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Ela Maus

Schattenwölfe IV

Gegen die Zeit


Dieser Band der Schattenwölfe-Reihe ist Jonas gewidmet.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Familienleben

Marlon

 

Noch bevor wir bei ihnen angekommen waren, hörte ich ein aufgeregtes, entzücktes Quieken, das von einem der Mädchen kam, auf die wir zusteuerten. »Da ist er ja«, schob sie gleich hinterher und stürmte auf uns zu. Ronia war genauso rar bekleidet wie die anderen Mädchen, was daran lag, dass sie den wohl letzten warmen Tag in diesem Jahr dazu nutzten, sich zu sonnen. Dafür hatten sie sich Decken mitgenommen und sich draußen auf die große Wiese vor dem Golfhouse hingelegt, auf welche die Sonne erbarmungslos drauf knallte.

»Gib ihn mir«, quengelte Ronia, als sie bei mir angekommen war, und entzog mir prompt den kleinen Körper aus den Armen, der das alles interessiert über sich ergehen ließ.

Ich beließ das unkommentiert, denn ich kannte ihre Faszination für meinen Sohn mittlerweile, und belächelte nur die Art, mit der sie gleich darauf anfing, mit ihm zu reden und ihn in ihren Armen zu wiegen. Währenddessen lief sie neben Mac und mir wieder zu den Decken, von wo aus uns vier weitere Augenpaare anblickten, die zu Mädchen in Bikinis gehörten.

»Wir dachten, ihr könntet mal ‘ne Abkühlung gebrauchen«, informierte Mac sie und hob den Korb an, in dem wir kalte Getränke aus dem Speisesaal mitgebracht hatten.

»Das ist eine super Idee«, erwiderte Monique, die sich daraufhin aufsetzte. »Wir hatten schon überlegt, hier einen Pool aufzustellen, aber die Getränke gehen natürlich schneller.«

Auch Sabrina und Amy erhoben sich, damit sie die Flasche von Mac entgegen nehmen konnten, zumal sie zuvor mit dem Rücken zu uns gedreht gewesen waren. Nur die blonde Schönheit, die ich meine Frau nennen durfte, blieb auf dem Rücken liegen und lächelte mich von unten herab an. Ich ließ mich vor ihrem Kopf niedersinken und hob ihn so, dass sie ihn in meinen Schoß legen konnte. Während ich hörte, wie sich die anderen Mädchen über die Getränke hermachten und Mac sich auf die Decke zu ihnen setzte, beugte ich mich zu Kims Gesicht hinab und legte meine Lippen verkehrtherum auf die ihren. Sie lächelte in den Kuss hinein, ehe ich mich wieder von ihr löste und meinen Blick über ihren Körper streifen ließ. Dass sie erst vor ein paar Wochen ein Kind bekommen hatte, sah man ihr nicht an. Schon ein paar Tage nach der Geburt hatte ihr Körper wieder dem einer wunderschönen schlanken Göttin geglichen.

»Bist du nicht schon längst verbrannt?«, fragte ich und fuhr mit der Hand über ihren Arm, der von der Sonne so aufgeheizt war, dass ich mir kaum vorstellen konnte, wie warm ihr sein musste.

Sie grinste. »Es geht noch.«

»Hey«, machte Mac uns auf sich aufmerksam und ließ gleich darauf eine Flasche über die Decke zu uns rüber rollen, die Kim ergriff.

»Danke«, sagte sie, während sie sie öffnete und bedächtig an ihren Mund führte, um dabei in der liegenden Position nichts zu verschütten.

Monique erhob sich und streckte sich einmal, ehe sie die Decke neu richtete, die sich teilweise in Falten gezogen hatte. »Wo ist eigentlich Dave? War der nicht mit euch im Gemeinschaftsraum?«, fragte sie dabei mit einem mürrischen Unterton.

Ich wusste, dass es in ihrer Beziehung schon seit einigen Monaten kriselte und dass sie sich häufiger stritten als früher. »Ja, der ist noch drinnen«, erwiderte ich ihr wahrheitsgemäß, wobei ich schon ahnte, dass sie sich darüber aufregen würde.

»Na toll«, erwiderte sie - wie erwartet - ironisch. »Ihr kommt raus, um uns zu besuchen, aber er hat wahrscheinlich nicht mal darüber nachgedacht, dass ich mich gefreut hätte, wenn er auch hergekommen wäre.«

Keiner erwiderte etwas, bis Kim vorsichtig sagte: »Wahrscheinlich spielt er gerade noch seine Partie zu Ende. Du weißt doch, wie sie dann sind.«

»Hey«, protestierte Mac, während ich zu ihren Worten hinzufügte: »Ich glaube er war dran, als wir raus gegangen sind.« Es stimmte nicht, aber ich wollte die beiden nicht noch weiter auf den Kriegsfuß führen. Außerdem war ich es nicht gewohnt, dass Beziehungsprobleme so offen vor allen Leuten diskutiert wurden, weshalb ich mir wünschte, sie würde nicht mehr davon reden. Bei mir und Kim war es immer anders, selbst wenn wir mal Streit hatten oder – so wie vor Liams Geburt – sogar getrennte Wege gingen.

Auch Mac und Vanessa hatten alles im Stillen geklärt, bis sie von jetzt auf gleich bekanntgegeben hatten, dass sie die Beziehung beendet hatten. Das war ein paar Wochen nach Liams Geburt gewesen, weshalb Kims erste Vermutung gewesen war, dass Nessa sich ernsthafte Gedanken über ihre eigene Familienplanung gemacht hatte, wozu Mac definitiv noch nicht bereit war. Durch meine Gespräche mit Mac hatte sich jedoch herausgestellt, dass die Probleme der beiden eher daran lagen, dass sie sich auseinandergelebt hatten. Jetzt waren sie schon ein paar Wochen getrennt und offenbar wollte keiner der beiden etwas an diesem Zustand ändern, wobei Mac damit ganz gut klarzukommen schien. Vanessa war hingegen letzte Woche mit Selin und Leonie nach Spanien geflogen, um dort ein paar Wochen Urlaub zu machen. Uns war allen klar, dass diese Flucht mit dem Beziehungsaus zu tun hatte.  

»Wie war denn euer Spieleturnier?«, fragte Ronia und unterbrach damit meine Gedanken, während sie sich neben uns auf die Decke setzte. Liam ließ sie vor sich hinab, wo ihn gleich darauf Kim ergriff. Sie setzte sich auf, um ihn in ihre Arme zu nehmen und ihm einen Kuss auf den Kopf zu geben.

»Ganz lustig«, erwiderte Mac.

Im Hintergrund hörte ich, wie Monique leise mit Sabrina weiter über Dave sprach, doch ich ignorierte das und stimmte Macs Antwort mit einem Nicken zu. »Eigentlich sind wir noch mitten drin, aber dann ist Liam aufgewacht«, ergänzte ich.

»Ach«, stieß Kim hervor. »Und da dachtest du, wenn das Kind wach ist, bring ich es mal schnell zur Mama, damit die sich darum kümmert, he?« Sie grinste mich dabei an, wodurch ihr schnippischer Tonfall entkräftet wurde.

Ich biss mir auf die Unterlippe, als hätte sie mich erwischt. »Was denkst du von mir? Ich hatte Sehnsucht nach dir«, erwiderte ich in gespielt empörten Ton.  

