Die Kunst – ihr Wesen und ihre Gesetze

Inhaltsverzeichnis

Widmung
Die Kunst - Ihr Wesen und ihre Gesetze
I.
II.
III.

Widmung

Inhaltsverzeichnis

Par cela même qu'un homme est né pour les lettres et qu'il en a l'amour, il s'attache aux doctrines regnantes à l'aurore de sa jeunesse; les premiers chefs d'oeuvre qu'il a admirés lui sont sacrés. Aux jours de la maturité, quand il voit les générations nouvelles inquiètes d'autres dieux, c'est déjà beaucoup s'il peut les suivre: comment de lui demander de les devancer? Telle est pourtant la condition de sa gloire, oublier et détruire ce qu'il a aimé: partir pour 1'inconnu en tête de l'esprit de son temps!

De Vogüé.
Seinem lieben Freunde
JOHANNES SCHLAF
Der Verfasser

Die Kunst – ihr Wesen und ihre Gesetze

Inhaltsverzeichnis

Eine Schrift, der ein derartiger Titel vorgedruckt ist, setzt damit ihren Inhalt sofort zwei Deutungen aus.

Entweder, sagt man sich, sieht der Verfasser das Problem, das seiner Arbeit als Object dient, bereits für gelöst an und beschränkt sich nun darauf, diese bereits vorhandene und ihm von Andern überlieferte Lösung zu einem vorderhand noch nicht ersichtlichen Zweck, und zwar wahrscheinlich möglichst anschaulich, zu reproduciren, oder aber er leugnet den Erfolg aller bisher unternommenen einschlägigen Versuche und bemüht sich nun, die betreffende Frage von Neuem zu beantworten und zwar selbstständig, aus eigener Kraft, und im Widerspruch mit all seinen Vorgängern.

Im ersten Falle darf man darauf gefasst sein, einer wenn auch selten überflüssigen, so doch niemals bedeutenden, weil den vorhandenen Erkenntnissschatz nicht bereichernden Arbeit zu begegnen, im zweiten einer doch jedenfalls, zum Mindesten, nicht grade uninteressanten.

Dass diese zweite Arbeit, falls sie die Aufgabe, die sie sich gestellt hat, wirklich löst, d.h. falls sie auf die Frage, die ihrer Existenz zu Grunde liegt, eine in der That befriedigendere Antwort zu geben vermag, als die bisherigen, oder um mich vielleicht noch deutlicher auszudrücken, endlich dieAntwort zu geben vermag, die herauswächst mit elementarer Folgerichtigkeit aus den Wurzeln der gerade zeitweilig triumphirenden Weltanschauung, mit der jene früheren Lösungsversuche sich nun einmal nicht mehr decken wollen, dass dann diese zweite Arbeit nicht etwa blos die unverhältnissmässig gewichtigere sein würde, sondern geradezu dazu berufen, eine Wohlthat für die gesammte Entwicklung zu werden, eine Brückenbauerin und Wegweiserin, ohne die es sonst »langsamer« gehn würde, braucht dem Einsichtigen, als selbstverständlich, wohl nicht erst bewiesen zu werden?

Um nun niemand, der diese Schrift etwa einer Lectüre unterziehen möchte, in Zweifel zu lassen, bemerke ich, dass auf die vorliegende Arbeit die zweite Deutung zutrifft: ihr Verfasser leugnet, dass das ihr als Object dienende Problem bereits gelöst ist.

Ob seine eigne Lösung die endgültige ist, »endgültig« selbstverständlich nur innerhalb der enggesteckten vier Grenzpfähle unserer heutigen Weltauffassung, ob sie die Brücken bauen und die Wege weisen wird, auf dass es »schneller« gehe, wird die Zukunft zeigen.

Jedenfalls ist sie so auffallend wenig complicirt, so rührend einfach, so ohne allen »Brimborium«, und überdies allem Bisherigen auf diesem Gebiete so lehrreich diametral entgegengesetzt, dass ich es durchaus nur für selbstverständlich halten werde, wenn unsre ernsthaften Leute, die ja ihr Brod und ihre Bildung einstweilen noch von der alten her beziehen, sie die erste Zeit für einen Aprilscherz ausschreien.

