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Lutz LEOPOLD

Jürgens Mordfälle

Tod am Lüster/Tod an der Pissrinne

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© 2017 Lutz LEOPOLD

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7439-3015-5
Hardcover: 978-3-7439-3016-2
e-Book: 978-3-7439-3017-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Tod am Lüster

1 Dienstag

2 Mittwoch

3 Donnerstag

4 Freitag

4 Freitagabend

5 Samstag

5 Samstagnachmittag

6 Sonntag früh

6 Sonntagmittag

6 Sonntagabend

7 Montag

7 Montagnachmittag

8 Dienstag

9 Mittwoch

10 Donnerstag

11 Freitag

12 Samstag

13 Montag

Tod in der Pissrinne

1 Sonntag

2 Montag

3 Dienstag

4 Mittwoch

5 Donnerstag

6 Freitag

7 Samstag

8 Sonntag

Danach

Tod am Lüster

1 Dienstag

Seit einem Jahr bemüht sich, der ehrgeizige 42jährige Hauptmann der Kriminalpolizei, um Versetzung zurück in seine Geburtsstadt Wien.

Nach knapp 20 Jahren Dienst in Graz ruft ihn der Leiter der Landespolizeidirektion Steiermark am Montag zu sich. „Ich habe hier Ihre Beförderung zum Major. „Wollen Sie uns wirklich verlassen?“

Eher eine pro Forma Frage, da es schon länger feststeht. Die Beförderung ist mit einer Versetzung verbunden. Sein Wunsch wurde erfüllt und er ist am Ziel.

Die Vorbereitung für die Abschiedsfeier hat kaum Zeit in Anspruch genommen. Am Dienstag gleich nach Dienstschluss beginnt das Fest in einem der Sitzungszimmer. Pospischil ist bei den Kollegen sehr beliebt. Mit seiner umgänglichen Art und seinem kompetenter Umgang mit den Verdächtigen, ist er für viele, vor allem jüngeren Polizisten, ein Vorbild.

Girlanden wie im Fasching, belegte Brote und den üblichen Alkohol, haben die Kolleginnen und Kollegen hergerichtet. Viele Hänseleien und Witze muss der Glückliche über sich ergehen lassen. Jürgen Pospischil wird es langsam zu viel, da die Mitarbeiter, seiner bisherigen Abteilung für Einbruch und Diebstahl, immer ausgelassener werden. Endlich kann er sich davonschleichen. Er fährt in der Dunkelheit nach Hause, um fertig zu packen.

Zwei Koffer stehen bereits im Vorraum bereit, obwohl er erst am Donnerstag abreisen wird. Seine Frau Lisa hat das wesentliche bereits erledigt.

Dank ihrer Stelle in der Landesregierung hatte sie reichlich Karenz bekommen, um den Sohn großzuziehen und den Haushalt zu führen. Pospischil ist deshalb auch nicht überrascht, als er im Dunkeln über die fertig gepackten Koffer stolpert. Sich am Kleiderständer festhaltend, macht er doch Licht.

„Na ihr konntet wohl nicht genug bekommen?“, witzelt Lisa. Sie ist aufgewacht und steht auf um ihn zu begrüßen. Ihren Posten in Graz wird sie ebenfalls gegen einen in Wien tauschen. Seit Tagen ist sie freigestellt und wird erst am kommenden Ersten im Wiener Magistrat beginnen. Wo du hingehst will auch ich hingehen, hat sie geschworen und sie hält sich dran.

Draußen in Hernals, nahe dem Schlosspark, stellt Rudolf seinen roten Käfer wie immer, nicht auf der Straße vor dem Haus, sondern in einer Allee, um die Ecke vom Haupteingang, ab. Es handelt sich um einen Oldtimer, den er liebevoll pflegt. Tief saugt er die frische würzige Luft von den Bäumen ein und geht die letzten hundert Meter zu Fuß, zu dem versteckten mit rosa blühenden Rosen umrankten Gartentürl. Kurz hält er inne, bis sich ein in der Nähe bellenden Hund beruhigt hat. Der Vollmond taucht den Rasen in helles Licht, so dass er wie Silber glänzt. Aus Gewohnheit schaut er sich noch um, dann schlüpft er durch den Garten, um durch die für ihn offen gehaltene Terrassentüre ins Wohnzimmer zu treten. Es ist Dienstagabend, der Tag an dem er jede Woche seinen Liebhaber besucht.

Der im Jugendstil eingerichtete Raum ist nur schwach, durch eine Stehlampe mit dem Schirm aus Muranoglas, erhellt. Als er sich an das schwache Licht gewöhnt hat, sieht er es. Er erstarrt.

