Dritter Teil

Inhaltsverzeichnis

»Seine Exzellenz ist willkommen,« sagte der Konferenzrat, und seine Zunge lag fest in seinem Munde.

 

»Ich bin es,« sagte Seine Exzellenz und ging weiter ins Zimmer hinein.

»Ich sehe es,« sagte der Konferenzrat, der das gesunde Auge nicht vom Gesicht der Exzellenz entfernte, »du kommst wieder.«

Seine Exzellenz hatte die eine Hand geballt.

»Es eilt,« sagte er, »ich werde Geld brauchen.«

Der Konferenzrat schwieg, das Auge beständig auf ihn gerichtet.

»Ich muß verkaufen,« sagte Seine Exzellenz, und während er plötzlich den Kopf dem Gesicht des Konferenzrats zuwandte, dessen eines Auge fortwährend auf ihm ruhte, als wolle es die Schweißtropfen auf der Stirn der Exzellenz zählen, sagte er, und das Wasser sprang aus jeder Pore seines Leibes hervor, »denn es sind wohl Papiere vorhanden?«

Der Konferenzrat ließ die Worte verhallen.

»Wann willst du verkaufen?« sagte er.

»Sofort,« sagte Seine Exzellenz und hob, ohne es zu wissen, die linke Hand, um sich den Schweiß von den Schläfen zu trocknen.

»Heute?« sagte der Konferenzrat und rührte sich nicht.

Beim Klang seiner Stimme reckte Seine Exzellenz plötzlich den ganzen Körper, und die großen Adern auf seiner Stirn schwollen in einer riesenmäßigen Anspannung, und er sagte sehr schroff:

»Es sind also verkäufliche Papiere vorhanden?«

Seine Zunge hatte eine Sekunde vor dem Worte »verkäuflich« gestockt, doch seine Stimme klang wie immer: »Dann mußt du verkaufen,« sagte er.

»Für wieviel?«

Seine Exzellenz schwieg einen Augenblick.

»Für dreißigtausend,« sagte er und bewegte den Kopf.

Man hörte das Ticken der Uhr. Der Konferenzrat antwortete nicht, und Seine Exzellenz sagte, ohne ihn anzusehen: »Du mußt verstehen, es ist notwendig.«

Der Konferenzrat hob den rechten, gesunden Arm. »Dreißigtausend, das ist viel Geld,« sagte er, und mit einem Versuch zu lachen – es klang wie Vogelgekreisch – setzte er hinzu:

»Die Genies feilschen nicht.«

Seine Exzellenz hob den Kopf und ließ die blauweiße geballte Hand auf den mächtigen Tisch niederfallen.

»Glud,« rief er, und der Tisch erbebte unter dem Schlag der Hand, »gehört das Geld mir – – – oder nicht?«

Der Konferenzrat sah Seiner Exzellenz scharf ins Gesicht, und selbst das tote, hängende Auge schien für eine Sekunde ein wenig Glanz zu bekommen und sehen zu können, während seine Stimme plötzlich, vielleicht zum letztenmal, den Klang wiederbekam, dessen Hohn eines Tages, als die Banken wankten, einen Sturm auf seine Firma abgewehrt hatte, und er sagte:

»Du weißt doch, daß es dir gehört.«

Der Kopf der Exzellenz fiel auf die Brust herab.

Seine Lippen waren so weiß wie sein Bart.

»Und« – der Konferenzrat erhob sich fast in einem übermächtigen Triumphgefühl – »es kann sofort ausbezahlt werden.«

Er streckte die gesunde Hand nach einer Glocke auf dem Tisch aus, zog sie aber wieder zurück:

»Nein,« sagte er, und vielleicht wußte er selbst nicht einmal, ob er aus Mitleid handelte oder aus Grausamkeit, »nimm die Schlüssel selbst.«

Das Schlüsselbund fiel aus seiner gesunden Rechten in die Hand Seiner Exzellenz, die nur halb geöffnet war: »Da ist der Schlüssel zum Geldschrank. Das Scheckbuch liegt im Fach links.«

Die Hände Seiner Exzellenz waren so kalt wie das Eisen, das sie umfaßten, während er die Schranktür öffnete. Aber er fand sich zurecht in den Fächern, als hätten auch seine Hände Tag für Tag hier zu tun gehabt.

»Da,« sagte er und legte das Scheckbuch auf den Tisch.

Man hörte das Kratzen der Feder, während der Konferenzrat schrieb.

