Romane

Inhaltsverzeichnis
Robert Louis Stevenson, Jules Verne, James Fenimore Cooper, Emilio Salgari, Herman Melville, Karl May, Edgar Allan Poe, Jonathan Swift, Alexandre Dumas, Daniel Defoe, Johann David Wyss, Frederick Kapitän Marryat, Sophie Wörishöffer, Amalie Schoppe, Joseph Conrad & Alexander von Ungern-Sternberg

Die großen Seeabenteuerromane

Die Schatzinsel, Ein Kapitän von 15 Jahren, Der rote Freibeuter, Der Schatz im Silbersee, Der schwarze Korsar, Die Abenteuer David Balfours...

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-3071-6

Inhaltsverzeichnis

Romane
Ein Kapitän von 15 Jahren (Jules Verne)
Die Schatzinsel (Robert Louis Stevenson)
Der rote Freibeuter (James Fenimore Cooper)
Die geheimnisvolle Insel (Jules Verne)
Das Gespensterschiff oder der Fliegende Holländer (Frederick Kapitän Marryat)
Lord Jim (Joseph Conrad)
Der Goldkäfer (Edgar Allan Poe)
Der schwarze Korsar (Emilio Salgari)
Die Abenteuer David Balfours: Entführt & Catriona (Robert Louis Stevenson)
Moby Dick (Herman Melville)
Gullivers Reisen (Jonathan Swift)
Der Graf von Monte Christo (Alexandre Dumas)
Robinson Crusoe (Daniel Defoe)
Der Schatz im Silbersee (Karl May)
Die denkwürdigen Erlebnisse des Artur Gordon Pym (Edgar Allan Poe)
Die Schweizer Familie Robinson (Johann David Wyss)
Jakob Ehrlich Mildmay (Frederick Kapitän Marryat)
Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte (Sophie Wörishöffer)
Robinson in Australien (Amalie Schoppe)

Seegeschichten & Seesagen
Fata Morgana
Das steinerne Schiff
Der fliegende Holländer
Die fliehende Insel
The Man of War
Die glückliche Probe
Das Leuchten des Meeres
Das Seegespenst
Der fliegende Fisch
Die Meeres-Fee
Die Sturmvögel
Helgoland
Klabautermann
Das Totenschiff
Die frommen Schläfer
Der Geister-Lotse
Die Rose von Seeland
Insel Neuwerk
Meerkönigs Töchterlein
Der Knurrhahn
Der Elbgeist
Der Schiffbrüchige
Das Feuerschiff
Kajütspassagiere
Regatta
Eisgang
Vom Stapel
Röschen vom Cliff
Das Pestschiff
Das Dünendorf
Der Kaper
Der fliehende Holländer (Zweite Version)
Der arme Thoms oder die versunkene Stadt
Die rote Perle
Meerlilie
Der Wetterbeschwörer
Klabauterman
Die Seelen der Ertrunkenen
Scylla. Ein antikes Schiffermärchen
Das Märchen von der verliebten Auster
Das Abenteuer mit den drei Fischen

Ein Kapitän von 15 Jahren

(Jules Verne)
Inhaltsverzeichnis
Erster Theil.
Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Siebenzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel.
Zweiter Theil.
Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Siebenzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel.
Neunzehntes Capitel.
Zwanzigstes Capitel.

Erster Theil.

Erstes Capitel.

Die Brigg-Goëlette »Pilgrim«.

Inhaltsverzeichnis


Am 2. Februar 1873 befand sich die Brigg-Goëlette »Pilgrim« unter 43°57' südlicher Breite und 165°19' westlicher Länge von Greenwich.

Dieses vier hundert Tonnen große, in San-Francisco für die Großfischerei in den australischen Meeren ausgerüstete Fahrzeug gehörte James W. Weldon, einem reichen, kalifornischen Rheder, der das Commando desselben schon seit mehreren Jahren dem Kapitän Hull anvertraut hatte.

Der »Pilgrim« war eines der kleinsten, aber auch eines der besten Schiffe der Flottille, welche James W. Weldon Jahr für Jahr sowohl hinauf durch die Behringsstraße in das nördliche Eismeer, als auch nach den Meeren von Tasmanien und des Cap Horn bis hinab in den Antarktischen Ocean aussendete. Kapitän Hull wußte sich schon »durchzuschlagen«, wie die Matrosen sagten, wenn er zwischen das Eis gerieth, das während des Sommers an Neu-Seeland oder am Cap der Guten Hoffnung vorüber bis in weit niedrigere Breiten hinaustreibt, als in den nördlichen Meeren der Erdkugel. Allerdings handelte es sich hier nur um Eisberge von geringerem Umfange, welche schon durch wiederholten Anprall zerklüftet, sowie vom warmen Wasser angenagt waren und von denen die größte Menge im Pacifischen oder Atlantischen Ocean zum schmelzen kommt.

Unter dem Befehle des Kapitäns Hull, eines ausgezeichneten Seemannes und dazu eines der gewandtesten Harpuniere der Flottille, stand eine Bedienung von fünf Matrosen und einem Leichtmatrosen. Das mag für den Walfischfang, der zahlreiche Hände sowohl beim Fange als bei der Ausweidung dieser Meeresriesen verlangt, etwas zu wenig sein. James W. Weldon fand es aber, nach dem Beispiel mancher anderer Rheder in San-Francisco, für vortheilhafter, nur die zur eigentlichen Führung des Schiffes nothwendigen Matrosen im Heimatshafen an Bord zu nehmen. In Neu-Seeland braucht man keinen Mangel zu fürchten an Harpunieren und Seeleuten aller Nationen, Deserteuren und Anderen, welche sich für die Dauer der Saison zu vermiethen suchen und als Fischer recht brauchbar sind. Nach Schluß der Fangzeit zahlt man ihnen den bedungenen Lohn, schifft sie wieder aus und Jene warten dann, bis die Walfischfahrer im nächsten Jahre ihre Dienste wieder in Anspruch nehmen. Dieses Verfahren gestattet eine bessere Ausnutzung disponibler Seeleute und sichert bei geordneter Zusammenwirkung mit jenen einen höheren Nutzen.