Vom vergoldeten Lüster, in der Raummitte, hängt eine Gestalt. Ein sonst darunter stehender Glastisch, ist zur Seite geschoben. Unter den Füssen des Herabhängenden ist ein kleiner Hocker, der nicht in diesen Raum gehört, seitlich weggekippt. Die Zehenspitzen, der nach unten gestreckten Füße, berühren gerade noch den Teppich. Der teurer Nain hat in der Mitte einen nassen Fleck. Die Augen des Erhängten sind weit aus den Höhlen getreten, die Zunge hängt blau heraus. Rudolf kann seinen, wie ein Pendel baumelnden, Freund Herbert kaum erkennen. Durch den Schock, treten ihm die Tränen in die Augen. Schniefend sieht er sich um.

Er geht, eher taumelnd ins benachbarte Esszimmer und staunt. Auf dem eichenen Esstisch, ist für zwei Personen festlich gedeckt. Die zwei Suppenteller des teuren Augarten Porzellan, Dekor Kaisergarten, stehen bereits benützt daneben, auf der Anrichte. Auf einem der flachen Teller, am Tisch, liegt erkaltet, ein unberührter Zwiebelrostbraten mit Kartoffelpüree, der andere Teller ist unbenützt. Halbvolle Sektgläser, ein Eiskübel mit einer fast leeren Flasche, das Silberbesteck, ein Kerzenleuchter und frische gelbe Tulpen, seine Lieblingsblumen, zeigen ihm, hier hat ein intimes Essen stattgefunden.

Rudolf seufzt, er hat mich betrogen. Das ist nicht für ihn vorbereitet worden. Er flieht aus dem Haus, die Terrassentüre und das Gartentürl lässt er weit offen, um schluchzend in sein Auto zu steigen. Was soll er tun? Als er sich nach Minuten halbwegs beruhigt hat, fährt er weg. Sein Motor heult auf, die Reifen quietschen, als er wie verrückt die Pedale tritt. Das Geräusch schreckt eine Nachbarin hoch. Sie sieht das Auto gerade noch vom Fenster aus verschwinden.

„Du bist schon zurück?“ staunt seine Mutter. Sie ist es nicht gewohnt ihn vor Mitternacht zurückzusehen. Meist kommt er erst zum Frühstück.

„Ja, er betrügt mich.“ Mehr noch als über den Tod, ist Rudolf über die Untreue seines Geliebten betrübt.

„Na, das weißt du doch schon länger.“ Rosalinde seine Mutter wundert sich, warum er gerade heute so verbittert reagiert.

„Ich will alleine sein“, schluchzt er auf und verzieht sich in sein Kabinett.

Beide rekeln sich wohlig befriedigt im Bett. Wild hat sich der reife Herr über die junge Frau hergemacht.

„Ich freue mich dich bei uns zu haben. Das vereinfacht den Kontakt. Am Donnerstag oder Freitag kommt der neue Abteilungsleiter. Ich mag ihn nicht. Du musst ihm auf die Finger schauen.“

„Ach warum? Klär es doch endlich mit deiner Frau. Wahrscheinlich weiß sie es schon längst.“

„Wenn schon, wir müssen den Schein wahren. Bitte sei vernünftig.“

„Dieses unnötige Versteckspiel, jetzt soll ich auch noch im Amt heucheln. Sind wir da per du, oder?“

„Nein, natürlich sind wir per du, viele Kollegen sind es.“

„Und worum geht es bei dieser Stelle?“

„Grundsätzlich bist du in den Kriminaldienst befördert worden und Jürgen ist dein Chef. Ich kenn ihn von früher und fürchte er wird ein schwieriger Untergebener.“ Der Herr wälzt sich aus dem Bett und zieht sich ohne zu waschen an.

„Schleichst dich wieder aus dem Haus, zu ihr“, kommt es bitter von ihren Lippen.

„Wir sehen uns übermorgen im Amt. Tschüss Schatz.“

Sie denkt noch, wenn er nicht mit seiner Frau Schluss macht, mache ich mit ihm Schluss.

2 Mittwoch

Rudolf hat die ganze Nacht geweint. Das Bild der baumelnden Leiche im Pyjama, hat sich in sein Gedächtnis gebrannt. Am folgenden Morgen, bringt er kaum einen Bissen runter. Angeekelt schaut er auf die Buttersemmeln, die seine Mutter liebevoll bestrichen hat. Er beschließt zur Arbeit zu gehen, um sich abzulenken.

