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Die Hexe muss brennen

 

Historischer Roman

von Tatjana Stöckler

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

ISBN 978-3-943531-12-1

ISBN 978-3-943531-03-9 (Kindle E-Book)

ISBN 978-3-943531-02-2 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Osterdeich 241 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Jana Hoffhenke

Umschlaggestaltung | Illustration: Diana Isabel Franze

Satz | Gestaltung: Jana Hoffhenke

Ebook-Realisierung: Eridanus IT-Dienstleistungen

 

Für Maren,

die mir alles beigebracht hat,

was man über Liebe in Romanen wissen muss.

 

Kapitel 1 - Haltet den Dieb!

 

Der Mann packte Luzia an den Schultern, damit sie nicht durch seinen Schubs umfiel. »Oh, Verzeihung!«, rief er aus. Sie kämpfte mit dem Gleichgewicht, suchte Halt an seiner Jacke. Ihre Hände glitten auf Brokat aus und strichen über seine Brust, ertasteten Seide. Ja, dieses glatte Streicheln auf ihren Fingerspitzen gefiel ihr. Er hatte sie im Gewühl auf dem Marktplatz angerempelt, wo die Zuschauer gute Plätze suchten. Ein Teil der Leute behauptete seinen Stehplatz, während andere sich dazwischen drängelten, einen besseren wollten. Durch die Beine der Erwachsenen huschten Kinder und hüpften, um auch etwas zu erkennen. Zu allem Überfluss wanderten Krämer mit ihren Bauchläden hindurch, verkauften Devotionalien oder Naschwerk. Als die süßen Düfte Luzia in die Nase zogen, meldete sich ihr Magen.

Wohlgefällig lagen die Augen des Mannes auf ihr, sie war hübsch. Seine Hände berührten sie länger als notwendig. Es tat gut, von einem Mann gehalten zu werden, solange der Griff nicht zu fest wurde. Jetzt drohte sie nicht mehr umzufallen. Luzia sah dem Edelmann ins Gesicht, dann deuteten ihre Lippen ein Lächeln an und sie schaute zur Seite. »Keine Ursache«, murmelte sie und wandte sich von ihm ab. Er ließ seine Finger zum Abschied über ihren Ärmel gleiten, als ob er sie bei sich behalten wolle. Sein Duft nach Rosenwasser übertrug sich auf ihren Mantel und Luzia atmete ihn tief ein. Irgendwann würde sie sich so etwas auch mal leisten können.

Geschickt wand sie sich durch die Menschenmassen. Erst nach einer Weile, als der Mann bestimmt nicht mehr auf sie achtete, öffnete sie seine Börse. Schon das Gewicht sagte ihr, dass sie ein ungewöhnliches Schnäppchen gemacht hatte. Jemand, der eine Brokatjacke und Parfüm trug, hatte mehr als ein paar Kreuzer dabei. Obwohl hunderte von Menschen um sie herum wimmelten, sah niemand, was Luzia in dem Geldbeutel betrachtete. Acht Gulden, ein Vermögen! Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sie verstaute das Geld unter ihrem Rock und hätte beinahe einen Tanzschritt gewagt.

Eigentlich konnte sie jetzt nach Hause gehen, das reichte Monate. Andererseits war die Gelegenheit heute so günstig wie nie. Aus dem ganzen Umland waren Menschen hergekommen - Menschen, die aus Eitelkeit Schmuck und Geld herzeigten, den Verlust nicht einmal spürten. Und vor allem: Diese Unvorsichtigen hatten Luzia noch nie gesehen. Sie lebte seit gut einem Monat hier und kannte schon fast alle Bürger in Amorbach. Und fast alle kannten sie - das wurde gefährlich.

Nur noch einer, dachte sie nach kurzem Zögern und schlängelte sich durch die Menge. Der Karren erreichte den Marktplatz und alle Augen verfolgten den Weg, den die Büttel rüde frei schaffen mussten. Mit Knüppeln schlugen sie auf diejenigen ein, die nicht schnell genug zur Seite sprangen. Luzia beglückwünschte sich, dass sie rechtzeitig fortgekommen war. Noch eine Börse aus einem samtenen Wams verschwand zwischen ihren geschickten Fingern, während sie durch die Schaulustigen strebte. Ein Hochgefühl erfüllte sie, wie sie es seit Wochen nicht mehr erlebt hatte.

Kurz blickte sie zu der Attraktion, wegen der sich alle hier drängten. Eine Frau saß auf dem Stroh zwischen den beiden Leitern des Karrens, das Weib des Schultheißen Bastian Hank, die größte Teufelin überhaupt, wenn man dem Tratsch glaubte. Ob alt oder jung konnte Luzia von ihrem Standort nicht erkennen. Keine Haube, kein Tuch verhüllte den Kopf der Frau. Ihr hingen die Haare strähnig ins Gesicht, so schmierig, dass Abscheu sich in Luzia regte. Ein Mann drängte sich durch die Menge zum Karren und umfasste die Leiter. »Catharine!«, schrie er. »Gestehe doch! Mir zuliebe. Denk an dein Seelenheil!«

Das war der Schultheiß. Für einen Moment ließ Luzia sich ablenken durch diesen Anblick. Wie konnte er sich so gehen lassen, zum Gespött machen für eine solche Schlampe? Die Frau reagierte überhaupt nicht. Ihr fadenscheiniges Hemd klaffte auf, dass auf einer Seite die Brust bloß heraushing. Sie machte keine Anstalten, den Stoff zusammenzuraffen, als ob ihr das gar nichts ausmachte. Watsch! Ein Salatkopf flog ihr ins Gesicht, hinterließ im Herunterrutschen grünen Schleim. Wie ekelhaft. Das Volk johlte. Nicht einmal das brachte sie dazu, den Blick zu heben. Der Schultheiß ließ los und sah dem Karren hinterher.

Luzia schob sich voran, drängte sich zwischen so manche ungewaschene Leiber und ließ ihre Hände über Jacken und Mäntel wandern. Oft stolperte sie, rempelte jemanden an und hielt sich an Armen und Handgelenken fest, die ihr manchmal sogar helfend entgegengestreckt wurden. Das Armband einer hochnäsigen Patronin verschwand in Luzias Tasche.

Irgendwie passte es ja: Heute war Walpurgisnacht und die Hexen fuhren aus. Diese dort wohl nicht mehr. Ihre Schwestern würden ohne sie tanzen müssen, aber bestimmt nicht weniger lustig.

Die Frau auf dem Karren wurde jetzt von allen Seiten mit faulem Gemüse beworfen. Teilnahmslos ließ sie alles mit sich geschehen. Luzia ergriff den Arm eines wohlbeleibten Mannes und drückte seine Hand, die er ihr zur Hilfe reichte. Mit einem Lächeln streifte sie den Goldring ab, als sie auf seinen Fuß trat. Wortreich entschuldigte Luzia sich, während sein Blick die Hexe fixierte. Ein langgezogenes Gejaule kam als ihre erste Regung. Widerlich.

