Cover

Kurzbeschreibung:

Stephanie von Abendroth führt als Maklerin ein glamouröses Leben fernab vom Familiengestüt. Bis sie eines Tages alles verliert, als sie einer Intrige ihrer vermeintlich besten Freundin zum Opfer fällt. Wem kann Stephanie jetzt noch vertrauen? Als Retter in der Not erweist sich der attraktive Oliver. Zusammen mit Ihm kehrt Stephanie nach Abendroth zurück, um im Kreis  ihr Leben neu zu ordnen. Schon bald fliegen gewaltig die Funken zwischen der schönen Maklerin und dem Mann, den sie in London kennengelernt hat. Doch kurz darauf muss Stephanie feststellen, dass auf Abenroth nichts so ist, wie es zu sein scheint:  Und wer ist der Fremde, den Stephanie immer wieder auf dem Gutshof sieht? Was wissen ihre Geschwister? Und was verheimlicht ihr Oliver?

Valentina May

Das Erbe der Abendroths 

Frühlingserwachen


Roman

Edel Elements

1.

Ein Blick aus stahlgrauen Augen streifte sie und bescherte ihr eine Gänsehaut. Der Ausdruck darin: neugierig, forschend und eiskalt. Für einen Moment hielt er ihren gefangen. Sie wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass der Mann, zu dem diese Augen gehörten, sie seit dem Trafalgar Square verfolgt hatte. Neulich war er ihr schon aufgefallen, am Piccadilly Circus, und in der Oxford Street ebenfalls. Allein durch seine Größe und Statur stach er aus der Menge heraus. Er war athletisch gebaut. Seine Haut hatte einen auffälligen Bronzeton, der einen reizvollen Kontrast zu seinem ausgeblichenen Blondhaar ausmachte, das ihm bis auf die Schulter reichte. Mit dem Dreitagebart erfüllte er das Klischeebild eines kalifornischen Surfers. Nur bewegte er sich hier nicht in einem Surfoverall am Strand von Malibu, sondern inmitten der Londoner City. Ein Grinsen stahl sich auf ihre Lippen, als sie sich vorstellte, wie er sich im Badeoutfit in der Rushhour durch die Menschenmengen drängte.

Der Bann wurde gebrochen, als ihn jemand anstieß und die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Die Ampel schaltete auf Grün. Stephanie eilte auf die andere Straßenseite, vorbei an den vielen Shops und Friseursalons, bis zur nächsten Kreuzung. Erst jetzt warf sie einen Blick über die Schulter zurück. Auch der Fremde wechselte die Straßenseite. Ihr Handy klingelte. Sie klemmte es zwischen Kinn und Schulter und lauschte auf die Worte des Anrufers.

„Selbstverständlich sende ich Ihnen den Vertrag zu“, bestätigte Stephanie dem Interessenten am Telefon und hoffte, das Gespräch abkürzen zu können. Sie konnte sich kaum auf das, was er sagte, konzentrieren. Der Gedanke, verfolgt zu werden, machte sie zunehmend nervös. Ihr Gesprächspartner ließ sich nicht abwimmeln und stellte eine Frage nach der anderen. Big Bens melodische Schläge erinnerten sie wieder an ihren bevorstehenden Termin, den sie durch diese Ablenkungen womöglich nicht einhalten konnte. Heute war nicht ihr Tag.

„Verzeihen Sie, aber ich muss jetzt Schluss machen, ich habe gleich einen Termin. Ich melde mich später noch einmal bei Ihnen, um Ihre Fragen zu klären“, schnitt sie dem Kunden das Wort ab und legte auf. Sie hörte noch einen Protestversuch am anderen Ende der Leitung, bevor es knackte und still war.

Einen Fluch unterdrückend wandte Stephanie sich um und übersah den Kanaldeckel im Trottoir. Ein Ruck in ihrem Bein brachte sie zum Stoppen. Schmerz durchzuckte ihren Knöchel, sodass sie die Luft anhielt. Ihr Fuß, oder vielmehr ihr Schuh, steckte in der Öffnung des Kanaldeckels fest. Sie beugte sich hinunter. Der Absatz war ruiniert, aber zum Glück noch dran. Diese Schuhe hatten sie ein Vermögen gekostet. Italienisches Design. Verfluchte High Heels! Verfluchter Anruf! Verfluchter Fremder! Vorsichtig zog sie den Absatz aus der metallumrandeten Öffnung. Sie konnte die Nähe des blonden Mannes fühlen und sah zurück. Tatsächlich, da war er wieder. Für einen Moment überlegte sie, ob sie ihn ansprechen sollte. Sie entschied sich, weiterzugehen. Hätte sie doch nur die Metro gewählt. Drei Straßen weiter war der Fremde verschwunden, was sie aufatmen ließ. Doch als sie Kensington erreichte, tauchte sein blonder Schopf wieder in der Menge auf.

Ihr Handy vibrierte erneut. Dorian. Seit einem Jahr waren sie ein Paar. Ein VIP-Paar, um genauer zu sein, denn ihr Freund war nicht nur Leiter einer bekannten Modelagentur, sondern Inhaber einer weltweit bekannten Modehauskette. Jeder von Rang und Namen in London kannte ihn. Seinen weit verzweigten Kontakten verdankte sie so manchen potenziellen Kunden. Es schien ihm zur Gewohnheit geworden zu sein, sie öfter wegen Nichtigkeiten anzurufen. Weil er sich langweilte. Mal rief er an, weil er den Hund nicht rausgelassen hatte, dann wieder fragte er sie, was sie gerade unternahm. Sie hatte jetzt keine Nerven für Belangloses und drückte ihn weg.

War ihr Verfolger vielleicht von irgendeiner Klatschzeitung? Das hätte ihr gerade noch gefehlt. An der nächsten Kreuzung bog Stephanie in ein ruhigeres Wohnviertel ab. Niemand kam ihr entgegen. Die Hinterhöfe waren verwaist. Das sonnige Wetter lockte die Bewohner hinaus in Londons beliebte Parks. Es lag schon eine Ewigkeit zurück, dass sie in einem spazieren gegangen war. Ihr Job ließ ihr einfach keine Zeit.

Der Fremde war ihr noch immer auf den Fersen. Sie fluchte leise. So schnell, wie es ihre hochhackigen und ramponierten Schuhe zuließen, trippelte sie die Straße entlang. High Heels waren eben nicht für eine Flucht auf Straßenpflaster geeignet. Sie lächelte bitter. Atemlos erreichte sie nach dem nächsten Häuserblock die belebte Orange Street, an dessen Ecke das indische Restaurant lag, in dem Dorian und sie oft aßen. Die nächste Ampel folgte. Grün. Es freute sie, dass der Fremde, der eben um die Ecke bog, warten musste. Nun wäre sie ihn hoffentlich los. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie er mit finsterer Miene von einem Bein aufs andere trat. Yes! Triumphierend ballte sie die Hand zur Faust.

Doch zwei Straßen weiter hatte er sie wieder eingeholt.

