Otto-Drei-cover.

Toledo2

12. Matt

Die einen verloren in Gefangenschaft den Lebensmut. Andere blühten auf. Während sie nach Toledo zurückkehrten, sang Cixilo in allen Tonarten peinliche Lobeshymnen auf ihren Entführer. Abdelaziz der Heerführer, Abdelaziz der Krieger, Abdelaziz der Schwarzäugige, Abdelaziz der Weise, Abdelaziz der Ehrenhafte, Abdelaziz der wahre Mann. Jedes Mal traf ihn der Name des Eroberers wie ein Dolchstoß. Otto hielt Eifersucht für ein Laster, aber irgendwann riss ihm der Geduldsfaden und er murmelte:

„Soso, da hast du dir also ein paar schöne Stündchen mit Abdelaziz Ben Musa gemacht, während ich voller Sorge um dich im Kerker schmoren musste. Es geht mich nichts an, aber ich rate dir doch, deine Abenteuer für dich zu behalten, wenn wir in Toledo sind.“

Damit war Ruhe. Otto gingen auch genügend andere Dinge durch den Kopf, denn er hatte versagt. Egilo auf den Zinnen musste schon längst gesehen haben, dass er das Gold wieder mitbrachte. Sie überquerten die Brücke und erreichten das Stadttor. Es schwang sofort auf. Dahinter blickte Otto in die niedergeschlagenen Mienen der Belagerten.

„Er wollte das Gold nicht nehmen“, erklärte Otto. „Er hat einfach abgelehnt.“

Gripas schlug vor, die Beratungen in der Wachstube des Torhauses fortzusetzen, wo das Volk nicht mithörte. Egilo stimmte zu, und die Königin, Cixilo, Gripas und Otto begaben sich nach drinnen. Auf dem Weg dorthin ließ sich die Königin von Cixilo versichern, dass ihr nichts fehle.

In der Waffenkammer des Turms berichtete Otto in allen Einzelheiten, was sich zugetragen hatte. Mit stoischer Ruhe hörte die Königin, dass sich Abdelaziz auf nichts einließ und die Kapitulation verlangte.

„Da kann er lange warten“, erwiderte Egilo.

Gripas schloss sich der Königin an. Im Sturm könnten die Sarazenen Toledo niemals einnehmen, an den Mauern bissen sie sich die Zähne aus. Wenn man die Rationen strecke, könne Toledo vier Monate durchhalten. Mindestens! Ob Abdelaziz sein Heer so lange zusammenhalten könne, wolle man doch erst einmal sehen.

Otto erinnerte, dass Abdelaziz immerhin freien Abzug angeboten hatte, den man doch zumindest erwägen möge.

„Ihr wollt davonlaufen? Das überrascht mich nicht“, sagte Gripas verächtlich. „Der Narr geht aus Feigheit in eine Falle.“

„Und wenn es keine Falle ist?“, fragte Cixilo. „Abdelaziz ist ein ehrenhafter Mann.“

„Ehrenhaft?“, blaffte Gripas. „Ausgerechnet Ihr redet von Ehre? Ginge es nach mir, säßet Ihr für Euren Verrat längst im Kerker!“

„Es geht aber nicht nach Euch“, wies ihn Egilo zurecht.

Cixilo ließ sich von Gripas nicht einschüchtern. „Abdelaziz wird nicht aufgeben“, beharrte sie. „Niemals, bevor er nicht sein Ziel erreicht hat. Toledo wird fallen.“

„Gewiss doch. Wenn wir uns nicht wehren!“, rief Gripas angriffslustig. „Meine Königin! Ich beschwöre Euch! Wenn Abdelaziz sieht, dass er Toledo nicht einnehmen kann, wird er verhandeln und auf unsere Bedingungen eingehen müssen. Doch wir müssen ihm unmissverständlich unsere Entschlossenheit deutlich machen. Erlaubt mir, ihm die Antwort zu schicken, die der Goten würdig ist!“

„Welche Antwort?“, fragte Otto.