Es existirt niemand, der ihnen dieses kindliche Vergnügen wird verwehren können.


»Eine neue Auffassung kann nur verstanden werden durch ihre geschichtliche Entstehung.«

Das ist ein alter Satz, und ich glaube, ich thue gut daran, ihn zu beherzigen. Ich werde also meine neue »Theorie« mit Verlaub zu sagen, – man verzeihe mir dieses harte Wort, ich weiss, es ist für gewisse Menschen heute, »freie Geister« nennen sie sich in ihren Büchern, was ein rother Lappen für gewisse Thiere ist, nämlich ein Ding, gegen das man unter allen Umständen mit seinen Hörnern rennt – ich werde also meine neue Theorie, meine ich, den Lesern dieser Blätter am besten dadurch näher zu bringen versuchen, indem ich ihnen einfach erzähle, wie sie nach und nach in mir geworden. Sie jetzt hier plötzlich unvermittelt und nur so aus dem Aermel geschüttelt, gewissermassen als eine Art Dictat aus dem Jenseits hinzuspielen, das mir, dem Begnadeten, zu Theil geworden, wäre allerdings vielleicht etwas bequemer und wohl auch für viele, wie ich die Leute kenne, sozusagen etwas angenehm verblüffender, aber ich bin nun einmal ein ehrlicher Mann und kann mir nicht anders helfen: von aller Art Mystik ist mir grade die jedweilig modernste immer die widerwärtigste gewesen.

Lassen wir also alle sogenannte »Intuition« und »Inspiration« und wie dergleichen grossbrockiges Zeug sich sonst noch betiteln mag – natürlich immer dem lieben pp. Spiegel vis-à-vis notabene – bei Seite und den Poseuren und Zirkusreitern und halten wir uns lieber »hausbacken« an die Thatsachen; dieselben, die verrathen, wie viel Schweisstropfen täglich vergossen werden, ehe auch nur das kleinste Wahrheitchen gefunden wird. Kein Steinchen wird deswegen aus unsrer etwaigen Krone fallen, kein Stäubchen von unserm eventuellen Werth abfliegen.

Freilich wird dabei nicht zu vermeiden sein, dass ich dem Leser ab und zu auch mit allerhand Intimitäten aufwarte; dass ich ihn öfter und tiefer in meine Werkstatt sehn lasse, als dies sonst bei uns Schriftstellern wohl üblich ist.

Wir sind eben der Mehrzahl nach leider eine ziemlich kleinkrämrige Gesellschaft, sehr besorgt für uns und heillos eitel, und lieben es nicht, wenn man uns im Negligee ertappt. Alles, nur sich nicht hinter die Coulissen kucken lassen! Das ist so recht das A und O unsrer Weisheit. Und ich glaube, ich fürchte, ich argwöhne, die Schuld daran trägt jener Esel, der zum ersten Mal auf den Einfall kam, sich das Wörtchen »Genie« zu construiren!

Man kennt ja die Geschichte: Wo das Genie auftritt, hat das Naturgesetz plötzlich ein Loch – bumm! »Das Genie«, orakelt schon der alte Carlyle, »ist ein Bote aus der Welt des Uebersinnlichen.« Des Uebersinnlichen! Wie das reizt, wie das schmeichelt! Was also natürlicher, als dass man als Interessent, als Künstler, einen möglichst grossen Nebel um sich zu breiten versucht, der alle handfesteren Beziehungen zwischen uns und der trivialen Aussenwelt discret umschleiert, der uns losgelöst erscheinen lässt von dem Boden, aus welchem wir gewachsen, ein unverständliches Ding, nicht mehr erklärbar aus seinem Milieu heraus und nur ein Beweihräucherungsobject für die anbetungsbedürftige Menge?