»Da,« sagte er und schob die Anweisung fort. »Willst du quittieren?«

Das Auge des Konferenzrats betrachtete die Exzellenz, während dieser auf dem vorgelegten Blatte schrieb.

»Danke,« sagte Seine Exzellenz und hob das Gesicht. Aber der Konferenzrat sah wohl die halb vorgestreckte Hand der Exzellenz nicht. Er betrachtete die Quittung, und ein Jucken wie eine Grimasse glitt über sein gelähmtes Gesicht.

»Deine Schrift ist so leicht nachzuahmen in letzter Zeit,« sagte er zu Seiner Exzellenz, der sich erhoben hatte, »willst du dein Siegel daruntersetzen?«

Ein Strom von Blut hatte sich über das Gesicht Seiner Exzellenz ergossen, aber er sagte nur ein Ja, das wie ein Stöhnen klang:

»Siegellack liegt im Schrank,« sagte der Konferenzrat, und sein Auge folgte unablässig Seiner Exzellenz, wie er den Lack aus dem Schrank holte und ein Licht anzünden und hintragen und den mächtigen Siegelring abziehen mußte, in dessen großem Edelstein das Wappen der Hvides eingraviert war.

Seine Exzellenz hielt den Lack etwas zu lange ins Licht, so daß zuviel Lack aufquoll – wie der erste Striemen Blut, der aus einer Wunde rinnt.

»Es ist gut,« sagte der Konferenzrat und betrachtete das Siegel.

Seine Exzellenz hatte den Ring wieder am Finger.

»Adieu,« sagte er.

»Adieu.«

Seine Exzellenz war draußen.

Der Konferenzrat schlug zweimal auf die Glocke auf seinem Tisch, und Herr Hansen kam zu der kleinen Paneeltür herein.

»Räumen Sie auf,« sagte er.

Herr Hansen schloß den Geldschrank, löschte das Licht und setzte es fort.

»Holen Sie die Mappe,« sagte der Konferenzrat.

Herr Hansen ging und brachte die Hvidesche Mappe.

»Öffnen Sie sie.«

Herr Hansen tat es.

»Danke.«

Der Konferenzrat nahm die Verschreibung Seiner Exzellenz und legte sie zuoberst auf den großen Haufen.

»Es ist gut,« sagte er und machte selbst zu.

Als Herr Hansen die Mappe nahm, hob der Konferenzrat sein Auge zu seinem Schreiber auf.

»Jetzt sollten Sie Ihre Forderungen eintreiben,« sagte er, »es ist Zeit.«

Herr Hansen bewegte bestürzt die bleichen Hände.

»Aber,« sagte der Konferenzrat, »Sie haben ja Pfänder.«

Herr Hansen antwortete nicht.

»Was haben Sie noch außer der Brosche des Kaisers?«

»Schmuck, Herr Konferenzrat.«

Der Konferenzrat wandte den Blick nicht von ihm ab.

»Was für Schmuck?« fragte er.

»Eine Brillantschnur.«

Der Konferenzrat wandte sein Auge ab.

»Geld ist besser,« sagte er, »solche Steine können im Wert sinken.«

»Ja, Herr Konferenzrat.«

Der Konferenzrat drehte den Kopf.

»Den Schirm,« sagte er.

Herr Hansen setzte den Schirm auf die Lampe.

»Sie können gehen.«

Die große Tür ging auf. Es war die Hofjägermeisterin, die eintrat und mitten im Zimmer stand.

»Was ist hier vorgegangen?«

Stechend blickte das Auge des Konferenzrats zu ihr hinüber.

»Was sollte hier vorgehen?« fragte er, und die Stimme wurde plötzlich wieder ganz dick im Munde.

»Wie du willst,« sagte die Tochter. »Aber dies muß ein Ende haben. Und« – die Hofjägermeisterin sah dem Vater ins Gesicht – »wir brauchen die Hvides nicht mehr.«

Der Konferenzrat antwortete nicht.

Die Hofjägermeisterin legte ihm die Kissen in den Rücken, und sie bemerkte, wie sein Körper zitterte.

»Und du solltest dich schonen,« sagte sie und setzte hinzu: »Der Alte sagte heute selber, du vertrügst keine Gemütsbewegungen.«

Der Konferenzrat hob das eine Auge.

»Hast du ihn vielleicht deshalb hereingelassen?« sagte er. »Überlaß mir das Meine.«

Die Hofjägermeisterin lächelte, während sie ihm das Plaid um die Beine legte, mit einem Lächeln, das der Konferenzrat nicht sah.