In dieser Weise ward es also auch an Bord des »Pilgrim« gehalten.

Die Brigg-Goëlette hatte sich während der Fangzeit an der Grenze des südlichen Polarkreises aufgehalten. Noch ermangelte sie jedoch ihrer vollen Ladung an Oel und rohen und verarbeiteten Vorräthen. Zur Zeit wurde der Fang schon schwieriger. Die Cetaceen erschienen in Folge der hartnäckigen Jagd auf sie merklich seltener. Der gewöhnliche Walfisch, im nördlichen Ocean der »Nordkaper«, im südlichen »Sulpherboltone« genannt, schien gänzlich verschwinden zu wollen. Die Fischer mußten sich nothgedrungen auf den »Finnback« oder Schnabelfisch, ein gigantisches Wassersäugethier, dessen Angriffe nicht ohne Gefahr sind, beschränken.

Auch Kapitän Hull hatte das im Laufe dieser Campagne gethan, rechnete aber darauf, sich bei der nächsten Reise nach höheren Breiten zu begeben, wenn es sein müßte bis nach Clavie- und Adelie-Land, deren durch den Amerikaner Wilkes bestätigte Entdeckung dem berühmten Commandanten der »Astrolabe« und der »Zélée«, dem Franzosen Dumont d'Urville, zu danken ist.

Kurz, die Saison war für den »Pilgrim« keine gewinnreiche, glückliche gewesen. Schon Anfangs Januar, zur Zeit, wo die Walfischfahrer noch nicht an die Heimkehr zu denken pflegen, sah sich Kapitän Hull genöthigt, die Fischgründe zu verlassen. Seine Mannschaft – ein zusammengewürfelter Hause zweifelhafter Subjecte – machte »Schwierigkeiten«, wie man sagt, und er mußte daran denken, sie an's Land zu setzen.

Der »Pilgrim« drehte also nach Nordwesten bei, in der Richtung auf Neu-Seeland, das er am 15. Januar in Sicht bekam. Er lief glücklich in Waitemata, dem Hafen von Auckland, der am Grunde des Golfes von Chouraki, an der Ostküste der nördlichen Insel liegt, ein und schiffte die für die Saison engagirten Fischer aus.

Die Mannschaft war nicht besonders zufrieden. An der vollen Ladung des »Pilgrim« fehlten etwa zweihundert Baril Leberthran. Nie hatte der Fischfang einen so geringen Ertrag geliefert. Der Kapitän Hull kehrte wirklich fast mit der verdrießlichen Enttäuschung zurück wie etwa ein Jäger, der zum ersten Male »Schneider« geworden ist. Seine reizbare Eigenliebe kam hier in's Spiel und er konnte jenen Schurken nicht verzeihen, deren Insubordination ihn um den Erfolg der Campagne gebracht hatte.

Der Versuch, in Auckland eine andere Mannschaft zu heuern, wäre gewiß vergeblich gewesen. Alle disponiblen Seeleute waren auf anderen Walfischfahrern gedungen. Er mußte also auf die Vervollständigung der Ladung des »Pilgrim« verzichten, und so beschloß Kapitän Hull denn, Auckland definitiv zu verlassen, als an ihn ein Gesuch um einen Platz auf dem Schiffe erging, welches abzulehnen er außer Stande war.

Mistreß Weldon, die Gattin des Rheders des »Pilgrim«, ihr fünfjähriger Sohn Jack und ein Anverwandter der Familie, den man nur den Vetter Benedict nannte, befanden sich derzeit in Auckland. James W. Weldon, den seine Handelsverbindungen öfters nach Neu-Seeland führten, hatte diese drei Personen mit dorthin genommen und auch die Absicht gehabt, sie wieder nach San-Francisco zurückzugeleiten.

Gerade als die ganze Familie abreisen wollte, erkrankte der kleine Jack ziemlich ernstlich, und sein Vater, den unabweisliche Geschäfte abriefen, mußte Auckland verlassen, wo er seine Frau, sein Kind und den Vetter Benedict zurückließ.

So verflossen drei Monate – drei lange Monate der Trennung, welche Mistreß Weldon im höchsten Grade peinlich waren. Indeß ihr Kind erholte sich wieder und sie stand im Begriff abzureisen, als ihr die Ankunft des »Pilgrim« gemeldet wurde.

Um zu dieser Jahreszeit nach San-Francisco zurückzukehren, hätte Mistreß Weldon nothwendiger Weise erst nach Australien gehen und dort eines der Dampfboote der Transoceanischen Gesellschaft des »Golden Age« benützen müssen, welche den Dienst zwischen Melbourne und Panama über Papaïti versehen. In Panama mußte sie dann wiederum erst einen amerikanischen Steamer abwarten, wie solche die regelmäßige Verbindung zwischen der Landenge und Kalifornien unterhalten. Hiermit waren nothwendiger Weise Zeitverluste und mehrfaches Umhertransportiren der Effecten verbunden, was für eine Dame und ein Kind stets verdrießlich ist. Als ihr Entschluß schon gefaßt war, warf der »Pilgrim« auf der Rhede von Auckland Anker. Sie zögerte keinen Augenblick, sich beim Kapitän Hull zur Ueberfahrt zu melden, sich selbst, ihren Sohn, den Vetter Benedict und Nan, eine bejahrte Negerin, welche ihr schon seit ihrer Kindheit diente. Dreitausend Seemeilen auf einem Segelschiffe!