Der verregnete Tag passt zu seiner Stimmung. Vom Regenschirm beschützt hasten die Passanten durch die Gassen. Er geht ohne Schirm den kurzen Weg zum Herrenmodegeschäft, in dem er arbeitet. Seinen Kollegen fällt auf, dass er zerstreut und bedrückt ist. Sie denken aber nicht weiter darüber nach und fragen ihn auch nicht.

„Er hat wahrscheinlich letzte Nacht gezecht“, bemerkt Einer.

Ein Kunde beschwert sich, „der ist ja Farbenblind. Was ist das für eine Beratung?“ Rudolf hat ihm zu einem rotgestreiften Hemd eine erbsengrüne Krawatte empfohlen.

Ein anderer Verkäufer springt ein und beruhigt den Wütenden. „Nehmen wir die Gelbe, die passt wunderbar“, dabei denkt er, bei dem ist es doch wurscht was er trägt.

Seine Mutter will am Abend, als er das belegte Brot ständig wiederkaut, wissen, „was bedrückt dich? Du schaust schrecklich aus.“

„Nichts, ich habe nur schlecht geschlafen.“

„Du solltest dich von diesem Mann trennen, schließlich steht er nicht hinter dir. Mit seinem Partner lebt man zusammen.“

„Ja, Mamma, ich werde mit ihm reden.“

Sie schüttelt nur den Kopf. Ein schwuler Sohn ist schon schlimm, doch ein unglücklicher Sohn ist noch schlimmer. Warum Herbert nicht bereit ist mit seiner Veranlagung vor die Öffentlichkeit zu treten, ist ihr ein Rätzel. Immer muss sie herhalten, um Herbert bei Geselligkeiten zu tarnen. Rudolf sucht ihn einmal, manchmal zweimal die Woche auf. Wenn es der Beruf und die Verpflichtungen in Herberts Firma erlauben, fahren sie am Wochenende gemeinsam in eines der verschwiegenen Hotels.

Herbert hat sie deshalb einmal gefragt, „es weiß doch sowieso jeder von dir. Warum gibst du es nicht offen zu?“

„Ich leite eine Firma ich muss den Schein wahren.“

Oberst Brenner rotiert und sucht nach einer Lösung seines Problems. Lange hat er auf die Schaffung dieser zusätzlichen Abteilung hingearbeitet. Jetzt wo er es genehmigt bekommen hat, ist ihm ausgerechnet Pospischil als leitender Ermittler ins Nest gesetzt worden. Er fürchtet, dass ihn dieser Kollege mit seinem Ehrgeiz an die Wand spielt, deshalb sucht er nach Mitarbeitern die ihm verpflichtet sind. Gerlinde Frauling seine Geliebte hat er bereits eingeschleust.

Maximilian Schubert ist Oberleutnant bei der Sitte. Amtsleiter Oberst Brenner ist bekannt wir wenig gefügig dieser Oberleutnant ist.

Deshalb hat er vorgefühlt und spricht mit ihm. „Wir haben laufend mehr Gewalt Delikte und brauchen eine weitere Gruppe die sich damit beschäftigt.“

„Wollen Sie mich etwa abwerben?“ Schubert muss lachen, er hat kein Ansuchen gestellt.

„Genau, für den neuen Abteilungsleiter, der aus Graz zu uns kommt, brauche ich einen Stellvertreter mit Ortskennnissen.“ Er verschweigt, dass dieser Herr in Wien aufgewachsen ist.

„Stellvertretender Leiter?“ Schubert kann sein Glück nicht fassen. Wenn es auch nicht mehr Geld bedeutet, so doch mehr Freiheiten.

„Richtig mit eigenem Büro. Frau Gerlinde Frauling wird auch mit von der Partie sein.“ Er glaubt, wenn ihm Schubert verpflichtet ist, kann er Jürgen besser kontrollieren.

„Inspektor Frauling? Ach ja, ich kenne sie aus dem Kommissariat Hietzing. Macht sie das Sekretariat?“

„Sie wird natürlich für die Büroarbeiten zuständig sein, aber euch auch im Außendienst unterstützen.“

„Fein ich bin dabei.“ Den inneren Jubel kann Max kaum verbergen.

„Beginnen Sie mit Ihrem Umzug. Ihr Abteilungsleiter ist schon informiert.“

„Ach.“ Die haben das schon hinter meinen Rücken beschlossen, stellt Max fest. Wahrscheinlich das Ergebnis der Auseinandersetzung, die er vor zwei Monaten mit einem Chefinspektor hatte. Der ältere erfahrene Beamte macht ihm dem jungen Oberleutnant das Leben schwer. Höhnisch weist er auf jeden noch so kleinen Fehler seines Vorgesetzten hin. Das der Leitende Major der Sitte, in Schubert einen Querulanten sieht und hinter dem Chefinspektor steht erschwert ihm das Leben zusätzlich.