»Das werde ich tun,« sagte sie und ging.

Der Konferenzrat saß allein vor seinem leeren Tisch. Das entstellte Haupt fiel plötzlich halb vornüber, als habe es seine Stütze verloren.

 

Als der Vater den Wagen Seiner Exzellenz heimkehren hörte, ging er selbst an die Tür ins Portal hinunter:

»Wie spät du kommst.«

»Die Pferde sind schuld,« sagte Seine Exzellenz, »der Mann fährt wie in einem Leichenzug.«

»Was ist mit den Pferden?« fragte der Vater heftig zu Johann hinauf, während Seine Exzellenz anfing, die Treppe emporzusteigen.

»Der Gaul will nicht mehr,« sagte Johann störrisch.

»Will nicht?« sagte der Vater rot vor Zorn, »das muß ein Ende haben.«

»Ja, das nimmt es auch,« sagte Johann wie vorher.

Der Vater folgte Seiner Exzellenz.

»Klingle, bitte, nach Georg,« sagte die Exzellenz, »ich muß mich umziehen.«

»Ja,« sagte der Vater und ging hinauf in sein Zimmer.

Die Mutter saß noch auf dem Stuhl vor ihrem Spiegel, während sie den Vater hin und her gehen und sich umkleiden hörte. Seit die Gesellschaftsdame gegangen war, hatte sie sich nicht gerührt. Nur hier und da öffnete sie die Augen und schloß sie wieder. Der Vater klopfte an ihre Tür.

»Ja, herein,« sagte sie.

Der Vater trat ein, im Frack und in ranker Haltung.

»Wollen wir hinuntergehn?« sagte er.

Die Mutter blieb auf ihrem Stuhl sitzen.

»Ich habe so viel nachgedacht heute,« sagte sie und ließ die gefalteten Hände auf den Tisch niedergleiten.

»Worüber?« sagte der Vater.

Die Lippen der Mutter zitterten einen Augenblick, und um ihren Mund kam ein Zug zum Vorschein, wie er oft bei Gefangenen zu sehen ist.

»Ich,« sagte sie, »habe viele Jahre lang nur an eins gedacht.«

Sie schwieg einen Augenblick.

»Und jetzt habe ich es zu Ende gedacht.«

Sie bewegte die beiden schönen Hände.

»Darum möchte ich gern mit dir sprechen.«

Der Vater hatte in dem Halbdunkel, in dem er stand, eine Bewegung mit der Hand gemacht.

»Du meinst, warum von Dingen sprechen, die so ganz vorbei und so lange her sind? Aber ich muß sprechen, Fritz« – und sie wandte ihm das bleiche Gesicht zu – »um mich zu verteidigen.«

»Dich zu verteidigen?«

»Ja, Fritz.«

Sie wandte das Gesicht wieder, und sie sprach halblaut und langsam, wie jemand, der seine Gedanken unwiderruflich geformt hat.

»Ich weiß jetzt, ich habe dir viel unrecht getan. Du bist nicht dafür geschaffen, Menschen gern zu haben. Es ist dir gegeben, einen Menschen zu lieben – und trotzdem hast du mich unendlich gern gehabt. Aber für den, der liebt, ist es so schwer, neben dem herzugehen, der nur gern hat. Darum konnte ich nicht einmal deine Güte entgegennehmen.«

Der Vater machte einen Schritt.

»Und noch eins. Die Menschen, Fritz, wenden die mitleidigen Augen immer dem zu, der am tiefsten gebeugt wird, wenn auch niemand weiß, wer von zwei Menschen am meisten gelitten hat.«

Sie hob ihr Gesicht.

»Ich bin selbstsüchtig gewesen, ich weiß es jetzt,« sagte sie, und es war, als spräche sie zu jemandem über sich, »aber ich werde es nicht länger sein, und die höchste Kraft deines Lebens soll nicht mehr brachliegen.«

Der Vater stand im Dunkeln.

»Was, willst du, soll ich dir antworten?«

Die Mutter schüttelte den Kopf.

»Du sollst mir nicht antworten,« sagte sie, »ich habe nicht gesprochen, um eine Antwort zu bekommen, sondern um gesprochen zu haben.«

Einen Augenblick war es still. Unmerklich preßte sie die schönen Hände auf dem Tisch, wo sie lagen, gegeneinander.