Doch Kapitän Hull's Schiff erschien ja im besten Zustande und noch währte die schöne Jahreszeit zu beiden Seiten der Linie an. Kapitän Hull kam dem Gesuche entgegen und stellte der Dame sofort sein eigenes Zimmer zur Disposition. Er wünschte Mistreß Weldon für eine Ueberfahrt, welche vierzig bis fünfzig Tage beanspruchen konnte, so gut untergebracht zu sehen, als das auf einem Walfischfahrer eben möglich war.

Der Mistreß Weldon bot die Ueberfahrt unter diesen Bedingungen also gewiß mehrfache Vortheile. Die einzige Unbequemlichkeit lag allein darin, daß die Fahrt deshalb eine etwas lange werden mußte, weil der »Pilgrim« seinen Cargo erst im Hafen von Valparaiso in Chili zu löschen hatte. Nachher brauchte er nur längs der Küste Amerikas hinauszusegeln, was bei den dort vorherrschenden Landwinden meist sehr angenehm ist.

Mistreß Weldon gehörte übrigens zu den muthigen Frauen, welche das Meer nicht erschreckt. Sie stand jetzt im Alter von dreißig Jahren, strotzte von Gesundheit und war lange Reisen schon gewöhnt, da sie ihren Gatten bei seinen Fahrten über das Meer wiederholt begleitet hatte – ihr kostete es demnach keine lange Ueberlegung, sich zu einer von Zufälligkeiten aller Art viel mehr abhängigen Reise auf einem Segler von mäßigem Tonnengehalt zu entschließen. Dazu kannte sie ja Kapitän Hull als ausgezeichneten Seemann, zu dem James W. Weldon selbst das beste Zutrauen hatte. Der »Pilgrim« war ein solides Schiff, ein guter Segler und wegen dieser Eigenschaften auch in der ganzen Flottille der amerikanischen Walfischfahrer anerkannt. Die Gelegenheit bot sich – jetzt galt es, sie zu benutzen. Mistreß Weldon that es.

Vetter Benedict – das verstand sich ganz allein – sollte sie begleiten.

Dieser Vetter war ein braver Mann von etwa fünfzig Jahren. Doch trotz seiner halbhundert Jahre hätte man ihn nimmermehr allein reisen lassen können. Mehr lang als groß, mehr schwach als mager, mit knochigem Gesicht, einem gewaltigen Schädel voller buschiger Haare, erkannte man in dieser halb räthselhaften Persönlichkeit doch sogleich einen jener würdigen Gelehrten mit goldener Brille und dem besten Herzen von der Welt, welche bestimmt zu sein scheinen, ihr Lebenlang große Kinder zu bleiben, und dereinst, vielleicht selbst mit hundert Jahren, als gealterte Säuglinge zu sterben.

»Vetter Benedict« – so nannte ihn Jedermann regelmäßig sowohl in und außerhalb der Familie, und er hatte in Wahrheit das Aussehen der Leute, welche als Vettern für die ganze Welt geboren scheinen – der Vetter Benedict, den seine langen Arme und seine noch längeren Beine überall belästigten, war absolut nicht im Stande, sich allein fortzuhelfen, und wäre das auch unter den einfachsten Umständen gewesen, wie sie so häufig eintreten. Er belästigte im Grunde Niemand – o nein, im Gegentheil, er schien eben so besorgt für Andere wie für sich selbst. Leicht zu befriedigen und sich in Alles schickend, vergaß er Essen und Trinken, wenn man ihm nicht Speise und Trank vorsetzte, war unempfindlich gegen Frost und Hitze und schien weit mehr dem Pflanzen als dem Thierreiche anzugehören. Stelle man sich einen völlig unnützen Baum vor, ohne Früchte und fast ohne Laub, der Niemand ernähren, kaum Jemand schützen könnte, aber – der doch ein gutes Herz hätte, und man gewinnt ein Bild von diesem Manne.

So war der Vetter Benedict. Er hätte Jedermann so gern alle möglichen Dienste erwiesen, wenn er, wie Prudhomme sagen würde, dazu nur überhaupt fähig gewesen wäre.

Gerade seiner Schwäche wegen liebte man ihn sogar. Mistreß Weldon betrachtete ihn schon mehr als ein Kind – etwa als den älteren erwachsenen Bruder des kleinen Jack.

Hierzu muß jedoch bemerkt werden, daß Vetter Benedict niemals weder unthätig noch unbeschäftigt blieb. Im Gegentheil, er war fleißig wie nur Wenige; seine einzige Leidenschaft, die Naturgeschichte, nahm ihn eben ganz und gar ein.

Die »Naturgeschichte!« Das ist freilich viel mit wenig Worten gesagt.

Bekanntlich setzt sich diese Wissenschaft aus Zoologie, Botanik, Mineralogie und Geologie zusammen.

Vetter Benedict gehörte nun weder zu den Botanikern, noch zu den Geologen oder Mineralogen.

War er also Zoolog in der vollen Bedeutung dieses Wortes, so etwas wie eine Art Cuvier der neuen Welt, der die Thiere analytisch zergliederte und synthetisch wieder zusammensetzte, einer jener gründlichen Weisen, die sich in das Studium jener vier Typen vertieft haben, unter welche die moderne Wissenschaft das ganze Thierreich, die Wirbelthiere, Mollusken, Glieder- und Strahlenthiere, untergebracht hat? Hatte der naive, aber eifrige Gelehrte von diesen vier Hauptabtheilungen die verschiedenen Klassen durchstudirt und sich mit deren Ordnungen, Familien, Tribus, Geschlechtern, Arten und Varietäten beschäftigt?

