Für Ela –

Superwoman und Herzensfreundin

A.S.

Frau Gacker braucht starke Nerven

Im Ostereier-Versteck-Verteilungsamt geht alles drunter und drüber.

Frau Gacker sitzt an ihrem Schreibtisch unter dem großen Apfelbaum und rauft sich die Federn.

»Wenn sich die Herr-Herr-Herrschaften mal bitte in einer Reihe aufstellen würden, da-da-dann hätte ich ein wenig mehr Überblick«, gackert sie und fuchtelt mit den Flügeln.

Es ist jedes Jahr dasselbe. Als ob Ostern nur alle hundert Jahre einmal stattfinden würde! Dabei sollte man doch wirklich meinen, dass gerade Osterhasen ganz genau wissen, was an diesem Fest zu tun ist.

»Es kann ja wohl nicht so schwer sein, einen Tag-Tag-Tag vor Ostern hierherzukommen, um zu erfahren, für welche Kinder man die Eier verstecken soll«, mault Frau Gacker, schiebt sich die Brille zurecht und starrt eine Weile auf ihre lange Liste.

Dann seufzt sie, hebt den Kopf, guckt streng über den Rand ihrer Brille und kräht: »Ru-Ru-Ruhe bitte schön. Aufgepasst: Ich rufe jetzt jeden einzeln nach vorne. Ihr habt ja wohl alle euren gü-gü-gültigen Osterhasenausweis dabei?«

Auf der Wiese entsteht Unruhe. Ratlos sehen sich die wartenden Osterhasen an und tasten hektisch ihre Hosentaschen ab. Natürlich hat kaum ein Hase an seinen Ausweis gedacht. Wozu braucht man den denn auch? Erkennt man Osterhasen nicht schon aus hundert Metern Entfernung? An der kunterbunten Kleidung, am Korb für die Eier und an ihrem schelmischen Grinsen, weil sie schon seit Monaten an den allerbesten Verstecken der Welt herumtüfteln?

Frau Gacker trinkt einen Schluck Kamillentee, um sich zu beruhigen, Dann winkt sie den ersten Osterhasen zu sich nach vorne. Sie lässt sich seinen Namen mitteilen, hakt ihn auf der Liste ab und reicht ihm ein Formular zum Unterschreiben. Anschließend donnert sie einen Stempel auf das Papier.

»Ge-ge-genehmigt«, sagt sie, während der Hase vor lauter Neugierde auf und ab hopst. Frau Gacker grinst heimlich, lässt ihn noch ein wenig zappeln und teilt ihm dann feierlich mit, wo er dieses Jahr die Eier verteilen soll. »Stadtgartenstraße eins bis achtundvierzig«, bestimmt sie.

»Ach menno«, mault der Hase enttäuscht, »da war ich schon mal, da gibt’s immer nur so doofe Verstecke.«

Da kneift Frau Gacker ihre kugelrunden Hühneraugen zu engen Schlitzen und beugt sich zu dem Hasen hinunter.

»Nun hör mir mal gut zu, mein Lieber. Ich kann dich auch in die Wü-Wü-Wüste schicken«, schlägt sie vor. »Da gibt’s noch doofere Verstecke. Nämlich gar keine. Bloß Sand. Sa-Sa-Sand vorne, Sa-Sa-Sand hinten, Sa-Sa-Sand rechts, Sa-«

»Ist ja schon gut«, murmelt der Hase und hoppelt eilig davon.

»Der Nä-Nä-Nächste bitte«, ruft Frau Gacker, reißt ihren Schnabel auf und gähnt. Die Sonne ist gerade mal vor einer Stunde aufgegangen, doch Frau Gacker könnte schon wieder ein Nickerchen vertragen.

Zum klapprigen Hühnerhof noch mal, das wird ein langer Tag werden.

Jasper versucht sein Glück

Irgendwann zur Mittagszeit wird es ruhiger auf der Apfelbaumwiese. Nach und nach hat Frau Gacker alle Osterhasen mit ihren Versteck-Orten versorgt. Jetzt wissen alle Hasen ganz genau, wo sie dieses Jahr die Ostereier verstecken sollen. Dabei hat Frau Gacker dreiundzwanzig Mal geschimpft, sechsundfünfzig Mal geseufzt, zwölf Mal gegähnt und sechs Tassen Kamillentee getrunken.

Als es endlich geschafft ist und auch der letzte Osterhase eingeteilt ist, spreizt Frau Gacker die Flügel und atmet tief durch. Ihre Brille ist verrutscht, die Blätter der Liste hat der Wind rund um den Schreibtisch verteilt, und ihr Magen knurrt.

»Ein ganzes Jahr Ruhe. Ein ganzes, langes Ja-Ja-Jahr!«, gackert Frau Gacker erleichtert. Beim Aufräumen denkt sie an das ausgedehnte Sandbad am Nachmittag und ein schmackhaftes Körner-Mittagessen, das sie sich gleich gönnen wird. Frau Gacker rafft ihre Notizen zusammen und verstaut Stempel, Füller, Tinte und Teekanne in ihrer Handtasche.

Doch gerade als sie den letzten Rest Kamillentee aus der Tasse in die Topfpflanze auf ihrem Tisch gießen will, wird sie von einer leisen Stimme unterbrochen. Sie kommt direkt von hinter dem Schreibtisch.

»Kannku ma kucken?«, fragt es.

»Wagockergack, was!?«, kreischt Frau Gacker und presst verängstigt ihre Flügel an die Hühnerbrust. »Ich dachte, alle wären weg«, japst sie und linst vorsichtig über den Rand. »Hast du mich jetzt aber erschreckt.«

Vor dem Tisch steht ein kleiner Junge mit einem Schnuller im Mund und einem Stoffhäschen im Arm.

»Krahgock! Ein Mensch!«, kollert Frau Gacker empört. »Na-na-nein«, verbessert sie sich. »Hi-Hi-Hilfe, ein Kind! Gackerdi – woher weißt du …? Wie kannst du …? Warum bist du …?«, schnattert sie aufgeregt.

In ihrer gesamten Dienstzeit von nun zweiundzwanzig Hühnerjahren ist noch niemals ein Mensch auf dem Ostereier-Versteck-Verteilungsamt erschienen. Und schon gar kein Kind. Kinder haben nicht mal den Hauch einer Ahnung, dass es dieses Amt überhaupt gibt!