Cover

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Fußnoten

1

Friedrich Schiller, Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?, in: Friedrich Schiller, Vom Pathetischen und Erhabenen. Schriften zur Dramentheorie, hrsg. von Klaus L. Berghahn, Stuttgart 2009, S. 14.

2

Schiller (s. Anm. 1), S. 14.

3

Schiller (s. Anm. 1), S. 16.

4

Schiller (s. Anm. 1), S. 10.

5

Martin Esslin, Was ist ein Drama? Eine Einführung, München 1978 (Serie Piper, 181), S. 19.

6

Esslin (s. Anm. 5), S. 21.

7

Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 8., verb. und erw. Aufl., Stuttgart 2001, S. 26.

8

Zitiert nach: Christian Grawe, Erläuterungen und Dokumente. Friedrich Schiller, »Maria Stuart«, Stuttgart 2011, S. 67.

9

Grawe (s. Anm. 8), S. 67.

10

Norbert Oellers, Schiller. Elend der Geschichte, Glanz der Kunst, Stuttgart 2006, S. 227.

11

Grawe (s. Anm. 8), S. 69.

12

Grawe (s. Anm. 8), S. 67.

13

Grawe (s. Anm. 8), S. 87.

14

Friedrich Schiller in einem Brief an Goethe am 2641799, in: Johann Wolfgang Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hrsg. von Ernst Beutler, Bd. 20: Briefwechsel mit Schiller, Zürich 1950, S. 695.

15

Schiller in einem Brief an Goethe am 1861799, in: Goethe (s. Anm. 14), S. 710.

16

Schiller in einem Brief an Iffland am 2261800, zitiert nach: Benno von Wiese, Friedrich Schiller, Stuttgart 1959, S. 717.

17

Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, Bd. 1, München 1960, S. 142 f.

18

Schiller in einem Brief an Körner am 851799, zitiert nach: Grawe (s. Anm. 8), S. 69.

19

Schiller in einem Brief an Goethe am 1861799, in: Goethe (s. Anm. 14), S. 710.

20

Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, Bd. 5: Erzählungen. Theoretische Schriften, hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München 1980, S. 489.

21

Schiller (s. Anm. 20), S. 502.

22

Gert Sautermeister, »Maria Stuart«. Ästhetik, Seelenkunde, historisch-gesellschaftlicher Ort, in: Walter Hinderer (Hrsg.), Schillers Dramen. Neue Interpretationen, Stuttgart 2011, S. 280.

23

Bertolt Brecht, Der Streit der Fischweiber, in: Grawe (s. Anm. 8), S. 178185.

24

Rudolf K. Goldschmit-Jentner, Maria Stuart und Elisabeth, in: Die Begegnung mit dem Genius, Hamburg 1946, S. 82 f. und 112 ff. 

1. Schnelleinstieg

In einem Vortrag vor der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft in Mannheim zum Thema »Was kann eine gute stehende Die Funktion der SchaubühneSchaubühne eigentlich wirken?« hatte Friedrich Schiller als junger Dramatiker am 26. Juni 1784 behauptet: »Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weißheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele.«1 Nicht Schulen und Hochschulen sind die Orte, an denen auf das Leben vorbereitet wird, und nicht Gesetzgeber, Philosophen, Wissenschaftler und Pädagogen vermitteln das Grundwissen über das Leben der Menschen und die Erwartungen der Gesellschaft, sondern das geschieht laut Schiller vorzüglich durch das Drama und auf der Bühne. Zweifellos wirbt der Autor damit für seine Sache und sein Metier; doch hat er dafür gute Gründe. Auf der Bühne, davon ist er überzeugt, lernt man, wie es im praktischen Leben zugeht, und man kann sich darauf vorbereiten, im gegebenen Augenblick weise zu entscheiden und klug zu handeln. Das gilt vor allem für das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft, wo sich die Fragen nach dem, was nützlich und gerecht ist, täglich stellen. Um sie zu beantworten, genügt es nicht, Begriffe wie »Gerechtigkeit«, »Schuld« und »Strafe« wissenschaftlich oder philosophisch definieren zu können, sondern am konkreten Fall muss erörtert werden, wie sich allgemeine Grundsätze und Bedingungen des menschlichen Handelns zusammenfügen lassen. Dazu aber ist es nötig, den Menschen als Einzelwesen zu kennen und zu verstehen, d. h. einen »Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele«2 zu haben.