Oberinspektor Karlheinz Wimmer, hat seine Prüfungen für den gehobenen Kriminaldienst gerade abgelegt und kommt wie Fraulinge aus einem der Bezirkskommisariate. Er wurde Brenner als guter Schüler empfohlen der kritisch vieles hinterfragt. Er soll der Stachel sein, der Pospischil nervt.

3 Donnerstag

Wie in Trance wandelt Rudolf herum. Er studiert die Zeitungen, hört die Nachrichten und wundert sich, dass niemand seinen Freund Herbert gefunden hat. Seine Alpträume werden dafür immer schlimmer.

„Was ist los? Du solltest ein paar Tage ausspannen“, meint ein Arbeitskollege. „Wenn du so weiter machst schaffst du noch ein Burnout.“

Rudolf ist tatsächlich nicht weit weg von einem Zusammenbruch. Jedes Mal wenn ein Kunde das Geschäft betritt zuckt er zusammen. Zwei Mal hatte er schon den Hörer in der Hand, um die Polizei anzurufen, zuckte aber jedes Mal wieder zurück. Was soll er denen sagen? Er plant schon eine Telefonzelle aufzusuchen, um anonym auf den toten hinzuweisen. Das verwirft er da er gehört hat die Polizei kann mit Stimmenabgleich den Sprecher ermitteln.

Es ist ein verregneter diesiger Tag. Am Grazer Bahnhof herrscht reges Treiben. Der Express nach Wien steht bereit. Wirres Geschrei, Nervosität, Erwartung auf der einen Seite und Gelassenheit auf der anderen. Pospischil gehört zu den ruhigen Passagieren.

„Hast du alles?“ Lisa, die mitgekommen ist, steht die Besorgnis ins Gesicht geschrieben. Es ist das erste Mal, dass sie einen Umzug mitmacht und den auch noch dazu in eine andere Stadt.

„Nur zwei Koffer, da fehlt dir sicher einiges“, jammert sie.

„Mach dir keine Sorgen. Ich bin bei Tante Elfriede. Wenn etwas fehlt, hilft sie mir“, Jürgen beruhigt sie.

Er schlüpft in Wien, bis er eine Wohnung gefunden und eingerichtet hat, bei Tante Elfriede unter.

Seine Eltern leben in St. Pölten in einem geräumigen Haus. Natürlich wollten sie, dass er mit seiner Frau bei ihnen einzieht.

Jürgen lehnte lachend ab, „da muss ich doch täglich pendeln. Nein das geht nicht.“

„Für Lisa ist hier sofort was in der Landesregierung frei“, lockte seine Mutter.

„Sie hat am Wiener Magistrat bereits eine Stelle gefunden“, damit ist für Pospischil das Thema vom Tisch.

Am Semmering klart es auf und Pospischil kann die herrliche Landschaft genießen. Grün soweit das Auge reicht. Bäume Schluchten, die berühmten Viadukte und Tunnel wechseln in rascher Reihenfolge. Am späten Nachmittag erreicht der Zug Wien, inzwischen strahlt die Sonne. Am neu eröffneten Hauptbahnhof herrscht reges Treiben. Jürgen war schon länger nicht in Wien und muss sich an die Veränderungen im öffentlichen Verkehr erst gewöhnen.

„Na du bist ja ordentlich gewachsen“, begrüßt ihn die kleine zarte Gestalt, die ihn am Bahnsteig empfängt. Rücksichtslos rempelnd, strömen die übrigen Fahrgäste hektisch an ihnen vorbei.

„Ja, das sagst du jedes Mal wenn wir uns sehen, dabei wachse ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr.“

Stolz berichtet sie sofort, „ich habe was Schönes gefunden. Gleich nachdem du die Koffer bei mir abgestellt hast, gehen wir’s besichtigen.“

„Na, dann rufe ich uns ein Taxi“, er ist froh dass er, dank seiner Tante, die Mehrausgabe bei Lisa rechtfertigen kann. Mit der S-Bahn ginge es auch schneller zum Praterstern, doch mit den Koffern will Pospischil nicht herumrennen. Er stellt bei ihr die Koffer in der Ybbsstraße ab um anschließend in unmittelbarer Nähe die Wohnung zu besichtigen.

„Na, gefällt sie dir?“, strahlt Tante Elfriede.