Nun, ich für meinen Theil finde eine derartige Art und Weise, sich heute, im Zeitalter des Eiffelthurms und vielleicht noch verschiedener andrer schöner Dinge, am Ende gar selber etwas vormachen zu wollen, wie gesagt, herzlich abgeschmackt. Ich glaube an »Genies« – d.h. wohl verstanden an die Carlyle'schen! – ebenso wenig, wie an Krokodile, die tanzen können, oder Pyramiden, die Kopf stehn. Und da ich also schon aus diesem Grunde wirklich nicht wüsste, was mir leichter fallen könnte, als auf den Traum, oder wenn man lieber will, auf den Wunsch, von gefälligen Händen gelegentlich auch einmal in ihre imaginäre Kategorie gestopft zu werden, schon jetzt und für immer lächelnd zu verzichten, so habe ich, wie man sieht, also wirklich auch nicht das geringste Interesse daran, mich hier zu »drapiren« und brauche mir sogar kein Gewissen daraus zu machen, mich meinen Lesern, wenn's noth thut, in Schlafrock und mit langer Pfeife zu präsentiren.

Wenn sie das nicht genirt, mich genirt das nicht.

Ich will es zufrieden sein, und wenn ich damit vielleicht auch nur Eins erreiche. Nämlich, dass man dieses Buch, trotzdem doch sein Thema an Abstractheit gewiss nichts zu wünschen übrig lässt, lesen kann mit der Cigarre auf dem Sopha, meinetwegen auch mit einer Tasse Kaffee daneben, ohne danach »Kopfschmerzen« zu bekommen. Denn ich bin nun einmal der Ansicht, dass der Werth auch eines wissenschaftlichen Werkes nicht darin besteht, dass es in einem möglichst schwerfälligen Kauderwelsch geschrieben ist. Im Gegentheil! Ich glaube, auch in diesem Pünktchen hätten grade wir Deutschen, wir Nur-Gott-Fürchter-und-sonst-niemand-in-der-Welt, wieder einmal allen Grund, von den ja mit Recht so verachteten Ausländern zu lernen. Und, natürlich, in erster Linie, wieder von den verfluchten Franzosen!

Ich habe mir alle Mühe gegeben, es zu thun.

I.

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Mit achtzehn Jahren macht jeder anständige Mensch, wie bekannt, Verse. Ich rechnete mich auch zu ihnen und machte also auch welche. Nur dass diese »Krankheit des Jünglings«, die bei den meisten Andern wohl nur akut aufzutreten pflegt, bei mir bald bedenklich chronisch wurde. Ich litt an ihr Jahre. Und Alles in mir während dieser Zeit drehte sich nur um das Eine, von dem ich besessen war, wie nur je ein mittelalterlicher Flagellant von seiner Büsseridee. Verse, Verse, Verse! Ich sah, hörte, fühlte und roch nur Verse. Und, was vielleicht das allerschlimmste war, ich schmeckte auch nur welche! Was in Prosa geschrieben war, existirte für mich gar nicht; um mein Interesse zu erregen, musste etwas schon in Rhythmen gefügt sein, und vollends hingerissen, gepackt, mitgewirbelt wurde ich erst, wenn es ausserdem auch noch gereimt war. Das Höchste, das Entzückendste, das es für mich gab, war damals eine Zeile, die wie eine Kuhglocke läutete, oder, wem das zu tempelschänderisch klingt, wer mehr das Chicösere liebt, die wie ein venetianisches Kelchglas schimmerte. Vor solch einem Wunderwerk versank Alles. Vor solch einem Wunderwerk war die ganze übrige Welt nur noch ein Sandkorn, das man zertreten hatte, eine Null, die man ausgewischt. Und wenn ich mich zurückdenke in jene Zeit, wenn sie mir nicht schon zu fern liegt, zu märchenblau, zu umwoben von allerhand Schleiern, ich glaube, ich hätte mir damals um ein halbes Dutzend von solchen Dingern mit Vergnügen den Schädel eintrümmern lassen. Wenn sie dann eben nur dagewesen wären und geklungen hätten, wie vordem noch nie etwas geklungen, und geglitzert!

