in ihm eine standesgemäße Partie für Sir Walter Elliots älteste Tochter zu sehen bereit war. Im ganzen Register von A bis Z gab es nicht einen Baronet, den sie ähnlich willig als ihr ebenbürtig anerkannt hätte. Aber er hatte sich so verabscheuenswert betragen, daß sie ihn, wiewohl sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt (dem Sommer 1814) um seiner Frau willen Trauerflor trug, um keinen Preis neuerlich in Betracht ziehen konnte. Über die Schande seiner ersten Ehe hätte sich – da nichts darauf hindeutete, daß sie in irgendwelchen Nachkommen fortlebte – vielleicht noch hinwegsehen lassen; aber zudem hatte er, wie ihnen durch die unausbleibliche Einmischung lieber Freunde zur Kenntnis gelangt war, in höchstem Maße respektlos über sie alle gesprochen, sich häßlich und verächtlich nicht nur über das Blut geäußert, das in seinen eigenen Adern floß, sondern auch über die Ehre, die ihm einmal zuteil werden sollte. Das war unverzeihlich.

Solcherart waren Elizabeth Elliots Stimmungen und Gefühle; solcherart die Kümmernisse und Aufregungen, mit denen die Monotonie und die Vornehmheit, der Luxus und die Nichtigkeit ihres Daseins versetzt waren – solcherart die Empfindungen, die den langen, ereignislosen Umgang in immer denselben ländlichen Kreisen auflockerten und die Lücken füllten, die durch keine nützliche Tätigkeit außer Haus und durch keine Begabung oder Fertigkeit im Hause geschlossen wurden.

Jetzt freilich erhielten ihre Gedanken neue Nahrung in Form einer weiteren Sorge. Ihr Vater geriet zusehends in Geldnöte. Wenn er dieser Tage das Baronetsregister aufschlug, dann, so wußte sie, um die hohen Rechnungen seiner Lieferanten und die unwillkommenen Andeutungen von Mr. Shepherd, seinem Verwalter, aus seinem Kopf zu verbannen. Kellynch warf einiges ab, aber den Vorstellungen Sir Walters von dem Lebensstandard, der sich für seinen Besitzer geziemte, konnte es nicht genügen. Zu Lady Elliots Lebzeiten hatte ihr besonnenes, maßvolles Wirtschaften seine Ausgaben stets knapp im Rahmen seiner Einkünfte gehalten; aber solcherlei Umsicht war zusammen mit ihr zu Grabe gelegt worden, und seitdem überschritt er sein Budget regelmäßig. Weniger auszugeben wäre ihm unmöglich gewesen; er hatte sich nichts geleistet, was er sich als Sir Walter Elliot nicht zwingend schuldete; doch so untadelig er sich auch verhielt, seine Schulden wuchsen nicht nur in beängstigende Höhen, er mußte auch so viel darüber hören, daß er nicht mehr hoffen durfte, irgendeinen Teil der Misere noch länger vor seiner Tochter verheimlichen zu können. Einzelne Andeutungen hatte er schon im Frühjahr in London gemacht, ja, er hatte sich sogar zu der Frage hinreißen lassen: »Können wir uns einschränken? Meinst du, es gibt irgend etwas, worin wir uns einschränken könnten?« – und Elizabeth, soviel muß gerechtigkeitshalber gesagt sein, hatte sich im ersten Aufflammen weiblicher Panik ernsthaft mit der Frage befaßt, was zu tun sei, und schließlich folgende beiden Einsparvorschläge gemacht: Streichung unnützer Almosen und Verzicht auf neue Salonmöbel; diese zweckdienlichen Mittel hatte sie sodann um den glücklichen Einfall ergänzt, Anne kein Geschenk aus der Stadt mitzubringen, wie es bis dahin alljährlicher Brauch gewesen war. Aber ihre Vorstöße, gleichwie achtbar, griffen zu kurz für das wahre Ausmaß des Übels, das ihr Sir Walter nicht lange danach zu gestehen gezwungen war. Elizabeth wußte keine wirkungsvollere Regelung vorzuschlagen. Sie fühlte sich verraten und verkauft, ihr Vater desgleichen; und keinem von ihnen wollte irgendein Weg einfallen, wie ihre Ausgaben zu senken sein könnten, ohne daß ihre Ehre Schaden nahm oder sie in ihrem Komfort auf eine Weise beschnitten wurden, die schlicht unerträglich war.

Sir Walter konnte nur über einen kleinen Teil seines Besitzes frei verfügen, aber selbst wenn jeder Hektar veräußerlich gewesen wäre, hätte das nichts geändert. Er hatte sich dazu hergegeben, alles zu belasten, was sich nur belasten ließ, zu einem Verkauf jedoch würde er sich niemals hergeben. Nein; solche Schmach würde er nie und nimmer auf seinen Namen laden. Der Kellynch-Besitz sollte so vollständig und ungeschmälert auf seinen Nachfolger übergehen, wie er ihn empfangen hatte.

Ihre beiden vertrauten Freunde, Mr. Shepherd aus der benachbarten Marktstadt und Lady Russell, wurden um Rat ersucht; und Vater wie auch Tochter schienen überzeugt, daß einer von beiden einen Geistesblitz haben würde, der sie aus ihrer Verlegenheit befreite und ihre Ausgaben verminderte, ohne daß sie sich deshalb irgend etwas versagen müßten, was Geschmack oder Stolz ihnen eingab.

