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THOMAS BREZINA

KNICKERBOCKER-BANDE
4IMMER

ALTE GEISTER RUHEN UNSANFT

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

1. Auflage

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Minion Pro, Dirty Ego

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Lektorat: Anke Weber

Für Ivo BB

Sein großartiges Motto:
Just do it and believe!

INHALT

DAMALS, ALS ALLES BEGANN …

DER SCHATTEN

ALS DIE VIER ÄLTER WURDEN …

1) PHANTOM AM SESSELLIFT

2) HAI IM SKISTALL

3) MONSTER OHNE SPUREN

4) DAS AUS

5) DAS STRENG GEHEIME PROJEKT

VOR EINEM JAHR

6) DER NEUE BESITZER

7) SILVESTERNACHT DER SCHRECKEN

8) UNGELÖST

HEUTE

9) ANKUNFT MIT ÜBERRASCHUNGEN

10) DOMINIKS VERFOLGER

11) ALBTRÄUME VON DAMALS

12) SPEZIALKLINIK

13) GEISTERTOUR

14) EIN KRIBBELN, WIE FRÜHER

15) FAHRT INS UNGEWISSE

16) EIN NEUER AUFTRAG

17) ANKUNFT MIT SCHRECKEN

18) AUSGESETZT

19) VIER TOTE OHNE LEICHEN

20) EINGESCHLOSSEN

21) WARNUNGEN

22) DOMINIK DENKT NACH

23) POPPI ERZÄHLT

24) VERSCHWUNDEN

25) SPAGHETTI UND BLUT

26) LEBENSGEFAHR

27) VERBOTEN UND WIRKSAM

28) DER RUF

29) BLUTÜBERSTRÖMT

30) VERWUNDERUNG

31) DIE FALLE

32) ANGEBISSEN

33) AUS DEM NEBEL

34) RÜCKKEHR DES GEISTES

35) DIE RÜCKKEHR

36) BAD BOYS

37) EINE VILLA ALS GRUFT

38) SKRUPELLOS

39) ERSTE ENTDECKUNGEN

40) TODESANGST

41) SAM UND LOTTA

42) KIEFERZANGEN

43) DAS LEERE HAUS

44) FLUCHT

45) ENTWICKLUNGEN

46) DER UMSCHLAG

47) WAS JETZT?

48) UNGLÜCKSTAG

49) GROSSE ROLLE

50) ERSCHRECKENDE NEUIGKEITEN

51) SCHNEEGESTÖBER

52) LIZ

53) GEHEIMER ABGANG

54) WELLERS WARNUNG

55) ICH SCHEITERE NIE

56) DIESELDAMPF

57) BLUTIGE PUBLICITY

58) WAHNSINN

59) HÄNDE HOCH

60) VOLLES RISIKO

61) VATERS WORTE

62) NOTRUF

63) BELLADONNA IM PECH

64) KEINE SPUREN

65) SONST VERNICHTE ICH SIE!

66) ANGRIFF AUS DER LUFT

67) MELDEN SIE SICH!

68) TAUCHEN SIE UNTER!

69) DIE ALTE KASSETTE

70) WIE EIN NACKTMULL

71) DER FUND AUF CANON ISLAND

72) DIE PERFEKTE MASKE

73) WEITERE ERKENNTNISSE

74) MÄDCHENGESPRÄCH

75) TIEFER SCHLAF

76) PERFEKT GEPLANT

77) DIE KLIPPEN

78) FÜRCHTERLICHE WAHRHEIT

79) DER LETZTE TEST

80) DAS GEGENMITTEL

81) 4 IMMER

82) FLUCHT AUS VENEDIG

83) AUSSER SPESEN …

84) WIE WAR ES WIRKLICH?

DANKSAGUNG

ÜBER DEN AUTOR

DAMALS, ALS ALLES BEGANN …

DER SCHATTEN

Sie hatten keine Ahnung. Wie auch? Ihr Schatten blieb immer gut verborgen. Aber Axel, Lilo, Poppi und Dominik wurden beobachtet, und das aus einem Grund, den sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätten erahnen können.

Begonnen hatte es damals, als sich die vier bei der Siegerehrung eines Zeichenwettbewerbs kennengelernt hatten. Eine Tiroler Lederhosenfirma hatte Zeichnungen mit den lustigsten Ideen für Knickerbockerhosen gesucht, und die vier hatten gewonnen.

Die Übergabe der Preise fand auf der Bühne im Festsaal eines Hotels in Innsbruck statt. Die langen Sitzreihen waren gefüllt mit Kindern und einigen Eltern. Herr Grassus, der PR-Manager der Lederhosenfirma, hatte die bunten Lederhosen, die Axel, Poppi, Dominik und Lilo gezeichnet hatten, in ihren Größen nähen lassen. Er bat sie, die bunten Hosen anzuprobieren, womit keiner der vier gerechnet hatte.

Doch nicht nur das: Herr Grassus hatte als Teil des Events geplant, dass die vier in ihren Lederhosen vor das Publikum treten. Sonst würden sie ihre Preise nicht bekommen.

Lilos Knickerbocker waren mit einer Berglandschaft bemalt, was noch das Harmloseste war. Axel musste ein himmelblaues Ding mit rosa Flügeln tragen, das er aus purem Übermut so gezeichnet hatte. Ein Bein von Poppis Knickerbockern war gestreift wie ein Zebra, das andere gefleckt wie der Hals einer Giraffe. Dominiks Lederhose hatte an der Stelle des Hosenstalls einen Vorhang, wie im Theater.

Die Kinder im Saal lachten und klatschten. Axel hätte sich vor Scham am liebsten in Luft aufgelöst, Dominik hätte schon eine Versenkung in der Bühne gereicht. Die beiden Mädchen ignorierten das Gelächter, so gut das eben ging.

Bereits vor ihrem Auftritt hatten die vier aber einen Racheplan geschmiedet. Als sich das Publikum beruhigte, bat Dominik um das Mikrofon. Er war es gewohnt, vor Publikum auf der Bühne zu stehen, und kannte daher keine Furcht. Gespannt blickten alle zu ihm hoch und warteten, was er zu sagen hatte.

Dominiks Stimme tönte aus allen Lautsprechern des Saales. »Herr Doktor Grassus, wir alle wünschen uns, dass Sie hier auf der Bühne fünf Minuten lang für uns schuhplatteln.«

Axel, Lilo und Poppi standen neben Dominik und grinsten unschuldig.

Da der Mann die Figur eines Fässchens auf Beinen hatte, versuchte er sich zu drücken, aber Dominik heizte das Publikum zu Sprechchören an. Schließlich blieb dem schwitzenden Herrn Grassus nichts anderes übrig, als den Wunsch zu erfüllen. Die Band, die die Preisverleihung musikalisch untermalte, spielte einen zünftigen Volkstanz, und Herr Grassus musste beginnen. Mit den dicken Armen erreichte er kaum seine Schuhsohlen und sah aus wie ein kaputtes Aufziehspielzeug.

Aus lauter Zorn nannte er die vier zum Abschied eine elende »Knickerbocker-Bande«.