„Wunderbar, du bist die Beste“, lobt Jürgen. Für ihn ist es klar, hier muss er sofort zuschlagen. Lisa wird die Wohnung sicher auch gefallen.

Max verabschiedet sich förmlich von seinen bisherigen Kollegen. „Ich ziehe ja nur in ein anderes Stockwerk, wir sehen uns weiter laufend.“

„Werden dir die Huren nicht abgehen?“, spöttelt ein älterer Kollege.

„Nein, einige waren ziemlich zudringlich. Von den Zuhältern mit ihren Geldangeboten ganz zu schweigen.“

„Ja, ja, mancher erliegt dem. Ist besser wennst in ein anderes Ressort wechselst“, höhnt einer, über den das Gerücht der Bestechlichkeit umgeht.

„Ich freue mich schon auf die anständigen Mörder“, kontert Max.

Der kleine schwarzhaarige Kerl hat sich durch einige selbständige Aktionen beim Chef und den Kollegen unbeliebt gemacht. Ihm ist klar, ihm weinen sie keine Träne nach. Er packt in einen Karton seine Schreibutensilien und wandert durchs Haus. An seinem neuen Arbeitsort trifft er ein leeres Büro an, genauer drei Räume. Ein Zettel mit seinem Namen auf einem der Schreibtische weist auf seinen Platz hin. Er räumt in Ruhe ein, nachdem er sich die Namen der Anderen, die ebenfalls auf den Zetteln des jeweiligen Schreibtisches stehen, einprägt.

4 Freitag

Erst nach drei Tagen verraten ein voller Briefkasten, die Abwesenheit in der Firma und die Unerreichbarkeit des Toten, dass etwas nicht in Ordnung ist. Die Nachbarn rufen in der Firma an und die Sekretärin, nachdem sie es mehrmals vergeblich am Handy versuchte, die Polizei. Die öffnet mit Hilfe eines Schlossers die vordere Türe und findet den Erhängten. Der Streifenpolizist hat als er um das Haus herum ging, die unversperrte Terrassentüre nicht sofort bemerkt. Rudolf hat als er wegging die Türe zugezogen.

Im Landeskriminalamt Wien sucht Major Pospischil seinen neuen Vorgesetzten auf.

„Freut mich Jürgen, dass du aus Graz zu uns gestoßen bist“, wird er um 8 Uhr morgens heuchlerisch von Oberst Brenner begrüßt. Sie kennen sich aus ihren Jugendtagen. „Mehr als den Begrüßungsschluck kann ich dir nicht anbieten, denn wir haben gerade aus dem Westen der Stadt einen ungeklärten Todesfall herein bekommen.“ Er führt Pospischil zu seinem Arbeitsplatz und übergibt ihm sofort den Auftrag.

Die für den internen Dienst vorgesehene Kollegin wird ihm vorgestellt. Jürgen hat sie noch nie persönlich gesehen, weiß aber wer sie ist.

Gerlinde ist dabei die zwei Schreibtische im mittleren Büro zurechtzurücken und ordnet die Aktenschränke ein. Auf der einen Seite hat der Major einen eigenen, durch eine Glaswand vom anderen Büro, abgetrennten Raum. Auf der anderen Seite, ebenfalls mit einer Glaswand getrennt, ist das Büro des Oberleutnants. Es ist der einzige auf- und ein geräumte Raum, da Maximilian Schubert bereits am Mittwoch, nur im Haus umgezogen ist. Durch die weit offenen Fenster strömt die warme Luft des Spätfrühlings.

„Ich brauche die frische Luft, bei dem vielen Staub“, erklärt Frauling.

„Also ans Werk“, lacht Brenner.

„Mache ich, fährt mich wer dorthin?“

„Sicher, du hast zwar einen Dienstwagen im Hof stehen, denn musst du noch übernehmen, doch es ist besser wenn dich eine Streife hinfährt. Du verirrst dich womöglich“, setzt er noch gehässig nach. Man kennt sich, doch ist nicht gerade befreundet.

Nachdem ihn die Streife am Tatort absetzt, stellt sich Pospischil höflich dem wachenden Polizisten vor, obwohl der begreift dass der Herr in Zivil nicht zufällig von der Streife her gebracht wurde. Pospischil dreht sich um seine Achse, um das Umfeld zu betrachten. Die Villa steht in einem großen Garten mit blühenden Rosen. Der frische Duft, die summenden Bienen, die strahlende Sonne, alles sieht so friedlich aus, dass man nicht an ein Verbrechen denken will. Die Hektik und die vielen Einsatzfahrzeuge stören das Bild.