In späteren Aufzeichnungen – Notizen, Fetzen, Brocken, wie sie mir grade der Zufall gegeben, aufs Papier geschleudert – stiess ich neulich auf folgenden Satz: »Die Sonne schien ihm Lieder ins Herz und der Regen tropfte ihm Melodieen ins Ohr.« Ich entsinne mich nicht mehr recht, auf wen ich ihn damals gemünzt hatte. Wahrscheinlich auf irgend so einen Constructionshelden irgend so eines Constructionsromans, wie man ja deren zu gewissen Lebzeiten oft an die Dutzende mit sich herumträgt. Leider! Aber ich hätte ihn eben so gut auch von mir selbst sagen können. Ich war zwanzig Jahre alt, auch mir ging es so: die Sonne schien mir Lieder ins Herz und der Regen tropfte mir Melodieen ins Ohr.

Ich zitire:

»Ihr Dach stiess fast bis an die Sterne,
Vom Hof her stampfte die Fabrik,
Es war die richtge Miethskaserne
Mit Flur- und Leiermannsmusik.
Im Keller nistete die Ratte,
Parterre gab's Branntwein, Grogk und Bier,
Und bis ins fünfte Stockwerk hatte
Das Vorstadtelend sein Quartier.

Dort sass er nachts vor seinem Lichte,
– Duck nieder, nieder, wilder Hohn! –
Und fieberte und schrieb Gedichte,
Ein Träumer, ein verlorner Sohn.
Sein Stübchen konnte grade fassen
Ein Tischchen und ein schmales Bett;
Er war so arm und so verlassen
Wie jener Gott aus Nazareth!

Doch pfiff auch dreist die feile Dirne,
Die Welt, ihn aus: »Er ist verrückt!«:
Ihm hatte leuchtend auf die Stirne
Der Genius seinen Kuss gedrückt.
Und wenn, vom holden Wahnsinn trunken,
Er zitternd Vers an Vers gereiht,
Dann schien auf ewig ihm versunken
Die Welt und ihre Nüchternheit.

In Fetzen hing ihm seine Bluse,
Sein Nachbar lieh ihm trocknes Brod,
Er aber stammelte: »O Muse!«
Und wusste nichts von seiner Noth.
Er sass nur still vor seinem Lichte
Allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
Und fieberte und schrieb Gedichte,
Ein Träumer, ein verlorner Sohn!«

Das war das Einleitungsgedicht zu einem Cyclus, in dem meine Stimmung damals gipfelte, betitelt »Phantasus«: die états d'âme eines jungen Poeten in Liedern, der an der Trivialität seines Milieus zu Grunde geht hoch oben in Berlin N. in irgend einer Dachstube.

War es nur Zufall gewesen, oder mehr als das? Aber mit diesem »Phantasus« hatte ich mir mein eignes Epitaph gesetzt!

Als das Buch, in dem er, für etwaige Sammler von solchen Kuriositäten, nebst mehreren hundert anderen Gedichten von mir noch heute zu finden ist, erschienen war (Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich 1885), rieth mir der Berliner Kladderadatsch, der sich daraufhin meiner sehr annahm: Essigfabrikant zu werden.

Dieses wurde ich nun zwar nicht, aber die erste Bresche in meine Naivität war doch damit geschossen. Ich erwachte! Das heisst, noch nicht gleich und ganz. Aber doch allmählig.

