Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2017

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Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-678-3

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-699-8 (EPUB), 978-3-95571-701-8 (PDF), 978-3-95571-700-1 (MOBI).

Vorwort

Wir freuen uns sehr darüber, liebe Leserinnen und liebe Leser, Ihnen in diesem Buch eine innovative Form der Verhaltenstherapie präsentieren zu dürfen.

Wie setzen darauf, dass dieser verhaltenstherapeutische Ansatz Ihre Erfahrungen würdigt, aber Sie ganz besonders auch in Ihrer Kreativität abholt! Wandlungsprozesse, die in der verhaltenstherapeutischen Landschaft als „die dritte Welle der Verhaltenstherapie“ beschrieben werden, wurden bereits in früheren Darstellungen zur SBT vorgestellt (Sulz & Hauke, 2010; Hauke, 2013). In diesem Buch bemühen wir uns darum, der Forderung vieler Theoretiker und Praktiker noch mehr gerecht zu werden: „Psychotherapie ist mehr als Reden!“

Damit dies in wissenschaftlich seriöser Weise passieren kann, bietet es sich an, das Verständnis von Kognition der kognitiv-behavioralen Therapien um die Zutaten der neurowissenschaftlich basierten Embodied Cognition zu erweitern. Diese wiederum ermöglicht sowohl einen direkteren Zugang zu den Emotionen als auch eine neuartige, noch betont erlebnisorientiertere Arbeitsweise im Umgang mit emotionalen Prozessen. Die SBT bietet Klienten die Möglichkeit, mithilfe von Embodimenttechniken mit verschiedenen für sie relevanten Emotionen oder Gefühlen (beide Begriffe werden im Buch synonym verwendet) vertrauter zu werden. Dabei werden Emotionen bottom-up hergestellt, erlebt und erforscht. Erst danach wird darüber gesprochen. Sprache ist und bleibt natürlich auch in der SBT ein wesentliches Verständigungsmittel. Mit unserer Arbeitsweise wollen wir jedoch sicherstellen, dass auch vorsprachliche Inhalte einbezogen werden. Unser Bewusstsein, d. h. der sprachlich gefasste Bereich – unsere „willkürliche“ Psyche –, ist, im Vergleich zum vorsprachlichen, unbewussten Bereich, vergleichsweise unwissend und unzureichend im Hinblick auf den Umgang mit problematischen Situationen. Logisch-rationales Herangehen dokumentiert immer nur unsere eng begrenzte Rationalität und befasst sich deshalb oft nicht mit den wirklichen Bestimmungsfaktoren menschlichen Erlebens und Verhaltens. SBT geht darüber hinaus, erschließt jene vorsprachlichen Inhalte und nutzt sie als Ressource für das Erreichen von Zielen sowie das Anstoßen und Fördern persönlicher Entwicklung.

Dank

Die innige konzeptionelle Zusammenarbeit mit unseren lieben Kolleginnen der Emodiment Resources Academy (ERA), Dipl.–Psychologin Evelyn Beverly Jahn, Leipzig, und Dr. Tania Pietrzak, Melbourne, ist unerlässlich, um die Substanz unserer Arbeitsweise zu entwickeln, zu klären und zu „raffinieren“. Danke für eure Inspiration und die damit verbundene Motivation!

SBT hat eine Geschichte, die in den Neunzigerjahren beginnt. G. H. möchte an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Dr. Serge Sulz herzlich Danke sagen, dass er ihn vor so vielen Jahren mit der Strategischen Kurzzeittherapie vertraut gemacht hat. Weiterhin hat er auch die Weiterentwicklungen des Ansatzes mit Wohlwollen begleitet sowie auch die Durchführung einer aufwendigen Studie unterstützt. Sie wurde von Dr. Miriam Sichort-Hebing geleitet und konnte die Wirksamkeit von SBT eindrucksvoll belegen.