Die Bühnen waren es, so sagt Schiller im gleichen Vortrag, »die den Menschen mit dem Menschen bekannt machten, und das geheime Räderwerk aufdeckten, nach welchem er handelt«3. Dabei verweist er auf das antike Theater, auf die französischen Klassiker und – in besonderem Maße – auf Shakespeare. Indirekt kündigt er jedoch auch schon das Programm seines eigenen Schaffens an, dessen erste Erfolge – Die Räuber, Kabale und Liebe – zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegen. Durchaus programmatisch heißt es: »Welche Verstärkung für Religion und Gesetze, wenn sie mit der Schaubühne in Bund treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Torheit und Weißheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen […].«4 Die gleiche Frage, nämlich die Grundfrage des menschlichen Lebens »Was soll ich tun?«, wird von dem Prediger auf der Kanzel, vom Politiker im Parlament oder im Kabinett, vom Richter im Gerichtssaal und eben auch vom Dramatiker auf der Bühne aufgeworfen. Einer der wesentlichen Unterschiede besteht darin, dass die Bühne nicht entscheidet, sondern anschaulich macht, dass sie Handlungen und Haltungen zeigt, dass sie »Gegenwart ist«, dass sie »faßlich« macht, was alle angeht. Nicht die Lösungen, die auf der Bühne gezeigt werden, sind das Wichtige, sondern die Problemstellungen. Nicht auf die Antworten kommt es an, sondern auf die Fragen. Voraussetzung ist, dass die Fragen und Probleme aktuell sind, dass der Zuschauer merkt: Hier wird etwas verhandelt, das mich angeht.

Unter den verschiedenen literarischen Das Drama als Spiegel der LebensweltGattungen kann das Drama diesem Anspruch in besonderer Weise genügen. Jede Inszenierung ist von der Verpflichtung bestimmt, aktuell zu sein. Diese Aktualität erweist sich nicht unbedingt darin, dass Versatzstücke aus der Lebenswelt des Publikums auf der Bühne präsentiert werden, sondern darin, dass die Zuschauer in die Problemfelder der Figuren auf der Bühne und in deren Fragehorizont als ihren eigenen hereingeholt werden. Zuschauen muss zu einem aktiven Vorgang weiterentwickelt werden.

Das ist deshalb möglich, weil das Drama immer »in einer permanenten Gegenwart abrollt – also nicht ›damals und dort‹, sondern ›hier und jetzt‹«.5 Der Stoff eines Dramas mag Hunderte oder Tausende Jahre alt sein; die Handlung, die dem Drama zugrunde liegt, mag sich in einer längst vergangenen Wirklichkeit zugetragen haben: Gespielt wird jetzt und unmittelbar vor den Augen und Ohren des Publikums. Gegenwärtig ist das Spiel, nicht die dargestellte Wirklichkeit. Dieses Spiel ist konkret. Und jede Aufführung ist neue Konkretisierung einer jeweils neuen Inszenierung. Konkret und gegenwärtig reagieren auch die Zuschauer.

Um zu belegen, dass das Drama »nicht nur die konkreteste […] künstlerische Nachahmung menschlichen Verhaltens«, sondern auch »die konkreteste Art« ist, »in welcher wir über die Lage des Menschen in der Welt denken können«, gibt Martin Esslin in seiner Einführung Was ist ein Drama? ein Beispiel:

»Man kann darüber debattieren, ob die Todesstrafe zu rechtfertigen ist oder nicht. Weit schwieriger ist es jedoch, diesen abstrakten Gedankengang, auch wenn er durch Statistiken untermauert ist, auf die konkrete Wirklichkeit zu beziehen, auf die Auswirkung auf das einzelne Individuum. Das können wir nur tun, indem wir uns einen einzelnen Menschen vorstellen, der von der Todesstrafe betroffen ist, und die beste Art, das zu erreichen, ist, einen Fall zu dramatisieren und ihn so konkret nachzuerleben.«6

Das Beispiel ist geeignet, direkt auf Friedrich Schillers Drama Maria Stuart überzuleiten. Auch hier geht es um ein Todesurteil, um Schuld und Sühne, um Strafe und Gerechtigkeit, aber auch um Politik und die Frage nach dem Nützlichen. Die Fragen überschneiden sich, die Fäden verwirren sich. Man erkennt, wie wichtig es wäre, »einen Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele« zu haben oder auf eine »Schule der praktischen Weißheit« zurückgreifen zu können. Wer jedoch meint, dass Schlüssel und Weisheit leicht verfügbar seien, muss sich getäuscht sehen. Die Schule der praktischen Weisheit vermittelt nicht Lehren, sondern fordert den Zuschauer zur Stellungnahme heraus.