Mit einem Ruck riss der Henkersgehilfe das Büßerhemd von ihren Schultern. Jetzt wurde sie nackt aufgezogen. Der Pfahl ragte hoch empor und die Ketten streckten das Weib, dass sie kaum mit den Füßen den Boden berührte. Da hatte der Henker an Holz gespart, oder er hatte die Halterung für die Kette zu hoch am Pfahl angebracht, oder die Kette war zu kurz. Wen interessierte das? Luzia hatte genug für heute, ihre Taschen wogen schwer von Diebesgut. Nur nicht übertreiben, es durfte nicht auffallen. Wenn sie von den Armen nehmen würde, hätte sie weniger Angst vor Entdeckung, denn gerade die Reichen, die einen kleinen Verlust verschmerzen konnten, riefen schnell die Stadtwachen zu Hilfe. Sie wollte zwar nicht mehr lange in dieser Stadt bleiben, aber überstürzt fliehen auch nicht. Wenn nur zwei der Bestohlenen sich kannten und einander ihren Schaden klagten, erinnerte sich vielleicht einer von ihnen an die anmutige Luzia, die an ihm vorübergestrichen war.

Der bequemste Weg durch die Menge führte vor dem Brunnen entlang. Von dort konnte Luzia genau sehen, was auf der Tribüne vor sich ging. Die Catharine schien noch nicht alt zu sein, ihre hochgereckten Arme ließen die Brüste hüpfen. Das Haar war nur dreckig, nicht grau, unter dem Schmutz schimmerte es golden. Jetzt jaulte sie wieder, kein verständliches Wort kam aus diesem schwarzen Loch von Mund. Den ganzen Körper verkrustete Unrat und darunter lagen schwärende Wunden. Ausgepeitscht hatte man sie und mit glühenden Eisen traktiert, damit sie alles beichtete. Besonders schlimm sahen die Brüste aus. Luzia musste stehenbleiben und sah hin, obwohl sie das nicht wollte. Ein Schauder lief ihr den Rücken herunter. Wieso hatte das Weib es soweit kommen lassen? Warum gestand sie nicht einfach und büßte für ihre Sünden? Eine Nachlässigkeit wurde mit einer Ehrenstrafe belegt, vielleicht mit einer kleinen Spende, aber eine verbohrte Hexe ging ihres Seelenheils verlustig. Und eine Hexe war sie, das hatte sie gestanden. Nach der Folter hatte die Catharine widerrufen. Der Henker musste zum Beweis die Haare am Körper absengen, um das Hexenmal zu finden. Dann konnte sie nicht mehr leugnen, es war eindeutig.

Das Weib heulte auf und trat um sich. Zwischen den Beinen war das Fleisch verbrannt und riss dabei auf. Luzia konnte den Blick nicht abwenden. Dicke Tropfen schwarzen Blutes rannen die Schenkel hinunter. So sah das Böse aus. Ein Schauder lief Luzia über den Rücken. Geschickt fing ein Gehilfe des Henkers die Beine und band sie mit einem Strick an den Pfahl. Jetzt bekam die Hexe ihre verdiente Strafe.

Luzia konnte nicht widerstehen und trennte mit einem Messerchen Silberknöpfe vom Mieder einer Matrone. Während das Weib auf dem Scheiterhaufen weiterhin wimmerte, hob ein schwarz gewandeter Mann, der Oberamtmann, auf der Tribüne ein Blatt und begann zu lesen. Das musste wohl das Urteil sein, Luzia verstand kein Wort über das Gewinsel und wahrscheinlich auch kein anderer. Was machte man sich solche Mühe mit diesem Abschaum, sie sollten endlich anfangen!

Ein Händler mit Brotfladen zwängte sich durch die Zuschauer und wurde das eine oder andere Teil los. In seinem Fahrwasser kam Luzia ein Stück weiter, bis er die Richtung wechselte und auf die Tribüne zusteuerte. Der Henker nahm eine rotglühende Zange und ging auf die Hexe zu. Er fasste damit ihre rechte Brust und mühte sich, die Backen der Zange zu schließen, dann riss er mit deutlicher Anstrengung ein Stück Fleisch heraus. Das Kreischen des Weibs tat Luzia in den Ohren weh und sie wandte sich ab. Atemlos lauschte das Volk und jubelte auf, als der Henker seine Beute präsentierte. Das zweite Mal sah Luzia nicht hin, hörte aber, dass genau das gleiche noch einmal geschah. Der Oberamtmann sprach weiter. Sie verstand nur Wortfetzen und sah eine Lücke zwischen den Zuschauern, durch die sie schlüpfte. Luzia atmete auf, die Menschen standen hier nicht mehr so gedrängt und es wurde einfacher. Nun drehte sie der Tribüne den Rücken zu.

»Des brennt nit«, hörte sie ein kleines Mädchen neben sich. Der Vater hob es hoch und setzte es auf seine Schulter, damit es besser sehen konnte. Jetzt jubelte es auf. »Sie brennt, sie brennt!«

Begleitet von den langgezogenen Schreien der Hexe verließ Luzia den Marktplatz. Die Straßen dahinter lagen menschenleer, aber das Gelächter und Jubeln der Menge tönte durch den ganzen Ort. Die Hexe jaulte leiser, nun übertönt von dem Knacken und Fauchen der Flammen. Als Luzia ihr Quartier erreicht hatte, hörte sie nichts mehr davon.

Niemand befand sich in der Stube des Böttchers, und wer achtete auf Luzias Habe? Das ärgerte sie, missmutig verzog sie ihren Mund und kletterte die enge Stiege zu ihrer Dachkammer hoch. Die Böttchersfrau hatte ihr doch versichert, dass immer jemand da sei, um auf die vermieteten Zimmer aufzupassen.

Kaum hatte Luzia ihre Beute unter dem losen Boden verstaut, hörte sie Gerumpel in der Stube. Das musste die Böttchersfrau sein. Luzia schluckte ihren Ärger herunter, sie sollte sich die Wirtin nicht zum Feind machen. Sie ging zu ihr hinab und reichte ihr die Kreuzer, die sie ihr an Miete schuldete, dann nahm sie eine Scheibe Brot von ihr.

»Ist sie tot?«, fragte sie.

»Zuckt nit mehr«, gab die Böttchersfrau zwischen zwei Bissen von sich. »Das brennt noch zwei Tage. Dann wird die Asche zerschlagen und in den Bach geworfen.«

»Bleibt wirklich nichts von einer Hexe übrig?«

»Vor elf Jahren, da hat der Henker anfangs nit gewusst, wie’s geht, da lebte die Erste noch, als das Feuer ausging. Es hätt’ zu lang gedauert, neues Holz beizuschaffen. Die hatten ja alles für den Scheiterhaufen gesammelt, was sie besaßen. Da wurde ein Loch gescharrt vor der Kirchhofmauer und der Kadaver hingeschleift. Hat noch gejauchzt, als sie’s vergruben. Vier Hexen waren’s damals: die Witwe vom Besenbinder, die Bierbrauerin, die Hebamme und die Tochter vom Tuchhändler. Ganze acht Jahre war die.«

»Acht Jahre? Was tut denn ein achtjähriges Mädchen?«

»Die Bierbrauerin hatte kein eigenes Kind. Sie wollte aber dem Satan gefällig sein und ihm ein Kind darbringen. Da betäubte sie die Frau des Tuchhändlers mit ihrem Bier, damit die nichts merkt, und nahm das Mädchen von der Mutterbrust ab. Im Namen Satans hat sie’s getauft. So wurde das Kind verdorben. Hat immer nur die andern Kinder drangsaliert und war wild. Oft ist sie fortgelaufen, gab die Mutter zu, auch nachts. Da hat sie mit den andern Hexen getanzt.«