Der Kontakt zur wissenschaftlichen Psychologie ist uns immer sehr wichtig gewesen. Bei aller Faszination für die Befunde der Grundlagenforschung ist es jedoch nicht immer ganz einfach, sie für klinische Zwecke in ein anwendungsbezogenes Format zu bringen. Hier sind wir immer wieder auf Unterstützung angewiesen. Unser besonderer Dank gilt dabei Frau Prof. Dr. Dr. Olga Pollatos sowie Dr. Mathias Messner, beide von der Universität Ulm. Sie ließen sich von unserer Begeisterung für das Thema Embodiment anstecken und unterstützen tatkräftig die Untersuchungen der Doktorandin, unserer lieben Kollegin Felicitas Weineck, zum Thema. Danke, Felicitas, für deine Brillianz und Umsicht; du bist uns sehr wichtig! Prof. Dr. Fritz Strack, Universität Würzburg, sind wir sehr dankbar für seine Offenheit und sein Interesse an anwendungsbezogenen Fragestellungen. Er hat uns entscheidend bei der Anwendung seines Reflective-Impulsive Models (RIM), des zurzeit integrativsten dualen Prozessmodells, unterstützt. Prof. Dr. Manfred Holodynski, Universität Münster, hat bei Fragestellungen zur Emotionspsychologie sehr geholfen. Wir möchten ihm an dieser Stelle erneut ganz herzlich für seine Freigebigkeit und sein Interesse an unseren Themen danken. Einige emotionsbezogene Embodimenttechniken profitieren von den Arbeiten der Neuropsychologin Prof. Dr. Susana Bloch, Santiago, Chile. Das von ihr entwickelte Verfahren, das es ermöglicht, mithilfe des Körpers willkürlich Emotionen herzustellen, verkörpert die Embodimentperspektive in Reinkultur. G. H. verdankt ihr die praktische Einführung in das Verfahren.

Ein Ansatz bleibt qualitativ unterentwickelt, wenn nicht ausgiebig Erfahrungen damit gesammelt und ausgewertet werden. Zu großem Dank sind wir den zahlreichen Patientinnen und Patienten verpflichtet, die dabei mitgewirkt haben. Unser Dank gilt ganz besonders den Kolleginnen und Kollegen, die mit Begeisterung und besonderen therapeutischen Fähigkeiten Material erarbeitet haben, das sie im Rahmen von Fallbesprechungen, Supervisionen und Intervisionen zur Verfügung gestellt haben.

Der betreuenden Lektorin vom Junfermann Verlag, Frau Katharina Arnold, sind wir zu großem Dank verpflichtet für ihre ebenso kompetente wie geduldige Anleitung und Unterstützung.

Ihnen allen unser herzliches Dankeschön.

München, im Sommer 2017

Dr. Gernot Hauke 

Dr. Christina Lohr

5. Embodied Cognition in der Kognitiv-Behavioralen Therapie

Grundlegend fordert die Embodimentperspektive dazu heraus, psychische Prozesse immer in den Körper eingebettet zu sehen (Tschacher & Storch, 2010). Danach wäre der traditionelle Fokus kognitiv-verhaltenstherapeutischer Verfahren auf Denkfehler und kognitive Verzerrungen, die durch kognitive Umstrukturierungen modifiziert werden sollen, eher „disembodied“. Diese Sichtweise ignoriert die Körperlichkeit der Patienten als auch jene ihrer Therapeuten. Dabei wird wohl übersehen, dass die therapeutische Beziehung als Resonanzsystem konzipierbar ist. Wie wir gerade sahen, beginnt diese „Resonanz“ in den Körpern. Ihre Qualität formt die zugehörigen kognitiven Prozesse und Einstellungen, die man Interaktionspartnern gegenüber entwickelt. Der Körper ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Prozesse. Er ist nicht nur Wahrnehmungsorgan und Vorrichtung zur Handlungsausgabe (Shapiro, 2011).

5.1 Vom Sandwichmodell der Kognition zur Embodied Cognition

Das Sandwichmodell der Kognition beschreibt die klassische Sicht auf Kognition (Barsalou, 2015). Hier wird Kognition als eine Art Modul gesehen, das von anderen Modulen wie z. B. Wahrnehmung und Handlung getrennt gesehen werden müsse. Aus dieser Perspektive umfasst Kognition Prozesse, die zwischen Wahrnehmung und Handlung vermitteln, wie etwa Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis, Sprache und Denken (Abb. 5.1). Diese Prozesse werden nach dem klassischen Paradigma stets unter Vernachlässigung von Wahrnehmung und Handlung studiert, d. h. perzeptive und motorische Prozesse werden dabei als Einflussfaktoren nicht weiter in Betracht gezogen. Dieses Sandwichmodell spiegelt sich auch in der Wirkrichtung wider, die in der Verhaltenstherapie durch die SORK-Kette (Kanfer et al. 1996) dargestellt wird. Sie ist dort eine wichtige Grundlage für Fallkonzeptionen: Ein bestimmter Stimulus führt zu einem psychischen Erleben, das ein bestimmtes Körpergeschehen zur Folge hat, z. B. wenn eine traurige Nachricht (S) zu einer kollabierten Körperhaltung (R) führt. Der Körper ist in dieser Sichtweise nur wieder „Ausgabeeinheit“. Diese Denkweise mag für didaktische Zwecke ausreichend sein, spiegelt aber nicht die Realität wider. Gemäß zahlreicher Befunde der Embodimentforschung ignoriert sie den Aspekt der Wechselwirkung. Anhand einer Fülle empirischer Studien wird dort nämlich eindrucksvoll belegt, dass auch die umgekehrte Wirkrichtung gilt.

