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Thomas Frehner

Vaterfreuden

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2. Auflage 2017

© 2017 Thomas Frehner

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7439-3988-2
Hardcover: 978-3-7439-3989-9
e-Book: 978-3-7439-3990-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für meine Tochter

Magische Momente sind das wahre Glück

(Phil Vrie)

Ein Tag im Advent

„Paaapiiii!“, rufst du, als ich zur Türe hereinkomme. Strahlend und mit weit ausgebreiteten Armen rennst du auf mich zu. Ich gehe in die Hocke, um dich aufzufangen. Es dauert keine Sekunde, bis der ganze Arbeitsstress wie weggeblasen ist und ich nur noch bei dir bin. Als ich dich hochnehme, schlingst du deine Ärmchen um meinen Hals und drückst dich fest an mich. Während ich dir über deine Löckchen fahre, vergesse ich alles. Es ist so schön, dass es dich gibt! Nie hätte ich mir vorstellen können, was du bei mir auslösen wirst. Selbst so alltägliche Situationen verwandelst du in Glücksmomente. Und das einfach so, ohne dir etwas zu überlegen. Einfach so, indem du einfach bist, wie du bist. Und ich brauch es nur aufzunehmen.

Am Weihnachtsmarkt in der Bahnhofshalle gibt es etwas, das dich besonders fasziniert, das dich fast magisch anzieht. Es ist ein bereits in die Jahre gekommenes Kinderkarussell, das sich kaum von denen unterscheidet, die es schon gab, als ich selbst noch ein Kind war. Natürlich darfst du eine Runde drehen, so viel Zeit muss sein. Oma hat darauf bestanden, zwei Jetons zu kaufen, damit der Spass für dich nicht zu schnell vorbei ist. Für den ersten Durchgang hast du dir eine Autoattrappe ausgesucht. Du schaust glücklich zu uns herüber und wartest ungeduldig, bis es endlich losgeht. Verspielt hältst du das Lenkrad, drehst es einmal scharf nach links, dann ebenso heftig nach rechts. Das Ding in der Hand an sich ist spannend, welchen Kurs du fährst, ist dir egal. Als sich die Bahn endlich in Bewegung setzt, stösst du einen Begeisterungsschrei aus. Mit heiligem Ernst umklammerst du jetzt das Rad und steuerst, als würde sich deine kleine Welt wegen dir im Kreise drehen. Aber nur um im nächsten Moment den Lenker wieder loszulassen, damit du uns mit beiden Ärmchen zuwinken kannst, wenn du an uns vorbeifährst. Bestimmt fühlst du gerade nur pures, grenzenloses Glück. Bestimmt gehst du völlig in diesem Gefühl und im Augenblick auf. Völlig fokussiert beobachte ich dich. Ich will dir so nahe sein wie möglich, damit ich dein Gefühl in mich aufsaugen und den Augenblick festhalten kann. In diesen Momenten vergesse ich alles um mich herum und dein Leben wird zu meinem. Dieses besondere Gefühl ist mit nichts anderem zu vergleichen.

Die Weihnachtsbeleuchtung an der Bahnhofstrasse fesselt dich nicht lange, denn du siehst einen Stand, an dem frisch geröstete Erdnüsse verkauft werden. Du kannst die Schalen noch nicht selbst entfernen, weshalb ich jeweils ein paar Nüsschen schäle und sie dir in einen Plastikbehälter gebe, damit du sie knabbern kannst. Sobald du alle gefuttert hast, streckst du mir das Gefäss wieder entgegen, wobei du rasch ungeduldig wirst, wenn ich nicht schnell genug für Nachschub sorge. Genüsslich vertilgst du deine Erdnüsse, bis du auf einmal etwas Spannendes entdeckst. Es sind ein paar kleine blaue Sterne, die an eine Wand projiziert werden, wobei sie sich zu bewegen scheinen. Dieses Schauspiel weckt deine Neugier, weshalb du unverzüglich dahin willst. Die aufkommende Müdigkeit ist scheinbar verflogen und einem begeisterten Spieltrieb gewichen. Ich beobachte dich, wie du die Sterne fangen willst. Erstaunt stellst du fest, dass es dir nicht gelingt, einen davon zu erhaschen. „Die sind nicht echt, sondern aus Licht, die kann man nicht anfassen“, sage ich, aber du lässt dich nicht beirren. Es dauert ein paar Minuten, bis du es auch merkst. Die Erfahrung hat dich gelehrt. Mir wird derweil bewusst, dass du meine Wahrnehmung schärfst. Wäre ich jetzt allein unterwegs, so hätte ich diese kleine, unscheinbare Lichtinstallation wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt. Und wenn doch, hätte ich ihr bestimmt kaum Beachtung geschenkt. Zusammen mit dir hat sie mir hingegen richtig Freude bereitet. Mit dir und dank dir sehe ich mehr.

23. Dezember: am Weihnachtsmarkt

Vielleicht ist das für dich so etwas wie Magie: Auf einmal stehen ein Markt und eine Riesentanne auf dem Sechseläutenplatz, der doch gestern noch leer war. Rund um den Baum schlängelt sich ein behelfsmässiger Zaun aus grob geschnittenen Latten, an denen sich gut herumklettern lässt. Du machst wieder exakt die gleiche Tour wie am Tag davor, findest das aber erneut superaufregend. Bis der Balken nicht bestiegen ist, gibt es nichts, was dich ablenken könnte, und so mühst du dich solange ab, bis es endlich funktioniert. Wie stolz du bist, als du ihn endlich erklommen hast! Ich freue mich mit dir und lobe dich für deinen Erfolg. Du sagst: „Da hat es eine grosse Kugel!“, und wendest dich schon dem nächsten Abenteuer zu. Du weisst, dass du den Weihnachtsschmuck nicht herunterreissen darfst, aber die Grenzen etwas ausloten, muss schon sein. Während du ganz sachte eine Kugel antippst, wirfst du mir einen Blick zu, der zweifellos bedeutet: „Das darf ich doch, oder?“ Ich sehe dein glückliches Gesicht und deine strahlenden Augen und höre dich vergnügt kreischen. Von Liebe übermannt kann ich dir diesen Wunsch nicht verwehren. Natürlich darfst du, aber nur ganz leicht.

Die meisten Stände und Attraktionen des Weihnachtsmarkts interessieren dich kaum, weil du weder überteuerte Geschenke kaufen noch kulinarische Spezialitäten aus dem Bündnerland probieren willst. Im grossen Fonduerestaurant mit der integrierten Bibliothek erstaunt dich nicht, dass so etwas provisorisch für wenige Wochen aufgestellt wird, sondern dass es so viele Leute hat, obwohl es doch fürchterlich stinkt. Nein, es ist nicht so, dass dich alle Eindrücke verführen, vielmehr hast du eine Art inneren Kompass, der dir zeigt, was dich anzieht und was dich abstösst. Für mich überraschend, fasziniert dich neben dem Weihnachtsbaum vor allem das grosse Eisfeld immer wieder von Neuem. Eigentlich reagierst du empfindlich auf laute Musik, hier scheint dich diese aber nicht im Geringsten zu stören. Vielmehr klebst du am Geländer und verfolgst minutenlang begeistert das Treiben auf dem künstlichen Eis. Ich will herausfinden, was dich daran so mitreisst, kann mit deiner Antwort aber nicht viel anfangen. „Das ist lustig“, sagst du nur, und ich muss damit leben, dass sich mir einige deiner Freuden nicht erschliessen, weil du sie nicht beschreiben kannst. Vermutlich ist das gut so, wir müssen ja nicht alles teilen.