Scyomantische

Gespräche

 

von

Lyakon

 

Illustrationen von

Kürbis17

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Keine Kopie ohne Zustimmung des Verlags.

Das Buchcover darf zur Darstellung des Buches unter Hinweis auf den Verlag jederzeit frei verwendet werden. Eine anderweitige Vervielfältigung des Coverbilds ist nur mit Zustimmung des Verlags möglich.

 

 

Die Namen und Handlungen sind frei erfunden.

Evtl. Namensgleichheiten oder Handlungsähnlichkeiten sind zufällig.

 

 

 

 

www.verlag-der-schatten.de

Erste Auflage 2017

© Lyakon

© Coverbild: Kürbis17

Covergestaltung: Verlag der Schatten

© Illustrationen: Kürbis17

Lektorat: Verlag der Schatten

© Verlag der Schatten, D-74594 Kressberg-Mariäkappel

ISBN: 978-3-946381-22-8

 

 

 

 

 

Geister und Dämonen bestimmen die Welt von Lyakon, einem der letzten aktiven Geisterbeschwörer. In acht Geschichten gibt der praktizierende Scyomant einen Einblick in die Schicksale jener Geister, die in der Ödnis zwischen Diesseits und Jenseits gefangen sind. Neben den Berichten aus dem Leben der Jenseitigen gewährt er in acht Zwischenkapiteln seltene Einblicke in die Welt der Magie.
Scyomantische Gespräche lüftet den Schleier in eine fantastische Welt, die ansonsten den meisten Sterblichen zu Lebzeiten unzugänglich ist.

 

 

 

Image


Inhalt

 

Über die Scyomantie

Der glücklose Römer

Über die Reinigung

Die verlorene Seele

Über die Kunst des Seelenreisens

Fabricienne

Über die Nekyomantie

Der Fluch des Unsterblichen

Über die Dämonen und das Paktieren mit derlei Wesenheiten

Der Barocksessel

Über das Wesen des Spuks

Der ewige Krieger

Über Ektoplasma

Die Bernsteinkette

Über Bestattungsriten

Wahrer Reichtum

Biografie Lyakon

Biografie Kürbis17

 

Über die Scyomantie

 

Image

 

Seit Generationen tradiert meine Familie jenes verborgene Wissen, welches ehedem vom Universalgelehrten Agrippa von Nettesheim als Scyomantie bezeichnet wurde. Diese Fähigkeit, den Geistern der Toten ätherische Substanz zu verleihen, geht auf eine okkulte Tradition zurück, die bereits in der Bibel im ersten Buch Samuel Kapitel 28 Vers 3 bis 25 beschrieben wird. Dort wird ausgeführt, wie die Hexe von En-Dor für König Saul den Geist des verschiedenen Propheten Samuel beschwor. Obwohl per königlichem Dekret verboten, nutzt so der Herrscher selbst die von ihm unter Todesstrafe gestellte Kunst, welche es den Sterblichen ermöglicht, Rat bei jenen Weisen zu suchen, die das Diesseits längst verlassen haben. Saul erhielt auf diese Art Einblick in das, was vorherbestimmt war, obgleich dies für ihn persönlich nur die Kunde seines nahenden Untergangs bedeutete.