Luzia nahm sich von dem gesalzenen Speck, den die Böttcherin aufgetischt hatte. Sie liebte die Gastfreundschaft der einfachen Frau, die ihre wichtigste Informationsquelle darstellte. Wenn man erfolgreich in einer Stadt sein wollte, musste man besonders auf das Geklatsche und Getratsche hören. Wo etwas zu holen war, erfuhr man nur im vertraulichen Gespräch. Da erwies sich die Böttcherin als Goldgrube. »Aber tanzen ist doch nicht todeswürdig!«

»Wohl. Mit dem Satan tanzen schon. Die Hexen trafen sich nachts im Wald und tanzten auf der Lichtung, bis der Böse erschien.« Die Stimme der Böttcherin sank zu einem Flüstern. »Er war ganz rot, mit zwei Bocksfüßen und einem Schwanz, an dem eine Quaste aus Dornen hing. Seine Haut loderte und er hatte Hörner wie ein Schafbock. Sie knieten vor ihm nieder, küssten seinen nackten Hintern und dann seinen du-weißt-schon-was.«

»Nein!«, rief Luzia aus. »Nein, ich weiß nicht was.«

Erstaunt bog die Böttcherin sich zurück. »Du weißt nicht was? Oh, Mädelchen, bist denn noch unschuldig?«

Es fiel Luzia leicht, zu erröten. Sicherlich vermutete die gute Frau nicht, dass eine Lüge die Wangen ihrer Gasttochter färbte, sondern dachte, Luzia würde sich wegen des Themas schämen.

»Böttcherin, ich sagte dir, ich warte, bis mein Verlobter von der Wallfahrt kommt. Er gab mir die Waren, dass ich sie verkaufe und wir nach seiner Rückkehr heiraten. War ich ihm je untreu?«

»Nein, Mädchen, das warst du nicht. Du bist keusch, bei der Liebe des Herrn. Die Tuchhändlers Wulp war es nicht.«

»Wulp?«

»Walpurga. Wulp genannt. Die Tochter des Tuchhändlers. Acht Jahre und keine Jungfrau mehr! Der Satan war’s. Weil die Tänze der andern ihr zu wenig waren, ging sie nachts allein und der Satan erschien ihr. Sie küsste ihn hinten und vorn und als ihm das nicht genügte, legte er sie über einen Baumstumpf und tat es ihr widernatürlich. Jeden Tag, sie gab es zu.«

»Mit acht Jahren? Komm, Böttcherin, du flunkerst.«

»Aber wenn ich’s doch sage! Der Amtmann schrieb’s auf und auf dem Marktplatz hoben die Henkersknechte sie hoch und zeigten es herum. Das habe ich selbst gesehen, mit eigenen Augen. Sie war ganz verbrannt und es blutete.«

»Die Catharine Schultheißin war da auch ganz verbrannt.«

Luzia schauerte bei der Erinnerung an diesen schrecklichen Anblick. Wie sich dem jemand freiwillig hingab, würde sie wohl nie verstehen.

»Will’s wohl glauben! Die war Spielkamerad von der Wulp. Niemand gab’s damals zu, aber heute ist’s rausgekommen.«

»Sag, Böttcherin, woher weißt denn du das alles?«

»Na, vor elf Jahren, da war ich bei der Verhandlung. Und diesmal - ach, du kennst doch den Schusters Valentin, ein schmucker Bursche. Den hat sein Vater auf die Klosterschule nach Fulda geschickt und wiedergekommen ist er als Schreiber vom Oberamtmann. Dessen Schwester Margaretha ist die Grubers Margret.«

»Ah, die Nachbarin. Jetzt weiß ich noch immer nicht, woher du das weißt, Böttcherin.«

»Der Valentin Schuster schreibt die Akten. Darin wird alles fein säuberlich aufgeschrieben, was den Prozess angeht. Der Valentin hat sich beschwert, dass er gar nicht so schnell schreiben kann, wie die Inquisiten gestehen, wenn der Henker sie aufzieht. Eigentlich sind die Akten geheim. Aber seiner Schwester …«

Ein Schreiber also. An einem Hexenprozess verdienten alle gut, wohl auch der Schreiber. Zeit, dass Luzia diesem einen Besuch abstattete.

»Da scheint der Valentin wohl viel Erfahrung zu haben.«

»Oh ja, der Valentin, kluger Bursche. Jetzt ist er Schreiber beim Oberamtmann, aber davor war er Schreiber im Kloster in Fulda. Dort gibt es einen Inquisitor.«

»Sag!« Luzia zeigte sich rechtschaffen beeindruckt.

»Einen richtigen Inquisitor. Der Zentgraf Noß, ein guter Freund vom Oberamtmann, der ist es, den der Oberamtmann einsetzte, die Schultheißens Catharine zu richten, wegen seiner mannigfaltigen Erfahrung.«

»Wie jetzt, Böttcherin? Ich dachte, der Oberamtmann hat sie gerichtet?«

»Der war es, der das Urteil heute verlas. Gerichtet wurde sie vom Zentgrafen. Welch Glück, dass er in der Nähe war. Der Schusters Valentin hatte Verrichtungen in Miltenberg und da hörte er, dass sein ehemaliger Dienstherr dort weilt. Er suchte ihn auf und schilderte seine schöne Stellung, und dass es hier auch Hexen hat.«

»Das wird mir zu verwickelt. Was macht denn ein Zentgraf aus Fulda in Miltenberg?«

»Da war er wohl im Auftrag des Herrn Fürstabt von Dernbach zum Erzbischof von Mainz, dem Herrn Johann Schweikhard von Kronberg. Und der schickte ihn nach Miltenberg.«

»Oh, Böttcherin, mich wundert, was du für hohe Herren kennst. Da könnte ich nicht einmal die Namen behalten. Also ist der Zentgraf von Fulda nach Amorbach gekommen, um die Catharine Schultheißin zu richten. Da muss sie sich aber geehrt vorgekommen sein.« Dieser hohe Herr aus Fulda sollte auch eine wohlgefüllte Börse besitzen. Sicher konnte sie erfahren, wo er Logis genommen hatte.

