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Paul Lascaux

Die sieben Weisen von Bern

Ein Fall für Müller & Himmel

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Zum Buch

Casanovas Erben Eine Frau wird im Berner Rosengarten tot aufgefunden. Autoerotische Strangulation oder brutaler Mord? Kurze Zeit später erschießt die Polizei einen Mann. Dieser nannte sich „Saturn“ und stand im Verdacht, die Frau aus dem Rosengarten – auch als „Venus“ bekannt – ermordet zu haben. Doch ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint? Oder ist die Polizei auf eine Inszenierung hereingefallen? Der Staatsanwalt möchte die Untersuchungen mit einer unabhängigen Instanz vorantreiben und beauftragt die Detektei Müller & Himmel. Unterstützung erhalten die beiden Detektive von den drei Grazien Melinda, Phoebe und Gwendolin. Es braucht das erweiterte Team der Detektei, denn der Fall wird immer komplizierter. Sind wirklich ein paar Familien der mächtigen Bernburger involviert? Wie viel astrologische Magie ist im Spiel? Und was hat Giacomo Casanova mit den Morden zu tun?

Paul Lascaux ist das Pseudonym des Schweizer Autors Paul Ott. Der 1955 geborene, studierte Germanist und Kunsthistoriker ist am Bodensee aufgewachsen und lebt in Bern. In den letzten 30 Jahren hat er neben zahllosen journalistischen Arbeiten mehrere literarische Veröffentlichungen realisiert, vor allem Kriminalromane und kriminelle Geschichten. Als Herausgeber von Krimi-Anthologien und Initiator des Schweizer Krimifestivals Mordstage hat er sich einen Namen gemacht. »Die sieben Weisen von Bern« ist bereits der zehnte Krimi um die Detektei Müller & Himmel.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Goldstern (2016)

Nelkenmörder (2015)

Burgunderblut (2014)

Schokoladenhölle (2013)

Mordswein (2011)

Bern und die Hauptstadtregion (2011, mit Fritz von Gunten)

Gnadenbrot (2010)

Feuerwasser (2009)

Wursthimmel (2008)

Salztränen (2008)

 

Als Herausgeber (unter dem Namen Paul Ott):

Berner Blut (2013)

Zürich – Ausfahrt Mord (2011)

Sterbenslust (2010)

Gefährliche Nachbarn (2009)

Bodensee-Blues (2007)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Quellenzitate aus:

»Biographien der Wahnsinnigen« von Christian Heinrich Spieß (1795/96)

(Seite 50)

Französischsprachige Zitate aus: »Mémoires de J. Casanova de Seingalt écrits par lui-même«, Paris 1880; übersetzt von Paul Lascaux.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © S-F/shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-5598-8

Vorrede

»Es hätte in meiner Macht gestanden, die schönste Frau Frankreichs zu heiraten, und sie wäre nicht zur Mätresse von Louis XV geworden. Hätte ich in ihr Horoskop bloß nicht die Notwendigkeit einer Reise nach Paris eingeschlossen!

Denn obwohl sich die Astrologie als Wissenschaft gebärdet, habe ich diese Gabe nie besessen. Nebenbei gesagt: Mit wie vielen außerordentlichen Ereignissen beglückt uns die Geschichte, die niemals geschehen wären, wenn man sie nicht vorhergesagt hätte?«

Giacomo Casanova: Memoiren

Personal

Heinrich Müller: Privatdetektiv Detektei Müller & Himmel, Expolizist, wohnt in Bern, irgendwie um die 60 Jahre alt

Nicole Himmel: Anthropologin, arbeitet im Alpinen Museum Bern und in der Detektei Müller & Himmel, plötzlich 34 Jahre alt

Mathilda: eine lebhafte Dame, im zehnten Katzenjahr

Markus Forrer: Kontaktmann bei der Polizei

Dr. Augsburger: Rechtsmediziner, ein immer noch junger Mann ohne Eigenschaften

Laura de Medico: Assistentin des Rechtsmediziners

Dr. Ulrich »Ueli« Schneider: Staatsanwalt

Die drei Grazien, immer noch jugendlich ungestüm:

Melinda Käsbleich: studiert Design

Phoebe Helbling: studiert Wirtschaftswissenschaften, möchte aber lieber »etwas mit Film« machen

Gwendolin Rauch: macht eine kreative Pause und steht Modell

Magdalena Im Ager: ehemals Tourismusbeauftragte im Lötschental, kümmert sich um ihre »Vergangenheit« als Hexe und interessiert sich deshalb für Magie.

»Die sieben Weisen von Bern«:

Venus

Saturn

Sonne

Mond

Jupiter

Mars

Merkur

Giacomo Casanova: erotomanischer Memoirenschreiber (1725–1798)

Venus

Es gibt manchmal Dinge, von denen wusste man vor dem Aufstehen gar nicht, dass man sie tun wollte. So geschehen an einem warmen Spätsommertag in Bern. Wobei nicht alle Menschen von Tag reden würden, wenn man erst nach dem Mittag aufstand. Aber heute musste ein Opfer gebracht werden.