Hatte Vetter Benedict seinen Fleiß auf die Wirbelthiere, Säugethiere, Vögel, Reptilien und Fische verwendet?

Nein!

Hatte er den Mollusken, von den Kephalopoden bis zu den Bryoarien den Vorzug gegeben und barg die Malökologie keine Geheimnisse mehr vor ihm?

Auch das nicht.

So waren es also die Strahlenthiere, die Echinodermen, Akalephen, Polypen, Entozoen, Spongiarien und Infusorien, um deretwillen seine Studirlampe so viel Oel verbraucht hatte?

Nein, auch die Strahlenthiere hatten das nicht verschuldet.

Da von der ganzen Zoologie nun blos noch die Abtheilung der Gliederthiere übrig bleibt, so kann es also nur diese Abtheilung gewesen sein, welche die Leidenschaft des Vetter Benedict entflammt hatte.

Ja, doch auch das verlangt noch eine nähere Bestimmung.

Die gesammten Gliederthiere zerfallen nämlich in sechs Klassen: die Insecten, Myriapoden (Tausendfüßler), Arachniden (Spinnen), Krustaceen (Schalenthiere), Cirrhopoden und Anneliden.

Vetter Benedict wäre nämlich, wissenschaftlich gesprochen, nicht im Stande gewesen, einen Regenwurm von einem Blutegel, einen Bohrfüßler von einer Seeeichel, eine gewöhnliche Hausspinne von einem falschen Scorpion oder eine Krabbe von einem Frosche zu unterscheiden.

Was in aller Welt war dann aber Vetter Benedict?

Nun, ein einfacher Entomolog – nichts weiter.

Hierauf dürfte man wohl erwidern, daß die Entomologie der gebräuchlichen etymologischen Auffassung nach ein Theil der Naturkunde ist, welche alle Gliederthiere umfaßt. Das ist zwar im Allgemeinen richtig, aber andererseits hat man sich gewöhnt, diese Bezeichnung in weit eingeschränkterem Sinne zu gebrauchen. Man verwendet sie nämlich nur mit Bezug auf die Insecten, d.h. alle diejenigen Gliederthiere, deren Körper aus drei rundlichen Abtheilungen besteht, welche an ihren Enden zusammenhängen, und welche drei Paar Füße besitzen, weshalb sie auch den Namen »Hexapoden« (Sechsfüßler) erhalten haben.

Da sich Vetter Benedict also speciell auf das Studium der Gliederthiere dieser Klasse geworfen hatte, war er im eigentlichen Sinne des Wortes ein simpler Entomolog.

Doch man mache sich hierbei keine falschen Vorstellungen. Die Klasse der Insecten zählt nicht weniger als zehn Ordnungen: Orthopteren,1 Neuropteren,2Hymenopteren,3 Lepidopteren,4 Hemipteren,5 Coleopteren,6 Dipteren,7 Rhipipteren,8 Parasiten,9 und Thysanuren.10

Von manchen dieser Ordnungen, z.B. von den Coleopteren, unterscheidet man 30.000, von den Dipteren gar 60.000 Arten; an Objecten für das Studium fehlt es hier also gewiß nicht und der Leser wird zugestehen, daß ein Einzelner hierin schon eine genügende Befriedigung seiner Arbeitslust finden kann.

Das Leben Vetter Benedict's war auch wirklich einzig und allein der Entomologie gewidmet.

Dieser Wissenschaft opferte er alle, alle Stunden – alle ohne Ausnahme, selbst die des Schlafes, denn er träumte unabänderlich nur von »Hexapoden«. Wieviel er Stecknadeln an den Aermeln und den Aufschlägen seines Rockes, dem Futter seines Hutes und an der Weste trug, wäre gar nicht zu zählen gewesen. Kehrte Vetter Benedict von einem Spaziergange zurück, so bildete seine kostbare Kopfbedeckung vorzüglich einen vollen naturhistorischen Schaukasten, so sehr erschien sie äußerlich und im Innern mit durchbohrten Insecten gespickt.

Der Leser weiß nun so ziemlich Alles über dieses Original, wenn wir höchstens noch hinzufügen, daß ihn eben jene entomologische Leidenschaft veranlaßt hatte, Mr. und Mrs. Weldon nach Neu-Seeland zu begleiten. Dort hatte sich seine Sammlung nun mit einigen seltenen Exemplaren bereichert und man wird es erklärlich finden, daß er so viel als möglich eilte, zurückzukehren, um dieselben in den Kästen seines Cabinets zu San-Francisco geordnet unterzubringen.

Da Mrs. Weldon und ihr Sohn jetzt mit dem »Pilgrim« nach Amerika zurückkehrten, war also nichts natürlicher, als daß Vetter Benedict sie auf dieser Ueberfahrt begleitete.

Auf ihn durfte Mrs. Weldon freilich am wenigsten zählen, wenn sie jemals in eine kritische Lage kam. Zum Glück handelte es sich hier ja auch nur um eine Reise, welche während der schönen Jahreszeit keine Schwierigkeiten bietet, und das am Bord eines Schiffes, dessen Kapitän alles Zutrauen verdiente.

Während der drei Tage, die der »Pilgrim« in Waitemata vor Anker lag, traf Mrs. Weldon ihre Vorbereitungen in größter Eile, da sie die Abfahrt der Brigg-Goëlette nicht verzögern wollte. Die eingebornen Diener, welche sie in ihrer Wohnung in Auckland gehabt, wurden verabschiedet und am 22. Januar schon schiffte sie sich mit ihrem Sohne Jack, dem Vetter Benedict und Nan, der alten Negerin, auf dem »Pilgrim« ein.

