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Berenike D. Schwarza

Tanzende Schmetterlinge in Rudolstadt

Eine Liebesnovelle
in Erinnerung an das
Rudolstädter
Tanz- und Folkfest

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Der Einen

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Nur wer die Sehnsucht kennt,
weiß was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh’ ich ans Firmament
Nach jeder Seite.
Ach! Der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß was ich leide.

J. W. von Goethe, aus:
Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/6. 4. Buch, 11. Kap
.

Inhalt

Tanzende Schmetterlinge in Rudolstadt

Epilog

Die Autorin

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Susanne Strehlow schlief unruhig. Schuld daran hatte jedoch nicht das Wetter. Nein, sie träumte in dieser Nacht schlecht und heftig. In ihrem Traum war es brütend heiß und sie stand inmitten einer gesichtslosen Menschenmasse, die in einem endlosen Strom, einer Prozession ähnlich, an ihr vorüberzog.

Als sie morgens unausgeruht aus ihrem Albtraum erwachte, versuchte sie, sich an Details zu erinnern. Wo war sie in ihrem Traum nur gewesen? Die Gegend mit einem Fluss und einigen grünen Hügeln ringsum war ihr seltsam bekannt vorgekommen. Allein die kurzen Traumfäden entglitten ihr, sobald sie einen davon zu fassen glaubte. Susanne schüttelte sich unvergnügt, stieg unter die Dusche und fuhr nach einem Frühstück, das aus einer Schüssel Haferbrei und einer starken Tasse Kaffee bestand, mit der Straßenbahn zur Arbeit. Über der mehr oder minder betriebsamen Schicht in der Ambulanz, in der sie als Sprechstundenschwester arbeitete, hatte sie ihre nächtliche Traumepisode bald wieder vergessen.

Einige Tage später kam ihre Tochter Anna zu Besuch. Nachdem sie einen Kaffee getrunken hatten, rückte Anna damit raus, was sie eigentlich wollte. Doch Susanne konnte oder wollte Anna nicht recht verstehen. »Natürlich fahre ich gemeinsam mit Jenny und Vani zum 25. TFF nach Rudolstadt! Du brauchst gar nicht versuchen, mir das auszureden, Mama!« Anna klang bestimmt. Susanne wusste, sie brauchte gar nicht weiter zu argumentieren. Dieser Zug war längst abgefahren. Um das jetzt noch verhindern zu können, hätte sie ihre Tochter weniger freiheitsliebend und selbstbewusst erziehen müssen. Aber das war für sie niemals in Frage gekommen.

»Ich will endlich selbst diese tolle Atmosphäre erleben, von der du mir immer wieder erzählt hast. – Sag mal, wieso warst du nach dem ersten Tanz&FolkFest eigentlich nie mehr in Rudolstadt?«

»Ach, es hat sich einfach nicht ergeben«, druckste die Ältere herum. »Außerdem ist es weit und die Zugfahrt nach Thüringen lang und teuer.«

»Deshalb fahren wir ja auch mit Jennys VW-Bus! Da können wir zu dritt hinten drin schlafen und brauchen nicht mal ein Zelt. Außerdem werden wir uns das Essen und Trinken mitnehmen.«

»Aber beim Tanz&FolkFest war es damals schon irre heiß«, widersprach Susanne ihrer Tochter. »Die scheinen dort für dieses eine Wochenende im Jahr das schöne Wetter gebucht zu haben. Das Trinken wird euch heiß und das Essen vergammelt euch, bevor ihr richtig angekommen seid.«

»Dann lassen wir eben alle Autotüren auf und …«

»… lasst euch ausrauben?«, vollendete Susanne Strehlow. Sie wusste zwar, dass beim TFF fast nie etwas wegkam oder sonst etwas geschah, aber das ahnte Anna vermutlich nicht und sie wollte sie zumindest zum Nachdenken bewegen. Doch ihre Tochter hatte anscheinend ihren sturen Pommernschädel geerbt und bestand weiter darauf, die Tour anzutreten.