Vor dem nächsten Schaufenster eines Coffeeshops unter Arkaden blieb Stephanie stehen. Vielleicht sprach er sie jetzt endlich an. Ein Blick ins Schaufenster, und sie erschrak bei ihrem Spiegelbild. Sie sah aus, als wäre sie gerade erst aus dem Bett gestiegen. Widerspenstige Strähnen hatten sich gelöst und hingen ihr ins Gesicht. Sie löste ihre Spange, bis sich die hellblonde Haarflut über ihre Schultern ergoss. Ein kurzes Ausschütteln, dann glättete sie ihr Haar so gut es ging mit den Fingern, um es anschließend einigermaßen geordnet hochzustecken. Er stand auf der anderen Straßenseite und blätterte in der Times. Keine Kamera bei ihm. Wenn er keiner der Reporter war, was wollte er dann? Als hätte er bemerkt, dass sie zu ihm hinübersah, steckte er die Zeitung in den Ständer zurück und lehnte sich lässig mit verschränkten Armen an einen der Arkadenpfeiler. Ungeniert taxierte er sie.

Seine Turnschuhe hatten ebenso wie seine schwarze Lederjacke schon bessere Zeiten gesehen. Selbst die olivgrüne Cargohose war an den Knien abgewetzt und der Gurt seiner Umhängetasche zur Hälfte abgetrennt. Dorian wäre niemals so herumgelaufen, nicht einmal bei der Safari im vergangenen Jahr in Kenia. Ihr Freund war stets wie aus dem Ei gepellt. Schließlich hatte er als Modeguru einen Ruf zu verlieren. Dennoch strahlte der Fremde ein Selbstbewusstsein aus, das dem ihres Freundes in nichts nachstand. Er besaß markante Züge, eine gerade Nase und volle Lippen. Gut sah er ja aus, gäbe es da nicht den unerbittlichen Ausdruck in seinen stahlgrauen Augen. Seine Miene verdüsterte sich. Fast wartete sie darauf, dass er auf sie zukam. Aber er tat es nicht. Wenn er kein Reporter war, dann vielleicht ein Krimineller? Ein Triebtäter, der sich seine Opfer auf der Straße aussuchte? Auch wenn ihr Bauchgefühl sagte, dass er nichts Verbrecherisches vorhatte, musste sie jetzt endlich wissen, was er von ihr wollte.

Neben der Ladenzeile befand sich ein Hotel mit Drehtür. Dort im Publikumsverkehr fühlte sie sich sicher. Es wäre einen Versuch wert. Sofort schritt sie zum Hoteleingang. Würde er ihr folgen? Auf dem Weg dorthin ließ sie wie zufällig die Einlasskarte zu Dorians Apartment fallen, um sich durch einen Seitenblick zu vergewissern, dass der Fremde die Straße überquerte. Es lief wie geplant. Sie musste sich beeilen, wenn ihr Vorhaben nicht scheitern sollte. Nach wenigen Schritten verschwand Stephanie durch die Drehtür in die belebte Hotellobby. Von innen konnte sie durch die getönten Scheiben hinausschauen. Aus Diskretion war den Passanten von draußen hingegen der Einblick durch das spezielle Fensterglas verwehrt. Umso überraschender wäre der Augenblick eines Zusammenstoßes. Jetzt musste sie nur noch abwarten, um im passenden Moment hinauszustürmen. Sie stellte sich neben die Drehtür und beobachtete, wie er zügigen Schrittes auf den Hoteleingang zusteuerte. Das Warten auf den richtigen Augenblick ließ Stephanie auf den Zehenspitzen wippen. Schon stieg er die beiden Stufen zum Eingang hinauf. All ihren Mut zusammennehmend sprang sie im selben Augenblick vor und schlüpfte zwischen die Drehtürflügel. Schwungvoller als gedacht, stieß sie mit dem Fremden zusammen. Wie ein Fels in der Brandung stand er vor ihr, sodass die Wucht des Aufpralls nicht ihn, sondern Stephanie ins Taumeln brachte. Bevor sie die Drehtür im Rücken traf, umfassten seine kräftigen Hände ihre Schultern und rissen sie nach vorn. Ehe Stephanie es verhindern konnte, landete sie an seiner Brust. Ein männlich-herber, aber sehr sinnlicher Duft stieg ihr in die Nase. Deutlich spürte sie das Spiel seiner Muskeln unter ihren Händen, die auf seinem Brustkorb ruhten. „Hey, nicht so stürmisch!“, rief er aus.

„Sorry“, sagte sie heiser und stieß sich von ihm ab. Er ließ die Arme sinken und fluchte. Stephanie, die mit ihren hohen Absätzen selbst über einen Meter achtzig groß war, musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzusehen. Einen flüchtigen Augenblick blitzte es überrascht in seinen Augen auf. Stephanies Herz schlug schneller, als es ihr lieb war. Seine Brauen zogen sich zusammen.

„Haben Sie mich denn nicht gesehen?“

„Doch, sonst wäre mir ja nicht aufgefallen, dass Sie mich seit dem Trafalgar Square verfolgen“, konterte sie und stellte befriedigt fest, dass er die Lippen zusammenkniff.

So verwegen, wie er aussah, war sie froh, ihm nicht im Dunkeln begegnet zu sein. Mit Dorian auf gleicher Augenhöhe fühlte sie sich sicher. Der Fremde hingegen flößte ihr Respekt ein.

„Ach, ja?“ Nichts in seiner Miene verriet etwas über seine Gedanken.

„Sagen Sie mir doch einfach, was Sie von mir wollen! Dann brauchen Sie mir nicht hinterherzulaufen.“

„Nichts“, kam es knapp zurück.

Sie glaubte ihm kein Wort. Er wollte an ihr vorbei ins Hotel, aber sie hielt ihn zurück. „Und warum verfolgen Sie mich dann?“

„Das bilden Sie sich ein“, entgegnete er und sah sie wie ein Raubtier seine Beute aus geschlitzten Augen an.

„Das habe ich mir bestimmt nicht eingebildet. Also, weshalb folgen Sie mir?“

„Vielleicht finde ich Sie interessant.“

Interessant? Seine Antwort überraschte sie nicht. Das hatte sie schon von vielen Männern gehört. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht beschreiben konnte.

„Das hätten Sie auch einfacher haben können, indem Sie mich angesprochen hätten. Und falls Sie sich mit mir verabreden wollen, muss …“

„Wie kommen Sie nur darauf, ich könnte Sie um ein Date bitten?“, fiel er ihr ins Wort. „Ich sagte, ich finde Sie interessant, aber Sie sind nicht der Typ Frau, mit dem ich mich verabrede.“

„Was für ein Typ bin ich denn?“

„Arrogante, verwöhnte Business-Frau.“

Das war doch der Gipfel an Unverschämtheit. Wut wallte in Stephanie auf. Erst belästigte er sie durch die Verfolgung, und nun beleidigte er sie obendrein auch noch."

„Was fällt Ihnen ein!“

Sie hätte ihn einfach ignorieren sollen. Zu spät. Die Situation war bizarr und entglitt ihrer Kontrolle. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Und wenn er doch in die Kategorie „Perverser Psychopath“ gehörte, der ihr nachstellte? Dann hatte sie gerade einen Fehler damit begangen, sich ihm entgegenzustellen. Ihr war übel, und die Hände zitterten. Bloß keine Angst zeigen! Das will er doch nur!

Sie drückte den Rücken durch und hielt seinem durchdringenden Blick stand, während ihr Herz gegen die Rippen hämmerte.