„Tut es!“, befahl Egilo.

Gripas nahm einen Zettel Pergament und schrieb ni aiw darauf, was in der Sprache der Goten „niemals“ bedeutete.

Mit diesem Zettel stieg er die Treppe hinauf zum Dach des Turms. Zwischen den Zinnen war ein Torsionskatapult aufgebaut, das auf die Brücke zielte. Gripas zog einen Katapultbolzen aus einem Fass, umwickelte ihn mit dem Pergament und verknotete es mit einer Schnur. Die Männer, die das Katapult bedienten, drehten die schwere Spannkurbel. Ratternd wurde die Sehne nach hinten gezogen. Als sie eingerastet war, legte Gripas den Bolzen ein. Er selbst richtete das Katapult aus, so dass es über den Horizont zielte, und betätigte den Auslöser. Der Bolzen flog über den Tagus und bohrte sich über eine halbe Meile von der Stadtmauer entfernt vor den Füßen der Belagerer in die Erde. Erschrocken wichen die Sarazenen zurück. Die immense Reichweite des Katapults hatte sie völlig überrascht. Doch als keine weiteren Schüsse folgten, wagten sie sich zögerlich in die Nähe des Bolzens und bargen ihn schließlich mitsamt der Botschaft.

Nachdem Abdelaziz seine Antwort bekommen hatte, trat Gripas vors Volk und machte sich über die Einfalt der Sarazenen lustig, die die Frechheit besessen hätten, der Königin freies Geleit anzubieten. Er selbst wolle eher sterben, als Toledo den Heiden zu überlassen. Die Lager seien bis unter die Dächer mit Vorräten gefüllt. Sie könnten es in der Stadt dreimal so lange aushalten wie die Belagerer vor den Mauern.

Nobiscum deus!“, schloss Gripas. Gott mit uns!

Nobiscum deus“, kam es dünn und verhalten zurück.

*

Es war noch vor dem ersten Hahnenschrei, dass Otto von Cixilo aus dem Schlaf gerissen wurde.

„Meister!“, rief sie und schüttelte ihn.

„Ist ja gut! Was ist denn los?“, fragte er ungehalten.

„Die Sarazenen sind in der Stadt! Toledo ist gefallen!“

Otto schoss aus dem Bett und rannte ans Fenster. Voller Entsetzen sah er, wie die Sarazenen auf den Sklavenmarkt strömten und auf den Palast zustürmten. Pfeile schossen über den Platz, eine Handvoll Goten stellte sich den Angreifern todesmutig in den Weg. Schwerter krachten auf Schilde, Schreie gellten über den Platz. Ein Signalhorn kündigte Kamelreiter an.

Dies war das Ende.

„Das Westtor ist klein und abgelegen. Vielleicht schaffen wir es dort“, schlug Cixilo vor.

„Ich würde die Kanalisation vorziehen“, erwiderte Otto. „Warte auf mich! Ich komme gleich!“

Hastig streifte Otto seine Hose über, tauschte das Nachtgewand gegen ein Hemd und zog mit hastigen Bewegungen die Schnallen seines Schuhwerks fest. Er nahm nur die Börse mit dem Gold und stieß zu Cixilo, die ihn voller Ungeduld erwartete. Doch als sie durch die Tür waren, fiel ihm sein Zauberbuch ein. Er machte kehrt, eilte noch einmal zurück ins Schlafgemach und holte das Buch. Zurück in den Gängen des Palastes hastete alles durcheinander. Otto folgte Cixilo, die sich besser auskannte, zu den Abwasserkanälen. Doch als sie den Palastgarten erreichten, kamen ihnen dort schon die Sarazenen entgegen.

Cixilo wollte es nun doch über das Westtor versuchen. Otto folgte ihr widerspruchslos. Bis sie vor einem unüberwindlichen Hindernis namens Damasus standen.