»Und jetzt,« sagte sie, »werden wir nie mehr miteinander reden – nicht einmal an dem Tage, wo wir sterben.«

Der Vater stand einen Augenblick da. Dann sagte er: »Und warum hast du gerade heute gesprochen?«

»Warum?«

Die Mutter führte die Hand an die Augen und ließ sie wieder sinken.

»Die großen Entschlüsse, Fritz, sind wohl immer die Frucht von langem Nachdenken und von Kleinigkeiten.«

Das Gesicht des Vaters zitterte.

»Und du?« sagte er, und seine Stimme war kaum vernehmbar, »kannst du nie froh werden?«

Die Mutter wandte ihm flüchtig das schöne Gesicht zu.

»Hättest du mich geliebt, wenn ich es könnte?« sagte sie.

Und der Vater ging.

Die Mutter erhob sich. Die Tränen wollten aus ihren Augen hervorbrechen. Aber sie bezwang sie. Und während sie ihre beiden Hände an dem schwarzen Seidenkleide hinabgleiten ließ, reckte sie den Körper wie unter einer Rüstung. Dann klopfte sie an die Tür des Vaters.

»Wollen wir hinuntergehen?« sagte sie.

... Ihre Gnaden war angekleidet.

Die Gesellschaftsdame befestigte vor dem Spiegel im Haar Ihrer Gnaden einen Schmuck aus oxydierten Silberblüten.

An die eine der Türen klopfte es.

»Wer ist da?« rief Ihre Gnaden und hatte schon den Jägermeister, ihren Sohn, die Tür öffnen sehen.

»Ich bin's,« sagte er.

»Sie können gehen,« sagte sie zu der Gesellschaftsdame, »lassen Sie anzünden.«

Ihre Gnaden beugte sich zu dem Jägermeister nieder, der bereits schluchzend in einen Stuhl gefallen war.

»Mein unglücklicher Junge,« sagte sie, »mein unglücklicher Junge, was hat er dir getan?«

Ihre Gnaden strich mit den Händen über sein Haar und über seinen Hals.

»Was ist geschehen? Was ist denn nur geschehen?«

Der Jägermeister schluchzte immer noch.

»Ich kann es nicht sagen.«

»Aber es ist in Ordnung?« fragte Ihre Gnaden und preßte die Hände zusammen.

»Ja,« sagte der Jägermeister und hob das Gesicht, während der gebückte Leib wieder zusammenfiel, »es ist in Ordnung.«

»Gott sei gelobt,« sagte Ihre Gnaden, und ihre Arme fielen über die Seitenlehnen des Stuhles herab.

»Aber wir müssen wohl hinein,« sagte der Jägermeister und stand auf. Seine Augen sahen noch ganz irr drein.

»Ja,« sagte Ihre Gnaden, »wasch dein Gesicht.«

Ihre Hände zitterten, während sie die Eau de Cologne in das große Waschbecken goß.

»So,« sagte sie, und der Jägermeister fuhr mit dem eingetauchten Handtuch über sein Gesicht hin.

»Leih es mir,« sagte sie, und sie führte das feuchte Tuch einen Augenblick an die eigenen Augenlider.

»So,« sagte sie, »gib mir deinen Arm.«

Sie gingen hinein. In allen Zimmern brannten schon die Kronleuchter.

»Sind die Blumen arrangiert?« fragte Ihre Gnaden den schlanken Diener, der sich in seinem schwarzen Festanzug mit der Hvideschen Schulterschleife verbeugte.

»Ja, Eure Gnaden.«

»Schön.

So öffnen Sie,« sagte Ihre Gnaden und nahm Platz.

»Ja, Eure Gnaden.«

Der Diener ging.

»Hast du ihn jetzt gesehen?« fragte Ihre Gnaden.

»Nein.«

»Dann bleib hier,« sagte Ihre Gnaden, und beide warteten unter den brennenden Kerzen.

Die Mutter war zu Seiner Exzellenz hineingegangen, auf dessen Brust Georg soeben das Großkreuz befestigte.

Als der Diener gegangen war, sagte die Mutter lächelnd:

»Wie fein du sein wirst!«

»Ja, wir putzen uns wohl alle.«

Die Mutter sah auf die Etuis mit all den Orden der Exzellenz, die noch auf dem Schreibtisch standen.

»Es sind viele,« sagte sie.