KAPITEL II

Mr. Shepherd, ein zurückhaltender, vorsichtiger Anwalt, der, ungeachtet seines Einflusses auf Sir Walter und seines Urteils über ihn, nicht gern der Überbringer der unangenehmen Nachricht sein wollte, hütete sich, auch nur den kleinsten Ratschlag zu erteilen, und verwies statt dessen durch die Blume auf das hervorragende Urteil Lady Russells – von deren erprobtem gesundem Menschenverstand er sich ebenjene resoluten Maßregeln versprach, die er am Ende ins Werk gesetzt zu sehen wünschte.

Lady Russell nahm ihre Aufgabe sehr ernst und zerbrach sich angestrengt den Kopf über die Sache. Sie war eine Frau, die eher gründlich als schnell dachte, und in diesem Fall kam es sie hart an, zu einer Entscheidung zu gelangen, denn zwei wichtige Grundsätze lagen im Widerstreit miteinander. Sie war ein strikt integrer Mensch mit einem feinen Ehrgefühl, aber gleichzeitig so angelegentlich darauf bedacht, Sir Walters Gefühle zu schonen, so besorgt um den Ruf seines Geschlechts, so hochfliegend in ihrer Anschauung davon, was der Familie zustand, wie eine vernünftige, ehrenwerte Person es nur sein kann. Sie war wohlmeinend, mildtätig und herzensgut, dazu starker Zuneigung fähig; äußerst korrekt in ihrem Benehmen, unbestechlich in ihrem Anstandsempfinden und rundum ein Muster feiner Lebensart. Auch gebildet war sie, und gemeinhin vernünftig und konsequent – aber sie hatte eine Schwäche für alles Aristokratische, einen Respekt vor Rängen und Titeln, der ihren Blick für die Fehler derer, die sich mit ihnen schmücken durften, ein klein wenig trübte. Als Witwe eines bloßen Ritters beeindruckte die Baronetswürde sie nachhaltig; und nach ihrer Auffassung hatte Sir Walter, unabhängig von seinen Ansprüchen als langjähriger Bekannter, zuvorkommender Nachbar, gefälliger Pachtherr, Ehemann ihrer lieben Freundin sowie Vater von Anne und ihren Schwestern, allein schon als Sir Walter in seiner gegenwärtigen Bedrängnis jedes Anrecht auf Mitgefühl und Rücksichtnahme.

Sie mußten sich einschränken, soviel stand außer Zweifel. Aber ihr lag viel daran, daß dies mit einem Mindestmaß an Unannehmlichkeiten für ihn und Elizabeth bewerkstelligt würde. Sie arbeitete Sparpläne aus, sie führte exakte Berechnungen durch, und sie tat etwas, was keinem vor ihr in den Sinn gekommen war: sie fragte Anne um Rat, von der außer ihr niemand anzunehmen schien, sie könnte ein Interesse an der Sache haben. In Beratung mit Anne, und bis zu einem gewissen Grade auch von ihr beeinflußt, entstand somit das Konzept für die Einsparungen, das schließlich Sir Walter vorgelegt wurde. Annes Korrekturen gingen durchweg zugunsten der Ehrlichkeit und zu Lasten der Geltungssucht. Sie wollte einschneidendere Maßnahmen, einen vollständigeren Neubeginn, eine zügigere Tilgung der Schulden, eine ungleich radikalere Absage an alles, was nicht Recht und Gerechtigkeit diente.

»Wenn wir deinen Vater zu alledem überreden können«, meinte Lady Russell, während sie ihre Aufzeichnungen durchsah, »wäre viel erreicht. Wenn er diesem Reglement zustimmt, ist er in sieben Jahren schuldenfrei; und ich hoffe sehr, er und Elizabeth werden einsehen, daß solche Einschränkungen der wahren Würde von Kellynch Hall nichts anhaben können und daß es den Wert eines Sir Walter Elliot in den Augen vernünftiger Leute in keiner Weise mindert, wenn er nun als ein Mann von Prinzipien handelt. Was tut er denn schon? Nur das, was etliche unserer vornehmsten Familien getan haben – oder tun sollten! – Er steht nicht allein mit seinem Fall; und daran leiden wir schließlich am meisten, ganz gleich in welcher Lebenslage: an dem Gefühl, allein zu stehen. Ich bin sehr zuversichtlich, was unseren Erfolg angeht. Wir müssen allen Ernst und alle Entschlossenheit daransetzen – denn wer Schulden hat, der muß seine Schulden begleichen; und so sehr man auch auf die Gefühle eines Gentlemans und Familienoberhauptes, wie dein Vater es ist, Rücksicht nehmen muß, zuvörderst kommt der Leumund des aufrechten Mannes.«

Das war der Geist, in dem Anne ihren Vater handeln und in dem sie ihn durch seine Freunde bestärkt sehen wollte. Für sie war es oberstes Gebot, die Ansprüche der Gläubiger zu befriedigen, so rasch, wie die umfassendste Einschränkung es nur zuließ; und alles, was in irgendeiner Weise dahinter zurückblieb, erschien ihr zutiefst unwürdig. Es mußte Verordnung sein und zugleich gefühlte Pflicht. Von Lady Russells Einfluß versprach sie sich viel, und was die strenge Selbstzucht anging, auf die ihr Gewissen pochte, so hielt sie es kaum für schwieriger, ihren Vater und Elizabeth zu einer vollständigen als zu einer halben Umkehr zu überreden. So gut, wie sie die beiden kannte, neigte sie zu der Vermutung, daß der Verzicht auf ein Pferdegespann sie fast ebenso schmerzlich treffen würde wie der auf alle zwei – und so fort, die ganze Liste von Lady Russells zu milden Maßnahmen durch.