„Meister Otto!“, begrüßte ihn der Verräter, der sich mit zwei Dutzend Überläufern im Rücken stark wie ein Drachentöter fühlte. „Wohin so eilig?“

Abwehrend hielt Otto den Verrätern seine Handfläche entgegen, als wollte er ihnen einen Zauberspruch entgegenschleudern. Es war nur eine plumpe Täuschung, da Otto die Zeit fehlte, groß herumzuzaubern. Aber die List glückte und die Männer zögerten.

Otto nutzte das Momentum. „Reisende soll man nicht aufhalten“, sprach er und ließ seine Stimme bedrohlich donnern. Als er mit der erhobenen Hand voran einen Schritt auf die Männer zumachte, wichen diese zurück.

„Er ist nur ein Zauberer!“, kläffte Damasus sie an und stürmte mit gezogenem Schwert auf Otto zu. Das wirkte, die ganze Meute ließ sich mitreißen. Bevor Otto einen Zauber sprechen oder Cixilo jemanden in eine Maus verwandeln konnte, hatten sich dutzende blanke Waffen auf sie gerichtet.

Otto ließ die vorher so gefährlich wirkende Rechte sinken.

„Schachmatt“, sagte Damasus. „Und keine Mätzchen, alle beide, sonst ist Schluss mit der Zauberei! Und zwar für immer!“

Damasus brachte sie in die Thronhalle, wo man auch schon andere Gefangene versammelt hatte. Abdelaziz Ben Musa saß mit überschlagenen Beinen auf dem Thron, direkt unter dem Menetekel. Das Ecce Rege war vollständig verschwunden. Der Rest des Menetekels zeigte eine bedrohliche Blässe. Es stand nicht gut um die gotische Sache. Das wusste Otto aber auch ohne die Schrift.

„Meister Otto!“ Abdelaziz' Miene hellte sich auf, als er die Neuankömmlinge bemerkte. Er winkte mit zwei Fingern, dass man die Gefangenen näher brachte. „Und die schöne Cixilo“, setzte er hinzu. „Es ist mir eine Freude, Euch wohlbehalten zu sehen.“

Otto klammerte sich an das Zauberbuch.

„I-ich habe alles versucht. Aber ich konnte die Königin nicht von der Kapitulation überzeugen“, sagte er.

„Das hatte ich auch nicht erwartet.“ Abdelaziz machte ein besorgtes Gesicht. „Euch ist doch nichts zugestoßen? Wenn eine Stadt fällt, geschieht manches Unglück.“

„Er hat uns mit Zauberei bedroht!“, beklagte sich Damasus.

„Meister Otto ist ja auch ein Zauberer“, gab der Sarazene lächelnd zurück. „Ein Jeder kämpft mit seinen Waffen.“ Er wandte sich an Otto. „Habt Ihr noch einmal über mein Angebot nachgedacht?“

„Welches Angebot?“, fragte Otto.

„In meine Dienste zu treten“, erläuterte Abdelaziz. „Ich schätze Gelehrsamkeit und Weisheit. Das Angebot steht noch.“

„Und wenn ich ablehne?“

„Weshalb solltet Ihr ablehnen?“

Ein Tumult ersparte Otto zu antworten. Eine Meute übergelaufener Sklaven zerrte Egilo unsanft in den Saal.

„Lasst sie los!“, befahl Abdelaziz.

Egilo blieb vor dem Thron stehen. Abdelaziz musterte seine Beute. Zufrieden urteilte er: „Ihr seid noch schöner als Ihr mir beschrieben wurdet.“

Egilo spie vor ihm aus.

Der Sarazene lächelte.

„Hochmut ist der einfältige Bruder des Stolzes. Ich hatte Euch freien Abzug angeboten, Ihr hättet darauf eingehen sollen. So musste ich die Stadt mit Gewalt einnehmen. Gewiss fragt Ihr Euch, wie ich das gemacht habe.“

Egilo schwieg.