„Typischer Selbstmord“ ist die Diagnose eines Beamten der Spurensicherung, die er dem beschwingt hereinkommenden Pospischil mitteilt.

Der zieht sich die weißen Handschuhe an und geht durch die Räume um sich ein Bild zu machen. „Ein unvollendetes Essen? Ich verstehe das nicht. Niemand steht zwischen Suppe und Braten auf, um sich aufzuhängen. Außerdem hatte er einen Gast.“ Pospischil schüttelt den Kopf.

Der Tote ist bereits in den Metallbehälter gelegt worden. Dr. Müllers erster Kommentar. „Der Tod ist vor drei bis vier Tagen eingetreten. Genaueres erst, wenn ich die Leiche untersucht habe.“

Der Oberleutnant Schubert stellt sich Pospischil vor. „ Ich wusste nicht, ob und wann Sie kommen, deshalb habe ich veranlasst dass der Tote vom Lüster abgenommen wird.“

„Das geht in Ordnung. Stehen Tisch und Hocker noch am ursprünglichen Platz?“

„Ja sonst ist nichts verändert. Er hat mit einem Gast am Tisch gesessen. Ob das sein Mörder ist?“ Er legt einen übertriebenen Nachdruck auf das Wort Mörder.

„Schubert, prüfen Sie das Umfeld des Toten. Was hat er gearbeitet? Mit wem hat er verkehrt? Vor allem stellen Sie fest wer die zweite Person war.“ Pospischil wurde seine Mannschaft noch nicht komplett vorgestellt und er hofft den Richtigen anzusprechen.

Die übliche Tatortaufnahme wird gemacht. Fotos, Fingerabdrücke, Zeichnungen und der Inhalt des Schreibtisches akribisch untersucht. Auch ein kleiner Tresor, der sich wie üblich hinter einem Wandbild befindet, einem teuren echten Monet, wird gefunden und fachgerecht geöffnet.

„Manche sind mit ihren Kombinationen wirklich leichtsinnig“, meint der Techniker der Spurensicherung. „Ich habe keine fünf Minuten gebraucht.“

In den Fächern sind Gold und Geld, sowie einige Papiere, deren Bedeutung Pospischil nicht erkennt.

„Nehmen Sie die Papiere mit, wer weiß was sie uns verraten.“

Im Schlafzimmer, aus massiver Esche, ist das Bett gerichtet, um rasch hinein zu schlüpfen. Ein starker süßer Parfumgeruch liegt in der Luft. Rosen sind gestreut. Sexutensilien liegen auf dem einen Kästchen und auf dem Zweiten, liegt kostbarer Schmuck, eher für eine Frau, als für einen Mann geeignet. Pospischil steht verwundert vor dem riesigen 2,5x2,5m großen Bett und grübelt. An der Wand zwei Bilder, links und rechts vom Bett im Hochformat, stellen nackte Jünglinge dar. Was soll dieser Schmuck? Er liegt bereit um gleich getragen zu werden. Ein Diadem, Saphire in Gold gefasst, eine Halskette massives Weißgold, vier Ohrgehänge ebenfalls Gold mit Saphire oder Rubine, Armreifen und Ringe mit Diamanten, drei Broschen. Ein nicht zusammenpassendes durcheinander. Alles sorgfältig nebeneinander ausgebreitet.

„Warum ist er nicht im Tresor? Hat der Tote eine Frau erwartet, der er den Schmuck schenken will? Warum, wenn es Raubmord war, liegt er noch herum?“, meint er zu Schubert.

Die Gruppe kommt im LKA, am Nachmittag zu ihrem ersten Fall zusammen. Kurz stellen sie sich gegenseitig vor.

„Willst du den rechten oder linken Schreibtisch?“ will Frauling von Wimmer, der erst zu Mittag direkt vom Tatort gekommen ist, wissen. Der überlässt es der Kollegin.

Im mittleren großen Büro befindet sich auch ein für mehrere Personen geeigneter Konferenztisch an dem sie platz nehmen. Die Wand zum Gang dient um die Fotos, Pläne und Kommentare aufzukleben.

Frauling hat die Informationen über den Toten zusammengefasst und berichtet. „Der Tote ist Herbert Schulz, zweiundvierzig Jahre alt, Direktor eines mittelgroßen Chemiewerks und ledig. Er soll, so hat mir seine Sekretärin am Telefon verraten, an einem besonders heiklen Projekt gearbeitet haben. Genaueres weiß sie nicht. Der fürs Labor zuständige Mitarbeiter Klaus Drumm, ist nicht erreichbar. Der zweite Geschäftsführer ist im Ausland und kommt erst in ein paar Tagen zurück.“ Karlheinz Wimmer ist ein frisch beförderter Oberinspektor und hat schon Erfahrung im Kriminaldienst. In der Polizeiinspektion Ausstellungsstraße hat er Einsätze der Sitte unterstützt. Daher kennt er auch Oberleutnant Schubert.