Wie Annes rigorosere Forderungen aufgenommen worden wären, ist freilich unerheblich. Die von Lady Russell jedenfalls waren ein völliger Fehlschlag – eine Zumutung – nicht zu ertragen. Was! Jede winzigste Annehmlichkeit gestrichen! Reisen, London, Diener, Pferde, Tischgesellschaften – Entbehrungen und Beschränkungen überall! Nicht einmal mehr mit dem Komfort eines einfachen Gentlemans leben zu dürfen! Nein, lieber würde er Kellynch Hall gleich aufgeben, als unter solch schmählichen Bedingungen dortzubleiben.

»Kellynch Hall aufgeben.« Das Stichwort wurde unverzüglich von Mr. Shepherd aufgegriffen, dem sehr daran lag, daß Sir Walters Sparkurs Hand und Fuß hatte, und der der festen Überzeugung war, daß ohne einen Wohnsitzwechsel nichts gewonnen sei. – Da der Gedanke just aus jenem Mund komme, der das Sagen habe, erklärte er, wage er ohne Skrupel seine uneingeschränkte Sympathie für den Vorschlag zu bekennen. Er habe wenig Hoffnung, daß Sir Walter seine Lebensweise grundlegend zu ändern vermochte, solange er in einem Haus wohnte, dessen Ruf der Gastlichkeit und Ehrwürdigkeit doch gewahrt werden mußte. – Überall sonst könne Sir Walter nach Gutdünken entscheiden, und man werde seinen Lebensstil als beispielhaft ansehen, in welchem Rahmen er sich auch einzurichten beliebte.

Sir Walter würde also aus Kellynch Hall wegziehen; – und nach nur wenigen weiteren Tagen des Zweifelns und der Unentschlossenheit war die große Frage nach dem Wohin geklärt und die grobe Richtung dieser tiefgreifenden Veränderung festgelegt.

Drei Möglichkeiten hatten zur Auswahl gestanden, London, Bath oder ein anderes Haus auf dem Land. Anne hätte sich sehr stark letzteres gewünscht. Ein kleines Haus in ihrer vertrauten Umgebung, wo man auch weiterhin Nachbarschaft mit Lady Russell pflegen, in Marys Nähe sein und gelegentlich noch die Rasenflächen und Wäldchen von Kellynch sehen könnte, mehr wollte sie nicht. Aber Annes übliches Schicksal blieb ihr treu, und die Wahl fiel auf das, was ihr am meisten widerstrebte. Sie mochte Bath nicht und war überzeugt, daß es ihr schlecht bekam – und Bath sollte ihre neue Heimat sein.

Sir Walter hatte zunächst zu London tendiert, aber Mr. Shepherd, der ihm in London nicht so recht traute, hatte es geschickt verstanden, ihm diesen Plan auszureden und dafür Bath nahezubringen. Bath war ein weitaus sichereres Pflaster für einen Gentleman in seiner Lage: – dort konnte er wichtig sein, ohne daß es ihn zu viel kostete. – Zwei erhebliche Vorzüge, die Bath vor London auszeichneten, wurden natürlich ebenfalls nach Kräften betont: die größere Nähe zu Kellynch, nur fünfzig Meilen, und der Umstand, daß Lady Russell einen Teil jeden Winters dort verbrachte; und sehr zur Genugtuung letzterer, die schon von Anfang an für Bath gewesen war, ließen sich Sir Walter und Elizabeth zu dem Glauben bewegen, daß sie weder Status noch Zerstreuungen einbüßen würden, wenn sie dort Wohnung nahmen.

Lady Russell konnte nicht anders, als sich den erklärten Wünschen ihrer lieben Anne zu widersetzen. Niemand könne billigerweise von Sir Walter erwarten, daß er mit einem kleinen Haus in seiner eigenen Nachbarschaft vorliebnahm. Anne selbst würde die darin enthaltene Kränkung härter treffen, als sie sich vorstellte, und für Sir Walter mußte sie geradezu fürchterlich sein. Und was Annes Abneigung gegen Bath anging, so war diese nach Lady Russells Ansicht ein Vorurteil und ein Fehler und rührte erstens von den drei Jahren her, die sie nach dem Tod ihrer Mutter dort hatte zur Schule gehen müssen, und zweitens daher, daß ihre Stimmung in dem einen Winter, den sie danach mit ihr selbst dort verlebt hatte, nicht die beste gewesen war.