Abbildung 5.1: Das Sandwichmodell spiegelt das klassische Verständnis von Kognition wider

Embodied Cognition sieht das Sandwichmodell als veraltet und massiv ergänzungsbedürftig an (Barsalou, 2015). Aus dieser veränderten Sichtweise heraus wird betont, dass die Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt durch den Körper passiert: Er richtet sich auf, greift nach Gegenständen, entfernt sich schnell oder langsam von Objekten oder Personen, spannt dabei bestimmte Körperteile an, verändert seine Mimik, den Atemrhythmus etc. Diese Aktivitäten des Körpers beeinflussen wiederum sehr deutlich kognitive und motivationale Prozesse (Abb. 5.2).

Abbildung 5.2: Nach der veränderten Sichtweise der „Embodied Cognition“ versteht man Kognition als in den Körper eingebettet und durch ihn geprägt. Kognitive Prozesse sind verankert in der Wahrnehmung und im Handeln des Körpers

Hier noch ein paar Befunde zur Verdeutlichung: Die Experimente sind stets so angelegt, dass die Versuchspersonen vorab nicht wissen, worum es dabei wirklich geht. Damit soll der Einfluss einer Top-down-Verarbeitung unterbunden werden.

Kognition ist modal: Wir erwerben unser konzeptuelles Wissen über den handelnden Körper. Dabei stehen die Wahrnehmungsleistungen unserer Sinnesorgane in engem Zusammenhang mit den Leistungen des motorischen Systems, wie z. B. im Falle der Wahrnehmungsleistungen zwischen Auge, Ohr und der gezielten Steuerung von Arm-, Fußbewegungen beim Autofahren.

Diese sensomotorische Erfahrung prägt sich in ihrer gesamten Vielfalt, d. h. in allen Sinnesmodi, den neuronalen Netzwerken ein. Unsere Erfahrungen finden dadurch ihren Niederschlag in der Hardware unseres Gehirns, d. h., der handelnde Körper ist dort über unser sensomotorisches System abgebildet. Körperliche Empfindungen, z. B. bei Berührungen, beim Hantieren mit Gegenständen, durch Einnehmen von Körperhaltungen, beim Atmen, ebenso bei Bewegungen, z. B. der Augen, des Halses, sowie – und besonders wichtig – Kernaffekte und erlebte Emotionen werden als Elemente in einem Netzwerk miteinander verbunden (Damasio, 2011).

Dementsprechend sind resultierende Gedächtnisinhalte nicht – wie etwa in einer staubigen Bibliothek – penibel auf Karteikarten notiert, die dann beim Erinnern abgelesen werden. Stattdessen entspricht der Erinnerungsprozess eher einer Tour durch einen Erlebnispark multimodaler Repräsentationen: Gespeichertes ist noch mit den einzelnen modalen Zuständen der ursprünglichen Erfahrung vernetzt. Höre ich z. B. lediglich das Wort „Bär“ oder denke ich nur darüber nach, so werden die Sinneseindrücke reaktiviert, die für diese Kategorie in einer konkreten Situation, z. B. beim Erlebnis eines brüllenden Bären in freier Wildbahn, erfahren wurden (Niedenthal, 2006; Winkielman et al., 2015). Die neurale Reaktivierung simuliert diese modalen Zustände so, als würde man beim Erinnern tatsächlich einem Vertreter der Kategorie „Bär“ begegnen. Dabei kommt auch der Körper in Bewegung. Diese „Wiederherstellung“ einer Erfahrung wird auch als „verkörperte Simulation“ (embodied simulation) bezeichnet. In der Praxis zeigt sich dies besonders eindrucksvoll z. B. bei der Exposition traumatischer Erlebnisinhalte. Der genaue Inhalt des reaktivierten Materials hängt davon ab, wie die selektive Aufmerksamkeit in der momentanen Situation ausgerichtet und welche Information für die Person gerade relevant ist. Demnach ist Kognition nicht nur „embodied“, sondern auch „situiert“ (Barsalou, 2009). Studien haben klar gezeigt, dass sowohl konkrete (Estes et al., 2008) als auch abstrakte Konzepte (Chandler & Schwarz, 2009; Jostmann et al., 2009; Schubert & Koole, 2009) in entsprechenden körperlichen Erfahrungen verankert und durch das sensorische und motorische System repräsentiert sind. Somit ist konzeptuelles Wissen „eingekörpert“ bzw. „embodied“.

