Über Deon Meyer

Deon Meyer wurde im Jahr 1958 in Paarl, Südafrika geboren. Seine Romane wurden bisher in 27 Sprachen übersetzt. Er hat auch zahlreiche Drehbücher für Filme und Fernsehserien geschrieben. Deon Meyer lebt in Stellenbosch, in der Nähe von Kapstadt.

Im Aufbau Taschenbuch Verlag liegen seine Thriller »Tod vor Morgengrauen«, »Der traurige Polizist«, »Das Herz des Jägers«, »Der Atem des Jägers«, »Weißer Schatten«, »Dreizehn Stunden«, »Rote Spur«, »Sieben Tage«, »Cobra« und »Icarus« sowie der Storyband »Schwarz. Weiß. Tot« vor. Zuletzt erschien von ihm bei Rütten & Loening »Fever«. Mehr Informationen zum Autor unter www.deonmeyer.com.

Stefanie Schäfer studierte Dolmetschen und Übersetzen an den Universitäten Heidelberg und Köln. Für herausragende übersetzerische Leistungen wurde sie mit dem Hieronymusring ausgezeichnet. Sie hat bereits mehrere Bücher von Deon Meyer übersetzt und lebt in Köln.

Informationen zum Buch

Bennie Griessel und die geheimnisvolle Frau

Bennie Griessel hegt eigentlich Heiratspläne, doch dann wartet ein neuer Fall auf ihn: Am Sir Lowry’s Pass in der Nähe von Kapstadt wird die Leiche einer nackten weißen Frau entdeckt. Todesursache war ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf. Griessel findet heraus, dass die Tote Amerikanerin und Kunstexpertin war und auf der Suche nach dem kostbaren Gemälde eines Rembrandt-Schülers, das offenbar nach Südafrika geschmuggelt worden ist.

Deon Meyer mit einer raffinierten Kriminalstory, die bis in die Zeit Rembrandts führt.

Thriller des Jahres in den Niederlanden

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Deon Meyer

Die Amerikanerin

Thriller

Aus dem Afrikaans
von Stefanie Schäfer

Inhaltsübersicht

Über Deon Meyer

Informationen zum Buch

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Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Nachbemerkung

Impressum

Leseprobe aus: Greg Iles – Die Sünden von Natchez

Eins

12. Oktober

Er war hungrig, durstig, verängstigt und todmüde. Allein das Adrenalin ließ ihn noch einen Fuß vor den anderen setzen. Immer weiter lief er durch die nächtliche Dunkelheit, bis sich der Himmel verfärbte, die Welt wieder Gestalt annahm und neue Zuversicht in ihm aufflackerte. Um kurz vor acht, als die Sonne dort, wo in der Ferne Rotterdam lag, aufgehen wollte, öffnete sich vor ihm der Schiedamer Markt im weichen, goldenen Morgenlicht. Die dichte Menschenmenge, das geschäftige Gedränge und das Durcheinander – sein Herz flatterte vor Hoffnung: Hier hatte er vielleicht eine Chance zu entkommen. Unterzutauchen.

Er sah sich nicht um. Er wusste, dass sie hinter ihm waren. Er ging weiter geradeaus und ließ sich vom Gewimmel verschlucken. Händler priesen lauthals ihre Ware an, Leute plauderten, lachten, stritten und schrien, ein Baby weinte untröstlich. Hühner gackerten empört, Pferde wieherten, und von irgendwoher ertönte das tiefe Muhen einer Kuh. Die Gerüche von Fisch und Schalentieren, Krabben, Garnelen und Hummer, von versengten Entenfedern, Mist, nasser Erde, Schweinefleisch am Spieß und Wurst im Räucherofen und – für einen Augenblick, in dem ihm vor Hunger die Knie weich wurden – der satte Duft von frischem Brot, als ein Junge mit einem großen Korb voll mit runden Laiben direkt an ihm vorbeiging.

Er sah den dunkelblauen Mantel hinten über dem Wagen hängen, wusste instinktiv, dass niemand darauf achtete, griff schnell und mit einer sparsamen Bewegung zu, ein geschickter Dieb. Und erfahren. Er faltete den Mantel zusammen und hielt ihn von vorn eng gegen den Körper gepresst. Neben einem Käsestand, hinter den Holzkisten, sank er auf die Knie, nahm seinen Hut ab und legte ihn auf den Boden neben sich. Auch die stinkende, verschlissene braune Jacke streifte er ab und ließ sie liegen.