»Ja,« sagte Seine Exzellenz und warf die Etuis in eine Schublade, »sie sind gut gewesen fürs Geschäft.«

Als die Mutter die Tür zu den Wohnzimmern öffnete, rief Seine Exzellenz:

»Ist Hans da?«

»Ja,« erwiderte der Jägermeister.

»Komm hier herein.«

Der Jägermeister durchschritt das Zimmer, während Ihre Gnaden ihm mit den Augen folgte.

»Da,« sagte seine Exzellenz, der am Schreibtisch stand, und reichte ihm die Anweisung, als sei es ein Rezept für ein paar Hustentropfen.

Dem Jägermeister war der Schweiß auf die Stirn getreten.

»Danke,« sagte er und ging.

Der schlanke Diener meldete die Geheimrätin Rappe, die eine tiefe Stimme hatte wie eine Mannsperson und sehr um Entschuldigung bat, weil sie ihren Seidenpudel mitbrächte.

»Aber ich wage bei Gott nicht, das Viehchen mit den Dienstboten allein zu lassen.«

Alle versammelten sich um das kleine Tier, das im Schoß der Geheimrätin seinen Platz fand.

»Das Tier ist krank,« sagte die Geheimrätin, es darf nichts anderes bekommen als Portwein und Chinin.«

Alle lachten, während die Geheimrätin zu Seiner Exzellenz, der gerade eintrat, sagte: »Guten Abend, alte Exzellenz, wie geht es mit Ihren Steinschmerzen?«

»Guten Abend, Augusta,« sagte er und schob die Brust vor, als werfe er eine Bürde von sich, »es tut wohl, einen Menschen zu sehen.«

»Aber Großpapa,« sagte die Mutter, »wofür rechnest du uns denn?«

»Offen gestanden,« sagte die Exzellenz, »ich weiß es nicht. Ihr gehört ja zur Familie.«

Der Diener meldete die Baronin und den Baron Rosenkrands, einen jungen Beamten im Ministerium des Äußern, einen Verwandten des Grafen Eck. Der Baron war mit seiner Gemahlin soeben aus Italien heimgekehrt, und Ihre Gnaden fragte die Baronin, die in Gelb und ausgeschnitten erschien, nach bekannten Gegenden und Städten, während die Baronin sagte, daß sie von allen Orten Florenz den Vorzug gebe.

»Uf, nein,« sagte sie, »Rom kann ich nicht ausstehn. Man fühlt sich so winzig, mitten in all dem.«

Seine Exzellenz sagte:

»Wie groß willst du sein?«

»Lieber Onkel Hvide, man mag doch am liebsten das Gefühl haben, als sei man von gewöhnlicher Größe.«

»Ich liebe nun Rom,« sagte die Geheimrätin mit ihrer tiefen Stimme, »ich liebe es, da unten umherzugehn und zu stöbern. Man lernt so gut einsehen, daß die von früher mindestens ebenso klug waren wie wir. Ja, Rom und meine Berge, die darf mir keiner schlecht machen. Aber,« sagte sie und versetzte dem Pudel einen kleinen Schlag, »Rom ist für die, die angefangen haben, den Schnabel nach unten zu kehren. Werde alt, Lydia, so wirst du schon dein Rom verstehen.«

Ihre Gnaden fand, nichts sei so schön wie die Messe im Vatikan.

Drüben an den Fenstern sagte Baron Rosenkrands, während die Marschallin eintrat, zu dem Jägermeister, es sei wunderbar schön in Neapel.

»Ja, es ist so lange her, daß ich da war,« sagte der Jägermeister und entfernte sich, um ins Speisezimmer zu gehen, wo er sich von dem schlanken Diener hastig ein Glas Madeira einschenken ließ, als die Tür zum Flur aufging und der junge Fritz eintrat.

»Bist du es,« sagte der Jägermeister und setzte das Glas hin.

»Ja, Papa,« sagte der junge Mann, der die Augen nicht von dem leeren Glase ließ.

»Warum gehst du nicht hinein?« sagte der Jägermeister.

»Ich gehe, Papa,« sagte der junge Mann und ging nicht, bis der Jägermeister vorangegangen war.

Der schlanke Diener hatte die blanken Augen zu seinem Herrn erhoben.

Alle im Wohnzimmer hatten die Marschallin begrüßt, während der Vater anfing, mit der Tischordnung umherzugehn, und es entstand ein erneuter Aufruhr, als Graf Eck eintrat, in Begleitung von Professor Berger.

