Für Jakob – mit Dank für die Inspiration!

Mittwoch

17. Mai, 7.41 Uhr

Leicht bewölkt, 13 Grad

Leander hob die Hand. Und Ben schlug zur Begrüßung ein.

Sie standen neben den vielen Taschen, die vor dem Bus lagen.

„Wo ist denn Nino?“, fragte Ben.

„Keine Ahnung“, sagte Leander. „Vermutlich noch im Bett?“

Die beiden Jungs grinsten. Sie waren noch müde. Und aufgeregt. Schließlich fuhren sie in die Jugendherberge. Und mit 14 Jahren war es für sie noch spannend, ein paar Tage von zu Hause weg zu sein.

„Wer fehlt denn noch?“, überlegte Ben und sah sich um.

Die Mitschüler standen links und rechts vom Bus oder saßen etwas abseits auf den Bänken. „Alle da, bis auf Nino und Frau Ranze“, sagte Leander.

Dass ihre Lehrerin zu spät war, kam ihm komisch vor.

Schließlich saß Frau Ranze immer als Erste in der Klasse. Und nach Schulschluss war sie die Letzte, die nach Hause ging.

In diesem Moment bog Nino um die Ecke.

Er lief direkt auf sie zu. Sein Rucksack baumelte von links nach rechts.

„Ich hab voll verpennt!“, rief er atemlos.

Seine blonden Locken hingen ihm ins Gesicht.

Ben und Leander sahen ihn prüfend an.

„Heute Nacht gezockt?“, fragte Leander.

Nino ließ seinen Rucksack auf den Boden fallen.

„Na und?“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „Ich hatte den Kampf mit dem Enderdrachen.“

„Schön für dich!“, schnappte Ben.

Nino sah Ben an.

„Wieso schön für mich?“, fragte er verwundert.

„Weil mein PC Schrott ist“, erklärte Ben.

Er hatte seinen Eltern tausendmal erklärt, wie wichtig ein neuer PC für ihn war. Doch seine Eltern wollten immer nur, dass er was anderes macht. Zum Beispiel ein Buch lesen oder Gitarre üben.

„Ich kann überhaupt nicht mehr Minecraft spielen“, klagte Ben.

Da rief Leander: „Wen haben wir denn da?“

Ben und Nino drehten ihre Köpfe und sahen Jule. Sie stand bei den Mädchen.

Ben und Jule waren seit dem Kindergarten befreundet und verstanden sich sehr gut.

Was Leander etwas eifersüchtig machte.

„Sollen wir mal rüber?“, fragte Leander.

Als sie bei den Mädchen standen, versuchte Leander, ein Gespräch mit Jule anzufangen.

Dabei sah er immer wieder zu den beiden Jungs. Er wirkte etwas hilflos. Und auch Jule schien nicht recht zu wissen, was sie mit Leander anfangen sollte. Da kam Frau Ranze angefahren. Sie winkte aus dem Auto und rief: „Ich bin gleich da!“

„Wurde aber auch Zeit“, knurrte der Busfahrer, der gerade das Gepäck einlud.

„Welches Level bist du jetzt nach dem Kampf mit dem Enderdrachen?“, fragte Ben.

„Level 84“, meinte Nino grinsend.

Ben war es deutlich anzusehen, dass er richtig genervt war, nicht mehr spielen zu können.

„Minecraft ist so was von vorbei“, sagte Leander.

„Red nicht!“, blaffte Nino Leander an.

Noch vor wenigen Monaten hatten die Jungs zusammen Minecraft gezockt. Jetzt war alles anders. Bens Computer war Schrott. Und Leander interessierte sich plötzlich für Mädchen.

Nur Nino saß noch täglich vor seinem PC und spielte Minecraft auf irgendwelchen Servern.

Dabei bekam er gar nicht mit, dass er seine Freunde immer seltener sah.

„Die Jugendherberge ist sowieso in einem Funkloch“, behauptete Ben.

„Echt jetzt?“

Nino riss die Augen auf.

„Ja, klar“, sagte Ben. „Stand im Elternbrief.“

„Und WhatsApp?“, fragte Leander erschrocken.

„Was soll damit sein?“, fragte Ben zurück.