In einer besonderen Kiste schleppte Vetter Benedict seine ganze Sammlung von Insecten mit. In dieser Sammlung figurirten unter Anderem einige Exemplare neuer Staphylinen, das sind gewisse fleischfressende Raubkäfer, welche die Augen über dem Kopfe haben und bis jetzt nur in Neu-Caledonien vorzukommen schienen. Gleichzeitig hatte man ihn auch auf eine gewisse giftige Spinne aufmerksam gemacht, auf den »Katipo« der Maoris, deren Biß für die Eingebornen oft tödtlich ist. Eine Spinne gehört jedoch nicht unter die Ordnung der eigentlichen Insecten, sie zählt zu den Arachniden und erschien demnach in den Augen Vetter Benedict's werthlos. Er hatte sich also um diese gar nicht gekümmert und als bester Edelstein seiner Sammlung glänzte ein sehenswerther neuseeländischer Staphyline.

Selbstverständlich hatte Vetter Benedict seine Ladung unter Zeichnung einer starken Prämie sehr hoch versichert, denn ihm dünkte diese werthvoller als der ganze Cargo des »Pilgrim« an Oel und Walfischbarten.

Als die Anker gelichtet werden sollten und Mrs. Weldon nebst ihren Begleitern sich auf dem Verdeck des »Pilgrim« befand, trat Kapitän Hull an die Dame heran:

»Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, Mistreß Weldon, sagte er zu ihr, daß Sie es auf eigene Verantwortlichkeit thun, wenn Sie sich zur Ueberfahrt des »Pilgrim« bedienen.

– Weshalb sagen Sie mir das, Herr Hull? fragte Mrs. Weldon.

– Weil ich von Ihrem Gemahl hierüber keinen Befehl erhalten habe und eine Brigg-Goëlette Alles in Allem nicht die Garantien einer angenehmen Ueberfahrt bieten kann, wie ein für Passagiere speciell eingerichteter Dampfer.

– Und wenn mein Mann jetzt hier wäre, erwiderte Mrs. Weldon, glauben Sie, daß er Anstand nehmen würde, sich mit seiner Frau und seinem Kinde auf dem »Pilgrim« einzuschiffen?

– Nein, Mistreß Weldon, antwortete Kapitän Hull, das glaube ich sicher nicht! So wenig wie ich selbst zögern würde, es zu thun! Der »Pilgrim« ist ein gutes Schiff, wenn er auch heut' einen traurigen Fischzug hinter sich hat, und ich verlasse mich auf ihn, so gut wie ein Seemann sich auf ein Fahrzeug verlassen kann, das er seit mehreren Jahren selbst commandirt.

Durch meine vorigen Worte, Mistreß Weldon, wollte ich mich nur von meiner Verantwortlichkeit befreien und Ihnen wiederholen, daß Sie an Bord nicht denjenigen Comfort finden werden, den Sie gewöhnt sind.

– Wenn es sich nur um etwas Bequemlichkeit mehr oder weniger handelt, Herr Kapitän, entgegnete Mrs. Weldon, so machen Sie sich keine weitere Sorge. Ich gehöre nicht zu den. Passagieren, welche sich unausgesetzt über die Enge der Cabinen und über die Mangelhaftigkeit der Tafel beklagen.«

Mrs. Weldon's Augen ruhten einige Augenblicke auf dem kleinen Jack und dann sagte sie:

»Reisen wir in Gottes Namen ab, Herr Hull!«

Sofort erging der Befehl zur Lichtung der Anker, die Segel wurden gerichtet und der »Pilgrim« drehte so bei, daß er möglichst schnell offenes Wasser erreichte, und steuerte dann in der Richtung auf Amerika zu.

Drei Tage nach der Abfahrt aber wurde die Brigg-Goëlette durch starke Ostwinde gezwungen, Backbordhalsen zu setzen, um gegen den Wind aufzukommen.

So befand sich Kapitän Hull am 2. Februar unter einer höheren Breite, als er beabsichtigt hatte, und etwa in der Lage eines Seemannes, der weit eher das Cap Horn zu umschiffen, als die neue Welt auf der kürzesten Linie zu erreichen sucht.

Fußnoten

1 Typen: Heuschrecken, Grillen.

2 Typen: Ameisenlöwen, Libellen.

3 Typen: Bienen, Wespen.

4 Typen: Schmetterlinge.

5 Typen: Baumgrillen, Blattläuse.

6 Typen: Maikäfer.

7 Typen: Mücken, Schnaken.

8 Typen: Griffelfüßler.

9 Typen: Käsewürmer.

10 Typen: Zuckerthierchen.

Zweites Capitel.

Dick Sand.

Inhaltsverzeichnis


Das Meer hielt sich im Ganzen freundlich und die Reise ging, von der unausbleiblichen Verzögerung abgesehen, unter recht leidlichen Verhältnissen von statten.

Mrs. Weldon war am Bord des »Pilgrim« so gut und bequem als möglich untergebracht worden. Weder Oberdeck noch Ruff (auf Segelschiffen häufig ein auf Deck errichtetes Wohnhäuschen für die Mannschaft) befanden sich auf dem Achterdeck. Eine eigentliche Cabine konnte ihr daselbst also nicht angewiesen werden. Sie mußte sich mit dem am Stern des Schiffes gelegenen Zimmerchen des Kapitäns Hull, einer höchst bescheidenen Seemannswohnung, begnügen. Aber es hatte der dringendsten Vorstellungen seitens des Kapitäns bedurft, sie zur Annahme derselben zu bewegen. In diesem engen Raume also hatte sich jetzt Mrs. Weldon mit ihrem Kinde und der alten Nan eingerichtet. Hier nahm sie ihre Mahlzeiten ein in Gesellschaft mit Kapitän Hull und Vetter Benedict, für welch' Letzteren ein besonderes Zimmerchen vorgerichtet worden war.