Ich erinnere mich noch an alles ganz genau. Es war auf einer Reise in den Hundstagen gewesen nach meiner Heimath, die ich schon seit zehn Jahren nicht mehr gesehn hatte. Die letzte Poststation war erreicht, von da holte mich ein kleines Wägelchen ab, das sehr schön nach Theer und Leder roch und mir noch sehr gut bekannt war. Es hatte uns Jungens früher immer zu den Ferien abgeholt. Und während es sich nun von dem Kruge aus, wo es gehalten hatte, schon in Bewegung setzen wollte und die beiden Braunen davor grade anzogen, reichte mir der Wirth, der zugleich der Postmeister des Dörfchens war, noch schnell ein Päckchen nach, das schon mehrere Tage lang hier in aller Stille auf mich gewartet hatte und nun doch in einem Haar fast vergessen worden wäre. Mein Herz schlug, als ich es zwischen den Fingern fühlte. Ich wusste genau, was in ihm drin war. Die Schweizer Marken, mit denen es beklebt war, hatten mir bereits alles verrathen. Und während es nun stuckernd die Dorfstrasse hinunterging und die Hunde aus den Höfen her bellten und die Kinder auf Spitzzehen hinter den Zäunen standen, verbrannt und flachshaarig und die Finger in den schmutzigen Mäulern und die meisten nur im Hemde und baarfuss, und über Allem die Sonne schien: sass ich da, das kleine zierliche Rechteckchen vor mir auf den Knieen, kreuzvergnügt und dabei doch vor Ungeduld fast vergehend, dass die letzten Strohdächer hinter uns verschwänden und wir erst wieder zwischen den gelben Kornfeldern wären. Denn ich hätte meinen Kopf drauf gelassen: hinter diesem kleinen grauen Pappumschlag verbarg sich absolut nichts anders als das erste Exemplar meines ersten »Werkes«! Was ich früher bereits geschrieben hatte, »rechnete« ich nicht. Und es wäre mir gradezu wie eine Art »Entweihung« vorgekommen, wenn ich es nun hier, mitten zwischen den kakelnden Hühnern, enthüllt hätte und nicht draussen, wo der Himmel hoch oben voller Lerchen hing und von den Wegrändern her die rothen Klatschrosen grüssten und aus der Ferne die Wälder. Ich war eben damals noch sehr, sehr jung .... Endlich! die Bindfäden waren zu fest verknotet, ich zerschnitt sie. Hurrah, da lag es! »Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich.« Sauber gedruckt, mit rothem Titel und auf schönem, wunderschönem, gelbweissem Papier!

Und wie ein katholischer Christ, der sich vor seiner Hostie neigt, sog ich es ein, gläubig, gierig, was ich drübergesetzt hatte als Motto:

»Fürwahr sie irrten, die gesagt,
Die deutsche Poesie sei todt;
Nein, wenn ein Abend wirklich naht,
So dämmert bald das Morgenroth.
Schon sah ich fern am Horizont
Des neuen Tages neuen Schein,
O lasst in seiner Frühe mich
Der ersten Lerchen eine sein!«

Die Luft über mir war Musik und meine Backen brannten ...

Und dann weiter, immer weiter, während es näher ging und immer näher, unter nickenden Blumen und wehenden Weggräsern den alten Stätten zu, was ich niedergeschrieben hatte in langen Winternächten und in der Ferne:

»–Ich aber mag nicht, lass wie ihr,
Das Pfund, das Gott mir gab, verwalten,
Ich will hoch über mir entfalten
Der Neuzeit junges Lenzpanier.

Ich lache, wollt ihr blöden Blicks
Verjährten Tand modern staffiren
Und himmelbläulich phantasiren
Vom Waldgnom und vom Wassernix.

Ich lache, zählt ihr eins, zwei, drei
Die Kugeln, die ihr nie verschossen,
Die Thränen, die ihr nie vergossen,
Ein jeder Zoll ein Papagei.

Ich lache, doch mein Zorn hält Wacht,
Denn der St. Veitstanz wird zur Mode;
Ich weiss, ihr tanzt nur aus Methode,
Weil ein Narr viele Narren macht.

Doch tollt nur euern tollen Schwank,
Nur zu, je toller, desto besser:
Ich biet euch Kampf, Kampf bis aufs Messer,
Und gehe meinen eignen Gang!

Den Gang, den lichtumstrahlt die Kunst
Sieghaft zu wandeln mir geboten;
Und Herz an Herz mit ihren Todten,
Veracht ich euch und eure Gunst!

Denn mir schlägt nicht das Wort den Takt
Zum Reigen selbstischer Gedanken,
Ein Löwe, hat es seine Pranken
Tief in mein Herzfleisch eingehackt.

Nur, dass es mich nicht jäh zerfleischt,
Such ich's mit Liedern zu beschwören,
Doch nicht beim Rauschen alter Föhren,
Die Nachts ein schwarzer Aar umkreischt.

Auch nicht ins Grab der Lorelei
Verirrt sich mehr mein schwankes Steuer,
Die Zeit verliebter Abenteuer,
Für mich ist sie schon längst vorbei.

Nein, mitten nur im Volksgewühl,
Beim Ausblick auf die grossen Städte,
Beim Klang der Telegraphendrähte
Ergiesst ins Wort sich mein Gefühl.

Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt
Von vorwärts rückenden Kolonnen,
Und eine Schlacht seh ich gewonnen,
Wie sie kein Feldherr noch erstritt.

Doch gilt sie keiner Dynastie.
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule
Galvanis Draht und Voltas Säule
Lenkt funkensprühend das Genie.

Und um sich sammelt es ein Heer
Von himmelsturmenden Ideen,
Gedanken blitzen und verwehen
Unzählig, wie der Sand am Meer.

Doch mehr als einer wird zur That
Und lenkt das Schicksal der Geschlechter,
Und als des Ideals Verfechter
Streut er der Zukunft goldne Saat.

Und auf flammt dann ein neues Licht,
Ein neuer Welttag für die Erde,
Denn auch die Menschheit hat ihr »Werde!«
Und sinnlos ist kein Traumgesicht.

Der ewge Friede baut sein Zelt
Und ob die Zeit sie auch verdamme,
Der Freiheit goldne Oriflamme
Weht leuchtend über alle Welt.

Und wenn dann Lied auf Lied sich ringt
In immer höhre Regionen
Und alle Völker, alle Zonen
Ein einzig grosser Bund umschlingt:

Dann ist's mir oft, als ob die Zeit,
Verlästert viel und viel bewundert,
Als ob das kommende Jahrhundert
Zu seinem Täufer mich geweiht.

Als müsst ich stossen in die Brust,
Ein Winkelried, mir eure Speere:
Hie Wahrheit, Freiheit und hie Ehre!
O Kampf der Liebe, Kampf der Lust!!

Drum dir, die schmerzvoll mich gebar,
Dir, junge Zeit aus Blut und Eisen,
Leg ich mein Herz und seine Weisen
Nun stumm auf deinen Hochaltar!

Schaust du doch auch ins Morgenroth
Und träumst von unentdeckten Welten;
Wirst du die Liebe mir vergelten,
Die tief für dich mein Herz durchloht?

Doch ob auch Dampf und Kohlendunst
Die Züge dieser Schrift verwaschen;
Kein flüchtig Glück will ich erhaschen,
Ich liebe dich, nicht deine Gunst!

Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz
Und mir ins Auge schiesst der Tropfen,
Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen
Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz.

Denn süss klingt mir die Melodie
Aus diesen zukunftsschwangern Tönen;
Die Hämmer senken sich und dröhnen
»Schau her, auch dies ist Poesie!

Sie kehrt nicht nur auf ihrem Gang
In Wälder ein und Wirthshausstuben,
Sie steigt auch in die Kohlengruben
Und setzt sich auf die Hobelbank.

Auch harft sie nicht als Abendwind
Nur in zerbröckelnden Ruinen,
Sie treibt auch singend die Maschinen
Und pocht und hämmert, näht und spinnt.

Sie schaukelt sich als schwanker Kahn
Im blauen schilfumkränzten Weiher,
Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier
Und saust dahin als Eisenbahn.

Von nie geahnter Kraft geschwellt,
Verwarf sie ihre alten Krücken,
Sie mauert Tunnel, zimmert Brücken
Und pfeift als Dampfschiff um die Welt.

Ja, Wunder thut sie sonder Zahl,
Sie lindert jegliches Verhängniss,
Sie setzt den Fuss selbst ins Gefängniss
Und speist die Armuth im Spital.

Wohl war's der Himmel, der sie schuf,
Doch heimisch ward sie längst auf Erden;
Drauf immer heimischer zu werden,
Ist ihr ureigenster Beruf!«

So klingt das Lied, das hohe Lied,
Das dumpfauf mir die Hämmer dröhnen;
Euch aber, euch, die es verhöhnen,
Euch fordr' ich kühn in Reih und Glied!

Rückt an; mit offenem Visir
Und harter Faust will ich euch weisen:
Ich und mein Lied, wir sind von Eisen –
Ihr oder ich, ich oder ihr!

Denn nicht soll einst in später Zeit
Mit selbstgefälligem Behagen
Ein später Enkel von uns sagen,
Was roth wie Blut zum Himmel schreit.