So war ihr Name geboren worden. Damals waren sie Freunde geworden. Damals hatten sie gemeinsam eine Woche Skiferien in Tirol verbringen dürfen. Damals hatten sie das Rätsel um das Schneemonster gelöst. Es war ihr erster Fall von vielen gewesen.

Sie wurden zu einem Team, das durch dick und dünn ging. Irgendwann hörten sie auf, die Abenteuer zu zählen, die sie erlebt hatten und die sie von eisigen Fjorden in Norwegen bis in den Regenwald Südamerikas geführt hatten.

Damals bei der Preisverleihung war ihr Schatten irgendwo im Publikum gesessen. Damals hatte er sie zum ersten Mal gesehen. Es war purer Zufall gewesen, weil er aufgrund des starken Schneefalls an diesem Tag im Hotel geblieben war.

Als kurze Zeit später in den Zeitungen der erste Bericht über die Knickerbocker-Bande und über den Fall mit dem Schneemonster erschienen war, hatte er seinen Plan gefasst und ihn sofort in die Tat umgesetzt …

ALS DIE VIER ÄLTER WURDEN …

1) PHANTOM AM SESSELLIFT

Irgendetwas stimmte nicht.

Dieses Gefühl hatte alle vier Knickerbocker in letzter Zeit beschlichen, aber keiner von ihnen redete darüber, weil sie sich ein wenig dumm vorkamen.

Lilo war ein Phantom begegnet. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem Phantom der Schule, dem die Knickerbocker auf die Spur gekommen waren. In der Vergangenheit hatte das Phantom Lilo nur in ihren Träumen verfolgt und sie zu Albträumen gemacht. Nun aber war es ihr bei Tag begegnet und an einem Ort, an dem sie es niemals erwartet hätte.

Wie damals hatte das Phantom diese weiße Maske getragen, die nur eine Hälfte des Gesichts verdeckte. Die andere Hälfte hatte weder Fleisch noch Haut, sondern war nur der bleiche Knochen eines Totenschädels.

Das Phantom war auf einmal neben Lilo im Sessellift gesessen. Sie hatte den sonnigen Wintertag für ein paar schwungvolle Abfahrten genutzt und war allein unterwegs gewesen. Am späten Nachmittag nahm sie ein letztes Mal den Sessellift zum Hochsaukaser. Es war ein Viererlift, aber Lilo war die Einzige auf der langen Sitzbank. Auf halbem Weg zur Station hatte sie neben sich eine Bewegung gespürt. Als sie den Kopf drehte, sah sie das Phantom. Es war mit einem schwarzen Umhang bekleidet, unter dem das blutrote Futter hervorleuchtete, und grinste sie von der Seite an. Lilo überwand den ersten Schreck schnell, in ihrem Kopf begann es sofort zu arbeiten.

Wie war das Phantom auf den Sitz neben ihr gekommen? Selbst Lilo, genannt Superhirn, hatte keine Erklärung dafür. Sie warf einen sehr schnellen Blick nach hinten auf den nächsten Vierersessel. Er war unbesetzt. Vor ihr schwebte ein turtelndes Liebespaar den Berg hinauf.

Das Phantom gab keinen Ton von sich. Es zeigte nur eine Reihe dunkler Zähne.

»Was … wer … wer sind Sie?«, fragte Lilo.

Kein Wort. Lilos Hand schnellte vor. Mehr reflexhaft griff sie nach dem Mantel. Ihre Hand spürte aber nichts. Sie griff nur Luft. Ungläubig wedelte sie mit den Fingern, die in einem Skihandschuh steckten und durch den Körper des Phantoms geglitten waren.

Auch wenn sie in den vergangenen Jahren schon einigen höchst unheimlichen Spukgestalten gegenübergestanden war, jagte das Phantom Lilo immer noch eine Gänsehaut über den Rücken.

»Was … was wollen Sie?«

Noch immer grinsend richtete das Phantom den Blick nach oben zur Station. Es riss den rechten Arm hoch und warf den Mantel über sich. Gleichzeitig löste es sich auf und war verschwunden. Vor Schreck hätte Lilo beinahe vergessen auszusteigen. Ihretwegen musste der Liftwart den Lift anhalten.

»Du starrst, als hättest du einen Geist gesehen«, spottete er.

Stimmte das? Sah sie wirklich Gespenster? Früher hätte sie den anderen sofort aufgeregt davon berichtet, aber jetzt war das anders. Sie fühlte sich irgendwie dumm, und darauf hatte sie keine Lust.

Es war aber nicht nur Lilo so gegangen. Dominik hatte fast zur gleichen Zeit ein ähnliches Erlebnis gehabt. Er hatte wieder einmal eine Rolle am Theater bekommen: In dem neuen Musical Tanz der Vampire spielte er den Schüler Alfred, der gemeinsam mit einem schrulligen Vampirforscher nach Transsilvanien reist und dort einige »blutige« Begegnungen hat. Die Proben waren anstrengend, und vor allem musste Dominik an den meisten Tagen gleich nach der Schule ins Theater.

In den langen, kahlen Gängen des Theaters hatte er sie zum ersten Mal gesehen: die rote Mumie. Sie sah der Mumie, die die Knickerbocker-Bande in Ägypten in Angst und Schrecken versetzt hatte, verblüffend ähnlich. Völlig unerwartet hatte sie den Kopf aus einer Tür gestreckt und war dann gleich wieder verschwunden.

Nach einer Schrecksekunde war Dominik zu der Tür gelaufen und hatte sie einfach aufgerissen. Ihm gegenüber stand Alina, die Schauspielerin, die eine Magd spielte. Sie musterte ihn mit leicht zur Seite geneigtem Kopf.

»Falsche Tür«, sagte sie.

Dominik lief knallrot an. Er stand im Türrahmen der Damentoilette.

»War hier nicht gerade … eine rote Mumie?«

Alina lachte los. »Scherz, was? Wir spielen Tanz der Vampire, nicht Die Rache der Mumie.« Sie lachte, als wäre es der beste Scherz, den sie seit Langem gehört hatte.

Natürlich stellte Dominik keine weiteren Fragen und machte auch keinen Versuch, die Toilette zu untersuchen. Er hoffte nur inständig, Alina würde den anderen Mitwirkenden nichts erzählen, weil er keine Lust hatte, dass sie sich über ihn lustig machten.

Am selben Nachmittag hatte Dominik eine schwierige Tanzszene geprobt. Er musste dabei mit ausgestreckten Armen wie ein Kreisel über die Bühne fegen. Als er nahe am Orchestergraben wirbelte, tauchte die rote Mumie aus dem Dunkel der hinteren Bühne auf, die bandagierten Arme nach ihm ausgestreckt. Hinter den Stoffbinden glühten giftgrüne Augen auf, die dünne Strahlen auf ihn schleuderten.

Erschrocken geriet Dominik ins Stolpern. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings über die Bühnenkante. Zum Glück war der Orchestergraben mit einem Netz überspannt, das ihn auffing und vor einem schlimmen Aufprall bewahrte.