„Ich werde es Euch erklären“, sprach der Sieger von Toledo. „Ein Reich, in dem ein Herrenvolk über ein Sklavenvolk gebietet, ist nicht einig. Und ein uneiniges Reich kann nicht bestehen. Darum ist Toledo gefallen.“

„Verschont mich mit Eurem Geschwafel!“, verlangte Egilo.

Der Sarazene lachte. „Ihr versteht es immer noch nicht?“, fragte er. „Es waren die Sklaven von Cartagena, die Euren Gemahl am Lethe töteten. Seine Sklaven. Und es waren die Sklaven von Toledo, die mir die Tore öffneten.“

„Das ist ein Lüge!“, rief Egilo.

„Ich werde Euch sagen, was geschehen ist: Meister Otto zu mir zu schicken, war ein guter Zug. Er erwies sich obendrein als absolut unbestechlich. Bei den Sklaven, die ihn begleiteten, hatte ich mehr Glück.“

„Ihr habt die Sklaven bestochen?“, fragte Egilo fassungslos.

„Genau genommen war es Damasus. Er an meiner Stelle schenkte ihnen die Freiheit, während ich selbst mit Meister Otto Schach spielte.“

Die Königin fuhr Damasus an: „Was seid Ihr nur für eine Ratte! Roderik hat Euch vertraut wie einem Bruder!“

„Bruder?“ Der Graf lachte auf. „Ich soll ein Bruder des Königs gewesen sein? Ein nützliches Werkzeug war ich für ihn, der erste seiner Sklaven. Nein.“ Damasus schüttelte den Kopf. „Mein ganzes Leben schon warte ich auf den Tag, an dem wir Euer Joch abschütteln. Nun ist die Stunde der Abrechnung da.“

„Ein Verräter ist ein Sklave nach der Natur und darum werdet Ihr niemals frei und immer unter jemandes Joch sein!“

Abdelaziz räusperte sich vernehmlich und brachte damit das Streitgespräch zum Verstummen.

„Königin“, sagte Abdelaziz, „Ihr seid verbittert. Ich schlage vor, dass Ihr Euch zurückzieht.“

„Und wenn ich mich weigere?“

Der Sarazene lächelte. „Wollt Ihr Euch meinem Befehl widersetzen?“

Egilo schwieg.

Abdelaziz winkte Damasus. „Begleitet sie in ihre Gemächer. Ihr seid dafür verantwortlich, dass es ihr an nichts fehlt.“

Egilo wurde abgeführt.

Abdelaziz wandte sich nun Otto zu und winkte ihm, näher zu kommen.

„Wir hatten über mein Angebot gesprochen“, erinnerte ihn der Sarazene.

Otto blickte zu Cixilo und wieder zu Abdelaziz.

„Und wenn ich … nicht interessiert bin?“

„Das würde ich sehr bedauern.“

*

Ottonus C. Agricola, der einstige Zaubereiminister des verblichenen Westgotenreiches, stand vor einer nackten Wand aus Ziegelmauerwerk. Das Pendel zeigte keinerlei Ausschlag. Es war, als hätte das Menetekel nie existiert. Einzig Reste von Farbe und Mörtel erinnerten Eingeweihte an die Versuche, die Schrift zu beseitigen.

Als könnte man die Zukunft ändern, indem man ihren Schatten zerstörte.

Schatten, dachte Otto und musste lächeln. Warum war ihm das nicht gleich aufgefallen? Dabei hatte es die Hexe doch sogar geschrieben. Schattenspiel!

Schritte hallten durch den leeren Thronsaal.

„Hier seid Ihr, Meister! Was tut Ihr hier?“

Otto drehte sich zu Cixilo herum.

„Soeben ist mir etwas klar geworden. Man sagt, dass ein Menetekel ein Schatten der Zukunft ist. Aber das stimmt nicht. Es gleicht eher einem Schattenspiel. Der Schatten ist das eine, aber die Figur, die ihn wirft, kann etwas ganz anderes sein.“

„Und doch bringt sie immer Unheil.“

„Wohl wahr“, gab Otto nachdenklich zu. „Für manche“, fügte er hinzu.