Schließlich gab sie nach und suchte ihren alten Rucksack heraus, nach dem Anna verlangt hatte. Glücklich hüpfte sie damit die Treppe hinab, nachdem sie sich herzlich wie immer voneinander verabschiedet hatten. Die Haustür des Altbaus schlug krachend zu und Anna lief die Straße hinab in Richtung Straßenbahn. Das sah Susanne Strehlow von ihrem Küchenfenster aus.

Heute war Dienstag, der 30. Juni 2015. Morgen schon wollten die Mädchen nach Thüringen aufbrechen, denn neuerdings begann das Festival bereits am Donnerstag mit einem Auftaktkonzert. Die drei Freundinnen wollten den Mittwoch für die stressfreie Anreise nutzen und sich am Donnerstag die Sehenswürdigkeiten der Gegend ansehen. Davon gab es dort ja mehr als genug und für beinahe jeden Geschmack ließ sich etwas finden.

Schade, dass wir damals nur so wenig Zeit in der ehemaligen Residenzstadt hatten, ging es Susanne durch den Kopf.

Susanne Strehlow setzte sich an den Rechner und suchte eine Zugverbindung heraus, mit der sie ebenfalls nach Rudolstadt gelangen konnte. Anschließend füllte sie online ihren Urlaubsantrag aus. ›Es hat eben doch etwas für sich, wenn man in einer Uniklinik arbeitet‹, dachte sie.

Da Anfang Juli nur wenige Schwestern Urlaub hatten, war sie überzeugt, dass ihr Antrag auf die Urlaubstage wenigstens von Samstag bis Dienstag genehmigt werden würde. Wenn Anna schon nach Rudolstadt fuhr, wollte sie sicher sein können, selbst alles getan zu haben, das Mögliche, das Unsagbare zu verhindern! Sie hatte einen Entschluss gefasst und danach würde sie jetzt handeln, wie schwer es ihr auch fallen würde. Schließlich musste sie dafür gleich über mehrere ihrer Schatten springen.

Am nächsten Tag klingelte Susanne Strehlows Handy, als sie in der Straßenbahn saß, um zum Dienst zu fahren. Vom Display lächelte Annas Foto, das sie in Hamburg gemacht hatte, als sie im Frühjahr gemeinsam im »Phantom der Oper« gewesen waren. Sie nahm ab.

»Hallo Mama!«, sprudelte ihre Tochter los. »Wir haben die Sachen schon in Jennys Bus gepackt. Jetzt trinken wir noch einen Kaffee und dann fahren wir los. Ich möchte mich von dir verabschieden. Machs gut und lass dir das Wochenende nicht zu lang werden, hörst du?!« Susanne schluckte.

»Hast du auch an alles gedacht?«, fragte sie angespannt und sah sich im Wagen um, bevor sie die nächste Frage stellte. Zum Glück waren nur wenige Plätze in der Bahn belegt. Die meisten Passagiere waren mit sich selbst beschäftigt oder saßen außer Hörweite, wie sie feststellte. Dennoch senkte sie ihre Stimme, als sie fragte: »Hast du auch an die Verhütung gedacht – und zusätzlich auch an Verhüterli, du weißt schon – man weiß ja nie, wer einem begegnet …« Anna lachte herzlich.

»Na klar, Mama! Daran habe ich natürlich gedacht. Noch möchte ich dich nicht zur Oma machen! – Nicht, bevor ich den Richtigen gefunden habe!«

»Also machs gut, mein Deern!«

»Machs gut, Mama! Bye-bye und ahoi!« Schon hatte Anna aufgelegt.