„Hören Sie auf, mich zu verfolgen oder ich rufe die Polizei.“

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, drückte er sie gegen die Hotelmauer und stützte sich zu beiden Seiten mit den Armen ab. Er war ihr nah. Viel zu nah. Seltsamerweise empfand sie in diesem Moment keine Angst, aber in ihrem Kopf schrillten Alarmglocken. Sie sollte jetzt schreien, aber sie konnte es nicht. Langsam näherte sich sein Gesicht ihrem. Sie hielt den Atem an. In seinen grauen Augen lag etwas beinahe Hypnotisches.

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, bevor er durch die Drehtür im Inneren des Hotels verschwand.

Verwirrt sah Stephanie ihm nach. Die Drehtür rotierte quietschend. Sie hätte an eine Halluzination geglaubt, würde sie nicht noch immer die Abdrücke seiner Finger an ihren Schultern spüren. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie ihre Gedanken loswerden. Eine Weile stand sie wie betäubt da, bevor sie ihren Weg fortsetzte.

Kaum war sie ein paar Schritte gegangen, vibrierte ihr Handy in der Jackentasche. Sie zuckte zusammen. Mit zittrigen Fingern zog sie es heraus und nahm das Telefonat entgegen. Sie räusperte sich, ihr Hals war eng. Die Nummer war unterdrückt. Einen Moment lang starrte sie auf das Display, konnte aber keinen klaren Gedanken fassen.

„Von Abendroth … und Zöller Immobilien. Was kann …“, ratterte Stephanie routinemäßig herunter und brach ab, als sie ihre beste Freundin am anderen Ende der Leitung kichern hörte.

„Du klingst heiser, als hättest du die Nacht durchzecht und Unmengen Whiskey getrunken. Oder bist du etwa erkältet?“

„Nein, kommt wohl von der Klimaanlage im Hotel“, log Stephanie. Sie verspürte jetzt keine Lust, Sylvie von dem eben Erlebten zu erzählen.

„Was machst du denn in einem Hotel?“ Neugier schwang in Sylvies Stimme mit.

„Du weißt doch, ich suche noch eine passende Unterkunft für einen Interessenten aus Edinburgh und war auf der Suche. Du weißt schon, der, der die Staunton-Villa kaufen will.“ Ob die Freundin die Lüge schlucken würde?

„Ach so, okay. Das nächste Mal kannst du aber aufs Display schauen. Ist Dorian auch bei dir?“

„Nein, ich bin allein. Du, ich habe eigentlich gleich einen Termin. Kannst du den bitte kurzfristig absagen? Mir ist was dazwischengekommen.“ Ein verwegener Blonder, fügte sie im Geist hinzu.

„Superman persönlich?“ Sylvies anhaltendes Kichern kam ihr seltsam überdreht vor.

„Was ist denn mit dir los, Sylvie?“ Eigentlich war Sylvie in letzter Zeit wenig zum Lachen zumute gewesen. Die Trennung von ihrem Freund Ricky und einige geplatzte Aufträge hatten ihr stark zugesetzt.

„Ich habe mir was besorgt, was meine Laune hebt.“

„Du nimmst Pusher? Lass das gefälligst sein!“ Das Geständnis bereitete Stephanie Sorgen.

„Und wenn schon? Keiner will einen Trauerkloß um sich haben. Gib’s doch zu. Ich muss nur eine von den Dingern schlucken, und mir geht es gut. Außerdem bin ich nicht die Einzige, die ihre Stimmung damit aufhellt.“

Schuld daran war das Business, der ständige Stress, die permanente Erreichbarkeit und die unzähligen, kräfteraubenden Geschäftsreisen. Erfolg konnte ersticken. Selbst Stephanie, die jede Gelegenheit für einen lukrativen Auftrag nutzte, empfand die Selbstständigkeit nicht selten als Bürde. Wie oft hatte sie sich schon gefragt, ob die Geschäfte den persönlichen Verzicht wert waren. Sie sehnte sich danach, endlich einmal Zeit für sich zu haben, ohne das dauernde Handyklingeln. Ein beschaulicheres Leben zu führen, wie ihre Schwestern auf Abendroth. Sie konnte Sylvie gut verstehen. Dennoch wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, nach Mitteln zu greifen, die ihr vorgaukelten, dass es ihr gut ginge.

„Bitte, Sylvie. Du brauchst das Zeug nicht.“

Sylvie war ihre Freundin und Geschäftspartnerin, für die sie sich auf eine gewisse Art verantwortlich fühlte. Sie hatten gemeinsam das Maklerbüro aufgebaut und es weit gebracht. Seit geraumer Zeit hatte sie jedoch gespürt, dass ihre Freundin mit dem ständigen Druck nicht umgehen konnte. Sylvie am anderen Ende schwieg. Die eben noch gelöste Stimmung bei der Freundin war gekippt. Stephanie spürte schon seit Längerem die Spannung zwischen ihnen und litt darunter. Doch Sylvie verschloss sich jeder Aussprache.

„Weshalb hast du mich denn nun angerufen, Sylvie?“

„Wegen der Party natürlich.“ Sylvie klang gereizt.

Stephanie wollte keinen Streit mit ihr und zwang sich, gelassen zu bleiben. „Was für eine Party?“

„Na, die von Phil.“

Ein ehemaliger Geschäftspartner Dorians, der auch ihr Kunde geworden war. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass Dorian die Party irgendwann erwähnt hatte. Aber es war ihr total entfallen. „Ach ja. Die hätte ich glatt vergessen. Gibt es dafür einen besonderen Anlass?“

„Du kennst doch Phil. Er liebt es zu feiern und braucht keinen Grund.“

Stephanie wusste genau, weshalb Phil immer wieder einlud: Er musste einfach immer im Mittelpunkt stehen.

Philipp Morton war Broker und Dorian begegnet, als der Aktien seines Unternehmens auf dem Markt platzieren wollte. Seitdem vereinbarten die beiden Männer regelmäßige Treffen. Phil prahlte jedes Mal von seinen Luxusreisen oder Sportwagen. Gleichgültig, ob er ihr sympathisch war oder nicht, zählten seine Partys dennoch zu den wichtigsten Events, bei denen sich alle trafen, die Rang und Namen hatten. Dort wurden die fettesten Deals abgeschlossen. Auch Stephanie und Sylvie hatten lukrative Geschäfte unter Dach und Fach bringen können.

„Wann und wo findet die statt?“, fragte Stephanie und ärgerte sich, dass ihr der Termin entfallen war. Und weil sie keine Lust hatte, Dorian dorthin zu begleiten. Ein paar exklusive Häppchen, eine Selbstbeweihräucherungsrede von Phil und jede Menge Small Talk. Darauf konnte sie gut und gerne verzichten. Nur befürchtete sie, dass Dorian sehr enttäuscht von ihr wäre, wenn sie ihn nicht begleiten würde.