„Kommt Ihr, Meister?“

Otto nickte und folgte Cixilo aus der leeren Thronhalle. Sie verließen den Palast und mussten sich bald schon durch die Menge kämpfen, wollten sie das Forum erreichen. Dieses war schwarz von Menschen. Es schien kein Durchkommen zu geben, doch ein Ritter hatte Otto und Cixilo erspäht und schleuste sie durch die Menge zum abgesperrten Bereich, der den Adeligen und Würdenträgern vorbehalten war. Der Pronotar, den sein Oberhirte Sindered so schmählich im Stich gelassen hatte und der einige Tage nach dem Fall Toledos wieder aufgetaucht war, nickte den Ankömmlingen freundlich zu. Otto zog es trotzdem vor, schnell weiter zu gehen und nicht in seiner Nähe stehen zu bleiben.

Keine Minute später brach lauter Jubel aus, als Abdelaziz und Egilo vor das Volk traten. Für alle sichtbar hatte die Königin die Rechte in die Hand des Eroberers gelegt. Das Paar musste lange warten, bis das Volk verstummt war.

„Goten! Gläubige! Volk von Toledo!“, rief Abdelaziz endlich, ließ Egilos Hand los und trat vor. „Eines Tages erschien mir ein Engel und sagte zu mir, dass es Gottes Wille sei, dass ich Hispanien erobere. 'Wie soll das gehen?', fragte ich. Und der Engel sprach:

'Das Reich der Goten ist auf dem Rücken von Sklaven errichtet. Wenige betrachten es als ihr Geburtsrecht, Millionen zu knechten. Gib diesen Millionen die Freiheit, und sie werden sich dir anschließen.'

Ich tat, wie mich der Engel geheißen hatte, und eroberte Hispanien. Doch wir sind nicht gekommen, um an die Stelle der alten Herren zu treten und wie sie die Völker Hispaniens zu knechten. Wir bringen die Freiheit und das Wort des einzigen wahren Gottes!“

Die Sarazenen brachen in Beifall aus. Abdelaziz hob die Hand, um seine Männer zum Schweigen zu bringen.

„Vom heutigen Tag an soll es keine Sklaven mehr geben in Hispanien!“

Frenetischer Beifall, dieses Mal von der Menge.

„Lasst uns ein neues Reich errichten, in dem Wohlstand, Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Wer sich uns anschließen will, der sei willkommen, aber wer sich uns in den Weg stellt, der soll mit Gottes Hilfe zerschmettert werden!“

Unter den Sarazenen brach Jubel aus. Abdelaziz wartete einige Sekunden, bevor er fortfuhr:

„Goten! Gläubige! Volk von Toledo! Ich habe eine Ankündigung zu machen!“ Lächelnd drehte er sich zu Egilo herum, die neben ihn trat. Der Sarazene kostete den Augenblick aus, bevor er aus Leibeskräften ausrief:

„Ich gebe meine Verlobung mit Königin Egilo bekannt!“

Nach einem kurzen Moment des Schreckens brach auf dem Forum wilder Applaus aus. Die Glocken der Kathedrale läuteten Sturm. Die kahle Wand im Thronsaal bezeugte, dass das Reich und das Volk der Goten endgültig untergegangen waren.

Etwas Neues war an ihre Stelle getreten.

 

 

ENDE

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schadenzauber

Ottos magische Missgeschicke Band I

Schadenzauber

Autor Atir Kerroum

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Die Hexe von Kentigern

Autor Atir Kerroum

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168 Seiten, Broschur, 6,90 Euro


Leseprobe Band I

Ein Drittel aller niedergelassenen Zauberer scheiterte in den ersten zwölf Monaten. Zu wenig Kapital.

Mag. art. mag. Ottonus C. Agricola. Sprechzeiten nach Vereinbarung.

Das Messingschild mit den stolz glänzenden Lettern lag auf dem Tisch wie die Scherben einer Existenz. Otto seufzte und nahm das Schild in beide Hände.