Assistenten kamen und halfen ihm aus dem Netz. Als Dominik zur Bühne hochblickte, war dort keine Spur von einer Mumie.

Die Choreografin, eine schnippische junge Frau, erschien. »Morgen und übermorgen Extraübungsstunden. Du drehst den Kopf zu stark mit, und deshalb wird dir schwindlig.«

»Es war wegen der Mu…« Dominik brach mitten im Satz ab. Schlagartig wurde ihm klar, dass außer ihm niemand eine Mumie gesehen hatte.

Hatte er sich alles nur eingebildet? Lag es am Stress? Dominik suchte fieberhaft nach einer Erklärung. Es musste mit dem Druck zusammenhängen, dem er derzeit durch die Doppelbelastung von Schule und der Arbeit am Theater ausgesetzt war, sagte er sich.

Weil die »Mumie« sich an den folgenden Tagen nicht mehr zeigte, behielt er die unheimliche Begegnung für sich. Er versuchte, sie zu verdrängen, aber an dem Tag, an dem das Eismonster auftauchte, kam die Erinnerung sofort zurück.

2) HAI IM SKISTALL

Lilos Vater hatte die vier zu einem Skiwochenende nach Hochgurgl in die Tiroler Berge eingeladen.

»Ich freue mich schon auf die Knickerbocker-Bande«, hatte er strahlend zu Lilo gesagt.

Früher wären Axel, Lilo, Poppi und Dominik bei der Aussicht auf ein Wochenende in einem schicken Hotel hoch oben in den Bergen begeistert gewesen. Früher hätten sie es kaum erwarten können, die weißen Hänge hinunterzuschwingen.

Aber es war einfach nicht mehr wie früher. Dominik wollte eigentlich lieber auf eine Party gehen, Poppi hatte da diesen jungen Tierpfleger im Zoo kennengelernt, der mit ihr ins Kino wollte, und Axel war von Freunden aus der Schule eingeladen worden, ein paar neue Computerspiele auszuprobieren. Zum fröhlichen Herrn Schroll konnte man aber nicht Nein sagen, und daher hatten alle die Einladung angenommen.

Frau Monowitsch brachte ihre Tochter mit dem Auto. Wie immer versorgte sie Poppi mit einem Schwall an Ermahnungen, obwohl sie jede Hoffnung aufgegeben hatte, dass Poppi etwas davon beachten würde.

Als sie aus dem dunkelgrünen Sportwagen ihrer Mutter stieg, wurde Poppi sofort von einem Hoteldiener begrüßt. Er übernahm ihren Koffer und ihre Ski. Ihre schicke Lederhandtasche drückte Poppi an sich, als hätte sie Sorge, der Hoteldiener könnte sie ihr entreißen.

Die Halle hinter der Glastür strahlte mit viel Holz, einem offenen Kamin und Bauerntischen Tiroler Behaglichkeit aus. Der ausgestopfte Bär an der Wand gefiel Poppi aber gar nicht. Tiere sollten leben. Sie beschloss, dem Hoteldirektor ihre Meinung zu sagen.

Poppi ging zur Rezeption und fragte nach Herrn Schroll. Er war noch nicht angekommen. Von ihren Freunden war auch noch keiner im Hotel. Die Frau im Dirndl, die die Gäste freundlich begrüßte, schlug ihr vor, sich in die Hotelhalle zu setzen und ein Getränk zu bestellen.

In der Halle war einiges los. Die Skifahrer waren von den Pisten zurückgekehrt und feierten Après-Ski. Poppi wählte einen kleinen Tisch möglichst weit entfernt von dem ausgestopften Bären und bestellte beim Kellner, der hektisch zwischen den Gästen herumschwirrte, ein Glas Holunderlimonade.

Während sie an der Limonade nippte, wurde sie das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Sie drehte sich vorsichtig um und blickte über ihre Schulter.

An einem Tisch hinter ihr saß eine Gruppe lärmender junger Leute, die sich wild zuprosteten. Poppi sah sie prüfend an, erblickte aber niemanden, den sie kannte. Es starrte auch keiner. Sie musste sich getäuscht haben. Aber nur kurze Zeit später spürte sie erneut die bohrenden Blicke im Rücken. Wieder drehte sie sich nach hinten, und wieder konnte sie niemanden ausmachen. Niemand drehte sich schnell weg. Niemand senkte ertappt den Kopf. Niemand starrte.

Irgendwie seltsam, dachte Poppi. Sie stand auf und wechselte den Tisch. Aber auch dort wurde sie den Eindruck nicht los, jemand hätte sie im Auge. Ihr wurde die Sache unheimlich, allerdings zweifelte sie auch ein wenig an sich selbst. Vielleicht spielte ihr da wieder ihre alte Angst einen Streich, weil ihre Freunde noch nicht angekommen waren und sie ganz allein herumsaß.

Ein wenig Gesellschaft hatte sie aber ohnehin: In ihrer Handtasche trug sie keine Schminksachen, sondern ihre Lieblingsratte Cleopatra. Irgendein Tier ihres Minizoos begleitete Poppi immer.

Als Nächstes traf Axel ein. Er war mit dem Zug bis Innsbruck gefahren und hatte dann den Hotelbus genommen. Er winkte Poppi fröhlich zu, verschwand aber gleich wieder, um sich der Unterbringung seiner Ski zu widmen. Seine neuen Ski waren sein ganzer Stolz, und er wollte sie noch wachsen. Ihm wurde angeboten, die kleine Werkstatt zu benutzen, in der die Ski der Hotelgäste von Mitarbeitern präpariert wurden.

Nachdem Axel die Ski auf zwei Böcke gelegt hatte, sah er sie zum ersten Mal: Es war eine eisblaue Gestalt mit drei Augen und dem Maul eines Hais. Sie glotzte ihm von einem Plakat an der Wand entgegen. Als er verwundert den Kopf schüttelte und die Augen kurz zupresste, war sie noch immer da.

Vorher war etwas anderes auf dem Plakat zu sehen gewesen. Davon war Axel überzeugt. Es war etwas Freudiges gewesen, Schnee in der Sonne oder so.

Das Wesen verzog das Maul zu einem bösartigen Grinsen. Die vielen spitzen Zähne blitzten kurz auf. Axel bewaffnete sich mit dem Bügeleisen, das er zum Wachsen verwendete, und trat näher an das Monster an der Wand heran. Es lachte lautlos auf, und im nächsten Augenblick war es fort. An seiner Stelle stand ein schneebedeckter Holzstoß in der Wintersonne. Das Poster warb für Winterurlaub in Hochgurgl.

Der Hafenhai fiel Axel ein. Er erinnerte sich mit Schaudern an diesen Fall in Hamburg. Die Augen des Monsters hatten aber eher etwas von dem eiskalten Troll in Norwegen – auch ein Fall der Bande.

Spinne ich total, fragte sich Axel.

Als er fertig war, fuhr er mit dem Lift in die Lobby nach oben, wo inzwischen auch schon Herr Schroll, Lilo und Dominik mit Poppi auf ihn warteten und ihn begrüßten.