»Lass dir das nicht einreden, Kim«, kam von Ronia, während Mac theatralisch pfiff und sich dann lachend mit dem Rücken auf den Boden gleiten ließ, wo ihm die Sonne ins Gesicht schien.

Ich grinste ihn an und sah dann zu Liam, der in Kims Armen lag und mit seinen Fingern den Träger des Bikini-Oberteils zu fassen bekommen wollte. Er hatte mittlerweile schon dichtere Haare auf dem Kopf, die dunkel wie meine waren. Auch seine Augen glichen noch dem Blau, das sie am Tage seiner Geburt gehabt hatten, obwohl Kim behauptete, dass es schon dunkler geworden sei. Ich sah diese Veränderung nicht. Nur eins war seit seiner Geburt glasklar: egal ob er dunkel- oder hellblaue Augen haben würde – er sah so oder so aus wie ich. Das lag nicht nur an den markanten Merkmalen wie Augen- und Haarfarbe, sondern auch an den Gesichtszügen, die weit mehr den meinen glichen als denen von Kim. Jedoch meinte ich, sie in ihm erkennen zu können, wenn er lächelte. Jedenfalls brachte er manchmal einen Gesichtsausdruck hervor, der ein Lächeln vermuten ließ und ihn dadurch strahlend machte wie ein leuchtender Stern am nächtlichen Himmel. Ganz nach seiner Mutter.

»Ihr habt euch aber ein sehr öffentliches Plätzchen für eure Sonnenstunden ausgesucht«, bemerkte Mac nach einer Weile. Ich blickte mich um und musste ihm zustimmen. Da wir uns hier beim vorderen Teil des Golfhouses befanden, von wo aus man sogar das offizielle Golfhouse – also das kleine Nebengebäude - sehen konnte, waren wir nicht von anderen Werwölfen abgeschirmt, die durch das große schwarze Tor ein- und ausgingen.

Mein Blick folgte den Zwillingen aus der Familie der Unbekannten, die sich mittlerweile gut in unsere Golfhouse-Gesellschaft eingegliedert hatten. Sie liefen über den Weg in Richtung Eingangstür. Aufgrund der längeren Zeit, die sie bisher hier verbracht hatten, hießen sie nicht mehr bei allen die Unbekannten. Viele hatten sich angewöhnt, sie nach ihrem Familiennamen Campel zu benennen. Ihr älterer Bruder Simon verbrachte viel Zeit mit uns, da wir die Einzigen in seinem Alter waren. Ich mochte ihn nicht zuletzt deswegen, weil er Kim geholfen hatte, aus dem zusammenstürzenden Erdberg heraus zu kommen. Er war auch sonst ein netter Kerl, der sich seiner Verantwortung gegenüber seiner Geschwister sehr bewusst war. Er kümmerte sich viel um sie. Ganz besonders der jüngste Bruder Noah hatte eine starke, leitende Hand nötig. Er hatte sich mittlerweile zwar von dem Trauma erholt, das ihm durch die Isolation von sämtlichen Bezugspersonen zugefügt worden war, jedoch schien er in unserer Gesellschaft noch keinen Anschluss gefunden zu haben. Wie auch? Wir hatten hier keinen jungen Werwolf, bis auf Liam. Aber mein Sohn war noch lange nicht so alt, dass er für Noah ein Freund werden könnte.

»Wir wollten auch eigentlich auf die andere Seite«, erklärte Amanda. »Aber da war Schatten.« Auch Amy hatte sich gut mit unserer Jugendgruppe identifiziert, zumal sie Kims Unterstützung gehabt hatte. Diese hatte ihr Informantenkind überall mit hin genommen, um sie so schnell wie möglich mit den Anderen vertraut zu machen, sodass Amy jetzt zu einem festen Mitglied in unserer Gruppe geworden war.

»Und wir wollten schließlich noch ein bisschen braun werden. Morgen soll’s schon wieder regnen«, ergänzte Sabrina. Sie war in den letzten Jahren vermehrt wieder zu Ronia zurückgekehrt und hatte damit Selin - ihr Informantenkind - freigelassen. Diese verbrachte zunehmend Zeit mit Vanessa und Leonie, wovon erstere die neu dazugewonnene Freundschaft gut gebrauchen konnte. Selin gehörte angesichts der Tatsache, dass sie nie wirklich in Wheeler gelebt hatte, ohnehin eher zu den Stammleuten aus Silver Bay, weshalb sie gut zu Nessa und Leo passte. Sabrina hingegen kannte ich schon aus Wheeler, sodass sie zu dem kleinen Kreis an Werwölfen zählte, der das Leben dort kennengelernt hatte.

Während Mac sich weiter mit den Mädchen unterhielt, betrachtete ich wieder Kim und Liam. Der Kleine hatte gerade angefangen zu murren und ich wusste, dass er gleich schreien würde, wenn er nichts zu essen bekam. Dieser Gedanke erinnerte mich gleichermaßen daran, dass es auch für mich Zeit zum Abendessen war.

»Ich glaub, da hat jemand Hunger«, fasste Kim meine Gedanken auf. Sie drehte ihren Kopf zu mir und schaute mich fragend an.

»Sollen wir rein gehen?«, sprach ich die Frage laut aus und erhob mich schon, bevor sie überhaupt geantwortet hatte.

Sie nickte und reichte mir Liam, den ich liebevoll in meinen Armen einschloss und gegen meine Brust drückte. »Schh«, redete ich auf ihn ein. »Du kriegst sofort was.« Ich wog ihn sanft hin und her, während Kim alles einsammelte, was sie mit raus genommen hatte. Wir gingen daraufhin gemeinsam ins Golfhouse, um Liam zu füttern.

»Glaubst du, wenn das mit Monique und Dave so weitergeht, trennen sie sich irgendwann, so wie Mac und Nessa?«, fragte mich Kim kurz vor unserem Zimmer.

Ich warf ihr einen Blick zu, der von dem Beruhigungsversuch unseres Kindes gestresst sein musste. »Keine Ahnung. Sie ist doch deine beste Freundin«, erwiderte ich.

Sie verzog den Mund und öffnete für mich die Zimmertür, sodass ich mit Liam eintreten konnte. Dahinter stellte sie ihre Tasche auf den Boden, nahm mir das Kind ab und setzte sich mit ihm aufs Bett, um ihn zu stillen. »Ich hab’ in letzter Zeit kaum mit ihr geredet. Also nie unter vier Augen«, sagte sie dabei, denn Liam war jetzt endlich ruhig und sog gierig an ihrer Brust. »Sie hat momentan so viel mit Ronia und Sabrina zu tun. Und mit Jason redet sie auch viel, ist dir das aufgefallen?«

Ich nickte, während ich begann, das Zimmer aufzuräumen, da überall Babytücher und Windelpackungen rumlagen. Dazwischen flogen meine T-Shirts und Boxershorts rum und Handtücher aus dem Badezimmer lagen über den Stuhl verteilt. Nur von Kim sah man nichts, denn sie räumte ihre Sachen immer gleich weg, was ich sehr an ihr zu schätzen wusste. »Ich hab’ sie ein paar Mal zusammen im Speisesaal gesehen. Und du bist zurzeit mehr mit Amy unterwegs als mit Monique«, stellte ich fest, was keinesfalls ein Vorwurf sein sollte.

