Das Zauberschwert von Dunsinbar

Frank Rehfeld

Published by Cassiopeiapress/Alfredbooks, 2017.

Inhaltsverzeichnis

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Das Zauberschwert von Dunsinbar

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Das Zauberschwert von Dunsinbar

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Die Geschichte vom Zweikampf der Magier Band 1

von Frank Rehfeld

Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.

Caine, ein Junge aus ärmlichen Verhältnissen, will unbedingt Magier werden, obwohl auf Schloss Dunsinbar nur Krieger etwas gelten. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Monster rettet er die Prinzessin, wird jedoch ins Verlies geworden, weil er im Verdacht steht, eine Halluzination erschaffen zu haben. Bei seiner Flucht aus den Kerkern erfährt er zu seiner Überraschung, dass er der Sohn des Weltenmagiers ist und eine große Bestimmung seiner harrt. Doch zunächst muss er den Magier ausschalten, der das Schloss in seiner Gewalt hält.

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Copyright

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Der Himmel hatte die schmutzig-graue Farbe eines alten Wollmantels angenommen, aber niemand schien das Warnzeichen zu beachten. Noch schien die Sonne heiß auf die zahllosen Verkaufsstände auf dem Schlosshof herab, und mit lauter Stimme priesen Bauern und Händler ihre Waren an, so, als könnten sie dadurch die finsteren Gewitterwolken vertreiben, die sich am Horizont zusammenballten. Es war um die Mittagsstunde, und der Markt hatte den Höhepunkt geschäftigen Treibens erreicht.

Die hohen Mauern boten Schutz vor dem Wind und ließen ihn nicht spürbar werden, aber Caine warf einen Blick auf das silberne Banner, das auf der Spitze des Südturms wild flatterte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Gewitter Schloss Dunsinbar erreichte. Das Wetter nahm keine Rücksicht auf den Handel der Menschen, mochte das Geld auch noch so dringend von ihnen benötigt werden.

Caine sah noch einmal prüfend zu den in der Ferne heraufziehenden Gewitterwolken, zuckte dann mit den schmalen Schultern und schlenderte weiter. Er hatte noch am wenigsten Grund, sich über das Wetter zu ärgern.

Die verschwenderische Vielfalt der angebotenen Waren zog ihn rasch in ihren Bann. Er entdeckte Steine aus dem Kamos-Gebirge weit im Norden, denen eine geringe magische Kraft zugesprochen wurde, kostbare Stoffe aus fremden Ländern, bizarre Waffen, Lebensmittel aller Art und Hunderte anderer Dinge, die seine düsteren Gedanken über das heraufziehende Unwetter bald vertrieben.

Wie wohl jeder Bewohner Schloss Dunsinbars und auch der umliegenden Gehöfte liebte Caine den monatlichen Markt, brachte er doch Abwechslung in das ansonsten triste Leben. Es gab immer Neues zu entdecken, und jedes Mal nahm der Markt die Form eines riesigen Volksfestes an.

Mit in den Taschen seiner schlichten Baumwollhose vergrabenen Händen blieb er vor einem Stand stehen, an dem ein bunt kostümierter Händler mit einem gewaltigen Bart fremdartige Musikinstrumente feilbot.

Nur wenige Interessenten hatten sich vor dem Stand versammelt. Musik galt nicht viel im rauen Leben der anwesenden Krieger, und auch die Bauern fanden keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Musik war etwas, das den Edelleuten vorbehalten war, etwas, das ihre rauschenden Feste, ihre Empfänge und Verhandlungen auflockerte. Wer ständig jedes einzelne Kupferstück umdrehen musste, um seine Familie zu ernähren, gab sich nicht mit solchem Luxus ab.

So wusste auch Caine, dass diese Instrumente für ihn unerschwinglich waren. Die wenigen Münzen, die in seiner Tasche klimperten, hatte er von seiner Mutter erhalten, um Früchte dafür zu kaufen.

Dennoch sah er hingebungsvoll zu, wie der Händler spielerisch mit den Fingerspitzen über die Saiten einer Garliane strich und sie dabei lauthals als sein bestes Stück pries. Das Gehäuse bestand aus edlem, hellem Holz und war kunstvoll gearbeitet.

Harmonische Töne erklangen aus dem Instrument, hallten einen Moment nach, und zerfaserten dann im Lärm des Marktes. Trotzdem schienen sie etwas in seinem Inneren zu berühren, etwas, das mit gleicher Verspieltheit einen Widerhall in seiner Seele erzeugte.