Neben der Verwendung der Scyomantie, um weisen Ratschlag aus jenseitigen Gefilden zu erbitten, kann auch Schadzauberei dergestalt mit ihr betrieben werden, dass man die Toten ruft, um die Lebenden zu quälen. Während im Jenseits meist zufriedene Tote vereint mit ihren Ahnen leben und daher vom Gemüt her eher hilfreiche Geister sind, so gibt es auch welche in einem Zwischenreich des Schleiers, der das Diesseits von der Welt der Toten trennt. Wenn eine Seele, ihrem irdischen Körper schon entrissen, den Übergang zum Jenseits nicht erlangen kann, weil beispielsweise äußere Umstände dies vereiteln, so bleibt sie an einem unwirtlichen Ort zwischen den Welten gefangen, der getränkt ist vom Odem der Verzweiflung. Jene Seelen, die dort gefangen sind, können weder mit dem Diesseits in Kontakt treten noch aus eigener Kraft zu ihren Ahnen finden. Verdammt, auf ewig durch graue Ödnis zu wandern, steigert sich von Tag zu Tag ihr Hass auf jene, denen größeres Glück beschieden scheint, da sie noch leben oder bereits im Jenseits mit den Ihren freudig vereint sind. Ins Unermessliche gesteigert wird die Qual, da sie jenseits des Schleiers eine verblasste Version des Diesseits sehen können und so täglich mit dem konfrontiert werden, was sie verloren haben. Diese Wut der Gottverfluchten wird vom Scyomanten ausgenutzt, um Poltergeister zu erschaffen oder jene grausamen Kreaturen, die sich als Alb an den Seelen der Träumer laben. Aber mit dieser schwärzesten aller okkulten Traditionen hatte meine Familie nie etwas zu tun. Wir sind seit jeher darauf bedacht, unsere Kunst nur zum Wohle der verlorenen Seelen einzusetzen, die darauf hoffen, durch unsere Hilfe mit ihren Ahnen im Jenseits vereint zu werden.

Meine Art der Invokation dieser in der Zwischenwelt gebundenen Seelen basiert auf der Verwendung eines Invokationstisches sowie handgezogener Bienenwachskerzen, die – mit verschiedenen alchemistischen Zutaten versetzt – den körperlosen Geistern ermöglichen, durch den Rauch der Kerze eine ektoplasmatische Gestalt anzunehmen. Erst durch diese arkane Transmutation gelingt das Gespräch zwischen mir als Scyomanten und den Verdammten, da sie ansonsten als körperlose Kreaturen keine Stimme haben. Dabei ist verwunderlich, dass es bei dieser Art der Kontaktaufnahme dem Totenbeschwörer stets möglich ist, die Worte des sich manifestierenden Geistes zu verstehen – unabhängig davon, ob er die zu dessen Lebzeiten gesprochene Sprache überhaupt beherrscht.

Welcher Geist meiner Einladung zur Manifestation folgt, kann ich nicht beeinflussen, doch weiß ich von Schilderungen meines Vaters sowie eigenen Beobachtungen, dass Hunderte rastlose Seelen zu jedem Zeitpunkt meine Familie begleiten und darauf hoffen, durch uns einen Weg heraus aus ihrem ewigen Kerker zu erlangen. Die handgemachten Kerzen dienen dabei als Tor in unsere Welt. Solange die Flamme brennt und der Rauch als Medium dient, kann der Geist mit dem Scyomanten sprechen. Verlöscht das Feuer, schwindet auch die Substanz des Geistes und wäre erst durch erneute Invokation hervorzubringen, wenn nicht ein anderer Geist an seiner statt das Tor zuerst durchschreitet. Oft schon schilderten mir meine körperlosen Gäste, dass wahre Schlachten auf der anderen Seite zwischen verzweifelten Seelen, die auf Erlösung von ihren Qualen hoffen, toben. Nur selten gelingt es aufgrund dieser Umstände einem Geist, sich mehr als einmal im Diesseits zu manifestieren.

Ich führe meine Beschwörungen stets an einem antiken Ebenholzschreibtisch durch, dessen vierzig mal vierzig Zentimeter große, abgegriffene Oberfläche mit unzähligen okkulten Intarsien verziert ist. Mittig ist dort ein im Durchmesser zwanzig Zentimeter messendes Septagramm aus reinem Silber eingelassen, das die ektoplasmatischen Schemen daran hindert, die Grenzen des Siegels zu überschreiten. Hat ein Geist erst Substanz erlangt, kann er bei falscher Durchführung der Rituale in den Körper des Beschwörers dringen und diesen übernehmen.