Schon immer hatten Feierlichkeiten jeder Art eine große Rolle in ihrem Leben gespielt. Auf Abendroth hatte ihre Mutter das Wann, Wo und Wie lange bestimmt. Seit ihrem Umzug nach Berlin hatte Stephanie ihr freies, turbulentes Leben in vollen Zügen genossen. Lebenshunger und Abenteuerlust waren ihre Antriebsmotoren gewesen. Mutter hatte ihren Lebensstil nie verstanden und ständig kritisiert. Sie hatte sie nach ihrem Wunschbild von Tochter formen wollen. Aber Stephanie hatte sich nicht wie ihre Schwestern dazu berufen gefühlt, auf einem Landgut zu leben, mit einem Ehemann und einer Schar Kinder. Es war immer der Wunsch ihrer Mutter gewesen, dass die Abendroth-Geschwister gemeinsam den traditionellen Betrieb in ihrem Sinne weiterführten. Dafür war Stephanie nicht geschaffen. Die Aufgaben des Gutes waren bei ihren Schwestern in guten Händen.

Jakob hatte sie immer verstanden. Tränen schlichen sich in ihre Augen, wie immer, wenn sie an ihren Bruder dachte.

„Und? Kommst du auch? Ich habe gehört, dass Phil sogar einen Prinzen aus den Emiraten eingeladen haben soll. Das wäre vielleicht ein fetter Fisch für uns.“

Das wäre es wirklich. Sie war froh, dass sich die Wogen zwischen Sylvie und ihr zumindest in diesem Gespräch geglättet hatten. „Ja, ich hole dich dann gegen neun Uhr in deinem Apartment ab. Ich bringe Dorian mit.“ Es nervte sie, dass sie sich mal wieder zu einem Partybesuch hatte überreden lassen, zu dem sie keine Lust verspürte.

„Ja, ja, ist gut. Ich muss jetzt los.“ Sylvie war so seltsam drauf. Es klickte in der Leitung, und die Freundin hatte aufgelegt. Traurig starrte Stephanie aufs dunkle Display. Ihre Sorge um die Freundin wuchs mit jedem Tag. Sie musste in Ruhe mit Sylvie reden.

2.

Als Stephanie wenig später die exklusive Penthouse-Wohnung von Dorian betrat, kam ihr Tigger freudig entgegengesprungen. Sie lächelte, als der schwarz-weiße Jack Russell Terrier bellend an ihr hochsprang. Dorian hatte den Hund von einem zufriedenen Kunden geschenkt bekommen. Der Name Tigger passte so gar nicht zu dem quirligen Kerl, weder vom Aussehen noch vom Temperament. Es war Dorians Idee gewesen, ihn nach einer Comicfigur zu benennen.

Auch wenn ihr Freund den Hund mochte, das Kümmern überließ er lieber ihr. „Du kommst doch vom Gut und kennst dich ja mit so was aus“, waren seine Worte gewesen. Hier in London verbrachte Tigger die meiste Zeit des Tages in der Wohnung. Regelmäßig zweimal am Tag kam der Dogsitter zum Gassigehen. Was für ein beschränktes Hundeleben. Auf Abendroth hätte der Terrier viel Auslauf gehabt, das hätte sie ihm gegönnt. Aber Dorian hasste das Landleben.

Stephanie bückte sich und streichelte das Tier, bevor sie die breite Tür zur Dachterrasse aufschob. Anschließend ging sie in die Küche und öffnete eine Dose Hundefutter.

Mit dem gefüllten Napf ging auch sie auf die Dachterrasse hinaus. Tief atmete sie die klare Luft ein. Die Tage wurden milder und länger. Die Sonne versank langsam am Horizont und tränkte ihn blutrot. Nach dem eisigen Winter schien sich nun endlich der langersehnte Frühling anzukündigen.

Während Tigger fraß, schaute Stephanie über die Dächer Londons. Von hier oben war der Blick atemberaubend. Die dicht aneinandergereihten Häuser wirkten wie Spielzeugvillen. Fast zum Greifen nahe waren die zartgrünen Baumkronen des Hyde Parks, in dem sie oft joggte. Kinderstimmen unter ihr an der Bushaltestelle weckten ihre Aufmerksamkeit. In Schuluniformen gekleidet, schlenderten sie schnatternd und kichernd an den strahlend weißen Häuserzeilen mit den schwarzen schmiedeeisernen Zäunen vorbei. In Eggendorf war alles so ganz anders, ruhiger, und die Kinder trugen keine Uniformen. Ihr Freigeist hätte sich sicher gegen eine solche gewehrt, denn Individualismus war ihr wichtig.

Aus der Ferne hörte sie den 6-Uhr-Westminster-Schlag von Big Ben. Bald würde Dorian nach Hause kommen. Sie mochte London mit dem quirligen, freakigen Leben, die unzähligen Galerien und Modeevents, nicht zu vergessen die Shoppingmeilen. Dennoch sehnte sie sich immer öfter nach einem ruhigeren Ort wie Abendroth zurück. Es wurde Zeit, ihren Schwestern endlich wieder einmal einen Besuch abzustatten. Spätestens im Sommer. Vielleicht würde Dorian sie endlich begleiten. Schon seit Langem hatte er ihr versprochen, mit ihr nach Abendroth zu reisen, und genauso oft war ihm etwas Geschäftliches dazwischengekommen, sodass sie jedes Mal allein gefahren war. Dabei hätte sie ihrem Freund wirklich sehr gern ihre Heimat gezeigt. Als begeisterter Jäger hätte er dort sicher seinen Spaß gehabt. Sie hingegen hatte die Jagd noch nie ausstehen können. Das Opfer hatte doch kaum eine Chance zu entkommen. In Kent hatte sie Dorian im vergangenen Jahr zur Jagd begleitet. Nie würde sie die wunderschönen samtbraunen Augen des Rehs vergessen, die sie im Visier gesehen hatte. Voller Leben, das im nächsten Moment erlosch, als der Knall die Stille zerschnitt. Sie hasste das Töten. Ihr Mitleid für das Tier hatte Dorian belächelt. In diesem Moment waren ihr Zweifel gekommen, ob er wirklich der Mann ihres Lebens war. Vielleicht würde sie nie den Mann finden, mit dem sie gemeinsam alt werden wollte. Ihre Gedanken schweiften zu ihren Schwestern. Auch Jennifer hatte einst geglaubt, mit Michael glücklich zu sein, bis sie Dave wiederbegegnet war. Und Miriam hatte sich eingestehen müssen, dass es für ihre Ehe mit Paul keine Zukunft mehr gab und ihr Glück bei Robert gefunden. Die Wege der Abendroths waren nie geradlinig gewesen, sondern steinig und verschlungen. Schritte erklangen hinter ihr.

„Ach, hier bist du, Steph.“ Dorian trat hinter sie und küsste sie zärtlich in den Nacken. Ganz in ihren Grübeleien versunken, hatte sie ihn nicht gehört.

„Hallo, Dorian. Gut, dass du schon zu Hause bist. Wir müssen noch …“ Weiter kam sie nicht, denn er knabberte an ihrer Haut, was ihr eine Gänsehaut bereitete. Langsam drehte sie sich zu ihm um, schlang die Arme um seinen Nacken und küsste ihn voller Verlangen auf den Mund. Die Hände ihres Freundes, die eben noch auf ihrem Rücken gelegen waren, wanderten tiefer und legten sich besitzergreifend auf ihr Gesäß. Ohne dass sie es wollte, schweiften ihre Gedanken im selben Moment zu dem Fremden ab. Erschrocken über ihre Fantasien löste sie sich aus der Umarmung.

„Was ist?“ Ihr Freund sah sie besorgt an.