Poppi, die immer schon feine Antennen für Stimmungen gehabt hatte, fühlte eine gewisse Kühle. Irgendwie war die Stimmung nicht so fröhlich wie sonst. Von den »bohrenden Blicken«, die sie zu spüren geglaubt hatte, erwähnte sie nichts.

Der Abend verging schnell. Es gab Fondue, in das Poppi aber nur Gemüsestücke tauchte. Herr Schroll ermahnte alle, rechtzeitig ins Bett zu gehen, um sich gut auszuruhen, da sie am nächsten Tag eine größere Tour vor sich hatten.

Irgendwann in der Nacht wachte Axel auf. Er teilte sich ein Zimmer mit Dominik, der im anderen Bett lag und leise schnarchte. Die Vorhänge waren offen, da die zwei von der aufgehenden Sonne geweckt werden wollten. Die Scheinwerfer, die das Hotel anstrahlten, ließen von draußen einen schwachen Lichtschimmer ins Zimmer fallen.

Axel hielt den Atem an. Sehr langsam richtete er sich auf.

Durch die Glasscheibe der Balkontür starrte das Monster. Drei Augen und das Maul eines Hais. Es begann zu sprechen, langsam und sehr drohend. Seine Stimme wurde durch die Scheibe gedämpft.

»Du kannst mich nicht aufhalten. Deine Freunde auch nicht. Ich werde auf dem Berg zuschlagen und vielen Menschen das Leben nehmen.«

Axel schlüpfte aus dem Bett. Er trug seinen Jogginganzug, weil ihm in der Nacht sonst immer kalt war. Bloßfüßig lief er zur Balkontür und entriegelte sie. Einen Moment lang war er mit dem Hebel beschäftigt und ließ das Monster aus den Augen. Als er wieder hinsah, war es verschwunden.

Energisch riss Axel die Tür auf. Die eisige Luft der Winternacht schlug ihm ins Gesicht. Der Balkon war leer. Axel beugte sich hinaus, wich aber sofort zurück. Der Kopf des Monsters schwang von oben herab, als hätte es sich mit den Füßen irgendwo eingehakt. Das breite Maul wurde aufgerissen, die Haikiefer schnappten nach ihm. Axel holte mit der Faust aus, um dem Monster einen Schlag auf die Nase zu versetzen.

Seine Hand fuhr durch den Kopf durch. Da war nichts. Nur Luft.

In der nächsten Sekunde war das Monster völlig verschwunden. Axel konnte es nirgendwo mehr entdecken. Er rief nach Dominik, der nur höchst widerwillig unter der Bettdecke hervorkam. Bevor er nur einen Schritt machte, schlüpfte er umständlich in seinen bereitliegenden Bademantel.

»Hier … hier ist es gestanden. Ein Monster. Es hat gedroht, dass …«, sagte Axel. Vor Aufregung stotterte er.

Dominik gähnte. Er blickte auf den Balkon hinaus. In den vergangenen Stunden war ein wenig Schnee gefallen. Der leichte Wind hatte die Flocken über das Geländer auf den Holzboden geweht, wo nun eine dünne weiße Schicht lag.

»Hier also ist es gestanden?«, fragte Dominik betont ruhig.

»Ja. Habe ich doch gerade gesagt.« Axel platzte fast vor Wut, weil Dominik so arrogant klang.

»Ich zweifle an deinem Verstand!«

»Soll das heißen, ich spinne?«

Mit einem betont geduldigen Durchatmen deutete Dominik auf die breiten Dielen des Balkonbodens und die unberührte Schneeschicht.

»Bei deiner Beobachtung muss es sich um einen Geist gehandelt haben.«

3) MONSTER OHNE SPUREN

Axel bemerkte das Fehlen der Abdrücke des Monsters erst jetzt und ärgerte sich entsetzlich, weil ihm das nicht aufgefallen war. Erklärung hatte er keine, was ihn noch mehr ärgerte.

Er weckte die Mädchen, die im Zimmer nebenan schliefen. Lilo sah sich die Sache an und knetete wie üblich ihre Nasenspitze. Sie behauptete, das würde ihr Denkvermögen anregen, doch Axel hätte ihr am liebsten die Finger von der Nase weggerissen, weil es ihn so nervte.

»Du hast das wahrscheinlich nur geträumt«, lautete Lilos Meinung.

Axel brüllte los. »Ich habe das nicht geträumt!«

Poppi zuckte erschrocken zusammen. Sie stand in der Verbindungstür zum Mädchenzimmer und streichelte ihre Ratte Cleopatra.

Lilo schloss die Balkontür. Es war genug kalte Luft ins Zimmer gekommen.

»Leute, morgen gehen wir mit meinem Vater Ski fahren. Dafür sollten wir ausgeruht sein. Die Abfahrt ist nicht ohne.«

»Was ist los mit euch? Früher hätten wir sofort das ganze Hotel abgesucht!« Axel blickte von Dominik zu Lilo und von Lilo zu Poppi.

Dominik polierte seine Brille, die sich beschlagen hatte. »Außer dir sieht keiner dieses ›Schneemonster‹.«

»Dann finde ich es eben allein. Ohne euch!« Axel hatte genug von den anderen. »Gute Nacht!« Er kroch zurück unter die Decke und drehte sich weg.

Lilo zuckte mit den Schultern, Dominik zog eine Augenbraue hoch. Poppi war über den Streit unglücklich. Sie hatte es nie ausstehen können, wenn zwischen den vier Freunden Spannungen herrschten.

»Vielleicht hat Axel wirklich etwas gesehen«, sagte sie am nächsten Morgen zu Lilo.

»Poppi, versuch nicht immer, Frieden zu stiften.« Lilo steuerte das Badezimmer an.

»Aber er hat recht: Früher hätten wir nachgeforscht, um mehr über das Monster herauszufinden.«

Lilo schloss die Badezimmertür hinter sich. Sie sperrte ab und drehte den Wasserhahn am Waschbecken auf, weil sie ein paar Minuten nur für sich brauchte.

Was war los mit ihnen?

Axel sah also auch Gespenster, genau wie sie. Sie hatte schon von ihrer Begegnung mit dem Phantom erzählen wollen, aber irgendetwas hatte sie davon abgehalten. Früher wäre das anders gewesen. Axel hatte recht. Es hatte sich etwas verändert.

Eine gewisse Unruhe beschlich Lilo. Es konnte kein Zufall sein, dass Axel und sie auf einmal diese Einbildungen hatten. Vielleicht waren sie einfach zu lange allen möglichen Monstern und Ungeheuern hinterhergejagt, für die es am Ende immer sehr natürliche Erklärungen gegeben hatte. Auf einmal schien es umgekehrt zu sein: Die Spukgestalten jagten ihnen hinterher, wenn auch nur in ihrer Einbildung.

Lilo fiel das Wort ein, das ihr in letzter Zeit einige Male durch den Kopf gegangen war: kindisch. Ihre detektivischen Aktivitäten erschienen ihr auf einmal kindisch.

Axel aber war überzeugt, dass er das eisige Monster mit dem Haifischmaul gesehen hatte. Schloss er die Augen, stand sofort wieder diese Fratze vor ihm. Er war Detektiv, und er blieb es auch.