Am östlichen Himmel ging die Sonne auf. Er zog den gestohlenen Mantel an, stand auf – wobei seine Beine kurz nachgaben –, stolperte, lief gebückt los und richtete sich erst später auf.

Er änderte seine Richtung und bog in die Straße nach Delft ab.

Noch immer blickte er sich nicht um; er hatte zu große Angst, sie zu sehen, die vier. Die vier, die ihn jagten und hetzten.

Zwei

Sie lag ausgestreckt neben der großen Aussichtsplattform ganz oben auf dem Sir Lowry’s Pass, den Kopf nach Norden, die Füße nach Süden ausgerichtet. Sie war vollkommen nackt, ihr Körper wachsbleich. Das Licht des Vollmondes verlieh ihrer Haut einen unnatürlichen Schimmer, wie einer Heiligen.

Ihre Augen waren geschlossen, die rechte Hand lag entspannt auf dem Bauch, ihre Beine waren an den Fußknöcheln gekreuzt. Die funkelnden Stadtlichter weit unterhalb, von Gordonsbaai, Die Strand, Somerset-West und sogar Khayelitsha, bildeten eine bezaubernde Kulisse. Auf den ersten, eiligen Blick hätte man glauben können, sie ruhe sich aus, posiere für ein Foto oder stehe Modell für ein Gemälde. Hätte man an diesem frühen Morgen jedoch näher hingesehen, wären die Unstimmigkeiten der Szene ins Auge gefallen: Die Frau war nackt, obwohl die Nächte jetzt im Mai kalt waren. Ihr linker Arm hing in einem seltsamen Winkel an der kleinen Mauer herunter; die Knöchel berührten gerade so den Saum von grünem Gras. Merkwürdige, unregelmäßige Flecken zeichneten sich in ihren kurzen, hellen Haaren und ihrem Schamhaar ab. Dazu das konstante Rauschen des Verkehrs auf der belebten N2 und das regelmäßige Aufblitzen gelblicher Scheinwerfer auf den nahen Felsen – an, aus, an, aus; es konnte nicht sein, dass sie in dieser Position und an diesem Ort ruhte oder Rast machte. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.

Derjenige, der ihre Leiche auf der kleinen Steinmauer drapiert hatte, konnte ironischerweise von dort aus die Mörderkuppe sehen – einen der rauen, hohen Gipfel der Hottentots Hollandberge, die über Somerset-West aufragen.

***

Nur fünfzehn Kilometer weiter östlich trabte das Leopardenweibchen den schmalen Pfad entlang. Sie brauchte das Licht des Vollmonds nicht. Sie wollte nach Norden, zurück in ihr bekanntes Jagdgebiet, die hohen Felsen und Klüfte der rauen Berge, ihr Territorium, das ihr Sicherheit bot.

Sie war zwei Tage lang hier gewesen, in allzu großer Nähe von Menschen, Fahrzeugen, Geräuschen und Gerüchen, die sie nervös und schlaflos machten, auf der Suche nach Wasser und Beute nach der Trockenheit des langen, glühend heißen Sommers.

Dies war der Weg, auf dem sie gekommen war. Wagenspuren schlängelten sich den Hang hinunter; darüber wollte sie zurückkehren, dann über die Asphaltstraße und am großen See vorbei – sie konnte das Wasser schon riechen – und dann wieder hinein in die Berge.

Ein Brummen ließ sie innehalten, leise, dann immer lauter. Sie kannte es, das Geräusch von Fahrzeugen. Sie sah die hellen Scheinwerfer, sie sah und hörte, wie zwei von ihnen hier genau unter ihr, vor ihr, zum Stillstand kamen. Stimmen. Das Knarren eines Tores.

Sie kehrte um und verschmolz mit den Schatten der Fynbos-Vegetation.

Sie würde heute Nacht nicht nach Hause zurückkehren können.

***

Zwei Stunden vor Sonnenaufgang, um 05:35 Uhr, bog ein Minniebustaxi von Umtata nach Kapstadt auf die Aussichtsplattform ein, da der Fahrer dringend pinkeln musste. Er blieb stehen und stieg hastig aus. Die Leiche auf dem Mäuerchen sah er nicht.