Susanne dachte nach, seit wann sie sich mit »Ahoi« von ihr verabschiedete. Das hatte Anna damals in einem Urlaub in Tschechien aufgeschnappt, wo sich scheinbar alle Leute mit diesem Wort begrüßt und verabschiedet hatten. Damals, das war 2006, in dem Jahr als Annas Jugendweihe war. Wie lange das schon her war! Überhaupt war die Zeit seit Annas Geburt rasend schnell vergangen. Völlig unbemerkt war ihre Tochter aufgewachsen, praktisch nebenbei. Sie selbst war fast immer ihrem Dienst als Krankenschwester im Uniklinikum nachgegangen. Zuerst in der Frauenheilkundeklinik, später auf der Intensivstation. Seit etwa einem Jahr hatte sie ihre Traumstelle in dem Moloch Uniklinik gefunden. Sie war jetzt Sprechstundenschwester in der Hochschulambulanz für Naturheilverfahren. Eine bessere Arbeitsstelle konnte sie sich nicht vorstellen. Neben ihrem Schreibtisch plätscherte immerzu ein kleiner Zimmerspringbrunnen, der beruhigend auf jedermann wirkte, der sich im Raum befand. Ihre Chefin hatte fast immer gute Laune und damit steckte sie die gesamte Ambulanz an. Seit sie hier arbeitete, war Susanne Strehlow ausgeglichener als je zuvor.

Der Tag verging wie im Flug. Sie nahm kaum wahr, wie es Nachmittag und bald darauf Abend wurde. Immerzu dachte sie an Anna und daran, was ihr in Thüringen widerfahren und vor allem, wem sie dort begegnen könnte. Ihre Arbeit verrichtete sie, als sei sie in tiefer Trance. Sie war heilfroh, als sie abends gut wieder daheim angekommen war, ohne irgendwelchen Schaden zu verursachen.

Im Nu war der Donnerstag angebrochen. Der letzte Tag vor ihrer Thüringenfahrt. Wieder saß Susanne Strehlow in der Bahn und fuhr zur Arbeit. Und wieder hing sie ihren Gedanken nach.

Wenn Susanne Nachtdienst hatte, Überstunden machen musste oder Not am Mann war, hatte fast immer ihre Mutter bei Annas Betreuung einspringen können, solange das erforderlich war. Susanne hatte zwar versucht, diese Gelegenheiten so selten wie möglich eintreten zu lassen, doch sie ließen sich natürlich nicht völlig verhindern. So war aus ihrem Leben, das sie allein hatte führen wollen, ein Leben zu dritt geworden. Sogar in Urlaub waren sie überwiegend zu dritt gefahren: ihre Mutter Elvira Strehlow, übrigens eine geborene Doberenz, sie selbst und ihre Tochter Anna. Meistens hatte es sie in den Thüringer Wald oder ins Elbsandsteingebirge gezogen. Die Ostsee hatten sie ja praktisch vor der Haustür. Klar waren sie auch mal in einem Freizeitpark gewesen, aber Anna war nie sonderlich erpicht darauf, sämtliche Fahrgeschäfte auszuprobieren, deshalb verlegten sie sich auf Individualurlaube. Dabei konnten sie alte Schlösser und Burgen erkunden oder in stillgelegten Bergwerken herumkraxeln. Aber immer hatte Susanne wie ein Schießhund darauf geachtet, dass sie Rudolstadt niemals zu nah gekommen waren. Nicht nach dem, was sich damals dort zugetragen hatte!

Susanne schüttelte die Gedanken ab, denn sie war am Ziel und musste aussteigen. Ein langer, anspruchsvoller Arbeitstag lag vor ihr und sie würde kaum vor 20 Uhr wieder daheim sein.