Es läuft etwas schief, stieg ein hässlicher Gedanke in sein vernebeltes Hirn.

Es läuft verdammt noch mal etwas schief!

Das ist nicht das, was wir abgemacht haben, sprach er dann zu sich selbst.

Und er wiederholte jeden Satz in der doppelten Lautstärke. Als ob jemand ihn sonst nicht hören würde.

Dabei lag er noch mit seinem ganzen Körper auf ihr. Doch ihre Arme hatten sich von ihm gelöst, rutschten von seinem Rücken auf das verschwitzte Laken.

Ihre Augen starrten an die Decke.

Hellblaues Glas, zuckte es durch seine Gedanken. Zerbrochenes hellblaues Glas!

Das Röcheln, das ihn die letzten beiden Minuten begleitet hatte, war plötzlich ausgeblieben. Aber er wartete vergeblich auf den erlösenden Schrei.

Verdammt, sagte er noch einmal. Es hat doch immer alles geklappt. Was läuft denn nicht?

Warum bist du so still?

Red doch, sag irgendwas. Hör mit dem Theater auf!

Er rutschte von ihr herunter, legte sich auf die Seite, damit sie wieder etwas Luft bekäme, lockerte das Band um ihren Hals, fiel auf den Rücken, sackte weg, er wusste nicht, ob kurz oder lang. Als er erwachte, war der Schweiß kalt geworden und unangenehm klebrig.

Nichts und niemand rührte sich.

Fast wollte er glauben, sie sei aufgestanden und nach Hause gegangen und habe ihn unverrichteter Dinge liegen lassen.

Er öffnete die Augen nicht. Er fürchtete das Licht der Deckenlampe, die er nicht ausgeschaltet hatte.

Sorgfältig tastete er auf der Matratze nach rechts und suchte die leere Kuhle. Aber das Bett war nicht leer. Er berührte ihren Körper. Die Haut war so kühl wie frischer Schnee. Die Luft im Zimmer war eisig.

Mit seiner Linken suchte er den Wecker auf dem Nachttischchen neben dem Bett. Er bekam ihn zu fassen, führte ihn vor die Augen, drückte die Hintergrundbeleuchtung und öffnete langsam die Lider.

Beinahe 23 Uhr.

Sie hatten sich gegen acht auf das Bett gelegt und mit ihren Spielen begonnen.

Mehr als eine Stunde bin ich weggedämmert, überlegte er. Er hatte wohl zu viel Champagner erwischt, anders konnte er sich den ohnmachtsähnlichen Schlaf nicht erklären.

Es läuft etwas verdammt schief, dachte er noch einmal und wurde sich bewusst, dass er die Gedanken wiederholte, die ihn vor dem Schlaf gequält hatten.

Seine Muskeln zitterten leicht. Es mochte die kühle Luft sein. Normalerweise wäre er unter eine Decke gekrochen.

Seine rechte Hand lag immer noch auf ihrem Bauch. Auch sie war nackt, aber ihre Haut war trocken.

Warum bist du so still?, fragte er, und seine Stimme erzeugte ein feines Echo auf der Scheibe des Fensters.

Es fiel ihm schwer. Endlich gab er sich einen Ruck, setzte sich auf, schaute seine Geliebte zärtlich an. Sie hatte Hüften wie Aschenputtel, Brüste wie Schneewittchen und Augen wie die Königin von Saba.

Schließlich deckte er sie bis zu den Schultern zu.

Du hast das Band nicht selber gelockert?, fragte er und begann fröhlich zu plappern. Ist aber nicht sehr gesund, wenn du mich fragst.

Plötzlich befahl er rüde: Nun sag schon was!

Er packte sie an den Schultern und schüttelte ihren Körper. Der Kopf knickte nach hinten, die Haare flogen auf dem Kissen von links nach rechts. Die Augen starrten ins Licht.

Langsam dämmerte es ihm. Er brauchte es nicht auszusprechen. Als die Information in seinem Gehirn angekommen war, brach Panik aus.

Du verrätst doch nicht unsere gemeinsame Sache!

Der Vorwurf verhallte im Leeren, auch wenn man nicht wirklich sagen konnte, dass das Zimmer unmöbliert gewesen wäre. Aber die Stille machte den Raum größer, und seine Worte verloren sich darin.

Wo hatte sie bloß ihre Sachen abgelegt?

Er rollte von der Matratze auf den Boden, erhob sich auf alle viere und dann erst auf seine Beine, die beinahe den Dienst versagten. Er stolperte über seine Schuhe, fand einzelne Kleidungsstücke.

Er wusste, dass sie ein ordentlicher Mensch war und ihre Sachen sorgfältig behandelte. So fand er ihre Lackstiefel neben einem Stuhl und darauf abgelegt ihre Kleider. Er begab sich mit den Stiefeln zum Bett und zog den einen über ihren linken Fuß und den Schenkel hoch. Gar nicht so einfach, wenn jemand passiv daliegt und das Schuhwerk bis über das Knie reicht, dachte er, als er mit dem zweiten Stiefel schon besser zurande kam.