Schüchtern trat Caine einen Schritt, näher. „Bitte ... darf ich ... darf ich es auch einmal versuchen?“, fragte er zaghaft und stockend, dabei bemühte er sich, ein stummes Flehen auf sein jugendliches Gesicht zu zaubern.

Prüfend musterte ihn der Händler einen Augenblick, dann lächelte er.

„Nun, hier werde ich wohl ohnehin kein Geschäft machen können. Diese Barbaren wissen den Wohlklang von Musik eben nicht zu schätzen. Wenn du dich schon dafür interessierst, dann sollst du auch belohnt werden, auch wenn du nicht so aussiehst, als ob du ein Instrument kaufen könntest.“

Er reichte Caine die Garliane. Vorsichtig nahm der Junge sie entgegen und strich über die Saiten. Erneut schlugen die melodischen Töne ihn in ihren Bann.

Bedauernd gab er dem Händler das Instrument zurück.

„Hier habe ich etwas, das vielleicht etwas für dich wäre“, sagte er.

Er griff nach einem unscheinbaren Stock, so lang wie ein Unterarm. Verunsichert nahm Caine ihn entgegen und betrachtete ihn. An einer Seite des Stocks gab es eine Reihe kleiner Löcher, und ein Ende lief spitz aus.

„Man nennt es Flöte“, erklärte der Händler. „Du kannst hineinblasen, und durch das Zuhalten von Löchern verschiedene Töne erzeugen.“

Caine blies in das spitze Ende des Stocks. Ein schriller Misston erklang. Einige Menschen blickten sich erschrocken um und lachten dann. Auch Caine war zusammengefahren. Rasch presste er seine Finger auf einige Löcher und blies erneut. Diesmal war der Ton weich und fast so melodisch wie bei der Garliane.

„Sie kostet nur neun Garts“, lockte der Händler, aber Caine schüttelte stumm den Kopf. Auch dieser Preis war unerschwinglich für ihn. Ein oder zwei Garts hätte er vielleicht ausgeben können, wenn er anschließend geschickt um die Früchte feilschte. Doch so weit konnte er den Händler nicht herunterhandeln.

An einem Ende des Platzes entstand Tumult. Lauter Lärm drang zu ihnen herüber. Erschrocken wandte Caine den Kopf.

Er sah Reiter in blitzenden Rüstungen. Das Licht der Sonne wurde von ihren stählernen Helmen und Harnischen widergespiegelt und traf wie ein greller Blitz seine Augen, so dass er geblendet die Lider schließen musste.

„Macht Platz, ihr Gesindel!“, schallte es zu ihm herüber. „Platz für die Garde des Fürsten!“

Ängstlich wichen die Menschen zur Seite und öffneten eine Gasse für die Reiter. Wer nicht schnell genug wegkam, wurde derb zur Seite gedrängt. Die Rücksichtslosigkeit der Leibgarde Fürst Arsters war berüchtigt. Wie ein lebendiger Schild aus Stahl schirmten die Reiter den Mann in ihrer Mitte ab.

Aber der Mann war nicht Fürst Arster, wie Caine schon glaubte. Erst als die Reiter herangekommen waren, erkannte Caine den Magier Korlon.

Wie immer trug er einen schwarzen Umhang; sein Kopf wurde von einer spitz zulaufenden Kapuze verdeckt, die er soweit vorgezogen hatte, dass von seinem Gesicht nichts zu sehen war; Korlon, der schwarze Magier, der Geheimnisvolle, der Berater Fürst Arsters, mit dem nicht einmal die anderen Magier etwas zu schaffen haben wollten. Er, von dem gemunkelt wurde, er stünde mit finsteren Mächten im Bunde!

Dicht vor Caine zügelten die Reiter ihre Pferde. Mit einer schattenhaften Bewegung, die zu seiner finsteren Erscheinung passte, schwang Korlon sich aus dem Sattel.

Unwillkürlich wich Caine einige Schritte zurück. Doch der Magier hatte es gar nicht auf ihn abgesehen, wie er von eisigem Entsetzen erfüllt einen Augenblick lang gefürchtet hatte. Stattdessen trat er zu dem Stand mit den Musikinstrumenten.

Es schien merklich kühler geworden zu sein, ohne dass Caine zu sagen vermochte, ob es an dem Erscheinen des Magiers oder an dem bevorstehenden Unwetter lag.

