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Unheilige Dreifaltigkeit

 

Historische Novelle

von Regina Pönnighaus

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

ISBN 978-3-943531-40-4

ISBN 978-3-943531-39-8 (Kindle E-Book)

ISBN 978-3-943531-38-1 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Osterdeich 241 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Jana Hoffhenke

Korrektorat: Sandra Mies (GreenCommunication)

Umschlaggestaltung | Illustration: Detlef Klewer (grafikwelten.de)

Satz | Gestaltung: Jana Hoffhenke

Ebook-Realisierung: Eridanus IT-Dienstleistungen

 

»Selig sind, die reinen Herzens sind;

denn sie werden Gott schauen.«

 

Matthäus 5,8

 

1341, Wallfahrtskirche Godesburen (Gottsbüren)

 

Ehrfurchtsvoll wanderte ihr Blick die Mauer hoch, über die formvollendeten Fenster, das Dach entlang bis zur Kirchturmspitze hinauf. Welch prachtvoller Bau unserem Vater im Himmel da zuteilwurde! Wie herrlich, und sie erweiterten ihn schon wieder um ein neues Schiff! Die junge Novizin fühlte sich bei dem Anblick ganz klein. Sie war seit zwei Jahren Teil des Benediktinerinnenklosters Lippoldsberg, und glückselig, mit ihren Schwestern in Godesburen die Pilger unterstützen zu dürfen, ein winziger Teil dieses großen, himmlischen Schaffens zu sein.

Das war nicht immer so gewesen. Anfangs war sie sich wie eine Opfergabe vorgekommen, dem lieben Gott als Geschenk dargebracht, damit er in diesen harten Zeiten besonders sorgsam über ihre Familie wache.

Sicher, sie war hier gut versorgt, und inzwischen verstand sie die Worte ihrer Mutter, die für sie so befremdlich geklungen hatten. Damals mit ihren sechzehn Jahren konnte sie es sich absolut nicht vorstellen, ihre Heimstatt zu verlassen und nie mehr wiederzukehren. Doch es war beschlossene Sache. Nachdem alle auf dem Hof ihr herzlich gratuliert und sie verabschiedet hatten, fuhr Olaf, der Knecht, sie mit dem Ochsenkarren, beladen mit einigen großen Körben voller reifer Pflaumen als Geschenk, zu den Benediktinerinnen nach Lippoldsberg. Bei der Abreise konnte sie spüren, dass niemand wirklich mit ihr tauschen wollte. Sie, als die Jüngste, war übrig geblieben, da sie auch noch kein Interesse an einem Mann gehabt hatte, und ebenfalls kein Mann an ihr. Ihre älteren Schwestern waren bereits verheiratet, und ihr Bruder würde den Hof einmal weiterführen.

Auch heute, nach Jahren, dachte sie wieder sehnsüchtig an Zuhause, die Felder und Wiesen, die Heuernte, und vergessenes Heimweh keimte auf. Der Hof, die Tiere und vor allem ihre Eltern und Schwestern zogen vor ihrem inneren Auge vorbei, ließen sie traurig werden. Wie gerne hätte sie sie einmal besucht, doch das durfte sie nicht.

Das laute Flügelschlagen zweier Tauben im Geäst der großen Eiche auf dem Platz riss sie aus ihren Gedanken, und suchend blickte sie in das frische Grün des kräftigen Baumes. »Vater, deine Schöpfung«, entfuhr es ihr bewundernd, und ein zartes Lächeln huschte über ihr junges Gesicht, als sie die Vögel ausmachte. »Ihr habt mich ganz schön erschreckt!«, rief sie ihnen zu und besann sich anschließend ihres Weges. Wie still es sein konnte! Aber alle hatten Anweisung, zum Gebet der Sext und die Stunde der Mittagszeit Ruhe zu halten. So hielten die Bauarbeiten inne, und auch die vielen Besucher durften in der Stunde Klosterhof und Kirche nicht betreten.