Dreizehn Passagiere saßen im Bus, alles Xhosa-Frauen – Näherinnen und Spülerinnen, Haushaltshilfen und Putzfrauen. Eine von ihnen in der zweiten Sitzreihe entdeckte die unnatürliche Gestalt auf der niedrigen Mauer und stieß einen entsetzten Schrei aus. Die anderen erwachten, folgten ihrem ausgestreckten Zeigefinger, öffneten die Fenster und riefen den Fahrer. Er sah die Leiche nun auch, erschrak, pinkelte sich auf die Schuhe und fluchte. Hastig zog er den Reißverschluss seiner Hose zu, öffnete die Tür des Minibusses, stieg ein und ließ den Motor an.

Nein, sagte eine der Frauen, rufen Sie die Polizei.

Der Fahrer sträubte sich. Er dachte daran, dass das eine stundenlange Verspätung bedeuten würde. Sein Arbeitgeber würde sauer sein. Und mit dieser offensichtlich leblosen weißen Frau hatte er schließlich nichts zu tun.

Er schüttelte den Kopf und legte den ersten Gang ein.

Der Chor hinter ihm ertönte laut, empört und unisono: Wir fahren nicht, bevor Sie nicht die Polizei gerufen haben.

Er seufzte, schaltete den Motor ab, griff nach seinem Handy und wählte den Notruf. Es klingelte sehr lange. In der Zwischenzeit stieg er wieder aus und näherte sich vorsichtig der Leiche. Er starrte sie an, bis er sich vergewissert hatte, dass die Frau tot war. Die Polizistin, die sich schließlich meldete, bat ihn, langsamer und auf Englisch zu reden. Er berichtete, was er sah, und beantwortete ellenlange Fragen über seinen Standort.

Endlich war das Gespräch beendet. Er eilte zurück zum Bus und wollte wieder losfahren, doch erneut empörten sich die dreizehn Xhosa-Frauen. »Wir können sie doch nicht so allein hier liegen lassen!«

***

Der Aussichtspunkt auf dem Sir Lowry’s Pass war beinahe gleich weit von Grabouw wie von Gordonsbaai entfernt, deswegen entstand anfangs Uneinigkeit über den Zuständigkeitsbereich.

Dem ersten Polizeifahrzeug bot sich ein merkwürdiger Anblick, einzigartig für diesen südlichen Punkt Afrikas: Dreizehn Frauen standen in der ausklingenden Dunkelheit vor Tagesanbruch im Halbkreis um die Leiche und sangen Kirchenlieder, während der Taxifahrer daneben saß und zuschaute.

***

Weitere Streifenwagen mit neugierigen Sergeants und Constabels der SAPS-Dienststellen von Grabouw und Gordonsbaai trafen ein und dann auch noch einer aus Somerset-West. Gegen Sonnenaufgang herrschte bereits ein solches Gedränge, dass rings um den Fundort alle Spuren zertrampelt wurden und ein Stau auf der N2 entstand, da Autofahrer wie Schafe reagieren, wenn mehrere Polizeifahrzeuge am Straßenrand stehen.

Dies alles führte dazu, dass die Kripo aus Somerset-West erst nach acht Uhr erschien und der Rechtsmediziner, die Videoeinheit und die Spurensicherung noch eine weitere Stunde später eintrafen.

Um kurz vor zehn Uhr vormittags verkündete der Rechtsmediziner, dass die Todesursache höchstwahrscheinlich ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf war. Doch ermordet worden war die Frau woanders. Außerdem schien es, als sei die Leiche mit reichlich Bleichmittel gewaschen worden. Normalem Haushaltsbleichmittel. Er könne es deutlich riechen, und die weißen Flecken im Kopf- und Schamhaar bestätigten dies.

Nirgendwo fand man Spuren ihrer Kleidung oder anderer persönlicher Gegenstände.

Der Krankenwagen transportierte sie unidentifiziert und namenlos ins staatliche Leichenhaus von Soutrivier.

Am Dienstag, dem 16. Mai.

Drei

Am Mittwoch, dem 17. Mai, kurz nach dem Morgenmeeting der Einheit für Schwer- und Gewaltverbrechen, der Valke – amtlich bekannt als das Direktorat für Schwerverbrechen –, durchquerte Kaptein Bennie Griessel den langen Korridor zum Büro seines Kollegen Vaughn Cupido.

Er hatte wichtige Neuigkeiten. Und er musste ihn um einen Gefallen bitten. Aber es würde nicht einfach werden; er kannte Vaughn. Sie arbeiteten seit knapp einem Jahrzehnt zusammen, Tag für Tag.