Kurzum, Lady Russell mochte Bath und war folglich der Meinung, daß es jedermann zu taugen habe: soweit es die Gesundheit ihrer jungen Freundin betraf, ließ sich jeglicher Gefährdung dadurch vorbeugen, daß sie für die Sommermonate zu ihr nach Kellynch Lodge kam; und überhaupt konnte die Veränderung ihr an Leib und Seele nur guttun. Anne war zu wenig außer Haus gewesen, zu wenig in Gesellschaft. Ihre Lebensgeister lagen darnieder. Ein größerer Bekanntenkreis würde ihnen aufhelfen. Sie wollte, daß Anne mehr unter Menschen kam.

Daß andere Häuser in der Umgebung für Sir Walter so völlig außer Frage standen, lag nicht zuletzt an einem Unterpunkt des Planes, einem sehr wesentlichen Unterpunkt, der dem Ganzen gleich zu Beginn geschickt aufgepfropft worden war. Er würde sein Haus nicht nur aufgeben, er würde es auch in den Händen Fremder sehen müssen: eine Prüfung, an der schon stärkere Geister als der Sir Walters zerbrochen sind. – Kellynch Hall sollte vermietet werden. Dies jedoch war ein absolutes Geheimnis; kein Außenstehender durfte davon ein Sterbenswörtchen erfahren.

Sir Walter hätte die Demütigung nicht ertragen, wenn bekannt geworden wäre, daß sein Haus zu vermieten stand.– Mr. Shepherd hatte einmal das Wort »annoncieren« in den Mund genommen – aber diese Torheit nicht nochmals begangen; Sir Walter wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, sein Haus in irgendeiner Weise auf den Markt zu bringen; verbot jede leiseste Andeutung, daß er sich mit einer solchen Absicht trug, und nur unter der Voraussetzung, daß ihn spontan ein ganz und gar untadelhafter Interessent anging, der sämtliche seiner Bedingungen akzeptierte, würde er es, als großen Beweis seiner Gunst, überhaupt vermieten.

Wie leicht finden wir eine Begründung, das gutzuheißen, was uns genehm ist! – Lady Russell hatte noch einen weiteren hervorragenden Grund dafür, heilfroh zu sein, wenn Sir Walter und seine Familie aus der Gegend fortzogen. Elizabeth war dabei, eine Beziehung anzuknüpfen, die sie gern beendet sehen wollte. Sie hatte sich mit einer Tochter von Mr. Shepherd angefreundet, die nach einer unglücklichen Ehe in ihr Elternhaus zurückgekehrt war, obendrein noch mit zwei Kindern behaftet. Diese Tochter war eine geschickte junge Frau und verstand es, Gefallen zu erregen, Gefallen zumindest in Kellynch Hall: so angenehm hatte sie sich Miss Elliot bereits gemacht, daß sie schon mehr als einmal dort zu Gast gewesen war, allen Andeutungen zum Trotz, mit denen Lady Russell, die solche Vertrautheit für äußerst verfehlt hielt, zu Vorsicht und Zurückhaltung mahnte.

Überhaupt hatte Lady Russell herzlich wenig Einfluß auf Elizabeth, und wenn sie sie liebhatte, dann deshalb, weil sie sie ganz einfach liebhaben wollte, nicht etwa, weil Elizabeth es verdiente. Sie hatte von ihr nie mehr als oberflächliche Aufmerksamkeit empfangen, nichts, was über das Gebot der Höflichkeit hinausging; hatte sie in keinem Punkt jemals umzustimmen vermocht, in dem ihre Meinung bereits feststand. Wie oft hatte sie nicht schon darauf gedrungen, daß Anne mitgenommen würde nach London – denn die Ungerechtigkeit und Verwerflichkeit der eigennützigen Regelung, die Anne von der Reise ausschloß, war ihr aufs schärfste bewußt. Und auch bei geringeren Anlässen hatte sie immer wieder versucht, Elizabeth ihr klareres Urteil und ihre Erfahrung zugute kommen zu lassen – aber vergebens; Elizabeth ging ihren eigenen Weg – und nie hatte sie ihn in erklärterem Widerstand zu Lady Russell beschritten als in diesem Festhalten an Mrs. Clay, dieser beharrlichen Zurücksetzung einer so schätzenswerten Schwester, nur um ihre Zuneigung und ihr Vertrauen einer Person zu schenken, der sie nicht mehr hätte entgegenbringen dürfen als distanzierte Höflichkeit.

Von ihrer gesellschaftlichen Stellung her, so Lady Russells Überzeugung, war Mrs. Clay ein höchst unebenbürtiger und vom Wesen her ein höchst gefährlicher Umgang – und ein Ortswechsel, der die Dame aus Miss Elliots Dunstkreis entfernte und eine Auswahl passenderer Gefährtinnen in ihre Reichweite rückte, war demnach eine Angelegenheit von allerhöchster Priorität.