Am Ende war es sogar noch etwas später geworden. Ihre Kollegin Claudia Dabelkow hatte sie um etwas Zeit gebeten und ihr bei einem Kaffee lange das Herz ausgeschüttet. Susanne Strehlow war für Claudia immer eine mütterliche Freundin und hatte stets ein offenes Ohr und meistens auch einen guten Rat für sie. Claudia Dabelkow, so stellte sich heraus, war unglücklich in ihrer Ehe. So unglücklich, dass sie an Scheidung dachte, wenngleich ihre Zwillinge kaum fünf Jahre alt waren. Susanne hatte sich von der Jüngeren in die Enge getrieben gefühlt. Verlangte sie jetzt tatsächlich einen Rat von ihr? Letztlich hatte sie selbst nie eine längerfristige Beziehung gehabt, die diese Bezeichnung wirklich verdient hatte. Klar hatte sie im Lauf der Zeit einige Affären, doch die dienten fast immer nur der kurzzeitigen Befriedigung ihrer Lust. Jetzt war sie sechsundvierzig und ihre wilden Jahre lagen längst hinter ihr. Sie wusste gar nicht, wie lange es her war, dass ein Mann sie befriedigt hatte. Um mehr war es ihr meistens ohnehin nicht gegangen. Irgendwie hatte kein einziger Mann jemals ihr Herz und noch viel weniger ihre Seele erreichen können. Nicht einer, bis auf …

Nein, an ihn wollte sie jetzt auf gar keinen Fall denken! Schließlich hatte Susanne Claudia den Tipp gegeben, zuerst noch einmal mit ihrem Mann zu reden, dann darüber zu schlafen und ihre Entscheidung keinesfalls übers Knie zu brechen. Das war zwar nicht mal ein Lösungsansatz, aber sie selbst hatte schon oft die Erfahrung gemacht, dass schwerwiegende Entschlüsse oft viel zu spontan gefällt wurden. »Geh nie während eines Streits schlafen. Diskutiere immer, bis ein Kompromiss gefunden oder eine Entscheidung getroffen ist!«, hatte ihr ihre Oma einmal geraten. Daran hatte Susanne Strehlow sich stets gehalten und diesen Rat gab sie auch gerne weiter.

Über solcherlei Gedanken war sie schließlich eingeschlafen. Doch irgendwann, es war mitten in der Nacht, fuhr sie hoch, ihr Herz hämmerte wild in der Brust und sie fand keine Ruhe mehr. Unruhig warf sie sich immer wieder hin und her und zum ersten Mal seit Jahren war sie versucht, sich selbst zu streicheln. Erst kurz vor dem Weckerklingeln war sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Dementsprechend fühlte sie sich nach dem Aufstehen wie gerädert.

Nach einer kühlen Dusche und zwei Tassen Kaffee, der diesen Namen tatsächlich verdiente, machte sie sich auf zum Bahnhof. Bald darauf saß sie im Zug, der sie nach Leipzig bringen würde. Der Tag versprach, heiß zu werden. Genau wie damals, vor 25 Jahren.

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Sie saß in der Ecke eines Zugabteils und döste vor sich hin. Das Buch, welches sie extra für die Reise eingepackt hatte, steckte unbeachtet in ihrer Tasche. Es war eine Empfehlung ihrer Mutter, die die Bibliothekarin und Buchliebhaberin in sich auch nach Erreichen des Rentenalters nicht leugnen konnte. Das monotone Rattern des Zuges nahm Susannes Gedanken auf seine Flügel und entführte sie in eine Zeit, von der sie geglaubt hatte, sie sei längst vergangen und vorbei.

Susanne berichtet uns nun selbst von den vielen bunten Bildern, die ihr die Erinnerung zeigte.

Meine Gedanken flogen zurück in die Zeit vor einem Vierteljahrhundert, als ich jung war und das Leben noch unbeschwert. Die Mauer war vor nicht einmal zwei Jahren gefallen und das geteilte Land hatte begonnen, zusammenzuwachsen. Das, was in der ehemaligen DDR als Volkstanzfestival von oben verordnet worden war, sollte an genau diesem Wochenende beginnen, als Tanz&FolkFest ein freies Eigenleben zu führen. Meine Freundin Bea Damerow und ich waren mit dem Zug aus Rostock angereist. Wir wollten hier, im thüringischen Rudolstadt, ein Wochenende mit viel Musik und Tanz verbringen. Wir wollten Spaß haben und sicher auch das eine oder andere Abenteuer erleben. Dafür war uns die Reise von der Ostseeküste hierher jedenfalls nicht zu weit erschienen.

