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Mel Tuville

Private Assistentin gesucht





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Erstes Kapitel – Das erste Treffen

 

Immerhin war sich Clarissa bewusst, dass er einen Mann wahrscheinlich vertröstet oder gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hätte. Aber er wollte wohl keinen Ärger riskieren und hatte die Anzeige geschlechtsneutral formuliert. War sie nur von der angebotene Entlohnung angezogen worden, oder noch von anderen Dingen? Wenn sie für ihn Termine organisieren und vielleicht einmal Kaffee zubereiten musste, konnte es schon nicht so übel sein.

 

Die angegebene Adresse war ein Lokal, und sie wusste anhand seiner Beschreibung, wie er aussah. Die einzelnen weißen Haare hatte er nicht erwähnt, sonst sah er jedoch durchaus frisch aus. Falls er das wirklich war, den sie dort zu erkennen glaubte. Immerhin hatte sie sogar ihre Tätowierung auf seine Frage hin erwähnt, und er sie trotzdem eingeladen.

 

„Guten Tag, ich bin hier wegen …“, sprach sie ihn an, als sie direkt neben ihm stand. Er blickte auf, ließ den Mund geschlossen, und musterte sie von oben bis unten. Plötzlich begann er zu lächeln und reichte ihr die Hand.

„Oh, hallo … Clarissa, richtig? Ich bin Harald.“

 

Das fing ja gut an. Andererseits, wer eine private Assistentin suchte, wurde vielleicht gleich vertraulicher als ein Personalchef in einem Büro. Er drückte für sie erstaunlich fest zu, und die drei Sekunden erschienen ihr irgendwie viel länger. Jemand näherte sich dem Tisch, als sie sich ihm gegenüber hinsetzte, und nahm ihre Bestellung auf.

 

„Na dann erzähle einmal was … von dir.“

„Also wie gesagt, ich war da einmal mit der Termin-Koordination beschäftigt, zusammen mit der Buchhaltung. Das war …“

„Weißt du was?“, unterbrach er sie und betrachtete sie für mehrere Sekunden. „Ich habe da ein ganz, ganz gutes Gefühl. Bei dieser Tätigkeit geht es nicht nur um Termine und so, da ist … persönliches Einfühlungsvermögen gefragt. Und bei dir …“

 

Was geschah hier bitte? Sofort tauchten Bilder von wohlhabenden reiferen Männern auf, die jüngere Frauen zufällig im Vorbeigehen begrapschten. Aber er sah für sie einfach nicht so aus. Wohlhabend war er wahrscheinlich, aber er wusste sich schon einmal in der Öffentlichkeit zu benehmen. Also …

 

„Natürlich gäbe es dann eine Probezeit, da kannst du ja dann sehen, ob die … Aufgaben … etwas für dich sind. Wie gesagt, ich habe ein sehr gutes Gefühl, aber es sollte dir wirklich gefallen.“

„Und das wäre dann wo genau?“

„Hauptsächlich auf meinem privaten Wohnsitz.“

 

Natürlich, warum sollte jemand jeden Tag in ein Büro fahren, wenn er auch von zuhause aus alles managen konnte? Und ja, sie konnte dieses gewisse Prickeln nicht abstreiten, das sich in den letzten Minuten bei ihr aufgebaut hatte. Seine Muskeln waren unter dem Hemd ganz gut zu erahnen, und was immer er machte, er musste damit erfolgreich sein. Sie trank ihren Kaffee aus, während Harald „Zahlen, bitte!“ rief. Er beglich seine und ihre Rechnung mit einem wahnwitzigen Trinkgeld – und schob danach ein verschlossenes Kuvert über den Tisch.

 

„Also wenn du möchtest … das wäre dann schon einmal eine Vorauszahlung. Und wie gesagt … ich melde mich bald.“