Wie könnte sie ihm gestehen, bei dem Kuss an einen anderen gedacht zu haben! Sie fühlte sich mies. „Alles gut.“ Sie rang sich ein Lächeln ab.

„Wirklich?“ Dorian klang besorgt.

„Ja, alles in Ordnung. Ich habe nur daran gedacht, dass ich heute einen Termin habe platzen lassen“, log sie und vermied es, ihren Freund anzusehen.

„Gegen Frust weiß ich ein gutes Mittel.“ Lächelnd nahm Dorian ihre Hand und zog sie mit sich. Tigger beäugte sie misstrauisch, als wäre er eifersüchtig.

„Tigger, hopp, ab mit dir auf die Dachterrasse.“ Dorian beugte sich zu seinem Hund hinunter und schob ihn in Richtung Terrassenausgang. Tigger sah fragend zu Stephanie auf.

„Na, lauf schon“, sagte sie und folgte Dorian ins Schlafzimmer. Der Hund sah ihnen nach, bis die Tür hinter ihnen zufiel.

Das Schlafzimmer bestand aus einem herzförmigen Bett, das vom Polster bis zur Bettwäsche in Rot gehalten war. Stephanie begann sich langsam auszukleiden …

Eine Stunde später stand sie in der Küche und bereitete sich einen Cappuccino zu, während sie über ihre Beziehung nachgrübelte. Im Laufe der Monate hatte sich die Routine bei ihnen eingeschlichen, auch beim Sex. Jeder Tag im Leben der beiden war minutiös durchgeplant, selbst die Momente der Zweisamkeit. Am Sonntag organisierten sie die Woche, neben den vielen Geschäftsterminen auch die privaten. Einmal in der Woche zusammen Lunch, alle vierzehn Tage ein Dinner in ihrem Lieblingsrestaurant, und einmal pro Woche Sex. Sie fühlte sich in ein Korsett gepresst. Wenn sie Dorian darauf ansprach, war er der Ansicht, dass die beruflichen Interessen höchste Priorität besaßen. Seit einer Weile fühlte sie sich in ihrer Beziehung unwohl. Spontaneität und Gelöstheit waren verloren gegangen. Es fehlte ihr das sehnsuchtsvolle Ziehen, wenn sie an Dorian dachte, die Freude darauf, die wenige Freizeit, die ihnen gegeben war, gemeinsam zu verbringen. Dinge, die ihren Schwestern vergönnt waren.

Neulich hatten Jennifer und Miriam ihr im Anhang der E-Mail Fotos zugesandt. Das Strahlen in den Augen der Schwestern hatte schon ein wenig Neid in ihr geweckt, obwohl sie den beiden das Glück von Herzen gönnte.

Wenn sie an Jennifers Hochzeit dachte, wurde ihr das Herz schwer. Jeder Augenblick war berührend gewesen. Voller Euphorie hatte sie nach ihrer Rückkehr Dorian davon erzählt und war schockiert gewesen, weil er Heiratswillige als hoffnungslose, versponnene Romantiker bezeichnet hatte.

„Ich hätte nie gedacht, dass du auf so etwas Wert legst. Ich brauche keinen Trauschein, um aller Welt zu beweisen, dass wir ein Paar sind.“

Seine Worte klangen noch in ihren Ohren. Hätte er die innigen Momente miterlebt, würde er vielleicht anders denken.

Sie nippte an ihrem Cappuccino und leckte den Schaum von ihrer Oberlippe. Manchmal vermisste sie die Nähe zu ihren Schwestern. Was war nur mit ihr los? Nur nicht wieder deprimiert sein! Sie musste sich ablenken. Vielleicht würde die Party sie aufmuntern. Während sie die Tasse in den Geschirrspüler stellte, endete das Rauschen der Dusche. Sicher war Dorian schon dabei, sich anzukleiden. Es war Zeit, dass auch sie sich für die Party umzog.

Als sie das Ankleidezimmer betrat, schlüpfte er gerade in die Hose seines selbst entworfenen Anzugs. Sein kurzes Haar war streng zurückgekämmt und noch feucht. Rote Flecken zeichneten sich auf seinem glattrasierten Gesicht ab. Während sie ihn betrachtete, wurde ihr klar, weshalb so mancher Kunde ihn mit einem Sohn Donald Trumps verwechselt hatte. Am Kleiderständer hing ihr rotes Kleid mit den Spaghettiträgern. Sie nahm es herunter. Es war sehr figurbetont geschnitten und auch sehr kurz. Einer von Dorians Designern hatte es auf Wunsch ihres Freundes für sie entworfen. „Nenne es Kundenfang-Outfit“, hatte er zu ihr gesagt, als er es ihr überreicht hatte. Es kam nicht selten vor, dass ihr Freund ein Outfit vorschlug. Oft traf er tatsächlich ihren Geschmack. Heute hingegen ärgerte es sie, dass er sich in ihre Kleidungswahl einmischte. Sie stöhnte innerlich auf. Oft genug hatte sie seinem Wunsch nachgegeben, um des lieben Friedens Willen. Aber heute würde sie das nicht tun. Kommentarlos hängte sie das Kleid auf die Stange zurück. Dorian, der gerade seine Manschettenknöpfe zuknöpfen wollte, hielt in der Bewegung inne. Seine Brauen zogen sich verärgert zusammen.

„Was machst du, Darling? In diesem Kleid siehst du sexy aus. Denk ans Geschäft. Benson ist heute vermutlich auch da. Du weißt genauso wie ich, dass er einer meiner besten Kunden ist.“

Craig Benson produzierte weltweit Gourmet-Hundefutter. Er war es auch gewesen, der Dorian Tigger geschenkt hatte. Für zwei handbestickte Designerbademäntel aus Dorians Kollektion. Benson galt als extrem launisch, unberechenbar und sehr anspruchsvoll, besonders, was das weibliche Geschlecht anbetraf. Seine Vorliebe für blutjunge Frauen, bildhübsch und sexy, war über die Grenzen hinaus bekannt. Aber Stephanie wollte keine Geschäfte wegen ihres Aussehens abschließen, sondern weil sie besondere Fähigkeiten besaß und den gewissen Spürsinn einer talentierten Maklerin.

„Ich entscheide, was ich anziehen möchte“, entgegnete sie ihrem Freund, der daraufhin wütend die Lippen zusammenkniff.

„Ein Wort von dir, und meine Mannschaft hätte dir ein Kleid kreiert, das ein Blickfang für alle gewesen wäre.“

Ihre Schwestern hätten es nie gutgeheißen, wenn sie ein Geschäft nur dann abschloss, weil ein Kunde sie anziehend fand. Wenn sie Craig Benson noch dazu kennen würden, hätten sie ihr sicher geraten, sich auf keine Geschäfte mit ihm einzulassen. Aber wenn sie oben auf der Erfolgsleiter stehen wollte, durfte sie nicht wählerisch sein.

Sie nahm ein knielanges, apricot Cocktailkleid mit Pailletten aus dem Schrank. Die Farbe war nicht so aufdringlich wie das Rot und umschmeichelte ihre von der Karibikreise leicht gebräunte Haut.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst? Darin siehst du wie deine eigene Großmutter aus“, giftete Dorian. Das sagte er sicher nur, weil es nicht von ihm entworfen worden war. Stephanie ignorierte seine bissige Bemerkung. Dorian konnte recht aufbrausend sein. Auch wenn es ihm nicht passte, sie zog das Kleid an. Wütend knurrte er. Die spannungsgeladene Atmosphäre brachte sie erneut ins Grübeln. Es stimmte nicht mehr zwischen ihnen.