Meinen Rucksack trug ich auf einer Schulter, als ich den Bahnhof verließ. Schon als ich aus dem Zug gestiegen war, spürte ich die brennende Hitze, die sich wie ein Federbett über der Stadt ausgebreitet hatte. Oben auf dem Rucksack hatte ich eine Decke und eine pinkfarbene Isomatte geschnallt. Unten dran baumelte eine alte Feldflasche, die einen verbeulten Deckel und wer weiß, wie viele Jahre auf dem Buckel hatte. Ich hatte sie nicht etwa dabei, um aus ihr zu trinken, sondern weil ich dieses Relikt der ehemaligen NVA einfach stark fand.

Bea Damerow, die sich im Rostocker Studentenwohnheim ein Zimmer mit mir teilte, hatte eine jener modernen Taschen dabei, die auf Rollen liefen, und die man hinter sich herziehen konnte. Sie stellte sich vor dem Bahnhof neben mich. Vor uns lagen in unserem normalen Leben die Semesterferien nach dem 3. Studienjahr. Wir studierten beide Medizin und waren auf dem besten Weg, Ärztinnen zu werden. Doch an diesem Wochenende wollten wir uns amüsieren und in Rudolstadt die Nächte durchtanzen. Das war unser Plan. Er sollte sich für uns beide aus unterschiedlichen Gründen nur bedingt erfüllen, doch das ahnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Nach der langen Zugfahrt waren die frische Luft, obwohl sie so heiß war, und das Umhergehen eine Wohltat für uns beide. Ich sog die Luft tief ein, die aber irgendwie nach Chemie roch. Bea streckte sich und wir sahen uns um. Auf dem Platz, der dem Bahnhof gegenüberlag, kampierten Unmengen Leute aller Altersgruppen. Manche hatten Instrumente dabei, auf denen sie spielten. Ich entdeckte Gitarren, verschiedene Trommeln, eine Trompete und etliche Instrumente, die ich noch niemals zuvor gesehen hatte.

»Na dann auf ins Getümmel!«, sagte Bea zu mir. Wir strahlten uns an und liefen in Richtung des Lagers los. Doch zuvor galt es, die Straße zu überqueren, auf der sich wie auf einer Schnur aufgefädelt ein Zweitakter nach dem anderen knatternd vorbeischob. Ab und an war auch mal ein Golf 1 oder ein Audi 80 mit Stufenheck dazwischen, doch in der Hauptsache fuhren hier Trabis und Wartburgs in schier endloser Kolonne vorbei. Über der Straße waberte eine undurchdringliche Wolke aus Abgasen, deren Geruch uns sehr vertraut war.

Nachdem wir die Blechlawine glücklich durchquert hatten, ohne Schaden zu nehmen, begaben wir uns zum Lager. Unweit davon fand sich eine Verkaufsstelle für die Bändchen. Die würden uns für die Zeit des Festes als zahlende Besucher ausweisen, ohne uns zu behindern. Als endlich jede von uns eines der Stoffbändchen unlösbar ums Handgelenk hatte, standen wir unschlüssig auf der Straße.

»Na ihr Hübschen, was soll ich euch in unserer schönen Stadt zuerst zeigen? Darf ich vielleicht gleich mit meiner Junggesellenbude beginnen?«

Mir blieb meine sprichwörtliche Schlagfertigkeit auf der Zunge liegen, als ich den frechen Kerl ansah, der uns auf so unverschämte Art anzumachen versucht hatte. – Er war ein Bild von einem Mann! Genau in diesem Augenblick war es um mich und mein Herz geschehen.