»Poeten ohne Poesie,
Und keiner rief das Wörtchen: Rette!
Sie blökten allsammt um die Wette,
Wie eine Heerde Hammelvieh!«

Nein, nein und nein und aber nein!
Ein Schuft sein will ich, wenn's so endet!
Das Blatt hat endlich sich gewendet!
Dies Buch soll dess ein Zeichen sein!

Soll sagen, was ihr nie gewollt:
Der Singsang hat sich ausgetutet –
Auch durch das junge Lied noch fluthet
Das alte Nibelungengold!

Drum ihr, ihr Männer, die ihr's seid,
Zertrümmert euere Trugidole
Und gebt sie weiter, die Parole:
»Glückauf, glückauf, du junge Zeit!«

Und alles blieb still, nichts regte sich! Kaum, dass es einige wohlwollende Kritiken tröpfelte. Die junge Bewegung, die heute bereits unsre ganze deutsche Litteratur erfasst hat, lag eben damals kaum noch in den Windeln, und um so seltsamer, ja gradezu um so »rührender« musste ein Buch wirken, dessen Autor gleich in der ersten Zeile, die es überhaupt enthielt, naiv genug war, zu gestehn, dass der »Bart ums Kinn« ihm noch nicht ins »Sprossen« gerathen war, und der, wie es schien, grade hieraus einen Hauptanlass nahm, die Hühneraugen seiner etwas completter bebarteten Herren Collegen für durchaus geeignet zu einem Schuhplattler zu halten:

»Der Tonfall meiner lyrischen Collegen
Ist mir ein unverstandner Dialect,
Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt
Und meine Muse wallt auf andern Wegen!

Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten,
Die blaue Blume ist ihr längst verblüht,
Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten
Ihr süsser als ein Märchen durchs Gemüth.
Zur Armuth tritt sie hin und zählt die Groschen,
Ihr rothes Banner pflanzt sie in den Streit;
An ihr Herz schlägt das grosse Herz der Zeit
Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen.«

Oder:

»Eins ist noth, ach Herr, dies Eine
Lehre mich vollbringen hier,
Und mein Schutzpatron, der Heine,
Schärfe meine Klingen mir;
Gürt mein Herz mit Siegfriedsleder,
Giess ins Hirn mir tausend Lichter
Und befiel in meine Feder
Unsre sogenannten Dichter;
Dichter, deren ganzer Codex
Essen Trinken, Trinken Essen,
Dichter die sich in den Podex
Hämorrhoiden eingesessen!

Grüss Gott, ihr Folianten,
Hurrah, in den Tod!
Spielt auf, Musikanten,
Dies Eine thut noth!«

Oder gar:

»Tagtäglich wispert die Kritik:
O wirf ihn fort den Hungerknochen,
Es hat die leidge Politik
Schon Manchem hier den Hals gebrochen.

Such lieber hohe Protegees,
Dein Socialismus ist uns schnuppe,
Denn schliesslich wärmst Du nur, gesteh's,
Die Achtundvierzger Bettelsuppe.

Ich hör's und fluche: Sapperment!
Zwar lieblich locken die Moneten,
Doch fehlt mir leider das Talent
Zum schwarzweissrothen Hofpoeten.

Drum bitte, mir drei Schritt vom Leib
Mit euern Tombackpoesien
Und zischt nicht wie ein feiles Weib:
Tritt ein in unsre Koterien!

Thät ich's, ich wär ein Halb-Poet,
So aber ruf ich durch die Gassen:
Die Welt, die sich um Liebe dreht,
Weiss auch das Hungertuch zu hassen!«

Wie er freilich daraufhin, und wohl auch noch auf manches andre in seinem Büchlein, hatte erwarten können, dass man ihn zum Dank dafür »mit Prallinees beschmeissen« würde, begreife ich allerdings heute noch nicht. Aber so gênant mir das natürlich nachträglich auch ist, ich muss leider constatiren, er war so ein Peter. Und als man ihn nun gar statt dessen vollends mit »Lehm« beschmiss, und zwar, wie das köstliche Dictum so wunderbar nüancirt, noch mit »nassem«, da, versichre ich, war der arme Junge ganz perplex und begriff das einfach gar nicht.