Jetzt keine Zeit verlieren!

Diesmal flüsterte er, obwohl er sicher war, dass ihn niemand hören konnte.

Du musst hier weg, Liebes!

Mit der Unterwäsche klappte es nicht mehr, denn der Seidenslip riss, als er ihn über die Stiefel zerrte.

So griff er zum Kapuzenpullover, von dem er wusste, dass er als Kleid durchging, und streifte ihn über ihren Kopf und den Oberkörper.

Geschafft, stellte er mit plötzlicher Zufriedenheit fest.

Dann fiel sein Blick auf ihre linke Hand und den Siegelring mit der Gemme der schaumgeborenen Venus.

Den brauchst du jetzt nicht mehr, sagte er und schob ihn vom Ringfinger. Bei mir ist er in sicheren Händen. Ich verwahre ihn für dich. Aber mir soll er noch von Nutzen sein.

Endlich zog er seine eigenen Sachen an, suchte die Autoschlüssel, wuchtete den leblosen Körper auf seine rechte Schulter und trug ihn hinaus auf den Parkplatz.

Jetzt müssen wir nur noch einen schönen Ort für dich finden, sagte er und pfiff eine Melodie, die er aus einer TV-Serie kannte.

Das Leben hält viele Überraschungen bereit, dachte er noch, als er den Zündschlüssel drehte und das leise Surren des Motors wahrnahm.

Eine östliche Weisheit drängte sich in sein Bewusstsein: »Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.«

Und er fühlte sich seltsam erleichtert.

1. Kapitel

Es ist nicht der Augenblick, auf den man das ganze Leben lang gewartet hat, wenn man am frühen Morgen eine Leiche auffindet. Andererseits kann man sich durchaus fragen, was jemand zu Tagesbeginn im Berner Rosengarten zu suchen hat. Natürlich gibt es Gründe, frühmorgens außer Haus zu gehen: ein Spaziergang zur Bekämpfung der Schlaflosigkeit, frisches Brot beim Bäcker Bohnenblust, eine Kanne Benzin an der Tankstelle.

Aber der Rosengarten? Es musste Liebhaber von geschlossenen Blüten geben. Oder japanische Touristen. Die hatten stets eine Digitalkamera dabei, eine stabile WLAN-Verbindung und mindestens ein Konto bei WhatsApp, Twitter oder Facebook. Wie sonst konnte man es sich erklären, dass es bereits mehrere Bilder von verschiedenen Personen gab, die dem breiten, interessierten Publikum eine »schöne Leiche« präsentierten, bevor die Polizei durch den Anruf eines des Deutschen kaum mächtigen Reiseleiters vom Fund der Toten Kenntnis hatte?

Davon hörte sie allerdings gleich nochmals, als der frühe Gärtner beobachtete, wie sich ungewöhnlich viele Leute am Teich mit den beiden Statuen aufhielten. Er wollte natürlich wissen, was da los war. Als er es dann sah und fragte, ob die Police Bern bereits benachrichtigt sei, zuckten die Anwesenden mit den Schultern. Offensichtlich dienten Smartphones nur noch selten zum Telefonieren.

Der erste Einsatzwagen hatte dann das rot-weiße Band dabei, mit dem Tatorte gesichert wurden. Die Beamten sperrten den Fundort der Leiche erst weiträumig ab, eine unwirksame Maßnahme, denn es gab immer wieder Menschen, die das Band anhoben und ihren Weg unbeirrt fortsetzten oder gar anhielten, um das Ereignis zu dokumentieren. Und bevor Verstärkung eintraf, hatten die beiden Streifenpolizisten die Lage nicht im Griff. Also verkleinerten sie den Rayon, sodass man wenigstens die Neugierigsten im Zaum halten konnte.

Sie standen oberhalb einer kurzen Treppe, die zu einer Teichanlage hinunter führte – »1918 von Karl Hänny erbaut«, stand auf der Infotafel. Vor ihnen lag ein längliches Wasserbecken mit Seerosen, der hintere Teil war abgerundet und bestand aus drei Staustufen, über die das Wasser perlte, das im obersten Teil aus drei Springbrunnendüsen einen Meter in die Höhe schoss. Die Trennung der beiden Teile markierten zwei Statuen auf breiten Sockeln: die nackte Europa auf dem Stier, und Neptun auf seinem heiligen Pferd. Neben der Zementeinfassung des Beckens lag ein schmales Grasband, dann folgten der Kiesweg und schließlich die Rabatten mit den Zuchtrosen.

Quer über das Rasenband lag eine junge Frau auf dem Rücken. Sie war offensichtlich tot. Das Bild von der »schönen Leiche« war keinesfalls übertrieben, wie die beiden Polizisten feststellten, die nun nähergetreten waren. Es ging dabei weniger um das Aussehen an sich, denn was einem als Erstes ins Auge stach, war das sorgfältige Arrangement der gesamten Szene. Selbst der ungeübteste Polizist erkannte sofort, dass die Frau nicht an dieser Stelle verstorben war. Die Beine steckten in glänzenden Lackstiefeln, die bis über die Knie reichten. Die Absätze hatten im Kies eine kurze Schleifspur hinterlassen.