Frank Waltenberg hieß der charmante Thüringer. Er war nicht nur witzig, sondern auch überaus gebildet und wusste zu unterhalten, wie kein Zweiter, wie sich herausstellte. Selbst Bea war von seiner Art begeistert, vermochte es aber nicht so zeigen, wie ich. Ich glaube, man konnte mir meine Verliebtheit bereits jetzt auf zehn Meter Entfernung deutlich ansehen. Neben seinem orangefarbenen Audi 80, der in einem Hinterhof geparkt war, und den er uns voller Stolz zeigte, konnte unser Gepäck im Schatten eines alten Hauses lagern. Frank zeigte uns nicht nur, wo wir unser Gepäck tagsüber lassen konnten, sondern führte uns auch in seiner Stadt herum.

Frank Wartenberg kannte sich gut aus in der Geschichte der einstigen Residenzstadt und ihrer Fürstenfamilie, den Schwarzburgern. Am Ende seines kleinen Rundgangs durch die Innenstadt brachte er uns auf das Schloss Heidecksburg, welches wie ein Adlerhorst etwa 60 Meter hoch über der Stadt thronte. Der feudale Bau wurde im 18. Jahrhundert in seiner heutigen Form als Barockschloss mit drei Flügeln erbaut. Hier war einst die Residenz der Fürsten von SchwarzburgRudolstadt.

Frank plauderte unentwegt und offen in seiner netten thüringischen Mundart. Er erzählte eine historische Geschichte nach der anderen, während aus der Stadt bereits rhythmische Musik zu uns aufs Schloss heraufbrandete. Sie schien aus dem Gewirr der kleinen Gassen des Stadtzentrums geradezu heraufzusprudeln, auf das wir hinuntersahen. Wir saßen auf einer Mauer hoch über der Altstadt, ließen die Füße baumeln und der heiße Wind zerzauste unsere Haare. Lange hielten wir es hier wegen der Hitze aber nicht aus. Deshalb suchten wir, über einen ›Schlossaufgang VI‹ genannten Weg, schnell wieder in den Schatten der Altstadtgassen zu gelangen.

Ich war total beeindruckt und das nicht nur von Franks Wissen und seiner Art. Nein, auch die kleine Stadt mit der großen Geschichte nahm mich völlig für sich ein. Frank sah einfach nur umwerfend aus! Er war echt groß. Ich schätzte ihn auf fast zwei Meter. Ich mit meinen eins zweiundsiebzig musste den Kopf schon in den Nacken legen, wenn ich ihn von Nahem ins Gesicht sehen wollte. Sein gebräunter Körper war durchtrainiert und seine Bizepse tanzten unter der glänzenden Haut seiner Oberarme, wenn er uns auf Gebäude oder andere Sehenswürdigkeiten hinwies. Wenn ich an andere Muskeln dieses Traummanns dachte, wurden mir die Knie auf der Stelle noch weicher. Auf dem Marktplatz war ich sogar einige Meter weggegangen, um Frank Wartenberg aus gewisser Entfernung betrachten zu können. Seine Quadrizepse1 zeichneten sich überdeutlich unter der engen Jeans ab, die er trug, und sein Gluteus Maximus2 hatte genau die richtige Größe, um mich sofort in heiße Erregung zu versetzen. Mein Herz schlug in der Nähe dieses Mannsbildes schneller und ich spürte bereits die ersten verrückten Schmetterlinge, die sich in meinem Bauch breitzumachen begannen. Das war mir in solcher Geschwindigkeit und mit dieser Intensität noch nie zuvor passiert. Ich begann, mir ernsthafte Sorgen darüber zu machen, ob man meine Erregung an meinen Hotpants vielleicht deutlicher sehen könnte, als mir lieb gewesen wäre.

»Mama, was war eigentlich in deiner Jugendzeit angesagt als Sommermode bei jungen Frauen?«, hatte ich vor ein paar Tagen meine Mutter Elvira gefragt.