KAPITEL III

»Wenn ich mir die Bemerkung herausnehmen darf, Sir Walter«, sagte Mr. Shepherd eines Vormittags in Kellynch Hall, indem er die Zeitung beiseite legte, »der Zeitpunkt könnte günstiger nicht sein. Dieser Friede bringt alle unsere reichen Marineoffiziere an Land. Sie werden sich allesamt niederlassen wollen. Eine bessere Zeit können Sie kaum finden, Sir Walter, um eine Auswahl an Mietern zu haben, grundsoliden Mietern. Nicht wenige haben im Krieg ein stattliches Vermögen gemacht. Wenn es einen reichen Admiral hierher verschlüge, Sir Walter –«

»Dann könnte er sich beglückwünschen, Shepherd«, erwiderte Sir Walter, »mehr ist dazu nicht zu sagen. Kellynch Hall wäre eine stolze Prise für ihn, wohl seine stolzeste überhaupt, egal, wie viele er aufgebracht hat, was, Shepherd?«

Mr. Shepherd, der wußte, was sich für ihn gehörte, lachte über so viel Witz und fügte dann hinzu:

»Mit Verlaub, Sir Walter, mit den Herren von der Marine verhandelt es sich äußerst angenehm. Ich habe schon einige zu Geschäftspartnern gehabt, und ich stehe nicht an zu behaupten, daß sie sehr großzügige Ansichten haben und im Zweifelsfall so erstrebenswerte Mieter abgeben wie nur irgendwelche anderen Herrschaften, mit denen Sie es zu tun bekommen könnten. Was ich deshalb vorschlagen möchte, wenn Sie gestatten, Sir Walter: sollte doch etwas von Ihrer Absicht verlauten – und ganz ausschließen läßt sich das nicht, wir alle wissen ja, wie schwer es ist, die Handlungen und Pläne eines Teils der Welt vor der Aufmerksamkeit und Neugierde des anderen abzuschirmen, Bedeutung hat nun einmal ihren Preis – ich, John Shepherd, kann meine Privatangelegenheiten nach Belieben geheimhalten, weil sie ohnehin niemandem der Beachtung wert erschienen; doch auf Sir Walter richtet sich ein Augenmerk, dem zu entgehen schwieriger sein dürfte, und deshalb, diese Behauptung wage ich, wäre ich nicht allzu überrascht, wenn sich all unserer Vorsicht zum Trotz die Wahrheit gerüchteweise doch herumspräche; unter welcher Voraussetzung, wie ich eben ausführen wollte – da Anfragen zweifellos nicht ausbleiben werden –, ich solche von unseren reichen Marinekommandeuren für besonders interessant halte, und wenn ich das noch hinzufügen darf: ich kann zu jeder Zeit binnen zwei Stunden hier sein, so daß Sie auch der Mühsal einer Antwort enthoben wären.«

Sir Walter nickte nur. Aber gleich darauf erhob er sich und machte ein paar Schritte durchs Zimmer, wobei er sarkastisch bemerkte:

»Es dürfte unter den Herren von der Marine nur wenige geben, die nicht Augen machen würden, wenn sie sich in einem Haus dieses Stils wiederfänden.«

»Sie würden Augen machen, o ja, und sich dann glücklich preisen«, sagte Mrs. Clay, denn Mrs. Clay war auch zugegen; ihr Vater hatte sie hergefahren, da nichts Mrs. Clays Gesundheit so zuträglich war wie eine Fahrt nach Kellynch, »aber ich bin ganz einer Meinung mit meinem Vater, daß ein Seemann als Mieter sehr wünschenswert wäre. Ich durfte schon mit einigen ihres Standes Bekanntschaft machen, und neben ihrer Großzügigkeit sind sie auch so ausnehmend achtsam und ordentlich in allem! Diese vielen wertvollen Gemälde hier, Sir Walter, könnten Sie völlig unbesorgt an Ort und Stelle lassen, wenn Sie das wollten. Alles im und ums Haus würde tadellos gepflegt werden, die Gartenanlagen wären in fast so guter Hand wie jetzt. Und auch was Ihren entzückenden Blumengarten angeht, Miss Elliot, hätten Sie nicht das geringste zu befürchten.«

»Immer vorausgesetzt«, entgegnete Sir Walter kühl, »ich würde einer Vermietung überhaupt zustimmen, so ist noch keineswegs entschieden, welche Privilegien ich damit einhergehen ließe. Ich halte nichts davon, einem Mieter zu viele Rechte einzuräumen. Der Park würde ihm natürlich offenstehen, und wenige Marineoffiziere (und auch sonst wenige Männer) dürften solche Dimensionen gewohnt sein; aber inwieweit ich die Gärten zur Verfügung stelle, ist eine ganz andere Frage. Ich wüßte nicht, warum meine Strauchpflanzungen uneingeschränkt zugänglich sein sollen, und was ihren Blumengarten betrifft, so würde ich Miss Elliot zu größter Vorsicht raten. Ich bin sehr wenig geneigt, einem Mieter von Kellynch Hall irgendwelche außerordentlichen Vergünstigungen zuzugestehen, das sage ich Ihnen, ob er nun Seemann ist oder Soldat.«

Nach einer kurzen Pause erlaubte sich Mr. Shepherd zu antworten:

»In allen diesen Fällen gibt es bewährte Usancen, die das Verhältnis von Vermieter und Mieter klar und sauber regeln. Ihre Sache, Sir Walter, ruht in ganz sicheren Händen. Glauben Sie mir, ich werde dafür Sorge tragen, daß kein Mieter mehr an Rechten erhält, als ihm zusteht. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, daß Sir Walter Elliot nicht eifriger über seine Interessen wachen kann, als John Shepherd es für ihn tun wird.«