»Ja, ich weiß«, erwiderte sie. »Monique versteht mich nicht so richtig. Deswegen vermeide ich das Thema Dave, weil ich Monique mit meinen Ratschlägen sowieso nicht helfen kann. Bei ihnen ist es so anders als bei uns. Amy versteht mich da besser, deswegen ist es angenehmer, mit ihr zu sprechen.«

»Ich weiß«, erwiderte ich und verschwand mit dem Haufen an Handtüchern im Bad.

»Musst du nicht nochmal in den Gemeinschaftsraum, um das Turnier für dich zu gewinnen?«, fragte Kim lauter.

»Ja, vielleicht gehe ich gleich noch kurz hin. Oder …«, ich zögerte einen Moment, ehe ich wieder in den Türrahmen trat, um sie anzusehen, »oder ich gehe jetzt. Dann können wir gleich zusammen essen gehen.«

Sie lächelte leicht und nickte. »Geh ruhig. Ich mach das hier fertig und muss mich dann eh noch umziehen.«

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, das von ihrer Gutmütigkeit beeindruckt war. »Okay«, erwiderte ich, wollte zur Tür gehen, überlegte es mir dann jedoch nochmal anders. Ich lief erst zum Bett, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und strich Liam mit der Hand über den Kopf, ehe ich das Zimmer verließ und in Richtung Gemeinschaftsraum steuerte.

Das euphorische Glücksgefühl, das ich bis dahin gehabt hatte, verflog augenblicklich, als ich eintrat und den blonden Jungen auf dem Platz sitzen sah, der gerade noch meiner gewesen war. Neben ihm stand sogar noch der Kinderwagen, den ich vorhin hier drin stehen gelassen hatte, und es schien ihn nicht mal zu stören, dass er halb auf einer von Liams Kuscheldecken saß, die ich über die Sofalehne ausgebreitet hatte.

Neben Collin grölten Jason und Dave, die gerade dabei waren, gegeneinander das Videospiel zu spielen. Matt und Dean fieberten auf dem anderen Sofa fleißig mit und schlossen Wetten ab, wer von den beiden gewinnen würde. Simon saß grinsend auf dem Sessel und verfolgte das Rennen.

Wenn er bei uns war, war Collin meistens auch da. Die beiden verstanden sich gut, was Simon zwar nicht unsympathischer machte, Collin jedoch auch nicht sympathischer. Obwohl er zu meinem Leidwesen oft in meiner Nähe war, hatte ich seit unserer Auseinandersetzung kein Wort mit ihm gesprochen, da ich noch immer befürchtete, auf ihn losgehen zu müssen, wenn er nur eine falsche Bemerkung machte. Ich hatte zwar keine Angst davor, dass zwischen ihm und Kim wieder etwas passieren würde, aber die Erinnerung von dem Kuss zwischen den beiden schwebte mir noch immer so präsent vor den Augen herum, dass ich ständig Wut empfand, wenn er in meiner Nähe war. Ich konnte mir kaum erklären, wie ihn die Anderen sympathisch finden konnten. Lediglich Mac, welchem ich lang und breit seine Gedankenwelt erklärt hatte, hielt sich zurück, wenn es darum ging, mit Collin zu reden. Er verstand meine Skepsis und lehnte ihn ähnlich ab, wie ich es tat. Die Anderen wussten nichts von der Sache zwischen ihm und Kim. Bis auf Mac, Monique und Amy hatte keiner eine Ahnung davon.

»Da bist du ja wieder«, sagte Dean, als er für ein paar Sekunden seine Augen vom Bildschirm losriss. »Wo ist Mac?«

»Noch draußen«, antwortete ich. »Dein Typ wurde übrigens verlangt, Dave.«

Er schnaubte. »Ich bin gerade beschäftigt.«

Ich erwiderte daraufhin nichts, denn mehr als es ihm zu sagen, konnte ich nicht tun, wenn ich nicht riskieren wollte, mich in ihre Beziehungsprobleme einzumischen. Stattdessen stand ich nur weiterhin im Türrahmen und starrte einen Moment lang auf das Rennen, bis Jason es mit einem lauten Gejohle gewann.

»Willst du noch weiter spielen? Simon und Collin sind vorhin für euch eingesprungen«, informierte mich Matt.

Da ich ihn anblickte, konnte ich nur aus dem Augenwinkel erkennen, wie sich der andere blonde Kopf zu mir hin drehte, und ich hätte seinen Blick niemals erwidert, wenn er nicht den Mund aufgemacht hätte: »Ich hab’ dich gut ersetzt. Hab’ sogar gewonnen«, sagte er in einem Tonfall, der wohl lustig klingen sollte. In meinen Ohren hallte er nach wie das Echo des Teufels, der mich immer wieder auf seine niederträchtige Tat hinwies. Er hat mich ersetzt, schoss es mir durch den Kopf und ließ ein Stück des Schmerzes wieder aufkeimen, obwohl ich mich krampfhaft dagegen wehrte, misstrauisch zu werden.

Daher überlagerte ich dieses Gefühl mit der Wut auf diesen Jungen, die mich jedoch sogleich dazu veranlasst hätte, ihn zu schlagen, wenn nicht in diesem Moment Monique hinter mir aufgetaucht wäre. Sie wollte durch die Tür in den Raum hinein. »Machst du mal bitte Platz?«, fragte sie mit genervter Stimme.

Ich antwortete keinem von ihnen und war froh darum, dass die Anderen jetzt darüber diskutierten, welche Strecke gefahren werden sollte, sodass sie mein Schweigen gar nicht bemerkten. Collin sah ebenfalls wieder nach vorne, bis ich Liams Decke griff und sie ruckartig unter ihm weg zog, um sie in den Kinderwagen zu legen. Sein Blick lastete danach auf mir, doch ich erwiderte ihn nicht mehr. Ich verließ einfach den Raum und schob dabei den Kinderwagen vor mir her.

Als ich wieder ins Zimmer kam, war Kim angezogen. Sie lächelte mich an, schnappte sich Liam und setzte ihn in den Kinderwagen, mit dem wir dann zum Speisesaal fuhren, ohne dass ich ein Wort über Collin verlor. Kim wirkte so glücklich, dass ich ihre Laune nicht mit meinem Missmut zerstören wollte.

Nach dem Essen verschwanden wir auf unser Zimmer, obwohl die Anderen noch in den Gemeinschaftsraum gingen. Durch die kurzen Nächte, die oftmals nicht besonders viel Schlaf boten, da Liam regelmäßig aufwachte und Hunger hatte, waren Kim und ich immer sehr müde. So hatten wir es uns angewöhnt, schlafen zu gehen, wenn auch Liam das erste Mal am Abend einschlief, damit wir ein paar wertvolle Stunden Schlaf dazugewannen.

Im Zimmer zeigte er jedoch überhaupt keine Anzeichen, schon müde zu sein. Stattdessen brabbelte er munter irgendwelche Laute daher, während ich mich diesmal mit Kims Hilfe daran machte, das Zimmer auf Vordermann zu bringen. So war es wesentlich effektiver. Als ich nichts mehr zum Aufräumen fand, sie jedoch noch immer irgendwas hin und her räumte, kam mir wieder ein Gedanke in den Kopf, über den wir schon ein paar Mal gesprochen hatten. »Soll ich mich mal vor ihm verwandeln?«, fragte ich sie und sah zu Liam rüber, der noch immer munter war.