Der Andrang der Wallfahrer war seit der Auffindung des Leibes Christi in den Wäldern vor dem Ort stark gestiegen und hatte den Bau dieser wundervollen Kirche zur Folge gehabt. Es war aber auch unfassbar, dass der gute Gott seinen Sohn als Zeichen zurück zur Erde gegeben hatte! Und dann zu ihnen nach Godesburen! Ihr war es nur erzählt worden, aber Pfarrer Ambrosius hatte auf dem Farrenplatz einen Toten gefunden, welcher keine Verwesungsspuren aufwies. Niemand konnte sich erklären, wo er herkam, und niemand kannte ihn. Der Erzbischof höchst selbst war gekommen, war bei seinem Anblick weinend auf die Knie gefallen und hatte bestätigt, dass es sich um unseren Herrn Jesus Christus gehandelt hatte. Unglaublich war es, doch der Bestand der Wundmale und das Antlitz selbst waren tatsächlicher Beweis. Aufgebahrt lag er zur Ansicht im Kirchenraum, später gab man ihn in einen geschlossenen Steinsarg. Man sagte, der Glaubende müsse nicht sehen. Aber er war weiterhin unter ihnen und nur das zählte. Die Hostien waren von nun an Zeichen seines Fleisches genug.

Die Pilger kamen, sie spendeten großzügig, und die Mutterkirche in Lippoldsberg und der Ort Godesburen gediehen prächtig. Auch hatte man an den Schutz der Benediktinerinnen und der Wallfahrer gedacht und Teile der Spendengelder zur Errichtung der Zapfenburg verwendet. Der liebe Gott musste Gefallen finden!

Die junge Frau in schwarzer Ordenstracht besann sich. Sie eilte über den hellen Kirchhof, rechts eine Schale, links einen Krug in der Hand, und verschwand im Gebäude. Einsam hallten ihre Schritte, erst schnell, dann langsamer werdend, durch das Mittelschiff. Jeden Tag zur selben Zeit erfüllte sie diesen Dienst, und jedes Mal machte es ihr mehr Angst. Dieses unsägliche Gefühl der Beklemmung lag schwer in ihrem Magen, und einzig ihr Gottvertrauen gab ihr die Kraft, es zu überwinden.

Nur wenige eingeweihte Schwestern und der Pfarrer wussten von ihm und seiner Existenz, und sie versorgten ihn. Unter einer aufliegenden Steinplatte im hintersten Winkel der Kirche gab es eine kleine Treppe, die in die Tiefe führte. Nachdem sie mühsam die schwere Platte vom Loch geschoben hatte, blickte sie ins Dunkel, haderte und bekreuzigte sich kurz. Schließlich nahm sie die abgestellte Schale mit dem Brei und den Krug in die Hände und stieg hinab.

An der unten befindlichen Tür angelangt, wollte sie den Riegel aufschieben, erstarrte jedoch augenblicklich. Es konnte nicht sein! Die Tür war nicht verschlossen! Der Riegel war offen und die Tür nur angelehnt! In ihrem Bauch rumorte es. Lieber Gott! Was sollte sie tun? Wenn er nun entkommen war? Aber es war nicht möglich, schließlich war er ja auch noch angekettet! Sie alleine war für seine Versorgung zuständig! Ob sie gestern vergessen hatte, ihn einzuschließen? Niemand anderes hatte hier etwas zu suchen! Oder ob Pfarrer Ambrosius …? Das Herz schlug ihr bis in die Kehle, als sie die Tür ein wenig anstupste, um vorsichtig in das Gewahrsam zu lugen. Ein Schauer der Erleichterung überflog sie, als sie die bekannten Umrisse des Mönches erblickte.

Aufatmend trat sie in den kalten, feuchten Raum. Von weit oben fiel ein Hauch Tageslicht durch ein gemauertes Loch in das winzige, schwarze Domizil. Die an dem Tisch sitzende, magere Gestalt rührte sich eigentlich nie und sprach auch kein Wort. Dass der Eingesperrte noch lebte, erkannte die Novizin gewöhnlich daran, dass es stark nach Exkrementen roch und das Geschirr des Vortages geleert worden war. Die Kette, die seinen Fuß mit der Steinwand verband, reichte in ihrer Länge gerade für ein paar Schritte, jedoch auf keinen Fall weiter als bis zum Stuhl des Tisches. Es beruhigte sie, da sie so aus seiner Reichweite bleiben konnte und nicht in Gefahr war. Viel hatte sie über ihn nicht in Erfahrung bringen können, doch man tuschelte, dass in seinem Kopf böse Geister wohnten, die ihn zu unsäglicher Grausamkeit antrieben.