Korlon war schlank, wenn nicht gar dürr, wie er trotz des weiten Umhangs erkennen konnte. Trotzdem war der Magier groß, er überragte selbst die gewaltigen Krieger der Garde noch um fast einen Kopf. Seine Bewegungen waren fließend, und erneut fühlte Caine sich an einen körperlosen Schatten erinnert.

„Ihr führt Garlianen?“, sprach Korlon den Händler an. Seine Stimme klang dunkel und heiser zugleich; sie jagte Caine eine Gänsehaut über den Rücken. Korlon strahlte eine Aura von finsterer Bösartigkeit aus, wie er sie noch bei keinem anderen Menschen gespürt hatte, und er war in diesen Sekunden bereit, alle Legenden über den schwarzen Magier zu glauben.

Auch der Händler schien über den ungewöhnlichen Kunden nicht sehr erfreut zu sein. Caine sah, wie die Hände des Mannes zu zittern begannen, und obwohl er sich bemühte, gelang es ihm nicht, das Zittern ganz zu verbergen.

„O ja, Herr, ich führe viele Instrumente“, beeilte er sich trotzdem hastig zu versichern. „Hier habe ich eine ganz besonders edle Garliane.“

Er reichte Korlon das Instrument, das auch Caine schon kurz in den Händen gehalten hatte. Der Magier griff mit einer blitzschnellen Bewegung danach. Seine Finger waren lang und dürr und erinnerten Caine an die Beine einer Spinne. Die Haut war wie trockenes Pergament.

„Ist das dein bestes Instrument?“, fragte Korlon nach einem nur flüchtigen Blick auf die Garliane.

„Ja, Herr, es ist ein guter Kauf. Ich habe sie in einer fernen Stadt erstanden, wo man viel von Musik versteht. Ihr hört ja selbst den wunderbaren Klang ...“

Mit einer knappen Handbewegung schnitt Korlon ihm das Wort ab.

„Ich habe kein Ohr für solche Klänge. Die Garliane soll ein Geschenk für die Tochter des Fürsten sein. Nenne deinen Preis.“

Caine hatte deutlich gehört, wie der Händler das Instrument vorher für vierhundert Garts angeboten hatte. Nun schluckte er und warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde, bevor er fortfuhr.

„Ich glaube, dreihundert Garts dürften für ein so wundervolles und seltenes Instrument nicht zu viel sein.“

Mit der Blitzartigkeit eines Schlangenkopfes zuckte Korlons Hand vor. Seine dürren, spinnenartigen Hände pressten sich um die Kehle des Händlers. Mit einer fast spielerisch anmutenden Bewegung riss er ihn zu sich heran. Der Stand stürzte um, und scheppernd fielen die zahlreichen Instrumente zu Boden.

Noch niemals hatte Caine eine solche Kraft gesehen. Scheinbar ohne jede Anstrengung hielt Korlon den wohlbeleibten Händler in der Luft fest, so dass die Füße des Mannes einige Handspannen über dem Boden baumelten.

„Hund“, knurrte der Magier. „Willst du mich beleidigen? Sagte ich nicht, dass die Garliane für die Tochter des Fürsten bestimmt ist?“

„Gnade, hoher Herr“, winselte der Händler und zappelte in dem unbarmherzigen Griff. „Ich komme von weither. Verzeiht einem Unwissenden. Ich überlasse Euch das Instrument zum halben Preis.“

Korlon stieß ein dumpfes Lachen aus und presste die Kehle des Händlers noch stärker zusammen. Die Augen des Mannes schienen aus den Höhlen zu quellen.

„Ich ... Ich schenke es Euch“, röchelte er mit letzter Kraft.

„Ihr habt es alle gehört“, rief Korlon mit lauter Stimme und warf einen triumphierenden Blick in die Runde. „Er schenkt mir die Garliane. Das nenne ich ein faires Angebot.“

Mit einem Mal hielt der Händler einen Dolch in der Hand. Caine hatte nicht einmal gesehen, wie er ihn gezogen hatte. Er musste ihn im Ärmel seines Gewandes verborgen gehalten haben.

Sonnenlicht spiegelte sich auf der blanken Klinge und schoss wie ein Speer aus gebündeltem Licht für einen Sekundenbruchteil unter Korlons Kapuze.

Der Magier stöhnte auf, ließ die Garliane fallen und verdeckte mit der einen Hand seine Augen, während er mit der anderen die Kehle des Händlers ruckartig zusammenpresste.

Der Mann kam nicht mehr dazu, mit dem Dolch zuzustoßen. Sein Kopf sackte zur Seite. Die Augen starrten gebrochen ins Nichts.