»Geflucht hat sie seiner, Gott vergeb ihr.«

»Ich hörte, sie habe widerrufen. Da wird er ihr nicht vergeben. Eine Hexe, die nicht gesteht …«

»Ja, wie furchtbar! Der arme Schultheiß. Vor dem Scheiterhaufen hat er sie noch ermahnt, doch zu gestehen. Es geschah folgendermaßen: Sie war mit der Wulp draußen im Wald, den Satan anzubeten und sich von ihm nehmen zu lassen, das hat die Catharine zugegeben. So sehr die Wulp unter der Folter gejammert hatte, damals, das verriet sie nicht. Man hätte sich’s aber denken können, wo die zwei sich doch kannten. Die Schultheißin wurde vor gut einem Jahr eingetürmt, weil sie am Tag des großen Hagels am Feldrand stand und zusah, wie die frische Saat zerschlug. Kindskopfgroße Brocken fielen aufs Feld ihres Schwagers. Dann, keinen Mond später, begann das Kindersterben. Fünf Säuglinge fielen von der Mutterbrust, ganz blau im Gesicht. Eines war das ihrer Schwester. Sie selbst hatte keine Kinder, genau wie die Bierbrauerin.«

»Die vor elf Jahren verbrannt wurde?«

»Eben die. Die Schultheißin neidete ihrer Schwester das Kind, weil die jünger war als sie. Sie sprach einen Zauber, dass es sterbe. Der Valentin sagt, die andern Kinder waren nicht geplant, da sei der Zauber zu groß gewesen. Sie sei aber froh, dass es die auch erwischt habe.«

Empörung ließ das Blut in Luzias Wangen steigen. Welche Niedertracht! Und da hätte sie beinahe Mitleid mit diesem Aas gehabt. Die Böttcherin schwatzte ungerührt weiter. »Das also gestand sie dem Amtmann, aber erst, nachdem er sie hat foltern lassen. Hinterher widerrief sie. Um sicher zu gehen, spannte er sie wieder auf die Folter. Das gleiche Spiel: erst gestehen, dann widerrufen. So ging der Amtmann zum Oberamtmann und fragte ihn um Rat. Da war aber schon der Zentgraf am Ort und übernahm den Prozess. Dem fiel gleich das Hexenmal ein. Der Teufel zeichnet die Seinen mit einem Mal, das versteckt er unter den Haaren. So eins hatte die Catharine. Demgemäß war ihre Schuld bewiesen, der Zentgraf ließ sie nochmals unter Folter gestehen und sprach sie gleich schuldig. Der Henker sagte, er werde schon dafür sorgen, dass sie nicht noch einmal widerrufe. So tat er’s.«

»Wie das denn?«

Vertraulich beugte sich die Böttcherin zu ihr herunter und flüsterte. »Die Zunge schnitt er ihr heraus. Das war, weil sie fluchte und verwünschte. Damit sie die Amtspersonen nicht verhexte, dafür tat er’s. Jemandem, der sich an Kindern vergreift, dem gehört es so. Weißt du, was sie gemacht hat mit den armen Würmern?«

Luzia runzelte die Stirn, weil sie nicht folgen konnte. »Damit die Kinder starben? Wollte sie denn nicht nur eines töten?«

»Nachdem sie die umgebracht hatte, Dummchen! Eines war noch nicht getauft, stell dir vor! Das hat sie gestohlen und in Stücke geschnitten. In einem Topf hat sie es so lange gekocht, bis es nur Brei war, und eine Salbe draus gemacht.«

»Eine Salbe? Für Pickel?«

»Luzia, du kleiner Engel, du bist ja so unschuldig! Vor elf Jahren, da haben wir alles erfahren, was die Hexen so tun, wie sie den Satan anbeten. Diese Salbe ist ein Zaubermittel. Sie wird gekocht mit einem ungetauften Säugling und bitteren Kräutern aus dem Wald. Giftpilze kommen hinein. Du nimmst einen Besenstiel und streichst die Schmiere drauf. Und dann reitest du den Besenstiel.«

»Puh, das werde ich ganz gewisslich nicht tun! Was soll ich auf einem Besenstiel? Ich stieg einmal auf ein Pferd und zerriss mir beinah den Rock. Der Knecht zeigte mir, wie die vornehmen Damen reiten. Wohl eine Stunde blieb ich obendrauf und war froh, dass ich wieder herunter durfte. Alles tat mir weh!«

»Ja doch nicht so wie auf einem Pferd! Als erstes musst du nackt sein. Die Salbe bappt da, wo du hockst. Du setzt dich in die Salbe rein. Verstanden? Und wenn du so auf dem Stiel sitzt und so tust wie ein Knäblein mit dem Steckenpferd …«

»… dann?«

Die Böttcherin stand auf und packte den Speck weg, bevor Luzia sich auch noch den letzten Rest von der Schwarte schneiden konnte. »Ja, was glaubst denn du? Was machen denn die Hexen beim Hexensabbat? Hab ich es denn nicht erzählt, was sie tun im Wald?«

»Du sagst, dann kommt Satan? Grauenvoll! Und das hat die Schultheißin getrieben?«

Mit einem Nicken verschränkte die Böttcherin ihre Arme vor der Brust, als ob sie kein Wort mehr zu diesem Thema sagen wolle. Luzia schenkte ihr noch ein verlegenes Lächeln und ging in ihre Kammer. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, musste sie schmunzeln. Wie leichtgläubig die Leute hier waren! Glaubten die doch, man könne Satan mit Giftpilzen rufen. Wenn die Hexe Giftpilze gesammelt hatte, dann sicher nicht, um sie sich sonst wohin zu schmieren, damit hatte sie wohl die Kinder vergiftet.

Und was die Hexen im Wald mit dem Satan treiben sollten! Vor Lachen wäre Luzia beinahe laut geworden. Als ob’s nicht Mannsbilder genug hätte, die’s ihnen besser besorgten! Mit einem wohligen Schauer dachte sie an den Söldner des Kaufmanns, den sie letzte Nacht getroffen hatte. Das war ein Mann. Drunten am See unter einem Apfelbaum hatte er ihr die Kleider abgestreift und ihr Stunden unglaublicher Lust bereitet. Feuchtigkeit sammelte sich in ihrem Schoß, als sie an seine Lippen dachte, die sich fest um ihre Brust geschlossen hatten, während seine rauen Hände den Rücken hinab tasteten und ihr Gesäß umfassten. Seine Haut hatte nach der groben Seife aus dem Badehaus gerochen, sich weich angefühlt unter ihren Fingerspitzen. Sie hatte ihn geneckt, indem sie die winzigen Locken seines Brustfells zerzaust hatte, immer tiefer gleitend, bis sie, welch Überraschung, unter dem Pelz auf seinem muskulösen Bauch etwas gefunden hatte, das ihnen beiden die höchste Lust bescherte.

Ihr Finger glitt unter den einfachen Rock, fand die Trostperle der einsamen Jungfrau, umkreiste sie und glitt tiefer, bis er dort angelangt war, wohin sie sich den Söldner wieder wünschte. Aber der war über alle Berge, heute mit dem Karren des Kaufmanns unterwegs ins Bayrische. Solch eine günstige Gelegenheit würde nicht mehr so schnell kommen. Und jetzt war auch nicht die Zeit für das, was sie begehrte. Es gab kein Schloss vor der Tür, jeden Moment konnte jemand hereinkommen. Luzia kannte sich. Wenn sie kurz vor der Erfüllung stand, achtete sie auf nichts, konnte nicht einmal schnell genug eine Decke über sich ziehen, bevor sie jemand überraschte. Energisch ließ sie den Rock fallen und strich die Schürze glatt.

Luzia hatte eine ganze Kiepe mit Spitzen, Bändern und Litzen mitgebracht, die jetzt, nach über fünf Wochen, so gut wie ausverkauft waren. An fast jeder Haustür hatte sie die Ware feilgeboten. Heute würde sie wohl schlechte Geschäfte machen, zu erregt waren die Gemüter der braven Bürger durch das Unwesen der Hexe. Fünf Säuglinge! Dafür verdiente sie wirklich den Tod. Es starben genug Kinder durch Gottes Hand, da brauchte man nicht auch noch eine Hexe. In der Stadt, die Luzia vorher besucht hatte, waren Kinder gestorben, weil der Brunnen durch einen toten Hund vergiftet war. Die Mütter hatten Bier getrunken, aber ihren Kindern das Wasser gegeben, weil es sonst immer so gut schmeckte.