5.2 Embodimenttechniken

Die besondere Art der Informationsverarbeitung durch Embodied Cognition erlaubt es, den Körper zum Verbündeten des Arbeitens in der Kognitiv-Behavioralen Therapie zu machen (Hauke, 2013; Hauke et al., 2016). Während das Denken in den traditionellen kognitiven Ansätzen im Vordergrund steht, bezieht die Sichtweise der „verkörperten Kognition“ das Handeln des Körpers und die Körpergefühle mit ein. Die Versprachlichung der damit verbundenen Informationen im referenziellen Prozess kann dann eventuell bestehende Gedanken erheblich ergänzen und präzisieren. Dieses Vorgehen bündeln wir in dem Begriff der „Embodimenttechnik“.

Er umfasst die Anleitung zur willkürlichen Einstellung einer bestimmten Kombination körperbezogener Merkmale, z. B. expansive Haltung, Blickrichtung, Bewegungsrichtung, Atemmuster etc. Angeleitet wird dies durch Vormachen. Körperbezogene Empfindungen und Impulse werden dabei achtsam beobachtet und beschrieben. Patienten werden im Sinne der „verkörperten Selbstwahrnehmung“ (vgl. Tab. 2.1) darin unterstützt, ihre Erfahrungen einfach und direkt zu beschreiben. Auf konzeptuelles Denken wird dabei möglichst verzichtet. Besonders wichtige Embodimenttechniken in der SBT verwenden körperbezogene Merkmale spezifischer Emotionen. Wir haben sie der Embodimentliteratur entnommen und bezeichnen sie als Emotionsmuster. Mithilfe von Körperhaltung und -bewegung, Mimik, Gestik und teilweise mit Atemmustern lassen sich selektiv Schemata spezifischer Emotionen auslösen, wie z. B. Ärger, Traurigkeit, Scham, Wut, Ekel usw. (Bloch et al.,1989, 1991; Duclos et al. 1989, Boiten et al., 1994; Philippot et al., 2002; Flack, 2006; Rozin et al., 2008; Tracy et al., 2009; Rotella & Richeson, 2013).

Embodimenttechniken docken am Impulsiven System an und erschließen dadurch vorsprachliche und nicht bewusste Inhalte. Dies stellt eine wesentliche Erweiterung der traditionellen kognitiven Verhaltenstherapien dar, die sich ja überwiegend auf das sprachliche Format verlassen.

Wie kann man sich diesen Zugang zum Erfahrungsgedächtnis des Impulsiven Systems vorstellen? Wir erleben Situationen mit und über den aktiven Körper. Die damit verbundenen Sinneseindrücke und motorischen Abläufe sind in neuronale Netzwerke eingeprägt. Der Art des Umgangs mit unseren zentralen Bedürfnissen und die damit verbundenen primären und sekundären Emotionen sind prägende Merkmale unseres Handelns und unserer Persönlichkeit. Wie bildet sich dieses für uns typische Agieren in der Hardware, in den neuronalen Netzwerken, ab?