Ein schmaler Streifen der Oberschenkel war nicht bekleidet. Den gesamten Oberkörper bedeckte ein übergroßer schwarzer Kapuzenpullover – ein Hoodie, würde man später den Einsatzkräften erklären. Der Kopf des Opfers lag im Wasserbecken, die vollgesogene Kapuze war untergegangen. Das bleiche Gesicht mit den pfirsichroten Lippen und den kajalschwarzen Brauen wurde vom Hals, der am Beckenrand auflag, über Wasser gehalten. Die langen dunkelblonden Haare rankten sich wie Tang um die blassrosa Seerosen, die sich langsam den Sonnenstrahlen öffneten. Auf Brusthöhe leuchteten sieben hastig gepflückte, blutrote Rosen auf dem schwarzen Gewand.

Die Spurensicherung war inzwischen eingetroffen und mit ihr Markus Forrer von der Einheit »Leib und Leben« der Police Bern. Wenn er diesen Todesfall aufklären könnte, würde man ihn vielleicht zum Kommissar befördern, zum Leiter der Abteilung, hoffte er, bevor er über die weißen Flecken in seinen schwarzen Haaren strich und seine Anweisungen gab.

Die Absperrzone wurde wieder erweitert, die Besucher lotste man auf anderen Wegen durch den Park, aber für einen Abgleich von Fußspuren waren sie zu spät gekommen, zu viele Leute waren bereits durch die Anlage getrampelt. Forrer ärgerte sich.

»Ist nicht so wichtig«, sagte einer vom Kriminaltechnischen Dienst, der im Schutzanzug vor ihm stand, »im Kies ist es sowieso kaum möglich, auswertbare Abdrücke zu finden. Wir bergen den Körper mit größter Vorsicht, denn hier werden wir die meisten Spuren auswerten können.«

»War der Rechtsmediziner schon hier?«, fragte Forrer.

»Ich bin die Assistentin von Dr. Augsburger«, meldete sich eine Person, die sich über die Leiche gebeugt hatte und von hinten im weißen Anzug mit übergeschlagener Kapuze, in der Rechtsmediziner-Burka, nicht als Frau wahrgenommen wurde. Erst als sie aufstand und sich zum Polizisten umdrehte, sah sie beinahe wie die Zwillingsschwester der Verstorbenen aus, wie eine farbverkehrte Version, in Weiß statt in Schwarz. Forrer trat einen Schritt zurück.

Sie hatte sein Erschrecken nicht bemerkt und sprach weiter: »Dr. Augsburger kommt morgen Vormittag von einem Kongress aus Wien zurück. Ich habe ihm eben eine SMS geschickt. Wir kümmern uns dann sofort um die Obduktion.«

»Sie können noch nichts sagen?«, wollte der Polizist wissen.

»Nicht ohne meinen Chef«, erklärte die Endzwanzigerin, »der reißt mir sonst beide Ohren ab.«

Es war wohl einer dieser Rechtsmedizinerwitze, die Forrer nicht verstand.

Dann beugte sie sich noch einmal über die Leiche, roch an den Rosen und stellte fest: »Ein flüchtiger, milder Duft nach Himbeeren, Granatapfel und Blättern der Pfefferminze liegt über dem salzigen, körperfeuchten Baumwollgeruch.«

Als sie wieder aufstand, zerrte sie die Vinylhandschuhe von ihren Fingern und zog die Schutzhaube vom Kopf, bevor sie sich aus dem Anzug schälte und ihre braunen Haare schulterlang ausschüttelte.

»Laura de Medico«, sagte die Frau und gab Forrer die Hand. Sie ließ ihn aus seinem Staunen heraus gar nicht zu Wort kommen. »Ich weiß, nomen est omen. Jeder, der zum ersten Mal meinen Namen und Beruf zusammenbringt, kichert. Jedenfalls bis ich ihm erkläre, dass ich es mit Toten treibe.« Lauras Lachen klang glockenhell.

»Wenigstens ein paar Worte zum Todeszeitpunkt?«, bettelte Forrer.

»Auf jeden Fall in dieser Nacht«, begann sie. »Es war warm, also könnten sich die Prozesse verlangsamt haben. Sie sehen selbst, die Frau ist vollständig bekleidet. In diesem Zustand lassen sich kaum vernünftige Aussagen machen.«

Der Polizist sagte: »Ich appelliere an Ihren jugendlichen Übermut und verspreche, dass ich niemandem Meldung mache.«

Sie rollte die blassblauen Augen und erwiderte: »Eine Stunde vor Mitternacht? Zwei Stunden?«

»Und hier abgelegt?«

»Auf jeden Fall. Den Tatort müssen Sie woanders suchen. Man hat die Leiche hier arrangiert. Offenbar war genügend Zeit vorhanden.«

»Also kein Selbstmord«, schloss Forrer.