Sie kam aus dem Bad zurück und blickte mich kritisch an. »Du kannst es versuchen. Vielleicht nimmt er auch überhaupt nicht wahr, dass du dich veränderst.«

Ich dachte noch kurz darüber nach, ehe ich auf Liam zu ging, der auf seiner Kuscheldecke lag, und trotzdem genug Abstand hielt, damit ich ihn nicht berührte, wenn ich in Wolfsgestalt war. »Liam«, sprach ich ihn an, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Er hörte erst beim zweiten Mal und sah zu mir, wobei ich mir nicht sicher war, ob er es wegen meines Rufens tat oder aus reinem Interesse.

»Sei vorsichtig«, mahnte mich Kim. »Nicht, dass du ihn dabei erwischst.«

Ich antwortete ihr nicht mehr, sondern verwandelte mich in den großen braunen Wolf. Jetzt war ich deutlich näher bei Liam. Er sah mich noch immer an, doch seine Reaktion fiel nicht sonderlich spektakulär aus. Offensichtlich war ihm gar nicht bewusst, was für ein Monster vor ihm stand, so wie Kim es vermutet hatte. Es war nicht so, dass er noch nie einen Wolf aus der Nähe gesehen hatte. Wir hatten ihn schon mit ein paar davon in Berührung gebracht, allerdings hatte sich noch nie jemand direkt vor seiner Nase verwandelt, da wir befürchtet hatten, ihn zu verängstigen. Dass er die Verwandlung gar nicht zur Kenntnis nahm, beruhigte mich.

Langsam ließ ich mich auf den Bauch niedersinken und krabbelte ganz vorsichtig näher an ihn heran, bis meine Pfoten links und rechts von seinen kleinen Händen lagen, mit denen er sofort danach zu greifen versuchte. Da er dabei jedoch auf dem Bauch lag und sowohl in die eine Richtung als auch in die andere greifen wollte, waren seine Bemühungen eher kontraproduktiv, sodass er sich in der Mitte hin und her wandte. Ich bot ihm daher meine feuchte Wolfsnase an, mit der ich mich seinem Gesicht näherte, bis ich ihn an der Wange berührte. Daraufhin zielte er mit seinen tastfreudigen Händen nach vorne und betastete meine Schnauze, die ich direkt vor ihm auf den Boden legte, damit er es nicht so schwer hatte.

Hinter mir hörte ich Kim verblüfft lachen. »Also Angst hat er überhaupt keine. Dabei würde er fast zweimal in dein Maul passen.«

Ich konnte schlecht etwas erwidern, aber als Mensch hätte ich geschmunzelt, denn sie hatte Recht. Liam war im Vergleich zu meinem Wolfskörper so winzig wie eine hübsche Blume. Er hatte seit seiner Geburt zwar schon ordentlich zugenommen und war auch sichtlich gewachsen, aber er wirkte noch immer so mickrig und zerbrechlich wie am ersten Tag.

Kim nahm den Kleinen vorsichtig hoch, wogegen er protestierte, indem er wieder anfing zu brabbeln. Er versuchte, sich nach mir zu strecken. Sie lachte erneut und sagte: »Willst du wieder zu Papa? Na gut, aber nur kurz. Es ist Zeit für’s Bett, mein Kleiner.« Dann setzte sie ihn neben mich, wo er fast in meinem Fell verschwand, als er sich gegen meine Seite drückte.

»Pass kurz auf ihn auf ja? Ich gehe in der Zeit eben ins Bad. Vielleicht ist er dann eingeschlafen«, informierte sie mich.

Ich sah ihr hinterher, als sie hinter der Tür verschwand, und wandte meinen Kopf danach zu Liam, der ruhig in meinem Fell liegen geblieben war und es offensichtlich mochte, den warmen Wolfskörper zu berühren.

Bis Kim wieder raus kam dauerte es einen Moment, in dem ich beobachten konnte, wie die Augen des Kleinen immer winziger wurden, bis sie schließlich zufielen. Zu diesem Zeitpunkt war er runter gerutscht, sodass er nur noch mit der Seite an mich gedrückt war und ansonsten komplett auf dem Teppichboden lag.

»Ist er eingeschlafen?«, fragte Kim, als sie aus dem Bad kam.

Ich konnte nichts erwidern, aber sie nahm ihn schon vorsichtig auf und wollte sich gerade mit ihm aufrichten, da öffneten sich seine Augen und er gab ein Geräusch von sich, das vermuten ließ, dass er gleich losbrüllen würde. Ihr Blick schoss zu mir und sie senkte ihre Arme, bis er wieder neben mir lag, wo er leise wurde und sich seine Augen schlossen.

Verwundert machte Kim einige Schritte zurück, ehe sie sich verwandelte, um mit mir reden zu können. »Sollen wir ihn erst mal da liegen lassen und ihn später ins Bett bringen, wenn er tiefer schläft?«, fragte sie mich.

»Ja«, erwiderte ich. »Ich passe auf, dass ich ihn nicht zerquetsche.«

»Okay.« Sie zögerte daraufhin einen Moment, bis sie sich dazu entschied, in der Wolfsgestalt zu bleiben und sich neben mich zu legen. Da ich mit der einen Seite nah am Bett lag und auch noch Liam dazwischen war, kuschelte sie sich auf der anderen Seite an mich. Unser Fell vermischte sich und Wärme ging von ihrem Körper auf meinen über.

»Ich liebe dich«, hörte ich sie sagen. Es war leise und doch ausdrucksstark, was mein Inneres zum Leuchten brachte.

Ein Wolfslächeln entstand in meinem Gesicht, das sie nicht sehen konnte. »Ich dich auch«, erwiderte ich ebenso leise. Sie drückte sich daraufhin näher an mich und gab ein zufriedenes wölfisches Brummen von sich, das sich bald mit unseren Atemzügen vermischte.

Altes gegen Neues

Kimberly

 

Nachdem Liam in der Nacht aufgewacht und Milch zu sich genommen hatte, konnten Marlon und ich als Menschen im Bett schlafen. Der Kleine war nach seiner Mahlzeit noch so müde, dass er nicht protestierte, als Marlon ihn in sein Kinderbett legte.

Da der nächste Morgen ein Sonntag war, bekam Liam am Morgen nochmal seinen Hunger gestillt und wir blieben dennoch bis kurz vor zehn im Bett liegen, um den verpassten Schlaf aus der Nacht nachzuholen. Als ich dann vollends aufwachte und ins Bad ging, um mich dort fertig zu machen, brabbelte Liam - von den Holzstäben des Bettes eingezäunt - munter seine unverständlichen Laute vor sich hin, die es für Marlon unmöglich machten, weiter zu schlafen.

»Möchtest du noch hier bleiben?«, fragte ich ihn trotzdem.

 »Ja«, kam ein gemurmelter Laut zurück.