2. Inhaltsangabe

Abb. 1: Strukturskizze

Maria Stuart ist, dem Schema des klassischen Dramas folgend, in fünf Aufzüge eingeteilt, auf die insgesamt 52 Auftritte entfallen.

Erster Aufzug

1. Auftritt: Im Schloss zu Fotheringhay wird seit Jahren Die Situation der Maria StuartMaria Stuart, einst Königin von Schottland, gefangen gehalten. Man wirft ihr vor, einen Umsturz in England geplant zu haben, um Elisabeth zu beseitigen und selbst Königin von England zu werden. Ein Gerichtsprozess hat stattgefunden, dessen Ausgang Maria noch nicht kennt. Vorläufig wird sie als Gefangene streng bewacht. Gegenwärtig sucht Sir Paulet, der Bewacher, in den Gefängnisräumen nach verborgenem Schmuck, der als Bestechungsmittel dienen könnte, und nach geheimen Briefen, durch die Maria Kontakt mit Freunden und Befreiern außerhalb des Gefängnisses und über England hinaus hätte haben können.

2. Auftritt: Maria ist über die Handlungsweise Sir Paulets keineswegs entsetzt. Sie hat mit der Vergangenheit abgeschlossen und bittet Sir Paulet, ihr einen Priester ihrer Kirche zu vermitteln, vor allem aber, Elisabeth einen Brief zu übergeben, in dem sie »um eine Unterredung mit ihr selbst« (V. 169) bittet.

3. Auftritt: Mortimer, der Neffe Sir Paulets, kommt, um dem Onkel zu sagen, dass man ihn suche.

4. Auftritt: In einem langen Gespräch mit ihrer Amme Kennedy blickt Maria auf ihr Leben zurück und bedenkt zugleich ihre Situation. Maria hatte in der Tat nach dem Tod ihres ersten Mannes, Franz II. von Frankreich, Ansprüche auf den englischen Thron erhoben; sie hatte dann als Königin von Schottland ihren Vetter Lord Darnley geehelicht, der mit ihrem Wissen ermordet wurde; den mutmaßlichen Mörder Bothwell hatte sie in dritter Ehe geheiratet. Sie war nach England geflohen, als sich der schottische Adel gegen sie erhoben hatte. Maria trägt moralisch an ihrer Schuld, obwohl ihr vonseiten der Kirche vergeben wurde. Sie bestreitet allerdings, dass England juristisch befugt sei, ihr als Königin den Prozess zu machen.

5. und 6. Auftritt: Mortimer kommt in das Gefängnis-Zimmer zurück, bittet darum, Maria allein sprechen zu können, und offenbart sich ihr als Abgesandter ihres Onkels, des Kardinals von Lothringen; er eröffnet ihr, sie retten zu wollen. Glaubwürdig legt er dar, dass er in Frankreich, Italien und Rom neue Eindrücke gewonnen habe. Er habe den Glauben und die Seiten gewechselt, spiele indes am englischen Hof die alte Rolle weiter, um desto schneller und sicherer die Rettung Marias betreiben zu können. Die Zeit dränge, da das Todesurteil über Maria gefällt sei und die Vollstreckung bevorstehe. Maria, deren letzte Hoffnung bisher darin bestand, von Leicester, ihrem einstigen Verehrer, gerettet zu werden, billigt den Rettungsplan Mortimers unter der Bedingung, dass sich Mortimer mit Leicester abspreche, und gibt ihm ein Schreiben an Leicester mit.