Laura de Medico hatte sich bereits ins Feuer geredet und machte munter weiter: »Auf keinen Fall. Wenn sie auf dem Bauch liegen würde, das Gesicht im Wasser, das wäre möglich. Aber so wie sie daliegt, hätte sie genügend Luft gekriegt. Natürlich müssen wir noch Tabletten und Gifte ausschließen. Aber wenn sie hier so etwas eingenommen haben sollte, müsste man mit Erbrochenem oder verkrampften Gliedern rechnen. Nein. Ich würde sagen, eine beabsichtigte Inszenierung, damit die entsorgte Leiche rasch gefunden wird.«

Forrer folgerte: »Also haben wir es mit Mord zu tun. Oder sagen wir besser: mit unvorhergesehenem Ableben.«

»Ja«, bestätigte die Assistentin. »Und mit einer kräftigen Person oder mit zweien, die den Körper hierher getragen haben.«

Forrer schaute nach dem Eingangsportal des Rosengartens und murmelte: »Es dürfte kein Zufall sein, dass man die Frau auf einem ehemaligen Friedhofsgelände abgelegt hat.«

»Wie romantisch«, begeisterte sich Laura de Medico. »Ein Körper zwischen Busch- und Wasserrosen.«

»Messen Sie dem eine bestimmte Bedeutung bei?«

»Nein, nur eine verklärte Erinnerung«, sagte sie. »Kopf und Haare im Wasser beschwören ein Bild herauf: Ophelia! Das Gemälde von John Everett Millais. Die beliebteste Wasserleiche aus Kunst und Literatur. Stammt aus Shakespeares ›Hamlet‹.«

»So was lernt man bei Dr. Augsburger?«, wunderte sich der Polizist.

»Nein, so was lernt man im Theater«, sagte sie. »Kommen Sie doch einmal mit!«

2. Kapitel

Heinrich Müller war endlich in einen tiefen Schlaf gesunken, als plötzlich diese Außerirdischen auftauchten und begannen, ihn in eine klebrige Substanz einzuwickeln, die ihn beinahe bewegungsunfähig machte. Mit einem letzten Kraftakt befreite er sich.

Es war aber nur Mathilda, die auf seinem Rücken saß und ihn mit Milchtritten traktierte. Wahrscheinlich schnurrte sie noch, als er sie mit seinem Arm wegbugsierte. Dann wachte er auf.

Die Katze sprang von der Bettdecke und verschwand in der Nacht. Schade. Von Außerirdischen verstand sie nicht die Bohne!

Der Wecker zeigte vier Uhr in der Früh. Heinrich sackte wieder auf das Kissen und schlummerte weg.

Blitze knisterten in der Dunkelheit, Donner hallte durch den Himmel, mal knallte es vernehmlich lauter, mal wie von Watte gedämpft. Dann kam der Regen. Aber es war kein Regen, der Heinrich Müller in seinen Aufwachträumen inspiriert und ihn der Lösung eines Rätsels einen Schritt weitergebracht hätte. Dafür war er zu sanft, plätscherte zu wenig laut, klopfte nicht an die Rollläden des Schlafzimmers.

Als der Detektiv endlich aufstand, strich der Wind noch die letzten Tropfen aus den Bäumen und Sträuchern, der Garten hatte die Feuchtigkeit bereits aufgesogen. Die Goldruten streckten ihre goldgelben Blüten den Bienen entgegen, die bereits verblühten Nachtkerzen waren wasserwund eingeknickt, die schwarzen Holunderbeeren reiften weiter, das Hortensienblassrosa konkurrierte mit dem Dunkellila der beinahe obszönen Blütenstände des Hibiskus.

Mathilda hatte sich unter dem Partyzelt versteckt und schlief im schwarzen Liegestuhl.

Als er endlich zum Frühstück in den Gastraum des »Schwarzen Katers« hinuntergestiegen war, hatten sich die drei Grazien bereits in ihre Stühle gefläzt. Melinda Käsbleich, Phoebe Helbling und Gwendolin Rauch fühlten sich der Detektei Müller & Himmel zugehörig, seit sie an ihrem letzten Fall derart Anteil genommen hatten.

Heinrichs Partnerin, Nicole Himmel, putzte hinter dem Tresen und machte dem leicht zerknitterten Mann einen kräftigen Kaffee.

Heinrich Müller hatte erfahren, dass man Leute wie ihn einen Sitzriesen nannte. Und er blickte wirklich, obwohl er im Alltag zur Durchschnittsgröße neigte, auf einem Stuhl sitzend über die meisten anderen hinweg. Dafür stieß er in beinahe jedem Auto mit dem Kopf gegen das Dach.

»I try not to stare at the sun«, sang eine brüchige, dunkle Stimme, begleitet von einer kargen Gitarre und einem Trash-Beat. Ein bisschen nervös, dachte er noch und betrachtete die Lautsprecher an der Decke.

Laut sagte er: »Zwei Takte zu schnell für mein Alter, aber schöne Stimme.«

»Eleanor Friedberger«, erklärte Gwendolin. »30 Jahre zu jung für dich.«

Er brummte nur, als er sich an seinen Tisch setzte, und gab keine Antwort. Die Sache mit der Katze hatte ihn schon genug mitgenommen, als dass er sich auch noch mit den drei jungen Damen anlegen wollte.