Der Tag war gerade einmal halb vorbei, Luzia wollte nicht in ihrer Kammer bleiben. Einige Kreuzer klimperten in ihrer Tasche und sie überlegte, ob sie für die anstehende Reise neue Schuhe brauchte. Zumindest reden konnte sie mit dem Schuster, er wohnte in der Nähe des Klosters.

In den Straßen wimmelte es nicht so lebhaft wie sonst, es waren weniger Menschen unterwegs und die standen meist an Straßenecken und redeten miteinander. Der Pfarrer gestikulierte vor der Kirche und wurde von einem Haufen Weiber bedrängt. Sie unterhielten sich, wie alle anderen auch, über die Hexe. Eine von ihnen kannte Luzia: Cäcilie Ausbusch, die Witwe des Pferdehändlers, eine begehrenswerte Frau. Keine Schwangerschaft ließ ihre Taille verstreichen, denn so lange hatte die Ehe nicht gedauert. Viele tuschelten über ihr Vermögen, mit dem es allerdings nicht so weit her war, wie Luzia vom Augenschein wusste. Der Reichtum der Witwe bestand aus ihrer Jugend und Schönheit. Seit dem Tode ihres Mannes vor einem halben Jahr befand sie sich auf der Suche, sagte man. Jeder wusste, dass sie sich um den Alchimisten und Astrologen im Herrenhaus in der Kirchgasse bekümmerte - jeder, nur der feine Herr nicht. Zurückgezogen sorgte allein seine Schwester für ihn, von der man genauso wenig sah.

Am Marktplatz standen noch immer viele um die Tribüne herum und starrten in das jetzt nur noch ruhig brennende Feuer. Zu dem verkohlten Etwas an dem verbrannten Pfahl blickte Luzia absichtlich nicht hoch. Direkt daneben saß zusammengesunken der Schultheiß und weinte. Er hatte Luzia an der Haustür abgefertigt, als sie ihre Litzen anbieten wollte, dabei hätte sie nur zu gerne einen Blick in dieses Haus geworfen. Zu diesem Zeitpunkt war wohl schon die Catharine eingetürmt gewesen, kein Wunder, dass er sich so grob gegeben hatte. Ja, tatsächlich, so war es. Die Böttcherin sagte doch, dass die Schultheißin fast ein Jahr im Loch gesessen hatte. Flink lief Luzia an den Leuten vorbei und zum Rathaus. Das bedeutete einen Umweg, wenn sie zum Kloster wollte, aber sie musste sich dann nicht durch die Menge drängen. Einmal heute Morgen genügte. Aber auch vor dem Rathaus hatte sich eine Menschenmenge angesammelt. Neugierig stellte Luzia sich dazu und dann hörte sie es: Schreie drangen aus dem Keller des Rathauses. Je lauter sie wurden, desto empörter tuschelte das Volk.

»Was ist denn da los?«, wollte Luzia wissen.

Neben ihr stand die Müllerin. Sie trug eine Brosche unter ihrem Kinn, die Luzia mit Kennerblick abschätzte. »Die Kellerwirtin ist’s, die sie auf die Folter spannen. Muss das sein, wo sie am Vormittag schon eine verbrannt haben? Wenn sie so weitermachen, wird kein Holz mehr für den Winter da sein und keine Magd, es anzumachen.«

»Oh, du barmherziger Heiland, noch eine Hexe?«

Die Müllerin beugte sich zu ihr herüber. »Kind, was weißt denn du, was du unter der Folter schwätzt? Zieh den lieben Herrn Erzbischof in Mainz selbst auf die Leiter und der gesteht, dem Teufel die Sporen gegeben zu haben! Sei Gott davor, dass sie mich auf die Folter spannen. Da gebe auch ich zu, mit allen Weibern der Stadt für den Satan zu tanzen.«

Ihr eindringlicher Blick ließ Luzia zurückweichen. Wie konnte sich das Weib über Brennholz empören, wo es galt, eine Hexe zu beseitigen!

»Das ist zu viel!«, entrüstete sich ein Mann, als ein besonders lauter Schrei aus dem Rathauskeller drang. »Die Folter ist geregelt. Die arme Frau wird jetzt schon zwei Stunden torquiert, wo eine halbe Stunde erlaubt ist. Das darf nicht sein.«

Ein anderer antwortete ihm beschwichtigend. »Zuerst waren es ja nur die Ruten, das gilt nicht als Folter. Sei er nur gewiss, Meier, dass alles mit rechten Dingen zugeht.«

Luzia spürte Gänsehaut auf ihren Armen. Wenn der Mann recht hatte, war die Kellerwirtin eineinhalb Stunden ausgepeitscht worden. Konnte das jemand überleben? Sie musste eine Hexe mit teuflischen Kräften sein, wenn sie das aushielt.

Qualvolles Jammern drang aus dem Rathauskeller, das sich nicht viel von dem unterschied, was die Schultheißin auf dem Scheiterhaufen ausgestoßen hatte. Luzia zog ihren Mantel dichter um die Schultern und ging an den Zuhörern vorbei in Richtung Kloster. Sollte der Pöbel sich doch die Mäuler zerreißen - wenn sich jemand heiliger Inquisitor nannte, würde er nicht gegen das Gesetz handeln!

Dicht gegenüber den Klostermauern lehnte die Bude des Schusters am Badehaus. Er stand in seiner Werkstatt und hämmerte auf einer Sohle herum, ließ sich nicht stören, als sie hereinkam. Nach einer Weile nahm er den Schuh vom Bock und hielt ihn hoch ins Licht, ein grober Männerschuh, der wohl auch einem Riesen gepasst hätte. Nach einer Begutachtung stellte er ihn hinter sich auf einen Schrank. »Du bist die Krämerin«, sagte er statt einer Begrüßung.

»Luzia Heußer«, stellte sie sich vor. »Ich verkaufe Spitzen, Bänder und Litzen, schönen Putz direkt aus Brüssel. Dein Weib suchte sich die schönsten Stücke.«

»Das sieht ihr ähnlich. Die Kinder schreien nach Brot und sie kauft Putz. Heute wird sie dir nichts mehr abnehmen.«

»Ah, nein, ich bin nicht deshalb hier. Die Waren sind bald verkauft und ich muss über Land. Mein Verlobter macht eine Wallfahrt und wir haben uns über Jahr und Tag verabredet. Da brauche ich neue Schuhe.«

Ein sachkundiger Blick fiel auf ihre Füße. »Die sehen mir noch ganz gut aus.«

»Die Sohlen sind durchgelaufen und das Leder am Rand abgeschabt.«

»Zieh sie aus.«

Einen Moment zögerte sie, dann hockte sie sich auf die niedrige Bank und öffnete die Schnallen. Der Schuster nahm die Schuhe und hielt sie ans Licht. »Ein Flicken Leder oben und neue Sohlen. Innen die Brandsohlen mache ich auch neu. Dann läufst du bis nach Jerusalem.«

»So weit will ich gar nicht. Nur zum Rhein, da nimmt mich ein Schiffer mit.«

»Morgen kannst du sie abholen.«

»Aber … soll ich denn barfuß wie ein Zigeuner durch die Straßen rennen?«

»Dann renn nicht. Geh gesittet wie eine Freiin. Es wird nicht mal jemand sehen, dass du keine Schuhe anhast. Morgen, wenn die hier fertig sind, kannst du dir ja die Füße waschen, bevor du sie anziehst.«

Lachend verließ Luzia den Laden und beschloss übermütig, einen Spaziergang an der Mud zu machen. Nach dem harten Winter wurde es jetzt mit Macht Frühling und die ersten Blüten malten weiße Tupfen an den Rand des Baches. Das Wasser floss kalt und klar und ihre bloßen Füße wurden eisig, bis sie an der steinernen Brücke das Ufer hochstieg.