Zaghaft stellte sie die Kost auf den Tisch, nahm den Krug und die leere Schale vom gestrigen Tag, und trat zurück. Er war ihr unheimlich, heute noch mehr als sonst, denn er bewegte sich! Nach all den Monaten, in denen sie ihn bewirtete, zum ersten Mal! Es schien, als habe er etwas in der Hand, mit dem er spielte! Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, doch die Tischplatte verbarg, was ihre Neugier zu wissen bestrebte. Er drehte etwas, drückte es zwischen den Handflächen und zupfte daran herum. Nun zog er etwas Langes, Dünnes weit in die Höhe, wie es die Hühner auf ihrem Heimathofe mit den Würmern zu tun gepflegt hatten, bis vor sein Gesicht, verzog dasselbe mit Tönen, die fast ein Lachen sein konnten, und ließ das glitschige Ding zurückflutschen. Die Novizin blickte in das verzerrte Gesicht mit dem weit aufgerissenen, unförmigen Mund, in welchem nur noch zwei faulige Zahnreste wohnten. Aus schwarzer, leerer Höhle, zungenlos, umrahmt von vernarbter, aufgeplatzter Haut, klangen ihr grauenhafte Laute entgegen, ließen sie erschaudern. Erst war ihr, als wolle er sprechen, ihr etwas mitteilen. Doch dann klang es wieder so, als würde er sie veralbern, herausfordern, und sie verstand kein Wort. Seine schwarzen Augen starrten sie direkt an, schienen spöttisch auf eine Reaktion zu warten. Nun schlug er mit einem Mal kräftig mit der rechten Handfläche auf das mysteriöse Ding in seiner Linken, dass es klatschte. Es sonderte Flüssigkeit ab, welche aufspritzte, und glänzende, dunkle Tropfen auf ihrem Gewand und ihren Händen hinterließ. In ihrem Gesicht vermeinte sie ebenfalls etwas zu spüren, und Ekel stieg in ihr auf. Sie erschrak, zuckte zusammen, und schlüpfte daraufhin fluchtartig durch die Tür, verriegelte sie hektisch.

Was er da wohl hatte? Sie verbot ihrer Fantasie daran zu denken, was auch ein Mönch in seinem Schoße verwahrt! Sie errötete, schämte sich ihrer unreinen Gedanken, bis sie im Licht mit Entsetzen erkannte, dass es Blut war! Angewidert eilte sie fort, sich zu waschen. Es schüttelte sie bei der Überlegung, wo es hergekommen sein mochte. Entweder er hatte eine tote Ratte in seiner Hand gehabt, oder er war schwer krank, dass es sein Blut war. Wer er wohl war? Krank war er in jedem Fall, aber dass er so büßen musste! Oder ob er es wollte? Wenn er doch nur sprechen könnte!

 

1305, Kirchplatz Godesburen

 

Es war der 23. Juni, der Tag vor Johannis, der Tag, auf den sich das ganze Volk – ob arm oder reich, ob alt oder jung – freute. Schon sehr früh, die Sonne ließ gerade die ersten goldenen Strahlen auf den Boden des Platzes vor der kleinen Holzkirche scheinen, begannen die Vorbereitungen zu diesem Fest. Ochsenkarren, beladen mit Holz, das für diesen Zweck gerne entbehrt wurde, rumpelten über den trocknen Boden zum Anger. Junge Burschen luden es ab und wussten es geschickt zu schichten. Mägde saßen auf ihren Schemeln vor der Kirche und flochten mühevoll die Johanniskrone aus Zweigen und Laub und schmückten sie mit bunten Blumen des Feldes, mit Bändern und Eierschnüren. Sie sangen fröhliche Lieder, und es gab niemanden, der schlecht gestimmt war. Die Vorfreude auf Musik, munteren Tanz und lustiges Treiben am Abend und die kommenden Nächte, solange die Krone grün blieb, überwog jede Sorge.

Das Fest zu Ehren der Geburt Johannis des Täufers war von je her eine große Sache! Aus Sicht der Kirche, aber auch für das einfache Volk. Das Feuer wurde schließlich dazu entzündet, die Dämonen abzuwehren, die Krankheiten und Schäden am Vieh hervorriefen, oder auch missgebildete Kinder brachten.

Ambrosius, örtlicher Pfarrer und Seelsorger, stand in der Tür seiner Kirche und betrachtete wohlwollend den Fleiß seiner Gemeinde. Er wartete schon ein wenig ungeduldig auf die Lieferung des Fasses mit dem neuen Messwein, den ihm das Erzbistum Mainz zugesagt hatte. Immerhin sollte dieser ihn bis spätestens Johannistag erreichen. Was wäre es für eine Schmach an diesem Hochfest, wie die letzten Gottesdienste schon, nur Wasser zu verwenden!

Die Weiber und jungen Mägde flochten und banden gewandt die Krone und holten von Zeit zu Zeit aus den Körben neben der Kirchentür die weiteren Blüten und Zutaten.