So plätscherte der Morgen vor sich hin. Jeder war mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Frau Friedberger hatte inzwischen damit aufgehört, nicht in die Sonne zu starren. Der »Schwarze Kater« ähnelte eher einer Großküche in einer Wohngemeinschaft, denn der Zustrom an Kundschaft erwies sich als sehr bescheiden, wenn nicht gerade ein spezieller Event angesagt war.

Dennoch öffnete sich gegen Mittag die Tür. Durch einen schmalen Schlitz beleuchtete ein Sonnenstrahl den Staub vor dem Tresen, der durch den Luftzug aufgewirbelt wurde.

»Guckt mal, wer da kommt«, sagte Melinda, die kurz Zeit gefunden hatte, von ihrem Smartphone hochzublicken.

Die Frau im bordeauxroten Überwurfmantel schaute sich um, schien etwas zu suchen.

»Ist das nicht die Tourismustante aus dem Wallis?«, fragte Phoebe mit missbilligendem Ton in der Stimme.

Magdalena Im Ager – sie war es tatsächlich – trat zwei Schritte näher an den Tisch der drei Grazien.

»Passt bloß auf. Ich bin eine Hexe!«

»Sagt wer?«, provozierte Gwendolin.

»Ich dachte, ich mache euch eine Freude«, antwortete die Frau.

»Klar doch«, giftete Phoebe. »Ich fürchte mich auch schon ein wenig.«

Die Im Ager wollte sich an die Bar setzen, aber Nicole war ihr entgegengetreten, umarmte sie zur Begrüßung und setzte sie an den Stammtisch, den die drei jungen Frauen in Beschlag genommen hatten.

»Räumt euer Zeug beiseite«, forderte Nicole. »Ihr lernt heute doch nicht mehr.«

Melinda beschwerte sich: »Das ist kein ›Zeug‹, das sind wertvolle Unterrichtsmaterialien.«

»Sagt wer?«, gab Magdalena zurück.

Und Gwendolin doppelte nach: »Brauchst du den psychiatrischen Notfalldienst?«

»Steckt eure Giftpfeile wieder in den Köcher«, befahl Heinrich, der zu den andern getreten war, nachdem er den letzten Bissen geschluckt hatte.

Phoebe wandte sich an Magdalena und sagte: »In einem Buch habe ich gelesen …«

»Du liest?«, fragte Gwendolin unbeeindruckt.

In die kurze Stille hinein, bevor der Streit erneut ausbrechen konnte, erklärte Müller: »Drei gescheite junge Frauen, die alles dafür tun, einen guten Eindruck zu vermeiden!«

»Weiter …«, befahl Phoebe und strich sich elegant eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

»Glaub bloß nicht, dass du uns mit Intelligenz ködern kannst, alter Mann«, betonte Melinda.

»Soll ich denn um Eure Schönheit buhlen?«, fragte Heinrich.

»Das wäre doch ein Ansatz«, entgegnete Melinda, bevor sich Phoebe wieder zu Wort meldete: »Also. Da war einmal ein wildes Volk, in den Zeiten, als es noch keine Smartphones und kein Internet gab …«

Gwendolin schnaubte verächtlich.

»Jedenfalls lebte dort eine Frau, die schwanger wurde, und niemand wusste, von wem.«

Melinda redete drein: »Also auch vor der Zeit der Empfängnisverhütung.«

»Eigentlich vor der Zeit von allem, was du kennst«, erklärte Phoebe. »Während der Schwangerschaft bekam sie einen Affenhunger, und zwar auf Läuse. Aber sie aß nur die Köpfe.«

»Puh!« Gwendolin schüttelte sich. Auch die andern verzogen den Mund.

»Sie gebar einen kräftigen Jungen, der schon von klein auf zu jagen begann, aber immer nur die Köpfe der Tiere heimbrachte. Natürlich fanden das die Leute im Dorf nicht so toll. Schließlich begab er sich in den Wald und verbündete sich mit dem Volk der Baumgeister. Nun ging er auf Menschenjagd.«

»Lass mich raten«, sagte Gwendolin. »Er aß wieder nur die Köpfe?«

»Und das Gehirn«, ergänzte Phoebe.

»Woher hast du bloß diese gruselige Geschichte?«, fragte Nicole.

»Das Buch hieß ›Erotik im Amazonas‹ oder so.«

Magdalena seufzte. »Unter Erotik stelle ich mir etwas anderes vor.«

»Sag bloß!«, moserte Melinda.

»Das stimmt«, sagte Phoebe. »Es geht kaum um Erotik, eher ab und zu um Sex und Geschlechtsorgane. In einer andern Geschichte streckt sich eine Geisterhand durch die Wand einer Hütte und streichelt eine von ihrem Mann unterversorgte Frau. Die findet das toll, bloß wächst Tag für Tag ihre Klitoris, bis sie auf den Boden herabhängt und sich die Frau nicht mehr aus dem Haus traut.«

»Auch nicht erotisch«, schloss Heinrich.