»Frierst du nicht?«

Beinahe hätte Luzia den Halt verloren und wäre rückwärts in die Mud geplumpst, als sie die Stimme so dicht bei sich hörte. Das war des Goldschmieds Sohn Peter. Er streckte seinen Kopf über die Brüstung der Steinernen Brücke und sah ihr zu, wie sie mit den Armen ruderte. Nach einem Moment sprang er auf und reichte ihr die Hand, die sie dankbar ergriff, um sich aus dem Bach zu ziehen.

»Danke. Du hast mich erschreckt.«

»Das habe ich gesehen. Was machst du mitten im Bach?«

»Ach, was geht dich das an? Eine Waschfrau fragst du doch auch nicht.«

»Aber du bist keine Waschfrau. Du bist Krämerin. Und eine verdammt hübsche.«

Ihr wurde bewusst, dass er noch immer ihre Hand festhielt. Sie sah darauf und senkte den Blick. »Du sollst nicht fluchen.«

»Komm, was ist dabei? Jeder sagt das. Es stimmt doch. Du bist hübsch.«

»Wie alt bist du, Goldschmieds Peter? Zwölf? Dreizehn?«

»Vierzehn. Ich bin erwachsen. Zumindest erwachsen genug, ein hübsches Weibsbild zu erkennen. Man zerreißt sich das Maul darüber, was du allein hier in der Stadt machst.«

»Dann sieh zu, dass dein Maul nicht auch zerrissen wird! Ich bin eine achtbare Jungfer und warte darauf, dass mein Verlobter von der Wallfahrt kommt. Bis er mich heiratet, verkaufe ich Spitzen, Bänder und Litzen.«

»Und wenn er nicht kommt? Verkaufst du mir dann einen Kuss?«

Sie hatte die ganze Zeit mit gesenktem Blick dagestanden und ihm bereitwillig ihre Hand gelassen, die er jetzt mit seinen beiden Händen hielt. Kaum merklich lehnte sie sich zurück, während er sich erwartungsvoll vorbeugte. Mit einem Ruck riss sie ihre Hand zurück und sprang zur Seite, während Peter haltlos über das steile Ufer in den Bach stolperte. Er kam auf einem Stein auf, verlor das Gleichgewicht und platschte mit dem Hosenboden voran in das noch winterkalte Wasser. Luzia lachte laut auf. »Das, Peter, wird dich lehren, anständige Frauen um einen Kuss anzugehen!«

Im Laufschritt ging es über den ausgetretenen Weg bis zu den ersten Häusern. Erst dort faltete sie gesittet die Hände vor dem Schoß und senkte den Blick. Bald hatte sie ihre Kammer wieder erreicht. So, so, der Peter vom Goldschmied. Seine Mutter hatte sie auch besucht mit ihren Spitzen, Bändern und Litzen. Ein schönes Haus, nur schlief immer jemand in der Werkstatt, wo Gold und Edelsteine lagen und auch die fertigen Preziosen. Nein, das sollten andere machen, sie wollte sich nicht mit Wachmännern anlegen. Dagegen war die Brosche der Müllerin interessanter. Dort gab es nur einen Hund, und mit dem hatte sie Freundschaft geschlossen. Die Müllerin hatte ihr schon zweimal Bänder abgekauft und unterhielt sich immer nett. Sie war stolz auf ihr schönes Haus und zeigte Luzia bereitwillig die wertvolle Einrichtung, die Fensterbehänge und Teppiche, die Gemälde und das Portrait, das sogar ein klein wenig Ähnlichkeit mit dem Müller hatte. Der gleiche Künstler hatte auch den Christopherus für die Kapelle an der Amorquelle gemalt.

Noch vor Sonnenuntergang erreichte Luzia ihre Stube. Sie war froh über ihr Quartier, die Wirtin hatte sie herzlich aufgenommen und war eine Fundgrube für Klatsch aller Art. In dem uralten Fachwerkhaus quietschte der Dielenboden bei jedem zweiten Schritt und knarrte, die Dielen hatten sich überall gelockert und darunter wohnten Mäuse, trotzdem fühlte sie sich wohl.

Ein kleiner Trick half Luzia, nach nur wenigen Stunden Schlaf aufzuwachen: Auf einen Dachbalken stellte sie zwei Wassergefäße. Aus einem großen floss es in ein kleines. Als dieses voll war, lief es über und tropfte Luzia ins Gesicht. Das weckte sie leise und sicher, nicht einmal den Schlaf aus den Augen reiben musste sie. Luzia hob eine der Holzdielen und nahm die Kleidung heraus, die eingeschlagen in ein Leintuch dort lag. Heute würde die Stadt wie in einen Totenschlaf sinken. In einer Nacht wie dieser, in der abergläubische Weiber Geister durchs Land fliegen sahen, würde niemand auf den Straßen flanieren. Durch die Kirchturmuhr erfuhr Luzia die Zeit, bald Mitternacht, und die Böttchersfamilie hatte schon längst das Land der Träume betreten.

Mit wenigen Handgriffen verwandelte Luzia sich in einen Schornsteinfegerjungen. Ihre blonden Haare verschwanden unter einer schwarzen Kappe, sie trug einen dunklen Anzug und dunkle Stoffschuhe. Das Schwarz in ihrem Gesicht war nicht Ruß - der schmierte und ging schwer ab - sondern Holzkohlenstaub. Die weichen Ledersohlen ließen sie lautlos genau die Dielen finden, die nicht quietschten. Schnell schlüpfte sie auf die Gasse und huschte zwischen den finsteren Häusern hindurch. Am Marktplatz standen Laternen, die von dem Nachtwächter kontrolliert wurden. Er kam später, in einer Stunde etwa, hier vorbei. Auch mit ihm hatte Luzia sich angeregt unterhalten, als sie Bänder als Geschenk für seine Frau verkaufte, und alle Details seines Dienstes erfahren. Sie betrat nicht den Marktplatz, sah aber, dass es im Scheiterhaufen glimmte. Etwas bewegte sich. Das war doch wohl nicht noch immer der Schultheiß, der seinem Weib nachtrauerte? Er trug es schwer. Dabei gab es genügend Witwen und Jungfrauen im Ort, die ihn genommen hätten. Neunzig Gulden kostete ihn die Hinrichtung seiner Frau. Er hatte es dem Amtmann ausgezahlt, ohne lange suchen zu müssen. Nur kurz spielte Luzia mit dem Gedanken, sein Haus aufzusuchen, während er hier am Scheiterhaufen trauerte. Nein, soviel Diebesehre hatte sie, diesen Mann in seinem Elend nicht auch noch zu bestehlen.

