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Für dich, Phoebs, und mich

Katrin Zimmermann

Gestatten, Gary Weihnachtsmann

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© 2017 Katrin Zimmermann

Umschlag, Illustration: Juan Pablo Cornejo Serrano

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
Paperback: 978-3-7345-1969-7
Hardcover: 978-3-7345-1970-3
e-Book: 978-3-7345-1971-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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»Ja, ja, ich geh ja schon!« Genervt zerrte Jendrik sich seine blaue Daunenjacke zurecht und knallte die Tür des Garderobenschranks zu. Er zog sich die rote Pudelmütze über die braunen Haare, die schon vor dem Tragen des wolligen Geschenks von Oma Christa ganz strubbelig aussahen. Nun stapfte er in die Küche und riss schnaubend an der Mülltüte herum, um dieses störrische und viel zu vollgestopfte Ding aus dem viel zu kleinen Eimer hieven zu können.

»Mensch, Jendrik, warum nimmst du nicht erst den Müll aus dem Eimer und ziehst dann deine Stiefel an?« Sein Vater schüttelte verständnislos den Kopf. »Sieh dir mal den Küchenboden an. Jetzt muss Mama gleich nochmal wischen.« Joachim Oltmann gähnte, kratzte sich durch sein dichtes Haar am Hinterkopf und verschwand wie jeden Morgen eines Wochenendes mit Kaffeebecher und Zeitung im Wohnzimmer. Jendrik trat hinaus in die Kälte und ließ die Haustür hinter sich ins Schloss donnern. Er schleppte die Mülltüte, die bei jedem Schritt zu platzen drohte, an Küchenfenster und Waschküchentür vorbei hinter das Haus. Angewidert hob er den grauen Deckel der Tonne mit der Aufschrift »28« an und wuchtete den Plastikbeutel, durch den er Käserinde, Teebeutel und zerknüllte Taschentücher erkennen konnte, auf all die anderen Müllsäcke. Er presste den Deckel herunter, um den offenen Spalt zwischen Deckel und Tonne zumindest zu verringern, wenn er schon nicht ganz verschwinden würde. Er hasste es, den nassen Griff anzufassen! Er fand es einfach eklig, wenn sich die Flüssigkeit an seinen Fingerkuppen sammelte. War das wirklich nur Regenwasser? Scheußlich! Es war bestimmt Gammelwasser! Im Sommer war es noch schlimmer, da wusste man nie, was einen im grauen Schlund der Tonne erwartete! Von pelzigem Schimmel bis hin zu Maden in sämtlichen Farben und Größen war alles möglich Warum musste eigentlich immer er die Drecksarbeit übernehmen?! Er war es satt. Sobald seine Schwester den Tag der Einschulung hinter sich gebracht hätte, würde er schon dafür sorgen, dass auch sie sich mal am Haushalt beteiligte! Nur weil sie ein paar Jahre jünger war als er, genoss sie unter dem völlig verklärten Blick ihrer Eltern totale Narrenfreiheit. Und ihre haufenweise freie Zeit nutzte sie auch noch mit Vorliebe dazu, auf seinen geschundenen Nerven herumzukauen. Ihre blöden Pferdchen und Püppchen verteilte sie überall im Haus, sodass man jederzeit von einem Puppenfuß oder einem Pferdehuf in den Hintern gestochen werden konnte, wenn man sich gerade mit der Konsole auf dem Sofa entspannen wollte. Diese ganzen Fleckis, Braunis und Blackys – die hätte er gern mal entsorgt! Sahen doch sowieso alle gleich aus! Bis Sommer noch– dann würde er als großer Bruder im Hause Oltmann andere Saiten aufziehen!