Als sie wenig später in die Diele eilte, bedachte er sie mit einem bitterbösen Blick. Sie befürchtete schon, er würde darauf bestehen, dass sie doch noch das rote Kleid anzog. Wider Erwarten schwieg er. Zufrieden mit sich selbst, aber mit einem missmutigen Dorian an ihrer Seite stieg Stephanie in den Aston Martin ein.

Ihr Freund liebte protzige Sportwagen. Sie legte wenig Wert darauf, dafür mehr auf Komfort. Die Sitze in diesem Wagen waren schrecklich unbequem. Gut, dass sie Dorians Rat nicht befolgt hatte. Mit dem engen Rock des roten Kleides hätte sie Schwierigkeiten gehabt einzusteigen.

Phils Party fand in einem Nachtclub nahe der Themse statt. Sie war noch nie im Dragon’s gewesen, das in Jetset-Kreisen als der angesagteste Club der Stadt galt. Luxuriös und nur für ausgewählte Gäste.

Dorian schwieg während der gesamten Fahrt. Trotzig wie ein kleiner Junge! Seine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass das Weiß der Knöchel zu sehen war. Als sie versöhnlich ihre Hand auf seinen Arm legte, bedachte er sie mit einem eisigen Blick. Rasch zog sie ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Die plötzliche Kälte zwischen ihnen erschreckte sie. So unversöhnlich hatte sie ihn noch nie erlebt.

Als er endlich den Wagen im Hinterhof parkte, war sie heilfroh, der angespannten Atmosphäre entfliehen zu können. Hinter der Tür hörte sie dumpfe Bässe wummern. Sie hatte ganz vergessen, dass Phil ein Fan von Hardrock war. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Augenrollen. Dorian schritt selbstbewusst voran. Auf seinen Wink hin öffnete einer der Türsteher ihnen mit einer Verbeugung die Eingangstür. Laute Musik und Stimmengewirr schlugen ihnen entgegen. Kopfschmerzen waren vorprogrammiert. Wie sollte sie das nur einen ganzen Abend lang aushalten?

Die meisten Partys von Dorians Clique hatten bislang in hochmodernen Nobelrestaurants oder Clubs stattgefunden, mit Art-déco-Möbeln, weißen Wänden, viel Glas und vor allem mit angenehmer Pianomusik. Auch diese Clubeinrichtung trug Phils Handschrift. Die Villa des Gastgebers wurde von vielen als architektonisches Meisterwerk bezeichnet, eine riesige, aus modernen Baumaterialien bestehende Orangerie am Stadtrand von London. Auf Stephanie wirkte es steril. Keine Dekoration, keine persönlichen Gegenstände, nichts. Nur gerade Linien, klare Formen und Glas, Glas, Glas.

Der Club war brechend voll. Diffuses Licht und rauchgeschwängerte Luft hüllten sie ein. Schon nach wenigen Minuten hämmerte es hinter ihren Schläfen. Viele der Gäste kannte sie, einige von ihnen gehörten bereits zu ihrem Kundenstamm. Heute war ihr jedoch weder nach Small Talk noch nach Akquisitionsgesprächen zumute. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht.

„Mach nicht so ein Gesicht, Darling. Lächeln, lächeln“, raunte ihr Dorian zu. Es fiel ihr schwer, die strahlende Maklerin zu spielen. Er fasste sie am Ellbogen und dirigierte sie durch die Gästereihen in die Mitte des Saales, wo sich eine Bühne befand, die an einen Boxring erinnerte. Die Servicekräfte hatten Mühe, sich mit den Tabletts durch die Gästereihen zu drängen und alle mit den erlesenen Getränken zu versorgen. Stephanie wollte sich gerade ein Glas Prosecco von einem Tablett nehmen, als Dorian ihr einen Schubs gab. „Später. Ich will auf keinen Fall Phils Rede verpassen.“ Ihr Protest ging in der lautstarken Musik unter.

Auf der Boxring-Bühne stand einsam ein Mikrofonständer. Das Licht erlosch, nur die Bühne wurde von einem Deckenspot beleuchtet. Wie passend für Phil, der gern im Rampenlicht stand. Dorian schob sie dicht an die mit Seilen umspannte Bühne und postierte sich hinter sie. Immer mehr Schaulustige drängten sich nach vorn. Zwischen ihnen eingepfercht konnte Stephanie weder vor- noch zurück- oder gar seitwärtstreten. Plötzlich verstummte die Musik, und es folgte ein Tusch. Die Gäste starrten mit erwartungsvollen Mienen zum Mikro. Auf der gegenüberliegenden Seite teilte sich die Menge, um Phil vorbei zu lassen.

Wie alle anderen männlichen Gäste trug auch er einen maßgeschneiderten Anzug, natürlich von Dorians Label. Sein Bauch wölbte sich deutlich über dem schmalen Gürtel. Lässig schob er eine Hand in die Hosentasche und lächelte gönnerhaft, als er sich vorbeugte und die Anwesenden begrüßte. Wie Stephanie befürchtet hatte, bestand seine Rede nur aus Lobeshymnen über einen Teil der Gäste und Andeutungen, aus denen herausklang, dass er sich für ein Brokergenie hielt. Nach wenigen Sätzen rauschte der Rest der Rede ungehört an ihr vorbei. Mühsam unterdrückte sie ein Gähnen. Hätte sie auf einem Stuhl gesessen, wäre sie längst eingeschlafen.

Um sich wachzuhalten, glitt ihr Blick über die vielen Köpfe hinweg und blieb schließlich an einem strohblonden Schopf gegenüber hängen. Das gibt es doch nicht! Sie kniff die Augen zusammen. Täuschte sie sich oder war es tatsächlich der Fremde von vorhin? In der Aufmachung passte er so gar nicht zwischen die piekfeinen Träger von Nobeldesigns. Dorians warme Hände auf ihren Schultern und ein Kuss im Nacken lenkten sie für einen Moment ab. Sie schloss die Augen und genoss die Zärtlichkeit als Zeichen seiner Versöhnung. Als sie die Augen wieder öffnete und in die Richtung des Fremden schaute, war er verschwunden. Sicher nur ein Trugbild, denn in diesem Aufzug hätte er alle Aufmerksamkeit der anderen auf sich gezogen.

Unter tosendem Beifall beendete Phil endlich seine Rede. Dorian zog Stephanie mit sich zum anderen Ende des Saales. Ungeduldig winkte er eine Bedienung herbei und nahm zwei Gläser vom Tablett, von denen er eines Stephanie reichte. Gerade als sie mit ihm über Phils Vortrag sprechen wollte, gesellte sich Sylvie in Begleitung des Redners zu ihnen.

„Mensch, Phil, was für eine großartige Rede. Du schaffst es immer wieder, mich zu beeindrucken“, flötete Dorian und prostete dem untersetzten Mann mit der Gelhaarfrisur lächelnd zu. Auch ihre Freundin Sylvie strahlte den Broker an und nickte.