7. Auftritt: Das Gespräch wird abgebrochen, als sich Lord Burleigh ankündigt, der das Gerichtsurteil überbringt. Maria legt dar, dass dieses Gericht nicht befugt gewesen sei, über sie zu urteilen. Außerdem macht sie auf eine ganze Reihe von Formfehlern im Prozess aufmerksam. Nicht einmal die Tat, deretwegen sie angeklagt sei – »Tumult im Königreich« (V. 850) –, sei ihr nachgewiesen worden. In Wahrheit gehe es nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern um Macht: »Ich bin die Schwache, sie die Mächt’ge« (V. 961); und: »Ermorden lassen kann sie mich, nicht richten!« (V. 971).

8. Auftritt: Lord Burleigh ist nicht unbeeindruckt von der Argumentation Marias. Er sucht nach einer glatten Lösung, Maria ohne Aufsehen zu beseitigen, und will Sir Paulet veranlassen, Maria im Gefängnis umzubringen oder umbringen zu lassen. Das ist jedoch gegen dessen Ehre: »Kein Mörder soll sich ihrer Schwelle nahn […]« (V. 1065).

Zweiter Aufzug

1. Auftritt: Im Palast von Westminster spricht man über die Festlichkeiten, die anlässlich des diplomatischen Besuchs einer französischen Delegation am englischen Hof stattfanden.

2. Auftritt: Während eines Empfangs versuchen der französische Botschafter Graf Bellievre und der Gesandte Graf Aubespine Königin Die Situation der ElisabethElisabeth eine verbindliche Antwort auf das Heiratsangebot des französischen Königssohns zu entlocken. Elisabeth ist sich bewusst, dass ihr Volk sie verheiratet sehen möchte, damit die Nachfolgefrage gesichert sei. Da sie jedoch am liebsten als »jungfräuliche Königin« (V. 1160) in die Geschichte eingehen möchte, schiebt sie eine Entscheidung hinaus.

3. Auftritt: Im Staatsrat wird diskutiert, wie mit Maria nach der Verkündigung des Gerichtsurteils zu verfahren sei. Lord Burleigh empfiehlt, möglichst schnell den Vollstreckungsbefehl zu unterzeichnen und ausführen zu lassen. Der Graf von Shrewsbury hält die Hinrichtung für »ein ungerechtes Mittel« (V. 1317) und plädiert für »Barmherzigkeit« (V. 1359). Graf Leicester argumentiert politisch. Mit der Empfehlung »Sie lebe – aber unterm Beile« (V. 1452) möchte er erreichen, dass England einerseits vor Maria und ihren Anhängern sicher sei, dass andererseits von niemandem eine Anklage gegen England wegen Königsmords erhoben werden könne. Elisabeth will die »Gründe prüfen / Und wählen, was das Bessere mir dünkt« (V. 1458 f.).

4. Auftritt: Als Sir Paulet und sein Neffe Mortimer zu den Beratenden treten, lässt sich Elisabeth von Mortimer über die Situation am französischen Hof berichten. Von Paulet erhält sie jenen Brief ausgehändigt, den Maria ihrem Wächter übergab und in dem sie um eine Unterredung mit Elisabeth bittet. Burleigh ist strikt gegen ein Treffen der Königinnen. Shrewsbury möchte diese »Gnade« (V. 1521) gewährt sehen; und auch Leicester hält es »der großen Seele der Elisabeth« (V. 1565) für würdig, die Bitte zu erfüllen.

5. Auftritt: Sobald Elisabeth mit Mortimer allein ist, gibt sie diesem gegenüber zu, dass sie »die eigne Hand vom Blute rein behalten« (V. 1593) möchte und auf jemanden hofft, der ihr eines Morgens die Botschaft brächte: »Maria Stuart, deine blut’ge Feindin, / Ist heute Nacht verschieden!« (V. 1623 f.). Mortimer nimmt diesen indirekt erteilten Auftrag zum Schein an.

6. Auftritt: In einem Monolog bekräftigt Mortimer, dass er sein Versprechen gegeben hat, um Elisabeth, die »falsche, gleisnerische Königin« (V. 1632), zu täuschen und Maria zu retten.

7. Auftritt: Sir Paulet spürt, dass Mortimer in die Hofintrigen verwickelt wird und warnt seinen Neffen. Als Graf Leicester erscheint, zieht sich Paulet zurück.