»Wir sind schließlich Juniordetektive«, erinnerte er Lilo beim Frühstück.

»Ich bin gar nicht ›junior‹«, sagte sie patzig. Axels Gerede regte sie entsetzlich auf, genauso wie seine Art, beim Frühstück Müsli, Früchte, Jogurt, Saft und Marmelade zu einem Brei zu verrühren. Sie hätte ihm am liebsten eine geklebt.

Der Rest des Frühstücks verlief schweigend. Poppi litt, weil die anderen so unfreundlich zueinander waren. Lilo hasste Axel für sein Gefasel von »Juniordetektiven«. Dominik kämpfte mit sich und seiner Begegnung mit der roten Mumie. Auch er schaffte es einfach nicht, den anderen davon zu berichten, weil er sich so lächerlich vorkam.

Axel war sauer. Bevor sie aufstanden, sagte er: »Nur zu eurer Info: Dieses Eismonster hat mich gewarnt, dass es auf dem Berg zuschlagen würde. Es will killen.«

»Ein Killermonster?« Dominik sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Ja. Das hat es gedroht. Es sollen Menschen sterben. Wir können nicht einfach nichts tun.«

»Kannst ja zur Polizei gehen«, riet ihm Lilo.

Natürlich würde ihm dort niemand glauben, weil die ganze Geschichte einfach zu verrückt klang.

Herr Schroll hatte den Hotelpool genutzt und war fünfzig Längen geschwommen. Er strahlte gesund und frisch, als er sich zur Knickerbocker-Bande setzte.

»Der Wetterbericht ist leider nicht gut«, sagte er. »Es wird Schnee erwartet.« Die Wolken draußen hingen tief und waren dunkelgrau. »Wir könnten heute im Hotel bleiben und erst morgen Ski fahren.«

Damit war Axel nicht einverstanden. Er wollte auf den Berg hinauf und sich dort umsehen. Vielleicht ließ sich dieses Monster wieder blicken. Vielleicht kam er ihm diesmal auf die Spur. Wenn er auch nur den kleinsten Beweis finden konnte, würden die anderen ziemlich dumm aus der Wäsche schauen.

»Versuchen können wir es doch, vielleicht wird das Wetter besser«, sagte er.

Herr Schroll ließ sich leicht überreden. Lilo schloss sich ihnen an. Sie wollte Axel nicht allein lassen, da er zu leichtsinnigen Aktionen neigte. Dominik und Poppi zögerten noch, kamen dann aber auch mit.

Während sie mit der Gondel zur Bergspitze schwebten, fielen jedoch bereits die ersten Flocken. Statt heller wurde es düsterer. Wind und Schnee ließen die Konturen der Landschaft verschwinden. Oben vor der Bergstation wurden sie von einem eisigen Pfeifen und Brausen erwartet. Der Wind peitschte ihnen Schneekristalle ins Gesicht, die sich wie Nadelstiche anfühlten.

»Wir könnten bis zur Mittelstation fahren und dann überlegen, wie wir weitermachen«, schlug Lilos Vater vor. Er musste seine Stimme erheben, um sich gegen den Lärm des Schneesturms durchzusetzen.

»Ich fahre dicht hinter Ihnen«, sagte Poppi, die Angst hatte und es nicht zugeben wollte.

»Dort ist es … es rennt … ich habe es gesehen!«, brüllte Axel plötzlich und deutete nach links den Hang hinunter. Er setzte die Stöcke ein und fuhr einfach los.

»Halt. Bleib stehen«, schrie ihm Herr Schroll hinterher. »Dort ist ein Lawinenhang. Dort kannst du nicht hin.«

Axel hörte das Wort »Lawinen«, das ihn aber nicht stoppte. Ganz im Gegenteil: Der Hang könnte das Ziel dieses Wesens sein. Vielleicht wollte es Lawinen auslösen, die das Leben vieler Menschen in Gefahr brachten.

»Ich muss ihn aufhalten.« Herr Schroll sprang in die Bindungen und folgte Axel.

»Er spinnt. Der Stummel spinnt!«, rief Lilo.

Dominik glaubte, sich verhört zu haben. Jeder wusste, wie wild Axel dieser Spitzname machen konnte. Wieso nannte ihn Lilo so?

»Vielleicht fahrt ihr besser mit der Gondel hinunter«, sagte Lilo zu Dominik und Poppi. »Ich muss Papa helfen.«

Sie wartete die Antwort von Dominik und Poppi nicht ab, sondern fuhr ihrem Vater hinterher.

Lilo war eine sehr erfahrene Skifahrerin und fand selbst in dem diffusen Licht, das die höchsten Schneebuckel flach erscheinen ließ, ihren Weg, ohne zu stürzen. Sie fuhr in die Richtung, die Axel eingeschlagen hatte, konnte aber weder ihn noch ihren Vater sehen.

Vor ihr tauchte das orangerote Absperrungsband für Lawinenhänge auf. Dahinter machte der Hang einen scharfen Knick nach unten.

»Papa!«, schrie sie aus Leibeskräften. Sie wartete, aber ihr Vater meldete sich nicht zurück. Wahrscheinlich hörte er sie nicht.

Sollte sie ihm nach?

War Axel hier gefahren? Hatte er die Absperrung einfach nicht beachtet? Lilo traute ihm das sofort zu. Axel konnte völlig verantwortungslos sein, wenn er sich etwas einbildete.

Sie rief noch ein paarmal aus Leibeskräften nach ihrem Vater. Dann auch nach Axel.

»Lilo!« Axels Stimme kam von weiter oben.

»Hier bin ich!« Sie winkte mit den Stöcken.

Aus dem wilden Schneetreiben tauchte Axel auf. Er schwang neben ihr ab.

»Wieso bist du hier?«, fragte Lilo.

»Ich fahre doch nicht in einen abgesperrten Hang hinein. Ich bin langsam an der Absperrung entlang herunter.«

»Mein Vater muss hier irgendwo sein. Er wollte dich aufhalten.«

Ein Dröhnen und Donnern drang durch das Tosen des Windes. Es war ein Donnern, das Lilo von Skitouren mit ihrem Vater kannte. Aus sicherer Entfernung war die Ursache des Donners ein Naturspektakel der besonderen Art.

An diesem Tag aber war die Entfernung nicht sicher. Jedenfalls nicht für ihren Vater.

»Papa! Pass auf!«, brüllte sie so laut, dass es in ihrem Hals einen Stich machte. Ihr blieb die Stimme weg. Axel sprang für sie ein und schrie nach Herrn Schroll. Er schrie immer weiter, auch als das Donnern verebbte. Er schrie durch den Sturm, bis er heiser war.

4) DAS AUS

Der Sturm legte sich erst in der Nacht.

Am nächsten Morgen rissen Nebel und Wolken auf, und die Sonne kam hervor. Sie beschien eine weiße Wunderlandschaft, in der der frisch gefallene Schnee glitzerte.

An diesem Morgen war für die Knickerbocker-Bande endgültig nichts mehr so, wie es so lange Zeit gewesen war. Sie standen in der kleinen Klinik auf dem Berg, in der den ganzen Winter lang gebrochene Arme und Beine verarztet wurden.