Phoebe ergänzte rasch: »Ich erzähle euch lieber nicht, was das Dorf alles tun muss, um die Dinge wieder ins Lot zu rücken.«

Natürlich hatte sie erwartet, von allen aufgefordert zu werden, weiterzuerzählen.

»Entweder verstehen die Amazonas-Indianer nichts von Erotik …«, begann Nicole.

Melinda entgegnete: »Dann wären sie längst ausgestorben.«

Heinrich intervenierte: »Sex und Erotik sind zweierlei Dinge. Oft haben sie miteinander zu tun, aber nicht immer.«

»Der weise alte Mann hat gesprochen«, meinte Gwendolin.

»Oder«, nahm Nicole den Faden wieder auf, »der Verlag hat einen reißerischen Titel gebraucht, um unverkäufliche Geschichten an den Mann zu bringen.«

»Eher an die Frau«, sagte Phoebe kleinlaut. »Es ist ein Dritte-Welt-Buch, von Frauen für Frauen.«

»Hast du die Geschichten erzählt, um dich wichtigzumachen?«, fragte Melinda ihre Freundin.

Die war nun doch etwas beleidigt. »Nein. Aber da Magdalena nun eine Hexe ist, habe ich gedacht …«

»Berichte uns, wie es dazu gekommen ist«, forderte der Detektiv.

Magdalena Im Ager hatte die Aufmerksamkeit auf ihrer Seite. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Natürlich bin ich keine Hexe im praktizierenden Sinn. Aber nach dem Fall mit der Wolfshexe im Lötschental habe ich recherchiert und vor allem einen Familienstammbaum anlegen lassen. Ihr werdet es nicht glauben: Ich trage denselben Namen wie ein Frau, die 1620 in Brig als Hexe verurteilt worden ist.«

»Weißt du Genaueres?«, fragte Gwendolin.

»Jene Magdalena Im Ager hielt sich im Gantertal auf, das von Brig hinauf zum Simplon führt. Sie war eine Tochter des Hans Im Ager von Lax. Sie war in den Verdacht der Hexerei gekommen. Am 10. Juli 1620 versammelte Anton Stockalper, der Meier von Ganter, seine Geschworenen im Haus eines Verwandten in Brig. Man beschloss, Magdalena zu verhaften, was noch am selben Abend geschah. Am andern Tag wurde sie ›peintlich und gewohnlich examinirt‹, was heißt, nach protokollarischen Verfahren und unter Folter befragt, und zwar wegen Hexerei, verschiedener Diebstähle und Ehebruch. Das musste man allerdings in Brig tun, da es in Ganter keine Folterbank gab. Man befand sie schuldig, und sie wurde zum Feuertod verurteilt. Meier Stockalper ging sofort nach Sitten, um den Henker zu holen. Aber der Bischof und die Stadt Sitten hatten sich das Recht vorbehalten, auf dem Lande gefällte Todesurteile durch ein eigenes Verfahren zu bestätigen, und sie schickten ihren Henker, Jakob Olter, nach Brig. Stockalper jedoch bestand darauf, dass ein Freigericht dem Hauptort des Wallis nicht unterworfen sei, und er holte den Scharfrichter von Unterwalden, Lienhard Molch. So kam es zu einer beinahe handgreiflichen Auseinandersetzung zweier Henker in Brig!«

»Wer hat denn nun Hand an sie gelegt?«, wollte Nicole wissen.

»Mit Verzögerung schritt man am 29. Juli zur Exekution. Der Gerichtsschreiber Peter Stockalper verlas das Todesurteil, und Magdalena Im Ager wurde von Lienhard Molch zur Aeschen geführt, der gewöhnlichen Stätte des Hochgerichtes, unterhalb des Schallberges in Naters. Als ›barmherzig‹ bezeichneten sie die ›Milderung‹ des Urteils, indem sie Magdalena zur Abkürzung der Todesqualen ein Pfund Pulver am Hals und auf der Brust befestigten. Dann wurde das Feuer angezündet. Magdalenas Asche begrub man auf der Richtstätte. Die Exekution war ein Volksfest mit vielen Zuschauern. Leider aber hatte Magdalena eine Anna Hutter als Mittäterin und Hexe beschuldigt, sodass der Henker von Sitten sich doch noch schadlos halten und am 5. August diese Frau verbrennen konnte.«

»Krass«, kommentierte Melinda.

Dann hingen alle für ein paar Minuten ihren Gedanken nach.

Schließlich fragte Gwendolin: »Du bist also ihr Nachkomme?«

»Nicht in direkter Linie. Es ist nicht geklärt, ob sie Kinder hatte. Aber der Familienname ist über die männliche Linie erhalten geblieben. Deswegen habe ich mich in den letzten Monaten mit Hexerei, Magie und Zauberei auseinandergesetzt. Da ist ziemlich viel zusammengekommen. Und ich habe gedacht, ich könnte euch nützlich sein.«

Alle waren verblüfft.