»Superkurze Miniröcke und Hotpants – wir nannten sie damals noch heiße Höschen – und natürlich immer ein sauberer Schlüpper!«, hatte ich zur Antwort bekommen. Ich war noch am selben Tag drangegangen, eine alte Jeans mit der Schere so zu bearbeiten, dass die als aufreizendes kurzbeiniges Kleidungsstück herhalten konnte. Meine Mutter mit heißen Höschen oder in einem Minirock konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. – Ob sie auch mal verliebt gewesen ist? An meinen Vater Dirk hatte ich nur undeutliche Erinnerungsfetzen aus frühester Kindheit. Er war bei einem Montageeinsatz als Schornsteinbauer ums Leben gekommen, als ich gerade drei Jahre alt war. Einen anderen Mann hatte Mama nie angesehen. – Jedenfalls war mir keiner in Erinnerung, der sich mal für meine Mutter interessiert hätte. Ausgegangen war sie zumindest nie, außer wenn sie eine Betriebsfeier hatte. Ob sie dort einen Verehrer hatte, wusste ich natürlich nicht.

Schließlich waren meine Hotpants fertig. Am Ende waren die Hosenbeine der Schere komplett zum Opfer gefallen, doch ich war zufrieden mit ihrer Passform, die meine Hinterbäckchen gut zur Geltung brachte. Sie saß wie angegossen und ich fühlte mich sauwohl darin.

Ich sah mich im Spiegel an und war zufrieden, mit dem, was ich sah. Vor allem mein Gesicht sei sehr anziehend, hatte mir mal ein Kommilitone gesagt. »Du hast ein herzförmiges Gesicht, schöne, intelligente Augenbrauen sowie eine unauffällige Nase«, hatte er aufgezählt und fuhr fort: »Besonders deine aufgeworfene Oberlippe und dein Philtrum3 haben einen ungeheuren Liebreiz. Nur dein langes, blondes Haar mit dem Mittelscheitel weist am Ansatz auf seine Färbung hin.« Jetzt war mein eigentlich straßenköterblondes Haar frisch blondiert, was perfekt zu meiner hellbraunen Gesichtshaut passte. Nur über meine Nase zog sich eine Spur von Sommersprossen, die das Gesamtbild aber nicht störten, sondern das Tüpfelchen auf dem i waren. Ich hatte die neuen Hotpants an diesem Abend bald ausgezogen, um zu Bett zu gehen.

Einen Minirock, der meine hoffentlich reizvollen Kurven ebenso gut zur Geltung bringen würde, nannte ich schon mein Eigen. Beide Kleidungsstücke begleiteten mich nun also auf meiner Reise ins Thüringische. Der Minirock lag neben einigen frischen Slips und T-Shirts in meinem Rucksack, die Hotpants hingegen trug ich auf meinem Knackpo. – Da hatte ich nun also den Salat!

Es war wirklich brüllend heiß an diesem Samstag Anfang Juli. Die Uhr zeigte gerade einmal kurz nach Mittag, doch allen Menschen lief schon jetzt der Schweiß in Strömen am Körper herunter. Wer konnte, suchte sich ein Plätzchen im Schatten oder verzichtete gleich darauf, sich im Freien aufzuhalten. Wem das nicht vergönnt war, der suchte temporäre Abkühlung in einem der vielen Rudolstädter Brunnen.

Auch Bea, Frank und mir klebten mittlerweile sämtliche Klamotten an den Körpern. Mehr oder weniger sahen unsere Oberteile wie angeklatscht aus. Frank mit seinem Waschbrettbauch brauchte sich bestimmt nicht zu genieren. Bea trug wie ich eine Hotpants und ein Shirt. Auf die BHs hatten wir beide großzügig verzichtet: Bea trug ohnehin kaum je einen. Nur bei festlichen Anlässen machte sie da gelegentliche Ausnahmen. Im Gegensatz zu mir gab’s bei ihr ja auch nicht viel zu halten. Frank trug ein ziemlich weit aufgeknöpftes weißes Oberhemd mit kurzen Ärmeln über seinem sonnengebräunten Oberkörper. Seine Hose war überall sehr eng. Bestimmt schwitzte er darunter besonders stark, mutmaßte ich. Weshalb er sich das wohl antat?