Wimmer stellt die Ergebnisse seiner Befragung zusammen. In einigen der Villen hat er die Besitzer angetroffen, in den anderen waren es die Putzfrauen. Die Nachbarn erzählten ihm einiges, hinter vorgehaltener Hand.

„Es wurden nie Frauen gesehen. Männer, meist jüngere Burschen, sind immer durch die Gartentüre in der Nebengasse ins Haus gegangen. Einer ist regelmäßig, in einem roten VW Käfer, gekommen. Das Kennzeichen ist nicht bekannt, nur dass es eine Wiener Nummer ist. Selbst der Putzdienst, der einmal wöchentlich kommt, besteht nur aus Männern. Herr Schulz ist freundlich und unauffällig. Er hat mit den Nachbarn keinen persönlichen Kontakt.“

Pospischil nickt wissend. Das erklärt auch die Knabenbilder im Schlafzimmer. „Wurden Damenkleider und ähnliches gefunden?“

„Nein, nichts dergleichen“, erklärt Schubert. „Warum fragen Sie nach Dessous?“

„Der Schmuck geht mir nicht aus dem Kopf. Er ist aufgelegt um ihn anzulegen. Ohne Etuis, ausgebreitet um ihn zu zeigen. Hat er Familie? Geschwister, Eltern?“

Frauling antwortet. „Eine Schwester hier in Wien und einen Bruder in Dortmund. Die Eltern sind vor Jahren gestorben.“

„Und die Familien der Zwei? Lassen Sie mich nicht nach jedem Detail fragen.“ Pospischil reagiert etwas unbeherrscht, da die bisherigen Informationen noch keinen Anhaltspunkt ergeben. Es ist sein erster Fall, den er so rasch wie möglich positiv abschließen will. Oberst Brenner wartet darauf dass er versagt.

„Die Schwester Hanna Glock, ist vierundvierzig Jahre alt und hat drei Kinder. Zwei studieren und der Jüngste geht aufs Gymnasium. Über den Bruder Rainer Schulz habe ich noch nichts Näheres.“

„Gut Schubert bringen Sie raus wer der VW Fahrer ist.“

„Er wurde vor vier Tagen das letzte Mal gesehen.“

„Aha, das ist schon was. Ein Eifersuchtsdrama? Der Schmuck ist noch da, also kein Raubmord.“

„Sind Sie sicher dass es Mord ist?“ Gerlinde erlaubt sich das Urteil des Chefs in Frage zu stellen. Sie kann es sich erlauben, da sie mit seinem Vorgesetzten, der verheiratet ist, ein Verhältnis hat.

Pospischil weiß davon und ist genau deshalb ihr gegenüber unwirsch, denn er ist mit der betrogenen Ehefrau befreundet. Wenn er gekonnt hätte, wäre die Frauling nicht in seinem Team gelandet. Ob er sich auf die Anderen verlassen kann, weiß er auch noch nicht.

„Warten wir die Obduktion ab, doch schaut es mir stark danach aus.“

Pospischil besucht in Begleitung von Wimmer die Familie Glock. Die Villa befindet sich, nicht allzu weit vom Tatort entfernt, am Schafberg. Ein zweigeschossiger efeubewachsener Bau mit einem Aufsatz in der Mitte über den Säulen, die seitlich an der breiten Eingangstüre angebracht sind. Das Haus, inmitten eines großen parkähnlichen Gartens, stammt aus den 20er Jahren und unterscheidet sich stark von den umliegenden Gebäuden aus den 70er Jahren. Der Gärtner der mit dem rasenmähenden Traktor unterwegs ist, starrt sie neugierig an.

Die Familien sind sicher „Gestopfte“ wie es im Volksmund heißt. Für einen einfachen Polizisten bedeutet das, er muss vorsichtig und höflich vorgehen. Ein Butler öffnet ihnen die Türe. Er zieht die Augenbrauen hoch, denn diese Herren gehören sicher an den Dienstboten- und Lieferanteneingang und nicht an die Vordertür.