»Bringst du Liam mit oder soll ich ihn jetzt schon mitnehmen?«

»Ich bring ihn mit.«

Ich kam wieder aus dem Bad und registrierte dabei seine verschlafene Aufmachung, ehe mein Blick zu Liam glitt. Er wirkte als könnte er es verkraften, noch ein paar Minuten länger in seinem Bett zu bleiben, daher verabschiedete ich mich von Marlon und lief in den Speisesaal zum Frühstücken.

Dort saßen Monique, Dave, Jason und Sabrina bereits an unserem Tisch. Ich grüßte sie von Weitem mit einer Handbewegung und lief nach vorne, wo sich eine kleine Schlange gebildet hatte. »Guten Morgen«, ertönte eine Stimme hinter mir, als ich mich gerade angestellt hatte.

Ich drehte mich zu Collin um, der sich mir in der Schlange angeschlossen hatte. »Morgen«, erwiderte ich. Meine Augen zuckten über seinen Körper, der eine lässige Jogginghose und ein schlichtes T-Shirt trug.

»Bist du ganz allein?«

Um meine Musterung nicht zu auffällig werden zu lassen, wandte ich meinen Blick jetzt nach vorne und antwortete dabei: »Der Rest kommt noch.«

Ich hörte ihn ein undefinierbares Geräusch von sich geben, ehe er wieder sprach. »Ich glaube, ich habe Marlon gestern im Gemeinschaftsraum etwas verärgert. Dabei war es gar nicht so gemeint, wie er es aufgefasst hat.«

Diese Information bewegte mich dazu, ihn doch wieder anzublicken. Seine hellblauen Augen blitzten mich an, wobei ich darin keinen Funken der Reue ausmachen konnte, die er in seine Stimme gepackt hatte. »Was war denn?«, fragte ich misstrauisch und fühlte mich gleich ein Stück schlechter. Mit ihm zu reden, erinnerte mich daran, was ich Schlimmes getan hatte, und verschaffte mir ein schlechtes Gewissen.

Er verzog sein Gesicht, während wir ein paar Schritte in der Schlange vorangingen, bis ich mir schon den Teller und das Besteck auf mein Tablett laden konnte. »Ich bin für ihn beim Rennen eingesprungen, da er weg war, und habe ihm dann später erzählt, dass ich ihn gut ersetzt hätte, weil ich gewonnen habe. Ich glaube, er hat das falsch aufgenommen.«

Mein Blick flog scharf zu ihm. »Warum sagst du das auch?«, fuhr ich ihn leise an, denn ich hatte kein Interesse daran, dass alle Werwölfe um uns herum mitbekamen, worum es hier ging. »Dir muss klar sein, wie das auf ihn wirkt.«

»Ich hab’ in dem Moment nicht drüber nachgedacht. Mein Gott, es ist jetzt schon ein bisschen her, dass das alles passiert ist. Da kann ich ja nicht wissen, dass ich immer noch aufpassen muss, was ich sage.« Sein Tonfall glich jetzt eher seinem Aussehen: ein stückweit arrogant, wie er es schon immer gewesen war.

Ich hatte jetzt all meine Sachen auf dem Tablett und löste mich von der Anrichte. »Denk das nächste Mal trotzdem ein bisschen mehr nach«, sagte ich und wollte mich abwenden, da hielt er mich zurück.

»Hey, warte«, sagte er. »Willst du nicht mal wieder zu denen da rüber? Du hast lange nicht mehr bei uns gesessen.« Er deutete mit dem Kopf zu der langen Tafel; an die vordere Ecke, wo Nagur, Yano, Leyena und die Unbekannten saßen.

Obwohl es mir widerstrebte, so lange bei Collin zu sein, zögerte ich jetzt, denn er hatte recht. Da ich diesmal keinen Kinderwagen dabei hatte, für den die Plätze an der langen Tafel zu eng waren, hätte ich heute die erstklassige Gelegenheit, mich mal wieder zu ihnen zu gesellen. Also seufzte ich und ging mit Collin mit, der daraufhin grinste.

»Guten Morgen«, begrüßten wir die dort sitzenden Werwölfe. »Darf ich?«, fragte ich Nagur, ob ich den Platz neben ihm einnehmen durfte.

»Klar.« Er lächelte mich an und erst als ich dieses Lächeln sah, wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich lange nicht mehr mit ihm geredet hatte. »Wie geht’s dir, Kim? Und wie geht’s Liam?«

»Uns geht’s beiden gut. Und dir? Du siehst gut aus«, erwiderte ich und betrachtete ihn, während ich mit den Händen das Tablett auf dem Tisch zurecht schob. Er sah wirklich gut aus, denn seine Augen strahlten eine gewisse Wärme aus.

Er begann zu grinsen. »Danke. Ja, ich kann mich nicht beklagen. Es läuft momentan alles rund.«

»Wo ist Liam?«, ertönte eine andere Frage, bevor ich Nagur antworten konnte. Mein Blick schweifte rüber zur gegenüberliegenden Tischseite, auf der die Zwillinge neben ihrem großen und dem kleinen Bruder saßen und ihr Frühstück schon aufgegessen hatten. Es war das Mädchen, Lena, gewesen, welches die Frage gestellt hatte. Mir war schon oft aufgefallen, dass sie sehr offen war, wohingegen ihr Zwillingsbruder Elias ein stiller Zeitgenosse war.

Ich antwortete daher ebenfalls ganz offen:»Er ist noch im Zimmer. Marlon bringt ihn mit.«

Sie sah mich interessiert an. »Mit wie vielen Jahren wird er sich nochmal verwandeln?«

»Siebzehn«, murmelte ihr Zwilling.

Ich schüttelte leicht den Kopf und griff mir jetzt mein Brötchen, das ich mit Marmelade beschmierte. »Wahrscheinlich schon ein bisschen früher. Mit sechzehn eher«, korrigierte ich.

»Dann wird er einer der Jüngsten hier sein«, kam es von meiner rechten Seite, wo sich Collin niedergelassen hatte.

Simon schüttelte den Kopf. »Die beiden werden auch etwa in dem Alter stehen bleiben. Und Noah wahrscheinlich auch, wenn nicht sogar ein bisschen früher.« Er begutachtete seinen kleinen Bruder von der Seite, welcher jedoch keine Reaktion auf seine Einschätzung zeigte. Stattdessen stocherte er weiter in dem Müsli herum, das er als Einziger noch voll vor sich stehen hatte.

»Das heißt, wir sind zu viert«, schlussfolgerte Lena. »Und so viel jünger als du sind wir dann auch nicht.« Sie sagte das zu Collin und streckte ihm die Zunge raus.

Er grinste sie an. »Körperlich vielleicht nicht.«

»Geistig bleibt ihr immer die Nervensägen, die ihr jetzt auch seid«, fügte Simon hinzu und lachte über Lenas Proteste, bevor er aufstand und sein Tablett mitnahm.

Während ich mein Brötchen aß und ihn dabei beobachtete, wie er um den Tisch herum ging, dachte ich einen Moment an die Situation, in der ich ihn und seine Geschwister kennengelernt hatte. Dass er mir damals aus den einstürzenden Massen über uns hinaus geholfen hatte, war schon da ein Zeichen dafür gewesen, dass er vom Herzen her ein guter Kerl war. Abgesehen davon hatte er nur mit Rosello zusammengearbeitet, weil dieser seinen kleinen Bruder als Druckmittel benutzt hatte, was ebenfalls für das gute Wesen von Simon sprach. Da konnten doch die drei kleineren Geschwister nicht verdorben sein oder? Sie würden also gute Freunde für Liam abgeben, wenn er erst mal in das Alter gekommen war.