Poppi zitterte innerlich. Es machte sie halb krank, die steinernen Gesichter der anderen ansehen zu müssen. Ihre Mutter würde bald da sein und sie abholen. Wie immer wäre es Poppis sehnlichster Wunsch gewesen, alle miteinander zu versöhnen, aber sie ahnte, dass es diesmal nicht möglich sein würde. Weil sie die angespannte Stimmung kaum aushielt, wünschte sie sich einfach nur weit weg von hier.

Dominik wollte ebenfalls nur eines: fort! Auch seine Eltern würden hoffentlich bald eintreffen und ihn mitnehmen. Die Fahrt von Wien dauerte aber lang, und laut Verkehrsfunk gab es überall Stau.

Axel war im Gesicht weiß wie die Wand, an der er lehnte. Abwechselnd musste er an das Eismonster denken, oder was auch immer es gewesen war, und an Herrn Schroll. Die Stunden oben auf dem Berg erschienen ihm wie ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab.

Aber es war nicht seine Schuld. Er hatte doch nur ein Unglück verhindern wollen.

Lilo war nicht mehr die Lilo, mit der die anderen so viele Fälle gelöst hatten. Sie wirkte schlagartig um Jahre älter und hatte einen bitteren Ausdruck im Gesicht. Ihre Lippen bebten, wenn sie redete. Ihre Mutter, die noch in der Nacht eingetroffen war, stand neben Lilo, hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und versuchte, sie zu beruhigen. Aber es gelang ihr nicht.

»Ich will euch nie wieder sehen.« Lilo sprach leise, aber sehr bestimmt.

»Sag so etwas nicht, Lilo. Du musst dich beruhigen.« Ihre Mutter lächelte den anderen zu. Es war ein sehr gequältes Lächeln.

»Ich will euch nie wieder sehen!«, wiederholte Lilo.

»Lilo, bitte«, begann Poppi.

»Nein!« Nicht einmal ihre beste Freundin konnte Lilo besänftigen. »Ich hasse euch alle. Ich hasse euch.«

»Jetzt ist Schluss«, sagte Frau Schroll entschieden.

Die Bande stand mit Lilos Mutter auf dem Gang der Klinik vor der Tür, hinter der sich Lilos Vater befand.

Dominik musste etwas sagen. Er konnte nicht länger nur dastehen. »Lilo, wir sind alle genauso geschockt wie du. Aber es war ein Unfall, für den niemand …«

»Halt die Klappe!« Lilos Augen funkelten zornig. »Deine Klugscheißerei habe ich nie ausgehalten.«

»Kinder, bitte, geht jetzt alle«, versuchte Frau Schroll, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. »Wir sprechen morgen miteinander.«

»Ich rede nie wieder mit euch! Es ist eure Schuld! Verschwindet. Ihr … das alles … die Bande … das war das Dümmste, das ich im Leben getan habe. Ich hasse euch.«

Lilo rannte davon und verschwand in der Toilette.

»Sie meint das nicht so, aber …« Frau Schroll kam nicht weiter. Die Tür zum Krankenzimmer ging auf, und ein Arzt trat heraus. Er blickte sehr ernst. »Wir haben den Notfallhubschrauber gerufen.« Frau Schroll folgte ihm sofort wortlos in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Dominik, Poppi und Axel standen stumm da. Es war etwas zerbrochen, und alle drei fühlten eine nie da gewesene Leere. Axel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, ließ es dann aber bleiben. Er wollte auch nur noch fort und nach Hause zu seinem Vater. In einer Stunde würde ihn der Hotelbus nach Innsbruck zum Bahnhof bringen.

»Wir … also ich muss zusammenpacken.« Dominik nickte den anderen nur zu.

Axel murmelte etwas davon, dass er sich um seine Ski kümmern müsse. Poppi lief zu ihm und drückte ihn kurz. Sehr steif ließ Axel es mit sich geschehen, dann verschwand er.

Poppi blieb allein zurück. Als Lilo endlich aus der Toilette kam – an ihren roten Augen war zu erkennen, dass sie geweint hatte –, wollte sie nicht mit Poppi reden. Sie verabschiedete sich mit gezwungener Freundlichkeit.

»Wir telefonieren gleich morgen«, schlug Poppi vor.

Lilo nickte, aber es wirkte so, als würde sie es nur tun, um Poppi glücklich zu machen.

Am nächsten Tag wartete Poppi auf ihren Anruf. Aber er kam nicht. Ihre Mutter riet ihr zu Geduld, da Lilo unter Schock stand. Auch am übernächsten Tag meldete sich Lilo nicht. Poppi rief bei ihr zu Hause an, doch niemand hob ab.

Sie telefonierte mit Dominik und Axel, aber keiner der beiden hatte etwas von Lilo gehört.

»Ich bin der Letzte, den sie anrufen würde«, sagte Axel bitter.

Tage vergingen und wurden zu Wochen. Dominik sah keine roten Mumien mehr, Axel blieb von dem Monster mit dem Haimaul verschont. Poppi spürte keine Augen mehr im Rücken.

Die Knickerbocker-Bande war zerbrochen und das Abenteuer vorbei.

Geblieben war ein seltsames Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Es war da ein Rätsel geblieben, das zu lösen gewesen wäre.

Doch es war zu spät. Aus den besten Freunden waren Fremde geworden, die sich nichts mehr zu sagen hatten.

Als der Rettungshubschrauber abhob und Richtung Krankenhaus Innsbruck flog, stand jemand auf der Terrasse des Hotels und überlegte kurz, ob seine Pläne noch irgendwie zu retten waren oder begraben werden mussten.

Die starrenden Augen, die Poppi gefühlt hatte, gab es wirklich. Der harte Blick gehörte einem messerscharfen Beobachter. Mitgefühl gehörte nicht gerade zu seinen Stärken, trotzdem empfand er in diesem Moment Bedauern über die Entfremdung von vier so großartigen und talentierten Freunden.

Was würde nun weiter mit ihnen geschehen? Gab es die Chance, dass sie nach einigen Wochen oder Monaten wieder zusammenfinden würden?

5) DAS STRENG GEHEIME PROJEKT

Sein Deckname lautete »Prot«. Es war ein alberner Name, der keine Bedeutung hatte und auch keine haben sollte.

Prot war eine Abkürzung, damit sie einander ansprechen konnten.

Seine Kollegin hatte den Decknamen »Tin«. Auf Englisch bedeutete das Konservendose, aber das war nicht persönlich gemeint.

Prot war Ende dreißig, Tin ein wenig jünger.

Sie teilten sich den Arbeitsraum in dem anonymen, sterilen Bürohaus. Niemals kamen sie gleichzeitig oder gar gemeinsam. Prot begann seinen Dienst immer eine halbe Stunde vor Tin. Mit dem Lift fuhr er aus der Tiefgarage hoch, damit Tin niemals sah, in welchem Wagen er kam. Seine wahre Identität anhand seiner Nummerntafel herauszufinden, war damit unmöglich.