Er klopfte an den Türrahmen und trat ein. Cupido musterte ihn und bemerkte: »Bald kann man dir das Vaterunser durch die Rippen pusten.« Denn Griessel hatte acht Kilo abgenommen, seitdem er – wieder – aufgehört hatte zu trinken und regelmäßig Rennrad fuhr.

Griessel reagierte nicht. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

»Alle nehmen ab, nur ich werde dick«, klagte Cupido. Das stimmte nicht ganz. Nur Griessel und Majorin Mbali Kaleni, ihre Vorgesetzte, hatten an Gewicht verloren. Aber Cupido fühlte sich unbehaglich, denn Desiree Coetzee, die neue Frau in seinem Leben, kochte gut, und Vaughn aß oft bei ihr, teils um sein Revier zu markieren, teils weil er ihre Kochkunst ehrlich schätzte.

»Ich will Alexa einen Heiratsantrag machen.«

»Jissis!«

Griessel hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Er störte sich nicht daran. »Ich muss einen Ring kaufen, Vaughn, und brauche dabei deinen Rat.«

»Noch mal langsam zum Mitschreiben«, erwiderte Cupido. »Du hast dir schon mit deiner ersten Ehe die Finger verbrannt.«

Griessel nickte.

»Und du bist Alkoholiker.«

»Hundertsiebenundvierzig Tage trocken.«

»Und Alexa ist ebenfalls ein Alki.«

»Siebenhundertdreiundsechzig Tage trocken.«

»Sie ist eine reiche Frau, du nur ein Polizei-Captain, den die Filmschule seines Sohnes praktisch in den Ruin getrieben hat.«

Wieder nickte Griessel.

»Sie ist eine ehemals berühmte Sängerin, du bist ein verkrachter Hobbymusiker, der am Wochenende Bass in einer Opa-Coverband spielt.«

»Opa? Moment! Wir sind Männer im besten Alter!«

»Und trotzdem willst du um ihre Hand anhalten, und wahrscheinlich wirst du mir gegenüber behaupten, du machst es deswegen, weil ihr euch liebt.«

»Stimmt.«

»Hast du dir das auch wirklich gut überlegt?«

»Habe ich.«

Cupido sah ihn an. Ein Schauer durchlief ihn, und er schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann stand er auf. »Cool. Lass uns gehen. Wo kaufen wir den Ring? Bei Sterns? Oder American Swiss?«

»Bei Mohammed Faizal.«

»Verstehe. Du willst also bei deinem Heiratsantrag auf Nummer sicher gehen, indem du Hehlerware kaufst.« Dann, im Hinausgehen, fragte er: »Love Lips? Gibt’s den noch?«

»Ja, er hat jetzt eine Pfandleihe in Goodwood.«

»Saß er nicht vorher in Maitland?«

***

Cupido schwieg, während sie auf dem Voortrekkerweg durch Bellville und dann Parow fuhren, wo Griessel aufgewachsen war. Bennie blickte hinaus auf die endlose Reihe von Gebrauchtwagenhändlern, die wie Neophyten um Platz kämpften, und er dachte: Nichts hat sich verändert in den letzten zwanzig Jahren. Und doch: Parow sah besser aus als noch vor einem Jahrzehnt, sauberer, ordentlicher, wirtschaftlich aktiver und lebendig.

Merkwürdig, dass man glaubte, ein Ort ginge unter, wenn man nicht mehr da war, um darüber zu wachen.

»Wie ist das eigentlich, Benna?«, fragte Cupido plötzlich.

»Was?«

»Das Eheleben.« Er schlug seinen philosophischen Ton an, der bedeutete, dass er es ernst meinte. Griessel durfte jetzt keine Witze machen.

»Ehrlich gesagt bin ich da kein Experte, Vaughn. Ich war doch erst einmal verheiratet und davon nur die ersten sieben Jahre nüchtern.«

»Aber wie war es denn so? In den nüchternen Jahren?«

Griessel dachte nach und sagte dann: »Es war schön. Es war … Mein Gott, Vaughn, ich habe geheiratet, da war ich vierundzwanzig, und in diesem Alter ist alles schön, man sieht das Unheil noch nicht kommen …«

»Das macht mir echt Angst«, unkte Cupido. »Jedes Mal, wenn Desiree irgendetwas sagt, was man als eine Anspielung auf eine langfristige Beziehung oder sogar aufs Heiraten verstehen könnte, kriege ich einen Knoten im Bauch. Jissis, Benna, ich bin jetzt schon so lange Single, was soll ich nur machen? Und dann der Kleine. Wie soll man der Vater für das Kind eines anderen sein? Denn so was sucht er, das spüre ich, er sucht einen Vater oder zumindest eine Vaterfigur.«

Es herrschte nachdenkliche Stille. Bis Cupido sagte: »Ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber warum jetzt? Wenn die Beziehung nicht kaputt ist, warum willst du sie jetzt mit einer Ehe kitten?«

»Weil es Alexa glücklich machen wird.«

»Und dich?«

»Wenn sie glücklich ist, bin ich es auch.«

»Das ist also Liebe?«

Griessel zuckte nur mit den Schultern.