Ein leises Rumpeln riss ihn aus den Gedanken. Kam das Geräusch aus dem Schuppen? Jendrik blickte auf dessen rote Holztür. Sie war geschlossen. Er schaute zum Wohnzimmerfenster. Vater las inzwischen eine Ausgabe der Geo über aktive Vulkane. Auch Mutter konnte es nicht gewesen sein, sie war oben auf dem Dachboden. Von dort aus hatte sie ihm Fußballverbot angedroht, wenn der Stinkbüdel jetzt nicht endlich verschwinden würde. Und Clara? Die saß mit einer ganzen Herde Schleich-Pferden in der Badewanne. Da! Schon wieder dieses Rumpeln!… Bestimmt nur eine Katze… oder nicht? Wie sollte sie in den Schuppen gekommen sein? Er wurde eigentlich nur im Sommer genutzt. Über Winter lagerten dort die Gartenmöbel und der Rasenmäher. Und ein ausrangierter Kühlschrank.

Vorsichtig näherte Jendrik sich dem kleinen Seitenfenster, das sich unter dem Dach des anliegenden Fahrradunterstands befand. Es war dunkel im Schuppen. Er konnte kaum etwas erkennen. Er pirschte sich noch ein bisschen näher heran und spähte ins InnereRums! Wieder ein Geräusch! – Aber zu sehen war nichts… Es war bestimmt ein eingesperrtes Tier. Vielleicht ein Igel, der hier überwintern wollte. Oder eine verzweifelte Eule, die einen Weg hinaus ins Freie suchte. Na, er würde das arme Vieh schon befreien. Jendrik drehte sich um, schritt zur Tür, öffnete sie zur Hilfe entschlossen und fand einen alten Mann?!

»Ups«, sagte der Alte und duckte den Kopf kurz zwischen die Schultern. »Da war ich wohl doch ein wenig zu laut. Guten Morgen!« Er ließ sich langsam in den Sonnenstuhl nieder.

Jendrik starrte den Mann im grünen Mantel wortlos an.

»Mach doch bitte die Tür zu, es zieht.« Der Mann mit grauweißem Bart und blauen Augen lächelte Jendrik freundlich an.

»Was?« Jendrik hielt seinen Blick auf der vermeintlichen Eule und wusste nicht, ob er Angst haben oder verärgert sein sollte.

»Die Tür, Jendrik, schließ doch bitte die Tür, damit es hier nicht noch kälter wird.«

Jendrik schloss die Tür, ohne den Blick von dem komischen Kerl zu lassen. »Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Ich bin der Weihnachtsmann, ich kenne alle Kinder mit Namen.« Der Alte lächelte und zeigte auf den Gartenstuhl neben sich. »Nimm Platz. Es ist ja dein Stuhl.« Jendrik trat einen Schritt näher und streckte seinen Arm so weit aus, dass er den Stuhl an der Lehne zu sich ziehen konnte. Er setzte sich ganz vorn auf die Kante der Sitzfläche. »Was tun Sie hier?«, hörte er sich selbst fragen.

»Ich warte. Auf meine Leute. Also auf meine Rentiere. Aber zunächst muss mich einer meiner Engel entdecken. Oder einer der Elfen. Mit den Wichteln brauch ich nicht zu rechnen. Die fühlen sich ja doch nur am Nordpol wohl.«

»Wichtel? Engel? Elfen? Aha.« Jendrik stand langsam auf. »Also… meine Eltern finden das, glaub ich, nicht so toll, wenn Sie sich hier einnisten. Ziehen Sie mal lieber weiter.« Er machte einen Schritt zur Tür, ohne den Alten aus den Augen zu lassen. Man konnte trotz aller Höflichkeit ja nie wissen, ob so einer plötzlich durchdrehte und einen von hinten eiskalt umlegte! »Ich geh dann mal.« Jendrik stand mit dem Rücken zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. »Also wie gesagt, tschüss dann.«

»Ich kann hier nicht weg. Tut mir leid.« Der unerwünschte Gast zuckte mit den Schultern. »Ach, und er leider auch nicht.« Jetzt zeigte er auf das Regal hinter sich an der Wand. Jendrik erkannte nicht genau, was da auf den karierten Sitzpolstern lag, aber es sah aus wie ein flauschiges braunes Kissen und war rund wie ein Adventskranz.