Caine stieß einen leisen Schrei aus. Wie gebannt hing sein Blick an dem unfassbaren Geschehen, während er seine Hände um die Flöte krallte, die er, ohne sich dessen bewusst zu sein, immer noch festhielt.

Angewidert schleuderte Korlon den Leichnam von sich. Er wandte sich zu den Kriegern um.

„Zerstört alles!“, befahl er knapp und deutete dabei auf den Stand und die Musikinstrumente. Nur die Garliane nahm er an sich, bevor er sich wieder auf sein Pferd schwang.

Unter den Hufen der Pferde zersplitterten die Habseligkeiten des toten Händlers.

Caine bebte vor Wut und Hass auf den Magier. Er hatte in den Jahren, die er auf Schloss Dunsinbar verbracht hatte, schon viel Unrecht erdulden und unzählige Grausamkeiten mit ansehen müssen, aber die Brutalität Korlons übertraf alles.

Etwas zerbrach in seinem Inneren. Sein klarer Verstand war plötzlich wie weggefegt, seine Handlungen wurden nur noch von blindem, hilflosem Zorn diktiert. Er trat einen Schritt auf den schwarzen Magier zu.

„Mörder!“, brüllte er.

Korlon lachte nur. Mit einem Tritt wurde Caine zurückgeschleudert. Er stürzte zu Boden und Tränen schossen in seine Augen. Wie durch einen milchigen Schleier vor seinen Augen verfolgte er, wie die Krieger ihre Pferde wandten und zusammen mit Korlon davonritten, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.

Nach einigen Minuten, in denen er wie gelähmt war, ließen die Schmerzen etwas nach. Mühsam quälte Caine sich auf die Beine.

Währenddessen hatte sich die Menge der durch das Schauspiel herbeigelockten Gaffer zerstreut. Die Trümmer des Standes und die Leiche des Händlers wurden von einigen Männern weggeschafft. Caine stand da und starrte hilflos auf die Flöte, die er immer noch in den Händen hielt.

Es war kein Diebstahl, wenn er sie behielt. Schließlich konnte er sie niemandem zurückgeben. Trotzdem blieb ein ungutes Gefühl, und er musste mit sich ringen, das Instrument nicht angeekelt von sich zu schleudern. Schließlich steckte er es doch unter sein Hemd.

Der grausame Vorfall hatte ihm alle Freude über den Markt geraubt. In aller Eile kaufte er die Früchte, nach denen seine Mutter ihn geschickt hatte. Ohne zu feilschen bezahlte er den verlangten Preis und verließ beinahe fluchtartig den Markt.

Die Wachen am Tor, das in den eigentlichen Innenhof des Schlosses führte, kannten ihn und ließen ihn durch.

„Was ist los mit dir, Junge?“, rief einer mit gutmütigem Spott. „Du siehst aus, als sei dir ein leibhaftiger Dämon begegnet.“

Caine eilte weiter, ohne sich um den Krieger zu kümmern. Die Wache hatte einen nicht einmal gehässigen Scherz gemacht, aber jedes Wort traf ihn wie ein Peitschenschlag.

Immer noch zitterte er vor mühsam unterdrücktem Hass, und die Schmerzen in seiner Brust waren noch nicht verebbt. Nur ein einziger Gedanke beherrschte sein Denken.

Eines Tages, so schwor sich Caine, würde Korlon für alle seine Grausamkeiten büßen!

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Als hätte Hermagor, der Gott, der uralten, abergläubischen Sagen zufolge über das Wetter herrschte, seinen finsteren Schwur verstanden, verdunkelte der Himmel sich in rasendem Tempo. Im gleichen Moment, in dem Caine den langen Torbogen verließ, fielen die ersten Tropfen.

Doch der Junge nahm es kaum wahr. Immer noch war er wie betäubt. Unentwegt kreisten seine Gedanken um Korlon.

Wie ein geprügelter Hund schlich er dicht an der Mauer über den riesigen Hof. Hier herrschte stets ein schattiges Halbdunkel. Die Mauer des inneren Hofes ragte neben ihm zu gigantischer Größe auf und fing die Strahlen der Sonne mit ihrer nach außen gewandten Seite auf, so dass die Nacht hier niemals ganz zu enden schien. Sie mochte die Höhe von zehn übereinander stehenden Männern erreichen, eher noch mehr. Breite Wehrgänge umliefen sie an der Innenseite.

Schloss Dunsinbar war eine unbezwingbare Festung, und jeder Feind, der bislang versucht hatte, sie zu erstürmen, hatte diese Lehre ziehen müssen.