Hier mischte Anne sich ein:

»Die Marine hat sich so verdient um uns gemacht, sollten Seeleute da nicht wenigstens ebensoviel Anspruch wie andere Leute auf alle Annehmlichkeiten und Privilegien haben, die ein Zuhause geben kann? Sie plagen sich wahrlich hart genug dafür, das wird wohl keiner von uns abstreiten.«

»Sehr wahr, sehr wahr. Was Miss Anne sagt, ist sehr wahr«, erwiderte darauf Mr. Shepherd, und »Oh! Unbedingt!« seine Tochter; aber von Sir Walter kam wenig später:

»Der Beruf mag seine Meriten haben, aber ich würde es ungern sehen, wenn ein Freund von mir ihm angehörte.«

»Ach wirklich!« hieß es darauf, mit allen Anzeichen der Verwunderung.

»Doch, doch, er mißfällt mir aus zweierlei Gründen; ich habe zwei sehr gewichtige Einwände dagegen. Denn erstens steigen durch ihn Leute von niederer Geburt übergebührlich hoch auf und gelangen zu Ehren, von denen ihre Vorväter nicht zu träumen gewagt hätten, und zweitens beraubt er einen Mann aufs schaurigste aller Jugend und Kraft; Seeleute altern schneller als irgend jemand sonst, ich habe es mein Leben lang beobachtet. Wer bei der Marine ist, muß wie kein anderer mit dem Affront rechnen, Männer aufsteigen zu sehen, mit deren Vätern sein Vater kein Wort gewechselt hätte, und obendrein wird er sich vor der Zeit selber zum Graus. Letztes Frühjahr sind mir in London zwei Männer begegnet, beides frappierende Beispiele für das, was ich meine: Lord St. Ives, dessen Vater, wie wir alle wissen, ein Hilfsgeistlicher auf dem Lande war und von der Hand in den Mund lebte; ich mußte Lord St. Ives den Vortritt lassen! und ein gewisser Admiral Baldwin, eine Gestalt, wie man sie sich jammervoller kaum vorstellen kann, das Gesicht so braun wie Mahagoni, gräßlich rauh und zerklüftet, mit nichts als Falten und Furchen, neun graue Haare auf jeder Seite und obenauf ein Puderklecks. – ›Um Himmels willen, wer ist dieser alte Kerl?‹ fragte ich einen Freund von mir, der nahebei stand (Sir Basil Morley). ›Alter Kerl!‹ rief Sir Basil, ›das ist Admiral Baldwin. Auf wie alt schätzen Sie ihn?‹ ›Sechzig‹, sagte ich, ›vielleicht auch zweiundsechzig.‹ ›Vierzig‹, versetzte Sir Basil, ›vierzig und keinen Tag älter.‹ Stellen Sie sich meine Verblüffung vor; Admiral Baldwin werde ich so rasch nicht vergessen. Ein übleres Beispiel für die Verheerungen, die das Leben zur See anrichten kann, habe ich bis dato nicht gesehen, aber letztlich ist es bei ihnen allen das gleiche; immerzu werden sie herumgeschleudert und sind jeder Art von Klima und Wetter ausgesetzt, bis man sie gar nicht mehr anschauen mag. Ein Jammer, daß man sie nicht einfach totschlägt, bevor sie so alt werden können wie Admiral Baldwin.«

»Aber Sir Walter!« rief Mrs. Clay, »Sie sind zu streng! Zeigen Sie ein bißchen Erbarmen mit diesen armen Männern. Gutes Aussehen ist nicht jedem in die Wiege gelegt. Die See verschönert nicht, das ist wohl wahr; Seeleute werden beizeiten alt, ich habe es oft beobachtet; sie verlieren alle Jugendfrische. Aber ist das nicht bei vielen Berufen so, vielleicht sogar bei den meisten? Soldaten im aktiven Dienst ergeht es um keinen Deut besser; und selbst die gesetzteren Berufe erfordern einen Einsatz, einen Kraftaufwand geistiger, wenn schon nicht körperlicher Art, der das Aussehen eines Mannes nur selten der natürlichen Einwirkung der Zeit überläßt. Der Anwalt müht sich und härmt sich ab; der Arzt muß zu allen Zeiten auf den Beinen und in jedem Wetter unterwegs sein, und sogar der Pfarrer –«, sie hielt einen Moment inne, um zu überlegen, welches Kreuz der Pfarrer zu tragen hatte –, »sogar der Pfarrer geht ja in die Krankenstuben und setzt seine Gesundheit und ganze Erscheinung den giftigen Dünsten dort aus. Überhaupt, der Überzeugung bin ich schon lange, ist zwar jeder Beruf auf seine Art notwendig und ehrenhaft, aber nur denjenigen, die gar keinem Beruf nachgehen müssen und die ein regelmäßiges Leben führen, auf dem Lande, wo sie ihre Stunden frei einteilen und ihren Zeitvertreib frei wählen und auf ihrem eigenen Grund und Boden leben können, ohne immerfort nach mehr streben zu müssen – nur denen, sage ich, ist es vergönnt, die Segnungen von Gesundheit und gutem Aussehen bis zur Neige auszukosten; ich kenne keine anderen, deren Äußeres nicht leidet, sobald ihre erste Jugend vorüber ist.«