Der Commandant des »Pilgrim« selbst hatte sich in einer Cabine des Wohnraumes für die Mannschaft eingerichtet, eine Cabine, welche von dem zweiten Officier bewohnt gewesen wäre, wenn es einen solchen am Bord des »Pilgrim« gegeben hätte. Die Brigg-Goëlette machte ihre Fahrten aber, wie wir wissen, unter Umständen, welche die Dienstleistung eines zweiten Officiers überflüssig erscheinen ließen.

Die Mannschaft des »Pilgrim«, lauter gute und solide Seeleute, vereinigte die Gemeinsamkeit der Anschauungen und Gewohnheiten; dieses Jahr machten sie schon die vierte Fischerei-Saison mit einander durch. Als lauter Amerikaner aus dem Westen kannten sie sich schon seit langer Zeit und stammten auch Alle von derselben Küste Kaliforniens her.

Diese guten Leute benahmen sich sehr zuvorkommend gegen Mrs. Weldon, die Gattin ihres Rheders, für den sie eine unbegrenzte Ergebenheit an den Tag legten. Es erklärte sich das auch durch den Umstand, daß sie an den Erträgnissen des Schiffes selbst in hohem Maße betheiligt und bisher stets mit gutem Erfolge gefahren waren. Wenn ihre geringe Anzahl auch für jeden Einzelnen eine erhöhte Arbeit mit sich brachte, so steigerte sich eben dadurch auch der Antheil eines Jeden bei Abschluß der Rechnung nach vollendeter Saison. Für diesmal freilich stand ihnen so gut wie gar kein Ueberschuß in Aussicht, weshalb sie gewiß mit Recht den Spitzbuben aus Neu-Seeland gründlich zürnten.

Ein einziger Mann unter Allen an Bord war nicht von amerikanischer Herkunft. Portugiese von Geburt, doch der englischen Sprache vollkommen mächtig, nannte er sich Negoro und versah die bescheidene Function eines Kochs der Brigg-Goëlette.

Da der frühere Koch des »Pilgrim« in Auckland desertirte und jener Negoro gerade ohne Stellung war, so bot er sich zu diesem Dienste an. Von Natur schweigsam und wenig mittheilsam, hielt er sich meist sehr zurückgezogen, that in seinem Fache jedoch seine Schuldigkeit. Mit seinem Engagement schien Kapitän Hull einen glücklichen Griff gethan zu haben, und seit seiner Einschiffung hatte der Küchenvorstand wirklich noch niemals Ursache zum Tadel gegeben.

Immerhin bedauerte Kapitän Hull, sich vorher aus Mangel an Zeit nicht näher nach seiner Vergangenheit erkundigt zu haben. Sein Gesicht oder vielmehr sein Blick sagte ihm gar nicht besonders zu, und wenn es sich darum handelt, einen völlig Unbekannten in den so beschränkten und sich stets nahe berührenden Kreis an Bord eines Schiffes aufzunehmen, sollte man niemals versäumen, sich über dessen Antecedentien möglichst eingehend zu unterrichten.

Negoro mochte vierzig Jahre zählen. Mager, nervös, von mittlerer Statur, tiefbrünett von Haar und stark sonnenverbrannt schien er sehr kräftiger Constitution zu sein. Handelte er nach irgend welchen Instructionen? Ja, wenigstens deuteten darauf wiederholt einzelne abgerissene Aeußerungen hin, welche er wohl aus Versehen fallen ließ. Uebrigens sprach er nie von seiner Vergangenheit und erwähnte von seiner Familie keine Silbe. Woher er kam, wo er gelebt – Niemand konnte das errathen. Welche Zukunft ihm bevorstand, vermochte man ebensowenig zu muthmaßen. Er gab nur seine Absicht kund, in Valparaiso an's Land zu gehen. Unzweifelhaft hatte man es mit einem eigenthümlichen Menschen zu thun. Seemann schien er auf keinen Fall zu sein, denn Alles, was zur Marine in Bezug stand, erschien ihm fremder, als man es sich von einem Schiffskoch versieht, der ja zu nicht geringem Theile sein Leben auf dem Meere zubringt.

Im Ganzen sah man ihn sehr wenig. Tagsüber hielt er sich in der kleinen Küche auf, deren gußeiserne Kochmaschine den größten Theil des Raumes daselbst einnahm. Löschte er mit einbrechender Nacht sein Feuer, so suchte Negoro die ihm angewiesene Lagerstätte in dem Schlafraume der Schiffsbesatzung auf, legte sich sofort nieder und schlief ein.

Wir erwähnten schon oben, daß die Mannschaft des »Pilgrim« aus fünf Matrosen und einem Leichtmatrosen bestand.

Dieser junge Mann von beiläufig fünfzehn Jahren war von gänzlich unbekannter Herkunft. Von seiner Geburt an verlassen, war das arme Wesen durch öffentliche Mildthätigkeit erhalten und erzogen worden.

Dick Sand – so hieß er – stammte offenbar aus dem Staate New-York und jedenfalls aus der Hauptstadt desselben.

Den Vornamen Dick – eine Abkürzung von Richard – hatte man der armen Waise beigelegt, weil das der Name des mitleidigen Fremden war, der ihn zwei bis drei Stunden nach seiner Geburt aufnahm. Den Zunamen Sand erhielt er zur Erinnerung an die Stelle, auf der er gefunden ward, nämlich an die Spitze von Sandy-Hook,1welche an der Hudson-Mündung den Eingang zum Hafen von New-York bildet.