Ich ging während des Frühstücks meinen Gedanken nach und unterhielt mich schließlich mit Loo, der sich ebenfalls zu uns gesetzt hatte. Als ich dann letztlich aufstand, um mein Tablett wegzubringen, war auch Collin gerade fertig und folgte mir. Mein Blick glitt dabei zu unserem Stammtisch, der jetzt voll war. Es war nicht schwer, den Kinderwagen auszumachen, von dem meine Aufmerksamkeit weiter nach rechts gezogen wurde, als mir die markanten blauen Augen auffielen, die mich distanziert anstarrten. Mein Inneres zog sich zusammen, denn ich erkannte sofort, dass Marlon sauer war, was er mit dem Blick nicht zu verbergen versuchte.

Mit einem Reuegefühl brachte ich das Tablett weg und verabschiedete mich knapp von Collin, ehe ich den Speisesaal bis zu unserem Stammtisch durchquerte. »Guten Morgen«, begrüßte ich all meine Freunde und registrierte kurz, dass Liam auf Amys Schoß saß, wo er von ihr und Ronia zugleich beaufsichtigt wurde. Zwischen mir und Marlon stand der Kinderwagen, doch das schien keine ausreichende Distanz zu sein, denn sein Blick fraß mich innerlich auf. Er wirkte so voreingenommen und eifersüchtig, dass ich nur erahnen konnte, wie sauer er auf mich war.  

»Hast du fertig gefrühstückt?«, fragte er mit einem Tonfall, der zwischen säuerlich, schnippisch und neutral alles hätte sein können.

Da die Anderen sowieso fleißig dabei waren, miteinander zu diskutieren, fühlte ich mich dabei ungestört, wie ich verzweifelt in seine blauen Augen starrte, die mir keine Wärme, sondern pure Verletzlichkeit entgegen strömen ließen. »Marlon, i-«, wollte ich beginnen, doch er schnitt mich ab, indem er schnaubte und seinen Blick abwandte.

Dann stand ich wie eine Idiotin da und fühlte mich, als würde ich von niemandem mehr wahrgenommen. Erst Macs Stimme löste dieses Gefühl auf, denn er hatte wohl als Einziger mitbekommen, was gerade passiert war: »Soll ich Liam nachher zu euch bringen? Er amüsiert sich hier gerade so gut.«

Ich blickte ihn an und sah, wie auch Marlons Augen zu ihm zuckten. Mac erwiderte nur seinen Blick, zumal er direkt neben ihm saß, und senkte die Stimme, als er zu ihm sagte: »Komm schon. Geh‘ mit ihr mit und klär‘ das.«

Daraufhin biss Marlon die Zähne zusammen, ehe er nickte. »Ich lasse dir den Kinderwagen hier.« Dann stand er auf und unsere Blicke trafen sich. Diesmal hielten wir beide stand, bis er um den Kinderwagen herum trat und wir schweigend zum Ausgang des Speisesaals liefen.

»Hör zu, i-«, wollte ich draußen im Flur beginnen, doch schon wieder schnitt er mir das Wort ab.

»Ist das dein Ernst?«, fragte er und sah von der Seite zu mir. »Du weißt, was ich von ihm halte und was er … uns angetan hat. Und dann gehe ich einmal nicht mit dir zusammen frühstücken und du setzt dich gleich zu ihm?« Seine Stimme war schroff und sein Gesicht wurde von der Maske überschattet, die er immer dann trug, wenn er es vermeiden wollte, dass seine Emotionen sichtbar waren. Doch ich kannte ihn mittlerweile gut genug, dass ich wusste, was sich unter dieser Maske verbarg. In diesem Falle waren es Eifersucht und Schmerz.

Unter meiner eigenen quollen Wut und Missgunst hervor, die ich sonst selten an die Oberfläche ließ. »Ich habe mich nicht zu ihm gesetzt, sondern zu Nagur. Zu Yano, Leyana und all den anderen. Das sind auch meine Freunde. Ist es mir jetzt verboten, Zeit mit ihnen zu verbringen?«

Er starrte mich bitter an. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Ich fass‘ es nicht«, sagte er, drehte sich um und ging weg.

Wütend und doch verwundert stand ich da und wusste nicht, was ich machen sollte. »Marlon«, rief ich, als mir klar wurde, dass ich die Diskussion jetzt sofort mit ihm klären musste, und ich lief ihm im normalen Tempo hinterher. Jedoch erreichte ich ihn nicht mehr, bis wir in seinem Zimmer waren, wo ich die Tür geräuschvoll hinter mir schloss. »Marlon«, sprach ich ihn nochmal an.

Daraufhin drehte er sich ruckartig zu mir um, nachdem er zunächst mit dem Rücken zu mir vor dem Fenster gestanden hatte. »Willst du weiter lügen?«, fuhr er mich an. »Ich weiß, dass du mit Collin erst an der Essensausgabe warst und dich dann mit ihm an den Tisch gesetzt hast. Monique hat mir das gesagt. Also behaupte nicht, es wäre nicht so gewesen.«

Mein Inneres rebellierte gegen alles, was er mir vorwarf, denn ich hatte wirklich keine schlechten Absichten dabei gehabt. Das Frühstück war überhaupt ein bescheuerter Grund, sich zu streiten, und doch wusste ich, dass dieser Streit viel tiefer ging, als sich nur um das Frühstück zu drehen. »Ja, er war in der Schlange hinter mir und hat mit mir geredet. Er hat mir erzählt, was er gestern zu dir gesagt hat und dass du es falsch aufgefasst hättest.« Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch diesmal war ich diejenige, die einfach redete: »Und ich hab’ ihn dafür verurteilt, Marlon. Glaub mir. Als ich dann zu unserem Tisch gehen wollte, fragte er, ob ich mich nicht mal wieder zu den Anderen setzen wollte. Ich war wirklich schon lange nicht mehr bei ihnen. Mit Nagur hab’ ich Ewigkeiten kein Wort mehr gewechselt, bis vorhin. Ich bin nicht wegen Collin mit zum Tisch gegangen, sondern wegen den Anderen.«

Er sah mir ununterbrochen in die Augen und versuchte offensichtlich festzustellen, was er sagen oder denken sollte. Dabei atmete er tief ein und aus, was mir zeigte, wie entrüstet er war.

»Du hast doch gesagt, es sei okay und du würdest mir vertrauen«, erinnerte ich ihn, diesmal mit einem sanften Tonfall. Es fühlte sich jetzt so an, als hätte er dieses Vertrauen seit heute Morgen verloren.