»Guten Abend, Adam,« sagte Seine Exzellenz und ging dem Grafen Adam mit einem Handschlag entgegen, »nett, daß du gekommen bist.

Wie geht es mit der Gicht?«

»Sie ist ja nicht so schlimm, daß ich nicht reisen könnte,« sagte Graf Eck, der die kleine, zierliche Figur vor Ihrer Gnaden verneigte.

»Ich bin immer traurig, wenn Eck fortreist,« sagte die Geheimrätin mit ihrem Baß.

»Sehr liebenswürdig, Augusta.«

»Wir sind sowieso so wenige Menschen hier im Lande,« sagte sie.

»Zwei Millionen, Tante,« sagte Baron Rosenkrands.

»Was für welche?« sagte die Geheimrätin, während der Baron und die Mutter anfingen zu lachen, und die Marschallin, deren über den Boden schleifende Wiener Robe von der Baronin gemustert wurde, ging zu Professor Berger hin und wandte ihr Gesicht einem Leuchter zu.

»Was hat denn die Zeit aus Ihnen gemacht?« sagte sie.

»Ja, was?« sagte der Professor, ein Jugendfreund der Marschallin von der Zeit her, als er Amanuensis bei Seiner Exzellenz war.

»Hm,« sagte die Marschallin und ließ seine Schulter los, »Sie sehen aus, Berger, als seien Sie traurig aus Überzeugung ... was sagst du, Onkel Hvide?«

Seine Exzellenz, der unablässig seine Augen auf Ihre Gnaden gerichtet hatte, die sehr aufrecht mit den Silberblumen im Haar in ihrem Sessel saß, sagte:

»Er sieht aus, wie ein Mensch aussehen muß;« und Seine Exzellenz wandte sich zum Vater:

»Wollen wir essen?«

»Ja, wir warten nur auf Schulins,« sagte der Vater, als Schulins gerade kamen und die Gräfin sofort in der Tür sagte:

»Liebe Freunde, entschuldigen Sie, daß wir so spät kommen. Aber wir sind bei Brahes vorbeigefahren.«

Und zwei, drei Münder fragten zugleich nach Baronesse Emmely, während die Geheimrätin, alle andern übertäubend, zu Seiner Exzellenz hinüberrief:

»Ja, wie geht's ihr, alte Exzellenz?«

»Es ist noch nicht nach mir geschickt worden,« sagte Seine Exzellenz und sprach, während alle einen Moment schwiegen, ungefähr so laut, als hätte ein Glas geklirrt, bis die Marschallin ein paar Worte ins Leere sagte und Seine Exzellenz in die Hände schlug, da die Türen geöffnet wurden.

»Wollen wir nun zu Tisch gehen,« sagte er und führte, wie es bei Hvides Sitte war, die Mutter ins Speisezimmer.

Alle standen auf, während die Herren ihre Damen suchten, und die Geheimrätin sagte zu Graf Eck:

»Wir beide, Adam;« und überlieferte dem jungen Herrn Fritz den Pudel, der im Speisezimmer auf einem Teppich untergebracht werden sollte.

Die Marschallin lachte dem kläffenden Vieh zu. Aber die Geheimrätin drehte sich nach der Baronin Rosenkrands um, die mit Professor Berger hinter ihr herging, und sagte, indem sie den Ausschnitt der Baronin betrachtete:

»Was du zeigst, ist niedlich, Lydia. Aber ich hoffe, du packst dich gut ein, wenn du nach Hause fährst.«

Graf Eck und der Professor lachten, während alle ins Speisezimmer kamen – Ihre Gnaden mit dem Jägermeister als letztes Paar –, und es wurde mit den Stühlen gescharrt um den breiten Tisch herum, bis Ihre Gnaden Platz genommen hatte und alle sich setzten, während Georg die Suppe herumreichte und der schlanke Diener sich hinter der Mutter verneigte:

»Sherry oder Madeira?«

»Ach, die alten, schönen Sachen,« sagte die Marschallin und sah über den Tisch hin, während sie ein Glas von dem mit Aufsätzen besäten Tisch nahm und es im Licht glänzen ließ.

»Wie gut man sie kennt,« sagte sie.

»Ja, sie sind schön,« sagte die Geheimrätin.

Alle sprachen von den Gläsern.

»Ja,« sagte die Mutter zu Graf Schulin, der links von ihr saß, »sie wurden vom Großvater meines Schwiegervaters gekauft ... sie sollen sich von der Regentschaft herschreiben ...«