Umgekehrt aber war es nicht viel anders. Prot wusste von Tin nur, dass sie ständig mit ein paar Kilos zu viel auf den Hüften kämpfte und sich deshalb von Dingen ernährte, die wie gebratene Sägespäne aussahen.

Sie begegneten einander auf einer streng geschäftlichen Basis. Der eine Teil ihres Auftrags bestand aus Recherchetätigkeiten. Sie erarbeiteten Konzepte und machten ihrem Auftraggeber Vorschläge, was geschehen könnte. Dazu standen sie ständig mit Leuten in der halben Welt in Kontakt, die ihnen Informationen zur Verfügung stellten. Prot und Tin filterten sie und bereiteten sie für ihren Boss auf. Es war eine kreative Aufgabe, die forderte, aber auch ungeheuer viel Spaß machte.

Der andere Teil ihres Auftrags beinhaltete die Überwachung der Ereignisse und die Protokollierung von Gesprächen. Was immer sie mithören konnten, musste schriftlich festgehalten und an den Boss geliefert werden. Allerdings erfuhren sie nie, welchem Zweck diese Berichte dienten.

Schlagartig wurde ihr Auftrag nun beendet. Der Grund dafür leuchtete ihnen zwar ein, doch sie schlugen dem Auftraggeber vor, von nun an die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Individuen zu richten.

Ihr Auftraggeber lehnte ohne Begründung ab.

Wer er war, wussten weder Prot noch Tin. Keiner der beiden war ihm jemals begegnet. Überhaupt hatten sie niemand anderen getroffen, der an dem ganzen Projekt beteiligt gewesen war. Prot und Tin waren per Anruf angeheuert worden, wobei der Anrufer seine Stimme verstellt oder künstlich verzerrt hatte. Sie hatten den Job angenommen, da die Bezahlung dreimal so hoch war wie bei jeder anderen Stelle, die sie hätten bekommen können.

Das alles war nun auf einmal zu Ende, wie ihnen mitgeteilt wurde. Sie sollten den Raum, in dem sie gearbeitet hatten, verlassen und die Magnetkarten vorher auf den Arbeitstisch legen. Computer und Empfangsgeräte blieben zurück.

Prot war sehr neugierig, wer wohl die ganzen Geräte abholen würde, und lauerte deshalb mehrere Tage lang in der Tiefgarage. Aber es war vergeblich. Als er sich bei der Hausverwaltung nach dem Büro erkundigte, das für ihn fast zu einem zweiten Zuhause geworden war, erfuhr er, dass es wieder vermietet worden sei. Natürlich bekam er keine Auskunft, an wen.

Tin interessierte sich viel mehr dafür, was aus den vieren wurde, die sie unter den Decknamen Bax, Mo, Que und En führten (es waren jeweils die auf ihren Anfangsbuchstaben folgenden Buchstaben des Alphabets, versehen mit anderen weiteren Buchstaben).

Nach dem Abbruch des Projekts hatte sie keine Verbindung mehr zu ihnen, wie auch. Natürlich hätte sie versuchen können, die Beobachtungen auf eigene Kosten fortzusetzen und sie heimlich zu beobachten. Erstens aber war das praktisch unmöglich, da sie ihre genauen Wohnorte nicht kannte, und zweitens erhielt Tin eine anonyme Warnung, sich fernzuhalten. Die Warnung enthielt eine Drohung, die das Leben ihres geliebten Hundes Cliff betraf.

Viele Jahre später beschäftigte sie aber immer noch die Frage, wozu das Forschungsprojekt von damals wirklich gut gewesen war. Es war einzigartig und hatte in ihrem Leben ein riesiges Fragezeichen hinterlassen.

Zwanzig Jahre später sollte sie die Möglichkeit für eine Erklärung erhalten …

VOR EINEM JAHR

6) DER NEUE BESITZER

Es war eine elegante Jacht, die vor Canon Island ankerte. Ihr Name, der in Messingbuchstaben am Heck des Aufbaues angebracht war, lautete Sokratina.

Die Jacht blieb drei Tage lang. In einem Motorboot, das im Rumpf mitgeführt wurde, fuhr der Kapitän persönlich den Besitzer der Jacht mehrere Male zu der felsigen kleinen Insel.

Canon Island hatte etwas von einem schlafenden Ungeheuer, das nur darauf wartete, endlich wieder geweckt zu werden. Viele Jahre lang hatte der breite Felsen wenig Beachtung gefunden.

Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer der Jacht lagen verschiedene Unterlagen über die Insel. Der Prospekt des Maklers, der sie zum Kauf anbot, schilderte Canon Island so:

»CANON ISLAND

EINE INSEL MIT GESCHICHTE

EIN ORT DER BESONDEREN ART

Einst nur von Möwen und anderen Seevögeln als Raststation genutzt, diente sie Sir Edmund Hilgard zur Erfüllung eines Kindheitstraums: Im Jahre 1860 ließ er darauf eine kleine Festung errichten. Sie wurde nach Zeichnungen aus einem Abenteuerroman über Piraten in der Karibik geplant und gebaut. Der Wehrturm bot Platz für drei Kanonen, die Sir Hilgard jedes Jahr zu seinem Geburtstag im Juni und zu Neujahr abfeuern ließ. Sie gaben der Insel den Namen Canon Island – die Kanoneninsel.

Das Schießpulver, das zu diesem Zweck im Erdgeschoss des Turmes aufbewahrt wurde, explodierte 1868 nur einen Tag vor dem Geburtstag des Besitzers. Die Ursache konnte nie geklärt werden.

Gerüchte behaupteten, es wäre die Rache einiger Männer gewesen, die Sir Hilgard beim Kartenspielen betrogen haben soll.

Die Mauern der Festung wurden bei der Explosion gesprengt. Durch einen glücklichen Zufall hatte sich zu diesem Zeitpunkt niemand auf der Insel befunden.

Sir Hilgard setzte danach keinen Fuß mehr auf Canon Island.

Erst 1982 kehrte einer seiner Nachfahren zurück: Raymond Hilgard fand Gefallen an der Insel und gab noch im selben Jahr den Bau einer kleinen Villa in Auftrag.

Die Villa geriet später durch eine bis heute ungeklärte Bluttat in die Schlagzeilen. Die genauen Hintergründe und der oder die Täter konnten niemals ausgeforscht werden. Raymond Hilgard war selbst eines der Opfer.

Heute ist die Insel im Besitz der Tierschutzorganisation PAW2000, die sie nach dem Tod des letzten lebenden Mitgliedes der Familie Hilgard geerbt hat. In ihrem Auftrag wollen wir die Insel verkaufen, um mit dem Kaufpreis die Erhaltung des Tierheims von PAW2000 zu gewährleisten.«

Der Besitzer der Jacht war durch Berichte über die ungeklärten Todesfälle auf die Insel aufmerksam geworden. Schnell hatte er herausgefunden, dass sich die Insel bereits seit fünf Jahren auf dem Markt befand und der Preis schon mehrere Male gesenkt worden war.