Dann raffte sich Gwendolin auf: »Es gibt also einen neuen Fall? Und keiner hat uns etwas davon gesagt? Beim nächsten Mal sind wir von Anfang an mit von der Partie!«

»Niemand weiß etwas von einem Fall«, beruhigte Heinrich.

Aber die Nervosität war ansteckend. Und so erklärte Magdalena: »Ich habe meine Stelle als Tourismusverantwortliche gekündigt und werde nach Bern ziehen. Ich habe gehört, bei euch ist eine Wohnung frei?«

Phoebe begehrte auf: »Die ist uns versprochen!«

»Sagt wer?«, brummte Nicole.

Bevor die Sache geklärt werden konnte, klingelte das Telefon. Heinrich begab sich an die Bar, um den Hörer abzunehmen. »Markus?«, brummte er. »Dir auch einen schönen Tag.«

Dann blieb es verdächtig lange still, bevor Müller etwas lauter als gewöhnlich sagte: »Du gehst von einem Mord aus? Im Rosengarten?«

Man hätte den Staub rascheln hören können.

»Gut. Morgen in der Rechtsmedizin. Ich bin pünktlich vor Ort.«

»Es geht los«, freute sich Gwendolin und hüpfte durch die Gaststube.

Nicole sagte nur: »Freu dich bloß nicht zu früh!«

3. Kapitel

»Da bist du ja endlich«, empfing Markus Forrer den Detektiv, der am frühen Nachmittag entgegen seiner Gewohnheit eine halbe Stunde zu spät am Treffpunkt erschien, außerdem viel zu warm angezogen. »Du kennst doch Dr. Augsburger. Der verzeiht keine Unregelmäßigkeit.«

Es war dann weniger schlimm als erwartet, weil sich der Rechtsmediziner offenbar glänzend mit seiner Assistentin unterhielt und sich ohne Eile um die Dazugekommenen kümmerte.

»Dann wollen wir die Öffentlichkeit nicht länger warten lassen«, waren seine ersten Worte, bevor er seine Rechte zum Gruß ausstreckte und Laura de Medico vorstellte.

»Wir kennen uns bereits«, sagte sie zu Forrer und ließ ein leichtes Zucken ihres linken Lids erkennen.

»Die Presse macht ja ziemlich Druck auf die Polizei.«

»Wenn Sie einen einzelnen Journalisten mit der ganzen Presse gleichsetzen«, meinte Forrer achselzuckend.

»Na ja«, setzte Dr. Augsburger nach, »der ›Anzeiger‹ hat richtig Wind gemacht. Man stelle sich vor: Eine Touristengruppe findet eine Leiche, bevor die Japaner sich vom Rosengarten aus die Altstadt ansehen und zum Bärenpark hinunterstaksen können.«

»Hoffentlich ist das nicht der neue Programmpunkt für die Stadtrundfahrt«, brummte Heinrich Müller.

Der Polizist erklärte: »Die Begeisterung muss jedenfalls groß gewesen sein, gemessen an der Unzahl hochgeladener Fotos. Was sind schon ein paar Braunbären im Vergleich zu einer Wasserleiche im Seerosenteich …«

»Genau genommen ist es keine Wasserleiche«, wandte der Rechtsmediziner ein.

Und Heinrich sagte: »Die Fotos ersetzen auch keine Zeugenaussage.«

»Der Reihe nach«, fuhr Dr. Augsburger fort. Er wandte sich Laura de Medico zu.

Sie begann: »Wie Sie bereits wissen, haben wir gestern die Tote ins Rechtsmedizinische Institut überführt. Sie war vollständig bekleidet, der Hinterkopf lag im Wasser, den ungefähren Todeszeitpunkt habe ich auf 22 Uhr festgelegt.«

»Was ziemlich genau stimmt«, ergänzte Dr. Augsburger, »mit einer Abweichung von plus/minus einer Stunde.«

»Als Erstes«, führte sie weiter aus, »haben wir die Frau ausgezogen. Die Kleider sehen Sie nebenan.«

Die Leiche selbst war noch zugedeckt. Auf dem zweiten Seziertisch lagen Lackstiefel und ein überlanger Kapuzenpullover.

Heinrich Müller wunderte sich und fragte: »Keine Unterwäsche? Keine Ausweispapiere?«

»Weder noch«, sagte die Assistentin.

»Wie erklären Sie sich das?«

Augsburger reagierte ungehalten: »Wir erklären gar nichts. Dafür sind Sie zuständig. Aber Spekulieren ist erlaubt. Wer beginnt?«

Die drei Männer sahen sich unschlüssig an. Allen war bewusst, dass Nicole Himmel fehlte. Dann richteten sich ihre Blicke auf Laura de Medico.

Die errötete leicht und sagte: »Ich würde niemals ohne Unterwäsche zum Seerosenteich gehen. Also …«, sie schluckte leer, »ich gehe überhaupt nicht ohne Unterwäsche aus dem Haus.«

»Was demnach bedeutet?«, fragte Müller.

Sie stockte: »Ich … also sie hat sich nicht selbst angezogen. Ich nehme an, ein Mann hat es gemacht.«

»Der Täter«, schloss Forrer.