Er schnaubte. »Ja, aber das war, bevor er gestern seinen Mund aufgemacht hat.«

Ich atmete schwer ein und aus, während mir dieser Satz im Kopf umherschwirrte. Vertraute er mir also nicht mehr? »Aber … das, was er sagt, zählt doch überhaupt nicht«, murmelte ich leise. Langsam machte ich ein paar Schritte auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stand. Mit meiner Hand berührte ich vorsichtig seine Wange, obwohl ich befürchtete, dass er sich mir entziehen würde, was er jedoch nicht tat. »Ich bin hier, oder? Nicht bei ihm und nicht im Speisesaal, sondern hier bei dir. Und ich bleibe hier«, stellte ich mit leiser Stimme klar. »Er hat dich nie ersetzt. Niemand kann das. Ich liebe dich.«

Noch immer sagte er nichts, sondern sah nur in meine Augen. Doch die emotionslose, harte Maske war jetzt gefallen und lag zerbrochen zu unseren Füßen. Stattdessen sah ich in seinem Gesicht einen Haufen von Emotionen, die so viel aussagten, dass ich auch sie nicht verstehen konnte, obwohl ich wusste, dass sie etwas Besseres bedeuteten als die Maske. Zaghaft bewegte sich meine Hand von seiner Wange weiter nach hinten, wo ich ihm vorsichtig durch die Haare fuhr. Als er das nicht abwies und noch immer nichts sagte, streckte ich mich ganz langsam, bis wir unsere Augen schlossen, weil sich unsere Lippen berührten.

Mit dem Kuss ließ er die Luft geräuschvoll aus seiner Nase entweichen, ehe mich seine Hände an den Hüften packten und mich näher zu sich zogen. Verblüfft löste ich mich ein paar Millimeter von ihm und lächelte, als ich sah, wie er jetzt liebevoll zu mir hinabschaute, was mein Herz zum Hüpfen brachte.

»Tut mir leid, dass ich mich so aufgeregt habe«, flüsterte er nah an meinen Lippen.

Ich presste meine einen Moment aufeinander, ehe ich sanft lächelte, um ihm zu vergeben. »Schon okay. Ich verstehe das.«

Er sah mich noch einen Augenblick lang so an, ehe er seine Lippen wieder auf meine senkte und mich küsste. Dabei entfachte er das Kribbeln viel intensiver in meinem Körper, als er es gerade getan hatte, und ich kam nicht umhin, mich noch näher an ihn zu pressen. Marlon öffnete mit sanftem Druck meine Lippen und ich war überrascht, als ich seine Zunge spürte. Wir haben uns lange nicht so geküsst, fuhr es mir durch den Kopf. Wir hatten überhaupt lange nicht mehr einen solchen Moment ganz allein verbracht. Es war Ewigkeiten her, dass wir in einen Rausch verfallen waren, wie es jetzt gerade der Fall war, denn neben all den Bemühungen um das Wohlergehen unseres Kindes blieb selten Zeit für sowas. Und auch dann, wenn Liam schlief, waren wir meistens so müde, dass wir ebenfalls erschöpft ins Bett gingen.

Als ich das dachte, war es, als könnte Marlon meine Gedanken hören oder er hatte sie eben für sich erfasst, denn er drängte mich daraufhin in Richtung Bett, wo ich im Rausche meiner Gefühle drauf fiel. Er folgte mir und bedeckte mich gleich wieder mit seinen weichen Lippen, mit denen er von meinem Mund hinab, über meinen Hals, bis zu meinem Dekolleté wanderte. Dabei suchte ich schon nach dem Saume seines T-Shirts, welches ich ihm über den Kopf ziehen wollte. So landeten nach und nach all unsere Kleidungsstücke auf dem Boden und wir waren seit langer Zeit mal wieder vollkommen allein.

Erst nach einer ganzen Weile hörte man Schritte auf dem Gang, die uns stumm davon berichteten, dass die Anderen aus dem Speisesaal kamen. Ich wollte Marlon gerade fragen, ob wir uns nicht besser anziehen sollten, da klopfte es schon an unsere Tür. Mittlerweile war ich - was das anging - nicht mehr so panisch wie vor ein paar Jahren, doch mein Blick glitt trotzdem hilfesuchend zu Marlon, der meinem Gesicht ganz nah war.

Er rümpfte kurz die Nase, ehe er aufstand und dabei »Moment« rief. »Bleib liegen«, flüsterte er mir zu und schlüpfte in seine Boxershorts. Er griff auf dem Weg zur Tür auch seine Hose, die aber so in sich verdreht war, dass er vorher stehenbleiben musste, um sie auseinander zu schütteln, was ihm nicht gelang. Schließlich fluchte er und schmiss sie weg, ehe er die Tür so öffnete, dass er für den Außenstehenden zwar sichtbar war, ich - im Bett liegend und von Daunen bedeckt - jedoch nicht ins Sichtfeld kam.  

»Oh wow«, hörte ich Mac verblüfft sagen. »Ihr hattet wohl echt Klärungsbedarf, was?« Er grinste dabei, was ich an seiner Stimme hörte.

Von hinten konnte ich beobachten, wie Marlon seinen Kopf schief legte und in einer fassungslos attraktiven Bewegung den Arm hob, um sich am Kopf zu kratzen. »So in etwa.«

Mac räusperte sich. »Ja gut, also … tja, dann hoffe ich, ihr konntet euer Redebedürfnis stillen, weil ich glaube, Liam hat Hunger oder er ist müde oder keine Ahnung. Ihr solltet euch auf jeden Fall drum kümmern.«

»Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast.« Marlon verschwand kurz hinter der Tür und ich hörte das Geräusch der sich bewegenden Gummireifen des Kinderwagens auf dem Boden, ehe er damit rückwärts in den Raum fuhr.

»Kein Problem«, erwiderte Mac dabei. »Wenn … na ja, wenn ihr später weiter diskutieren müsst, dann wisst ihr ja, wo ihr mich findet.«

Marlon grinste ihn an. »Danke«, sagte er nochmal, ehe er die Tür schloss und seinen Blick erst auf Liam lenkte, ehe er mich ansah und das Grinsen auf seinen Lippen neu entstand.

»Er ist ein Idiot«, sagte ich und musste lachen, als ich mich beschämt in die Decken sinken ließ.

Marlon lachte ebenfalls, bevor er Liam aus dem Kinderwagen nahm und ihn sich ansah. »Hast du Hunger, kleiner Mann? Oder … oh …«, er rümpfte die Nase, »vielleicht müssen wir auch einfach mal die Windel wechseln, was?«

»Machst du das? Dann beseitige ich das Chaos hier drin«, schlug ich vor und kroch unter der Decke hervor, um mich anzuziehen, während Marlon meiner Bitte nachkam und mit Liam ins Bad lief. Wir hatten dort in den letzten Wochen das Wickelabteil eingerichtet, da es uns zu umständlich geworden war, dafür jedes Mal in mein Zimmer zu gehen. Seit einigen Tagen verhandelten wir mit Clarus darüber, einen Durchbruch von Marlons Zimmer zu meinem zu machen, da sie ja direkt nebeneinander lagen und wir auf diese Weise mehr Platz bekommen würden. Zunächst mussten wir aber noch mit dem hinkommen, was wir hatten, und als aller erstes musste das nun aufgeräumt werden, woran ich mich mit einem Seufzen begab.

Den restlichen Tag verbrachten wir viel mit Mac und Dean, die uns begleiteten, als wir draußen spazieren gingen, und hinterher mit im Gemeinschaftsraum waren. Collin sah ich an diesem Tag nicht mehr und da Marlon fast die ganze Zeit über in meiner Nähe war, bekam er ihn nicht mehr zu Gesicht. Es war besser so.