Das Haus hatte die Form eines Würfels, der stolz, fast ein wenig trotzig, oben auf der Kuppe der Insel thronte. Strandgräser, Kletterpflanzen und niederes Gestrüpp hatten im Laufe der Zeit aber aus Felsspalten zu wuchern begonnen und klammerten sich mit den Wurzeln dort fest. Die einst weißen Mauern waren grau und der Verputz an vielen Stellen abgefallen.

Die Spuren der Bluttat waren schon damals beseitigt worden, nachdem die Polizei ihre Ermittlungen beendet hatte. Stürme und Unwetter hatten aber im Laufe der Jahre die Glasscheiben zertrümmert, und die Scherben lagen nicht nur rund um das Haus, sondern auch in den Zimmern.

Die Räume waren verfallen, die wenigen Möbel hatten Möwen als Nistplätze gewählt, zerfetzt und zerstört.

Was sich hier wohl zum Jahreswechsel 1983/84 ereignet hatte? Der Besitzer der Jacht ging langsam von Zimmer zu Zimmer. Peinlich genau achtete er darauf, wo er seine teuren Sportschuhe aufsetzte. Er ekelte sich vor dem Vogeldreck und anderen unappetitlichen Sachen, die hier herumlagen.

Viele Male hatte er den Polizeibericht von damals studiert und so einen Eindruck der Ereignisse gewonnen. Er hatte auch die zahlreichen Zeitungsausschnitte von damals mehrmals gelesen und zahlreiche Notizen gemacht. Die Aussagen des Bootsführers von damals hatten ihm ein besonders lebendiges Bild gegeben. Immer wieder ließ er sich die Fakten und Aussagen durch den Kopf gehen, und wenn er die Augen schloss, konnte er sie mittlerweile wie einen Film abspulen lassen.

7) SILVESTERNACHT DER SCHRECKEN

Die Insel befand sich etwas mehr als fünfundvierzig Minuten mit dem Motorboot von der Südküste Englands entfernt. Die Stadt, die am nächsten lag, war der berühmte Ferienort Brighton.

In den Wintermonaten war die Felseninsel eisigen Stürmen und meterhohen Wellen ausgesetzt, doch das Gebäude war wind- und wetterfest und trotzte jeder Witterung.

Erbauer Raymond Hilgard hatte beschlossen, das Jahr 1983 gemeinsam mit Freunden in seiner neu errichteten Villa ausklingen zu lassen und dort das neue Jahr zu begrüßen.

Er hatte seine Freundin Liliana zu Gast, eine Musicaldarstellerin aus London. Außerdem seinen Zimmergenossen vom berühmten Eton College, Archie, und einen Mann, dessen wahre Identität niemals gelüftet werden konnte.

Charles Freeman, der Bootsführer, der die Teilnehmer der Silvesterparty zur Insel gebracht hatte, erinnerte sich später an einen sehr seltsamen Namen:

Baron Grimm.

So jedenfalls hatte Archie den Mann beim Besteigen des Bootes angesprochen.

Der Mann war sehr schweigsam gewesen. Wegen des starken Fahrtwindes behielt er seinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Charles Freeman beschrieb den Mann als muskulös mit einem hellblonden Vollbart. Er schätzte ihn auf Ende zwanzig, im gleichen Alter also wie die anderen Gäste. Immer wieder habe er die Melodie eines Hits von damals gepfiffen: »Without a Trace« – »spurlos«.

Es war stürmisch an diesem letzten Tag des Jahres. Erst nach einigen Versuchen gelang es Freeman anzulegen. Raymond Hilgard, der mit seiner Freundin Liliana schon einen Tag zuvor gekommen war, begrüßte seine Gäste am Steg und half ihnen beim Aussteigen. Liliana wartete oben im Haus.

Da der Sturm immer stärker und die Wellen immer höher wurden, wollte Charles Freeman sofort die Rückfahrt antreten. Raymond Hilgard würde ihn anfunken, wenn er die Gäste wieder abholen sollte.

Als Freeman sich im Wegfahren kurz umdrehte, kämpften sich die drei Gestalten durch Regen und Wind geduckt nach oben. Es war das letzte Mal, dass jemand Raymond Hilgard, Archie und Baron Grimm lebendig sah.

Das Wetter der nächsten Tage machte es unmöglich, Canon Island mit dem Boot zu erreichen. Der Wind peitschte das Wasser hoch, die Wellen schäumten, und die Strömungen entwickelten mörderische Kräfte.

Zwei Betrunkene, die beim Brighton Pier zum Jahreswechsel spaßhalber nur ein paar Schritte ins Meer gemacht hatten, wurden vom eisigen Wasser fortgerissen und erst am 2. Januar mehrere Kilometer entfernt an einen Strand gespült. Beide waren ertrunken.

Sturm und Regen wollten nicht aufhören. Charles Freeman sorgte sich um die Leute auf Canon Island, da ihre Vorräte knapp werden könnten. Er versuchte Raymond Hilgard einige Male anzufunken, erhielt aber keine Antwort.

Ob das am Wetter lag? Oder ging Hilgard einfach nicht ans Funkgerät?

Hilgard hatte mit Nachdruck gesagt, ER würde sich bei Freeman melden. Vielleicht war die Sorge also unbegründet.

Am 6. Januar flaute der Sturm endlich ab, und Charles Freeman erwartete nun stündlich den Funkspruch von Raymond Hilgard. Aber das Funkgerät blieb still. Charles unternahm einen neuen Versuch, Kontakt mit ihm aufzunehmen, aber noch immer meldete sich niemand.

Länger wollte Freeman nun nicht mehr warten. Wenn alles in Ordnung war, dann konnte Hilgard über sein ungebetenes Auftauchen im schlimmsten Fall verärgert sein. Das konnte er in Kauf nehmen. Falls aber auf der Insel etwas nicht stimmte, dann wollte er das so schnell wie möglich herausfinden, um sich später keine Vorwürfe machen zu müssen. Er zog sich mehrere Schichten Pullover und Jacken an, deckte sein Boot ab und fuhr los.

Noch immer war die See rau, aber die Sonne brach bereits kurz zwischen den Wolken hervor.

Von Weitem sah Canon Island aus wie immer: ein kahler Felsen mitten im Meer, an den Seiten vereinzelte vom Sturm gequälte und gebogene Büsche und Bäume, oben das Haus im Wintersonnenlicht. Die eisigen Wellen des Meeres zerbarsten an den nackten Felsen. Hoch spritzte die Gischt zum Himmel und wurde vom Wind fortgetragen.

Eine Schar von Möwen kreiste über dem Haus. Laut kreischend ließen sich die Tiere tiefer hinunter und stiegen mit Beute wieder auf. Um das Futter vor ihren Artgenossen zu retten, flogen sie zu den Bäumen oder auf das flache Dach der Villa.

Für einen alten Seebären wie Charles Freeman, der Insel, Steg und Strömungen gut kannte, war es kein großes Problem anzulegen. Er vertäute sein Motorboot sorgfältig und fixierte die Fender, damit die Schiffswand nicht gegen den Steg gestoßen werden konnte. Nachdem er seine blaue Öljacke zugezogen hatte, rückte er noch energisch seine Kappe zurecht.