***

Mohammed »Love Lips« Faizals neues Pfandleihhaus befand sich an der Ecke zwischen der Alice- und der Voortrekkerstraat in Goodwood. In großen schwarzen Lettern auf hellgelbem Grund stand »Cashcade«.

Sie parkten gegenüber und stiegen aus.

»Der ist zu clever für seinen eigenen Laden«, bemerkte Cupido, als sie die Voortrekker überquerten. »Kein normaler Pfandleihkunde wird auch nur die geringste Ahnung haben, dass das ein Wortspiel sein soll.«

Auf dem Bürgersteig waren gebrauchte Stühle ausgestellt, und gleich hinter der Tür stand eine dichte Reihe Fahrräder. Im Geschäft selbst herrschte Halbdunkel, da sich Möbel übereinander bis zum Dach türmten und jeder verfügbare Winkel mit Hausrat, Küchenutensilien, Zubehör und Werkzeug vollgestopft war.

Faizal und sein Gehilfe waren ganz hinten im Geschäft mit dem Versuch beschäftigt, einen Tisch unter einem Möbelstapel hervorzuzerren. Er erkannte Griessel wieder, sagte: »Wie geht’s, Bennie«, und verzog die dicken Lippen zu einem Lächeln. »Bin gleich da«, fuhr er mit einem Wink zum Tresen an der westlichen Wand fort.

»Okay«, sagte Griessel und ging mit Cupido zum Tresen.

Vaughn blieb vor einer Reihe alter 8-mm-Filmprojektoren und Kameras stehen. »Unglaublich, wie sich alles verändert«, seufzte er. »Mein Dadda hatte so einen. Und heutzutage kann man mit jedem x-beliebigen Handy bessere Filme drehen. Von der Spitzentechnik zur Antiquität in einer halben Generation …«

Dann blickten sich beide um, als die Eingangstür verdunkelt wurde. Ein junger Mann stand davor; er trug einen großen, flachen, viereckigen Gegenstand, sah erstaunt die beiden Ermittler an, suchte mit dem Blick nach Faizal und sah dann wieder sie an. Er wirkte nervös, und dann traf ihn die Erkenntnis: Da standen zwei Polizisten.

Griessel und Cupido kannten diese verängstigte Reaktion schon, seitdem sie Constables im Streifendienst gewesen waren – die Körpersprache eines in flagranti Ertappten. Es folgte ein Moment, in dem sich keiner bewegte. Jäger und Beute standen einander gegenüber und schätzten sich ab, bevor die Jagd begann.

Cupido reagierte als Erster. Er sagte: »Hi!«, und ging auf den Mann zu.

Dieser ließ den großen, flachen, viereckigen Gegenstand fallen, so dass er schief an der Tür lehnte, sprang zurück und rannte los.

»Hey!«, schrie Cupido laut und folgte ihm. Cupido in seinem anthrazitfarbenen Anzug (»Mit nur einem Hauch weißer Nadelstreifen, Retroklassik, Pappi. Ein echtes Schnäppchen, ich habe einen Kumpel, der bei Rex Truform arbeitet …«), Cupido in seiner postrebellischen Phase. Nachdem er noch vor ein paar Monaten durch übertrieben lässige Klamotten gegen Majorin Mbali Kalenis Kleiderordnung protestiert hatte, war er jetzt wieder ganz der alte Playboy.

Griessel rannte zur Tür und sah den jungen Mann entgegen dem Verkehr die Voortrekker entlangsprinten in Richtung Stadt. Vaughn Cupido versuchte wacker, ihn mit seinen paar zusätzlichen Kilos, seinem schicken Anzug und den spitzen Schuhen einzuholen, aber der Verdächtige war jung und schnell. Bennie wusste, dass er ein noch langsamerer Läufer war als sein Kollege. Er beobachtete, wie Cupido auf den Mittelstreifen springen musste, um nicht angefahren zu werden.