Wir verdeutlichen dies anhand eines Beispiels der Erfahrungen von Entwertungen und Beschämungen im Leistungskontext. Oft gibt es in Familien eine „Kultur“ mehr oder weniger subtiler Entwertungen. Eltern, entsprechend getaktete ältere Brüder, Schwestern und auch Verwandte reagieren z. B. angesichts von Fehlern und Versagen eines Familienmitglieds mit verbalen oder auch körperlichen Attacken. Diese Vorerfahrungen sensibilisieren erst recht für spätere Wettbewerbssituationen, in denen sich Lehrer, ältere Mitschüler und später vielleicht Kollegen unfair oder gemein verhalten. Im Ergebnis fühlt sich die Person oft beschämt, klein und ausgegrenzt. All diese Erfahrungen ähneln sich in den Verknüpfungen ihrer Merkmale. Solche Verbindungen werden nur im Verlauf ganz vieler Erfahrungen gelernt. Der gemeinsame Nenner vieler ähnlicher Erfahrungen – der Prototyp – bildet ein Skript, eine Metapher oder ein Narrativ. Das könnte – ins sprachliche Format übersetzt – in unserem Beispiel folgendermaßen lauten: „Wenn ich jemanden für überlegen halte, z. B. einer fachlich kompetenten Person oder einer Autoritätsfigur gegenüberstehe, dann fühle ich mich winzig“. Elemente dieses Prototyps sind neuronal mit besonders „starken Strängen“ untereinander verknüpft. Wie gut konturierte Inseln heben sie sich dadurch vom „Meer der Erfahrungen“ ab:

Eingefallene Körperhaltung, zurückweichende Bewegungstendenz, leisere Stimme, der Blick sinkt nach unten, schnelleres Atmen, feuchte Hände, Schluckbewegung im Hals, Gefühle von Angst, Besorgnis und Scham, stereotype Gedanken wie „nur nicht laut sein, unterwürfiges Verhalten zeigen“ usw. bilden als fest miteinander verknüpfte Elemente das Material für solche Inseln. Die Erfahrung als Ganzes ist dann auch mit der Aktivierung zugehöriger Elemente verbunden. In solchen Vernetzungen gilt aber auch: Werden wenige Elemente willkürlich aktiviert, wie z. B. die eingefallene Körperhaltung, der nach unten ausweichende Blick, das Atemmuster und die zurückweichende Bewegungstendenz, so reicht dies oft aus, dass nach einiger Zeit der gesamte Prototyp „Gefühl der Winzigkeit gegenüber Autoritätspersonen“ aktiv wird. Bittet man also diese Person, eine entsprechende Körperhaltung mit mehreren dazu passenden Details einzunehmen, so kann die gesamte Erfahrung, so wie sie sich eingeprägt hatte, wieder ausgelöst werden. Der Vorteil eines solchen Vorgehens besteht darin, dass die willkürlich einzustellende Sensomotorik unmittelbar am Impulsiven System andockt. Damit kann ein Erleben in „statu nascendi“ ausgelöst werden. Es ist ursprünglicher, da noch nicht so sehr von „kognitiven“ Bewertungen durchsetzt.

Embodimenttechniken intensivieren die Exposition problematischer Erfahrungen aufgrund des detailreichen Spürens und Fühlens im Kontakt zur konkreten Situation. Gegenläufig dazu wirkt abstraktes Denken. Es ist in der Lage, psychologischen Abstand zu entsprechenden Situationen herzustellen (Trope & Liberman, 2010). Williams (2008) sieht dies als Strategie, um z. B. die mit einer Erfahrung verbundenen schmerzlichen Gefühle nicht so sehr spüren zu müssen. Gleichzeitig ist abstraktes Denken ein übergeneralisierendes Denken und führt zu den bekannten maladaptiven Denkmustern depressiver Patienten. In diesem Zusammenhang bezeichnet er abstraktes Denken als Flucht vor dem Embodiment. Solche Patienten wollen dadurch in gewisser Weise zu einer „Entkörperung“ ihres Erlebens gelangen und damit dem unmittelbaren Spüren und Fühlen einer besonders schmerzlichen Erfahrung über den Körper entkommen. Der Lösungsansatz liegt jedoch im Erfühlen und Beschreiben der „Wunde“ und erfordert den therapeutischen Weg von der „Entkörperung“ zurück zur „Einkörperung“. Die Embodimenttechniken in der SBT unterstützen diesen Prozess. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist stets die Auswahl konkreter Problemsituationen mit relevanten Bezugspersonen, Handlungen und den jeweiligen Umgebungsbedingungen und sensorischen Eindrücken.