An jedem der Enden des siebenstrahligen Sterns ist der Name eines der sieben Erzengel mit schwarzem Onyx so kunstvoll eingefügt, dass der flüchtige Betrachter dieses Detail oftmals übersieht. In der Mitte des Siebensterns befindet sich eine rundliche Vertiefung zur Aufnahme einer alchemistischen Invokationskerze, welche als zentraler Fokus der Beschwörung dient. Einmal entzündet steigt weihrauchgetränkter Qualm empor, und während ich mit der Intonierung jener alten Formeln beginne, die als Geheimwissen nur den erfahrensten Scyomanten bekannt sind, transmutiert der Rauch zu reinem Ektoplasma und verleiht den körperlosen Seelen im Diesseits kurzfristig Gestalt.

Derweil meine Vorväter unsere Kenntnisse stets als okkulte Wissenschaft im Verborgenen hüteten, habe ich mich nun dazu entschlossen, einen Einblick all jenen zu ermöglichen, die dem Okkulten gegenüber aufgeschlossen sind. Den Leser erwarten neben Schilderungen aus dem früheren Leben der hilfesuchenden Geister auch einige Einblicke in meine ehrwürdige Kunst. Wobei ich streng darauf achte, nicht zu viel zu enthüllen, denn ich möchte vermeiden, dass leichtsinniges Experimentieren solche Narren, welche die Zwiesprache mit den Toten als bloßen Zeitvertreib verstehen, in Gefahr bringt.

 

Der glücklose Römer

 

Image

 

Ach, wie gesegnet sind jene Toten, die vom schwarzen Wasser der Lethe tranken und den Erinnerungen ihrer früheren Existenz beraubt durch jenseitige Gefilde wandeln. Ich bin derweilen verdammt, auf ewig durch den grauen Schleier, welcher die Welt der Lebenden von jener der Toten trennt, zu wandeln, unfähig, mit der einen oder anderen Seite in Interaktion zu treten. Mich umgibt zu jeder Zeit ein Chor aus verzweifelten Leidensgenossen, deren wahnsinniges Geheul dem Gekreisch der Furien gleicht, die Unheil und Verderbnis bringen. Diese immerwährende Kakophonie, welche wie ein schweres Leichentuch über dieser Ödnis liegt, zerbricht beizeiten auch den stärksten Geist und lässt nur wimmernde Kreaturen zurück.

Über Jahrhunderte durchwandere ich nun dieses Zwischenreich auf der Suche nach einer Möglichkeit zur Flucht. Fast schon hatte auch mich die Hoffnungslosigkeit übermannt, denn wie der Sog der grausamen Charybdis die Schiffe, welche ihr zu nah gekommen, unausweichlich dem Untergang entgegenreißt, so zieht auch mich das Schicksal seit Anbeginn meiner Existenz von einer Katastrophe zielstrebig nur der nächsten entgegen. Ich fühle mich nach all dieser Zeit wie ein erschöpfter Faustkämpfer im blutgetränkten Rund des Amphitheatrum Flavium, der ohne Gegenwehr die vom frenetischen Jubel der angeheizten Menge begleiteten Schläge seines übermächtigen Rivalen ertragen muss. Doch scheint mir nach all den durchstandenen Niederlagen Fortuna heute hold zu sein, da ich endlich Kontakt zu einer lebenden Seele erlangen konnte. Von Euch erhoffe ich Rettung aus meiner Not, denn hier im Zwischenreich wird Euer Name von jenen, die noch nicht dem Wahnsinn verfallen sind, stets hochgehalten als der von einem, der Hilfe bringt, ohne Gegenleistung zu erfragen. Den Weg zu meiner Erlösung kenne ich bereits, da ich in all den vergangenen Jahrhunderten nie untätig war und stetig danach forschte. Weil meine Rettung aber eng mit meinem Fluch verbunden ist, möchte ich Euch zunächst den Ursprung meiner Pein schildern.