Auch nach dem vollendeten Wachsthum konnte Dick Sand wohl kaum die mittlere Größe überschreiten, doch schien er von kräftiger Constitution zu sein. Seine Erscheinung verrieth deutlich den angelsächsischen Ursprung. Braun von Haar, besaß er doch herrliche blaue Augen, deren Krystall in hellem Feuer leuchtete. Seine intelligente Physiognomie athmete Lebenslust und Thatkraft. Es war nicht die eines Tollkühnen, wohl aber die eines »Wagenden«. Man citirt so häufig jene drei Worte aus einem Verse Virgil's:

Audaces fortuna juvat!


– doch man citirt sie falsch. Der Dichter hat richtiger gesagt:

Audentes fortuna juvat!

Die mit Vorbedacht »Wagenden«, nicht die »Wagehälse«, unterstützt das Glück. Der Tollkühne handelt unüberlegt. Der Wagende denkt zuerst und handelt dann. Hierin liegt der Unterschied.

Dick Sand war ein audens. Schon mit fünfzehn Jahren wußte er, wie man zu sagen pflegt, was er wollte, und führte unentwegt aus, was er einmal beschlossen hatte. Sein lebhaftes und doch ernstes Antlitz erregte unwillkürlich Jedermanns Aufmerksamkeit. Haushälterisch in Worten und Bewegungen, unterschied er sich dadurch merklich von den anderen Knaben seines Alters. In sehr jungen Jahren, wo man sonst an die Fragen des Lebens noch nicht heranzutreten pflegt, begriff er schon seine elende Lage und gelobte, »aus sich selbst heraus« etwas Ordentliches zu werden.

Er hatte Wort gehalten – er reiste schon zum Manne, wo Andere gewöhnlich noch Kinder sind. Gleichzeitig geschickt und eifrig in allen körperlichen Uebungen, gehörte Dick zu den bevorzugten Wesen, von denen man sagen kann, daß sie mit zwei linken Füßen und zwei rechten Händen geboren sind, so daß sie Alles mit der rechten Hand erfassen und nie mit dem unrechten Fuße aufstehen.

Durch öffentliche Mildthätigkeit war der kleine Waisenknabe also erzogen worden. Man hatte ihn erst in einem jener Rettungshäuser für Kinder untergebracht, in denen sich in Amerika stets ein Platz für die verlassenen Kleinen findet. Mit vier Jahren schon lernte Dick dann lesen, schreiben und rechnen in einer jener Freischulen des Staates New-York, welche durch freiwillige Beiträge so freigebig ausgestattet sind.

Mit acht Jahren trieb Dick seine von Anfang an ausgesprochene Vorliebe für das Meer hinaus; er trat als Schiffsjunge auf einem Oceanfahrer, der nach den südlichen Meeren segelte, ein. Dort bestand er seine erste Lehrzeit als Seemann, wie das eigentlich immer sein sollte, von frühestem Alter an. Nach und nach unterrichtete er sich unter der Anleitung von Officieren, die sich für den kleinen Kerl interessirten; der Schiffsjunge avancirte denn auch bald, jedenfalls in Erwartung weiterer Fortschritte, zum Leichtmatrosen. Ein Kind, welches von klein auf begreift, daß die Arbeit das Grundgesetz des Lebens ist, daß es sein Brot nur im Schweiße seines Angesichts verdienen kann – eine Lehre der Bibel, welche für die Menschheit zur Regel geworden ist – ein solches ist voraussichtlich zu großen Dingen ausersehen, denn ihm wird gegebenen Falles neben dem Willen zu solchen auch die Kraft der Ausführung nicht fehlen.

So befand sich Dick also als Leichtmatrose an Bord eines Kauffahrers, als Kapitän Hull auf ihn aufmerksam wurde. Der wackere Seemann faßte sofort eine aufrichtige Zuneigung zu dem guten Knaben und machte ihn später auch seinem Rheder James W. Weldon bekannt. Dieser empfand jedenfalls ein lebhaftes Interesse für die Waise, sorgte für Vollendung seiner Bildung in San-Francisco und ließ ihn in der katholischen Religion, der seine Familie angehörte, erziehen.

Im Laufe dieser Studien entwickelte sich in Dick Sand eine hervorragende Leidenschaft für die Geologie und Reisen, bis er das nöthige Alter erreichte, um den auf die Navigationslehre bezüglichen Theil der Mathematik betreiben zu können. Bei diesem theoretischen Theile seiner Ausbildung versäumte er auch nicht, sich praktisch zu vervollkommnen. Er schiffte sich also zum ersten Male als Leichtmatrose auf dem »Pilgrim« ein. Ein tüchtiger Seemann muß die Großfischerei eben so gut kennen wie die Schifffahrt auf offenem Meere. Es gewährt das eine gute Vorbereitung für alle Zufälligkeiten, welche die Seecarrière mit sich führt; dazu diente Dick Sand ja auf einem Fahrzeuge James W. Weldon's, seines Wohlthäters, welches sein Beschützer, Kapitän Hull, befehligte. Die Verhältnisse gestalteten sich also für ihn so günstig wie möglich. Es wäre überflüssig, hier besonders hervorzuheben, wie weit seine dankbare Ergebenheit für die Familie Weldon ging; es wird das besser aus seinen Thaten hervorgehen. Der Leser begreift aber, wie glücklich er darüber war, zu hören, daß Mrs. Weldon den »Pilgrim« zur Heimreise benützen werde. Mrs. Weldon war ihm mehrere Jahre lang eine zweite Mutter, der kleine Jack ein jüngerer Bruder gewesen, was ihn trotzdem aber nie seine eigenen Verhältnisse gegenüber dem Sohne des reichen Rheders außer Augen setzen ließ. Indeß seine Beschützer wußten das recht wohl – das gute Samenkorn, welches sie gelegt, war auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Dankbarkeit schwellte das Herz des verwaisten Knaben und hätte er selbst sein Leben für Diejenigen lassen sollen, denen er es verdankte, etwas Tüchtiges für das Leben und auch Gott lieben gelernt zu haben, er hätte gewiß keinen Augenblick gezögert. Mit einem Wort, in einem Alter von fünfzehn Jahren zu handeln wie ein Mann von Dreißig, das war alles in allem der kleine Dick Sand.