8. Der Fall von Frau A.: gemeinsam einsam

Nachdem anhand des Falls des Herrn B. die sieben Module und das allgemeine Vorgehen in der SBT erläutert wurden, möchte der nun folgende Fall der Frau A. einen vertieften Einblick in die Anwendung der SBT und ihre Möglichkeiten zur Förderung der Emotionsregulationsfähigkeit geben. Der Fokus der Falldarstellung liegt dabei auf der Partnerschaftsproblematik der Patientin.

Anlass der Therapie

Frau A., eine quirlige und auffällig attraktiv gekleidete Frau, kommt in die Therapie aufgrund von starken Ehekonflikten. Sie gibt an, dass es immer häufiger zu eskalierenden Streits kommt, bei denen regelmäßig Gegenstände durch die Luft fliegen. Gemeinsame Sexualität würde schon seit Jahren nur noch sporadisch stattfinden. Frau A. sieht dafür die Schuld bei sich. Traurig sagt sie: „Ich könnte mit einem x-beliebigen Mann von der Straße Sex haben, jedoch nicht mit meinem Mann.“ Mit zunehmender Vertrautheit habe ihre Lust auf ihn immer mehr abgenommen. Wenn sie doch mal miteinander schlafen, was etwa sechsmal im Jahr vorkomme, könne sie es nicht genießen. Ihr Mann leide sehr unter dieser Situation. Habe er früher noch Verständnis dafür gehabt, beschwere er sich nun immer häufiger und sei gereizt. Frau A. macht sich zunehmend Sorgen, dass sich ihre Eheprobleme, vor allem auch wegen der lautstarken Auseinandersetzungen, negativ auf die Entwicklung ihrer Kinder auswirken. Frau A. gibt an, vor sieben Jahren bereits eine Verhaltenstherapie wegen ihrer Borderline-Störung absolviert zu haben. Diese habe ihr geholfen, ihr Krankheitsbild besser zu verstehen. Damals sei sie kurzfristig arbeitslos gewesen, habe jegliche Tagesstruktur verloren und sei immer depressiver geworden. Die Therapie habe ihr geholfen, wieder zu einer Tagesstruktur zurückzufinden und die Jobsuche aktiv anzugehen. Die depressive Symptomatik sei dadurch besser geworden. Mithilfe eines Skill-Trainings für Borderline-Patienten (vgl. Bohus & Wolf-Arehult, 2013) habe sie gelernt, ihre eigenen Emotionen besser im Griff zu haben. Selbstverletzendes Verhalten praktiziere sie schon seit fünf Jahren nicht mehr. Seit der Geburt ihrer Tochter würde das alles jedoch nicht mehr ausreichen. Vor allem in Kontakt zu ihrem Ehemann explodiere sie sehr leicht. Die Lage verschlimmere sich nun von Tag zu Tag. Sie ziehe sich immer mehr zurück, weine viel, sei antrieblos und leide unter Einschlafstörungen. Suizidgedanken werden von ihr glaubhaft verneint. Frau A. ist aktuell in ambulanter psychiatrischer Behandlung und erhält seit drei Monaten ein schlafanstoßendes Antidepressivum.

Aktuelle Lebenssituation

Frau A. ist 37 Jahre alt, seit fünf Jahren verheiratet und hat eine einjährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn. Ihr Mann arbeitet als Ingenieur in der Automobilbranche. Die beiden wohnen zusammen im eigenen Haus. Aktuell ist Frau A. Hausfrau und Mutter. Bis zur Geburt des Sohnes arbeitete sie als Sekretärin in einem mittelständischen Unternehmen. Am Arbeitsplatz gab es immer wieder Konflikte mit den Kolleginnen, da sie sich in ihrer Stellung gefährdet fühlte. Mit den männlichen Vorgesetzen und Kollegen, deren Aufmerksamkeit sie stets genoss, gab es weniger Probleme. Frau A. berichtet, dass sie kaum Freundinnen habe. Sie sei schon immer jemand gewesen, bei dem Freundschaften nicht besonders lange halten. Oft würden schon kleine Auslöser ausreichen, damit sie den Kontakt abbreche. Seit ihre Tochter auf der Welt ist, fühlt sie sich zunehmend mehr isoliert. Das Zusammenleben mit ihrem Mann beschränkt sich auf die gemeinsame Ausführung der Pflichten und die Zeit mit den Kindern. Als Paar erleben sich beide nur noch selten. Eine Eheberatung vor einem Jahr brachte nicht die erwünschte Verbesserung.

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