Mr. Shepherds Bemühungen, Sir Walter einen Marineoffizier als Mieter schmackhaft zu machen, schienen von prophetischem Geiste getragen zu sein; denn gleich der erste Interessent für das Haus war ein Admiral Croft, mit dem er kurz darauf in Taunton zusammentraf, wohin er zur vierteljährlichen Sitzung des Friedensrichters3 gereist war; in der Tat hatte ihm der Brief eines Londoner Bekannten bereits einen ersten Fingerzeig auf den Admiral geliefert. Laut dem Bericht, den zu erstatten er sofort nach Kellynch eilte, stammte Admiral Croft aus Somersetshire und wollte sich nun, da er es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht hatte, wieder in der Heimat niederlassen. Er war nach Taunton gekommen, um einige zur Vermietung ausgeschriebene Anwesen in der Umgegend zu besichtigen, von denen ihm jedoch keines zugesagt hatte, und als ihm dabei zufällig – (es war genau, wie er vorausgesehen hatte, betonte Mr. Shepherd, Sir Walters Angelegenheiten ließen sich nicht geheimhalten) – als ihm zufällig zu Ohren gelangt war, daß Kellynch Hall zu vermieten sein könnte, und er von seiner (Mr. Shepherds) Verbindung zu dessen Eigentümer gehört hatte, war er an ihn herangetreten, um Näheres zu erfahren, und hatte im Verlauf einer längeren Unterredung eine so starke Hingezogenheit zu dem Besitz bekundet, wie ein Mensch, der einen Ort rein aus Beschreibungen kennt, sie nur fühlen kann, und sich durch seine freimütigen Auskünfte über sich selbst als ein auf der ganzen Linie passender, vertrauenswürdiger Mieter ausgewiesen.

»Und wer bitte ist Admiral Croft?« lautete Sir Walters kalte, argwöhnische Frage.

Mr. Shepherd beteuerte, daß der Mann aus angesehener Familie komme, und nannte dazu den Ort, worauf Anne nach der kleinen Pause, die dem folgte, ergänzte:

»Er ist Konteradmiral beim Weißen Geschwader. Er war bei Trafalgar dabei und danach in Ostindien; er war mehrere Jahre dort stationiert, glaube ich.«

»Dann kann ich ja wohl davon ausgehen«, bemerkte Sir Walter, »daß sein Gesicht ungefähr so rot ist wie die Aufschläge an unseren Livreen.«

Mr. Shepherd beeilte sich zu versichern, daß Admiral Croft ein sehr robuster, gesunder, wohlaussehender Mann sei, ein wenig wettergegerbt, das ja, aber nicht sehr, in Ansichten und Auftreten durch und durch ein Gentleman, von dem keinerlei Schwierigkeiten bezüglich der Konditionen zu erwarten seien – der nur ein komfortables Haus beziehen wolle, und zwar lieber heute als morgen – der wisse, daß solche Bequemlichkeit ihren Preis habe – überdies wisse, welchen Mietzins ein vollständig möbliertes Haus dieser Größenordnung einbringen könne – es nicht überraschend gefunden hätte, wenn Sir Walters Forderung noch höher ausgefallen wäre – sich nach den Ländereien erkundigt habe – froh um das Jagdrecht wäre, gewiß, aber auch ohne es auskäme – sich nach eigenem Bekunden manchmal eine Flinte überwerfe, aber nie etwas schieße – ein Gentleman durch und durch.

Mr. Shepherd hatte sich warmgeredet; ausführlich schilderte er die Familienverhältnisse des Admirals, die ihn als Mieter so besonders empfahlen. Er war verheiratet und kinderlos; besser könne man es gar nicht treffen. Kein Haus werde je ordentlich gepflegt, hob Mr. Shepherd hervor, wenn keine Hausherrin da sei: er wisse nicht, ob die Möbel in einem Haus ohne Hausherrin nicht ebenso gefährdet seien wie in einem Haus voller Kinder. Eine Frau, aber keine Familie, das sei der beste Schutz für das Mobiliar, den es auf der Welt nur geben konnte. Er habe Mrs. Croft selbst kennengelernt; sie habe den Admiral nach Taunton begleitet und ihrer Unterredung fast durchgehend beigewohnt.

»Und eine sehr wohlberedte, noble, lebenskluge Dame schien sie mir«, fuhr er fort; »wollte noch mehr über das Haus und über die Bedingungen und Steuern wissen als ihr Mann und schien überhaupt in Geschäftsdingen besser bewandert. Und sie hat ihre eigene Verbindung zu unserer Gegend, Sir Walter, nicht weniger als der Admiral, insofern nämlich, als sie die Schwester eines Gentlemans ist, der ganz hier in der Nähe gewohnt hat, sie hat es mir selbst erzählt: die Schwester des Gentlemans, der vor ein paar Jahren in Monkford wohnte. Ach je, wie hieß er doch gleich? Der Name will mir nicht einfallen, obwohl ich ihn erst vor so kurzem gehört habe. Penelope, Liebes, kannst du mir sagen, wie der Gentleman hieß, der in Monkford gewohnt hat – der Bruder von Mrs. Croft?«

Aber Mrs. Clay war so ins Gespräch mit Miss Elliot vertieft, daß der Appell ungehört verhallte.