Vor meiner Geburt stand meine Familie hoch in Fortunas Gunst, und meine Ahnen nahmen unter den Bürgern Roms den ehrenwerten Stand der Patrizier ein. Mein Vater, von solch ästhetischer Statur, dass er als Vorlage für Götterstatuen dienen konnte, lebte die meiste Zeit des Jahres auf den ausgedehnten Ländereien außerhalb der menschenüberfluteten Enge Roms. Er besuchte die Stadt nur, wenn wichtige Angelegenheiten seiner Anwesenheit bedurften. Meine Mutter, ebenfalls einem reichen Geschlecht entstammend, war, so man den Schilderungen meines Bruders glaubt, eine wunderschöne Frau, um die sich in ihrer Jugend viele Verehrer sammelten. Ihr Vater konnte unter einer Vielzahl von potenziellen Heiratskandidaten wählen, doch schien die Verbindung zu meines Vaters Haus die größten Vorteile zu bieten. So mancher dachte zu jener Zeit, dass unsere Familie irgendwann die höchsten Ämter bekleiden würde.

Ach, wie groß war die Freude meiner Eltern, als der Verbindung ein kräftiger Knabe entsprang, der bereits als Kind – mit wohlgeformten Gliedern gesegnet – jenen Fresken glich, welche den kleinen Herkules in seiner Wiege zeigten. Unsere Familie war fest in der Gesellschaft Roms verankert, einer standhaften Eiche gleich, der nun ein starker Spross entsprungen war. Als bald darauf meine Mutter erneut guter Hoffnung war, sah man dies als weiteres Indiz für Fortunas Segen, und manch Neider flüsterte, dass die Götter anscheinend nur jene reich beschenkten, die auch vorher schon gesegnet waren. Wie falsch doch diese Narren lagen, denn seit meiner Zeugung liegt der faulige Kuss der Ananke auf unserem Haus, jener Göttin, welche in den Tragödien der Griechen die Unausweichlichkeit des Niedergangs bestimmt.

Glaubt man den Berichten meines Bruders, so bereitete ich schon im Leib der Mutter der Familie größtes Leid. Es schien, als ob ich, einem nimmersatten Egel gleich, ihrem Körper die Lebenskraft entzog. Ihre Haut wurde fahl, das Haar ergraute und man hätte bei ihrem Anblick eher an einen der abscheulichen Lemuren als an jene Frau gedacht, deren Schönheit noch vor Kurzem Dichter in höchsten Tönen lobten. Weit über die normale Zeit blieb ich im Mutterleib, und als ich endlich ihrem Bauch entstieg, schied sie dahin – all ihrer Energie beraubt. Groß war die Trauer, welche sich bleiern über unser Haus legte, und hätten Verwandte meinen vor Kummer rasenden Vater nicht gestoppt, so hätte er mich wohl bereits in meiner ersten Stunde auf dieser Welt erschlagen.

Ach, hätte er dies doch getan, welch Unglück wäre mir erspart geblieben. Meine Mutter, die alle liebten, musste – noch viel zu jung an Jahren – ins Jenseits weichen, da ich die Welt erblickte viel zu spät.

 

Mein Vater verachtete mich, und er ließ mich beinahe jeden Tag spüren, dass ich in seinen Augen der Meuchler seines geliebten Weibes war. Wenn er mich nicht gerade schlug, ignorierte er mich, sodass ich mich alsbald nach den Schlägen sehnte – zeigten diese wenigstens, dass er mich nicht vergessen hatte. Sein einziger Lichtblick war der Erstgeborene, den er wie seinen Augapfel hütete und noch mit Zuneigung überschüttete, als ihn die Spiel- und Trinksucht, die er aufgrund der Gram entwickelte, dazu brachte, unser einst so stolzes Haus verfallen zu lassen. Der innere Verfall der Familie spiegelte sich auch in unseren Gütern wider, die sich, ohne Führung durch den Patriarchen, bald schon im Niedergang befanden. Wie die einst schmucken Gärten vor dem Landhaus zunehmend unter wild wucherndem Unkraut erstickten, so raubten Bacchus’ Gaben meinem Vater den Verstand, und immer seltener wurde unser Familienname in Rom genannt. Wir, einst so reich mit Aufmerksamkeit bedacht, wurden nun totgeschwiegen.