Seine Ansprüche hatte er mittlerweile schon ziemlich heruntergeschraubt. Sogar als Tagelöhner hatte er sich verdingen wollen. Die Werber hatten ihn ausgelacht und Männer mit breiten Schultern und schwieligen Händen aufgerufen. Otto musste wohl oder übel bei der Zauberei bleiben. Er konnte nichts anderes.

Ein Gläubiger hämmerte gegen die Tür. Otto rührte sich nicht. Er war nicht da.

Von draußen erklang eine fremde Stimme. „Maestro Agricola?“

Otto konnte sich beim besten Willen nicht entsinnen, einem Italiener Geld zu schulden. Er legte das Schild aus den Händen. Vorsichtshalber verstellte er die Stimme.

„Wer ist da?“

„Wir suchen den Maestro Agricola.“

„Was wollt Ihr von ihm?“

„Das ist vertraulich. Wir suchen einen Zauberer.“

Ein Klient! Otto stürzte zur Tür und öffnete. Vor ihm standen zwei vornehme Herren: Ein riesenhafter Skandi­navier, dessen blonde Haare behutsam ergrauten, und ein südländischer, leicht untersetzter Benediktinerpater.

„Seid Ihre dere Maestro Ottonus Tscheh Agricola?“, fragte der Mann Gottes. Um Fassung und weltmännisches Auftreten bemüht verbeugte sich Otto übertrieben deutlich.

„Zu Euren Diensten.“

Die Herrschaften traten ein, ohne sich lange bitten zu lassen, und blickten sich mit einer aufdringlichen Sorgfalt in der Praxis um.

„Hier soll das Officium sein. Das wurde uns jedenfalls gesagt, aber wir haben an der Tür kein Schild gesehen“, sagte der Hüne.

„Gewiss!“ Otto eilte zum Tisch und zeigte seinen Klienten das Messingschild. „Seht her! Ich wollte es gerade polieren.“

„Ich verstehe.“ Der blonde Nordmann schmunzelte. Er stellte sich vor als Hraldir Olafsson und deutete auf den welschen Priester. „Dies ist Pater Roberto Albizzi.“

Die Besucher nahmen Platz. Den eilends angebotenen Tee schlugen sie aus.

„Nun“, fragte Otto, „wie kann ich Euch helfen?“

„Wir suchen jemanden, der sich mit Liebeszaubern auskennt“, sagte Albizzi.

„Wie der Zufall will, ist das mein... Spezialgebiet“, log Otto geistesgegenwärtig. Eigentlich hielt er es für unter seiner Würde, sich mit solchem Schwachfug abzugeben. Liebeszauber, das war etwas für alte Narren und hysterische Weiber. Diesen Stolz konnte er sich aber zur Zeit nicht leisten.

„Allerdings..., fügte er vorsichtig hinzu, „Ohne unver­schämt wirken zu wollen, möchte ich Euch doch darauf hinweisen, dass ein Liebeszauber selten die Lösung des Problem ist.

„In unserem Fall schon, dessen könnt Ihr Euch sicher sein. Jedoch ist die Angelegenheit heikel und nicht ganz einfach. Deshalb suchen wir auch einen Spezialisten.“

Otto erlaubte sich ein unbescheidenes Lächeln. „Für einen schwierigen Fall hättet Ihr keinen Besseren finden können“, behauptete er. „Sagt mir nur, wer sich in wen verlieben soll.“

Albizzi räusperte sich. „Gestattet mir eine Frage vor­neweg: Welchen Anteil nehmt Ihr an der Brautwahl Prinz Malwins?“

„Was hat denn das damit zu tun?“

„Bitte, beantwortet die Frage!“, verlangte Hraldir Olafsson mit Nachdruck. In seiner Stimme lag etwas Drohendes.