Mrs. Weldon kannte den Werth ihres Schützlings recht gut; ihm konnte sie ohne Unruhe den kleinen Jack anvertrauen. Dick Sand liebte dieses Kind, welches sich in der Empfindung der Zuneigung seines »größeren Bruders« Letzterem gern anschloß. Während jener häufigen Mußestunden unter einer längeren Reise bei gutem Wetter, wo die einmal gestellten Segel keiner Aufsicht und Veränderung bedürfen, sah man Dick und Jack fast stets beisammen. Der junge Leichtmatrose zeigte dem Knaben Alles, von dem er glaubte, daß es für ihn von Interesse sein könne.

Mrs. Weldon sah es ohne Furcht, wenn Jack in Begleitung Dick Sand's die Wanten (Strickleitern) hinaufkletterte, auf der Mars (Mastkorb) des Fockmastes stand oder auf der Bramstenge ritt und zuletzt an den Pardunen oder Stagen wie ein Pfeil herabglitt. Dick Sand hielt sich dabei immer dicht vor oder hinter ihm, bereit, ihn zu halten oder zu unterstützen, wenn seine fünfjährigen Aermchen bei solchen Uebungen erlahmten. Dem kleinen Jack bekamen diese Anstrengungen recht gut; hatte die Krankheit ihm die Rosen von den Wangen gestohlen, so erblühten ihm diese, Dank dieser täglichen Gymnastik und den stärkenden Brisen des Oceans, an Bord des »Pilgrim« von Neuem; so lagen also die Verhältnisse. Die Ueberfahrt ging im Ganzen recht leidlich von Statten, und wäre die Windrichtung ein wenig günstiger gewesen, so hätten weder die Passagiere noch die Mannschaft des »Pilgrim« Grund zu irgend welcher Klage gehabt.

Immerhin machte der stetig anhaltende Westwind dem Kapitän doch einige Sorge, da er ihn verhinderte, den richtigen kürzesten Weg einzuhalten. Nahe dem Wendekreise des Steinbockes, fürchtete er, ganz auf hemmende Windstillen zu kommen, ohne von dem Aequatorstrome zu reden, der ihn unwiderstehlich nach Westen verschlagen mußte. Er beunruhigte sich also, vorzüglich um Mrs. Weldon's Willen, nicht wenig wegen dieser Verzögerungen, an denen er doch völlig unschuldig war. Auch dachte er schon daran, für den Fall des Begegnens eines Transatlantischen Dampfers nach Amerika der reisenden Dame den Rath zu ertheilen, sich auf diesem einzuschiffen. Zum Unglück wurde er aber in viel zu hohen Breiten zurückgehalten, um einen jener Steamer nach Panama zu kreuzen, und übrigens waren die Verbindungen über den Pacifischen Ocean zwischen Australien und der neuen Welt damals noch nicht so häufig wie heutzutage.

Man mußte also Alles der Gnade des Höchsten anheimstellen und es gewann schon den Anschein, als sollte nichts diese eintönige, lange Ueberfahrt unterbrechen, als sich, eben an jenem 2. Februar und unter der zu Anfang dieser Erzählung angegebenen Länge und Breite, ein erster Zwischenfall ereignete.

Dick Sand und Jack hatten gegen neun Uhr Morgens bei herrlichem klaren Wetter sich auf dem Fockmast ein Plätzchen gesucht. Von hier aus übersahen sie sowohl das ganze Schiff als auch den Ocean in weitem Umkreise. Nach rückwärts war der Horizont ihren Blicken nur durch den Großmast, der eine Brigantine und Oberbramsegel trug, verdeckt. Nach vorn sahen sie das Bugspriet, mit seinen drei scharf beigehaltenen Focksegeln, die sich drei großen, ungleichen Flügeln ähnlich vor ihnen ausspannten. Unter ihnen ragte die Bramraae nach beiden Seiten weit hinaus, über ihnen das Unter- und Obermarssegel, deren Saum mit den Seisingen bei dem frischen Wind gegen die Raaen schlug. Die Brigg-Goëlette lief also mit Backbordhalsen und segelte so dicht als möglich am Winde.

Dick Sand erklärte Jack, wie der gut geladene und sorgsam im Gleichgewicht gehaltene »Pilgrim« trotz der jetzt ziemlich starken Neigung nach Steuerbord nicht kentern könne, als der kleine Knabe ihn unterbrach.

»Was sehe ich doch dort draußen? sagte er.

– Du siehst etwas, Jack? fragte Dick Sand, indem er sich auf der Raae kerzengerade erhob.

– Ja wohl, dort!« bestätigte Jack und zeigte nach einer Stelle des Meeres, wo zwischen den Stagen des Fockmastes und neben dem Klüverfocksegel die Aussicht offen war.

Dick Sand blickte aufmerksam nach dem bezeichneten Punkte und rief bald mit lauter Stimme:

»Eine Seetrift, vor Steuerbord unter dem Winde!«


Fußnoten

1 Sand bedeutet auch im Englischen den »Sand«.