Es war ein normaler Tag und ein normaler Abend, sogar eine normale Nacht, obwohl ich das Gefühl hatte, lange schlafen zu können, bis Liam mich das erste Mal durch seine Hungerschreie weckte. Alles andere als normal war es dann, als ich meine Augen widerwillig öffnete und in die blauen Augen meines Kindes blickte, die ganz und gar nicht mehr zu dem Körper passten, in dem sie sich befanden. Vor Schock holte ich ruckartig Luft und saß kerzengerade im Bett, um von einer anderen Perspektive nochmal das zu betrachten, was meine Augen gerade aufgenommen hatten. Da saß ein kleines Kind in Liams Kinderbett, das vielleicht ein Jahr alt war, deutlich größer als Liam und viel weiter entwickelt. Aber wo war Liam?

Ich musste mehrfach blinzeln, um sicherzugehen, dass mich meine Müdigkeit nicht täuschte. Doch als ich meine Füße auf den Boden vor dem Bett abstellte und mich weiter zu dem Kinderbett herüberbeugte, war es noch immer dieses Kleinkind, das dort saß und mich hungrig anblickte. Es ist Liam, bestätigte ich mir erschrocken. Die Augen waren die gleichen – durchzogen von einem hellen, intensiven Blau – und die Haare waren ebenso braun wie die des kleinen Babys, das eigentlich darin liegen sollte. Nur waren sie gewachsen und bedeckten schon einen viel größeren Teil seines Kopfes, zumal dieser ebenfalls gewachsen war, genauso wie der Rest des Körpers. Es war Liam in einer viel älteren Version.

»Marlon«, brachte ich hervor, wobei meine Stimme nicht mehr als ein verzweifeltes Hauchen war. »Marlon«, versuchte ich es nochmal, diesmal lauter.

Er regte sich hinter mir und stöhnte, denn er befürchtete wohl nichts Schlimmes. Ich drehte mich deswegen zu ihm um und rüttelte ihn grob an seinem Arm. »Marlon«, wiederholte ich, bis er endlich verwundert und gleichzeitig ein Stück verärgert die Augen öffnete. »Irgendwas ist mit Liam«, erklärte ich, obwohl diese Erklärung alles andere als gut war.

Daraufhin schien er zu verstehen, dass es etwas Wichtiges sein musste, wenn ich ihn schon so weckte, und er ließ seine Augen hinter mich zu dem Kinderbett gleiten. Ich konnte beobachten, wie er danach erstarrte, bevor er ruckartig hochfuhr und ungläubig auf das Kind starrte. »Was …?«

Marlon bewegte sich langsam und kroch neben mich auf die Bettkante, von der er aufstand, um auf Liam zuzugehen. Ich erhob mich deswegen auch und knipste dabei das Licht an meinem Nachttisch an, damit wir mehr erkennen konnten. Dann beobachtete ich mit riesigen Augen und einem unguten Gefühl, wie Marlon seine Hände langsam zu Liam streckte und ihn vorsichtig hochhob. Er jammerte dabei über seinen Hunger. Als Marlon ihn so vor sich hielt und ihn betrachtete, war ganz deutlich zu sehen, wie groß er geworden war. Der Schlafanzug, welcher eher ein Schlafsack war, passte ihm jetzt noch gerade so, zumal er für ein drei Monate altes Baby zu groß gewesen war.

Marlons Augen zuckten zu mir und sofort wieder zurück zu Liam, der jetzt in seinen Händen zappelte und endlich etwas zu Essen haben wollte. Er gab mir keine Antwort, weil er selbst keine hatte. Ich konnte beobachten, wie er langsam und ungläubig den Kopf schüttelte, bevor er mir das Kind vorsichtig hinhielt. »Gib ihm etwas zu essen. Ich hole Clarus«, sagte er.

Marlon zog sich währenddessen eine Jogginghose und ein T-Shirt über. Als er aus der Tür war, prasselten so viele Gedanken auf mich ein, dass ich ganz verzweifelt dasaß und auf das Kind an meiner Brust starrte. Wie konnte sowas passieren? Warum hatte Clarus uns davon nichts gesagt? Oder wusste er es gar nicht? Was war dann das Problem? Die Theorie, dass Liam vielleicht krank war und sich diese Krankheit auf ihn auswirkte, indem er sein Leben plötzlich im Schnelldurchlauf erlebte, entstand in meinem Kopf, doch ich schob sie beiseite, denn Werwölfe wurden nicht krank. Und sie wuchsen ganz normal auf, bis sie soweit waren, dass sie sich verwandelten. Wieso war es bei Liam nicht so?

»So und jetzt sag mir noch mal, dass ich mich beruhigen soll«, fuhr er Clarus an, der stocksteif stehen blieb, als er das Kind auf meinem Schoß sitzen sah.

»Vollkommen normal«, bestätigte Marlon mit angespanntem Tonfall.

Clarus nickte, versunken in Gedanken. »Ja, er … er scheint gesund zu sein. Es sieht mir jedenfalls nicht danach aus, als hätte er irgendetwas Ungewöhnliches an sich, angenommen er wäre schon ein Jahr alt.«

Wie erwartet schüttelte Clarus den Kopf. »Nein. Und ich weiß auch nicht, wie sich das entwickeln kann oder woher es kommt. Ich kann keinerlei Prognose darüber geben, was euch morgen erwartet. Vielleicht ist er dann noch größer geworden oder aber er entwickelt sich normal weiter. Ich habe leider keine Ahnung.«

Clarus verzog den Mund zu einer unwissenden verdrossenen Maske. »Ich weiß es nicht, Kimberly«, sagte er mit Bedauern in der Stimme. Er ließ Liam hinab auf seinen Schoß gleiten. »Vielleicht … na ja, es hört sich blöd an, aber vielleicht ist es das Klügste, erst einmal abzuwarten und zu sehen, was passiert. Mehr können wir ohnehin nicht tun, denn dagegen gibt es keine Medikamente und keinen Zauber.«

Clarus sah ihn entschuldigend an. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, Marlon. In dieser Nacht kann ich die Magier nicht mehr kontaktieren. Ich verspreche euch, dass ich gleich morgen früh mit allen Personen sprechen werde, die etwas über so ein Ereignis wissen könnten. Und gleich jetzt werde ich in mein Büro gehen und recherchieren. Ich werde Lucas wecken, aber mehr als das kann ich nicht tun, wenn ich nicht weiß, womit wir es hier zu tun haben.«

Marlons Blick traf meinen und ich konnte erkennen, wie er sich wünschte, dass Clarus lieber jetzt gleich etwas bewirken konnte und uns Klarheit über das geben konnte, was mit unserem Sohn geschah. Aber auch er musste sich eingestehen, dass Clarus im Endeffekt Recht hatte. Wir mussten abwarten, was mit Liam passieren würde.

Marlon war es diesmal, der nickte und ein betonungsloses »Okay« murmelte, das nicht ganz mit all dem einverstanden war.

Mein Blick wanderte rauf zu Marlon, welcher genauso verzweifelt war wie ich. Mit einem Seufzen sahen wir beide dann hinab zu unserem Sohn, der in meinen Armen lag und offenbar dabei war, wieder einzuschlafen. Es war gut, dass er schlafen konnte, denn so hatte ich das Gefühl, dass wenigstens einer von uns entspannt war, während er langsam in meinen Armen weiter alterte.