Es mag wenig verwundern, dass mit der Zeit die finanziellen Mittel schwanden und immer mehr von dem, was unsere Ahnen mühsam aufgebaut, von meinem Vater veräußert wurde. Wahrscheinlich hätte er unser Haus verspielt, wenn nicht die schwarzen Flügel der unerbittlichen Mors auf ihn gefallen wären und ihn aus dieser Welt gerissen hätten.

An einem kalten Morgen am Nonen des Ianuarius, ich mochte wohl bereits das zwölfte Lebensjahr erreicht haben, überquerte mein Vater nach einer langen Nacht mit Glücksspiel und Trinkgelagen vom Wein berauscht den zugefrorenen Fischteich nahe unserem Haus. Er sah mich bei den Fauces unserer Villa die rissigen Säulen ausbessern, und ich vermeinte das grausame Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen, welches er immer zeigte, kurz bevor er mich zur Strafe für das Unglück, das ich in seinen Augen über unser einst so stolzes Geschlecht gebracht hatte, mit Faustschlägen traktierte. Doch während ich mich schon auf jene Schmerzmomente freute, die mir zeigten, dass er mich nicht komplett vergessen hatte, hörte ich ein Knacken, sah, wie die Eisfläche unter ihm nachgab und das kalte Wasser ihn verschlang.

So schnell ich auch der Stelle des Unglücks entgegeneilte, so vergeblich war mein Handeln. Als ich die Lücke im Eis erreichte, war dort nur ruhiges Wasser, in dem sich mein Anblick, erfüllt von höchster Verzweiflung, widerspiegelte. Mein Vater war tot, Rettung war nicht mehr möglich, denn trotz meiner Eile war ich zu spät.

 

Wir trugen ihn zu Grabe, und mein Bruder, bereits zum Manne gereift, trat ein schweres Erbe an. Wenig war vom vormaligen Wohlstand unseres einst so unverwüstlich scheinenden Stammbaums geblieben, und wir mussten auf manche Annehmlichkeit verzichten, um zu retten, was nicht bereits durch Vaters Spiel- und Trinksucht verloren war. In finanziellen Dingen nicht unbegabt gelang es meinem Bruder zwar, den weiteren Schwund des Vermögens zu stoppen, doch warfen die kümmerlichen Reste des ehemals so unerschöpflich scheinenden Besitztums zu wenig ab, um zwei junge Herren zu versorgen. Es blieb für mich nur der Weg ins Militär, wo schon ein Name wie der Meine reichte, um in höhere Ränge aufzusteigen. So unterstützte mich mein lieber Bruder, dessen aufopferungsvolle Güte wohl selbst die Göttin Vesta, die Schutzpatronin der Familie, zu Tränen rühren würde, soweit es ihm, ob der geringen Finanzen, möglich war. Ihm verdankte ich die Aufnahme als Offizier im Range eines Decurio in eine Turma der Reiterei.

Schnell fiel den Oberen jene emotionale Härte auf, zu der jahrelange Misshandlung durch meines Vaters Hand geführt hatte. Derart abgestumpft gegen körperliche Unbill ertrug ich die rauen Sitten der Armee mit Duldsamkeit. Doch während ich selbst in Gleichmut aushielt, was von höherer Stelle an Druck auf mich herniederprasselte, gab ich diesen nie an die mir unterstellten Reiter weiter. In der Führung der mir Untergebenen war ich stets darauf bedacht mit jener Mischung aus angemessener Strenge und mitfühlendem Wohlwollen, welche ich in der väterlichen Erziehung so schmerzlich vermisst hatte, den einzelnen Soldaten zu etwas Besserem zu formen. Oft saß ich am Lagerfeuer im Kreise der mir Anvertrauten, und jene dreißig sahen zu mir als ihren Schutzherrn auf, obwohl ich kaum älter war als sie.