Das große Haus des Müllers stand an der Stadtmauer. Der Wehrgang lag verlassen - der Nachtwächter wusste, dass niemand mehr patrouillierte, seit die Schweden fort waren - und Luzia benutzte die Mauer, um auf das Dach eines Schuppens zu kommen. Von dort sprang sie auf einen Balkon und öffnete das Fenster zur Wäschekammer. Es handelte sich eigentlich nur um eine Luke und sie musste sich winden, um hinein zu gelangen, sie war ja gelenkig. Schmunzelnd dachte sie an die Kunststücke, die sie als Kind im Theater vollführt hatte. Ein Verwandter hatte sie als Akrobatin haben wollen.

Zwischen nach Lavendel duftendem Leinen kam sie auf den Flur. Der Hund schlief jede Nacht in der Diele eingesperrt. Lautes Schnarchen wies ihr den Weg zum Schlafzimmer des Müllers, die Tür ließ sich langsam und leise öffnen. Wie ein Schatten huschte Luzia hinein. Jetzt war jede Bewegung kritisch. Vor ihrem inneren Auge ließ sie den Raum entstehen, wie er im Vormittagslicht ausgesehen hatte. Direkt vor ihr stand das klobige Ehebett, rechts ein Kleiderschrank, links die große Wäschetruhe und daneben Waschschüssel und Kanne. Unter dem Bett müffelte das Nachtgeschirr. Der Müller war reich, daher besaß jeder sein eigenes. Stocksteif blieb Luzia stehen, als der Müller mit Schnarchen aufhörte und drei Atemzüge aussetzte. Dann schnappte er nach Luft, grunzte und schnarchte weiter. Er lag halb sitzend auf vielen Kissen, mit einem Federbett zugedeckt und einer Nachtmütze auf dem Kopf.

Die Vorhänge ließen genug Mondlicht durch, dass ihre Erinnerungen Substanz bekamen. Neben dem Bett standen Nachtkästen und auf seinem lag obenauf eine Pistole. Luzia sog tief die Luft ein. Nein, es roch nicht nach Schwarzpulver, die Waffe war nicht geladen. Dahinter lagen Ladestock und Pulverhorn. Wem wollte der Müller damit imponieren? Er schlief wie ein Adliger, der auf den Angriff des Nachbarn wartete. Die Pistole reizte sie. Solche Waffen waren wertvoll, aber schwer zu transportieren.

Sie huschte zur Bettseite seiner Gemahlin. Die Müllerin hatte die Nachthaube tief ins Gesicht gezogen und das Deckbett so hoch, dass man kaum die Nasenspitze sah. Auf ihrem Nachtkasten stand die Schmuckschatulle, auf die Luzia es abgesehen hatte. In Windeseile und lautlos nahm sie das Kästchen an sich und verließ den Raum. In der Wäschekammer öffnete sie die Schatulle und nahm den Inhalt heraus. Die Brosche war dabei, mehrere Armreifen und eine Kette aus Münzen. Ah, und ein Medaillon, das sich öffnen ließ. Sie stopfte alles in ihre Taschen, genauer ansehen konnte sie sich das später. Jetzt stieg sie aus dem Fenster und rannte zu ihrem Quartier. Ein Kinderspiel. Es ging an der Mud entlang über das glatte Kopfsteinpflaster.

Nur noch ein Katzensprung über den Marktplatz - oder ging sie besser den Umweg durch die Hintergassen? Einen Augenblick verharrte sie im Schatten eines überhängenden Balkons. Der Nachtwächter könnte zu früh kommen. Ach, was soll’s, dachte sie und rannte am Rande des Marktplatzes entlang. Direkt vor ihr schlug die Tür der Schänke auf. Ein Mann torkelte heraus. Biergeschwängerter Atem umwehte sie. Luzia konnte nicht schnell genug ausweichen. Mit der Schulter schlug sie im Fallen gegen die Hüfte des Mannes und spürte eine feste Gürtelschnalle. Im letzten Moment konnte sie sich fangen und rappelte sich auf. Die Hände des Mannes strichen über ihre Seite. Ein Finger verhakte sich in ihrer Jacke. Mit einem Ruck riss sie sich los und spurtete mit Höchstgeschwindigkeit davon. Nur noch zwei Straßen bis zu ihrem Quartier, sie atmete auf, als sie in den Hof einbog. Am Wassertrog wusch sie sich die Kohle aus dem Gesicht und war Minuten später wieder die nette Krämerin im Unterkleid. Uff.

Verdammt!

Luzia müsste sich umziehen und den gesamten Weg zurücklaufen. Im schlimmsten Fall lief sie damit diesem späten Zecher genau in die Arme. Der konnte den Nachtwächter oder, schlimmer noch, die Stadtwache alarmieren. Vergiss es, dachte sie, legte sich in ihr Bett und schloss die Augen. Nur allmählich beruhigte sich ihr rasendes Herz. Es war noch etwas Zeit bis zum Morgengrauen, die sollte sie mit Schlaf nutzen.

***

 

»Lukas, wach auf«, drang die belegte Stimme seiner Schwester in sein Ohr. So hörte sie sich nicht unter normalen Umständen an. Alarmiert fuhr er hoch und suchte in der Dunkelheit die schlanke Gestalt Magdalenes. Als sie sah, dass er wach war, setzte sie sich an die Kante seines Bettes und fasste seine Hand.

»Was ist denn los?«, murmelte er noch umfangen vom Schlaf.

»Wahrscheinlich gar nichts. Es rumort noch immer vom Marktplatz. Ich bekam auf einmal so sehr Angst, dass ich nicht mehr allein sein konnte.«

Fürsorglich tätschelte er ihre Hand und drehte sich zu ihr hin. »Gibt es was Besonderes?«

»Abgesehen davon, dass die Hexenjäger von Tür zu Tür gehen und Frauen herauszerren, um sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen?«

»Ach, Liebes«, flüsterte Lukas. Wenn er ihr doch nur helfen könnte! Seit jenem unseligen Zwischenfall weckte sie jede Kleinigkeit und oft wachte sie ohne Grund schreiend mitten in der Nacht auf. »Es geht da um eine alte Sache. Seit Jahren intrigieren diese Weiber, huren herum und mischen Gift. Vor elf Jahren hat es begonnen, da töteten sich diese Furien aus Eifersucht gegenseitig die Kinder. Um das zu beenden, griff die Obrigkeit ein und verbrannte die Schlimmsten als Hexen. Elf Jahre reichte die Abschreckung, jetzt fingen die übriggebliebenen Spießgesellinnen erneut damit an, bis die Amtmänner einschritten. Hab keine Angst, es wird bald vorbei sein.«

»Lukas, du bist immer so vernünftig«, seufzte Magdalene. »Wenn es doch nur so wäre! Eine Frau, die das Kind einer anderen mordet, gehört auf diese Weise bestraft. Nur, was Trine erzählt … ihre Mutter …«