Es war offensichtlich, dass Phil die ungeteilte Aufmerksamkeit und das Lob genoss. „Danke euch. Vielleicht hätte ich noch meinen letzten Deal erwähnen sollen, ein wahres Schnäppchen, sage ich euch.“ Er seufzte theatralisch.

Es nervte Stephanie, dass ihr Freund und auch Sylvie dem Gastgeber Begeisterung vorheuchelten, obwohl der Ausdruck in ihren Augen etwas anderes verriet.

Es bringt nichts, zu lügen und sich zu verbiegen! Willst du authentisch sein, sei lieber du selbst! Seltsam, dass sie ausgerechnet jetzt an Mutters Worte denken musste.

Sie erinnerte sich an einen Tag auf Abendroth, an dem die Mutter und ihre Schwestern im Wohnzimmer ihren Schwärmereien vom neuen Traumjob gelauscht hatten. Genauso wie Dorian und Sylvie hatte sie auch gelogen. Dafür schämte sie sich noch heute.

Sie sah die Szene von damals noch genau vor sich.

Stephanie war aufgeregt vor dem Kamin auf und ab gelaufen, während Mutter, Miriam und Jennifer sie auf den Stühlen sitzend erwartungsvoll angesehen hatten.

„Ihr glaubt gar nicht, was für interessante Leute ich als Maklerin kennenlerne. Leute mit Rang und Namen. Den Oberbürgermeister und seine Gattin. Die trug vielleicht ein Kleid! Froschgrün mit einer dicken Schleife an ihrem Ausschnitt. Hässlich, sage ich euch. Natürlich habe ich es bewundert und ihr gesagt, dass ich es mir auch gekauft hätte. Andernfalls hätte sie sicher kein Wort mehr mit mir gesprochen. Das Kompliment hat mir ein Geschäft verschafft!“

„Du hast gelogen, Stephanie. Ich schäme mich. Habe ich euch nicht gelehrt, aufrichtig zu sein?“ Nie würde sie den entsetzten Blick der Mutter vergessen, der in ihr ein schlechtes Gewissen geweckt hatte. Aber in diesem Business war Ehrlichkeit nebensächlich, vielmehr musste sie neben einem gewissen Verhandlungsgeschick selbst die Schwachpunkte der Immobilie schönreden, um Interessenten vom Kauf zu überzeugen. Und darin war sie gut.

„Darling, lass uns zum Büfett gehen. Das Highlight des Abends. Der Chefkoch vom Dove höchstpersönlich hat es angerichtet.“ Sicher auch der einzige Höhepunkt an diesem Abend, dachte sie. Dorian legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie mit sich. Sylvie und Phil folgten ihnen. Noch immer hielt Stephanie vergeblich Ausschau nach dem Fremden und kam zu dem Schluss, dass sie sich seine Gegenwart wirklich nur eingebildet haben konnte. Es war selten, dass jemand einen solch nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterließ.

Der Partyabend plätscherte dahin, und Stephanie langweilte sich zu Tode. Bislang kein einziges Business-Gespräch, sondern nur Small Talk. Nicht einmal Benson war hier, mit dem sie sich über Tigger hätte unterhalten können. Dorian diskutierte mit zwei anderen Unternehmern über die derzeitige Konjunkturlage und Importgeschäfte. Im Gegensatz zu ihr schien er sich gut zu unterhalten. Sie hätte nicht zu dieser sterbenslangweiligen Party gehen sollen. Als sie es nicht mehr aushalten konnte, zupfte sie Dorian am Ärmel und flüsterte ihm ins Ohr, dass sie gehen wollte.

„Später. Jetzt noch nicht.“

„Was heißt denn später? Hier ist doch gar nichts los. Ich bin müde und möchte lieber jetzt …“

„Später“, fiel er ihr ins Wort.

Sie rollte mit den Augen und wollte gerade etwas erwidern, als er ihr erneut das Wort abschnitt. „Bilde dir nicht ein, dass du den Schlüssel für meinen Aston kriegst.“

Sein Wagen war sein Heiligtum. Sie hatte noch nie am Steuer dieses Wagens sitzen dürfen und hätte Dorian sowieso nicht darum gebeten. Seine patzige Antwort weckte in ihr Widerwillen. „Will ich auch gar nicht. Aber endlich nach Hause“, sagte sie eindringlicher.

„Ich sagte doch, ich nicht. Und mach mir jetzt bloß keine Szene vor allen.“

Bei der Entschlossenheit in seinem Blick war ihr klar, dass es vergebens war, ihn überzeugen zu wollen, die Party zu verlassen.

„Dann nehm’ ich mir halt ein Taxi.“

Sie wählte die Nummer eines Taxiunternehmens. Doch auch hier wurde sie vertröstet. Sie versuchte es beim zweiten und beim dritten und erhielt immer dieselbe Antwort: dass sie mindestens eine Stunde warten musste. Wegen mehrerer Veranstaltungen waren viele Taxis ausgebucht und Londons Straßen verstopft. Das konnte doch nicht wahr sein. Da es schon nach Mitternacht war, wagte sie es nicht, allein die Metro zu nehmen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als auf ein Taxi zu warten.

„Jetzt folgt der gemütliche Teil“, verkündete Phil. Stephanie stöhnte innerlich auf. Nach dem Alkoholkonsum waren die Hemmschwellen der anderen gesunken. Beim Tanz gingen sie auf Tuchfühlung, es wurde wild geknutscht und anschließend verließen sie paarweise oder gar zu dritt den Club. Sie hätte ein Buch über die Eskapaden der Prominenten schreiben können, wäre das Wissen nicht zu brisant und schädigend für ihr Geschäft gewesen.

Sie sah zu Dorian hinüber, der ein Glas Whiskey in der Hand hielt und mit glasigem Blick auf die goldene Flüssigkeit hinunterstarrte.

„Du hast getrunken. Ich habe uns ein Taxi gerufen.“

„Mach, was du willst, aber bestimme nicht über mich. Ich bleibe noch!“ Dorian ließ sie stehen und schwankte auf die Toiletten zu.

„Dorian!“, rief sie ihm hinterher. Ohne sich umzudrehen, winkte er ab. Sie blickte vor die Tür, um nachzusehen, ob vielleicht doch schon ein Taxi eingetroffen war. Nichts. Nachdem sie einen der Türsteher gebeten hatte, sie zu informieren, wenn es einträfe, ging sie zurück in den Club. Dann werde ich eben allein in meine Wohnung fahren.

Während sie ihre Frisur im Spiegel richtete, kam Craig Benson auf sie zu. Nachdem sie eine Weile nett über Hunde geplaudert hatten, bat er sie um Hilfe beim Verkauf seiner Villa an der Algarve. Als Benson sich verabschiedete, sah Stephanie wieder zur Uhr. Eine Stunde war vergangen und weder das Taxi eingetroffen noch ihr Freund zurückgekehrt. War ihm übel geworden? Als sie sich umschaute, bemerkte sie Phil, der sternhagelvoll auf einem Hocker in der Ecke des Boxrings lümmelte, die Arme auf die Seile gestützt, und Sylvie saß kichernd auf seinem Schoß. Phil winkte sie heran, aber sie war wegen Dorian beunruhigt. Ohne sich von ihm zu verabschieden, wollte sie nicht gehen. Damals bei Jakob hatte sie sich geweigert, ihm alles Gute für die Reise zu wünschen. Dann war er nicht zurückgekehrt. So vieles hatte sie ihm damals sagen wollen und es nicht getan. Seitdem hatte sie sich geschworen, nie mehr einen geliebten Menschen gehen zu lassen, ohne sich von ihm zu verabschieden.