Nachdem wir unsere Ausbildung durchlaufen hatten, ereilte uns der Ruf gen Osten, um unter Marcus Minucius Thermus an der Belagerung des abtrünnigen Mytilenes auf der fernen Insel Lesbos teilzunehmen. Nun sahen wir alle unsere Zeit gekommen, um – in der Kriegskunst wohl geschult – auf dem Acker des Gottes Mars die Ernte von Ruhm und Ehre einzuholen. Doch auch hier entfaltete der Kuss Anankes seine Verderbnis bringende Kraft, denn zur Ankunft bei den zum Krieg gerüsteten Legionen erwarteten mich einunddreißig Stockhiebe, einer für mich und einer für jeden der mir unterstellten Soldaten. Aufgrund widriger Umstände erreichte ich das sich sammelnde Heer nämlich zu spät.

 

Trotz des negativen Beginns dieses Abenteuers erhoffte ich, schon bald durch Ruhmestaten meine Verfehlungen vergessen zu machen. Wenn für eine Aufklärungsmission eine Turma gesucht wurde, standen wir bereit. Kamen wir in ein Scharmützel, so ritt ich stets voran und führte meine Männer als Erster unter Gleichen an. Es war diese Mischung aus Wagemut und Einsatzfreude, die dazu führte, dass mein Name wieder wohlwollende Aufmerksamkeit erregte. Als dann die Zeit gekommen war, die Befestigungen zu stürmen, ritt ich an der Spitze der Meinen vor, um durch meine Mannestaten Einzug in jene Soldatenlieder zu erhalten, die des Nächtens an den Feuern vom Ruhm jener Kameraden kündeten, die in ihrem Wesen den Heroen der Sagen glichen.

Ach, wie sehr schmerzt es mich, zugeben zu müssen, dass auch diesmal nicht Mars mich mit seinem Segen bedachte, sondern Anankes Fluch ein weiteres Mal seine unheilvolle Kraft entfaltete. Ich ritt mit angelegter Hasta dem Feind entgegen, als ein Straucheln meines sonst so sicheren Rosses mich stürzen ließ. In schwerer Rüstung lag ich benommen im Staub. Die Fußtruppen des Feindes erkannten mich als leichtes Opfer, stürmten vor, um mir den Tod zu bringen, und wenn ich auf jene Enttäuschungen in meinem Leben zurückblicke, die mich nach Mytilenes Fall noch erwarteten, so wünschte ich fast, dass man mich erschlagen hätte. Doch ein junger Offizier der römischen Armee, der mein Unglück beobachtet hatte, eilte zu meiner Rettung herbei, und mit dem Gebrüll eines Löwen, das selbst den wilden Nashornbullen zur Flucht sich wenden lässt, stürmte er dem Feind entgegen. Während der rote Nebel der Benommenheit noch meine Sicht trübte, fällte jener Heroe, in Mut und Kampfeskraft eines Achilles ebenbürtig, mit der Schärfe seines Gladius einen Angreifer nach dem anderen. Wie das Korn vor der Sense des Schnitters fiel der Feind in großer Zahl danieder. So setzte er sein eigenes Leben, ohne zu zögern, ein, um das meinige zu retten, und verständlich war es, dass an diesem Abend die Kameraden nicht meinen Namen voller Ehrfurcht raunten. Jener Krieger war der tapferste unter allen, und mir wurde nach altem Brauch nun die Aufgabe zuteil, meinen Retter vor den versammelten Legionen mit der Corona civica zu krönen, welche seit jeher jenem Kämpfer vorbehalten ist, der unter Einsatz seines Lebens einen römischen Bürger in der Schlacht vor den Waffen der Feinde rettet.

Ich war aus Rom hierhin zur Insel Lesbos geeilt, um Eingang in die Annalen der Legion zu erhalten, doch würde jetzt niemand sich an mich erinnern, denn weiteren Schlachtenruhm konnte ich an dieser Stelle nicht erringen. Da der Krieg gewonnen war, war es für Heldenruhm nun zu spät.