„Ist das auch …?“

Leander sprach nicht weiter. Natürlich würde auch kein WhatsApp gehen, wenn sie in einem Funkloch waren. Er verdrehte die Augen: „Na prima!“

Als sich Frau Ranze dem Bus näherte, lief ihr der Mathelehrer Herr Millard entgegen.

„Grüß dich, Stefan“, schnaufte Frau Ranze etwas atemlos. „Tut mir leid, ich stand im Stau.“

„Kein Problem“, sagte Herr Millard. „Wir können gleich los. Alle sind da und das Gepäck ist auch schon verstaut.“

Frau Ranze stellte sich zu ihren Schülern.

„Ich freue mich auf unsere Fahrt!“, rief sie.

„Ich hoffe, ihr auch?!“

Ein paar antworteten, andere machten Scherze oder lachten. Und Ben wusste noch immer nicht so recht, was er von der Fahrt halten sollte. Wenigstens würde er sich nicht mehr ärgern müssen, dass Nino spielte, während er selbst nur Let’s Plays bei YouTube schauen konnte. Denn ohne Internet würden alle etwas anderes machen müssen.

Da rief Jule: „Kommt ihr zu uns?“

Sie sah Ben an. Ehe dieser antworten konnte, lief Leander an ihm vorbei.

„Aber sicher!“, sagte er.

Leander folgte den Mädchen in den Bus.

„War klar …“, meinte Nino und Ben musste lachen.

Mittwoch

17. Mai, 11.15 Uhr

Sonnig, 21 Grad

„Das ist ja am Arsch der Welt!“, rief Leander, als sie ausstiegen.

Ein paar Mädchen lachten, während Ben und Nino die Augen verdrehten. Leander hatte während der Fahrt einen Spruch nach dem anderen gemacht. Es gab ein paar Mädchen, die das sogar witzig fanden. Nur Jule hatte nicht gelacht.

„Das ist also die Eifel“, stellte Leander fest.

„Ich sehe nur Bäume“, sagte Nino.

„Wie gesagt, der Arsch der Welt“, rief Leander und grinste Jule an. Doch die nickte nur und fragte an Ben gewandt: „Waren wir hier nicht vor Jahren mal?“

Ben erinnerte sich an ein Wochenende, das ihre beiden Familien zusammen in der Eifel verbracht hatten.

„Da waren wir doch in so einem Kloster“, sagte er.

„Einem?“, rief Jule. „Das waren drei oder vier!“

„Kloster?“, fragte Leander und schaute etwas blöde.

„Ist so was wie der Nether“, erklärte Nino.

„Die Hölle bei Minecraft?“, fragte Jule.

Ben grinste.

„Hölle und Kloster sind gar nicht so verschieden“, sagte er.

Jule lachte über Bens Bemerkung. Und Leander verdrehte die Augen, weil sie ihn kaum beachtete.

Die drei Jungs bekamen ein gemeinsames Zimmer. Der Mädchentrakt war in einem anderen Gebäude.

„Und was machen wir mit dem vierten Bett?“, fragte Leander.

„Nehmen wir als Ablage“, erwiderte Ben und warf seine Tasche drauf.

„Oder als Gästebett“, schlug Leander vor und grinste schief.

„Was denn für Gäste?“, fragte Nino.

„Dreimal darfst du raten“, sagte Ben.

Nino schien nicht zu begreifen, dass Ben die Mädchen meinte.

„Wann sollen wir denn unten sein?“

„Um zwölf gibt es Essen.“

„Und um eins geht es dann zum Schwimmen“, knurrte Nino, der gerade feststelle, dass sie wirklich kein Internet hatten.

Nach dem Mittagessen gingen sie schwimmen. Als sie drei Stunden später wieder zurückfuhren, zogen dichte Wolken auf und verdunkelten den Nachmittag.

„Das gibt noch Regen“, seufzte Jule.

Sie saß am Fenster und starrte nach draußen. Der Bus fuhr über eine Landstraße, überdacht von mächtigen Bäumen, die kaum Licht durchließen.

„Schwarzeichenholz“, sagte Nino und tippte gegen die Scheibe. „Sieht aus wie Schwarzeichenholz.“

Jule sah Nino an. Schließlich fragte sie:

„Gibt es für dich eigentlich auch eine normale Welt? Oder ist für dich alles wie bei Minecraft?“ Ben und Leander lachten, während Nino nicht wusste, was er antworten sollte.