In der Stadt redete alles davon, dass Prinz Malwin von Burgund endlich heiraten sollte. Der König hatte ent­sprechende Schritte eingeleitet. Na und? Otto schüttelte den Kopf. „Politik interessiert mich nicht. Ich hoffe nur, dass sich Prinz Malwin bald entscheidet, damit das Theater vorbei ist.“

„König Gundahar ist ein Wucherer“, schimpfte Roberto Albizzi plötzlich los. „Ein ganz übler Schuft. Wenn man eine Braut sucht, schickt man Brautwerber und handelt eine Mitgift aus. So lauten die Gepflogenheiten. Einzig Gundahar besitzt die Unverschämtheit, den Spieß umzudrehen, sieben Prinzessinnen an seinen Hof zu zitieren und frech zu fragen, was er noch dazu bekommt!“

„Malwin ist sein einziger Sohn und Erbe des Reiches“, wandte Otto ein. „Für ihn kann man schon eine anständige Mitgift verlangen und von den sonstigen Qualitäten seiner künftigen Schwiegertochter wird man sich ja wohl auch noch überzeugen dürfen.“

„Qualitäten!“, schnappte Albizzi. „Wisst Ihr, wie das zugeht am Hof? Da kommen die Gesandten von Ostland und bieten für ihre Prinzessin eine Grafschaft und 500 Pfund Gold. Nachdem die Gesandten von Ostland ge­gangen sind, kommen die Gesandten von Westland und bieten für ihre Prinzessin eine Grafschaft und 1000 Pfund Gold. Und dann kommen die Gesandten von Südland und bieten für ihre Prinzessin zwei Grafschaften und 500 Pfund Gold. Und so dreht sich die Spirale immer weiter. Mit jedem Tag, der vergeht, treibt Gundahar die Mitgift in neue Höhen. ‚Was kriege ich denn zu meiner Schwiegertochter noch dazu?’ Das ist dreist und unverschämt!“

„Ja“, nickte Otto und heuchelte Mitgefühl. „Leider zählte heute nur noch Geld.“ Sollten sie ruhig zahlen. Schließlich wurde niemand gezwungen, sich an der Bie­terschlacht zu beteiligen. Auch wenn seine beiden Besu­cher offenbar anderer Meinung waren.

„Es ist eine Schande“, bestätigte Hraldir. „Wisst Ihr auch, welche Rolle Malwin in diesem Spiel spielt?“

„Keine, soweit mir zu Ohren gekommen ist“, erwiderte Otto.

„Ganz recht. Keine. Eigentlich geht es ja um seine Braut, so dass man meinen möchte, dass er ein Wörtchen mitreden wollte. Kein Gedanke! Der Schlappschwanz überlässt alles seinem Vater, diesem alten Gierlappen, der hinter dem Geld her ist wie der Teufel hinter der armen Seele. Es ist an der Zeit, dass sich Malwin endlich selbst um seine Angelegenheiten kümmert. Meint Ihr nicht auch?“

„Mich dürft Ihr nicht fragen. Ich interessiere mich nicht für Politik. Man ärgert sich nur, und ändern kann man sowieso nichts.“

Hraldir Olafsson lächelte. „Möglicherweise könnte dies in diesem besonderen Fall anders sein.“

Der Nordländer schwieg geheimnisvoll. Ratlos blickte Otto erst zu ihm, dann zu seinem Begleiter. Konnten diese Herren nicht einfach sagen, was sie wollten?

Hraldir Olafsson räusperte sich. „Die Sache ist nun die“, sprach er ruhig. „Bislang hält sich Prinz Malwin aus der Sache heraus wie das fünfte Rad am Wagen und überlässt das Geschäftliche seinem Vater, der ekelhaft klebrige Hände hat. Unser... Auftraggeber wünscht, dass sich Prinz Malwin erklärt, sozusagen von der Schachfigur zum Schachspieler wird. Er soll sich für eine ganz gewisse Prinzessin entscheiden, und zwar unabhängig von der angebotenen Mitgift. Eine richtig schmalzige Liebesheirat soll es werden. Wie im Märchen.“

„Äh...“ Otto verstand immer noch nicht, was die Fremden von ihm wollten. Hilflos zuckte er mit den Ach­seln und lachte verlegen.