„Sie wünschen?“

Wimmer zückt den Ausweis. „Kriminalpolizei, wir wollen Frau Hanna Glock sprechen.“

Der Diener seufzt hoheitsvoll und führt sie in eine stilgerecht eingerichtete Bibliothek, ohne ihnen Platz anzubieten. Kurz darauf erscheint Hanna. Sie fordert die Beamte auf sich zu setzen. Von Nachbarn hat sie erfahren, dass etwas passiert ist. Nun hört sie von Pospischil das ihr Bruder Tod ist. Erhängt, wahrscheinlich Selbstmord.

„Mein Bruder war die Lebenslust in Person. Erfolgreich im Beruf, keine Geldsorgen und viele Freunde. Warum sollte er sich umbringen?“ Hanna kreischt, sie brüllt vorwurfsvoll den Major an.

„Tja, es könnte auch Mord gewesen sein. Hatte Ihr Bruder Feinde?“

„Unsinn! Er ist beliebt bei seinen Kollegen und in der Familie.“

„Familie? Er war unverheiratet.“ Pospischil tastet sich an das heikle Thema ran. Trotz der Indizien ist es noch eine Vermutung.

„Was wollen Sie damit sagen?“ Hanna reagiert merklich leiser.

„Was können Sie mir darüber sagen?“ Lauernd prüft er die Reaktion der Schwester. Sie muss doch wissen, ob und was ihr Bruder treibt.

„Ja“, seufzt sie, „er hat Freunde. Mit Rudolf hat er ein festes Verhältnis, sich aber nie getraut es offen zu legen. Die Zwei leben getrennt.“

„Haben Sie die Adresse?“ wirft Wimmer ein.

Sie bekommen die Adresse und sie erfahren auch, dass Rudolf Hofer der Besitzer des roten Käfers ist.

„Er pflegt wie besessen dieses alte Auto und nimmt an allen Käfertreffen teil.“

„Wer profitiert vom Tod, genauer gesagt gibt es ein Testament?“ Pospischil will diese Spur verfolgen. Wenn dieser Rudolf auch der Erbe ist, man einen genaueren Todeszeitpunkt hat und das mit der Anwesenheit von ihm bei der Villa übereinstimmt, hat er einen Verdächtigen.

„Oh, ich weiß nicht. Darüber habe ich nie mit ihm gesprochen.“ Hanna ist verwirrt. Sie hat wirklich keine Ahnung wie es mit der Firma, die zum Teil ihrem Bruder gehört und dem Besitz, der Villa und einem kleinen Landhaus, an der Thermenlinie, weiter geht.

„Ach noch was. Es befindet sich in der Villa eine Menge kostbarer Schmuck, der aber einer Dame gehört. Kennen Sie den Schmuck?“

„Nein, mein Bruder trägt selbst keinen. Er hält nichts davon. Ich übrigens auch nicht.“

„Darf ich Sie bitten mit mir mitzukommen, um den Toten zu identifizieren?“ Wimmer übernimmt diesen Part.

„Ja, sind Sie nicht sicher, dass er es ist?“

„Wir müssen immer auf Nummer sicher gehen. Es wird immer ein Familienmitglied darum gebeten.“

Hanna besteht darauf mit dem eigenen Wagen hinter Wimmer her zu fahren. In der Gerichtsmedizin, schaut sie nur kurz das verquollene Gesicht ihres Bruders an, nickt, dreht sich um und fährt weg.

Pospischil verabschiedete sich um Rudolf aufzusuchen. Er nimmt dazu ein öffentliches Verkehrsmittel. Wien mit dem Auto? Ihn schaudert wenn er daran denkt. Zu Hause noch in Graz hat er sich den Stadtplan und die Verkehrsmöglichkeiten von Wien genau angesehen.

Im Waggon beginnt er den Unmut einiger Wiener zu verstehen. Mehr als die Hälfte der Fahrgäste sind dunkelhäutige Ausländer. Der Dunst des schwülen Tages ist trotz der Klimaanlage zu spüren. Er nützt die Fahrzeit um über seinen Ortswechsel nachzudenken.

Seine Tante hat ihm in Praternähe eine günstige Gemeindewohnung besorgt. Gestern hat er sie besichtigt. Zwei große Zimmer, ein Kabinett, eine Wohnküche und die üblichen Nebenräume.

„Wie hast du das geschafft?“ Pospischil kann es nicht fassen, eine fantastische Wohnung mit freiem Blick über den Venediger Au Park auf den Praterstern. Etwas laut aber günstig gelegen.

„Ja, ich kenne noch immer ein paar Leute. Die müssen zwar ihre Kinder und Enkel einschalten, aber es funktioniert.“ Die Witwe eines Hofrates schmunzelt stolz.