 

Einen Vorteil hatte der Fall Mytilenes mir jedoch gebracht, denn jener mutige Offizier, der in höchster Bedrängnis mir zu Hilfe geeilt war, hatte meinen Namen nicht vergessen. Noch bevor er aufbrach, um einen neuen Posten anzutreten, der einem Helden der römischen Legionen würdig war, versprach er, mich als Beneficiarier künftig gezielt zu fördern, was mir sowohl ein hohes Ansehen als auch ein höheres Gehalt ermöglicht hätte. Ein solcher Posten hätte mich in die Lage versetzt, meinen Bruder, der jahrelang zu meinen Gunsten auf manche Annehmlichkeit verzichtet hatte, durch die Zusendung der Hälfte meines Solds im Wiederaufbau unserer Güter zu unterstützen. So wartete ich Tag für Tag auf eine Nachricht von jenem Wohltäter, der mir Hoffnung auf weiteren Aufstieg machte, doch wartete ich zunächst vergebens. Fast war ich schon der Meinung, dass er meinen Namen längst vergessen hatte, als ein Pergament meine offizielle Versetzung zu den Legionen des Publius Servilius Vatia Isauricus verkündete, von wo mein Förderer nach mir rief. Mit einer Galeere, die bereits in Ostia vor Anker lag, sollte ich zu meinem Gönner eilen, um an dessen Seite die Piraterie im fernen Kilikien zu bekämpfen.

Die dreißig Reiter, die über all die Zeit mehr Freunde als Untergebene gewesen waren, stießen am Abend vor meiner Abreise mit mir auf diese gute Nachricht an, und manche Amphore besten Weines wurde von uns geleert, als wir voneinander Abschied nahmen. Doch während wir auf Fortunas Segen anstießen, war es Anankes Wein, den wir tranken.

Mit schweren Gliedern und pochendem Kopf erwachte ich erst zur Mittagszeit, und obwohl ich ausladenden Schrittes zum nahen Hafen eilte, war die Galeere bereits in See gestochen.

Ach, wie töricht war ich doch gewesen, so sehr des Bacchus’ Gaben anzunehmen, die bereits meinen Vater in den Abgrund gerissen hatten. Aber für Reue war es nun zu spät.

 

Mit gesenktem Kopf musste ich meinen Vorgesetzten gestehen, dass ich zum wiederholten Male den rechtzeitigen Antritt eines neuen Postens verpasst hatte. Während auf Lesbos noch Stockhiebe meine Strafe waren, schien man nun der Meinung, dass bei mir nur härtere Bestrafungen erfolgversprechend seien. So befand ich mich unversehens im Kerker der Kaserne wieder, wo über zwei Wochen man mir meine Unpünktlichkeit auszutreiben suchte.

Als ich nach abgesessener Strafe Kilikien voller Scham erreichte, musste ich erfahren, dass mein Gönner bereits zurück nach Rom gereist war, wo ein höherer Posten auf ihn wartete. Da mich gültige Befehle an die Legionen des Publius Servilius Vatia Isauricus banden, war mir ein Nachreisen unmöglich, sodass ich ausharren musste, obwohl hier wenig Ruhm und Ehre zu gewinnen war. Meine Chance zum Aufstieg hatte ich erneut vertan. Ein Trinkgelage und die Kerkerhaft waren mein Verderben, denn erneut war ich zu spät.

 

Einige Jahre diente ich noch in der Legion und hatte jede Hoffnung, endlich in höhere Ränge aufzusteigen, bereits aufgegeben, als ich vernahm, dass mein Bekannter, der in meinen Augen, ob seines unermesslichen Glücks, ein Günstling der Götter war, Prokonsul in Illyrien und Gallien sei. Er stellte just in diesem Moment Legionen auf, um gegen die Helvetier zu ziehen, deren hinterlistige Überfälle den Norden unserer Heimat schon seit langer Zeit bedrohten. Nun sollten sie, die sich in den hohen Bergen ihrer Heimat vor der Rache der Römer sicher fühlten, den Sturm ernten, den sie selbst gesät hatten. In diesem Krieg, so hoffte ich, würde ich, trotz meines schon fortgeschrittenen Alters, noch einmal die Chance auf einen Aufstieg finden.