Hraldir Olafsson klärte ihn auf: „Ich vergaß zu erwäh­nen, dass Ihr, dass Ihr fünfhundert Gulden verdienen könnt, wenn Ihr Erfolg habt und der Prinz die gewünschte Prinzessin heiratet. Natürlich kommt die Liebe nicht von alleine.“

Otto sollte die Brautwahl des Prinzen mit einem Lie­beszauber manipulieren. Die Herren hatten sich wohl in der Tür geirrt.

„Könnt Ihr das?“, fragte Albizzi.

„Das ist verboten!“

„Selbstverständlich ist es das. Aber könnt Ihr das auch?“

„Ja, aber das ist ein Verbrechen!“

Der schmierige Albizzi schmunzelte. „Wenn es legal wäre, gäbe es keine fünfhundert Gulden zu verdienen. Das dürfte sich ja wohl von selbst verstehen. Sagtet Ihr nicht, dass Euch die Brautwahl des Prinzen nicht die Bohne interessiere?“

„Das ist richtig, aber sie zu beeinflussen, das ist eine ganz andere Sache! Das ist Schadenzauber!“

„Juristisch gesehen ist es sogar Hochverrat“, präzisierte Hraldir Olafsson. „Nennen wir die Dinge ruhig beim Namen. Aber unsere Prinzessin ist mindestens so gut wie jede andere, und heiraten muss Malwin sowieso. Unser Auftraggeber ist stets ein Freund der Burgunder gewesen.“

„Das ist mir gleich“, erwiderte Otto. „Für kriminelle Machenschaften stehe ich nicht zur Verfügung. Ich muss Euch bitten zu gehen.“

Olafsson und Albizzi blieben sitzen.

„Auf der Stelle!“

Albizzi räusperte sich. „Ihr seid ein Mann von Ehre. Doch ich fürchte, dass Ihr Euch Euren Edelmut nicht leisten könnt.“

„Was soll das heißen?“

Albizzi betrachtete seine Fingernägel. „Es gibt Gerüchte.“

„Gerüchte?“

Der Benediktiner hob den Blick. „Über Eure Kredit­würdigkeit.“

„I-ich weiß nicht, was man Euch erzählt hat, aber ich habe Feinde, die Lügen über mich verbreiten, um meinen guten Namen in Verruf zu bringen.“

„Euer guter Name!“, höhnte Albizzi. „Gläubiger sind wirklich die übelsten Verleumder.“

Otto lachte gequält. „Fürwahr, da habt Ihr recht.“

„Und die Gläubiger sitzen vor Euch, denn wir haben Eure Schuldscheine aufgekauft.“

„Was?“

„Wir haben Eure Schuldscheine aufgekauft“, wiederholte Albizzi laut und deutlich. „Wir mussten uns schließlich absichern.“

Diese Leute hatten ihn ausgespäht. Sie hatten sich nicht durch Zufall zu ihm verirrt, sondern für ihre kriminellen Machenschaften gezielt einen bankrotten, ruinierten Zauberer gesucht, den sie erpressen konnten. Wenn Otto nicht bezahlte, landete er in der Schuldknechtschaft. Für den Rest seines jämmerlichen Lebens.

„Versteht uns nicht falsch“, bat Hraldir Olafsson ver­söhnlich, „wir haben keineswegs die Absicht, Euch Scha­den zuzufügen. Wir verlangen ja keinen Mord von Euch, sondern nichts weiter als eine glückliche Ehe und ein Bündnis zwischen Thule und Burgund, zum Vorteil beider Reiche. Diese eine Kleinigkeit müsst Ihr arrangieren, und Ihr seid Eure Schulden los und bekommt obendrein 500 Gulden. Was sagt Ihr? Ihr könnt dieses Angebot unmöglich ablehnen.“

„Und... wenn ich trotzdem ablehne?“, fragte Otto hei­ser.