Sie fragte jeden im Club, aber keiner hatte ihn gesehen. Irgendwo musste er doch stecken!

Techno-Musik dröhnte aus den Boxen, brachte ihren Brustkorb zum Vibrieren und ließ es schmerzhaft hinter ihren Schläfen pochen. Sie musste hier raus an die frische Luft. Auf dem Weg begegnete sie Sylvie.

„Du willst doch nicht etwa schon gehen? Jetzt, wo der Spaß erst richtig losgeht!“ Welcher Spaß, hätte sie die Freundin am liebsten gefragt, aber sie wollte ihr nicht den Abend verderben.

„Hast du Dorian gesehen?“

Sylvies Augen verengten sich. „Nein. Wieso?“

In knappen Sätzen erklärte sie der Freundin, dass sie Dorian suchte. „Er hat zu viel getrunken.“

„Wieso fährst du ihn nicht nach Hause?“

„Hätte ich ja gern. Aber erstens weigert er sich und zweitens weißt du ja, wie er sich mit seinem Wagen anstellt. Beim kleinsten Kratzer rastet er aus.“ Stephanie seufzte. Hoffentlich musste sie nicht die ganze Nacht in diesem verfluchten Club verbringen. Ihre Hände zitterten und ihr Herz raste. Sofort dachte sie an ihren Arztbesuch neulich, der ihr Angst eingejagt hatte.

„Ihre Symptome, Miss von Abendroth, deuten auf ein beginnendes Burnout-Syndrom hin. Was das bedeutet, muss ich Ihnen nicht erklären. Sie müssen endlich einen Gang herunterschalten“, waren die Worte des Arztes gewesen. Das Herzrasen, die Mattigkeit und ihre ständig wachsende Sorge, die Aufträge nicht mehr abarbeiten zu können, waren die ersten Anzeichen. Vielleicht war das der Grund, weshalb die Meinungsverschiedenheit mit Dorian so an ihren Nerven zerrte.

Sylvie winkte ab. „Der wird schon wiederauftauchen. Du bist nicht seine Mutter.“

Es war nicht die Bemerkung, sondern der abfällige Tonfall, der Stephanie störte. „Nein, nur seine Freundin, die sich zufällig um ihn sorgt.“

„Ist er nicht neulich auf dem Empfang bei den O’Donnells auch ohne ein Wort per Taxi auf und davon?“

Dass Sylvie sie ausgerechnet daran erinnern musste! Es war der Abend, an dem Dorian und sie sich heftig gestritten hatten. Auf der Geburtstagsfeier eines Bekannten war ihrem Freund eine Idee in den Sinn gekommen. Eine neue Kollektion, die er unbedingt zu Papier bringen musste. Darüber hinaus hatte er sie schlichtweg vergessen und die Party verlassen.

Nach dem Streit hatte er ihr hoch und heilig versprochen, dass es nicht noch einmal vorkommen würde. Hatte er sein Versprechen vielleicht doch vergessen?

„Vielleicht gibt es in diesem Club noch Räume, deren Zugang Gästen verwehrt ist“, sinnierte Stephanie. Vorhin hatte sie ein Schild mit der Aufschrift „privat“ gesehen.

„Ich weiß, wo so ein Raum ist“, warf Sylvie ein. Verwundert sah Stephanie ihre Freundin an. Das klang fast so, als wäre Sylvie schon oft hier gewesen. Fragen schwirrten durch Stephanies Kopf. Sie sah die Freundin an.

„Phil hat vorhin so was erwähnt.“

„Und Dorian? Ist er mit ihm gegangen?“

Sylvie zuckte mit den Achseln. „Lass uns nachschauen.“

Das flaue Gefühl in Stephanies Magen wuchs mit jedem Atemzug. Sylvie schritt mit einer Selbstsicherheit voran, die Stephanie verriet, dass ihr heutiger Besuch nicht der erste war.

„Mit wem hast du denn da vorhin geredet, bevor wir uns getroffen haben? Ich meine den Grauhaarigen mit den Geheimratsecken.“

„Craig Benson.“

Sylvie stoppte abrupt und sah sie an. „Der Craig Benson? Von Benson and Potter?“

Stephanie nickte.

Die Augen ihrer Freundin weiteten sich vor Erstaunen und Neugier. „Wieso hast du mich nicht dazu geholt?“, warf die Freundin ihr vor.

„Ich wusste doch nicht, wo du bist. Ich konnte ihn nicht stehen lassen, um dich zu suchen.“ Das wäre nicht nur unhöflich gewesen, sondern oft eine verpasste Gelegenheit für ein weiteres Gespräch, das zu einem Abschluss führte.

„Das sagst du immer“, sagte Sylvie enttäuscht. „Du reißt alle Deals an dich und bindest mich nie ein!“

Der Vorwurf war überflüssig. Gleichgültig, wer von ihnen einen Kunden akquirierte, sie teilten den Profit.

„Sylvie, das hatten wir doch schon. Wir wollten uns nicht mehr gegenseitig vorwerfen, den anderen auszubooten. Hast du das vergessen? Benson wäre mit Sicherheit weg gewesen, wenn ich mich umgedreht hätte.“ Ihre Freundin schwieg. Dennoch spürte sie, dass auch zwischen ihnen immer wieder Missverständnisse die Beziehung vergifteten.

„Hast du den Fisch an Land ziehen können?“, fragte Sylvie und klang friedlicher.

„Ja, er kommt in den nächsten Tagen bei uns vorbei, um den Auftrag zu unterzeichnen. Wir sollen seine Villa in Lagos an der Algarve verkaufen. Drei Mille. Uns winkt also eine dicke Provision“, berichtete Stephanie voller Stolz. Aber Sylvie schien die Freude trotz allem nicht zu teilen. Es traf Stephanie tief, dass die Freundin ihr nicht vertraute. Schweigend liefen sie einen langen Korridor entlang. Sie spürte, dass Sylvie bedrückt war.

„Ich verstehe nicht, wie du das immer machst. Ich kann mich abstrampeln und du kriegst die fette Beute einfach so? Man könnte meinen, du hättest was mit Benson oder den anderen.“ Jetzt war es Stephanie, die stehen blieb. Sylvies Anschuldigungen gingen zu weit. Wütend wirbelte sie zu ihrer Freundin herum. „Spinnst du? Ich würde niemals mit einem meiner Kunden ins Bett gehen.“

„Na, du willst mir doch nicht weismachen, dass er dir den Auftrag einfach so wegen deiner grünen Augen gibt?“

Das mangelnde Vertrauen der Freundin erschütterte sie. Sylvie lief weiter. „Nein, ich habe ihn überzeugen können.“

„Ach, ja? Ich würde alles dafür tun.“

„Ich bin nicht wie … du.“ Sie war Sylvies Vorwürfe und Unterstellungen satt. Es war, als wenn die Freundin geradezu nach Streit suchte.

„Und was war mit Dorian?“