»Liebes, nimm es dir nicht so zu Herzen. Das war schrecklich, fürwahr. Furchtbar, wenn es dabei auch Unschuldige trifft. Das passiert immer wieder und ist leider nicht zu vermeiden.«

»Und wenn es diesmal wieder mich trifft?«

Lukas richtete sich auf und nahm sie voll Zärtlichkeit in den Arm. »Nun sieh nicht immer so schwarz! Das war vor Jahren. Jetzt leben wir doch in ganz anderen Zeiten. Du bist eine ehrbare Edelfrau, die ein sittsames Leben führt. Eine Nonne im Kloster lebt nicht keuscher. Niemand kann dir etwas Schlechtes nachsagen. Für dich besteht absolut keine Gefahr.«

Magdalene legte ihren Kopf auf seine Schulter und er spürte Tränen feucht durch sein Nachthemd dringen. Seit sechs Wochen, seit Beginn des Prozesses gegen die Schultheißin, hatte sie nicht mehr das Haus verlassen und hielt sich in seiner Nähe, sowie er daheim weilte. Tagsüber merkte man ihr nichts an, da gab sie sich ruhig und heiter, aber sowie die Sonne sank und die Mädchen die Lampen anzündeten, bebten ihre Finger und es hielt sie kaum auf einem Fleck.

Es pochte an der Eingangstür. Der Laut drang durch das nachtschlafende Haus und dröhnte in jeden Winkel. Magdalene zuckte zusammen und drückte sich an Lukas’ Schulter, aber er schob sie von sich und stand auf. Neben dem Bett hing griffbereit sein Rapier. Er nahm es in die Hand, bevor er Magdalene auf das Bett beförderte und sein Schlafzimmer verließ. Der Flur lag stockdunkel vor ihm. Entweder hatte Trine das Nachtlicht vergessen anzuzünden oder es war ausgegangen in dem kalten Zug, der Lukas schaudern ließ. Mit Filzpantoffeln tastete er sich zum Treppenhaus. Von oben kam Trine mit einer Lampe in der Hand herunter. Sie hatte nur ein Tuch über die Schultern geworfen, die Füße tappten unter dem Saum des Hemds nackt auf der Treppe. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Waffe in der Hand ihres Herrn sah, aber dann nickte sie mit einem kaum sichtbaren Lächeln. Es pochte wieder ungestüm, jetzt hörte man die Stimme eines Mannes. Trine verdoppelte ihre Geschwindigkeit und ihre Füße patschten geschwind die Stufen hinab an ihrem Herrn vorbei, bis sie an dem Guckloch in der Haustür stand. Überlaut polterte es an die Tür und Lukas spürte sein Herz im Hals klopfen. Trine zuckte zurück, dann schob sie vorsichtig den Laden auf. Gleich drückte sich eine knollige Nase herein.

»Mach auf, Weib! Die Obrigkeit!«

Heftig schob Trine die Klappe gleich wieder zu, dass sie die Nase eingeklemmt hätte, wenn der Besitzer sie nicht so schnell wieder zurückgezogen hätte. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und schaute selbst hinaus.

»Ferdinand Bennicke, alter Hurenbock, spiel dich nicht so auf!«, fuhr sie den Knollennasigen vor der Haustür an.

»Fechtener Trine, du bösartige Beißzange, wirst du wohl öffnen!«

»Und warum sollte ich das tun, du Haderlump, wenn grad du vor der Tür stehst?«

»Weil ich der Stadtwächter bin und den Dieb stelle!«

Trine schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften, wozu sie einen halben Schritt zurücktreten musste. »Was ficht mich dein Dieb an, du Taugenichts?«

Kaum waren ihre Finger von der Klappe verschwunden, schob sich die dicke Nase wagemutig wieder vor. »Hindere nicht meine Pflicht, Weib! Ich verfolge den Dieb und durchsuche jetzt jedes Haus, bis ich ihn gestellt habe.«

»Durchsuche, was du willst, aber nicht dieses Haus. Hier gibt es nur anständige Leute, die von Dieben nichts wissen. Mein Herr schlägt mich, wenn ich zu nachtschlafender Zeit einem Dahergelaufenen öffne!«

Die Nase wanderte in dem kleinen Fenster auf und ab, dann schüttelte sie sich. »Trinchen«, kam es auf einmal ganz kleinlaut, »sagst aber nichts?«

Mit einem gutmütigen Lächeln streckte Trine die Hand durch das Fensterchen und tätschelte eine blauadrige Wange. »Bist doch ein Pflichtbewusster! Hast alle Stuben durchsucht, du Heldenfigur. Jetzt mach dich schnell auf und fang deinen Dieb, bevor er sich selbst davongestohlen hat.«

»Trinchen«, kam es noch einmal, »bist mir noch gut?«

Mit leisem Gekicher antwortete sie ihm, als sie die Klappe so laut zuschlug, dass Lukas zusammenzuckte. Die leise Röte, gerade so sichtbar im Licht der Lampe, stand Trines Gesicht gut. Dadurch wirkte sie Jahre jünger. Welche Haarfarbe sie wohl besaß? Kaum jemand versteckte allzeit seine Haare so genau wie Trine. Ihre zarte Hautfarbe ließ darauf schließen, dass sie blond sei, aber sicher war Lukas nicht.

Er senkte das Rapier, das er die ganze Zeit angriffsbereit in der Hand gehalten hatte. Anerkennend nickte er der Magd zu. »Gut gemacht, Trine. Springst du mit allen Stadtwachen so um?«

Verlegen zog sie das Tuch enger um ihre Schultern und knickste. »Leider nicht, Herr. Der Ferdinand ist ja … nun …«

»Schon gut, Trine, das geht mich nichts an. Solange du deine Arbeit gut erledigst, soll mir egal sein, wem du schöne Augen machst.«

Sie knickste erneut mit deutlich geröteten Wangen. »Herr, das Fräulein wird vergehen vor Angst. Lass mich sie trösten, Herr, dass sie Ruhe in der Nacht findet.«

Auf seinen auffordernden Wink eilte sie die Treppe hoch, versäumte aber nicht, an ihrer Lampe die kleinen Öllichte für die Nacht anzuzünden, damit Lukas nicht im Dunkeln stolperte. Langsamer ging er hinterher, wartete, bis die Magd seine Schwester in ihr Zimmer gebracht hatte, dann schloss er die Tür hinter sich, hängte das Rapier an seinen Platz und legte sich nieder.

Diesmal hatte Trine die Stadtwache abwimmeln können.

Energisch blies er die Lampe aus und drehte sich auf die Seite. Es ging doch nur um einen Dieb. Er begann schon genauso furchtsam zu denken wie seine Schwester. Andererseits stünde auch ihm ein wenig Vorsicht gut an. Nicht nur aufsässige Weiber landeten auf dem Scheiterhaufen. Auch besserwisserische Gelehrte.

Aus dem Nebenzimmer hörte er das Klappen der Tür, Trine verließ seine Schwester. Nur kurz dauerte es, bis die Dielen knarrten und der Hocker über den Boden schabte. Magdalene hatte ihr Bett verlassen und kniete jetzt vor dem kleinen Altar, den sie sich zum Trost angelegt hatte. Heilige Jungfrau Maria, betete er, hilf meiner kleinen Schwester in ihrem Kummer.

***