»Ich habe keine Ahnung, wen Sie meinen könnten, Shepherd, ich erinnere mich an keinen Gentleman in Monkford seit den Zeiten des alten Gouverneur Trent.«

»Du meine Güte, wie ausgesprochen sonderbar! Als nächstes vergesse ich noch meinen eigenen Namen! Dabei ist es ein Name, der mir bestens bekannt ist – ich habe den Gentleman so oft gesehen, wohl hundertmal – einmal hat er mich sogar konsultiert, das weiß ich noch, wegen eines Hausfriedensbruchs, den ein Nachbar von ihm begangen hatte – ein Knecht, der in seinen Obstgarten eingedrungen war – Mauer eingerissen – Äpfel gestohlen – auf frischer Tat ertappt – am Schluß hat er sich dann gegen meinen Rat auf einen gütlichen Kompromiß eingelassen. Wirklich überaus sonderbar!«

Ein paar Augenblicke des Wartens –

»Sie meinen wahrscheinlich Mr. Wentworth«, sagte Anne dann.

Mr. Shepherd strömte über vor Dankbarkeit.

»Wentworth, das war der Name! Mr. Wentworth, so hieß der Mann. Er hatte die Kuratenstelle in Monkford, wissen Sie nicht mehr, Sir Walter, zwei oder drei Jahre lang, es ist schon ein Weilchen her. Wann kam er? im Jahr 5, würde ich sagen. Sie entsinnen sich seiner doch, nicht wahr?«

»Wentworth? Allerdings – Mr. Wentworth, der Hilfspfarrer von Monkford. Sie haben mich mit Ihrem Gentleman in die Irre geführt. Ich dachte, Sie sprechen von einem Grundbesitzer: Mr. Wentworth war ein Niemand, erinnere ich mich, ganz ohne Beziehungen – keinerlei Verwandtschaft mit den Wentworths von Strafford. Man fragt sich, wie die Namen so vieler unserer Adelsgeschlechter so sehr zu Allerweltsnamen verkommen konnten.«

Als Mr. Shepherd sah, wie wenig diese Verbindung das Ansehen der Crofts bei Sir Walter beförderte, schwieg er davon und kam mit viel Verve auf das zurück, was unstrittiger für sie sprach: ihr Alter, ihre Anzahl, ihr Vermögen; die außerordentlich hohe Meinung, die sie sich von Kellynch Hall gebildet hatten, und ihr dringlicher Wunsch, es mieten zu dürfen, ganz so, als gäbe es für sie kein höheres Glück, als Sir Walter Elliot zum Vermieter zu bekommen: ein exotisches Begehren, hätten sie denn ahnen können, wie Sir Walter über die Rechte seiner Mieter dachte.

Es brachte ihn jedoch zum Ziel; obgleich Sir Walter einen jeden, der es wagte, in Kellynch Hall wohnen zu wollen, scheelen Blickes betrachten mußte und noch den unverschämtesten Mietzins für eine übergroße Gnade seinerseits hielt, erklärte er sich schließlich doch bereit, Mr. Shepherd die nächsten Schritte in Angriff nehmen zu lassen, und ermächtigte ihn, Admiral Croft, der noch in Taunton war, aufzusuchen und mit ihm einen Besichtigungstermin zu vereinbaren.

Sonderlich klug war Sir Walter nicht; aber er besaß doch Lebenserfahrung genug, um zu begreifen, daß sich ein untadeligerer Mieter, als es Admiral Croft in allen wesentlichen Punkten zu sein versprach, kaum finden konnte. So weit reichte sein Verstand; und die Eitelkeit lieferte ihm ein zusätzliches kleines Trostpflaster, den gesellschaftlichen Rang des Admirals nämlich, der gerade hoch genug, aber nicht zu hoch war. »Ich habe mein Haus an Admiral Croft vermietet« würde sich hervorragend anhören, viel besser als an einen bloßen Mr. – verlangt doch ein Mr. (mit Ausnahme vielleicht eines halben Dutzends im Lande) unweigerlich nach einer Erklärung. Ein Admiral bringt seine eigene Bedeutung mit sich und kann einen Baronet doch nie in den Schatten stellen. In all ihrem Umgang, bei allem Verkehr zwischen ihnen, war Sir Walter der Vorrang sicher.

Erst mußte freilich Elizabeths Zustimmung eingeholt werden; aber sie sehnte einen Ortswechsel inzwischen so sehr herbei, daß sie froh war, ihn durch einen so kommoden Mieter besiegelt und beschleunigt zu sehen, und aus ihrem Mund kam kein Wort, das die Entscheidung aufgeschoben hätte.

Mr. Shepherd erhielt alle nötigen Vollmachten; und kaum waren diese erteilt, als Anne, die dem Ganzen mit größter Aufmerksamkeit gelauscht hatte, auch schon aus dem Zimmer schlüpfte, um ihre brennenden Wangen an der frischen Luft zu kühlen; und während sie einem ihrer Lieblingswege am Saum eines Wäldchens folgte, sagte sie mit leisem Seufzen: »Noch ein paar Monate, dann geht vielleicht er hier entlang.«

KAPITEL IV

Er, das war nicht Mr.