Doch anders als sonst vermittelte der Gedanke ihm diesmal kein Gefühl der Sicherheit. Es war das erste Mal, dass er das Schloss mit gänzlich anderen Augen sah. Es war für ihn plötzlich kein Schutz mehr, sondern ein Gefängnis. Die trutzigen Festungswälle schienen sich nicht mehr gegen seinen fremden Feind zu erstrecken, sondern sie waren zu Kerkermauern für ihn selbst geworden.

Und Korlon war der Kerkermeister.

Es waren verrückte Gedanken, und Caine wusste es. Doch so oft er sich auch daran erinnerte, dass er das Schloss jederzeit verlassen konnte, sofern er es wünschte, so konnte er das Gefühl der Gefangenschaft doch nicht ganz abschütteln.

Im Umkreis von zehn Tagesreisen gab es nur karges Land. Lediglich die zähe Arbeit der wenigen Bauern, deren Gehöfte oft weit auseinander lagen, vermochte dem sandigen Boden einen geringen Ertrag abzutrotzen. Gerade genug, um zu überleben und ein wenig Handel zu treiben.

Zudem gab es wilde Tiere von so unbändiger Kraft, dass es selbst für einen ausgebildeten Krieger gefährlich war, das Schloss allein zu verlassen.

Die einzige Möglichkeit boten die Händlerkarawanen. Irgendwann würde Caine mit ihnen ziehen, um diese triste Welt aus Stein und Metall zu verlassen. Wenn es nicht die verbotenen Gärten gäbe, in die er sich gelegentlich schlich, hätte er es hier schon lange nicht mehr ausgehalten ...

Durch einen schmalen Bogen trat er in den Teil Dunsinbars, in dem die Beschäftigten des Hofstaates wohnten. Ein wenig von der drückenden, unsichtbaren Last, die sich auf seine Schultern gelegt hatte, fiel von ihm ab.

Hier war er aufgewachsen, und so ärmlich die Behausungen auch waren, so boten sie ihm doch ein gewisses Gefühl der Geborgenheit.

Der Regen fiel nun stärker. Krachend fuhr ein Blitz vom Himmel, dem kurz darauf ein gewaltiger Donnerschlag folgte. Hier war der Boden nicht mehr gepflastert, und der Regen verwandelte den festgestampften Lehm rasch in morastigen Untergrund, weil das Wasser weder rasch genug versickern, noch ablaufen konnte.

Ungeachtet des Unwetters tollten einige Kinder umher. Was ein echter Krieger werden soll, braucht ein bisschen Wasser nicht zu scheuen, dachte Caine grimmig. Nicht umsonst lautete der Wappenspruch Arsters Härte durch Härte, und dieser Wahlspruch wurde allgemein als oberstes Gesetz anerkannt.

Er bekam nicht mit, wie der Streit begann. Alles was er sah, war, wie einer der Jungen plötzlich auf ein Mädchen einzuprügeln begann, das mindestens vier Jahre jünger war als er. Es war eine alltägliche Szene, aber diesmal brachte der Anblick etwas in Caine zum Überlaufen. Das Schreien des Mädchens klang wie ein gellender Hilferuf in seinen Ohren.

Mit einigen Schritten erreichte er den Jungen und riss ihn zurück. Erschrocken starrte der Kleine, der bestimmt nicht älter als zehn Jahre war, zu ihm auf. Rostrote Haare klebten nass an seiner Stirn, und sein dickwangiges Gesicht zeigte einen dümmlichen Ausdruck. Das Mädchen hörte auf zu schreien.

„Was soll das?“, brüllte Caine.

Der Augenblick der Überraschung verflog. Ein wütendes Funkeln stahl sich in die Augen des Jungen.

„Lass mich los“, kreischte er. „Ich rufe meinen Bruder, wenn du mich nicht sofort loslässt!“

Etwas in Caine zerriss, und seine ganze aufgestaute Wut entlud sich in einer heftigen Maulschelle. Die Lippe des Jungen platzte auf, und er wurde von der Wucht des Schlages zu Boden geschleudert.

Im gleichen Moment hasste sich Caine für seine Tat. Er war um keinen Deut besser als Korlon oder der Junge oder sonst wer, solange er seine Wut an Schwächeren ausließ.

Zornbebend sprang der Junge wieder auf und starrte ihn an. Der Schlag musste ihm wehgetan haben, aber kein Laut des Schmerzes drang über seine Lippen.