Griessel dachte nicht nach. Er zerrte ein Silverback-Mountainbike aus dem Knäuel an der Tür, sprang darauf und trat in die Pedale.

Er raste über die Kreuzung an der Alicestraat. Ein VW Golf mit Breitreifen hupte laut. Griessel schwenkte auf den linken Fahrstreifen. Die Gänge des Fahrrads ließen sich glatt und mühelos wechseln. Seine offene Jacke (braun, längst unmodern, zehn Jahre alt) flatterte im Wind. Er holte erst Cupido ein und passierte ihn an der Gouldborn-Kreuzung. Vaughn keuchte laut, und Griessel rief ihm zu: »Ich kriege ihn!«, und gab noch mehr Gas. Er spürte, wie leicht sich das Rad fuhr, er spürte, wie gut in Form er war. Gott sei Dank war diese Sache nicht vor sechs Monaten passiert. Er sah, wie der Flüchtige unten an der Fitzroystraat nach links verschwand. Er sah den Leeukop in der Ferne, perfekt eingerahmt von den Gebäuden links und rechts von der Voortrekker. Achtzehn Jahre lang hatte er in Parow gewohnt und konnte sich nicht daran erinnern, den Leeukop so malerisch von dieser Seite aus gesehen zu haben. Seltsame Gedanken huschten ihm durch den Kopf. Zuletzt war er als Schuljunge mit einem Fahrrad die Voortrekker entlanggesaust. Er erkannte, wie weit Gestern und Heute voneinander entfernt waren, und erschrak für einen Augenblick. Wie schnell das alles geschehen war. Und er dachte, dass der große, flache, viereckige Gegenstand, den dieser junge Mann zum Pfandleihhaus gebracht hatte, wenigstens noch dort war, so dass sie zumindest erfahren würden, was er gestohlen hatte.

Und: Es schien, als hätte ein mutmaßlicher Krimineller gestohlene Ware zu Mohammed Faizal gebracht. Sie würden ihm auf den Zahn fühlen müssen.

Und: Vor fünfundzwanzig Jahren hätte ich den Kerl garantiert eingeholt, denn ich war schnell, damals.

Und: Jissis, ist das ein tolles Fahrrad, viel besser als mein olles schwarz-weißes Giant, das ist jetzt auch inzwischen schon fünf Jahre alt. Und: Mist, das bedeutet, dass ich schon seit sechs Jahren geschieden bin. Wo ist die Zeit geblieben?

Er schaltete noch einen Gang hoch, fuhr wie der Wind, bremste, als es die Fitzroy hinunterging, und erkannte, dass der Verdächtige in Richtung Bahnhof lief. Er nahm die Kurve an der Ecke bei Pop Up Tyres; er holte jetzt schnell auf. Schnell genug? Der Bahnhof von Goodwood lag gleich da vorn.

Er steigerte das Tempo. In einem der kleinen Vorgärten stand eine alte Dame mit Gartenschlauch und stieß vor Schreck einen lauten Schrei aus, als er vorbeiraste.

Der Flüchtige durchquerte jetzt die Stasiestraat und bog am Ende wieder links ab in Richtung Bahnhof, der nur noch vierzig Meter entfernt lag.

Griessel schaffte die Kurve, seine Augen tränten im Wind, er sah das graue Bahnhofsgebäude mit rotem Dach, frisch gestrichen und adrett, Fußgänger, die sich erst nach dem flüchtenden jungen Mann umblickten und dann nach ihm. Der Verdächtige rannte zum Eingang des Bahnhofs. Griessel hatte ihn fast erreicht. Er musste scharf bremsen, das Hinterrad blockierte laut quietschend, er warf das Fahrrad hin und folgte dem Mann die Treppen hinauf bis auf den Bahnsteig. Er sah, wie der Flüchtige vor der Lok der wartenden S-Bahn vorbeirannte; dann fuhr der Zug an, und Griessel musste warten. Schnaufend stand er inmitten der aussteigenden Passagiere und musste tatenlos durch die Zugfenster mit ansehen, wie der Verdächtige auf der anderen Seite über einen hohen Zaun sprang. Anschließend joggte der junge Mann an den Gebäuden des Grant West Casinos vorbei, blieb einen Augenblick stehen, blickte zurück und – Griessel war sich ganz sicher – winkte ihm höflich und mitleidig zu.

Vier