»Was soll das denn sein? Haben Sie hier etwa eine Riesenratte mit angeschleppt?«

»Nein, die gehen niemals einzeln auf Reisen. Das ist mein Kater. Er hatte sich heimlich in meinem Gepäck versteckt, bevor ich abgefahren bin. Er konnte ja nicht ahnen, dass wir hier festsitzen und nicht so schnell wieder zum Nordpol zurückkommen würden.«

Jendrik rollte genervt mit den Augen. Heute blieb ihm auch wirklich nichts erspart. Er seufzte. »Okay – wenn Sie wirklich meinen, dass Sie die ultimative Witzfigur der bescheuertsten Zeit des Jahres sind, dann wissen Sie ja sicher auch, dass wir heute schon den 18. Dezember haben. Also machen Sie sich mal lieber fix ans Austeilen der Geschenke, ja?! Wie gesagt: Tschüss! Und nehmen Sie bitte ihr Läuseknäuel da oben mit.«

»Das ist ja gerade mein Problem. Die Zeit wird langsam knapp.« Der Alte zog die Luft durch die aufeinandergebissenen Zähne, sodass es zischte. So machte es sein Vater auch immer, wenn es in der Autowerkstatt brenzlig wurde, weil ihm der Betrag auf der Rechnung nicht gefiel. »Aber vielleicht kannst du mir helfen, Jendrik. Dann bist du mich auch schnell wieder los.« Der Mann wirkte, wenn er sprach, gar nicht so alt, wie er aussah. Aber verwirrt war er ganz offenbar.

»Das hätte den Vorteil, dass ich dir dein neues Fahrrad doch noch rechtzeitig unter den Baum stellen kann.« Er blickte Jendrik über den Rand seiner Brille an. »Übrigens schönes Exemplar von Baum, das ihr euch ausgesucht habt. Gefällt mir gut, besonders die Farbe. Reines Grün. Ohne Blaustich. Wird sich dieses Jahr bestimmt nicht mit der grünen Decke beißen, die ihr immer drunter legt.«

Jendrik überlegte kurz… Sie hatten bisher tatsächlich jedes Jahr eine grüne Decke für die Tannennadeln und das Kerzenwachs unter dem Baum ausgebreitet… Und letztes Jahr hatten sie wirklich einen Baum, der mehr blau als grün aussah. Den hatte Papa allein ausgesucht und Mama hatte ihren Ärger über den Blauton der Tanne kaum verbergen können. Sie meinte, dass sich die Farben alle nicht vertragen– Grün und Blau grundsätzlich nicht und die roten Kugeln würden in den blauen Zweigen total kitschig statt schick aussehen. Clara hatte noch Öl in die Flammen gegossen: »Grün und Blau schmückt die Sau!« – »Clara!«, hatte Vater sie da ermahnt, aber sie musste es mal wieder auf die Spitze treiben und krakeelte: »Rot dazwischen, ganz beschissen!«»Jetzt ist aber Schluss!«, fuhr Papa sie da an. Allerdings weniger wegen des Schimpfworts, sondern vielmehr, weil er Mamas miese Laune fürchtete. »Dann nehmen wir eben das goldene Klimbim und fertig!«, hatte Vater dann entnervt beschlossen und vermutlich gehofft, die Diskussion damit beendet zu haben.

Doch die goldenen Kugeln passten nach Mamas Ansicht auch nicht mehr, weil die durch das Blau statt warm und festlich pipi-gelb aussehen würden. An dieser Stelle war Papa explodiert und drohte damit, den Baum gleich zu zerhackstückeln, wenn Mama nicht aufhören würde, ihr Gift zu speien. Tja, und dann fing zappenduster! Man konnte ja nicht mal mehr erkennen, was auf dem eigenen Teller lag!