Obwohl ich lange zögerte, bis ich ihm schrieb, konnte mein verhinderter Gönner von einst sich an mich erinnern. Ich hatte, so gebe ich offen zu, nicht damit gerechnet, denn mein bisheriges Leben hatte mich gelehrt, stets das Negative als das für mich Vorgesehene zu erwarten. Doch stand jener, dessen Namen man in den Legionen voller Ehrerbietung nannte, zu seinem Wort und bot mir seine Hilfe an. Mein Zögern bei der Kontaktaufnahme hatte jedoch zur Folge, dass alle höheren Posten innerhalb der Legionen bereits vergeben waren, denn wie gewöhnlich war ich viel zu spät.

 

Da ein Einsatz als Offizier nun nicht mehr möglich war, führte er mich als Veteran in seinen persönlichen Stab ein. Somit blieb mir der direkte Erwerb von Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld zwar verwehrt, denn meine Aufgaben waren eher administrativer Natur, doch konnte ich, weil jener, dem ich diente, von Fortuna mit ihren Gaben reich bedacht wurde, durch die erfolgreichen Feldzüge in Gallien einen bescheidenen Wohlstand anhäufen, den ich mit meinem Bruder teilte.

Dieser hatte durch günstige Heirat und viel Geschick einiges von jenem Wohlstand wiedererlangt, den mein Vater einst verprasste. Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Unter dem Schutz meines verehrten Förderers konnte ich miterleben, wie er von Tag zu Tag an Macht und Einfluss gewann, bis zu jenem Moment, als sogar der Senat sich seinen Wünschen beugte und ihn zum dictator perpetuus ernannte.

Wie bei solch kometenhaftem Aufstieg üblich hatte er sich auf dem Weg zur Spitze eine nicht unerhebliche Anzahl von Feinden angehäuft, die nun die Zeit gekommen sahen, seinem Machthunger ein Ende zu setzen. Aber auch hier war Fortuna an meines Gönners Seite. Durch einen Seher wurde er gewarnt, dass ihm die Iden des Martius großes Unheil bringen würden. Doch wie bei Männern üblich, denen das Glück über Jahre hinweg hold war und die sich gottgleich wähnten, schlug er alle Warnungen unbedacht in den Wind.

An seiner Seite begab ich mich an jenem Tag, der mein Unglück besiegeln sollte, auf den Weg zu einer Senatssitzung. Ein Philosophielehrer namens Artemidoros überbrachte ihm, noch bevor wir aufbrachen, eine versiegelte Pergamentrolle, deren Inhalt von höchster Wichtigkeit sei. Zeitdruck hinderte den ruhmreichen Feldherrn jedoch am Lesen der Nachricht, sodass er sie zur sicheren Aufbewahrung an Marcus Antonius weitergab, der mit uns zum Theater des Pompeius eilte.

Als jener, den die Götter bisher stets mit Wohlwollen bedachten, die Sitzungsräume des Senats betrat, zog ich mich mit Antonius zurück. Gerade hatten wir den Platz verlassen, da ließ Neugierde uns die Rolle öffnen, und was wir lasen, erfüllte uns mit Schrecken. Der detaillierte Plan einer Verschwörung mit dem Ziel, meinen Gönner zu ermorden, war dort verzeichnet.

Unverzüglich eilte Antonius mit mir zurück, doch da lag auf dem weißen Marmor unser Herr bereits von dreiundzwanzig Dolchstichen dahingerafft in seinem purpurnen Blut.

Ach, wie grausam kann das Schicksal sein, denn erneut war ich zu spät.

 

zu spät